Die konservative Universität
Daß die Universität in München kein Neubau und nach dem Herzog Ludwig benannt ist und einen Edelmann als Rektor hat, erklärt nicht, weshalb in ihr einheitlich solche Wissenschaft betrieben und ausgebildet wird, die ungeachtet dessen, was sie jeweils ist, Ökonomie, Politologie oder sonst was, eine Eigentümlichkeit aufweist, die der Wissenschaft mancher anderer Ausbildungsstätten der Nation abgeht: Deutschlands größte Universität ist ein Hort konservativer Wissenschaft. Und nicht allein demjenigen, der auf Grund seiner Gegnerschaft zu dieser Wissenschaft an ihrer Erklärung interessiert ist, sondern auch kritischen Studenten und Theoretikern ist der allgemeine Zweck vertraut, den die Subjekte dieser Wissenschaft innerhalb der Gesellschaft verfolgen. Münchens Gelehrte sind solche, die für die bestehenden Verhältnisse dadurch Partei nehmen, daß sie sich für deren Erhaltung einsetzen.
Mit dieser Parteilichkeit reagieren sie auf alle möglichen Anlässe und Probleme, die in der Öffentlichkeit anstehen. Angesichts des Mißkredits, in die die Reformpolitik der Regierung geraten ist. kann der Kultusminister Maier in seiner Eigenschaft als Politologe darauf verweisen, daß er bereits zu Zeiten, als hierzulande der Fortschritt auf der Tagesordnung stand, kundgetan hat, daß gegen diese Weise der Führung der Staatsgeschäfte grundsätzlich etwas spricht: „Reform muß sich inhaltlich ausweisen und öffentlich legitimieren. Sie muß begründet sein und Einverständnis stimulieren. Sonst bleibt man besser beim bekann ten und öffentlich akzeptierten ›guten Altem‹.“ (H, Maier, Pol. Wiss. in Deutschl., S. 215) Geht aus Maiers Grundsatz hervor, daß seine Gegnerschaft zu Reformen die Gewißheit einschließt, daß sie zu verantworten sind, wenn ihre Begründung Einverständnis bei den Betroffenen hervorruft, wie dies ja bei der Durchsetzung seines Hochschulgesetzes so beispielhaft der Fall war, so versichert der Politologe Sontheimer in einer seiner zahlreichen Polemiken, die sich mit der Unzufriedenheit im Staate befassen, seinen Gegnern erst einmal, daß von Staats wegen seiner Auffassung nach nichts dagegen spricht, die Idee der Demokratie für Bereiche fruchtbar zu machen, in denen sie für gewöhnlich nicht vorkommt. ›Ich‹, Sontheimer, „ich vertrete nicht die Auffassung, daß die Idee der Demokratie ausschließlich auf den Bereich staatlicher Organisation beschrankt und anwendbar sei, vom gesellschaftlichen Leben außerhalb des Staates jedoch grundsätzlich ferngehalten werden müsse. Dafür sind die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft heute viel zu fließend, dafür ist staatliche Politik in einem zu hohen Maße zur Gesellschaftspolitik geworden. Es wäre in der Tat eine Verkürzung der demokratischen Idee, wollte man sie strikt auf die formale (!) Organisation des Staates und seine Verfahren politischer Willensbildung beziehen.“ (Sontheimer, Der Streit um die wahre Demokratie, Die Zeit 3 76 ) Diejenigen, die sich für eine derartige „Verlängerung“ der Demokratie praktisch einsetzen und die Sontheimersche „fließende Grenze“ zwischen Gesellschaft und Staat erst noch in Fluß bringen wollen, sich also statt mit dem Sontheimerschen „Spannungsverhältnis zwischen der Idee der Freiheit und der Idee der Gleichheit“ mit der Verwirklichung der Demokratie herumschlagen, haben einigen Einfluß errungen. Deshalb sieht sich Sontheimer genötigt, seiner erlauchten Erwägung ein ebenso staatstragendes „doch“ hinzuzufügen. „Doch muß festgehalten werden: Unter dem Impetus linker Theoriebildung hat die Idee der Demokratisierung sozialer Lebensbereiche in Verbindung mit der Idee der Partizipation in fast allen westlichen Gesellschaften eine solche politische Durchschlagskraft gewonnen, daß selbst konservative Gruppen sich schwer tun, wider diesen Stachel zu locken.“ (ebd.) Linke Demokratietheoretiker sind schuld, daß der beklagenswerte Sontheimer sich nicht als Reformer präsentieren kann und statt dessen für die Reinheit konservativer Ideologie sorgen muß. Dies besorgt er eindrucksvoll. Er wehrt sich gegen den „Eindruck“ mancher Linker, daß die „wahre Demokratie erst noch zu schaffen wäre“. Den Politikern, für die er sich plagt, empfiehlt er, künftighin auf die Verwendung des Schlagwortes „Demokratisierung“ zu verzichten, um nicht der Gefahr von Volksfronten Vorschub zu leisten. „Es ist gerade die Eigenheit der Idee der Demokratisierung, daß sie Forderungen höchst unterschiedlicher Reichweite in sich vereinigt und natürlich in dem Maße an begrifflicher Klarheit einbüßt, in dem sie zu einem politischen Schlagwort wird, dem kaum ein demokratischer Politiker die vom politischen Bewußtsein der Gesellschaft erwartete Reverenz verweigern kann.“ (ebd.) woraus man entnehmen kann, daß Politologen das Faktum der Brauchbarkeit solcher „Schlagwörter“ für das politische Geschäft unbekannt ist, und nicht zu erwarten steht, daß Brandt, Genscher und Kohl auf den Rat ihres wissenschaftlichen Parteigängers hören werden. Sontheimers Gespür für das Aufdecken von Gefahren für die Demokratie ist jedoch nicht bloß der Grund dafür, diesen Politologen neuerdings alle zwei Wochen im Fernsehen ertragen zu müssen, wofür er kräftig einstreicht, sondern überrascht zuweilen solche Leute wie jenen liberalen Kultursenator, der nichts dabei fand, in diesen Zeiten den Staat aufzufordern, sich der materiellen Lage der Schriftsteller anzunehmen und ihn zu mahnen, die Unterdrückung nonkonformistischer Intellektueller nicht zu weit zu treiben. Die Attacke, die Sontheimer, wiederum in der ZEIT, gegen dieses Anliegen reitet, beweist, daß dieser Politologe seit seinem Einzug in die Münchner Welt der „Neuen Wissenschaft der Politik“ nur einen Fortschritt aufzuweisen hat: den Übergang zu Regungen faschistischer Natur, hier dargeboten unter der Parole „Kein Futter für Giftnattern“. „Intellektuelle sind unverzichtbar für eine freie und demokratische Gesellschaft, fürwahr. (Nein, nicht alle denn:) Aber woher nehmen wir die demokratische Legitimation, sie gewissermaßen unter eine soziale Käseglocke zu stellen und ihnen durch kollektive Daseinsvorsorge eine risikofreie Bestandsgarantie zu gewähren, unabhängig davon, ob das. was sie produzieren, für die Gesellschaft überhaupt von Interesse und Belang ist?“ „Wer sagt uns denn, daß die abweichenden politischen Ideen vernünftiger sind als die geschmähten konformistischen? Wer kann denn von Staats wegen begünstigen wollen, daß über den Staat »Fraktur geredet« wird. wenn dafür nicht einmal eine normale Öffentlichkeit zu finden ist? Was niemanden interessiert, kann auch niemanden beeindrucken.“ (Die Zeit 12 76, Kein Futter für Giftnattern)
Nicht nur die Politologen aus München bekunden ihre Abneigung gegen kritisches Staatsbürgerbewußtsein. Münchens Philosophen stehen nicht an, parteilos die Realität an sich vorüberziehen zu lassen. Sei es, daß der aus christlicher Empfindung denkende Fichtianer Lauth angelegentlich seiner Diskussion der verwerflichen These von der „Geschichtlichkeit der Wahrheit“ auf den Lärm der Straße und die Meinungen des Pöbels Bezug nimmt und den Zeitgeist so mancher seiner Kollegen tadelt – „Überall florieren sogenannte Akademien, wo man in Podiumsgesprächen. Symposien, Referaten und Diskussionen Meinungen austauscht. Man befindet sich in einem keuchenden Wettlauf um die letzte Modernität. Der schrecklichste Tadel, den man sich denken kann, ist der, nicht modern genug zu sein. Man kniet vor dem modernen Denken nieder und bettelt darum, von ihm akzeptiert zu werden. Man ist bereit, jederzeit seine Position zu wechseln, wenn die Meinung der Anderen die eigene Meinung überwältigt. Man ist aus ganzem Herzen gewillt, sich zu »reformieren«.Reform - in diesem ekelerregenden Worte kennzeichnet sich die ganze Haltlosigkeit dieses Standpunktes: man ist nicht nur bereit, sondern sogar begierig, wieder und wieder eine andere Form anzunehmen. Wo wahrhaft erkannt wird, wo wahrhaft das Gute gewollt wird, da gibt es nichts zu reformieren. Da kann es nur noch die Aufgabe geben, diese Erkenntnis und diesen sittlichen Willen integral zu bewahren und unsere Wirklichkeit dieser Erkenntnis und diesem Willen entsprechend restlos durchzugestalten (zu performieren).“ (R. Lauth, Die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit, Stuttgart 1966. S. 25) – sei es, daß der so nüchtern forschende Philosoph Stegmüller, wie in der vorletzten MSZ zu lesen war, angesichts der Ärgernisse der „irdischen Verhältnisse“ den Menschen und den Philosophen anempfiehlt, der Gefahr jenes Verhältnisses zur Realität, das sich Kritik nennt, durch die Pflege des „kosmischen Bewußtseins“ zu entgehen – stets läuft das Gutachten der Münchner Philosophie zum die Akademikerköpfe beherrschenden ideologischen Disput auf eine eindeutige Stellungnahme hinaus: „Die Freiheit, nicht die Emanzipation, ist der Motor und das Ziel der Frage nach dem Menschen; sie ist der Grund der Geschichte des Menschen und seine eigentliche Natur. Der geschichtliche Vorrang der Freiheit vor dem Geist bezeichnet eine Wende im philosophischen Denken, eine Absage an Systeme und Dogmen, die Hinwendung zum konkreten, handelnden Menschen. Die Freiheit des Menschen ist die Dimension seines Handelns, die Max Müller allerdings nicht in eine Theorie des Handelns zwingt.