Bahro und Konsorten:

Staatsgefährdende Umtriebe staatstreuer Oppositioneller im realen Sozialismus


Herabsetzende Äußerungen gegenüber Staat und Regierung von beliebigen Privatpersonen werden jederzeit wortgetreu in unseren Zeitungen abgedruckt – sofern sie jenseits des Eisernen Vorhangs gemacht worden sind. Daß sich der reale Sozialismus („Das Vertrauensverhältnis zwischen der SED und dem ganzen Volk ist heute fester denn je. Niemand wird in der Lage sein, es jemals zu stören. Partei und Volk sind eine Einheit.“) in seinen Oppositionellen Lügen straft, gehört zu den alltäglichen Freuden des Antikommunismus. Um Nachschub braucht man nicht besorgt zu sein, auch wenn die Kritik, von den Ausgewiesenen im freien Westen vorgebracht, allmählich den Reiz des Authentischen verliert. Neue Helsinki-Gruppen, am Dichten gehinderte Dichter und andere Objekte für die geifernde Anteilnahme eines Löwenthal melden sich in schöner Regelmäßigkeit zu Wort, wobei sich in letzter Zeit ein paar neue Varianten hervorgetan haben. Der Spiegel, vor Jahresfrist mit dem Vorabdruck einer ,,kritischen Analyse“ von einem „Insider“ auftrumpfte – „Rudolf Bahro ist überzeugter Marxist, langjähriges SED-Mitglied, politischer Funktionär mit einer Schlüsselposition in der Industrie“, also ein anderes Kaliber als das bekannte Künstler- und Intellektuellengesockse –, belohnte sich unlängst seine Suche nach „DDR-Widerstand“ mit der Erfolgsmeldung, „in der SED organisiert sich die Opposition“ und dem Manifest eines damit gegründeten „Bundes Demokratischer Kommunisten Deutschlands“. So vielfältig die Dissidenten ihre Kritik an ihren Herkunftsländern auch vortragen, ihnen gemeinsam ist die unübersehbare Liebe zum Gegenstand ihrer Kritik: überzeugte Staatsbürger, verärgerte, von den Vorteilen demokratischer Gewalt überzeugte oder militant wiedervereinigende sind sie allemal. Die revisionistische(1) Staatsbegeisterung, also die Hoffnung auf den Staat als Werkzeug irdischen Glücks verbunden mit sehr konkreten Vorschlägen für die Ausgestaltung und Handhabe dieses Werkzeugs, schlägt selbst noch bzw. gerade an den Kritikern des realen Sozialismus durch.

Gerade diejenigen, die sein Wirken am eigenen Leib verspüren, sind als leibhaftige Widerlegung der revisionistischen Überzeugung, daß die Menschheit gar nicht anders kann, als aus Erfahrungen zu lernen, von nichts so sehr überzeugt wie davon, daß – um mit Bahro zu sprechen –

„die Konzentration auf die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Zuständen Marx und Engels auf einen zu spezifischen Begriff des Staates gebracht hat, der nur seine Herrschaftsfunktion ins Blickfeld rückt. Primär ist der Staat die Institution zur Zivilisierung ...“ (Rudolf Bahro, Die Alternative; Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Fftm. 1977. Die folgenden Zitate eben daraus.)


Künstler und Intellektuelle im öffentlichen Dienst

Aus der DDR herausgeekelte Dichter und Liedermacher versichern,

„daß wir in der DDR leben wollen, um dort als Künstler mitzuhelfen, eine fortschrittliche, menschenwürdige Gesellschaft zu verwirklichen“

und daß einzig die Aufforderung, „unsere“ solchen Zielen gewidmete „künstlerische Arbeit zu widerrufen“, der von ihnen gewünschten Pflege der Nationalkultur dazwischengeraten sei. Die Chartisten streiten jegliche Gegnerschaft zu ihrer herrschenden Partei ab, um ihr ausschließlich den Vorwurf mangelnder Diskussionsbereitschaft zu machen:

„Charta 77 ist keine Basis für oppositionelle politische Tätigkeit. Sie will dem Gemeininteresse dienen, wie viele ähnliche Bürgerinitiativen in verschiedenen Ländern des Westens und des Ostens. Sie will also nicht eigene Programme politischer oder gesellschaftlicher Reformen oder Veränderungen aufstellen, sondern in ihrem Wirkungsbereich einen konstruktiven Dialog mit der politischen und staatlichen Macht führen.“

Ihr sowjetischer Kollege Pljuschtsch unterstützt mit seinem Angriff auf die SU, sie sei „von dem gleichen bürgerlichen Übel befallen: der Jagd nach dem Wohlstand“ seine tschechoslowakischen Gesinnungsgenossen im Treuebekenntnis zur antimaterialistischen Doktrin der staatlichen Ausbeutung. Robert Havemann bestätigt seinem Staatswesen, es könne auf der ganzen Linie so bleiben, wie es ist, nur:

„Der Sozialismus müsse von dem tödlichen Makel befreit werden, er sei ein System, das allen Menschen gegen ihren Willen aufgezwungen werden müsse, weil sie dafür noch zu unreif seien“,

und an der Biermann-Ausweisung bemängeln sympathisierende Schriftsteller die hysterisch würdelose Reaktion ihrer Regierenden:

„Unser sozialistischer Staat müßte eine solche Unbequemlichkeit (Biermann) gelassen nachdenkend ertragen können.“

