Der Siegeszug der amerikanischen Wissenschaft Der Siegeszug der Psychonanalyse in den USA und seine Gründe Die Modernisierung des abendländischen Geistes
„Man wird aus solcher Belehrung ... entnehmen können, wie viel die philosophische Hermeneutik in Deutschland schon seit langem ... hätte lernen können. Statt dessen hat man ihre Lehren jahrzehntelang in bornierter Unkenntnis als »Amerikanismus« diffamiert.“ (K. Oehler, 22f)
Die Bereitschaft, es mit den Amerikanern aufzunehmen, ist da, doch ist dazu zunächst ein Problem zu lösen, das diese nicht haben: Kurzerhand gelte es, die Zöpfe deutschen Denkens abzuschneiden, so z.B. die in der Hermeneutik „festgehaltenen anachronistischen Denkfiguren des Kantianismus!“ (ibid.) Diese Abrechnung mag nun unterschiedliche Formen annehmen, gemeinsam ist ihnen die Weigerung, im „deutschen Geist“ etwas anderes zu sehen als ein für heutige Verhältnisse unbrauchbares wissenschaftliches Instrumentarium. Auch Rückzugsgefechte der Art, „die philosophischen und theologischen Traditionen Europas“ hätten noch irgendeinen Nutzen, verraten außer dem Desinteresse an Philosophie lediglich den Wunsch, wenigstens mit ihr das Problem haben zu dürfen, daß sie nicht dazu taugt, der Alten Welt zu wissenschaftlichem Ruhm zu verhelfen. Die Effektivierungsbemühungen deutscher Wissenschaftler haben daher etwas Skurriles: Noch die radikalsten Zopfabschneider unter ihnen sind gehalten, sich mit ihren Kollegen über deren „bornierte Unkenntnis“ in Sachen US-Wissenschaft zu streiten. Das hemmt natürlich den Lauf des ersehnten Fortschritts. Die Amis haben es da zum Verdruß hiesiger Professoren besser: „Darüber wurde ich in Amerika belehrt, wo kein stillschweigender Respekt vor allem Geistigen herrscht ... Die Abwesenheit dieses Respekts veranlaßt den Geist zu kritischer Selbstbesinnung.“ (Adorno, Stichworte, S. 145) Die Absenz spezifischer abendländischer Denkskrupel ehrt in den Augen des Dialektikers Adorno die Wissenschaft der Neuen Welt: Skrupelloses Denken als Voraussetzung „kritischer Selbstbesinnung“. Damit öffnen sich die Tore zum wissenschaftlichen Erfolg: „Wer in der Kritik des common sense so weit geht wie ich, muß die einfache Forderung erfüllen, daß er common sense hat. Er darf nicht über etwas sich zu erheben beanspruchen, dessen Disziplin er selbst nicht zu genügen vermag.“ (a.a.O., S. 148) Die Wissenschaft in den Staaten verdankt ihren Höhenflug nicht der Disziplin ihres Denkens, sondern der der Bürger: „Drüben lernte ich ein Potential realer Humanität kennen, das im alten Europa so kaum vorfindlich. Die politische Form der Demokratie ist den Menschen unendlich viel näher.“ (a.a.O., S. 145) Die demokratischen Grundsätze in der Brust der Amerikaner sind für deren Wissenschaft allerdings nur insofern eine erfreuliche Tatsache, auf die sie sich gründen und der sie ihre Triumphe verdanken kann, als die amerikanische Gesellschaft Demokratie pflegt. „Die Inder, die eine Kuh verehren, die neugeborene Kinder aussetzen oder umbringen und alle möglichen Grausamkeiten verüben ..., haben auch solch einen gesunden Menschenverstand. Der gesunde Menschenverstand und das natürliche Gefühl roher Türken zum Maßstab genommen, gibt abscheuliche Grundsätze.“ (Hegel, WW 20, 268)
Wenn die Güte amerikanischer Wissenschaft in ihrer Ausrichtung auf die praktischen Gepflogenheiten der Demokratie besteht, dann ist andererseits klar, daß sie um der Erhaltung ihrer Qualität an der Aufrechthaltung demokratischer Verhältnisse interessiert sein muß. An dieser Aufgabe haben Amerikas Denker von jeher gearbeitet. „Schon vor 100 Jahren“ haben sie in der Theorie des „Pragmatismus“ Grundsätze aufgestellt, die zeigen, wie die Wissenschaft sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten am besten zu unterwerfen hat, um möglichst erfolgreich deren Bestand zu garantieren. Die Disziplin des gesunden Menschenverstandes macht also noch keinen Pragmatisten aus. Zwar funktioniert durch sie die Gesellschaft, doch wird sie ihrer Effizienz halber wissenschaftlich kontrolliert: „Critical Common-sensism“ (Peirce). Vom kritischen Interesse getrieben, daß die Individuen stets so denken, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse es erfordern, unterwirft Peirce den gemeinen Menschenverstand dem Kalkül, wie er überhaupt beschaffen sein müsse, um unter allen Umständen diesen gemäß zu funktionieren. Der Pragmatist propagiert das Ideal einer gesunden Vernunft, das er in seinem Denken gewonnen hat, die sogenannte „pragmatische Maxime“ (Peirce). – Ihr zufolge ist das Individuum nur dann gescheit, wenn es der Logik folgt, die schon „Jesus empfohlen hat: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Peirce, 63). Hatte der Herr handfeste Taten statt bloßer Willensbekundungen im Sinn, um einen Menschen zu beurteilen, so beweist der Amerikaner seine schlechte Jüngerschaft darin, daß er hinzusetzt, ihn interessierten zur Klärung des Begriffs einer Person/ Sache nicht nur ausschließlich dessen Wirkungen, sondern auch diese nur insofern, als sie „denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten“. (Ibid) Der Apostel aus Massachusetts ist also nicht einmal bereit, die unmittelbare Gewißheit des praktischen Bewußtseins, eine Sache als das zu nehmen, als was sie sich benutzen läßt, gelten zu lassen und wenigstens von Dingen zu reden, die es gibt; stattdessen macht er sich Gedanken, was die Dinge möglicherweise sein könnten, und tut somit kund, daß es ihm um ihr Begreifen nicht geht. Erkennen heißt für ihn „Experimentieren“ und ist Herumproblematisieren. Seine Behauptung der Beliebigkeit geistigen Produzierens der Dinge drückt sich auch darin aus, daß Peirce seine gedanklichen Konstruktionen lediglich „für wahr halten“ möchte. Den Beweis der Wahrheit erwartet sich dieser erklärte Feind des Denkens nämlich von den „sinnlich wahrnehmbaren“ praktischen Bedingungen, die allerdings seinen Gedankenspielereien letzten Endes nur den Garaus machen werden. – Die „pragmatische Maxime“ ist mithin die Aufforderung, so zu denken, daß der Denkende auf sich Verzicht tut, sich nichts denkt und nach den Umständen richtet, wie sie nun einmal sind. Dieses pragmatische Dogma ist es nun, das das amerikanische Denken im Befolgen des Zwangs der Verhältnisse so erfolgreich macht und der dortigen Demokratie zu ihrem Fortbestand verhilft. –
