Das Fernsehen als moralische Anstalt


„Das Programm ist dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet.“

Kein Bericht über das US-Fernsehen, der nicht den Hinweis enthält, daß das vergleichsweise zur BRD miserable Niveau amerikanischen Fernsehens sich v.a. der Tatsache verdankt, daß Programmacher im kommerziellen Fernsehen sich den Wünschen der Massen zu unterwerfen hätten, was unweigerlich dieses Niveau nach sich ziehe, während der Vorteil des öffentlich-rechtlichen Fernsehens darin liegt, daß es die Massen auch bilden kann. Abgesehen davon, daß auch in den USA es nicht die Massen sind, die festlegen was gesendet wird, macht dieser Vergleich deutlich, warum Femsehen in der BRD eine Sache mit Niveau (vgl. Bonanza, Kojak und die Waltons) ist: erstens weil die meisten etwas anderes sehen wollen als gesendet wird (Masse bleibt Masse), was zweitens die Verantwortlichen empört von sich weisen würden, denn die Briefe der Zuschauer an die Programmzeitungen und das Fernsehen zeigen ja durchaus grundsätzliche Übereinstimmung mit dem Programm, und endlich den Grund des Vergleichs mit den USA eröffnet: das Publikum ist mit bestimmten Sendungen unzufrieden, die offensichtlich das beinhalten, was Niveau ausmacht und an denen dem Kritiker gelegen ist. Während deshalb komplizierte Apparate dafür eingesetzt werden, um herauszufinden wieviele Menschen sich was ansehen, haben Politiker mit dem Fernsehen ein anderes Problem: das Parteiengezänk um die Besetzung von höheren Posten in den Anstalten, die Angriffe auf bestimmte Magazine, sie seien zu links/rechtslastig, der Angriff auf eine Dokumentation, sie rufmorde Deutschlands Unternehmer oder Gewerkschaften, die Fragen, ob denn dieser oder jener Fernsehfilm nicht die moralischen, religiösen oder patriotischen Gefühle verletze, die Klagen, die Kinderstunden brächten die kleinen Bürger gegen ihre Eltern auf oder unterdrückten ihre Kritikfälligkeit, zeigen, daß hinter dem Streit um die Sendefähigkeit einzelner Beiträge, ums „Niveau“ einer aus öffentlichen Geldern finanzierten Anstalt, die Sorge steht, das Fernsehen könne seine Agitationsfunktion für den Staat verfehlen. So zeigt sich am Interesse der Politiker am Fernsehen, daß alle seine Sendungen politisch sind, ihre öffentlich-rechtliche Form für die Verbreitung des rechten Staatsbürgerbewußtseins in der Öffentlichkeit zu sorgen hat.


