Afrika den Afrikanern
Auf der Pariser Konferenz bekunden die USA, die BRD, Frankreich, Großbritannien, Belgien und Zaire „Sorge um die Unabhängigkeit, wirtschaftliche Entwicklung, Unverletzlichkeit und Sicherheit der Staaten Afrikas.“ Der Umstand bereitet Sorge, daß einige der Staaten Afrikas ihre politische Unabhängigkeit zu effektiv für die Zwecke benutzt haben, um derentwillen man sie ihnen gegeben hatte, daß ihre wirtschaftliche Entwicklung, die in den betreffenden Ländern ausbleibt, weil sie ökonomisch in anderer Weise interessieren, Teile ihrer Nation aufsässig gemacht hat und dergestalt die Unverletzlichkeit und Sicherheit ihrer Staatswesen bedroht. Daß die Hinterlassenschaften des Imperialismus die aufgrund der Zulieferfunktion für die Industrieländer und deren ökonomischer Folgen gegen sich aufgebrachte Bevölkerung nicht souverän zu bändigen vermögen (trotz ständiger umfangreicher Militärhilfe), kleidet sich in die Sorge um Zaire, das „nicht imstande ist, sich selbst zu schützen, seinen Zusammenhalt und seine Integrität zu wahren.“ Die eigenen Interessen zu wahren, ist das Unanstößigste von der Welt, wird ja doch nur dem fremden Staat, der als Verwalter der jeweiligen Interessensphäre eingerichtet wurde, Hilfe versprochen und gewährt. Die Tatsache, daß die unzufriedenen Negerstämme, statt sich ihrer eigenen Holzwaren zu bedienen, sich in ganz unafrikanischer Weise ausländische Hilfsmittel beschaffen, um gegen ihre mit westlichen Waffenarsenalen ausgestatteten Aufseher anzutreten, fügt sich aufs glücklichste ins Bild bedrohter afrikanischer Eigenstaatlichkeit. Die einheitliche Meinung der westlichen Interessenten: „Es müsse alles getan werden, damit Afrika nicht in den West-Ost-Konflikt hineingezogen werde. Ausserafrikanische Mächte müßten sich jeder Einflußnahme in Afrika enthalten.“ (Genscher) Damit Afrika nicht in den Konflikt hineingerät, dessen Streitobjekt es schon immer ist, veranstalten die außerafrikanischen Mächte des Westens unter Hinzuziehung von Mobutus Assistenten in Paris eine Konferenz, um darüber zu beraten, wie Afrika am besten vor sich selbst geschützt werden kann. Die bereits anläßlich der NATO-Konferenz ziemlich außerafrikanisch, nämlich im State Department, beratene „panafrikanische Friedenstruppe“ hat sich mangels pan und afrikanischer Beteiligung als untauglich erwiesen. „Eine entscheidungsfähige politische Instanz, der eine solche Truppe unterstehen müßte, ist weit und breit nicht sichtbar.“ Weil die Afrikaner sich bekanntlich trotz der starken Bindungen so schwer tun, mit sich selber fertig zu werden, kommt man „leider“ nicht darum herum, ihnen weiteren Beistand zu gewähren: „Ihren militärischen Beistand wollen die weißen Staaten in erster Linie auf technische Hilfe, Nachschub, Bewaffnung und Ausbildung afrikanischer Truppen beschränken. Die Franzosen legen besonderen Wert auf die Einschränkung, für ihre Sicherheit und Verteidigung seien die afrikanischen Staaten verantwortlich.“ Komplette Armeen für die vom Westen in Afrika eingesetzten schwarzen Staatsmänner in Bewegung zu setzen, wobei deren Verantwortung darin besteht, nichts als ihre Bevölkerung dafür auszuleihen, ist bloße Hilfestellung für die gebrechliche Souveränität Zaires und ähnlicher Staaten – dasselbe von Seiten der SU natürlich aggressiver Interventionismus. Wobei das Gelungene darin besteht, die eigenen Kriegsvorbereitungen mit Hilfe des Umstands, daß sie anstatt mit der eigenen Bevölkerung mit einer fremden getroffen werden, als Beschränkung darzustellen, die man sich auferlegt, um den Frieden zu sichern. Der Westen übt äusserste Zurückhaltung: NATO-General Luns betonte, „daß die NATO selbst nicht in Afrika intervenieren sollte.“