Für die Bürger dieses Landes heißt das nämlich, daß sie von ihren Pragmatisten angemacht werden, ihr Denken ganz in den Dienst der erforderlichen Fähigkeit zu stellen, in den Wechselfällen des amerikanischen Lebens stets adäquate Reaktionen zu zeigen. Sie, die es nicht so gut haben, wie ihre Professoren über das denkerische Vergnügen zu plaudern, sich zum Idioten zu bilden, haben weiterhin das praktische Problem, sich tagtäglich hierin zu bewähren. Die parasitäre Brut der Pragmatisten, die die Zerstörung des Denkens als eigenen Beitrag zur gesellschaftlichen Bildung der Individuen betreibt, beweist ihre gesellschaftliche Verantwortung schließlich auch dadurch, daß sie „das Problem“ hat, wie den Leuten hierbei am besten beizukommen sei. – Daß diese eine „soziale Neigung“, einen „Trieb zur Gesellschaft“ haben, gilt dem Pragmatisten in tautologischer Gewißheit als ausgemacht, weil es eine Gesellschaft gibt, der sie nachkommen, doch quält den Mann der Wissenschaft dafür die praktische Sorge, ob sie in diesem Trieb die Kraft der pragmatischen Vernunft fest genug verankert haben, um stets so zu handeln, wie es gesellschaftlich nottut, für Peirce auch „unter solchen Umständen ..., die überhaupt möglicherweise begegnen können, gleichgültig wie unwahrscheinlich sie sein mögen.“ (Peirce, S. 59) Der Pragmatist ist – wie gehabt – an einer möglichen Einstellung zur Gesellschaft interessiert, die er „Gewohnheit“ nennt und bei allem Suchen schwerlich „ unter solchen Umständen“ entdecken wird, die aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit den Menschen eben nicht vertraut sind. Das Peirce’sche Geschwätz löst sich indes in die Forderung an den Staat auf, zuzusehen, ob und inwieweit es möglich ist, daß sich das Individuum an die Zudringlichkeiten des Pragmatikers gewöhnen läßt. Dazu gibt es in einem ordentlichen Staat sogleich auch die passende Wissenschaft, die sich arbeitsteilig an die praktische Aufgabenstellung heranmacht, die der Pragmatismus fordert: den amerikanischen Behaviorismus, der sich in unablässiger Beobachtung des gesellschaftlichen „Verhaltens“ der Individuen befindet. Ihn interessiert dabei die Feststellung von Verhaltensregeln, die sich die Individuen auferlegen müssen, wollen sie im gesellschaftlichen „Gefüge“ funktionstüchtig bleiben. Umstandslos kann ein Skinner an den pragmatistischen Zweck anschließen, die Vernunft der Individuen als Störfaktor zu begreifen, und seinerseits daranzugehen, die Individuen als Inkarnation eines blinden Selbsterhaltungstriebs mit Ratten und Mäusen um den Erfolg konkurrieren zu lassen, wer von ihnen störungsfrei die „Impulse“ der äußeren Bedingungen in „Reaktionen“ umsetzt und damit den „Erwartungen“ genügt, die im Interesse der Stabilität des ganzen Zirkus an ihn gestellt werden. Dank verhaltenswissenschaftlicher Untersuchungen darüber, was Menschen unter solchen Umständen zumutbar ist, gelangt der Staat endlich. zu dem ihm angenehmen Resultat, seine Bürger einem Schulungsprozeß unterwerfen zu können, in dem klar wird, daß die Grundsätze amerikanischer Demokratie nicht einfach en passant aufzunehmen sind, sondern von ihnen an sich selbst mit Willen und Bewußtsein bis zur Vernichtung ihres Denkens und Fühlens durchzusetzen sind. Die Durchdringung des letzten Ami-Hirns mit der Gewißheit, seinem Land sein Menschsein zu verdankest und sich darum als Amerikaner lieben zu müssen, dieser Erfolg amerikanischer Wissenschaft ist es vornehmlich, den ausländische Forscher zu schätzen wissen, weil sie bei sich zu Hause derart „mündige“ Bürger bis dato noch nicht aufzuweisen haben: „Ein Mensch, der unter äußerem Zwang, ja durch sein egoistisches Interesse zur Freundlichkeit gebracht wird, gelangt am Ende eher zu einer gewissen Humanität in seinem Verhältnis zu anderen Menschen als jemand, der nur (!), um mit sich selbst identisch zu sein – als ob diese Identität immer wünschbar wäre –, ein bösartiges vermuffeltes Gesicht macht ...“ (Adorno, a.a.O., S. 146)
Da die wissenschaftliche Leistung Amerikas in der Ausrichtung der eigenen Gesellschaft auf sich als amerikanische besteht, ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß alle moralischen Grundsätze, zu denen diese Gesellschaft sich seit 200 Jahren feierlich bekennt, in ihrer Wissenschaft vorkommen. Die Pragmatisten haben mit ihrer Maxime, das Denken unbehelligt von jeglicher Objektivität als eines zu betreiben, das sich im Produzieren subjektiver Beliebigkeiten gefällt, bereits die erkenntnistheoretische Rechtfertigung für dieses Geschäft gegeben. Die Partikularität amerikanischer Wissenschaftler kommt so zum Zuge, daß sie allen Gemeinplätzen, die in den Köpfen der US-Menschen herumspuken und deren Bereitschaft zu gesellschaftlicher Unterwerfung signalisieren, eifrig nachjagen und sie dann in ihrer Wissenschaft als „originelle Ansätze“ geltend machen, an denen entlang sie die notwendige Zurichtung ihrer Mitmenschen zu Amerikanern systematisch entwickeln. Daß die Ami-Wissenschaftler beim Ausbrüten immer neuer Zumutungen an die Menschheil so „produktiv“ sind, bringt abermals den Neid ihrer Kollegen vom Fach hervor. Diese halten die Kameraden in Übersee für „nicht seriös“ und geben damit nur preis, wie sehr sie hinter dem Fortschrittstempo zurückhängen, das die anderen diktieren. Von der Transzendentalen Meditation des Maharishi Mahesh Yogi bis zur Futurologie des dicken Herman Kahn ist in der Tat ein breites Spektrum. Es umfaßt auch sämtliche After-Philosophen, die einmal das Buch eines anderen gelesen haben, den sie nun propagieren. All diese absonderlichen Gestalten sind amerikanische Wissenschaftler. Sie haben der Parole der Pragmatisten zum Durchbruch verholfen, Wissenschaft als irrationales Geschäft zu betreiben, und machen sich damit auf ihre Weise um ihr Land verdient. Nur eine reaktionäre Kritik verfällt auf den Gedanken, hier seien gefährliche „Ideologen“ am Werk, die in betrügerischer Absicht die Welt mit ihren „Heilslehren“ in Sicherheit wiegen wollen. So läßt sich zum Beispiel auch an den modernen Therapieformen der Amerikaner (wie etwa Janovs „Urschrei“) nicht ein rationaler Kern der psychologischen Behandlung gegen dessen „weltanschauliche Voraussetzungen“ hochhalten (womöglich in der pfiffigen Intention, die Skepsis des alten Freud an die Stelle amerikanischer Illusionen zu setzen!). Die profane Wirklichkeit ist, daß die amerikanische Wissenschaft ideologisch ist, indem sie sich ihrer Nation verschreibt. Insofern gehört auch ihr Irrationalismus zu ihr. Da die amerikanische Wissenschaft also aus sich heraus Irrationalität nicht bekämpfen kann, erklärt sich auch gleich, daß es in die praktische Kompetenz des amerikanischen Staates fällt, darüber zu entscheiden, welche wissenschaftliche Leistung staatserhaltend ist und welche nicht. So findet einstweilen immer noch am 30. Mai der Weltuntergang statt, und der faschistische Apologet schreienden Fleisches – Janov – darf weiter die Sache Amerikas in die Welt hinaustragen.