“ (Umschlagtext zu M. Müller, Phil. Anthropologie, München 1974) Sieht man einmal davon ab, daß der Subjektivismus als Prinzip der Diskussionen moderner Wissenschaftler nicht durch einen Lauth widerlegt wird, der Erkenntnis, Wille und Moral für ein und dasselbe hält – und damit lediglich seinen Willen kundtut, die Diskussion mit denen zu verweigern, die ihn erhalten –, läßt man beiseite, daß das Emanzipationsgeschwafel kritischer Philosophie nicht im geringsten durch einen Füller angekratzt wird, der behauptet, daß die Freiheit den Grund der Geschichte des Menschen und gleich noch den seiner Natur abgibt – und damit offenbart, daß er weder die menschliche Geschichte noch die menschliche Natur studiert haben dürfte –, so bleibt die Tatsache, daß die vom Philosophen negierte Sache, die Emanzipation, als „Motor“ gesellschaftlicher Bestrebungen durchaus Realität besitzt und zum Beispiel die von unserem konservativen Denker hervorgehobene Geschichte in bundesdeutschen Schulen in Bedrängnis gebracht hat. Dies ist für den Geschichtsprofessor Nipperdey Anlaß zur Anklage und Sorge zugleich. Die Anklage: „Vergangenheit wird – wie in den traurigen Hessischen Rahmenrichtlinien – zur Requisitenkammer, um »emanzipatorische« Argumente zu illustrieren. Auch in milderen Formen dringt die »kritisch« -parteiische Tendenz vor. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien dienen ihr schon. Im Hochschulwesen gibt es ... die gleichen Tendenzen ... Geschichte ist in der Defensive.“ (Nipperdey, Geschichte auf dem Abstellgleis, Rhein Merkur) ist freilich nicht die Sorge darum, daß die „Planer und Reformer, die Mandarine und Bürokraten der Bildungspolitik“ bei ihren Bemühungen um eine funktionierende Ausbildung ein für das Leben notwendiges Wissen über Bord geschmissen hätten, sondern daß der Wert der Geschichte für die in der Ausbildung zu erwerbende Einstellung „zu unserem auf Veränderung angelegten System“ schimpflich vernachlässigt werde. Den Nutzen der Geschichte preist Nipperdey in einer Weise, daß man sich wundern muß. was ein konservativer Wissenschaftler, der seine Zeit mit dem Studium der Vergangenheit füllt, aus vergangenen Zeiten so alles ans Tageslicht fördert – es ist, als gäbs gar keine Geschichte: „Wir lernen aus der Geschichte, daß die Folgen menschlichen Handelns oft nicht den guten Absichten entspringen, daß Mittel zum Selbstzweck dienen, zum Beispiel Macht (!), die als Mittel zur Durchsetzung eines Programms erstrebt wurde(!), daß Handlungsspielräume begrenzt und begrenzt kalkulierbar sind, daß nicht nur Gesellschaft. sondern auch Staat, nicht nur Prozesse, sondern auch Institutionen das Leben bestimmen und daß die Wirklichkeit nicht auf einen Basisfaktor letzten Endes reduziert werden kann, daß Situationen komplex widersprüchlich sind. Totalentwürfe abstrakt, daß die Wirklichkeit komplex und widerständig ist, daß Politik nur möglich ist. wenn man den Ernst und die Schwere der Wirklichkeit realisiert und daran das nötige Augenmaß gewinnt. Modelle und Kategorien unseres Handelns und dessen, womit wir es in diesem Handeln zu tun haben, das lernen wir aus der Geschichte“. (ebd.)
Diese Parteinahme gegen eine Reform der Bildung, bei der die Pflege des Geschichtsbewußtseins als unnütz erachtet wird, wird nun gerade dem Anliegen eines jener Männer nicht widersprechen, die verantwortlich sind für die Klage des Geschichtsprofessors. Münchens Pädagogikprofessor Schiefele (1), der mit der „Verbesserung der Erziehungswelt“ beschäftigt ist, wird nicht müde zu betonen, daß Zwecke wie der der Selbstbestimmung des Menschen nur dann keiner Mißdeutung erliegen, wenn man weiß, daß es sich hierbei um Ideale handelt, die der Realität nicht widersprechen, sondern entsprechen. „Uneingeschränkte Selbstbestimmung der Person, so schön sie als Ideal zu denken ist. bedeutet in der Wirklichkeit des sozialen Zusammenlebens eine verhängnisvolle Utopie. Solche Beschränkungen verantwortlichen Handelns gibt es nach meiner Überzeugung in jeder bestehenden und denkbaren Gesellschaftsordnung, auch in den verkündeten Paradiesen, ausgenommen vielleicht das überirdische. Die Frage ist also(!), wo und wie Hemmnisse personeller Selbstbestimmung abzubauen sind und in welchem Umfang. So gesehen wird ›Mündigkeit‹ zum politisch-ethischen Imperativ im Wettstreit der Systeme. Und die Chancen sind in der Bundesrepublik günstiger als vielerorts.“ (H. Schiefele, Die Erziehungswelt kann verbessert werden, SZ Nr. 131 1974) Dieser Vorschlag, die Reform der Erziehungswelt zum Vorteil der Bundesrepublik dadurch werden zu lassen, indem man eine Konkurrenz der Werte zwischen den Staaten erfindet, weckt das Interesse zu erkunden, ob denn wenigstens die Münchner Ökonomie aus dem Einerlei der Parteilichkeit, die Münchens Wissenschaftler kennzeichnet, herausragen. Die Münchner Ökonomen nun treten den Beweis, daß sie in eine konservative Universität gehören, zunächst einmal dadurch an, daß sie sich zu gewissen aktuellen Problemen nicht äußern, insbesondere etwa Gutachten verfertigen, in denen der Regierung vorgeschlagen wird, Konjunkturpolitik im Dienst der Interessen der Bevölkerung zu betreiben. Die Münchner Ökonomen stehen von vornherein in einer Weise über derartige Vorschlägen, daß durchaus nicht jedermann in der Lage ist, in den Gutachten, die sie nichtsdestoweniger verfassen? ihre Meinung zur Lage der Arbeiterklasse zu entdecken, wie zum Beispiel in dem Appell des Münchner Ökonomen Möller an die westlichen Staaten, daß nur bestimmte Maßnahmen das Aufrechterhalten der Weltwährungsordnung gewährleisten können ... „Nur eines steht fest: Die Länder der westlichen Welt sitzen mit ihren Währungsproblemen (und nicht nur mit diesen) in einem Boot. Wenn sie überleben wollen, werden sie auf ihre nationalen und internationalen, auf ihre wirtschaftlichen und politischen Belange untereinander Rücksicht nehmen müssen, gleichviel, ob und wann es ihnen gelingt, eine neue Weltwährungsordnung zu schaffen.“ (Möller, Das Ende einer Weltwährungsordnung?, München 1972) Festzuhalten bleibt allerdings noch, daß die Parteilichkeit dieser Wissenschaftler besondere Anstrengungen erforderlich macht, sich selbst zu erhalten. Es gehört nicht zuletzt zu den Pflichten des Rektors dieser Universität, sich der Anfeindungen zu erwehren, denen die konservative Wissenschaft als Totengräber kritischer Wissenschaft ausgesetzt ist. Dieser Pflicht entledigt sich Lobkowicz entweder dadurch, daß er mit ihrer Ausbildung unzufriedenen Studenten mit praktischen Mitteln etwas mitzuteilen hat, sie zum Beispiel mit der Polizei diskutieren läßt, oder aber auf mehr theoretische Weise. So hat er jüngst die Herren Albert, Topitsch, Scheuch, Ludz und sonstige Bekannte zusammengerufen, um über Möglichkeiten zu beraten, wie man dieser Bedrohung für die Freiheit der Wissenschaft Herr werden könnte. Die Beratung galt dem Umstand, daß Mitglieder eines Starnberger Forschungsinstitutes zwar keinen Furz gelassen haben, aber doch der Finalisierung das Wort redeten: „Der mit der Materie unvertrauten Öffentlichkeit. besonders den noch nicht mit dem nötigen Rüstzeug versehenen Studenten oder den in der theoretischen Argumentation weniger erfahrenen Politikern mit wissenschaftlicher politischer Entscheidungsbefugnis wird unter dem Stichwort ›Finalisierung‹ mit zunehmendem Erfolg eingeredet, daß die Wissenschaft vor allem von externen Interessen geleitet und weitgehend politischen Zielsetzungen sowie Staatlicher Planung unterworfen werden müssen. Darin liegt eine ernste Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft und. damit unlöslich verknüpft, auch eine Gefahr für die politischen Freiheiten in unserem Lande.“ (Vorläufiges Programmpapier der Arbeitsgruppe. Informant: W. Hochkeppel in den Münchner Kulturberichten der SZ) Diese letzte Demonstration der Finalisierung Münchner konservativer Wissenschaft bestätigt noch einmal, worin das Wesen ihrer Anstrengung besteht. Ihr Propagandafeldzug für die Erhaltung all dessen, was ihnen lieb und teuer ist – der demokratische Staat, die Freiheit, die Vergangenheit, die Familie, die Weltwährungsordnung, die Freiheit der Wissenschaft usw. bringt zum Vorschein, daß der Fortbestand all dieser Verhältnisse keineswegs gesichert ist. und daß umgekehrt das Geltendmachen des Standpunkts der Erhaltung gegenüber allem und jedem keine Selbstverständlichkeit ist, die mit der Existenz der Gegenstände gegeben ist. Sie ergibt sich vielmehr aus der Existenz gesellschaftlich falschen Bewußtseins, welches der konservative Wissenschaftler bekämpft, wenn er in ihm das Interesse des Unzufriedenen entdeckt. So sehr den Münchner Wissenschaftlern zuzugestehen ist. daß ihre Anstrengungen der Widerlegung von diversen Illusionen über das, wofür sie Partei nehmen, gewidmet sind, so sehr muß man ihnen bescheinigen, daß diese Widerlegung nicht ihr Interesse ist, weswegen sie auch zwischen Marx und Habermas nicht unterscheiden brauchen. Die Erklärung dessen, wogegen sie ist. und damit die Aufdeckung des objektiv falschen Zwecks zum Beispiel derer, die die Verwirklichung der Demokratie auf ihre Fahne geschrieben haben, gehört nicht zur Natur konservativer Ideologiekritik, weil die Parteilichkeit konservativer Wissenschaft nicht an der Objektivität dessen, wofür sie ist, interessiert ist, sondern selbst falsches Bewußtsein ist.