Es steht also zweierlei fest: 1. ist die Eskalation, die man praktiziert, keine, sondern das Allerselbstverständlichste, weil man eigentlich schon längst direkt eingreifen müßte, sich also im Grunde heraushält. 2. ist mit dem Heraushalten demnächst einmal Schluß, d.h. ganz andere Unternehmungen werden fällig sein, worauf das teilnehmende Publikum hiermit vorbereitet wird. Als Afrika befriedende „Schutzmacht“ die marokkanischen Truppen verheizen und Abstinenz predigen – „amerikanisches Blut für Tausende Meilen von Sand zu vergießen“, hält UNO-Botschafter Young, der amerikanische Präsentier- und Afrikaneger, für unzweckmäßig, die „Kosten seien zu hoch“ –, ist die Methode, mit der man soweit interveniert, wie momentan erforderlich ist, um die Kupferminen wieder in Gang zu bringen, und gleichzeitig die Menschheit daran gewöhnt, daß auch andere Saiten aufgezogen werden können d.h. werden. Unterstützung leisten andere afrikanische Präsidenten, die auch um ihren Stuhl fürchten, wie der Friedenspreisträger Senghor, der aufgrund seiner unbestreitbaren Qualifikation für solche Fragen die amerikanische Zurückhaltung tadelt, „US-Soldaten in Afrika sterben“ zu lassen, „In einem solchen Fall würden amerikanische Soldaten bereits in wenigen Jahren in Deutschland, in Großbritannien, in Frankreich sterben – und es wird zu spät sein.“ Daß es allmählich an der Zeit ist, in Afrika für die Freiheit zu kämpfen, weil – so Jimmy Carter – „die SU versucht, eine totalitäre und repressive Regierungsform zu exportieren“, bestreitet momentan niemand – außer einigen der interessierten Staaten selbst. Kanada, Großbritannien und Belgien warnen vor einer „Afrika- Hysterie" beim Shaba-Konflikt dürfe man die Stammesrivalitäten und die Mängel der Mobutu- Regierung nicht übersehen, – man will sich schließlich nicht vorbehaltlos für die Unterstützung der französischen Intervention einspannen lassen.
Offensive Entspannungspolitik Derweil läßt sich aus dem Shaba-Konflikt auch noch ganz anderer Nutzen ziehen. Zwar hat man die Verhältnisse längst wieder einigermassen unter Kontrolle, aber daß, wenn schon nicht am Ort, aber immerhin irgendwo in der Gegend, Cubaner gesichtet wurden (die vorgezogene Mitteilung Castros, nicht beteiligt zu sein, hat man ja vorsichtshalber unter Verschluß gehalten), genügt völlig, eine neue Kampagne zu eröffnen, um den östlichen Gegner auf anderen Ebenen zu Zugeständnissen zu zwingen. Denn: „Entspannungspolitik kann nicht nur in Europa betrieben werden. Wer in anderen Regionen, sei es im Nahen Osten, sei es in Afrika oder anderswo in der Welt auf Konfrontation setzt, gefährdet das Gleichgewicht und untergräbt damit das Werk der Entspannung.“ (Schmidt) Entspannungspolitik betreibt man am besten dadurch, daß man die eigene Position ausbaut, in Afrika und anderswo, und den Gegner zurückdrängt, weil man sich auf diese Art das Kriegführen ersparen oder hinauszögern kann. Von diesem Gesichtspunkt aus – und das widerspricht natürlich keineswegs der allgemeinen Parole „Afrika den Afrikanern“ – wird die „Zuständigkeit der NATO für ein Gebiet hergestellt, das wegen seiner strategisch wichtigen Rohstoffquellen und Versorgungslinien zum lebenswichtigen Hinterland der NATO-Staaten gehört“. Carter vor der NATO-Konferenz: „Unsere Allianz konzentriert sich auf Europa. Aber unsere Wachsamkeit kann nicht auf den Kontinent beschränkt bleiben.“ Weil Entspannungspolitik verlangt, – so Schmidt – „die Fähigkeit des Bündnisses zur Abschreckung zu stärken, mit dem Ziel, langfristig zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Ost und West zu kommen“, wird kurzfristig die Zusammenarbeit in Abrüstungsfragen eingestellt, um mit der öffentlichen Erörterung der Carter-Berater, ob es nun ein Junktim zwischen Afrika und den SALT- Verhandlungen gibt, der SU mitzuteilen, welche Leistungen von ihr erwartet werden. Dabei hat Brzeziński in der Frage ebenso recht wie Vance: es gibt ein Junktim, weil man es herstellt, und die Unruhe in Afrika zum Vorwand nimmt, um den sowjetischen Verhandlungspartner zu weiteren Entgegenkommen zu erpressen. Es gibt keines, weil es auch ohne Afrika für die amerikanische Position das beste wäre, einen Vertrag über Rüstungsbegrenzung der Interkontinentalraketen abzuschließen, der der SU die Einführung eines neuen Systems dieser Waffengattung untersagt, ohne den Amerikanern die