So demonstrieren alle diese durch die Reaktion ihrer Obrigkeit offiziell in den Rang von Staatsfeinden erhobenen Künstler und Intellektuellen, daß ihr Staat von ihnen nichts zu befürchten haben wird, daß sie nicht im entferntesten daran denken, seine Gewaltausübung einer Kritik zu unterziehen oder gar die Praxis staatsmonopolistischer Produktion von Nationaleinkommen in Frage zu stellen. Was sie monieren, ist einzig der Umstand, daß sich ihr Staatswesen, das sich doch pausenlos auf die Freiheit der Meinung, der Kunst und Wissenschaft als heiligste und gerade im Sozialismus erst recht gewürdigte Güter verpflichtet, ihnen, deren professionellen Benutzern, ins Handwerk pfuscht und die .Benutzung gleich in eindeutiger Weise reglementiert: zur propagandistischen Aufbereitung der jeweils gültigen Parteilinie. Ihr Zorn über die Beschneidung ihrer Betätigungsfreiheit hält sich jedoch ganz im Rahmen der einem Bittsteller gebotenen Rücksichtnahme und läßt einen ordentlichen Bürgerrechtsidealismus gar nicht erst aufkommen. Ihre Anfrage begründen sie mit der besonderen Nützlichkeit einer von ihnen frei verwalteten Meinung, Kunst und Wissenschaft für den Staat. Sie offerieren ihre „Hilfe“ bei der Auspinselung der sozialistischen Ideale, ihre „konstruktive“ Mitarbeit bei der öffentlichen Bildung der Meinung, daß dem Materialismus der Werktätigen, der „bürgerlichen“ und daher zutiefst unsozialistischen „Jagd nach Wohlstand“ abgeholfen werden müsse, damit derart freiwillig gewonnene Überzeugungen schließlich auch die „Unbequemlichkeit den „tödlichen Makel“ entfallen lassen, daß sich das „System“ anderer, unfeiner Arten von Zwang bedient.

Die Jämmerlichkeit solcher Propaganda für die Übernahme demokratischer Praktiken, die Massen eindrucksvoller und effektiver bei der Stange zu halten, schützt ihre Urheber jedoch nicht vor einer ziemlich rüden Unterbindung ihrer Blütenträume von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Ihre Staaten leiten ja deshalb ihre Verfassungen mit der Aufzählung der reklamierten Rechte ein, weil sie sich als deren konsequente Vollstrecker begreifen. Das Prinzip aller Menschenrechtswünsche, das staatliche Gewaltakte zur unerläßlichen Bedingung jeder Lebensregung erklärt, auf die Spitze getrieben zu haben, indem die Partei jeden nur denkbaren Anspruch an den Staat durch die Inbetriebnahme der Ausbeutung zugunsten des Volkswohls zufriedenstellt, rechnen sich deren Politiker hoch an. Den unangenehmen Folgen der verstaatlichten Konkurrenz, daß die dort in ihren Erwartungen Enttäuschten in ihrem Staat nicht länger die notwendige und nützliche Hilfsinstitution zu sehen vermögen, sondern ausschließlich den Antreiber, der ihnen einiges abverlangt und nicht sonderlich großzügig zahlt, begegnet ihr fürsorglicher Staat, indem er beharrlich jede Differenz zwischen seinen Absichten und Taten und den Wünschen seiner Untergebenen abstreitet.

Der öffentlichen Beurteilung seiner Politik, bei der ihm jede Widerspenstigkeit – da er sich nun einmal für alles verantwortlich gemacht hat – das Existenzrecht absprechen würde, setzt er sich daher wohlweislich erst gar nicht aus. Er erledigt dies lieber gleich selbst, bzw. beauftragt seine intellektuellen Bediensteten mit der Kundgabe allgemeiner Übereinstimmung und Harmonie nach dem Muster der Leserbriefspalte des „Neuen Deutschland“: „Mein Wort – Mein Bekenntnis“.

Von seinen Proleten, die mit der Anwendung diverser Techniken des Auskommens und Ausschmierens ausreichend beschäftigt sind, um mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen, wird er gemeinhin nicht in Frage gestellt. Kritik aber regt sich dort, wo sich auch der reale Sozialismus Tätigkeiten leistet, die gegenüber den Erfordernissen der Reproduktion Überfluß darstellen. Entsprechend halbseiden, als Anbiederei, man sei doch im Grunde nur dafür, fällt diese Kritik auch aus, weil sie die Erweiterung der eigenen Privilegien und der garantierten Sonderstellung in eine allgemeine Notwendigkeit des Sozialismus umheuchelt. Solche Formen der Opposition sind nun zwar eine lästige Begleiterscheinung, die staatlicherseits mit den bekannten Methoden bekämpft wird. Aber lieber leistet sich ein revisionistischer Staat den hierzulande scheinheilig beklagten „geistig-kulturellen Aderlaß“ (SZ), als daß er die Unsitte einer auch bloß formellen Differenz seiner Öffentlichkeit zu sich selbst einreißen läßt, die ihn an ganz anderer Stelle teuer zu stehen kommen könnte.


