Nachträge zum Artikel „Die Krise“
1. Götter, Gräber und Gelehrte
Derselbe Gelehrte, der es in einer Fernsehansprache zum Reformationstag fertig gebracht hatte, die Kurve vom Protestantismus zur Reformpolitik zu kratzen und in einer anderen Fernsehansprache Sorgen um den politischen Stil äußert, weil er Angst hat, die Fehden zwischen den politischen Lagern könnten das Vertrauen der Bürger in ihren Staat erschüttern, läßt sich an einem anderen Wochenende weitere 2000 DM von der Süddeutschen Zeitung überweisen für einen Artikel mit dem Titel „Allenthalben das Gerede von der Krise“. Darin beschimpft er Leute, die sich um eine Erklärung der Krise bemühen, allerdings nicht mit Argumenten, die deren durchaus vorhandene Fehler aufzeigen, sondern mit der Behauptung, die eigentliche Krise liege im Gerede über sie. Vor diesem Gerede warnt er und appelliert an seine Leser, sie möchten doch über der Krise nicht die Gefahren aus den Augen verlieren, die der Ordnung drohen, welche Krisen verursacht und von ihren Opfern Tapferkeit verlangt.
2. Wissenschaftstheoretische Umweltverschmutzung Der gängige Vorwurf linker Wissenschaftler, die bürgerliche Wissenschaft sei praxisfern, wird selbst noch durch jene Exemplare bourgeoisen Denkens widerlegt, die mit den alltäglichen Problemen der Massen nichts zu schaffen haben. Kein geringerer als Münchens Oberwissenschaftstheoretiker Stegmüller macht sich in der Einleitung seines neuesten wissenschaftsfeindlichen Werkes Gedanken darüber, was er als Philosoph „heute bei der Bewältigung der Aufgabe, eine Chance für das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten zu bewahren,“ tun kann. Getreu diesem weltergreifenden Katastrophengedanken findet er für die Störung des „Systems der Wechselwirkung und Rückkoppelung“ zwischen Mensch und Natur einen viel einleuchtenderen Grund als die gängigen Entschuldigungen des Kapitalismus (z, B. durch das Gejammer über Umweltverschmutzung). Er sieht den Grund alles weltlichen Übels in der „semantischen Verschmutzung der geistigen Umwelt des Menschen, des einzigen redenden und systematisch Symbole benutzenden Wesens.“ Beredt weiß er die Gefahren zu beschwören, die in der „semantischen Atmosphäre, bestehend aus einem Meer von Wörtern, Überzeugungen und Ideologien“ lauern. Natürlich stört ihn nicht die Tatsache, daß der Mensch redet, sondern daß er im Sprechen seinen Willen kundtut. Und da sieht es schlecht aus: „In der semantischen Umgebung mit der ideellen Nahrung als 'Eingabe’ (input) und verbalen Äußerungen als 'Ausgaben’ (output) haben vor allem auch die an die Einzelmenschen gerichteten, einander widersprechenden Imperative oder Ansinnen ihren Ursprung.“ Und weils ihm um die Ausräumung gefährlicher Imperative oder Ansinnen zu tun ist, verwandelt er selbst so handfeste Dinge wie Staaten und Nationen in Ergebnisse der Tatsache, daß die Menschen schon immer gern geredet haben. Dieser soziologische Exkurs a la München hört sich so an: „Die außerordentliche Komplikation dieser Problematik entsteht dadurch, daß die semantische Verschmutzung schon längst zu einem bestimmenden Faktor der Vorgänge in menschlichen Sozietäten geworden ist. Denn Staaten und Nationen sind keine natürlichen Kollektive, wie tierische Herden und Schwärme, sondern selbst der Effekt endlos langen Symbolgebrauchs. Und das, was sie wirklich sind, ist wesentlich dadurch bestimmt, wie darüber gedacht wird, was sie sind.