Wie die Gelehrten anderswo werden also die Münchner Wissenschaftler vom Staat nicht deshalb bezahlt, weil sie – wie das Vorurteil über Wissenschaft besagt – diejenige Tätigkeit als Beruf betreiben, die noch jeder Mensch aus praktischen Gründen vollziehen muß. Sie sind von der Gesellschaft vom Zwang zu arbeiten freigestellt - jedoch liegt ihr Nutzen nicht darin, sich frei von praktischen Zwängen dem Denken zu widmen. Sie sind nur nützlich als Denkende, insofern sie sich mit ihrem Denken nützlich machen. Die Leistung, die Münchens Gelehrte bringen müssen, um ihre Funktion zu erfüllen, besteht darin, mit ihrer Tätigkeit dasjenige, was die Gegenstände sind, zu negieren. Und dies ist keine geringe Anstrengung: sie müssen sich nämlich erst ausdenken, was die Gegenstände nicht sind.
Warum Möller sich nicht näher mit dem von ihm konstatierten Widerspruch beschäftigt – daß die Länder der westlichen Welt mit ihren Währungsproblemen in einem Boot sitzen und doch gegenseitig versuchen, das Boot zum Kentern zu bringen –, um herauszubekommen, worin dieser Widerspruch besteht, lassen wir uns von seinen Assistenten zeigen. Feneberg schreibt über die Arbeit folgendes: „Arbeit, auf Wertschöpfung gerichtete körperliche und geistige Tätigkeit des Menschen. Neben der Schaffung ethischer (altruistische Handlungsmotive: Pflege von Kranken) und ästhetischer Werte (Arbeit des Künstlers) richtet sich der Hauptteil menschlicher Tätigkeit auf die zur Sicherung des Lebensunterhaltes notwendige Schaffung ökonomischer Werte. In diesem letzten Sinne wird der Begriff der Arbeit in der Wirtschaftswissenschaft definiert als die auf ein wirtschaftliches Ziel (Bedarfsdeckung) gerichtete bewußte Tätigkeit des Menschen.“ (Geigant. Sobotka, Westphal, Lexikon der Volkswirtschaft, S. 27) Was Arbeit ist, wird uns also hier nicht mitgeteilt. Dafür erleben wir eine Aufzählung verschiedener Tätigkeiten (nebst Motiven und Zwecken), wobei den Ökonomen die Arbeit interessiert, die ökonomische Werte hervorbringt. Nachdem der Ökonom die Künstler und Krankenpfleger samt ihrer Motive losgeworden ist, verzichtet er vornehm auf die Untersuchung nicht nur von ökonomischen Werten, sondern auch der Arbeit, die solche Werte schöpft. Er bescheidet sich mit der Hervorhebung ihrer Bedeutung – immerhin ist sie wichtigster Produktionsfaktor: „Da die meisten der zur Befriedigung der Bedürfnisse notwendigen Güter nur im Rahmen eines technischen Prozesses mit Hilfe menschlicher Arbeit zu produzieren sind, ist Arbeit wichtigster Produktionsfaktor innerhalb des Produktionsprozesses. Gegenüber dem ›abgeleiteten‹ Produktionsfaktor Kapital, der mittels Arbeit erst erzeugt werden muß, ist die Arbeit ein elementarer oder ursprünglicher Produktionsfaktor.“ Wer so redet, der weiß die Arbeit zu schätzen, so sehr, daß er sich sogleich Gedanken darüber macht, wie deren segensreiches Wirken trotz mancher Schwierigkeiten, die es den Menschen, den „Trägern der Arbeit“ bereitet, bewahrt werden kann. Der Volkswirt ist zwar Wissenschaftler und von der Last, ökonomische Güter zu produzieren, entbunden – er hat aber dennoch mit der Arbeit kein theoretisches, sondern ein „soziales Problem“. Weil er die Arbeit so sehr schätzt, möchte er sie auch von sozialen Spannungen freihalten: „Die besondere soziale Problematik der menschlichen Arbeit resultiert zum einen aus der Verbindung des Produktionsfaktors Arbeit mit dem Menschen (Träger der Arbeit). zum anderen aus der die Produktivität der Arbeit erhöhenden Arbeitsteilung (Spezialisierung). die den Produktionsprozeß zu einem gesellschaftlichen Forum werden läßt So kann z. B. die zunehmende Mechanisierung des Arbeitsprozesses bei den Arbeitnehmern zu einem hohen Maß an Fremdbestimmung und Weisungsgebundenheit führen und damit Anlaß sozialer Spannungen sein.“ (ebenda) So beachtenswert das Interesse dieses Ausblickes – weil es ihm um die sozialen Probleme der menschlichen Arbeit geht, kommt er auf die Mechanisierung zu sprechen! – auch sein mag, beachtenswert ist vor allem, daß die Fehler, die der Ökonom produziert hat, zu keinem rechten Wissen geführt haben, sondern zu einer Betrachtungsweise, die jenen Instanzen nichts nützt, die sich der sozialen Problematik des Arbeiters annehmen. Für die Ökonomen selbst hat dies auch eine Konsequenz, die man in dem Münchner Ökonomiebuch unter dem Stichwort „Lohntheorie“ studieren kann. Daß man hier nicht die Erklärung des Lohns, also dasjenige, was der Theoretiker der Arbeit als soziales Problem unterstellt und gleichzeitig weggelassen hatte, findet, ist nicht überraschend. Denn die Lohntheorie, so erfährt man, beschäftigt sich nicht mit dem Lohn, sondern mit „der Erklärung der Lohnbildung“. Dabei gibt auch der Münchner Ökonom bereitwillig zu, daß gerade die Erklärung der Lohnbildung niemals zustande kommen wird, da der Ökonom unter der Erklärung der Lohnbildung nichts anderes versteht als die Festlegung der Höhe des Lohns - ein Vorgang, der nun ganz und gar unabhängig vom Willen des Ökonomen sich vollzieht. „Ungleich anderen ökonomischen Erklärungstheorien gibt es bis heute keine geschlossene, vollständige und einzig wahre Lohntheorie, welche die Höhe des Lohnes und seine Entwicklung eindeutig bestimmt.“ (ebenda S. 312)
Die Leistung, mit der sich die Münchner Ökonomie ihre Parteilichkeit verdient hat, zeitigt den Widerspruch, daß damit nicht der wirkliche Umgang mit dem Produktionsfaktor Arbeit in irgendeiner Weise befördert wird. Für den Münchner Betriebswirtschaftsprofessor Heinen ist dies kein Widerspruch, weil die Leistung, die er vollbringt, darin besteht, die Ökonomie als ein theoretisches Geschäft beiseite zu lassen, sich die Stätte des Einsatzes des Produktionsfaktors Arbeit gleich in der Weise zum Gegenstand zu nehmen, wie es den Handhabern des Produktionsprozesses so eigentümlich ist. „Die Beschaffung von Werkstoffen und Betriebsmitteln und der Einsatz des benötigten Personals führen zu Ausgaben. Für die erforderlichen Geldmittel wird in der Betriebswirtschaftslehre üblicherweise der Begriff „Kapital« gebraucht. Die Höhe des notwendigen Kapitals hängt zunächst von der Art, Menge und Preis der zu beschaffenden Produktionsfaktoren ab. Der Rückfluß des eingesetzten Kapitals erfolgt durch die Einnahmen aus der marktlichen Verwertung der erstellten Leistungen. Die Umsatzeinnahmen können die Unternehmung verlassen oder eine neue Kapitalbindung finden . . .“ (Heinen, Industriebetriebslehre, S. 579) Was Heinen hier anführt, ist kaum zu bestreiten. Daß die Beschaffung von Werkstoffen und Betriebsmitteln für den Kapitalisten Kosten sind und daß der Verkauf seiner Waren seine Einnahmequelle ist, ist zwar nicht die Erklärung von Kosten und Einkommen. Aber nicht um diese geht es hier, sondern um die Fixierung von Unterscheidungen, wie sie beim Handhaben des Kapitals auftreten. Dieser Ökonom unterstellt all das, worüber er redet, nicht deshalb, weil er wissen will, was Kapital und dgl. ist, sondern weil er nicht wenigen jungen Leuten beibringen will, wie sie den Betrieb ihres Vaters fortführen können oder sich in der Großindustrie einen lukrativen Posten schnappen können. Das heißt aber nicht, daß Heinen in seiner Betriebswirtschaftslehre die Interessen derer, die nicht das Problem haben, Kapital nutzbringend einzusetzen, sondern auf das besagte Mittel Lohnarbeit verwiesen sind, nicht berücksichtigen würde. Weil Heinen gerade jene Interessen berücksichtigen will, die nicht in seinen Vorlesungen physisch anwesend sind, hat er sich um die Modernisierung dieser Abteilung der Ökonomie verdient gemacht. „Für diesen Erklärungszweck ist es sinnvoll, die industrielle Unternehmung als ein System zu betrachten. Unter einem System wird allgemein eine Menge von Elementen verstanden, zwischen denen ein Beziehungsmuster besteht. Kennzeichnend für industrielle Organisationen ist die relativ dauerhafte Beziehungsstruktur, die durch die Erstellung und marktliche Verwertung von Sachleistungen gekennzeichnete Zielgerichtetheit des Systems sowie die sich daraus ergebende Offenheit des Systems gegenüber der Umwelt. Das System Industriebetrieb nimmt aus seiner Umwelt Input auf, transformiert diesen Input und gibt ihn als Output wieder an die Umwelt ab. Input des Systems sind beispielsweise Arbeitsleistungen, Informationen, Rohstoffe. Maschinen und Geld.“ (S. 33) Die Modernisierung der Parteilichkeit der Betriebswirtschaftslehre besteht darin, die unterstellte Bestimmtheit des Betriebs zu leugnen, um den Betrieb als eine Organisation zu betrachten. Die Verwandlung des Betriebes in ein System erklärt sich dabei nicht daraus, daß Heinen die Tatsache, daß in Betrieben kybernetische Kenntnisse verwendet werden, darauf bringt, den Betrieb mit einem kybernetischen System zu verwechseln – denn Tatsachen haben es überhaupt noch nie geschafft, einem modernen Wissenschaftler zu seinen Fehlern zu verhelfen –, vielmehr will er mit seiner Abstraktion seinen Schülern zur Kenntnis bringen, was alles passieren kann, wenn das Austragen von Konflikten im Betrieb ansteht. Der Witz an einem Betrieb ist nämlich, daß er bloß ein »relativ dauerhaftes Beziehungsmuster« ist und daher »umgehbare Konflikte ohne möglichen Interessensausgleich« auftreten können. Z. B. der Rückzug: „Rückzug stellt eine typische Reaktion der Entscheidungsträger dar, die in früheren Gewinn-Verlust-Kämpfen häufig Verlustpositionen hinnehmen mußten. Diese Konfliktparteien entwickeln aus Furcht vor neuen Niederlagen die Neigung, Kontakte mit möglichen Kontrahenten einzuschränken. Die Verminderung der Kommunikationsbeziehungen wird oftmals von einer Senkung des Anspruchsniveaus und der Aufgabe bestimmter Zielvorstellungen geleitet, so daß künftige Konfliktursachen teilweise ausgeschaltet werden. Gleichzeitig wird der Rückzug durch Informationsmanipulationen abgesichert, die den Kontrahenten auf die Verminderung sozialer Interaktionen hinweisen und den Rückzug rechtfertigen sollen. Die konsequenteste Rückzugsmaßnahme ist der Austritt von Arbeitnehmern aus der Unternehmung. Hier folgt das Organisationsmitglied seither Überzeugung, daß es nur in anderen Betriebswirtschaften seiner Vorstellungen zu realisieren vermag.“ (S. 560) Die Betriebswirtschaftlehre als die Weisheit der Konkurrenz erfährt hier eine Ergänzung, die nichts mehr mit Weisheit zu tun hat.