Das Fernsehen im Kreuzfeuer der Kritik

Angesichts dieser Streitereien tritt der liberale Pressemann auf den Plan und macht sich öffentlich Gedanken über die – schon eindeutig beantwortete – Frage, ob der Fernseher nicht Selbst entscheiden könne, was er sehen will und was nicht, und gibt augenzwinkernd den bekannten Tip mit der AUS-Taste, dem guten Buch und der Familie, ins Gespräch vertieft. So agitiert er mit dem Hinweis, man solle den Potentaten auf den Intendantensesseln ein Schnippchen schlagen (durch Wegsehen) dafür, die ganze Angelegenheit als verschlagenes Späßchen der jeweiligen Intendanten zu betrachten – im Grunde gäbe es an unserem TV – der US-Vergleich an dieser Stelle – nichts auszusetzen. Konstruktive Unzufriedenheit mit dem deutschen Fernsehen (West) zeichnet auch jene aus, die täglich durch ihre kritische Stimme für die Verbundenheit des Fernsehens mit dem Adressaten seiner Bemühungen sorgen: Programmzeitschriften und Fernsehkritiker fragen sich, ob das Programm auch das bornierte Bewußtsein seiner Zuschauer nicht überfordert habe („Bild”), ob es sittlich wertvoll war („Gong“), nicht zu linkslastig („Hör zu“), ob es die Interessen derer berücksichtigt hat, deren Stimme sonst nicht ans Ohr der Öffentlichkeit dringt („Kirchenzeitung“), kurz: hat die Agitationsarbeit für den Staat und die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder einmal geklappt und was läßt sich an ihr noch verbessern. Indem diese Publizistik an hervorragender Stelle das Publikum zu Wort kommen läßt, sei es durch Demoskopie, Zuschauerumfragen, Seherbeteiligung bzw. Urteil und Leserbriefe, vermittelt es denen, auf die es ansonsten nicht ankommt, die Illusion, wenigstens das Fernsehen diene ausschließlich ihren Bedürfnissen. Das oberste Ziel all dieser Bemühungen, den Zuschauer zum mündigen Bürger auch vor dem Fernseher zu erziehen, erfordert seine rechte Einstellung zum gebotenen Programm. Und da umfragende Soziologen und aufmerksame Lehrer berichtten, daran hapere es vor allem bei den Jüngeren, nimmt der Deutschunterricht, dessen Aufgabe ja die Vermittlung staatsbürgerlicher Einstellungen anhand von Literatur etc. ist, durch die Erziehung zum richtigen Umgang mit dem Fernsehen das Geschäft der Programmzeitschriften vorweg: daß sich die Werbung verschiedener Tricks bedient – dies einmal durchschaut – hat man den Konsumenten in die Lage versetzt, den tatsächlichen Informationswert des Werbefernsehens zu begreifen und zu benützen; davon ist in diesem Unterrichtsfach ebenso die Rede wie vom Hinweis darauf, daß das mitunter brutale Vorgehen der US-Bullen in amerikanischen Krimis 1. bedeutet, daß noch lange nicht jeder berechtigt ist, sich wie die Polizei aufzuführen, daß 2. die Polizei immer noch dein Freund und Helfer ist, weil ja 3. gerade die Exzesse klarmachen, wie unentbehrlich eine sauber zuschlagende Polizei ist. Hier eröffnet sich das weite Feld der Diskussion über die Schädlichkeit der Darstellung von Gewalt für die unverdorbene Jugend, die sich bezeichnenderweise ausgerechnet an Krimis und Western festmacht, während die Demonstration der (Staats-) Gewalt in der Tagesschau unter die Rubrik staatsbürgerliche Bildung fallen, wo sie nur dann eine moralische Verurteilung erfährt, wenn sie von(gegen) den (die) falschen Staaten ausgeübt wird.

Doch nicht jede Kritik am Fernsehen läßt sich in so nützliche Verbesserungen wie die Medienkunde überführen. Revisionisten bemängeln, daß nicht zuletzt auch das Fernsehen eine gewaltige Manipulationsmaschinerie ist, was man zwar ihm selbst nicht mehr anzusehen vermag, sich jedoch in einem verkehrskundlichen Vergleich enträtselt:

„Auf dem Gebiet des Gedankenverkehrs scheint sich zu wiederholen, was auf dem Gebiet des allgemeinen Verkehrs längst vollzogen ist: der Verstaatlichung der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert entspricht die staatsmonopolistische Organisation der elektronischen Kommunikationsinstrumente im 20. Jahrhundert.“

(So ist das Fernsehen neben dem VW der zweitheimtückischste Anschlag auf den friedlichen Verkehr zwischen den Bürgern!) Eine Tatsache, die sich inhaltlich folgendermaßen niederschlägt:

,,So beschränken sich die Massenmedien darauf, tief ins Auge der Verfügenden zu schauen und den Bürgern vom Seelenleben der herrschenden Klasse Bericht zu erstatten,“

und Konsequenz eines groß angelegten Täuschungsmanövers ist:

„Die organistorische Verfassung der elektronischen Medien täuscht öffentliche Kontrolle nur vor.“

Also – so der Schluß aller revisionistischen(1) Fernsehkritik – ist es die mangelnde Demokratie, die lediglich Sendungen über das bourgeoise Seelenleben zulaßt, womit man den Übergang zum eigentlichen Anliegen der Revisionisten wieder einmal geschafft hat: zur Entdeckung, Ausmalung und Propagierung ihres Demokratie-Ideals und dies angesichts einer praktizierten Demokratie und deren Propaganda im Fernsehen.