„Die Alternative“: Versuch einer innerparteilichen Opposition – in höheren Rängen abgeschmettert als Dissententum

Die durch die revisionistische Herrschaft erzeugten unumgänglichen Reibungsverluste – wenn man zum Wohle aller, d.h. zuallererst des Staates alle schuften läßt, bereitet die gewaltsame Gleichsetzung des besonderen Wohls mit dem des Volkes einige nicht nur agitatorische Mühen –, die daraus entstehenden alltäglichen Zusammenstöße werden durch die staatliche Kontrolle der Öffentlichkeit zwar als nicht existent behauptet, aber nicht zum Verschwinden gebracht. Der Ärger über die Hindernisse, mit denen das System der Leitung und Planung zu schaffen hat, gehört zum Parteileben: regelmäßige Dienstenthebung einzelner Funktionäre aufgrund ihres „mangelhaften Führungsstils“ wie auch Austausch von Verantwortlichen auf höchster Ebene, wenn an ihnen nach längerer Dienstzeit „Abnutzungserscheinungen und fehlende Ausstrahlungskraft“ entdeckt werden. Aus der Überzeugung, daß in der DDR eine solche Palastrevolution seit längerem überfällig ist, und dem Nachweis, daß und wo tauglichere Kräfte bereitstehen, unter dem bezeichnenden Titel „Die Alternative“ eine „Analyse einer Gesellschaftsformation vom revolutionären Standpunkt“ verfertigt zu haben, ist das Verdienst von Bahro. Da die Qualität seiner Kritik bislang in der bürgerlichen Öffentlichkeit in Anerkennung seines Expertenstatus („Schlüsselposition in der Industrie“), in der linken in Anerkennung seines mit philosophischen und sozialwissenschaftlichen Elementen aufgespreizten Marxismus außer Frage steht, muß sich sein Werk, trotz der nach gutbürgerlicher Sitte vorangestellten Bescheidenheitsfloskel –

„ein vorläufiges Ergebnis in einem Entwurf von der Art der Marxschen Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte“ (13)

die Anwendung seiner eigenen Devise gefallen lassen, es

„auf seinen rationellen Kern zurückzuführen und allemal zuerst in seiner immanenten Logik zu begreifen, was jedem bloß idealischen Bewußtsein so provozierend als irrationell ins Auge springen muß.“ (14)


„Der Staat als Zuchtmeister der Gesellschaft für ihre technische und soziale Modernisierung“ (150)

Wie Bahro seinen Angriff auf „die Vergesellschaftung in der entfremdeten Form der universalen Verstaatlichung“ nicht verstanden haben will, stellen umschweifige aber auch wieder ziemlich direkte historische Exkurse klar. Nachdem bereits die

„Theokratie, der ursprünglichste aus der inneren Struktur des sich zivilisierenden Gemeinwesens selbst hervorgehende Weg“ dankenswerterweise der Menschheit aus dem Problem der „nacheiszeitlichen Austrocknung des afrasischen Wüstengürtels“ mit der „Großen Kooperation“ (83/81) heraushalf, leuchtet die Notwendigkeit Stalins unmittelbar ein; „weil er die historisch notwendigen Leidenschaften besaß, um den Machtapparat für die terroristische Umgestaltung von oben zu schaffen, die Rußland damals brauchte.“ (22) Denn „die staatliche Repression in den Ländern des real existierenden Sozialismus ist letztlich die Funktion ihrer industriellen Unterentwicklung.“ (148)

Und was für die russischen Halbasiaten auch heutzutage noch recht ist

„In der SU ist die despotische innere Form des Staatswesens nicht aufgepfropft, sondern organisch durch die halbasiatische ökonomische und politische Tradition bedingt“ (401),

ist bei Negern und anderen Om-Om-Sagern nur billig:

„Zum materiellen Aufbau“ (der südlichen Hemisphäre) „vor allem bedarf es anfangs einer starken und – um die Niederringung des überlieferten Stumpfsinns überhaupt zu ermöglichen – oft in vieler Beziehung despotischen Staatsmacht.“ (69)

Als Beispiele solcher Pflichterfüllung nennt Bahro Mobutu und den Schah von Persien. „Irrationell“ ist also Unverständnis gegenüber solch rationellem Gebrauch des Despotismus!

Diese Geschichts- und Weltbetrachtungen, die nie nach dem Grund der jeweiligen Staatswesen fragen, sondern sie mit ihren Leistungen rechtfertigen, wobei die Leistung einzig in der Disziplinierung des Menschenmaterials zur Bewältigung der jeweils fälligen Entwicklung der Produktivkräfte besteht, kündigen in ihrer brutalen Zweckmäßigkeit auch schon an, ab welchem Punkt bzw. wo sich der vom Verfasser allerorten und -zeiten sehr geschätzte Despotismus überlebt.

„Das Verhältnis zwischen Volk und Führung ist institutionell dasselbe wie in den 30er Jahren, wo es trotz“ (korrekterweise s.o. wegen) „des Terrors progressiv funktionierte. Aber heute erweist es sich als zunehmend ineffektiv.“ (160) Die Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und v.a. die DDR „brauchen jetzt nicht nur – wie die SU auch – schlechthin eine Neuanpassung des Überbaus an die weitaus entwickelteren Produktivkräfte (dem halbasiatischen Stumpfsinn entsprechend muß sich der sowjetische Überbau nur ein bißchen umwälzen), sondern zugleich eine nationale Restauration.“ (401)

Die Bahrosche Staatskritik ist also alles andere als Staatskritik – den Vorwurf mangelnder Effektivität bringt nur eine teilnehmende Stellung zu den Problemen der Herrschaftsausübung zustande, und auch der Auswahl der zum Beweis der Ineffektivität aufgeführten Mißstände liegen die vertrauten Kriterien der revisionistischen Weltanschauung zugrunde. Statt als förderliche betätigt sich die Herrschaft der Partei als hinderliche Bedingung des Wachstums, was sich bei einem unzufriedenen Revisionisten, der als Revisionist immer die Technik nach dem Staat schreien läßt, so anhört:

„Die im Rahmen der bestehenden Produktionsweise unlösbaren Widersprüche des materiellen Lebens und insbesondere der technischen Basis, d.h. der sachlichen Produktivkräfte selbst, verlangen immer drängender nach einer radikalen ökonomischen Alternative“ (426), ohne die „bei der bestehenden Lage aus der Kooperation mit dem Westen nur immer wieder erneut die Rolle der 2. Geige herauskommen“ (162)

wird, der eigene Staat in dem von ihm selbst angestrengten Vergleich die bekannte jämmerliche Figur abgibt. Dieses „Versagen“ des Revisionismus läßt einen davon betroffenen, also mit den Wachstumsidealen übereinstimmenden Kritiker die Gründe selbstverständlich nicht in der zielstrebig das Wachstum verhindernden ökonomischen Politik seiner Partei suchen, sondern stattdessen

„schon intuitiv erkennen, daß es nicht um Plan oder Markt, Gebrauchswert oder Tauschwert, nicht einmal um Zentralisation oder Dezentralisierung geht.“ (453)

Es ist nämlich die Bürokratie, die ihre ökonomischen Maßnahmen im Vergleich zum „weit flexibleren internationalen Management des Kapitalismus“ (162) so unökonomisch ausfallen läßt:

„Die Entwicklung der Produktion ist ihm (dem Bürokraten) nicht Selbstzweck wie im Kapitalismus hinsichtlich der Wertgröße, auch nicht gesellschaftlicher Zweck, sondern zunächst bloß Mittel zur Stabilisierung der bürokratischen Situation.“ (Produktion von Ärmelschonern?) „Die Bürokratie hat sich seit ihrem ersten großen“ (nacheiszeitlichen) „Auftritt in der ökonomischen Despotie als ein Werkzeug der einfachen Reproduktion ohne qualitative Entfaltung sowie des unproduktiven Verbrauchs möglicher (die lassen sich am besten verbrauchen) Überschüsse erwiesen,“ (261/2)

Die in ihren Amtsstuben nicht etwa pausenlos Soll und Übersoll planende und sozialistischen Wettbewerb organisierende, sondern vor sich hinschimmelnde Bürokratie versündigt sich gegenüber den „drängenden Produktivkräften“ durch Nichtstun, durch

„die Antriebsschwäche, die sich aus der Wechselwirkung zwischen den Nachlassen des klassengesellschaftlichen Arbeitszwangs einerseits und der bürokratischen Organisation des allgemeinen Zusammenhangs ergibt.“ (Also der Wechselwirkung zwischen der abwesenden kapitalistischen und der bürokratisch ebenso nicht vorhandenen Arbeitshetze!) „Unsere Ordnung gibt der »natürlichen« menschlichen Trägheit und Nachlässigkeit (die in Wirklichkeit selbstredend einen durchaus historischen Pegel hat)“ – stimmt, Stalin hatte den ,,Stumpfsinn“ schon ganz anders „zivilisiert“, als die „progressiven Verwandler der Welt“ (85), die das Mehrprodukt auch wiederum sehr unzweckmäßig in Pyramiden anlegten, wobei es natürlich klar sein muß, „daß wir (!) ohne (!) die Arbeit des alten Ägypten ... keine englische industrielle Revolution gehabt hätten“(179) – „mehr Raum als der Kapitalismus und zwar nicht nur unten, sondern auch oben. Die Indolenz des Bürokraten korrespondiert mit der Interesselosigkeit des Arbeiters, der Unlust des Spezialisten.“ (277)


Die Dialektik von Führung und Massen, l. Teil

Wer Effizienzprobleme von Herrschaft diskutiert, diskutiert den Umgang mit den widerspenstigen Eigenschaften der Beherrschten:

„Die Individuen werden auf ihren Egoismus zurückverwiesen. Und es gibt keine echte (!) moralische Autorität dagegen (!), keine unverdächtige (!) Instanz, die etwas fordern (!) könnte.“ (245) Denn die Partei „ist nicht mehr in der Lage, die verschiedenen partikularen Interessen, die es in der Gesellschaft gibt, organisch (!) zu integrieren“ (Blumentöpfe mit Wassergraben statt Mauer?) „und die natürliche (!) Autorität aufrechtzuerhalten, die aus der Wahrnehmung notwendiger Leitungsfunktionen fließen kann.“ (Honecker als Kurt Masur!) (424/5) „Unser Staat ist essentiell nicht in der Lage, dieselbe Arbeitsproduktivität zu erzwingen wie der Kapitalismus.“ (245)

Die egoistischen, faulen, von lauter exotischen Sonderwünschen besessenen Massen lassen getreu revisionistischer Logik auf der ihnen „korrespondierenden“ Führungsseite natürlich das Korrespondierende vermissen:

„Es gibt auch keine kommunistische Führung. Der Schein trügt. Der Generalsekretär ist der oberste Subalterne der Gesellschaft, das abgeschliffene (?) Produkt der bürokratischen Hierarchie.“ (427)

Bekanntlich tanzt ja auch in der DDR das führungslose Proletariat über Tische und Bänke.


„Die Stelle ist vakant“ (224)

Wenn der Funktionärsneid auf die (angeblich aller Führungsqualitäten entbehrenden) Vorgesetzten sich mit marxistischer Terminologie zur Klage über die „entfremdete Form der universalen Verstaatlichung“ hochstilisiert, ist es auch nicht allzuschwer, das Bahrosche Entstaatlichungsprogramm „auf seinen rationellen Kern zurückzuführen“. Ist das Grundübel der DDR-Gesellschaft der „Apparat“,

„eine total vom Volk, von den Massen isolierte Maschine, von der unmöglich eine Inspiration“ (die braucht der Arbeitsmann!) „ausgehen kann“ (427)

und das Grundübel des Apparats, daß er niemand anderen nach oben läßt,

„Fügsamkeit nach oben, disziplinarische Durchschlagskraft nach unten und erst an dritter Stelle Kompetenz – das ist die vorherrschende Rangordnung der Auswahlkriterien. Infolgedessen haben die produktiven, schöpferischen Elemente das Überhandnehmen von Mittelmäßigkeit, ja Unfähigkeit, von Unehrlichkeit und Unsicherheit im Amt zu beklagen ...“ (251)

dann muß eben der Apparat zerschlagen, d.h. die vakanten Stellen mit schöpferischen Elementen besetzt werden.