Die Leistung, die der Ökonom hier verwendet, um als Parteigänger der Erhaltung des Kapitals nützlich zu sein, heißt Soziologie. Und weil er damit rechnen muß, daß seine Schüler mit diesem Quatscht ihre verstandesmäßigen Schwierigkeiten haben, wendet er viele Mühe auf, seine Darlegungen durch Beispiele und Zeichnungen anschaulich zu machen. Doch ungeachtet dessen, daß weder der Professor noch seine Schüler die Fehler dieser Leistung kennen Kapitalist und Arbeiter denken nicht daran, aus Furcht vor neuen Niederlagen die Neigung zu entwickeln. Kontakte mit möglichen Kontrahenten einzuschränken: die Beziehungen beider sind keine Beziehungen ihrer Kommunikation, und sie können zwar ihre Ziele aufgeben, niemals jedoch ihre Zielvorstellungen. Manipulationen beruhen nicht auf mangelnder Information; der Austritt von Arbeitnehmern ist keine Rückzugsmaßnahme und schon gar nicht die konsequenteste. Und selbst wenn dem so wäre, folgt der Arbeiter dabei nicht seiner Überzeugung, daß er woanders seine Vorstellung zu realisieren vermag, – wird der Kapitalist bei der Durchsetzung seiner Zwecke im Betrieb sich sicher darauf berufen, daß sein Leben die zweckmäßigste Einrichtung der Menschheit ist –, weil er aus diesem Grund nicht handelt. Weil der Ökonom zur Legitimation seines Fehlers die Soziologie benötigt, findet sich an einer modernen Universität wie in München die Pflege dieser Disziplin. Da wir einerseits den Charakter ihrer Parteilichkeit durch den Ökonomen kennengelernt haben und die soziologische Abteilung in München eine etwas armselige Angelegenheit ist, lassen wir's mit der Aufführung des Soziologen Bolte sein Bewenden haben. In einem seiner Werke findet sich ein Kapitel mit dem Titel „Verständnis für Gesellschaft“. Das Kapitel behandelt die „alte Erfahrung, daß sich Menschen durch alles bedroht fühlen, was sie nicht durchschauen und begreifen … Das Eingebettetsein in weiträumige wirtschaftliche und politische Verflechtungen, die Abhängigkeit von den Entscheidungen »ferner« unbekannter Gremien, das Ausgeliefertsein an undurchschaubare Mechanismen (Preis- und Währungsprobleme). Das Angewiesensein auf unpersönliche bürokratische Apparate und das Betroffensein von permanenten Veränderungen (z. B. im Bereich des Berufs) sind Gegebenheiten, die für viele Unbehagen, ja Angst mit sich bringen, sobald sie ihnen bewußt werden.“ (S. 130) Der Ausgangspunkt des Soziologen ist das, was nicht in den Klammern steht. Und daher sein Fehler: die Probleme, die die Leute mit den Preisen und in ihrem Beruf haben, als Probleme von Eingebettetsein überhaupt, als Ausgeliefertsein an die Undurchschaubarkeit schlechthin, als Betroffensein von Veränderungen usw. zu beschwätzen. Da nun dem Soziologen daran liegt, die Leute zu beruhigen, geht der Soziologe gegen falsche Erklärungen vor. „Wenn man früher als treibende Kräfte hinter den Ereignissen der Natur das Walten guter oder böser Geister vermutete, so glauben heute leider viel zu viele, daß die politischen und wirtschaftlichen Vorgänge letztlich ja doch vom internationalen Finanzkapital, vom Weltkommunismus, von der Kirche und anderen bösen oder guten »Kräften« bestimmt werden. Ihre Weltsicht wird »selektiv«, d. h. sie sehen vorrangig nur noch das. was ihre Auffassung bestätigt und ihrem »Köhlerglauben« neue Nahrung gibt.“ (S.130)
Was stört nun den Soziologen an diesen Erklärungen? Es stört ihn daran, daß die Leute angesichts bestimmter wirtschaftlicher und politischer Vorgänge darauf verfallen sind, sie begreifen zu wollen. Und deshalb widerlegt er auch nicht, was das internationale Finanzkapital, der Weltkommunismus, die Kirche (wo bleiben im übrigen die Juden?) nicht mit den in Frage stehenden Erscheinungen zu tun haben. Im Gegenteil findet er das Verfahren, sich gegebene Phänomene in der Weise zu erklären, daß man sich für hinter ihnen liegende Kräfte interessiert, recht brauchbar. Der Mangel dieser Vorstellung des Mannes von der Straße liegt aber darin, daß sie in die falsche Richtung gehen. Für den Soziologen liegen die Kräfte der Gesellschaft auf der Hand. „Mindestens sollte jeder, der im Rahmen einer modernen Industriegesellschaft lebt, erkennen, was solche Gesellschaft eigentlich ist. nämlich ein Kooperationszusammenhang, in dessen Rahmen versucht wird, die aus menschlichem Leben und Zusammenleben hervorgehenden Probleme in bestimmter Weise zu bewältigen. Probleme dieser Art sind unter anderem die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen, die Sicherung für den Fall von Alter. Krankheit. Invalidität und anderen Risiken, die Erziehung der Heranwachsenden und anderes mehr. Grundsätzlich kann die Bewältigung dieser Probleme auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlicher Zielrichtung betrieben werden. Aus dem Bemühen heraus, die Probleme in bestimmter Weise zu lösen und auf bestimmte Ziele (z.B. auf eine bestimmte Art der Einkommensverteilung) zuzusteuern, entwickeln sich spezifische Gesellschaftsordnungen mit bestimmten politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen. Die Gesellschaftsordnung der BRD stellt eine mögliche Form zur Bewältigung dieser Probleme dar.“ (S. 131) Da es viele kritische Soziologen gibt, die der Meinung sind, daß sie in der methodischen Struktur moderner Sozialwissenschaft sich auskennen, nachdem sie schon lange den Versuch aufgegeben haben, den Klassencharakter des Unternehmens Soziologie nachzuweisen, werden sie auch nicht im mindesten erkennen, welche Anstrengungen es bedeutet, die Gesellschaftsordnung der BRD als eine mögliche Form zur Bewältigung von Problemen, die in ihrer Wirklichkeit vorkommen, darzustellen. Der Fehler, all das, was die BRD darstellt, zu negieren, wenn es um das Herausstreichen des Vorteils geht, in ihr zu leben, um daraus den Schluß zu ziehen, daß man in ihr lebt, um Probleme lösen zu können – diesen verdrechselten Gedankengang braucht der Soziologe für jede seiner Argumentation. Auch in München beendet der Soziologe seine Erklärung mit der Verpflichtung derjenigen. die seine Erklärung nicht unbedingt teilen. Wer darüber nachdenkt, warum er stets zu wenig Geld in seiner Lohntüte hat. dem kommt der Soziologe erst einmal damit: Glaub bloß nicht, daß da was dahintersteckt. Wenn das nicht fruchtet, kommt das zweite Argument: Glaub bloß nicht, daß es woanders besser ist. Und wer sich auch hiervon nicht beeindrucken läßt, dem erklärt der Soziologe: Glaub ja nicht, daß wir deine Verweigerung der Gesellschaft dulden können: „Wenn aber eine Gesellschaftsordnung wie die der Bundesrepublik auf einem so hohen Grad von Zustimmung bei wirklich (!) ohne jeden (!) Zwang veranstalteten Wahlen bei ihren Mitgliedern basiert, dann sollte man in dieser Gesellschaft weniger zurückhaltend damit sein, jedes Mitglied dieser Gesellschaft darauf hinzuweisen. daß seiner Nutznießung an diesem Kooperationsverband auch Verpflichtungen für diese Gesellschaft gegenüberstehen werden … (z. B. Zahlen von Steuern. Wehrpflicht u. a. m.).“ (ebd. S. 132) Dieses letzte Argument des Soziologen. welches er durch sein Möglichkeitsgefummel vorbereitet hatte, besteht darin, kein Argument zu haben und statt dessen auf eine Tatsache zu verweisen. Daß die Staatsbürger der BRD fleißig wählen – wobei die Institution der Wahl eine Einrichtung ist, die nicht von ihnen geschaffen ist und wenig mit Kooperation zu schaffen hat, wie der Soziologe zugeben muß – ist dem Soziologen kein Anlaß zu einer Untersuchung der Gründe, warum es so ist, weil er zufrieden ist. daß es nicht anders ist. Für seine Parteilichkeit ist nichts anderes erfordert als der Gedanke, daß das was ist in nichts anderem besteht als in der Tatsache, daß es existiert. Und wem dies zu kompliziert erscheint, der sei daran erinnert, daß der Soziologe ganz schön lange gebraucht hat. um die empirische Sozialforschung in der Blüte zu entwickeln, wie das inzwischen der Fall ist und in München vornehmlich in eben diesem Bolte seinen herausragenden Vertreter hat. Der sehr zufriedene Verweis auf die Existenz des Staates als der faktischen Macht, welche die Gesellschaft zusammenhält, bringt zwar keinen Soziologen aus West und Ost zu der Einsicht, daß an seinem Lieblingsproblem „Wie ist Ordnung möglich?“ etwas faul ist, – uns ist er Veranlassung genug, das parteiliche Denken der Münchner Politologie einer Analyse zu unterziehen.