Tagesschau/heute: Leistungsschau des demokratischen Staates

Auf die Möglichkeiten der Flimmerkiste, vor der jeder durchschnittliche Bundesbürger einen Großteil seiner Freizeit verbringt, wollen die Politiker natürlich nicht verzichten: die Leistungsschau der Demokratie findet hier ein Forum, das eine Institution erhielt, an die mehr Bundesbürger glauben, als an die Bibel (die Einschaltquote der Tagesschau ist nicht nur fünfmal so hoch wie die Quote der Kirchgänger, die Glaubwürdigkeit der Fernsehnachrichtensendungen übertrifft die Glaubensbereitschaft an ein Leben nach dem Tode noch weit mehr.) Daß der Glauben an seinen Staat die Religion des modernen Bürgers ist und Herren wie Köpcke seine Propheten, wird mehrmals täglich demonstriert, und weil das eine ernste Angelegenheit ist, die die Bürger nicht ernst genug nehmen, hat das Fernsehen sich neuerdings entschlossen, eine Frau damit zu betrauen und sich auch sonst manche Auflockerung einfallen lassen. Tagesschau und heute zeigen ihm mehrmals täglich seine Staatsmänner bei dem schwierigen und verantwortungsvollen Geschäft des Regierens, das sich besonders eindrucksvoll ausnimmt, wenn man ausländische Besucher vorzeigen kann, mit denen man sich bestens versteht.

Das Ausland eignet sich auch im übrigen besonders gut, den Bürger davon zu überzeugen, daß dieser unser Staat seine Unterstüzung verdient, liefert es doch für alles das geeignete Vergleichsmaterial: die Krise des Pfunds zeigt, wohin die überzogenen Ansprüche gewisser Teile der Bevölkerung führen, die immer nur an ihre Teepause, aber nie an das Gesamtwohl denken, ebenso wie die amerikanischen Arbeitslosen ein strahlendes Licht auf das Netz der sozialen Sicherung fallen lassen, das unsere Regierung so eng geknüpft hat. Berichte über die „Dritte Welt“ und ihre für den Abendländer kaum vorstellbaren Zustände erörtern, was aus diesen Staaten herauszuschlagen ist, und Umstürze in Bananenrepubliken werden grundsätzlich unter dem Aspekt diskutiert, inwiefern sie diesem Zweck förderlich oder hinderlich sind, womit man sich leicht tut, die neuen Machthaber zu loben bzw. den alten nachzutrauern.

Der Bürger, so für die internationalen Beziehungen interessiert, lernt auch, daß für die Verbesserung dieser Beziehungen Gewalt eine bleibende Notwendigkeit ist, um da unten bzw. da oben Ordnung zu schaffen, und daß die Schwarzen, Gelben und Braunen für die Demokratie nicht reif bzw. ganz und gar ungeeignet sind, weshalb im Umgang mit ihnen dem eigenen Staatswohl einige demokratische Gepflogenheiten zum Opfer fallen müssen, weil sonst unsere schöne Demokratie nur gefährdet würde. Allein die hauptsächlich bei den Unterentwickelten und den politisch unsicheren Staaten (jüngst Italien) häufig vorkommenden Naturkatastrophen (was kein Zufall sein kann) beweisen, daß auf unseren Staat Verlaß ist, der derartiges 1. gar nicht erst einreißen läßt und 2. falls es in zivilisiertem Ausmaße doch mal passiert, damit rasch fertig wird (siehe Hamburger Flutkatastrophe). Zudem haben Naturunglücke den Vorteil, daß sich darin unsere Staatsmänner bewähren, die inmitten der Opfer posierend beweisen können, daß ihre ordnende Hand alles zum Besten richten wird. Schließlich lassen sich die Nachrichten auch nicht die Meldung über jene Frau entgehen, die mehr Arbeit für sich einklagte, beweist dies doch die rechte Einstellung und die Großzügigkeit unseres Staates, wie umgekehrt bestimmte Leute deshalb Erwähnung finden, weil sich an ihnen zeigen läßt, daß wir in einer wehrhaften Demokratie leben, die sich ihrer Gegner auf rechtsstaatliche Weise entledigt, weswegen sie auch der tatkräftigen Unterstützung und Opferbereitschaft aller Bürger bedarf.