“ Solch offenkundiger Blödsinn dient zu nichts anderem, als den Leuten einzureden, sie kämen mit dem Staat zurecht, wenn sie nur eine andere Einstellung zu ihm hätten. Diese Lüge gesteht er selbst ein, wenn er gleich im nächsten Satz verlangt, sich mit der durchaus realen und gar nicht lustigen Macht des Staates abzufinden: „Macht hat nun nicht nur die längst beobachtete Tendenz zu korrumpieren, sondern die nicht weniger verhängnisvolle Neigung, sich nur durch Konflikte zu bewahren und zu vergrößern.“ Nach diesem Ausflug in die Welt des Faktischen schaltet sich erneut die verschmutzte semantische Atmosphäre des wissenschaftstheoretischen Kopfes ein und entlädt sich in einem gewitterschwülen Geistesblitz: „So schaltet sich die verschmutzte semantische Atmosphäre mit ihren unsichtbaren Polypenarmen nicht nur in die bestehenden Regelkreise ein, sondern entwickelt und entfaltet selbst ein unendlich verzahntes kybernetisches System zur eigenen Erhaltung und Entwicklung.“ Immer dann, wenn Philosophen dokumentiert haben, daß es ihnen um das Ausräumen praktischer Probleme nicht geht, steht die Diskussion des Theorie-Praxis-Problems an. Auch Stegmüller macht darin keine Ausnahme, auch wenn es hier nur um die Säuberung dreckigen Denkens geht: „Damit erhält das uralte Problem, richtige Erkenntnisse in Handlungen Umzusetzen, gegenüber der semantischen Verschmutzung ein Riesengewicht.“ Die Lösung diese Problems gestaltet sich recht einfach: Erstens wirft er Berufskollegen, wie z. B. den Friedensforschern vor, daß sie zuwenig praktisch sind und nichts bewirken. „sich durch Analogieschlüsse zum 'natürlichen’ Fall verleiten zu lassen und zu meinen, man könne dieser Schwierigkeiten ähnlich Herr werden, wie man mit den Problemen der Luft und Wasserverschmutzung fertig werden kann.“ Dagegen sprechen nämlich „Gehirnwäsche und Maßnahmen zur ‘Reinhaltung der Weltanschauung’, wie sie von totalitären Staaten her bekannt sind.“ und nicht zuletzt, „daß wir über die zu verfolgenden Ziele selbst weitgehend im Unklaren sind“, was zuguterletzt auf das Bekenntnis des Wissenschaftstheoretikers zum Nichtwissen hinausläuft; „daß wir hier, wie auch überall sonst, nicht auf festes Wissen sondern auf bloß hypothetisches Raten angewiesen bleiben“, weil alles so kompliziert ist, „daß wir die Konsequenzen dessen, was geschehen könnte, nur vage und unvollständig zu überblicken vermögen.“ Mit dem Beweis, daß es praktisch nichts zu tun gibt, kann die wissenschaftstheoretische Umweltverschmutzung zum Abschluß gebracht werden: „Was kann der Philosoph in einer solchen Situation überhaupt tun?“ Die Antwort auf die Frage ist die Wiederholung dessen, was er getan hat. Er hat die Probleme der Menschheit zum Anlaß genommen, um die Rechtmäßigkeit seines Irrationalismus zu legitimieren. Sein Rückzug von den irdischen Problemen wird dabei von Stegmüller nur deshalb vorgeführt, weil er es auf einen irdischen Zweck abgesehen hat; den Leuten einzutrichtern, daß sie Einigkeit darin beweisen müssen, sich keine Besserung ihrer Lage zu versprechen:
Daß dieser Entdecker der „semantischen Verschmutzung“ nicht von ungefähr gerade an Münchens Universität über einen angesehenen und mit vierzehn Assistenten hochdotierten Lehrstuhl im Fachbereich „Wissenschaftstheorie und Statistik“ verfügt, werden wir in der nächsten Ausgabe der MSZ im „Portal einer konservativen Universität – Bürgerliche Wissenschaft in München“ zeigen. aus: MSZ 9 – Januar 1976 |