Was in den Staaten als Philosophie auf dem Buchmarkt gehandelt wird, hat also unter Beweis zu stellen, daß es sich nicht der Freundschaft zur Weisheit verdankt, sondern Tieferem, um in die Bestsellerlisten einzudringen: H.D. Thoreau, der den Vögeln und Bäumen des Waidensees lauschte, und neuerdings M.MacLuhan, der seine Botschaft dem „heißen Medium“ Radio entnimmt und dem „kalten Fernsehen“ vorwirft, es „massiere“ zu wenig, sind die meistgelesenen Autoren einer Disziplin, die dem Abendland als die Königin der Wissenschaft galt und aus deren Auflösungsprozeß die bürgerliche hervorging. Die philosophischen Bemühungen, mit denen sich Denker wie Kant und Hegel um die Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft im Reiche des Geistes verdient gemacht haben, erscheinen aus amerikanischer Sicht wie esoterische Scharmützel, weil der Kapitalismus ins Land der Rothäute exportiert wurde und nur diese zusammenhauen mußte, ohne einen Feudalismus zu revolutionieren. Wo es die bürgerliche Gesellschaft nicht durchzusetzen galt, mußte auch nichts begründet und legitimiert werden, so daß die amerikanische Wissenschaft die Soziologie ist, die mit ungebrochenem Selbstbewußtsein von Anbeginn an die amerikanische Gesellschaft als die Gesellschaft besprechen und bezüglich ihres reibungslosen Funktionierens Modelle entwerfen konnte, die sie durch die Auswertung selbstzufriedenen Beobachtens des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten gewann: Soziologie in Amerika ist empirische Sozialforschung, weshalb die Vertreter einer Disziplin gleichen Namens, die sie in Europa begründeten, wie z.B. Max Weber, an den US-Colleges als Philosophen geführt werden. Sein Komplement findet der Empirismus und Funktionalismus durch das Theoretisieren übers Datensammeln und Funktionieren, was einerseits als Wissenschaftstheorie alle zwei Jahre einen neuen Kalkül (= Kunstsprache) hervorbringt, andererseits in der hypermodernen Disziplin der Kybernetik über das Funktionieren von Systemen schlechthin Systeme konstruiert.
Geht es der amerikanischen Soziologie darum, daß die Gesellschaft funktioniert – und daß sie funktioniert, ist ihr stetiger Beweis ihres Erfolgs, so erklärt sich auch der gewaltige Erfolg der Psychologie in den Vereinigten Staaten, die sich darum bemüht, für die notwendige Gemütsverfassung der Amerikaner zu sorgen, die sie brauchen, um Amerika nicht nur auszuhalten, sondern voranzubringen. Schon im Buchtitel drückt der amerikanische Psychologe aus, was sein Anliegen ist: „Helping People Change“. Ganz umstandslos wirft er sich auf die Leute, die es in dieser Konkurrenzgesellschaft dringend nötig haben, sich für ihren Alltag geistig gesund zu erhalten, was dasselbe ist, wie „sozial tüchtig“ zu sein, wofür sie denn ihren geistigen Beistand auch reichlich entlohnen: „Psychische Gesundheit bedeutet die Fähigkeit, seine eigenen offenen Beziehungen zu anderen Menschen zu verstehen und zu lenken. ... Die psychische Gesundheit eines Menschen spiegelt sich in der Fähigkeit zum zwischenmenschlichen Handeln (dem Umfang, in dem die Konsequenz seines Verhaltens die Verhaltensabsichten erreicht), sowie in seiner Fähigkeit, menschengerechte Beziehungen auszubilden. ... Diese grundlegenden sozialen Befähigungen lassen sich unter den Begriff der sozialen Tüchtigkeit subsumieren. ... Menschen, denen es an Zielstrebigkeit ermangelt, die egozentrisch denken und nicht über die grundlegenden interpersonalen Fähigkeiten verfügen, sind sozial untauglich und psychisch krank.“ (A.P. Goldstein) Wer in der Konkurrenz scheitert, ist selber schuld und krank. „Psychische Hygiene“ muß her, die brutale Eliminierung störender Subjektivität, die das Opfer an sich selbst betreibt, und zwar indem es – in der krassesten Form – in der „automatischen Behandlungsweise“ an einer Maschine sich ein neues Verhalten anerzieht. Darin ist die Psychoanalyse endlich auf den Begriff gebracht. Ihre Beliebtheit in der Neuen Welt, die Art, wie sie sich ganz ungeniert und willkommen in die miesesten Alltagsprobleme hineindrängt und überall hilft, die Leute zu ändern, d.h. den Leuten hilft, sich zu ändern, zeigt, worauf es dieser Wissenschaft ankommt: das Individuum als Bündel von Fähigkeiten hat diese im Sinne der sozialen Tauglichkeit zu konditionieren und anzupassen. Somit ist der Siegeszug der Psychoanalyse in der vulgarisierten Form der Verhaltenstherapie Entlarvung und Vollendung einer einstmals als große menschliche Entdeckung gefeierten Kritik der klassischen Wissenschaften vom Menschen. Es ist daher völlig gleichgültig, was im Menschen selbst vorgeht, interessant ist nur, wie man auf ihn einwirken kann und welche Reaktionen er hervorbringt. Die wissenschaftliche Entdeckung der Neuzeit ist die „black box“, deren Beschreibung sich darin erschöpft, daß sie eine Schachtel, innen schwarz, ist, wo links Pfeile hinein- und rechts Pfeile herausgehen, ein Bild von so schlagender Einfachheit, daß man es unmöglich auf die Psychologie allein beschränken darf.
Auch die Konditionierung der jungen Persönlichkeit stellt sich den Amerikanern in der Pädagogik nur noch vom Standpunkt der Tauglichkeit für die Konkurrenz – der alte Kram von Persönlichkeitsentfaltung, Bildungsidealen etc. ist kein müdes Lächeln wert. Erziehung heißt, „to help the learner change his behavior in specified directions“, und ihr Resultat ist „die Fähigkeit, sich im Einklang mit den Erfordernissen der Situation und den selbstgesetzten Standards zu verhalten und wahrzunehmen“ (R.K. Parker). Der Erzieher ist demnach ein „intelligent hypothesizer“, der seine black box mit Hypothesen füttert und mal zuschaut, ob das „desired behavior“ auch rauskommt. Zu diesem Zweck muß man natürlich unendlich viel messen und kontrollieren, was die Pädagogik zu einer Testwissenschaft im weitesten Sinne macht: ständig veranstaltet sie Tests, um die Wirkung ihrer Tests zu testen. Den ihm anvertrauten Kindern gegenüber ist der Erzieher endlich „von der Last des Lehrens befreit“, sie sind ihm vielmehr nur Versuchsobjekte, an denen er „jene sozialen Verhaltensweisen und Ausdrucksfertigkeiten entwickeln kann, die eines Pädagogen ganzes(!) Talent(!) erfordern“ (W. Schramm).