Daß der Staatsbürger die Nachrichten braucht, um zu wissen, was im Staat passiert, nützt der Staat also schamlos aus, indem er ihn zwingt, sich mit jeder Nachricht gleich für den Staat agitieren zu lassen. Angesichts der Tatsache, daß die Nachrichtensendungen die höchste Einschaltquote haben, verwundert es nicht, daß die diversen Politiker sich drängen, sich hier dem Volk präsentieren zu dürfen. Daß sie dabei oftmals die notwendige staatsmännische Haltung vermissen lassen, zu sehr ihren Parteienstreit austragen, gibt manchem Anlaß zu beklagen, daß die Tagesschau zum „Verlautbarungsjournalismus“, zur „Pressestelle der Parteien“ geworden sei. Und überhaupt ist man allgemein um eine wirkungsvolle Staatsagitation in der Tagesschau besorgt. Der STERN beklagt, daß die „»amtlichen« Meldungen der Tagesschau an den meisten Zuschauern vorbeirauschen“, und schimpft darüber, daß die Nachrichten durch die allzu unverhohlene Darstellung des Parteienstreits untauglich werden könnten, was das Fernsehen allerdings auch schon als Gefahr bemerkt hat:

,,Unsere Arbeit wird uns nicht mehr abgenommen.“

Eine Sorge, die auch die Leute vom Wetterbericht haben, den sich der Zuschauer trotz gewisser Unsicherheiten nicht entgehen läßt, weil er auch in Bezug aufs Wetter wissen muß, woran er ist.


Die politischen Magazine

„Durch sachgemäße Information ist die politische Urteilsfähigkeit zu stärken, durch Darstellung der Aufgaben und Entscheidungsmöglichkeiten die Verantwortungsfähigkeit und die Verantwortungswilligkeit zu fördern.“

Die politischen Magazine dienen einerseits der Intensivierung der kompakten Agitation in Tagesschau und heute, andererseits bieten sie dem Bürger Orientierungshilfe im Meinungsstreit der Parteien, der vorher in den Nachrichten unvermittelt und weitgehend unkommentiert aufeinandergeprallt ist. Dies fordert natürlich die Parteien in weit engagierterer Weise auf den Plan: haben sie sich bei der Tagesschau nur bisweilen darüber beschwert, daß Schmidt im Durchschnitt um 15,3 sec. länger zu Wort kam als Kohl, und als Konsequenz einen Ausgleich in der nächsten Sendung gefordert, so versuchen sie nun, ihnen mißliebige Moderatoren abzuschiessen, ganze Magazine abzusetzen, oder veranlassen über ihnen verbundene Intendanten, daß Magazine der Gegenseite durch attraktive Kontrastprogramme auf den dritten Kanälen zumindest neutralisiert werden.

„In der Programmpolitik des dritten Bayerischen Fernsehens wolle man sich erst neue Überlegungen machen, wenn das neue Programmschema (des ersten Programms) abgestimmt sei“ (SZ),

was angesichts der augenblicklichen Praxis des BR – immer dann, wenn SPD/FDP-freundliche Magazine laufen, den bayerischen Fernseher im dritten Programm mit attraktiven Heimatfilmen zu verwöhnen, bei Report (CDU/CSU) aber eine matte Sendung über den Chiemgau-Pauli zu zeigen – auf die mit einer Drohung verbundene Forderung der CSU hinausläuft, ihren Standpunkt angemessener als bisher zu berücksichtigen. Die gemeinten Journalisten und Redakteure setzen sich natürlich aufs Schärfste gegen irgendwelche Eingriffe in ihre Verantwortungsbereiche zur Wehr. Zwar sind sie allesamt parteipolitisch engagiert, ein Umstand, dem sie ihren Posten verdanken, aber – so halten sie sich zugute – keineswegs gebunden: sie bleiben immer objektiv, d.h. sie stellen das Staatswohl über kurzsichtige Parteiinteressen und verstehen sich damit als Korrektiv ihrer Partei, deren Erfolg sie gerade dadurch befördern, daß sie ihr kritisch gegenüberstehen, d.h. bessere Lösungen zur Diskussion stellen und durch Kritik die Politik der Partei so beeinflussen möchten, daß sie keine Angriffsflächen für den Mißmut der Bürger bietet.

Die Moderatoren begreifen sich als Missionare zur Bildung des kritischen Staatsbürgers, der sich selbst den Kopf der Politiker zerbricht, die alternativen Möglichkeiten staatlichen Handelns gegeneinander abwägt und sein begründetes Urteil über das Wohl des Ganzen fällt und vertritt, kurz, keine Schwierigkeiten hat, seine Interessen freiwillig in den Staatsnotwendigkeiten auf- und untergehen zu lassen. So haben die Magazinbeiträge die ganze Problematik staatlichen Handelns zu vermitteln, Beschlüsse im Nachtarock auf ihre Effizienz zu überprüfen und mit all dem den Bürger an sie zu binden als einen, der sich ihnen nicht nur blind unterwirft, sondern sie bewußt nachvollziehen und vertreten kann. Der Vorteil solcher Agitation durch die Magazine für die Politik des Staates liegt darin, daß der Staatsstandpunkt nicht wie sonst als Parteistandpunkt dem Volk entgegentritt, sondern als journalistische Information, die „der Objektivität verpflichtet“ ist.