Entwicklung ihrer mobilen Rakete MX zu verbieten, denn – das sind leider die Beschränkungen einer Demokratie – Präsident Carter könnte ein solches Verbot seinem Senat kaum begreiflich machen. „Die Sowjetunion kann zwischen Konfrontation und Kooperation wählen", denn nach der diplomatisch durch Dritte ins Gespräch gebrachten Androhung, die SALT-Verhandlungen einzufrieren, offeriert Carter großzügig das neue Angebot der Amerikaner, daß sie weiterhin verhandeln. Die in der gleichen Rede getroffene Feststellung, daß die USA „mehr Sprengköpfe, eine höhere Treffsicherheit, mehr schwere Bomber, eine ausgewogenere Nuklearstreitmacht, bessere Raketen-U-Boote und eine Überlegenheit bei der U-Boot-Abwehr“ aufweisen und „für eine stärkere NATO und mehr mobile Streitkräfte“ sorgen, zeugt nur von einer besonderen Form der Friedenssicherung. Schmidt: Und mit eben diesem Mut ist der Kanzler in New York bei UNO-Generalsekretär Waldheim vorstellig geworden, um den Sachverhalt zu bemängeln, „daß die personelle Besetzung der Bundesrepublik im UNO-Management zu wünschen übrig lasse. Die Bundesrepublik stellt keine Truppen in den UNO-Friedenskontingenten“ und auch Zaire wird bislang lediglich „materieller Beistand zu Befriedungsaktionen geleistet.“ Dies hat zwar auch seine Vorteile, wie das Beispiel des von seiner „Schutzmachts“tätigkeit strapazierten Frankreich zeigt, aber als zweitführendste, rohstoffarme Industrienation sollte man sich auch ein Beispiel an Frankreich nehmen, das „sich nicht scheut, in Afrika militärisch mit allem Nachdruck aufzutreten.“ (Ein weiterdenkender Journalist der SZ) Wenn die westlichen Regierungen zur Zeit ihr Eingreifen sorgfältig kalkulieren und ihren grund- und menschenberechtigten Völkern unter dem Titel Nichteinmischung präsentieren, ohne daß dabei auch nur die Spur von Angst bemerkbar ist; wenn dieses Gefühl ausschließlich für 25 1/2 Terroristen und ein paar kommunistische Junglehrer reserviert ist und das auswärtige Auftreten der Nation von der freien, kritischen, liberalen Öffentlichkeit zur Domäne des entgegengesetzten Gefühls agitatorisch zubereitet wird; wenn also lauthals der Mut zum Krieg gepflegt und gefordert wird – „Vor allem die Vereinigten Staaten, die noch immer (!) unter den Nachwirkungen ihres Fehlschlags in Südostasien leiden (!), sind bisher nicht bereit gewesen, in Afrika aktiv (!) einzugreifen“ (SZ) – so braucht die Generation, die die MSZ liest, in einem nicht bange zu sein: daß ihr gewisse Lebenserfahrungen, die sich ihre Eltern bisweilen zugute halten, vorenthalten bleiben und sie sich zeitlebens den Vorwurf machen müssen, sie hätten keinen Krieg mitgemacht. Die innenpolitische Vorbereitung der Sache heißt im übrigen »Mut zur Erziehung«! _____________________________________
1. Vorstehender Artikel ist kein Kommentar und nicht ironisch. 2. Die Bourgeoisie hat uns nicht dafür bezahlt, daß wir es unterlassen haben, im ML-Jargon und mit Stalin die Frage aufzuwerfen, ob der Imperialismus ohne Kriege zu Rande kommen kann. 3. Auch für die eindeutige „Lösung“ der Frage, ob Demokratie und Imperialismus vereinbar seien (punktuell, periodisch oder überhaupt nicht usw.), haben wir kein Geld bekommen. Angesichts der Leistungen, zu denen sich die demokratische Form bürgerlicher Herrschaft fähig erweist, ihr eigentliches Nicht-Vorhandensein (keine „wahre, wirkliche Demokratie“) zu behaupten, ist moralischer, daher zynischer Idealismus. Solche Leute haben ihren Verstand gegen das Wort Zimbabwe eingetauscht. 4. Wenn die Parole „A Amanda matla!“(1) fehlt, so ist das gut und nicht schlecht.
____________________________________________ (1) „Amandla“ – Macht, und „Matla“ – Sieg – waren wichtige Parolen des ANC im Kampf gegen die Apartheid. Heute schmückt sich die Staatsmacht in Südafrika mit diesen seinerzeit „revolutionären“ Vokabeln. Ein Beispiel für den gelungenen Freiheitskampf eines Volkes! Im Namen dieser ehrlich gewonnenen Freiheit kann man dann Bergarbeiter mit allen Mitteln an die Arbeit treiben …
aus: MSZ 24 – Juli 1978 |