Weil freilich in der black box bei allem guten Willen immer noch etliche störrische Momente drinstecken, gibt es die Linguistik, die das Widerborstige in den Sprachäußerungen entdeckt. Im Menschen gebe es Konstanten („patterns“), die der beliebigen Konditionierbarkeit entgegenstehen und die berücksichtigt werden müssen, wenn es darum geht, ihm die erforderliche „soziale Sprachfunktion“ abzuringen. Bekanntlich ist die Sprache „ein hochflexibles Instrument des sozialen Handelns“ und der „ideale Sprecher“ bedient sich seiner so, daß konfliktfreie Kommunikation ständig und mit jedermann zustandekommt. Damit ist der entscheidende Schritt zur Kommunikationswissenschaft getan, nämlich die Schwierigkeiten der Welt in Sprachprobleme und mangelhafte Kommunikation zu verwandeln. – „Die Kommunikation ist ein, vielleicht der grundlegendste soziale Vorgang. Ohne Kommunikation würden menschlichen Gruppen und Gesellschaften nicht bestehen.“ – und die ganze Welt in eine black box – in der sich viele kleine tummeln – umzubauen. Jedermann sendet und empfängt pausenlos (bzw. sollte es, denn Unterbrechung ist schädlich) und alles hat irgendwie seine Ordnung, schließlich bestehen ja die menschlichen Gruppen und Gesellschaften und bedienen sich der Kommunikation: „Was bewirkt nun die Kommunikation in der menschlichen Gesellschaft? Sie hält die Arbeitsbeziehungen zwischen Einzelwesen, zwischen Gruppen und Völkern aufrecht. Sie führt Wandlungen herbei und beschränkt Spannungen auf ein erträgliches Maß. Wann immer in einer Gesellschaft Spannungen drohen, ... findet eine starke Kommunikation statt. ... Wenn ein Land beschließt, daß es seine Industrialisierung durchführen muß, dann mobilisiert es seine Kommunikation, weil die Menschen über diese Notwendigkeit informiert und entsprechend motiviert werden müssen.“ Wie jedermann weiß, kriegen die südamerikanischen Indios deshalb keine Industrialisierung zustande, weil sie von Natur so schweigsam sind, darum treten die Amis auch immer in so intensive Kommunikation mit ihnen ein, wenn sie ihnen ein Kupferbergwerk bauen wollen; Kriege entstehen deswegen, weil die Politiker nicht miteinander reden wollen, Leute werden deswegen zu Mördern, weil sie ihre Opfer so schlecht verstehen ... Wenn also für den amerikanischen Kommunikationsforscher der von den Leuten praktizierte Zusammenhalt eine Frage ihres gegenseitigen Verständnisses und ihrer Gemeinsamkeit ist, dann spricht er die materielle Grundlage zugleich aus: daß diese Gemeinsamkeit die mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst vollzogene Leistung der Amerikaner ist, um ihren Erfolgszwang aushalten zu können – und gibt sein Anliegen kund: für die Verbesserungen dieses „einigenden Elements“ zu sorgen. Seine Liebe gehört also der in Massenkommunikation umgetauften öffentlichen Meinung, ist doch hierin Fortgang und Stabilität des Gedankenaustausches gewährleistet in Gestalt des Staates, der schließlich alle Mittel in der Hand hat, die Individuen zu friedlicher Kommunikation zu „motivieren“, wollte es ihnen selbst oder den Wissenschaften nicht gelingen. Er steht für das Menschheitssystem Amerika resp. Demokratie schlechthin, verhilft also auch jedem Glücksschmied dazu, sein Glück auch unter den gegebenen Bedingungen zu machen.
Weil der Staat so selbstverständlich vorhanden ist, erschöpft sich die Politologie in ihrer allgemeinen Abteilung, der Kommunikationswissenschaft, oder ist gleich ganz praktisches Herumwerkeln in Alltagspolitik, wobei natürlich dem Werkeln ein gut dotierter Auftrag vorhergehen muß: hier wird nicht groß die Existenz des demokratischen Staates legitimiert, sondern es interessieren nur die politischen Strömungen und Bewußtseinsbildungen, denen mit großer Geduld und Pedanterie nachgespürt wird, da ja die Träger des Staates ein sehr persönliches Interesse daran haben; nach außen hin bedeutet das, daß der Politologe alles Geschehen der Welt daraufhin untersucht, wie es sich auf Stärke und Durchsetzung seines Staates auswirken mag, was konsequenterweise dazu führt, daß der CIA das größte politologische Institut der Welt ist und sich einen Haufen grotesker Fehleinschätzungen nicht zuletzt deswegen geleistet hat, weil er sich auf wissenschaftliche Analysen stützte. Und weil die drüben die hierzulande geläufigen Staatsprobleme nicht haben, ist auch die Ökonomie eine sehr einfache Angelegenheit und bringt ungebrochen Grundprinzipien amerikanischer Wissenschaft zur Anschauung: Wenn das ökonomische Handeln nur vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes ihr Gegenstand ist, und sie sich damit beschäftigt, daß es dabei immer wieder zu unergründlichen Schwierigkeiten kommt – „Was für den einzelnen klug ist, kann manchmal für die Allgemeinheit eine ausgesprochene Dummheit sein“ (Samuelson) –, so breitet sie mit einer unglaublichen Selbstsicherheit Glaubenssätze des demokratischen Kopfes aus und demonstriert damit, daß die Frage nach irgendeinem Grund für irgendetwas absolut aus der modernen Wissenschaft verschwunden ist und sofort mit den facts & figures der modernen Gesellschaft und dem Hinweis auf ihr tatsächliches Funktionieren als unwissenschaftliche Metaphysik niedergeschlagen werden muß. Mit seinem Eintritt in den symbiotischen Propagandaclub der Verhaltenswissenschaftler macht der amerikanische Ökononom klar, daß am Handeln der Individuen nur das störende, systemdestabilisierende interessiert, was bedeutet, daß Handeln überhaupt nur noch als Verhalten aufgefaßt wird. Er ist einer der eifrigsten Befürworter interdisziplinärer Zusammenarbeit. also Auflösung der Sozialwissenschaften in Verhaltenswissenschaft, weil ihm bei seinem Problem, der ungenügenden Voraussehbarkeit des ökonomischen Durchschnittsverhaltens (was ja A&O seiner black box, der ökonometrischen Modelle, ist), auffällt, daß hier die zweifelhafte Menschennatur überhaupt die Grundlagen der Gesellschaft und ihre profitable Weiterentwicklung in Frage stellen kann – er macht sich also dafür stark, diese Menschennatur in einem gewaltigen Sturmangriff von allen Seiten endlich total in den Griff zu bekommen.
Daß dies ein Wissenschaftsbetrieb ist, der die vom Staat vertretenen gesellschaftlichen Erfordernisse auf optimale Weise erfüllt (und darum auch oft den als Verachtung auftretenden Neid nationaler Konkurrenzorganisationen auf sich zieht), beweist sich in der Beschaffenheit des amerikanischen Ausbildungssektors, nämlich wie der Staat ihn der privaten Organisierung überläßt. Wissenschaft und Ausbildung finden hier nicht als Unterordnung unter den Staatszweck durch Freisetzung der Wissenschaftler vom unmittelbaren Zugriff der differierenden gesellschaftlichen Interessen statt, sondern als handfeste Konkurrenz der Institutionen um die für die Ausbildung zur Verfügung stehenden Summen in Form von Aufträgen, staatlichen „grants“ und privaten „donations“. Dabei gibt es nur ein Kriterium für die Aufteilung; welche Masse von welchen für die Praxis unbedingt tauglichen Studenten bringt das jeweilige Institut hervor?