Damit wird unter Umgehung des verbreiteten Mißtrauens der Bürger gegen „die da oben“ für deren Maßnahmen geworben. Es ist etwas anderes, wenn Löwental als Moderator dasselbe wie Strauß sagt, als wenn Strauß es selber sagen würde. Die Kritik, die in den Magazinen an den üblichen Sauereien geübt wird, die zum Handwerk des Politikers gehören, und die ihnen einen Großteil ihrer Attraktivität beim Publikum verleihen, verstärkt beim Bürger das Vertrauen in die prinzipielle Intaktheit eines Staatswesens, in dem solches immer wieder aufgedeckt und angeprangert wird und befördert bei den Parteien das Vertrauen in die Agitationswirkung der jeweiligen Magazine, weil diese sich in der Regel auf die Entlarvung von skandalösen Vorfällen der Gegenseite beschränken. Da solche Enthüllungen nur ziehen, wenn sie prominente, d.h. erfolgreiche Politiker betreffen, schaden sie ihnen auch nicht, sondern dienen ihren Fans lediglich als Beweis der Gerissenheit, d.h. staatsmännischen Qualifikation des Angegriffenen. Und weil die Magazine nach jeder Enthüllung versichern, dieser Skandal sei ein Einzelfall, der unserer Demokratie schade, ist auch klargestellt, daß selbst die schlechteste Staatshandlung eine Handlung des Staates ist und daß die Konsequenz daraus nur eine bessere sein kann, also ein effektiverer Staat. Dies vorgetragen in scharf gesetzten Worten, ernst in die Kamera blickend bewährt sich der Moderator als kompetenter Journalist, dem das Funktionieren „unserer Demokratie“ so sehr am Herzen liegt, daß er sogar DKP-Lokomotivführer Beamte bleiben lassen oder die Straßen vom letzten linken Straßenkehrer säubern will, damit das Vertrauen ins Grundgesetz erhalten und der DKP-Lehrer draußen bleibt, was ihm manchmal sogar die Sympathien derer einbringt, deren Vernichtung einen weiteren Themenschwerpunkt seiner Sendung darstellt:

der Kommunisten hüben und drüben, wobei man staatspolitischer Interessen wegen mit denen drüben augenblicklich leben muß (und deswegen immer wieder einmal zwanglos zeigt, wie die drüben leben müssen), während ebenfalls staatspolitische Gründe die Abschaffung der Kommunisten hüben geraten erscheinen lassen. Gerhard Löwental weiß als fanatischer Antikommunist, der jede Bestrebung, deren Zweck nicht die unmittelbare Stärkung des Staates ist, für Umsturz hält (deswegen trägt er 1. eine Pistole mit sich und 2. dauernd Prozesse mit denen aus, die er in den Kommunismusverdacht gebracht hat) am besten, wie wichtig solche Agitation fürs Volk ist. Deshalb möchte er am liebsten jeden Bürger, inklusive derjenigen in der SBZ, zur Betrachtung des ZDF-Magazins zwangsverpflichten.

Da der Staat aber auch noch andere Probleme hat und nicht jeder, der gegen die DDR was hat und für die BRD ist, auch schon der aufgeschlossene Idealstaatsbürger der Politiker ist, ist das von Löwental ausgenützte Problem allen Verantwortlichen ein Dorn im Auge: Sie wissen, daß nur wenige Leute freiwillig diese Sendungen angucken, sie wissen aber auch, daß Gewalt an der Privatsphäre der Bürger ihre Grenze hat, deshalb läßt man sich alle möglichen Tricks einfallen: nach Meinung eines Oeller(2) (BR) z.B.

„wirke es sich für eine Reihe von politischen Sendungen sogar positiv aus, wenn sie nach einer Unterhaltungssendung begännen.“ (SZ)

So genial der Trick klingen mag, er ist doch nur die Umkehrung der augenblicklichen Praxis – erst die Pflicht, dann der Quiz – und zudem mit dem Problem verknüpft, daß die Massen dann bereits den Kasten abschalten und die Mersetals und Löwenburgers vor fast leeren Rängen zu agieren gezwungen wären. (Und dies zu verhindern, sind sie sich über die Parteigrenzen hinweg einig.)