Daß Maier und Sontheimer nichts anderes im Kopf haben als zu feiern, welch prächtige Angelegenheit der Staat darstellt, ist bereits bekannt. Die Frage, die hier interessiert, ist die: Was muß der Politologe mit seinem Gegenstand anstellen, um seiner Parteilichkeit Genüge zu tun? Zweifellos ist Sontheimer derjenige, der von den drei Münchner Antworten auf diese eine Frage der Mann mit der größten Klappe und der geringsten Anstrengung ist. Für ihn ist es unumgänglich, bereits im Vorwort seiner Darstellung der ,,Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik“ zu versichern, daß er nicht dem Leitmotiv der modernen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft zuwiderdenken will („Eine wertfreie Betrachtung unserer politischen und sozialen Ordnung wird ihren wesentlichen Problemen nicht gerecht!“). Aber trotz dieser feinen Proklamation muß man sich fragen, worin denn die „langjährige Beschäftigung mit dem Gegenstand im Rahmen ›seiner‹ Lehr- und Forschungstätigkeit als Professor für Politische Wissenschaft“ bestanden hat. Auf die Gretchenfrage: Warum ist der Staat notwendig? hat er in langjähriger Arbeit nämlich nur eine Antwort gefunden: Weil es ihn gibt. Und diese Antwort ist auch seine Antwort auf gewisse Theorien: „Die linke Demokratietheorie war nicht bereit, empirische Befunde hinzunehmen.“ (Sontheimer, Streit, ebd.) Wahrlich, da hat es sich der Vater dieses Gedankens und gleichzeitig Gründervater der Münchner Politologiegemeinde nicht so einfach gemacht. Er weigert sich geradezu, den empirischen Befund bestimmter herrschender Ansichten über den modernen Staat anzuerkennen. Daß der Staat den Bürgern etwas nutzen soll, daß man als Staatsbürger nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte besitzt, die man dem Staat gegenüber geltend machen kann, darin sieht Voegelin eine entscheidende Herabsetzung der Würde des Staates. Sein Anliegen ist es daher, die Bürger daran zu erinnern, welche Gnade es für sie bedeutet, Untertanen sein zu dürfen. In die Form des parteilichen Gedankens gekleidet, liest sich dies folgendermaßen: „Politische Gesellschaften müssen, um handlungsfähig zu sein, eine innere Struktur besitzen, kraft derer einige ihrer Glieder der Herrscher, die Regierung, die Fürsten, der Souverän, die Obrigkeit etc.. je nach der Terminologie der Zeiten imstande sind, für ihre Befehlsakte regelmäßigen Gehorsam zu finden: und diese Akte müssen den existentiellen Bedürfnissen einer Gesellschaft dienlich sein, wie dem Schutz des Reiches und der Wahrung des Rechts wenn eine mittelalterliche Klassifikation der Zwecke gestattet ist (na klar!). Solche Gesellschaften. die zum Handeln organisiert sind, existieren jedoch nicht von Ewigkeit als kosmische Tatbestände, sondern sie wachsen in der Geschichte. Dieser Prozeß, in dem eine Vielzahl von Menschen sich zu einer handlungsfähigen Gesellschaft gestaltet, soll die Artikulierung einer Gesellschaft. ihr Durchbruch zur historischen Existenz genannt werden. Als Ergebnis der politischen Artikulierung gibt es dann Menschen. die wir Herrscher nennen, die für die Gesellschaft handeln können.“ (Voegelin. Die Neue Wissenschaft der Politik, S. 61) Während der erste Teil dieser Liebeserklärung darauf hinausläuft, daß der Staat ohne die Gesellschaft nicht möglich wäre, weil ihm dann die Möglichkeit abginge. Staat zu sein, läuft der zweite Teil der Hingabe darauf hinaus, daß die Gesellschaft ohne den Staat ebenfalls nichts Rechtes wäre und daß daher Gesellschaften auf ewig Politiker nebst Politologen ertragen müssen. Was beide Teile eint, ist der Satz: Der Staat ist die Bedingung seiner selbst. Wenn das nichts ist! Sohn Sontheimer nimmt den Staat hin, sein Vater gibt sich ihm hin – was macht die Mutter? Sie, weder Kind noch Mann, heißt Kindermann und stellt sich an dieser Stelle nochmals die Frage: „An dieser Stelle ergibt sich die Frage. Was ist Politik, wie kann sie erklärt werden? Für arbeitsteilige Gesellschaftssysteme wird die Politik zur Existenzbedingung dadurch, daß die ständige Erfordernis allgemein oder partiell verbindlicher Regelungen öffentlicher Angelegenheiten der Tatsache eines diesbezüglichen Willenspluralismus und einer Willenskonkurrenz menschlicher Meinungs- und Interessenträger gegenübersteht. Im Hinblick auf diese Willenskonkurrenz erfüllt die Politik die Funktion der Schaffung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Entscheidungen, ohne die arbeitsteiliges gesellschaftliches Handeln nicht möglich ist.“ (Kindermann, Internationale Pol., in: Pol. Wiss. Heute, S. 92) Es ist stets dieselbe krumme Tour. Von der Sache, die zu erklären ist. muß man absehen. Was Politik ist. ergibt sich aus dem, was sie nicht ist: aus der Gesellschaft. Und was es an der Gesellschaft notwendig macht, daß es für sie Politik gibt, ergibt sich nicht aus ihr, sondern daraus, daß es die Politik gibt – eine Sache, die man nur erklären kann, wenn man betrachtet. wofür sie ist ... Immerhin: der Nutzen dieser Denkleistung besteht darin, daß Politik legitimiert ist. Und nicht nur das: Kindermann hat es auch noch geschafft, die väterliche Verherrlichung des Staates ins rechte Licht zu rücken. Es hat noch gefehlt, den Staat daraus zu begründen, daß die Menschen beim Verteilen ihrer Arbeit nicht streiten dürfen! Die Lehre der Münchner Politologie lautet also vollständig: Der Staat ist eine zweckmäßige Einrichtung der Gesellschaft. Und daß diese Lehre kein trockenes, weitabgewandtes Wissen darstellt, wird klar, wenn man ihre fruchtbaren Anwendungen in Betracht zieht. Feierstunden, Schulbücher und Medien sind voll von ihr, Untersuchungen über die Schwankungen des immergleichen Wählerverhaltens gibt es wie Sand am Meer und werden stets von neuem gebraucht. Endlich aber ist die Lehre von der Zweckmäßigkeit des Staates trefflich dafür geeignet, eben diesen Bürgern klarzumachen, daß der Staat bei der Verfolgung seiner Angelegenheiten unter seinesgleichen die Angelegenheiten der Bürger nicht gebrauchen kann – welchen Vorteil Kindermann herauszustreichen versteht: „Ungeachtet (!) ihrer äußerst unterschiedlichen Prozesse der innerstaatlichen Willensbildung treten die Staaten einander im Bereich der internationalen Politik als geschlossene (!) Willenseinheiten und Aktionssysteme mit dem Anspruch auf Gleichberechtigung und Souveränität gegenüber.“ (Kindermann; ebd. S.93) und woraus sich für die Münchner Politologie die bleibende Aufgabe ergibt, mit ihrer Agitation die Erklärung der Zwecke des Staates zu verhindern.