Umgekehrt wird noch der Dümmste einem ungeheuren Testaufwand unterzogen – um ihn, wenn kein Profit winkt, umso unbarmherziger hinauszuselektieren. Schließlich erklärt sich so auch der phantastische Aufschwung der Naturwissenschaften, denn die Wirtschaft zahlt dorthin, wo am schnellsten die verwertbaren Ergebnisse herauskommen, zwingt somit – und dies ist die allgemeine Unterscheidung zum hiesigen Wissenschaftsbetrieb – die Wissenschaftler unablässig zu höchster, auf unmittelbare Nützlichkeit bezogene Anstrengung, fördert deswegen auch gezielt Grundlagenforschung und läßt ihnen keinen Raum für freies Vorsichhinforschen und -spintisieren, erzwingt schließlich den völlig bedenkenlosen Umgang mit der Wissenschaftstradition, ein Umgang, in dem die Alten als Ausbeutungsmaterial für gerade anstehende Probleme vorkommen, damit allerdings auch völlig unbeschwert von ideologischen Schranken jederzeit in die Diskussion gezogen werden können. In einem Wort: Je weiter ein Land in seiner kapitalistischen Entwicklung fortgeschritten ist, eine desto vulgarisiertere Wissenschaft verlangt und erzwingt es – auch das deutsche Wesen muß das erleben.
Während der Staat den Rückstand zu den Amerikanern auf dem Gebiet der Naturwissenschaften schnell einsah und Geld in die entsprechenden Fakultäten pumpte – eine stille und reibungslose Reform –, zeigte er sich gegenüber der klassischen Universität weniger einsichtig und lud sich damit ein ärgerliches Problem auf den Hals: die Studentenbewegung. Von Reformvorstellungen angetan gingen damals Unmassen von irregeleiteten, sonst friedlichen Studenten mit radikalen Sprüchen auf die Straße, entdeckten – ganz gegen ihre Natur – allerhand Sympathisches an linkem Weltveränderertum, an den Vietnamesen und an einer wahrhaften Demokratie ohne die vielen, vom Staat ignorierten Anachronismen.
Die Studentenunruhen der 60er Jahre machten Staat und Öffentlichkeit darauf aufmerksam, daß die deutsche Wissenschaft, so wie sie war, ihre Funktion nicht erfüllte. Mit ihrem Vorwurf vom „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“ kritisierten die Studenten sicher nicht den Inhalt der Wissenschaften (das blieb einigen wenigen vorbehalten), sondern ihre mangelnde Nützlichkeit für die vorausgesetzten Berufe. Der Hochschulabschluß garantierte nicht mehr den freien Zugang zu den besseren Jobs in der Berufshierarchie, in der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt erfuhren Psychologen, Pädagogen usw., daß das Gelernte für die entwickelte kapitalistische Praxis – die dem amerikanischen Standard schon näher gekommen war – nichts taugte. Um sich für diese Praxis nützlich machen zu können (weil sie nur dadurch eigenen Nutzen erzielen konnten), verlangten sie vom Staat energisches Eingreifen in die verstaubte „Ordinarienuniversität“ mit ihren verstaubten „Privilegien“, eine ordentliche Reform der Ausbildung, die den Anforderungen der Konkurrenz gerecht werden sollte – und wurden sauer auf ihren Staat, als er nicht so recht mitziehen wollte. Mit verschärften Prüfungsbestimmungen, reglementierten Studiengängen, Regelstudienzeit etc. sorgt der Staat inzwischen dafür, daß sich die Studenten nur noch für ihr eigenes Zurechtmachen für die berufliche Praxis abrackern. Diese Effektivierung der Ausbildung erzwang von der Wissenschaft die Praxisbezogenheit, die die Studentenbewegung gefordert hatte und kritische Wissenschaftler durchsetzten, und dafür waren die amerikanischen Errungenschaften gerade das richtige. Wie schon Hans Maier sagt, stellt nur so wirkliche Demokratie, das allseits ersehnte Ziel, sich her, nämlich als Sieg des Leistungsprinzips und des Nützlichkeitsdenkens auch in Wissenschaft und Ausbildung. Und in dieser Hinsicht hatte die deutsche Wissenschaft ja einen erheblichen Nachholbedarf, bedenkt man insbesondere ihre faschistische Vergangenheit, deren Erkenntnisse für das demokratische Gemeinwesen nur in außergewöhnlich angespannten Situationen wirklich wertvoll sind. Die Amerikanisierung der Wissenschaft mußte feindlich gegen die bestehende Wissenschaft wie auch Gesellschaft auftreten. Also kritische junge Menschen und Wissenschaftler trieben die Bewegung voran – und sie sagten denn auch nicht, es solle alles so sein wie in Amerika (sie hatten zum großen Teil sogar etwas gegen das auswärtige Handeln dieses Staates, der darin seine – ankratzbare! – Überlegenheit bewies), sondern sie schwafelten von einer neuen, gerechteren, d.h. funktionstüchtigeren Demokratie und ließen sich dafür in ihrer unbesorgten (und darum anschließend erst recht empörten) Haltung erschießen. Gegen die amerikanische Wissenschaft hatten sie allerdings nichts, war doch in deren vollständigerem Streben nach Übereinstimmung mit den praktischen Bedürfnissen nichts ideologisches zu entdecken, umgekehrt: das „zweckfreie“ Theoretisieren der deutschen Wissenschaft (in schöner Verkennung ihres Zwecks) entpuppte sich als der Gipfel elitär-ideologischer Abkapselung der Wissenschaft von der Gesellschaft – die „gesellschaftsbezogene Wissenschaft“ mußte her: „Den konkreten Menschen der konkreten Gesellschaft ist zu dienen (!), nur ein Tor oder »Zyniker« (?) dient der Wissenschaft“ was in der kritischen Umdrehung wiederum bedeutet, daß z.B. „die Germanistik noch stets das größte ideologische Waffen(!)arsenal der Bourgeoisie, die Imperialismus meinte (!?) und Innerlichkeit proklamierte, um ihre Opfer zu betäuben.