„Dies aber treibt den Menschen ungeheuer, etwas zu sein!“ (317)

Gestandener Materialist untermauert Bahro seine Aufstiegswünsche mit dem klassentheoretischen Nachweis ihrer Notwendigkeit und Möglichkeit:

„Wem die Kulturrevolution notwendig und von ihren wesentlichen objektiven Bedingungen her möglich erscheint, der muß selbstverständlich mehr oder weniger deutlich ihr Subjekt schon mitgedacht haben. Ich will also versuchen, den subjektiven Resonanzboden für eine kommunistische Alternative sichtbar zu machen... aufgrund der polit-ökonomischen Ansätze ...“ (361)

„Polit-ökonomisch“ den Staatskapitalismus auf das Problem einer führungsschwachen Bürokratie heruntergebracht – „Subalternität“ ist die Quintessenz der Bahroschen Kritik –, bleiben auf dem Gegenpol (dialektisch = tautologisch denken!) lauter vom Apparat mißachtete und erniedrigte Führungsqualitäten übrig und zwar im Apparat selber, bei dessen niederen Chargen!

Bahro entdeckt

„überschüssiges Bewußtsein“ (321), das sich einerseits als „kompensatorisches Interesse“ durch den „Besitz von möglichst vielen (tausch-)wertvollen Dingen und Diensten dafür“ bestechen läßt, „daß man in den eigentlich menschlichen Bedürfnissen zu kurz gekommen ist“ (322),

während es als „emanzipatorisches Interesse“ mit dem „im Apparat gebundenen Bewußtsein“ (373) den Kampf um „das geistige Leben überhaupt mit dem Schwerpunkt des Informations- und Entscheidungsprozesses über den Reproduktionsprozeß“ (376) ausficht. (Siehe Schaubild!) „Das Subjekt“ dieses emanzipatorischen Interesses „schon mitgedacht“ habend – für diesen edlen Wettstreit mit der Bürokratie braucht es nämlich v.a. deren eigene, „dem System der sozialen Regulation entsprechende individuelle Fähigkeiten“ (302) –, teilt Bahro auch den Ort mit, an dem es sich klassentheoretisch aufhält. „Das Proletariat“ als „aktuellen Kollektivsubjekt der allgemeinen Emanzipation“ ist nämlich leider „eine philosophische Hypothese“ geblieben, die auch „durch die Politische Ökonomie des Kapitalismus unmöglich eingelöst werden konnte.“ (233) Das wirklich aktuelle Kollektivsubjekt hingegen,

„das für seine Herrschaft gefährlichste Element nährt der Apparat direkt an seinem Busen.“

„Aus dieser Gruppierung kommen gesetzmäßig die geistigen Führer des antibürokratischen Blocks, seine eigenen Ideologen, die er zu ausführenden Agitations- und Propagandaspezialisten degradiert ... die in Partei- und Staatsbeamtenrollen gedrängten Ideologen aller Art, von den Sozialwissenschaftlern bis zu den Journalisten, von den Künstlern bis zu ihren Zensoren, von den Strategen der Naturwissenschaft bis zu den Lehrern der Geschichte – sie alle werden fortwährend durch die Vorschriften der anmaßenden Politbürokraten gedemütigt.“ (384/5)

Voller Tatendrang sitzt das „überschüssige Bewußtsein“ in den Startlöchern:

„Die Aktivisten leiden nach ihren 15 Jahren Dienst am Apparat, der ihre Initiative hemmt, kanalisiert und standardisiert, an einem Stau nach innen abgelenkter Energie“ (508),

um als „kollektiver Intellektueller“ (432) die vakanten Stellen zu erobern. Keine Frage, daß es sich dabei um leitende handelt:

„Ohne eine organisierte ideologische Hegemonie der emanzipatorischen Interessen kann man keine Umwälzung einer Gesellschaft haben“ (413) Wo käme man auch hin ohne „eine Instanz, die die verschiedenen Schichten- und Gruppeninteressen an den Stellen ihrer Differenzen verklammert (?), indem sie stets den Standpunkt der höheren Synthese zur Geltung bringt.“ (432)

Mit solchen sich hochtrabend als Neuauflage der Marxschen Gesellschaftsanalyse gerierenden Herrschaftsphantasien eines wildgewordenen Funktionärs reagiert Bahro seinen Energiestau erst einmal kapitelweise an der „Anatomie des real existierenden Sozialismus“ ab – als Verfechter eines „intellektuell“ aufgefrischten Kollektivsubjekts gilt es dabei natürlich auch die eigenen Führungsqualitäten durch die

„hohe Abstraktionsstufe, die der Komplexität der Verhältnisse entspricht“, „die Anstrengung der Reflexion, die Anwendung der dialektischen Denkstrukturen, die den widersprüchlichen Gang der Geschichte widerspiegeln“ (432)

ins rechte Licht zu setzen, zumal die Technische Hochschule Leuna-Merseburg die Bahrosche Dissertation mangels „wissenschaftlicher Voraussetzungen“ abgewiesen hat.