Spät abends der höhere Blödsinn

Ein Schicksal, das ,,Aspekte“, „Titel, Thesen, Temperamente“ etc. schon seit Bestehen erleiden, weil ihr Beitrag ein zwar nützlicher für Intellektuelle ist, für die Massen aber überflüssig wie ein Kropf: sie sind drauf aus, den Künstlern dieser Weit aufzulauern, wo immer sie sie zu finden glauben und danach abzuklopfen, ob sie auch entsprechend ihrer gesellschaftlichen Relevanz (die anschließend im literarischen Kolloquium vom über diesem Geschäft dramatisch abgemagerten Warzen-Schmieding in Frage, dann in den Raum und schließlich vom Zuschauer abgestellt wird) auf die Leute wirken. Wenn also das Fernsehen die Seher mit den Intentionen des höheren Blödsinns vertraut macht, zeigt der Staat, daß er über dem niedrigen Alltagsgeschäft auch die höheren Bedürfnisse seiner Bürger nicht vergißt – oder um es mit den unnachahmlichen Worten Joachim Kaisers zu sagen:

„Wo der Geist waltet, schwindet die Nichtigkeit der Welt!“

So offeriert der Staat denen unter seinen Bürgern, die mit seiner Gewalt keine Probleme haben, was sich schon daran zeigt, daß sie so lange aufbleiben können, vor Sendeschluß Streifzüge ins Reich der Freiheit, bei denen einerseits die Probleme des Tages relativiert, andererseits die von ihnen ohnehin nicht belasteteten in ihrer Gewißheit bestärkt werden, daß sich das Wirken der Staatsmacht für sie auf jeden Fall segensreich auswirkt.


Unterhaltsame Lebenshilfe für die Jugend

Zur politischen Agitation des Fernsehens gehört die Propaganda der dazupassenden Moral, die den Bürger befähigt, so mit seinen Problemen fertigzuwerden, daß es 1) nichts kostet und 2) der Staat was davon hat. Und damit muß man früh anfangen. Da die Jugend besondere Probleme hat und zudem unterhalten sein will, macht sich der Staat die Unterhaltung zum Mittel, und befaßt sich mit den Problemen auf seine Weise.

So tritt in Teamwörk bspw. das Rocktheater „Kneifzange“ (so auch ihr Sound) auf und singt, daß man froh sein kann, einen Arbeitsplatz zu haben in diesen lausigen Zeiten, was den Auftakt abgibt, über das Betriebspraktikum einer Bremer Hauptschule zu berichten. Erst läßt man den Lehrer versichern, daß er sich das Richtige dabei gedacht hat: „Die Jungen und Mädchen sollen darauf vorbereitet werden, sich in den Zwängen der Arbeitswelt zurecht zu finden.“ (Womit das Glück, einen Arbeitsplatz zu haben, bereits relativiert wäre). Nachdem alle Kinder dargelegt haben, warum man in dieser Gesellschaft wohl arbeiten geht – „um Geld zu verdienen“, „um Kontakt zu bekommen“ – schickt man sie plus Fernsehteam in Kaufhäuser und Werkstätten (!). Der Personalchef läßt hören, daß „Sie nicht nur die positiven Seiten, sondern auch alles andere der Arbeitswelt kennenlernen werden“, und weist noch darauf hin, daß augenblicklich die Lehrstellen wohl etwas knapp wären, was die Praktikanten auf die Idee bringt, doch mal beim Staat zu fragen, ob das auch stimmt. Der Besuch auf dem Arbeitsamt erbringt die Bestätigung dieser Tatsache, aber darüber hinaus das eigentlich wesentliche: die auf dem Arbeitsamt haben sich zwar die allergrößte Mühe gegeben, leider war beim besten Willen nichts zu machen, so daß nach 45 Minuten auch der Letzte begriffen haben muß:

„Bisher habe ich's zu leicht genommen, wir müssen was tun, uns anstrengen.“

Die Kneifzange singt dann nochmal ein Lied: „Ich bin 16, dubi du, doch es gibt keinen Job für mich, dam, dam.“ Wobei die Sendung keinen Zweifel darüber gelassen hat, an wem's dabei liegt.