“ (Ansichten einer künftigen Germanistik, S. 70) Dieser Soziologismus durchdrang denn konsequent die Wissenschaften. Da die Neuerung der Wissenschaften kritisch gegen die bestehenden Verhältnisse auftreten mußte, bemühte sie sich fleißig, den volksfreundlichen Charakter der Amerikanisierung herauszustreichen, wie damit nämlich, in der Zuspitzung auf die gesellschaftlichen Erfordernisse, den Menschen, insbesondere den unterprivilegierten, und überhaupt der Gesellschaft geholfen werde. In der Ökonomie verlief der Sturm allerdings flau, ist sie doch seit jeher eine kritische Staatswissenschaft, deren einziger Zweck darin besteht, sämtliche Staatsmaßnahmen auf ihre tausenderlei möglichen Wirkungen zu durchleuchten bzw. dem Staat unzählige Vorschläge zu machen, wie er die Expansion besser fördern könne; was bedeutet, daß im Lager der Ökonomen immer heftiger Streit über die gemeinsame Sache tobt. Dennoch fand auch hier die allgemeine Soziologisierung Einlaß, und zwar in der Entdeckung, daß der Mensch mehr als nur der simple Grenznutzler mit seinen zwei egoistischen Gefühlen sei, und die Neue Politische Ökonomie machte sich an die Entwicklung eines neuen, komplexen Menschenbildes, wofür sie sich mit Begeisterung auf die sogenannten angrenzenden oder Nachbarwissenschaften warf. Dabei trat insbesondere der Mensch Politiker in den Vordergrund, denn schließlich ist er für die Absicherungsmaßnahmen des Staats zugunsten der kapitalistischen Entwicklung verantwortlich. Während sich die Ökonomie also im vorhandenen Rahmen um Verbesserung ihrer Dienstleistungstätigkeit für den Staat nur kümmerte, mußte sich eine andere, offen staatstragende Wissenschaft, die Publizistik, radikaler wandeln, war sie doch „nach 1933 unter die Räder des Nationalsozialismus geraten“ und sollte damals „zu einer Nachrichtenwissenschaft umfunktioniert werden“ (C. Padrutt). Was hätte es dagegen Kritischeres geben können, als die Favorisierung des kritisch-mündigen Staatsbürgers, der sich leidenschaftlich um die „Öffentlichkeit“ sorgt und seinen Konsensus mit ihm entgegenstrebenden Staatsbürgern betreibt – und all dies für eine besser funktionierende Demokratie, in der sich das Individuum zufriedener, da freier entfaltet. Die Herübernahme der amerikanischen Kommunikationswissenschaft – der es um nichts anderes als Kommunikation schlechthin geht, denn daß darin Stabilität sich herstellt, ist unterstellt – war plötzlich etwas äußerst fortschrittliches, da in der BRD so viele Kommunikationslöcher (zwischen Politikern und Massen) und einseitige Kommunikationskanäle (z.B. von Seiten der marktbeherrschenden Springer-Presse) vorzufinden waren. Die Übereinstimmung der Bürger mit ihrem Staat durch eine möglichst mannigfaltige Öffentlichkeit und Pluralität der Meinungen, Gipfelpunkt demokratischen Wohlbefindens, war das Anliegen dieser Wissenschaftler, zu deren bekanntesten nicht zufällig der Soziologe Horst Holzer in München zählte. In seiner Person drückt sich dreierlei als Einheit aus: 1. der kritische, ja gesellschaftskritische Geist jener Zeit, 2. daß man ohne soziologischen Anspruch nichts putzen konnte, was sich im Vordringen der Sozio-Wissenschaften manifestierte und daß 3. das gesellschaftskritische Moment nur in der bestimmten historischen Situation als notwendiges Ferment erlaubt sein konnte – mittlerweile wurde das Beharren des zu aufrichtigen Holzer auf seiner Parteilichkeit) zum Verhängnis, denn leichter als früher vorstellbar konnte er von Kultusminister Hans Maier gefeuert werden. Der Oberkommunizierer Habermas war da nie so weit gegangen und konnte sich rechtzeitig eine windstille Ecke für seinen Wissenschaftsabend suchen.
Ähnliche Aufräumarbeiten wie in der Publizistik waren in der Germanistik zu leisten, da sie zu sehr an Gott und Vaterland, Sinndeutung und höheren Blödsinn gebunden war. Hier kam die Hilfestellung für den Menschen durch die Linguistik, die die Begeisterung kritischer Germanisten darum erweckte, weil sie sich zielstrebig nur um das Zurechtkommen der geplagten Individuen in den gesellschaftlichen Umständen vermittels der Sprache kümmert. Hierzulande heißt das natürlich, daß dem Unterprivilegierten zu einem besseren Umgang mit diesem Instrument zu verhelfen ist, was ihnen – revolutionäre Tat – mehr Chancen und der Gesellschaft zufriedenere Bürger verschafft. Mit der Einführung der Bernstein'schen Sprachcodes und anderer angeblicher Zusammenhänge von Sprache und Umwelt hatten die Neuerer die bequeme Möglichkeit, wissenschaftliche Entrümpelung als gesellschaftliches Engagement vorzutragen, also die Zuspitzung der Germanistik auf praktische Lebensbewältigung aufs glücklichste mit dem mitleidigen Herz für die weniger elaborierten Lebens- und Sprachbewältiger zu verknüpfen. Man muß sich nur die heutigen Linguistik-Pflichtkurse anschauen, die den künftigen Studienrat schon früh und ohne Federlesen auf seine Ideologiearbeit hintrimmen, um sich weitere Auseinandersetzung zu ersparen.
„Die Schüler sind in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Freiheitsliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortung, zu beruflicher und sozialer Bewahrung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.“ (Bildungsplan für Mittelschulen) Natürlich hat die Pädagogik nichts gegen soviel Liebe, aber neuerdings möchte sie doch mehr Beruf und demokratische Gesinnung in den Vordergrund gestellt wissen, während das Erziehen wiederum eine Sache ist, die die Kinder möglichst perfekt an sich selbst vollziehen – unter demokratischer Anleitung der Erzieher natürlich. Gerade an der Pädagogik wird sehr schon deutlich, wie die Orientierung am simplen amerikanischen Vorbild des deutschen Geistes nicht entsagen kann. Selbstverständlich lernt der Student die verschiedensten Testverfahren, empirische Messungen, kognitive Modelle etc., daß es kracht, aber da er damit den Schülern ja was gutes antun zu müssen vermeint, stürzt er sich gleichzeitig in den Methodenstreit: wie läßt sich Erziehung zur praktischen Tauglichkeit am günstigsten mit demokratischem Lehrerverhalten und konfliktbewußter Anpassung verbinden, ist nicht gerade die Weckung kritischer Potenzen die wirkungsvollste Variante staatsbürgerlichen Wohlverhaltens? So entwerfen sie unzählige Curricula, die den alten Senf in immer neuer und methodisierter Form aufbereiten, erfinden unzählige Ziele und Zielerreichungsvorschriften, tricksen dem Lehrer Menschlichkeit, Güte, Diskussionsbereitschaft und andere pädagogische Kniffe an, damit die Schüler leichter und freudiger auf seine Linie einschwenken, und ähnlich wie in der Lingustik genügt der Verweis aufs Resultat, um Sinn und Zweck dieser Begeisterung für den jungen Menschen und die Entfaltung seiner demokratischen Persönlichkeit zu durchschauen: ein Reaktionär wie Schiefele, ähnlich wie Klafki und Konsorten, treibt sein Geschäft gerade darum so effizient, weil er sich mit kritischen Meinungsknöpfen von oben bis unten vollpflastert (vgl. MSZ Nr. 11/1976: „Die konservative Universität“).