Dialektik von Führung und Massen, 2.Teil: „Dann kann man ein Kollektiv zusammenschweißen“ (540)

Die 2. Hälfte seines Traktats zieht in eintöniger Manier als „Strategie einer kommunistischen Alternative“ die Konsequenzen aus dem zuvor ermittelten Drang des realen Sozialismus zu einer neuen Führergarnitur. Besteht das Hemmnis revisionistischer Herrschaft in einem Apparat, der nicht führt, so ist dem nur abzuhelfen durch eine Führung, die dadurch führt, daß sie das Indiz der Führungsschwäche, die unwilligen Massen, durch die Initiierung neuer Staatsbegeisterung, führbar macht.

Diese glänzende Effektivierung von Herrschaft, für deren Ausübung sich Bahro momentan in Bautzen zur Verfügung halten muß (seine Annahme, die Stellen, auf denen Honecker, Stoph und Sindermann sitzen, seien vakant, hat sich zumindest für ihn vorerst als unangenehmer Irrtum herausgestellt), gestaltet er mit der ganzen beschränkten Phantasie aus, mit der die bürgerliche Politologie den Gegensatz von Staatsgewalt und Volk zum Verschwinden bringt. Die alte Story von der Marktplatzdemokratie ist da natürlich brandaktuell:

„Heute, wo das Problem der allgemeinen Vollversammlung von der qualitativ-technischen Seite durch die modernen Computer und Massenkommunikationsmittel gelöst ist, können prinzipiell alle Individuen regelmäßig an der Entscheidung über die Neuwertverteilung, an der Festlegung der Perspektiven der Gesellschaft teilnehmen,“ (357)

weil Bahro den Nutzen der Teilnahme der Massen an der Gewalt gegen sich selbst zu schätzen weiß:

„nur aus einer solchen kommunistischen Massenbewegung heraus handelnd, wird der Bund der Kommunisten nicht mehr gezwungen sein, sich wie die alte Partei in der apparativen Kontrolle der Staatsmaschine zu verschleißen.“ (442) (Siehe Breshnew, den die russischen Massen erst zum Regieren gezwungen und dann bis auf die Herzklappen verschlissen haben!)

Eine „Führungsautorität mit von grundauf erneuerter Legitimation und wieder von der Idee einer neuen Zivilisation inspiriert“ (162) wird ihrerseits die Massen inspirieren, „und so darauf hinwirken, daß die Sanktionen gegen gesellschaftsschädigendes Verhalten allmählich auf sittliche Zwänge zurückgeführt werden können.“ (430) Zu diesem Zweck müssen „die Führer nur in der Gesellschaft leben und ihren Arbeitsalltag teilen.“ (424)

Diesen einen abgeschmackten Gedanken von der Perfektionierung der Gewaltausübung, die die Kräfte der Massen erst so richtig freisetzt, arbeitet Bahro zu einem Katalog ökonomischer Maßnahmen aus, darunter Lohnangleichungen und 6 Wochen obligatorischer „Produktionseinsatz“ für Funktionäre, deren ausschließlicher Zweck natürlich keineswegs in der Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen, sondern in der „positiven mobilisierenden Bedeutung“ liegt, „indem sie der Gesellschaft überzeugend die Aufrichtigkeit der revolutionären Führung zeigen, ihren Willen zur Gerechtigkeit“ (456) beweisen. Ein überzeugender Beschiß ist also vonnöten, damit die Gesellschaft das ihre tut, was sich auch in der Bahroschen Perspektive des realen Sozialismus in nichts von den alle 5 Jahre geäußerten Wünschen des jetzigen unterscheidet:

„Die Verwirklichung der Gleichheit in der Verteilung der Arbeit wird eine solche natürliche Solidarisierung und Disziplinierung der Individuen bei der bestmöglichen Ausführung der notwendigen Arbeit bewirken, daß repressive Kontrollen vollständig überflüssig sein werden und die in erster Linie an Qualität und Materialeinsparung orientierte Effektivität der Kollektive aus deren internen Regulation ein Optimum ansteuert.“ (507)

Was für die Massen davon abfällt, bleibt auch nicht im Dunkeln:

Die „zum ausführenden Organ wachsender Bedürfnisse“ entartete „Staatsplanung“ – die DDR-Wirtschaft wird bekanntlich „von den jeweils neuesten Luxusbedürfnissen vorangetrieben“ (314), siehe Kaffee Mix – wird durch das „Primat der einfachen Reproduktion“ (512) revolutioniert. Denn:

„Die materielle Unersättlichkeit kostet uns (!) die Freiheit der höheren Entwicklung.“ (484)

Und daß auch in Zukunft Arbeiten und Befehlen selbstverständlich zusammengehören, bekräftigt Bahro sicherheitshalber noch einmal in der Abgrenzung gegenüber spontaneistischen Plänen:

„Es bedarf offenbar einer bestimmten Kombination“ (so kann man es auch nennen) „zwischen – informationstheoretisch (!) unvermeidlich hierarchischer – Systemregulation von oben und ökonomischer Initiative aus relativ autonomen Grundeinheiten der vereinigten Arbeit heraus.“ (525)

Und wer hier immer noch aus der Ersetzung von „Staat“ durch „Regulation“ das Verschwinden staatlicher Gewalt herausliest, der sollte sich daran erinnern, daß, wo Not und Moral, die Diskriminierung „unersättlicher“ Bedürfnisse und „sittliche Zwänge“ herrschen, diese Herrschaft ohne das dritte, die Gewalt, nicht auskommt.