Auch bei den anderen Problemen der „jungen Leute“ läßt sich das Fernsehen die moralische Aufrüstung der unzufriedenen Jugend angelegen sein; dabei erfreut es sich tatkräftiger Unterstützung durch Pädagogen und Psychologen, die mit gesetzten Worten zwischen den vorgesetzten „Fällen aus dem täglichen Leben“ die penetrant vorgezeigte Lehre noch einmal in probaten Lebensregeln zusammenfassen. Da beweisen denn also fröhlich umhertollende oder „ungezwungen“ kommunizierende Schulklassen, wie angenehm Schule sein kann, daß Autorität sein muß und daß der Schulzwang keiner ist, wenn er über das Einverständnis von Lehrer und Schüler durchgesetzt wird; kommen Wissenschaftler oder Reporter je nach Region zum Ergebnis, daß die Gesamtschule gerechter und leistungsfördernder oder nicht, jedenfalls aber ein interessanter Versuch ist, und Umschullinge und Telekollegen präsentieren sich als lebender Beweis für die Lüge, daß man die Abhängigkeit vom Kapital sehr angenehm gestalten kann (weswegen sich außer Jugendlichen auch viele frustrierte Hausfrauen und sonstige am Kapital gescheiterte Existenzen vom 3. Programm medienverbundlich den Grips raus und Wissensbrocken und Gesinnung für nützliche Berufswechsel reinzwingen lassen.).

Im übrigen schließen schmucke Jungliebespaare wöchentlich Frühehen, mit manchen Früh- oder verhinderten Geburten, um zu demonstrieren, daß früh gefreit noch fast stets gereut hat, getreu der Logik: Liebe ist das Schönste auf der Welt, doch ohne Familie geht's nicht, welche aber nur dann schön ist, wenn man sich auch ernähren kann und sich „was zu sagen“ hat, weswegen es auf der Welt am allerschönsten ist, wenn man im Arbeitsleben seinen Mann und Frau steht und sich mit gegenseitigem „Verständnis“ in der Scheiße häuslich einrichtet.


Der Mensch im Tier

„... anwenden, was ich gelernt habe, Verantwortungsgefühl und so. Frei sein ist garnicht so leicht.“ (Die Löwin Elsa im Deutschen Fernsehen)

Um diesen Spruch loswerden zu können, ohne daß der Zuschauer gleich abstellt, mußte eine blonde Ami-Kuh in Afrika mit dem Flugzeug abstürzen, einer Löwin (nach Grzimek: Großkatze mit vorbildlichem Familienleben) einen Stachel aus dem Fleisch ziehen und ständig schrecklich durstig in die Kamera sehen. Da dem deutschen Fernsehzuschauer die hier verbreitete Tugend auch schon aus seinem täglichen Leben bekannt ist, wäre diese „unterhaltende Bildungsserie“ trostlos, wenn sie nicht im fernen Afrika und mit einer Löwin als Hauptdarstellerin spielen würde. So aber bekommt er den bekannten Quark im fremden Land vorgeführt, was für das Fernsehen den doppelten Nutzen hat, sein Erziehungsobjekt vor dem Kasten halten zu können und zugleich um so nachdrücklicher die Allgemeingültigkeit der Scheiße demonstrieren zu können: auch Löwen haben Schwierigkeiten mit dem rechten Gebrauch der Freiheit. Daß das Fernsehen zum Tier als Hauptdarsteller greift, verwundert also nicht, bietet dieses doch die Möglichkeit, vorbildliches menschliches Verhalten glaubwürdig und rührend darstellen zu können. Der Zuschauer liebt Tiere – was auch Rudi Carrell neulich sogar bei Mäusen schmerzlich erfahren mußte – besonders dann, wenn es ihm als treuer Gefährte das gewährt, was ihm die Bestie Mitmensch verweigert. Sei es, daß Flipper, ehemals Lassie, unser bester Freund ist oder Rin-Tin-Tin, Fury, Skippy und das andere Viehzeug, immer auf's neue beweisen, daß unrecht Gut nicht gedeiht, und Aufopferung zu den schönsten Tugenden zählt.

(Daß auch der Reale Sozialismus nicht ohne das Tier auskommen, bewies eine Sendung, die vom sowjetischen Fernsehen übernommen wurde und die die Botschaft bislang noch nicht dementiert hat: darin wurde am feuerlöschenden Affen demonstriert, daß im ZK die höhere Organisationsform von diesem sitzt.) Sein Pendant hat dies in der Darstellung des Negers als Tier, dem ein weißer Daktari den aufrechten Gang beibringt, was 1) beweist, daß wir alle Neger sind und 2) daß wir es im Gegensatz zu diesen weit gebracht haben.