Noch einfacher hatte es da die Psychologie, die gerade zu Zeiten der Studentenbewegung eine enthusiastische Belebung erfuhr: kann man nicht alles besser und schöner gestalten, wenn man die Menschen von ihren seelischen Krankheiten befreit und die so Geläuterten auf die mangelhaft funktionierende Gesellschaft losläßt? Nicht nur hat man damit ihnen geholfen, sie werden sogar imstande sein, die Gesellschaft ihren neu entdeckten Bedürfnissen gemäß umzuwandeln. Der amerikanische Vorsprung in der Bearbeitung dieser black box mußte aufgeholt werden, alle Welt war psychologisch zu bearbeiten – und siehe da, lukrative Gefilde erschlossen sich, auch in Deutschland macht sich die Psychologie als Allheilmittel breit. Die Tatsache, daß eine psychoanalytische Behandlung, besonders in ihrer effizientesten, der verhaltenstherapeutischen Form, mittlerweile zum kassenärztlichen Grundbesteck gehört, ist doch ein schöner Erfolg und läßt leicht vergessen, daß sie das Gegenteil von dem bewirkt, was einmal als kritischer Anspruch in diese Wissenschaft hineingetragen wurde. Umso leichter läßt sich das vergessen, weil sich der Psychologe in seiner Betätigung ja selbst sein künftiges Brot und damit die Berechtigung verschafft: die Zerstörung der Subjektivität als deren immer neue Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Anforderungen ist ein unendliches Geschäft, und je radikaler die psychologische Ausbildung sich dem amerikanischen Standard angleicht, desto mehr weiß sie sich im Einklang mit den Wünschen des um Ausgleich mit seiner Umwelt bemühten Menschen wie auch mit den Forderungen des Staats, der an seelisch stabilen, produktiven und kostengünstigen Bürgern interessiert ist. Da fällt dem Psychologen nur ein Wermutstropfen in den Becher, nämlich die Überlegung des Staats, ob sich die Anpassung nicht billiger erzwingen läßt; also bemüht er sich fleißig weiter um die Reform seiner Ausbildung, wobei er mit mehr Aussicht auf Erfolg rechnen kann als die amerikanische Urwissenschaft, die sich gerade wegen ihrer Abstraktheit besonderer Beliebtheit erfreute, aber auch deswegen nur beschränkten Nutzen aufweist, d.h. weniger fortschrittsbegeisterte junge Menschen bei sich aufnehmen und in gesellschaftlich gebrauchte Positionen vermitteln kann. In diesen bewegten Zeiten schoß in der Top-Liste der Wissenschaften jedoch keine so raketengleich nach oben wie der Soziologie. Hier fanden kritische Jugend und Hochschulreformer ihr Medium, approach und Vokabularium, innerhalb dessen man zu allem und jeden in der Welt deswegen seine kritische Meinung äußern kann, weil man alles und jedes in der Welt auf die Grundmuster soziologischer Denkweise heruntergebracht hat: schließlich haben alle Menschen alle Zeit Normen, sind stabilisierenden und destabilisierenden Faktoren ausgesetzt und bilden stabile und konfliktäre Systeme. Wobei – und darauf kommt’s an – gerade konfliktäre Verhaltensweisen letztendlich doch wieder zu besonders schön stabilen Systemen führen können! Insofern ist die Soziologie die ergänzende Betrachtungsweise zur Psychologie, denn für sie gibt es nicht nur im Menschen allerlei sperrige Mechanismen, nein, die Gesellschaft selbst läßt sich in ein ungeheures Wirkungsgeflecht von Funktion, mangelhafter Funktion und Nicht-Funktion auflösen. Gemessen an der Welt soziologischer Systembauerei ist die wirkliche Welt eine miese und man muß ihr kräftig mit diesem amerikanischen Hammer auf den Kopf hauen; leidenschaftlich ergaben sich Studiosi und kritische Wissenschaftler ihren Abstraktionen von der Gesellschaft, um damit jede wirkliche Gegnerschaft zur kapitalistischen Realität wegschalten und zugleich mit vollem Recht gegen Dysfunktionalität der bestehenden Universität und gegen Schlaffheit des Staates opponieren zu können.
Der Weltgeist mußte schon besonders tief in seinen Zylinder greifen, um dieser eigenartigen Bewegung ihr volles Kolorit zu geben: der Zusammenschluß von amerikanischer Modernität und wissenschaftlich-kritisch ambitionierter Hochschulreform war leibhaftig in einem Frankfurter Institut – die von drüben eingeflogenen Adorno und Konsorten, Zwar wäre der Weltgeist auch ohne sie zurechtgekommen, doch niemand sonst hätte so perfekt die Übernahme der amerikanischen Wissenschaft unter spezifisch deutschen Bedingungen darstellen können. Die Durchsetzung überseeischer Prinzipien mußte feindlich sein gegen die traditionelle Wissenschaft in der BRD wie auch die amerikanische Wissenschaft wahrhaft dialektisch war Adorno eine treibende Kraft in der Neugestaltung der Hochschule, indem er sich gegen die Plattheit dieses Wissenschaftsprofessionalismus wandte und gerade die Tradition und Leistung des deutschen Geistes adornitisch hochhielt. Die schließlich unbestrittene, da praktisch sich aufdrängende Notwendigkeit, Empirismus und Soziologie zum angemessenen Platz zu verhelfen – was ja gegen nicht unbeträchtlichen Widerstand geschah –, betrieb er als ständige Problematisierung all dessen – was man nicht als Widerlegung oder gar Feindschaft mißverstehen darf –, womit er die nationale Diskussion darüber entfachen half. Dabei konnte seine Person allein schon deswegen nicht übersehen werden, weil er den antifaschistischen Widerstand in der Wissenschaft, also die demokratische Wissenschaft per se verkörperte und damit nicht nur einen empfindlichen Nerv seiner Gegner traf, sondern ihnen zudem in seinem Anspruch, die Philosophie hochzuhalten, die Waffe des Angriffs auf die Abgeschmacktheit der neuen Prinzipien aus der Hand schlug und sie anläßlich der sich vollziehenden Amerikanisierung zur Diskussion über Wissenschaft schlechthin, d.h. ihre Reform, zwang. Diese unglaubliche unit von antifaschistischem Kämpfer (dessen Hauptanliegen bekanntlich das radikal negative Denken war) und philosophierendem Soziologen faßt eine wissenschaftliche Epoche zusammen: Jegliche Erinnerungsspur an das, was Wissenschaft ist, wird ausgelöscht, und zwar zugunsten der Demokratie wagenden Gesellschaft bzw. des ihr sich mit allen Fasern verschreibenden, nach nützlicher Übereinstimmung der Individuen mit ihr jagenden und hetzenden Dollar/ DM-Denkens und Handelns. In dieser Nahtstelle hockt verklammernd Adorno – und könnte es eine vornehmere Aufgabe für ihn geben, als dem letzten Mann der Wissenschaft zur Renaissance zu verhelfen?
Da dankt auch die Philosophie leichten Herzens ab und beginnt mit der Fabrikation von Prototypen wie den berühmten Stegmüller (das erfolgreichere Pendant zu dem später noch zu erwähnenden Habermas), der auf verräterische Art die Untrennbarkeit von Wissenschaftstheorie und Irrationalismus (kleine, grüne Männchen in mm-hohen black boxes) repräsentiert, eine Untrennbarkeit, die die Amerikaner aufgrund der Tatsache, daß sie eben kein Kulturvolk sind, nicht so faszinierend hingekriegt haben. So sprechen sie mittlerweile drüben nicht nur von „Leitmotiv“ und „kindergarten“, sondern auch „the famous sumpfhuhn-example by Prof. Stegmüller“ ist zum begehrten BRD-Exportartikel geworden.