Wenn die Leistung der Münchner Ökonomen, Soziologen und Politologen darin besteht, den Mitgliedern der Gesellschaft darzulegen, daß keinerlei Veranlassung besteht, an den bestehenden Verhältnissen zu zweifeln – die parteiliche Wissenschaft hat bewiesen, daß sie in einer Gesellschaft leben, die ihnen nützt, daß deren Einrichtungen die ihren sind und daß sie einen Staat haben, der für sie sorgt – dann sind die dennoch zutage tretenden gegenteiligen Erfahrungen, Meinungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und Interessen der Individuen für die Münchner Wissenschaft kein Anlaß, ihr falsches Wissen einer Überprüfung zu unterziehen, sondern Probleme, die es im Interesse der Erhaltung des Bestehenden zu berücksichtigen gilt. Daß die Bestimmtheit all dessen, was die Individuen äußern: wünschen, denken, wollen, tun, nichts anderes ist als die Fähigkeit, sich zweckmäßig zu verhalten, daß also die Formen menschlicher Subjektivität als Leistungen zu betrachten sind, von deren Funktionieren manches abhängt – dies zu beweisen steht nun an. So überrascht es nicht, daß dem modernen Pädagogen aus München an der Erziehung, wie sie sich in Familie oder Schule abspielt, vor allem die Wirkungen erzieherischen Handelns interessieren: „Erzieherische Handlungen. Lob und Strafe. Anerkennung. Tadel. Gespräche haben Folgen Auch wenn der Erzieher absichtslos reagiert (!), bewirkt er etwas: es mag erwünscht oder unerwünscht, gut oder schlecht sein. Für den Erzieher sind die unmittelbaren Folgen meist so, wie er sie sich wünscht: der aufsässige Schüler bekommt Strafarbeit oder Verweis und hat fürs erste genug, der Vater klebt seinem maulenden Sohn eine und sieht sich wieder respektiert, die Mutter droht mit Fernsehentzug und hat für eine Weile ein gehorsames Kind.“ (Schiefele, Die Erziehungswelt kann verbessert werden, ebd ) Diese aufgeführten erzieherischen Maßnahmen sind dem Professor Schiefele nicht etwa Anlaß, Lehrer, Vater und Mutter zu erklären, worin der Charakter ihrer Maßnahmen bestanden hat. Sein Anliegen ist ganz im Gegenteil, die Objektivität von Lob, Strafe. Anerkennung etc. zu leugnen, um an ihnen geltend zu machen, sie seien Äußerungen pädagogischer Grundsätze: „Im einzelnen erzieherischen Akt äußern sich pädagogische Grundsätze, auch dann, wenn die Erziehenden kaum darüber nachdenken. So kann es sein, daß im Augenblick für den Erzieher wünschenswert erscheint, was dem Kind nicht nützt oder gar schadet und was er eigentlich nicht w ill. Die drei erwähnten Beispiele sind von der Art. In ihren unmittelbaren Konsequenzen erfolgreich, bringen sie den Betroffenen kaum voran.“ (ebd.) Die „Grundsätze“, die Schiefele hier feststellt, lösen sich demgemäß in den einen Grundsatz auf. daß Erziehung, so wie sie existiert, auf ihre Brauchbarkeit zu befragen ist. Daß Anerkennung. Dressur und Strafe nützliche Erziehungsmethoden sind, steht für Schiefele außer Frage, aber sie müssen kritisch angewendet werden, weil er fürchtet, daß sie ihre Wirkung verlieren, wenn sie nicht mit bestimmten Einstellungen verbunden sind. So ist Schiefeles Parteilichkeit ein Plädoyer für „bewußtes erzieherisches Handeln. Nichts, natürlich(!), gegen unmittelbare Zuwendung. Anerkennung oder spontane Liebesbeweise, aber alles gegen die Dressur aus Gewohnheit, gegen die Strafe aus dem Affekt oder gegen blindwütigen Ausbruch. Erzieherisches Handeln fordert Nachdenken, Urteil. Wer urteilt, braucht Maßstäbe.“ (ebd.) Der Maßstab, den der moderne Pädagoge in der Erziehung angewendet wissen will, enthüllt, daß es ihm nur in einem Sinn auf die „heranwachsende Generation“ ankommt. Ihre Erziehung hat sie dazu zu bringen, sich erstens mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden (nicht etwa sich in ihnen zurechtzufinden!) und zweitens hat sie die Funktion, an ihnen eine Abstraktion zu vollziehen: die Fähigkeit, sich zu verhalten. „Erstens“ und „Zweitens“ sind durch ein zufälliges „und“ verbunden. „In einer Situation der religiösen, ethischen. politischen, sozialen ästhetischen Vielfalt von Überzeugungen kann von Staats wegen (!) nur die negative Form, die Grenze behauptet werden. Sie liegt dort, wo der einzelne in Entscheidung und Handeln den Bestand der demokratischen Lebensordnung und die darin Lebenden gefährdet. Und (!) es kann als allgemeines Ziel nur gelten, daß der heranwachsende Mensch zunehmend, und so bald als möglich in den Stand gesetzt werde, Einsichten zu gewinnen, zu urteilen, zu bewerten und zu entscheiden.“ (ebd.) Daß die erzieherischen „Akte“, von denen Schiefele ausgeht und um deren Nützlichkeit es ihm geht, bestimmte Einsichten, Urteile und Entscheidungen sind, welche in der Erziehung angeeignet werden davon will der Pädagoge nichts wissen. Vielmehr führt ihn das praktische Interesse seines Ideals, welches er in Abstraktion von Erziehung gewonnen hat und seine Parteilichkeit für die Herstellung eines fähigen Individuums für die Gesellschaft repräsentant, zu der Anstrengung, sich nach den Bedingungen, Voraussetzungen und Möglichkeiten der Fähigkeit „Verhalten“ umzusehen. So ist die Umkehrung des Satzes, daß Lob, Strafe, Gespräche usf. Äußerungen pädagogischer Grundsätze seien, die fruchtbare Anwendung des soziologischen Geschäfts: „Menschliches Lernen ist von Beginn des individuellen Lebens an ein Prozeß, in dem Erwachsene (Erfahrene(!), Lehrende) und Heranwachsende (Unerfahrene, Lernende) in Beziehung zu einander treten. Dieser Bezug (Interaktion) zielt auf Verhaltensaufbau und Verhaltensveränderung der heranwachsenden Generation. Interaktion bedeutet. … Die Schule ist die wichtigste gesellschaftliche Einrichtung (!), die neue und weiterführende Lernmöglichkeiten bereitstellt(!).“ (Schiefele, Einf. in die Erziehungswiss., S. 5) In einem modernen Pädagogiklehrbuch finden sich daher nicht bloß diese Auflösungen des Lernens in eine Interaktion, in den Gegensatz von Erfahrung und Unerfahrenheit, die Verwandlung des Zwecks der Erziehung in die Veränderung von Verhalten (Daß Erziehung eine menschliche Aktivität ist; - wer wollte dies bestreiten, wiewohl es eine tiefschürfende wissenschaftliche Einsicht nicht darstellt. Was die Parteilichkeit des modernen Wissenschaftlers aber interessiert, ist gar nicht diese Banalität, sondern die interessierte Anwendung der Betrachtungsweise, Erziehung als eine Aktivität zu untersuchen, die als Aktivität von tausend Bedingungen abhängt, welche wiederum x-Zusammenhänge möglich machen, die ihrerseits unter nicht nur einem Gesichtspunkt subsumiert werden können usf.). Man trifft hier ebenso auf die allseits beliebte Fälschung des Grundes, warum ein Menschenkind lernt – „Da dem Menschen nur wenige lebenserhaltende Verhaltensformen umwelttauglich(!) angeboren sind, muß er lernen.“ (Schiefele, ebd. S. 36) als auch auf die gleich nachfolgende umgekehrte Ableitung des Lernens aus der Komplexität der Lebenswelt, die nebenbei das Geheimnis der Geschichte vom Standpunkt der Pädagogik offenbart: „weil der Mensch nicht auf natürliche Umwelten stereotyp festgelegt ist, deshalb ist seine Lebenswelt veränderbar und wurde im Lauf der Geschichte ständig komplexer. Der Mensch muß daher unvergleichlich viel lernen.“ (ebd. S. 36) Neben diesen soziologischen Weisheiten besteht die Pädagogik noch aus einer Sammlung der Errungenschaften der Linguistik, die es statt auf die Lernfähigkeit auf die Sprachfähigkeit abgesehen hat, woraus sich die Zusammenarbeit beider ergibt, sowie Chromosomentafeln und Berichten von Versuchen mit Affen und Ratten, kurz moderner Psychologie.
Die Psychologie hält demgemäß ein Wissen bereit, welches dem Zweck der Pädagogik, die auszubildende Individualität für die „Komplexität der Lebenswelt“ herzurichten, dienlich ist. Und daß die moderne Psychologie sich zur Betrachtung der psychischen Formen und Prozesse genötigt sieht, das Verhalten von Ratten und Mäusen zu untersuchen, bringt sogleich zum Vorschein, daß ihr ausgeprägtes praktisches Interesse für die Beschädigungen, die die Menschen seit ungefähr 300 Jahren durch die „Komplexität der Lebenswelt“ erleiden, nicht gerade das Interesse an der Erklärung des menschlichen Leidens ist. Der Grund liegt darin, daß moderne Psychologen wie die aus München ihren Kopf voll haben mit dem Interesse, zäh an dem Fehler festzuhalten, die Subjektivität des Menschen als ein System von Leistungen, Fähigkeiten, Funktionen zu identifizieren. Wenn es zum Beispiel um die Angst geht, welche nicht zuletzt in der Schule massiv auftritt, so geht s nicht um deren Erklärung, sondern darum, daß sie eine Reaktion ist, die ihren Ursprung im menschlichen Verhaltenssystem hat: „Wir gingen von der Überlegung aus, daß Angst eine Reaktion ist und daß diese Reaktion sich hauptsächlich in folgenden drei Verhaltenssystemen äußert: dem verbalen (kognitiven), dem motorischen und dem somatischen. Wir hypostasieren, daß keines dieser Systeme vorrangig ist oder eine spezifische kontrollierende Funktion über die anderen Systeme ausübt.“ (Therapie der Angst, Her. Florin Tunner, S. 52) Diese Frechheit moderner Psychologen, die falsche Angabe dessen, was Angst sein soll, mit der Erklärung zu verbinden, man wolle gar nichts Genaueres über sie wissen, gestehen sie selbst voller Stolz ein: „da unser unmittelbares Ziel, die empirische Überprüfung eines Behandlungsparadigmas war, versuchten wir, so wenig (!) Vorannahmen wie möglich zu machen, um unsere Angstmaße nicht zu stark auf spezifische Theorien und Konzeptionen auszurichten.“ (ebd.) Weil der Gegenstand ein so geduldiges Wesen ist (besonders der Mensch), ist nichts dagegen zu unternehmen, daß trotz des Nichtwissens über die Angst diese offenbar gemessen werden kann in Graden. Und um die Angabe des Nutzens einer Therapie, der eine falsche Theorie des zu behandelnden Phänomens zugrundeliegt und auf der Gewißheit beruht, daß die Leistungen der Subjektivität darauf getestet werden kann, was sie so alles aushalten und bringen kann um die Angabe des Zwecks einer solchen Veranstaltung wie der „Systematischen Desensibilisierung“ (Angsttherapie) ist die Parteilichkeit eines Psychologen nicht verlegen: „Der Begriff »Systematische Desensibilisierung« legt Mißverständnisse nahe. Er könnte zu der fälschlichen Meinung führen, daß durch diese Behandlungsmethode eine Verringerung der Sensibilität des Individuums angestrebt werde. In Wirklichkeit wird jedoch die Wahrnehmungsfähigkeit nicht herabgesetzt, sondern spezifische Ängste, die eine undifferenzierte Wahrnehmung der phobischen Situationen bedingen und oft sensibles Reagieren auch in anderen Erlebnisbereichen erschweren, werden durch diese Behandlung aufgehoben. Das heißt, daß die Sensibilisierung nicht zu Abstumpfungseffekten führt, sondern im Gegenteil zur Sensibilisierung beiträgt und so die Grundlage für eine Erweiterung der Erlebens und Verhaltensmöglichkeiten schafft.“ (ebd. S.1) Nachdem nun durch die Leistungen der modernen Wissenschaft, wie sie in München betrieben wird, bewiesen ist. daß das, was die Subjekte dieser Gesellschaft in ihrer Erziehung mitmachen müssen, was sie reden, denken und fühlen und das, worunter sie leiden, nichts anderes ist als die Erfahrung einer Gesellschaft, die der menschlichen Subjektivität adäquat ist und andererseits die Anstrengungen von Pädagogen, Sozialisationsforschern und Psychologen, die in München hausen, darauf gerichtet sind, die Leute für eine Gesellschaft funktionell zu machen, die ihnen schon entspricht, bleibt nichts mehr anderes zu tun, als diese Leistung konservativer Wissenschaft gehörig zu feiern.