Dissidententum volksnah

Wenn die bundesrepublikanische Öffentlichkeit an Bahro auch die „ungeschminkte Meinungsäußerung“ zu schätzen weiß, so hat sie doch auch treffsicher eine gewisse Überspanntheit ausgemacht, zwar nur als eine des philosophisch anspruchsvollen Gedankenguts, das sich jedoch bei aufmerksamer Lektüre auf ein etwas zu hoch angesetztes Aspirationsniveau des Verfassers in der Karriereleiter seines Systems zurücknimmt. Weitaus pragmatischer als Bahro, der eine „kommunistische Massenbewegung“ oder auch nur die Wiederholung des „tschechoslowakischen Experiments“ auf die historische Tagesordnung setzt, um seinen Energiestau in der sozialen Regulation loszuwerden, der sich also als ein Regimekritiker empfiehlt, der den Staat selber machen will, weitaus pragmatischer, wenn auch in ihrem Realismus ebenso an den politischen Realitäten vorbeizielend, hat sich die neueste Variante der Ostblockopposition vorgestellt: der BDKD.

Mit Bahro teilen die Manifestler den Ärger über das schlechte Abschneiden ihres Staates bei der Konkurrenz mit dem Westen und den staatsbürgerlich verwandelten Mißmut über die Politik der Partei, der alles auf ihre Unfähigkeit, Politik zu machen, zurückführt:

„Die arbeitenden Menschen aller Bereiche sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, daß die Ergebnisse ihrer harten, angestrengten Arbeit sich gegen sie kehren, weil es keine fähige Leitung gibt, die in der Lage ist, den gesellschaftlichen Gesamtprozeß zu koordinieren.“ (Alle Zitate „Spiegel“ 1/2 1978)

Anders als Bahro jedoch, der seine Staatsambitionen mit dem legitimiert, was dem Apparat an Führungsqualitäten fehlt, der ihn an seinem Unvermögen, die Massen zu begeistern, zugrundegehen sieht, schimpft der Bund ganz aus der Perspektive des verärgerten Staatsbürgers, der sich regieren lassen will, aber nicht von denen, die es nicht können, die aufgrund ihrer moralischen Verkommenheit untauglich sind. Korruption, krankhafte Eitelkeit, Ideenlosigkeit, alte Nazis, Überalterung, Abfindung von abgelegten „Gespielinnen“ aus der Staatskasse – wahllos wird alles zusammengetragen, was die Untauglichkeit der „Obermotzen“ belegen soll, um zielsicher von der Empörung über „ein Heer von nichtsnutzigen Parasiten“ zu „ vorzaristischen Zuständen“ vorzustoßen.

Der über die Erbärmlichkeit der Lebensumstände, die ihm sein Staat beschert, verärgerte DDR-Bürger, der gerade wegen seines Ärgers auf einen potenten Staat setzt, steigert sich zum unverhohlenen Nationalisten: wenn der DDR-Staat seine Erwartungen ständig enttäuscht, erklärt er die darin entdeckte Impotenz zur Russenhörigkeit der Bonzen. Die Oberen sind es, die das Staatsinteresse aufgegeben haben. Der Ausverkauf der nationalen Interessen bildet den Kern all der Vorwürfe der Charakterlosigkeit, die der „Clique an der Spitze“ gemacht werden.


Russen raus!

„Die positiven Ansätze, Luft- und Raumfahrtindustrie, Elektronik hat die SU aus Konkurrenzgründen zerschlagen“,

sie ruiniert deutsche Wertarbeit durch ihr ineffizientes Leitungssystem,

„das Wort von der schludrigen Russenarbeit geht um. Die Ehre des deutschen Facharbeiters gilt nichts mehr“

und beutet im Comecon die DDR-eigene Wirtschaft aus:

„Die erstrebte ökonomische Angleichung im RGW wird zum hohen Teil auf Kosten der DDR praktiziert, deren wirtschaftliche Perspektive es ist, zur Reparatur-Werkstatt der Russen degradiert zu werden, bei abnehmenden Rohstoffen und ständiger Strukturverschlechterung.“

Das revisionistische Stammtischraisonnieren, das seine Erwartungen der Theorie und Praxis der 5-Jahrespläne entsprechend aufs Nationaleinkommen richtet, mit dem bekanntlich der individuelle Lebensstandard mehr fällt als steht, stößt sich an der gekonnten Abschöpfung des nationalen Reichtums im sozialistischen Wirtschaftsbündnis. Die hier wirkende Gewalt ist eine auswärtige und betreibt die internationale sozialistische Arbeitsteilung sehr einseitig national. Weshalb auch die Nationalkommunisten den Grund der Misere in der mangelnden Souveränität ihres Staates entdecken, der als „Abklatsch einer 16. Unionsrepublik“ seine ökonomische Potenz den „roten Päpsten“ und „sowjetischen Machthabern“ zu opfern gezwungen ist. Der blindwütige Nationalismus, der das

„Recht unseres eigenen deutschen nationalen Weges zum Sozialismus, was uns Moskau politisch immer verweigert hat“

mit der fälligen Relativierung der marxistisch-leninistischen Staatsdoktrin durch Eurokommunismus, Rosa Luxemburg und Nathan den Weisen untermauert, denkt folgerichtig weltpolitisch und entdeckt die Kriegsgefahr in der SU, die derlei Bestrebungen bekanntlich keine Sympathien entgegenbringt.


Macht das Tor auf!