Die Erfindung der demokratischen Wissenschaft mit ihren nützlich-emanzipatorischen Wirkungen stößt freilich auf den Widerstand der Konservativen. Wenngleich sie nichts gegen größere Nützlichkeit haben – einige spüren da allerdings, daß es ihnen an die Gurgel geht –, so doch entschieden etwas dagegen, daß dies mit kritischem Bewußtsein zu tun haben soll. Sie haben da nicht ganz unrecht, sind jedoch hoffnungslos unmodern und müssen sich modernisieren, um in der amerikanischen Einheitssoße mitschwimmen zu können. Also akkommodieren sie sich dem und dem Trend, mischen sich heftigst in den Methodenstreit – eine Legitimationsveranstaltung, nötig zu Zeiten wissenschaftlicher Neuorientierung – ein und sorgen dafür, daß er nicht nur unter ihrer Teilnahme, sondern auch teilweisen Kontrolle abläuft. Direkt mittendrin sitzen hat den Vorteil, daß man der „gesellschaftsbezogenen Wissenschaft“ auf die Finger schauen und mit dem Dogma der wissenschaftlichen Toleranz und Pluralität auch klopfen kann, ohne immer gleich nach dem Staat rufen zu müssen. Elegant vollzieht sich die Zeitwende, indem der jüngere Konservative das soziologische Vokabular und Systemfummeln geschmeidig übernimmt, damit gar erst recht auftrumpfen kann, der ältere Sinnsucher und Wesenskramer freundlichst abstirbt. Die Wandlung fällt dem Konservativen nicht sehr schwer, denn die Erfolge amerikanischer Wissenschaft sind verheißungsvoll: befreit vom Ruch des Faschismus kann ihm der ewig gleiche Vorwurf, er habe es nicht mit der Demokratie, nicht länger gemacht werden, im Gegenteil: er spielt sich zum Oberbewahrer der Demokratie angesichts ihrer linksfaschistischen Gefährdung auf; außerdem fällt die Überlegenheit der Naturwissenschaften dort gleich ins Auge, muß also diese Art des Wissenschaftsbetriebes etwas für sich haben, wenn er sich so effizient der Reichtumsvermehrung unterordnet. Allerdings hält der Konservative immer fest, daß es des Aufstands und der Exzesse nicht bedarf, was man ja gerade an den Naturwissenschaften sieht: stillschweigend hat der Staat an diesen Fakultäten reformiert und dafür gesorgt, daß die technological gap ihrer Schließung nahe ist – die von den Amis eingekauften Auswanderer kamen allmählich zurück. Freilich vergißt unser Konservativer hier, daß die Reform der Geisteswissenschaften sich nicht in staatlichen Verordnungen und Finanzkunststüvken erschöpfen kann, sondern eben des aktiven Engagements der Geisteswissenschaftler bzw. ihrer Ausbildungsobjekte bedarf, denn hier kommt es ja auf die richtige Einstellung an und nicht auf das Geld für größere Labors und neue Teilchenbeschleuniger; oder anders: mit der Einstellung ist noch kein Naturwissenschaftler in seinem Fach weitergekommen.
Das Resultat der Amerikanisierung der Wissenschaft und damit der Hochschulreform ist Befriedung und Befriedigung: Die Studenten sind’s zufrieden und lassen es mit sich geschehen, daß die eingeschlagene Richtung auch im gemeinten Sinne weitergeführt wird. Dabei bekommen sie zu spüren, was es heißt, sich für größere Nützlichkeit der eigenen Ausbildung stark zu machen; nun jammern sie darüber, daß die alte Zeit doch manch Gutes hatte (zum Beispiel konnte man noch kritisch rumfaseln, d.h. man hatte freie Zeit – was Herr Kohl allerdings anders aufgefaßt haben will), daß man es sich so, ohne die kleinen Schlupfwinkel, eigentlich nicht vorgestellt hatte. So kommt man sogar auf die absurde Idee, die alte Studentenbewegung wieder zu beleben, absurd, denn diese war dafür da, den Zeitgeist einzuholen, nicht ihn aufzuhalten. Die Einrichtung des Studiengangs auf die Erfordernisse der Vulgärwissenschaft bei modischer Beibehaltung liebgewordener Zeugnisse „deutscher Geistesüberlegenheit, bringt die kritische Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Streitigkeiten dergestalt unter, daß man überall einfach einen Grundkurs „Methoden“ zur Pflicht macht, wo der Student sich gleich alle beguckt und als unterschiedslos berechtigt anerkennen lernt. Er hat damit zwar nichts gelernt, aber immerhin mal in höhere Gefilde geschnuppert und sich auf die Vulgärwissenschaft eingestellt. Wer streitet sich heute noch über kritisch-emanzipatorisch, kritisch rationalistisch und sonstwie, sind doch im Universitätsalltag längst alle Ansätze friedlich vereinigt und jedem Wissenschaftler als handliche Stampfer für das Breittreten des immergleichen Quarks geläufig. Die Gallionsfigur des Konsensus allerdings – der Kritiker des Linksfaschismus am Starnberger See – kriegt aufgrund seiner notwendig exponierten Stellung und weil er dem Schiff der Wissenschaft eben immer voraus ist, noch manchen Spritzer ab und verwittert, ohne die ihm für seinen Avantgardismus zustehende Belohnung einzuheimsen. Immerhin kann er befriedigt zurückblicken, denn über die Gräben zwischen Konservativen und Kritischen sind Brücken geschlagen. Der gemeinsame Stolz, die Wissenschaft ganz schön auf Trab gebracht zu haben, versöhnt, und emsig sind sie bemüht, dem Zweck der ganzen Aufregung nun auch praktische Gestalt zu geben: die Systeme und empirischen Forschungen sprießen, allenthalben werden dem Staat nützliche Informationen über Denken und praktische Lebensbewältigung seiner Bürger angetragen, umgekehrt die eigene Zufriedenheit dem nörgelnden Bürger kräftig eingerieben – wissenschaftlich, versteht sich –, da hier bekanntlich nicht Amerika ist, die Bürger also auch keine Amerikaner. Stolz herrscht auch, weil man es mit der amerikanischen Wissenschaft weitergebracht habe als die Amerikaner selbst, spielt sich bei uns doch alles auf einem viel höheren Niveau ab – und ungeniert kann sich der deutsche Wissenschaftler sagen, daß er wieder wer ist. Er stellt sich voll und ganz hinter seine vorgesetzte Instanz bzw. sucht, wenn er in der kritischen Abart auftritt, nach möglichst gelungenem Konsens mit ihr. Schließlich hat es ja sein Staat aufgrund der demokratischen Fortentwicklung, der sich das europäische Umfeld ganz einfach nicht entziehen konnte, zu was gebracht, ist nun ein gewichtiger Faktor in der Welt. Und der Wissenschaftler will sein Scherflein dazu beitragen, daß es so bleibt und sich ständig verbessere. Gerade letzteres ist notwendig, da ein anderer gewichtiger Faktor in der Welt – die USA – nicht einsehen will, daß ein gewisses Maß an Bescheidenheit neuerdings nottut, unsere zweifelsfrei besseren Panzer nicht kaufen will, bei Spacelab quertreibt, überhaupt „schwere politische, militärische und wirtschaftliche Differenzen“ verursacht. Über alle ideologischen Grenzen hinweg entdecken die Wissenschaftler an den Russen und erst recht an den Chinesen schöne Dinge, die vorher nicht auffielen, und das kritische Element in den Wissenschaften hat einen gemeinsamen stählernen Aufhänger gefunden: wenn die Amerikaner weiterhin so Schindluder treiben mit ihrer Demokratie und nicht dafür sorgen, daß ihr unbedingtes Erfolgsstreben aufhört, auf Kosten humaner Lebensverhältnisse und des Weltfriedens zu gehen, gefährden sie die Einheit des westlichen Lagers ... Der Einbruch der amerikanischen Wissenschaft in die deutsche Universität war also eine besonders verzwickte List der Geschichte – die den Amerikanern aus den Händen zu gleiten scheint, wenn sie sie nicht mit rabiaten Mitteln wieder an sich reißen –, denn herausgekommen ist die Überlegenheit deutschen Denkens über die platten Alltagsweisheiten in den Bürstenköpfen. Vieles, was darin steckt, ließ sich gut verwenden – das ist aber auch alles – so denkt der deutsche Wissenschaftler und so steht er auch zu seinem Staat, immer innerhalb der ihm zustehenden Freiheit natürlich – und er merkt nicht, daß nur ein Ausgleich hergestellt wurde, die Konkurrenz der nationalen Wissenschaften – und nicht nur dieser – nun auf gleicher Ebene stattfindet. Sicherlich jedoch auch das ein schöner Erfolg.
aus: MSZ 16 – April 1977 |