1.Teil Das Erscheinen der Autobiographie des Dramatikers Ernst Toller war für den Germanisten Frühwald ein Anlaß, diese „wissenschaftlich“ zu analysieren. Er hebt auf folgende Weise an: „Von Ernst Toller, einem in alle Weltsprachen übersetzten Autor, der vielen noch heute als der bekannteste deutsche Dramatiker der Weimarer Republik gilt, konnte man im nationalsozialistischen Deutschland im Grunde nur (!) erfahren, daß er einer jener »Literaturjuden« sei. von deren Einfluß man die deutsche Literatur befreien müsse, daß er eine »Weltberühmtheit« sei und daß er neben seiner bis zu einem gewissen Grad ehrlichen jüdischen Sentimentalität den üblichen Haß der fremden Rasse gegen das Deutschtum hege.“ (Frühwald. Exil als Ausbruchsversuch. Ernst Tollers Autobiographie) Was erfahren wir über Toller nach der Befreiung vom Faschismus? Von Frühwald erfahren wir folgendes: „Die Autobiographie hat Toller dem Problembereich der Trennung von Geist und Gesellschaft, einer modernen Variante der Macht-Geist-Problematik, eingeordnet und damit bezeugt, daß er die »Auswanderung der Dichter«, ihr inneres und äußeres Exil zur Symptomatologie des Poetischen rechnete. Das an der abendländischen Kultur- und der poetischen Exiltradition orientierte Zitat belegt auch den Grad der Stilisierung eines Werkes, das gewöhnlich als eine zeitgeschichtliche Quelle mißverstanden wird, dessen Reiz aber in der Mischung von Autobiographie, Historizität und Stilisierung begründet ist.“ (ebd.) Wie man sieht, erliegt Frühwald nicht der Gefahr, die Gegnerschaft des Faschismus zu Literaten wie Ernst Toller als ein „zeitgeschichtliches Phänomen“ zu mißdeuten. Was ist der faschistische Terror denn auch anderes als ein grandioses Mißverständnis der Literatur und wer käme schon auf den Gedanken, Tollers Exil wäre nur ein „äußeres“ und überhaupt kein poetisches, sondern ein politisches Ereignis? – Dem Münchner Literaturwissenschaftler kommt also nicht das Verdienst zu, in dieser Autobiographie den Grund zu entdecken, warum Faschisten nicht bloß mit ihren Gegnern, sondern auch mit Künstlern kurzen Prozeß machen und andererseits das reichliche Material dieses Werkes für den Nachweis zu verwenden, daß das humanistische Geschwafel des Ernst Toller nicht nur nicht die Kritik am Faschismus darstellt, sondern das gar nicht erhabene Einverständnis mit den Verhältnissen, die ihn nicht dulden. Wie sollte Frühwald auch, ist ihm doch die Autobiographie nichts anderes als eine „reizvolle Mischung“ und daher das Verbot, sich in irgendeiner Weise erklärend an den Gegenstand heranzumachen. Wie jedes andere Stück Literatur, ist dem Münchner Literaturwissenschaftler eine Autobiographie etwas Unantastbares, ein Material für sein lausiges Interesse, gegen alle Welt den Künstler hochzuhalten und dessen gängiges moralisches Einverständnis mit der Realität zu preisen. Wie schön ist es für einen Burschen wie Frühwald, daß es den Faschismus gibt – wie fein kann man daran demonstrieren, daß Leute wie Toller gewisse Illusionen aufgegeben haben, die sie immer schon hatten: „Er relativierte schon 1922 den Glauben an das sozialistische Paradies der Zukunft und identifizierte den Proletarier mit dem leidenden Menschen schlechthin.“ (ebd.) Und daß Toller 1939 Selbstmord beging – wie schön paßt dies zur „Symptomatologie des Poetischen“, zum Problembereich der Trennung von Geist und Gesellschaft! So schreckt diese ... nicht davor zurück, schließlich den Selbstmord („Freitod“) Tollers als Demonstration dafür zu verwenden, daß gegenüber dem Faschismus („übermächtige Zwänge“) eben nichts anderes geht, als sich selbst aus der Welt zu schaffen – und dies als Akt der Bewahrung der Freiheit zu feiern: „Ernst Toller blieb, wie vielen dieser Autoren, nur noch der Freitod als letzte Demonstration der Freiheit gegenüber einer Welt der übermächtigen Zwänge, nachdem in den deutschen Konzentrationslagern manchem früheren Kampfgefährten des Autors auch dieser Fluchtweg schon genommen war.“ (ebd )
„Wohin gehört nun die Frage nach dem Menschen und seiner Gemeinschaft?“ (M. Müller, Phil. Anthropologie, S. 21) Das erste, was der Philosoph darüber weiß, ist die Erinnerung an eine alte Weisheit: „Der Mensch ist ein Seiendes unter Seiendem.“ (ebd.) Das ist wahr, wie es unleugbar ist. daß Müllers Fortgang kein Gramm Wahrheit enthält: „Wenn wir ihn betrachten wollen, dann müssen wir die Wesenshinblicke, unter denen er betrachtet werden kann, die Bezirke, die Regionen, in denen er steht, selbst wieder betrachten, um so zu seinem Wesen zu kommen. Und da ergibt sich nun das Erstaunliche: Wir können dem Menschen kein bestimmtes Wesen zuordnen …“ (ebd ) Diese Betrachtungsweise macht klar, daß alte Metaphysik und modernes Philosophieren Gegensätze sind: daß das Erstaunliche hier nicht dem Menschen zukommt, sondern das Resultat der Weigerung der Philosophen ist, das Wesen des Menschen zu erfassen und daß drittens das Prinzip, aus dem, was der Mensch ist, seine Unbestimmtheit zu folgern, ein ungemein schöpferisches Prinzip ist. welches die Freiheit gegenüber dem Gegenstand erlaubt, ihm anzudichten, was dem Denker so einfällt: „Er gehört nirgends hin. nirgends ist er beheimatet, nirgendwohin einzig zugehörig, denn er ist der, der alle Bezirke überschreitet, indem er sie selbst wieder bedenket und weiß ... (Das soll uns Müller einmal vormachen!). Er ist zu Hause in vergangenen Welten, in jetziger und zukünftiger, d. h. aber in keiner bestimmten Welt. (Wie das?) Er überschreitet alles Bestimmte. Er überschreitet jeden Wesensbezirk, er gehört zur Natur, er ist ein Lebewesen mit in der Entwicklungsgeschichte langsam (!) entstandenen und herausgebildeten Eigenschaften: und (!) er ist der, der die Natur erforscht, der die Natur bedenkt, der die Natur verändert. der über der Natur seine zweite Natur, die Kultur, errichtet. Er lebt aus dem, was er biologisch ist (!), und trotzdem (!) ist das Biologische ein von ihm experimentell dauernd zu Veränderndes, und zwar in biologischer wie in kulturell-soziologischer Hinsicht. Heimatlos ist er, weil kein Bezirk und keine historische Welt ihn ›halten‹ kann, weil er sie immer überschreitet, transcendit.“ (ebd.) Dem Philosophen, der solch Einfälle auf mehr als 300 Seiten zu Papier bringt, ist erst einmal zu bescheinigen, daß er nichts weiß. Daß er jedoch von Vergangenheit und Zukunft, von Natur und Kultur etc. nichts weiß, hindert ihn keineswegs daran, mit seiner Betrachtungsweise, die verschiedene Aspekte des Gegenstandes aufführt und mit einem „und“, „trotzdem“ und „aber“ verbindet, ein Ziel zu verfolgen: Die Ideologie zu propagieren, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse ein Produkt der Natur sind, daß der Mensch also ein natürliches Wesen ist. Und zweitens hindert ihn der Subjektivismus seiner denkerischen „Leistung“ auch nicht daran, seine interessierte Betrachtungsweise polemisch gegen die Wissenschaft zu wenden und sie in Anlehnung an eine Philosophie, mit der seine Umtriebe nichts zu tun haben, als die wahre auszugeben: „Und daher kann nur eine Betrachtung den Menschen überhaupt als das, was er ist und sein soll (Danke!), in den Blick bekommen, und die nennen wir die transzendentale.“ (ebd.)