Die ökonomische und militärische Abhängigkeit der DDR von der SU, an der die Wunschträume von einem wirklich souveränen und wirtschaftlich potenten Staat scheitern, läßt die Manifestler sich zu Virtuosen der nationalen Frage steigern. Da sich ihrem Projekt in den eigenen Grenzen etliche Hindernisse entgegenstellen, erweitern sie sie kurzerhand per Wiedervereinigung zum fast ehemaligen Großdeutschland. Der vom eigenen Staat geförderte und ebenso frustrierte Nationalismus, der den Vergleich mit dem deutschen Bruderstaat und erfolgreichen Imperialismus auf seine Weise bitter ernst nimmt, ist umstandslos bereit, auf das eigene Staatswesen zu verzichten, es als Anlagesphäre für westdeutsches Kapital und Unterschlupf westdeutscher Arbeitsloser zu verschachern, um seinen Souveränitätsgelüsten Genüge zu tun.

Was das Manifest vom ordinären DDR-Staatsbürgerbewußtsein unterscheidet, das mit Späßen über „Volvograd“ die Korruption der Bonzen und mit dem Russen-raus-Gebrüll auf Volksfestschlägereien die sowjetische Hegemonie ebenso für die eigene beschissene Lage verantwortlich macht, ist einzig die Umsetzung dieses Nationalismus in ein politisches Programm, in dem er sich durch die Sammlung aller nur erdenklichen Angriffe auf die eigene Obrigkeit und deren Russenhörigkeit und in Planspielen einer militärstrategischen Neuordnung Europas Befriedigung verschafft. Die Gruppe Rheinische Zeitung findet bezeichnenderweise, daß ihre „politische Vorstellungen unklar bleiben“, weil sie sich auf die Seite Bahros schlägt, mit dem sie sich darüber einig ist, daß ein Revisionismus ohne kritische Intellektuelle wirklich nicht auskommt:

„Sozialistische Kritik ist ein Lebenselement sozialistischer Politik, hat Impuls- und Korrekturfunktion, auch wenn sie nicht in allem unbedingt richtig ist.“ (RZ 13/14)


West-östlicher Umgang mit Dissidenten

Alle diese Formen von Opposition verdankt der revisionistische Staat seiner eigenen Politik: die scheinhafte Inszenierung einer demokratischen Öffentlichkeit animiert die damit betrauten Intellektuellen, eine echt demokratische Effektivierung der öffentlichen Zustimmungsmaschinerie zu fordern; die revisionistische Lüge einer im Volkswohl aufgehenden und daher vom vereinheitlichten Volkswillen getragenen Staatsgewalt, die sich in der ausbleibenden Begeisterung des Volkes widerlegt, wird von staatsgeilen Funktionären gegen die momentan Führenden gewendet; und die Versprechungen, daß der tatkräftige Einsatz der Bevölkerung für das allgemeine Volkseigentum mit der Stärkung der sozialistischen Staatsmacht auch die Lebensbedingungen der westdeutschen Klassenbrüder nicht einholen, sondern überholen werde, produzieren einen enttäuschten Nationalismus, der den eigenen Staat an Bonn verkaufen möchte.

Die Ökonomie, die staatskapitalistischen Formen der Ausbeutung läßt diese Kritiker kalt, wenn sie sich über die staatliche Verwaltung des Bürgerwillens erregen. Sie ändern also nichts in den Staaten des realen Sozialismus und gerade darin sind sie brauchbar. Denn der gleiche Staat, der sich diese Kritiker heranzüchtet, kann ihre Kritik nicht dulden, weil sie allesamt seine Existenz in Frage stellen, und sorgt dafür, daß die westliche Freude an ausgewiesenen oder eingesperrten Regimekritikern nicht nachläßt. Deren Argumente werden hierzulande auch genauestens sortiert: den erreichten Stand der Entspannungsbemühungen, die fortschreitende ökonomische Funktionalisierung der sozialistischen Länder stellt kein verantwortungsbewußter Journalist auch nur dadurch in Frage, daß er etwa die wahnsinnigen Wiedervereinigungspläne der Manifestler oder die Bahrosche Strategie der Funktionärsrevolution allen Ernstes gutheißen würde. So etwas pflegt man durch den Hinweis auf den fehlenden realpolitischen Pragmatismus der Dissidenten zu erledigen. Uneingeschränkt zu gebrauchen sind sie aber als Opfer, weshalb die im Westen Eingebürgerten schnell aber sicher uninteressant werden, die drüben Eingesperrten hoch im Kurs stehen und ihre Kollegen, soweit sie noch frei herumlaufen, schamlos dazu aufgefordert werden, sich mutig zu exponieren und das gleiche Schicksal einzuhandeln. Diejenigen, die „stillhalten, werden um ihrer selbst willen (!) öffentlich Einspruch erheben müssen (!)“ (SZ 30.8.77), verordnet ihnen der SZ-Beobachter der Dissidentenszene.

Denn wie ließe sich schließlich auch schöner die Überlegenheit unseres Staats demonstrieren, der sich nicht nur Opposition, Öffentlichkeit und den ganzen demokratischen Zirkus leistet, sondern auch durch deren effektive Benutzung seitens seiner Bürger so ausnehmend gut dasteht? Und gerade heute, wo man auch auf dieser Seite der Mauer die Grenzen etwas enger zieht und gewisse Auswüchse der öffentlichen Kritisiererei unterbindet, lassen sich ein paar unterdrückte Dissidenten immer gut verwerten, um daran vorzuführen, wieviel man sich hierzulande immer noch an Freiheit leistet.

Hinweis:
Über die Probleme des realen Sozialismus mit seinen intellektuellen Dissidenten vgl. auch „Charta '77: Liberal im Arbeiter- und Bauernstaat“ (in: HOCHSCHULPOLITIK DER ROTEN ZELLEN UND MARXISTISCHEN GRUPPEN 1976/77), S. 142), sowie „Der Biermann: Ein guter Mensch mit Liedern“ (in MSZ Nr. 14/1976)

 

aus: MSZ 23 – Mai 1978

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