Wenn das, was Müller uns geboten hat, keine Metaphysik ist, dann ist anzunehmen. daß sie in einer modernen Universität keinen Platz hat. Es wäre also nicht unnütz, zu erfahren, worin das Wesen der Metaphysik besteht, um zu erklären, warum sie in München geschmäht wird. Fragen wir also den Wissenschaftstheoretiker: Was ist Metaphysik? „Was ist Metaphysik? Der Sinn der Frage kann nur sein: Was wollen wir unter »Metaphysik« verstehen? Es gibt kein Kriterium für die Richtigkeit der Antwort und nur ein angenähertes für ihre Adäquatheit, wir müssen gleichermaßen der Tradition im Sprachgebrauch wie sachlichen Problemen gerecht werden.“ (Stegmüller, Glauben, Wissen, Skepsis, Schlußwort) Der „Sinn“ dieser Antwort ist klar. Metaphysik ist. etwas, das es einmal gegeben hat. Worin aber dieses traditionelle Wissen bestand, weiß man nicht. Ich, Stegmüller, will es auch gar nicht wissen, denn ich habe mir einige Vorschriften ausgedacht, die man zu beachten hat, will man diese Frage überhaupt stellen. Die Frage gilt nämlich nicht der Metaphysik, sondern hat einen Sinn. Und der Sinn der Frage besteht darin, daß ich, Stegmüller, ein Gegner der Metaphysik, meine Abscheu vor dieser Sache bekunde. Die Antwort, die Stegmüller liefert, enthält das Kriterium, daß seine Kriterien für Wissenschaft nicht der Metaphysik entsprechen und daher letztere nicht bestimmt werden kann. Im Detail geht das so: „Eine Bestimmung des Begriffes von der Gegenstandsseite her ist ausgeschlossen die Beschränkung auf das nicht Erfahrbare ergebe einen zu engen Begriff, die Einbeziehung empirischer Objekte beseitigte die Grenzen von Metaphysik und Erfahrungswissenschaft.“ Diesem wissenschaftlichen Verfahren, den Begriff der Metaphysik dadurch zu geben, daß man sich ihren Gegenstand anguckt, um anschließend der Metaphysik seinen Widerspruch anzuhängen, sich nicht vorstellen zu können, daß Wissenschaft um des Erfahrbaren willen nicht bei der Erfahrung verbleibt, fügt der Wissenschaftstheoretiker noch ein zweites Beispiel seines Kampfes gegen eine vergangene Sache an: „Eine Definition vom Urteil oder (!) Satz her muß (!) am Unterschied »analytisch-synthetisch« anknüpfen. An diesem Unterschied bleibt der Versuch hängen. Was ein analytischer Satz ist, konnte bis heute niemand sagen, weder für nichtformalisierte Gedankengänge noch in bezug auf formalisierte Sprachen. Es ist daher zwecklos, etwas zu sagen: metaphysische Sätze sind jene synthetischen Aussagen, deren Wahrheit man ohne Heranziehung der Erfahrung feststellen kann.“ (ebd.) Wir wünschen Stegmüller, daß er an diesem Problem, das einzig und allein seiner Irrationalität entspringt, sein ganzes Leben lang hängt. (Auch das ist eine Leistung moderner Wissenschaft: Man stellt eine Vorschrift auf. an der Metaphysik gemessen werden soll, stellt dann fest, daß man keine Lust hat, seine eigene Vorschrift zu erfüllen und lastet dies der untersuchten Sache an!) Inzwischen können wir uns damit beruhigen, daß es Denker gab. „Das Problem der Metaphysik“ zieht sich auf die Frage zusammen, ob es eine Evidenz gibt oder nicht.“ (ebd.) Die Leistungen der Münchner Wissenschaft ziehen sich keineswegs auf die Frage zusammen, ob es sie überhaupt gibt. Vielmehr haben wir gesehen, daß Kunstwissenschaft und Philosophie dem falschen Wissen, das die moderne Wissenschaft repräsentiert, zwar kein neues Wissen hinzufügt, aber doch einige nützliche Anstrengungen bereithält, an diesem Wissen keinen Zweifel aufkommen zu lassen und – positiv es zu legitimieren. Die Welt ist in Ordnung. Sie ist tragisch. sagt die Literaturwissenschaft: sie kann nicht erklärt w erden, sagt der Philosoph: und sie darf nicht erklärt werden, sagt der Wissenschaftstheoretiker und fügt hinzu: Gewißheit gibt es nicht, denn der Mensch ist ein endliches Wesen. Und so ruft er zum Schluß zur Toleranz auf.
Diesen Aufruf zur Toleranz hat nicht bloß der Wissenschaftstheoretiker nötig. Denn so zufrieden die Münchner Wissenschaft mit ihrer Leistung auch sein mag, verschweigen läßt sich nicht, daß diese Anstrengung auf einer groben Einseitigkeit beruht und daher das Gegenteil ihrer Parteilichkeit auf den Plan ruft. Wenn die Münchner Wissenschaft bewiesen hat, daß in der gesellschaftlichen Realität kein Widerspruch zu entdecken ist, so weist der unzufriedene Kritiker darauf hin, daß dieser Beweis nur unter Abstraktion der bestehenden Gegensätze, Benachteiligungen, Dysfunktionalitäten zustande gekommen ist. Der Vergleich der Parteilichkeit der Münchner Wissenschaft mit der Realität läßt daher nicht wenige Studenten und Assistenten darauf verfallen, die Fehler der modernen Wissenschaft kritisch anzuwenden und der konservativen Universität vorzuwerfen, sie genüge den Erfordernissen moderner Wissenschaft nicht: sie sei veraltet. So läßt sich geltend machen, daß die moderne Sprachwissenschaft in München äußerst unterentwickelt ist (und vornehm verschweigen, daß die Grundkurse schon voll von diesem Zeug sind); so läßt sich weiterhin fragen, ob es nicht notwendig wäre, den Umfang des Philosophenbetriebs zugunsten einer Erweiterung und Verbesserung der Ausbildungsgänge für Lehrer einzuschränken ... Aber die kritische Reflektion der Einseitigkeit der Parteilichkeit Münchner Wissenschaft bringt noch mehr ans Tageslicht als diese Modernisierungsvorschläge, die sich beliebig erweitern lassen. Wenn die moderne Ökonomie zeigt, daß der bestehende ökonomische Zusammenhang einer des Nutzens ist, dann muß eine Ökonomie her, die sich Strategien für den Zweck ausdenkt, die Nützlichkeit für alle sicherzustellen und nicht nur für die Monopole; der kritische Soziologe stimmt dem Lehrsatz der Bourgeoisie zu, daß die Gesellschaft, in der wir existieren, eine zweckmäßige Ordnung darstellt – nur müssen die unbestreitbar Benachteiligten, Vernachlässigten auch was von dieser Gesellschaft haben. Konflikte, so erklärt er, haben auch ihre Funktion – und zwar fortschrittliche – für die Erhaltung der Gesellschaft. Und gerade weil der Staat etwas darstellt, was die Bürger brauchen, ist es notwendig, auf die bestehende Machtverteilung, auf die Ohnmacht des Parlaments und auf die Unterdrückung einer nicht bloß affirmativen, sondern kritischen Öffentlichkeit hinzuweisen und auf eine Verbesserung der Brauchbarkeit des Staates hinzuwirken. Und auch die Weise, in der in München die Friedensforschung betrieben wird, ist unbefriedigend: Schmählich wird unterschlagen, daß Kriege auf gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen sind und eben nicht aus dem autonomen Handeln der Staatsmänner zu deduzieren sind … Einen kritischen Pädagogen schließlich kann der Verweis au£ die Beschränkungen, welche die Realität solchen Idealen wie der der Mündigkeit des Individuums auferlegt, nicht schrecken. Im Verein mit dem kritischen Psychologen kommt er darauf, daß die Fähigkeit zum Verhalten selbst ein unkritisches Ideal darstellt, welches im Widerspruch zum Ideal der Mündigkeit steht und daß daher ganz andere Fähigkeiten zu erwerben sind: die Fähigkeit die Gesellschaft radikal in Frage zu stellen: Dafür ist eine kritische Theorie des Subjekts zu verfertigen, die über die Beschränktheit der Verhaltenstherapie hinausgeht, und die erlaubt, das menschliche Leiden für den Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse zu funktionalisieren, statt es zu betäuben. Und dann sind auch Kunstwissenschaft und Philosophie nicht nur dazu da, reaktionären Interessen zu dienen. Aus dem Müller-Zitat läßt sich ohne viel Aufhebens ein Stück kritischer Theorie machen, wenn man nur an den entsprechenden Stellen mit der Natur ein wenig anders umgeht und aus der Stegmüllersehen Abhandlung über das Wesen der Metaphysik läßt sich durch geschicktes Einfügen bestimmter Wörter und Begriffe ein Text mit dem Titel: „Möglichkeiten und Grenzen des modernen Metaphysikgedankens bei Kant und Marx“ verfassen, ohne daß der Gehalt, die Negation von Wissenschaft, dadurch berührt wäre – im Fall der kritischen Diskussion geht's halt gegen den guten alten Marx … Wenn also die konservative Wissenschaft an sich selbst eine Parteilichkeit erzeugt, die in Gegensatz zu ihr tritt, ohne ihre Widerlegung zu sein, warum wimmelt es in München nicht von kritischen Studenten und Assistenten? Wenn der Standpunkt der Unzufriedenheit, für die Erhaltung der bestehenden Verhältnisse dadurch Partei zu nehmen, daß man für ihre Veränderung sich stark macht, ein berechtigtes Interesse ist, warum geht der Münchner Ausbildungsbetrieb immer noch nach der Parole Leistung, statt: Interesse? Die bayerische Bildungspolitik des Herrn Maier gibt die Antwort, daß die Erhaltung der Einheitlichkeit der Münchner Wissenschaft nicht Resultat einer Diskussion von Wissenschaftlern ist, sondern der Absicherung durch staatliche Gewaltmaßnahmen bedarf – was allerdings manche Leute nicht davon abhalten mag, stets von neuem um die Berücksichtigung ihres kritischen Interesses zu betteln. Und wenn es in München einige gibt, die erkannt haben, daß die Parteilichkeit konservativer und kritischer Wissenschaft auf ein und denselben Zweck hinausläuft: das Funktionieren des Kapitalismus (und daher andere Sorgen haben, als durch ihre Tätigkeit den Gegensatz beider am Leben zu erhalten), so liegt das daran, daß an dieser Universität kommunistische Hochschulpolitik praktiziert wird. ___________________________________________________ (1) Hans Schiefele, Professor für Pädagogik, Vertreter der Motivationstheorie aus: MSZ 11 – Juni 1976 |