Kindisches fürs Kind

Während die Löwin Elsa ein gelungenes Beispiel dafür darstellt, wie der

„pädagogischen Forderung entsprochen werden kann, den Eltern wenigstens am Wochenende Gelegenheit zu geben, gemeinsam mit ihren Kindern fernzusehen“ (FR 30/9/76),

weil auch Mutti und Vati an diesem Staatsbürger im Löwenfell Gefallen finden, ihnen die Sendung nicht zu banal ist, ist wochentags dafür Sorge getragen, daß die Kinder ihre Sendung mit der Maus haben. Da Vati seiner Pflicht nachgeht, den Reichtum der Nation zu mehren und Mutti ebenfalls das Gespräch mit den Kleinen nicht pflegen kann, nimmt sich das Deutsche Fernsehen ihrer an und versorgt sie mit diversen Sendungen, die auf das Glücklichste zwei Anliegen in Einklang bringen: die Blagen sind vom Küchentisch weg und lernen etwas nützliches, das ihnen ihre Eltern nicht beibringen können, da sie sich für andere nützlich machen müssen. So erfüllt das Fernsehen seine Aufgabe, indem es die Kinder damit beschäftigt, daß es zeigt, wie man sich beschäftigen kann, z.B. mit dem Zählen von Güterwagen der Eisenbahn (wobei man nebenbei noch ganz zwanglos die Zahlen von eins bis ... lernt). Da solche Beschäftigung allzu trostlos ist, als daß sie die Kinder vor dem Bildschirm halten könnte, kann man auf die Maus, den Kater Mikesch, den Esel Bobesch oder den Spatz vom Wallrafplatz warten, die zwischendurch ihre Späße machen. Angesichts der Stupidität solcher Sendungen, die kindisch sind, weil sie für die Kinder nichts übrig haben, sondern ihnen die Verhaltensmaßregeln nach dem bekannten Prinzip „was wäre, wenn die Ampel an der Ecke nicht mehr leuchten täte“ „kindergerecht“ einbläuen, quengeln sich die Kinder bis zu „Derrick“ durch, was manche Leute auf den Gedanken bringt, ob es nicht besser wäre, den Kindern ein ,gutes Buch' zu geben.

Gegenüber derartigem Idealismus kann das Fernsehen allerdings seinen Realitätssinn beweisen, denn es weiß, was von den Kindern der Prolis wie von ihren Eltern zu halten ist, die nicht das Problem von gutem Buch und netten Freunden haben, sondern die beschäftigt sein wollen, weil sie vor dem Fernseher hocken müssen, denn Vati und Mutti brauchen ihre Mattscheibe.

Während das Fernsehen so für die Noch-nicht-Nützlichen sorgt, damit die Nützlichen ungestört ihrem Schaffensdrang nachgehen können, kommen ihm bei seiner Programmgestaltung allerdings, die Nutzlosen in die Quere.

Im Zwist ,Oma oder ich' kann das Fernsehen aber einerseits darauf vertrauen, daß das Alter bekanntlich wieder kindisch wird und deshalb auch an den Kindersendungen Beschäftigung findet, andererseits hält es für diejenigen, die noch nicht kapiert haben, daß sie unnütz sind, ein „Mosaik für die ältere Generation“ bereit, in dem nützliche Beschäftigungen erfunden werden, die ihnen den Glauben verschaffen, noch nicht zum alten Eisen zu gehören, wenn sie die Nützlichen entlasten: da werden ,Tages- mütter' propagiert, damit die Mutter ihre Kinder verwahrt weiß, wenn sie die Fernseher zusammenbastelt oder findige Mit-Alte vorgestellt, die es ganz ohne Hilfe des Fernsehens geschafft haben, für sich selbst Beschäftigungen zu ersinnen.


Das Leben als Serie

„Ehe und Familie dürfen als Institution nicht in Frage gestellt, herabgewürdigt oder verhöhnt werden.“

Später am Nachmittag stellt sich das Problem, der ganzen Familie etwas bieten zu müssen, weil einerseits Vater nach Hause gekommen ist, andererseits die Kinder noch nicht da sind, wo sie hingehören, im Bett, Dieser Aufgabe wird es dadurch gerecht, daß es zunächst einmal der deutschen Industrie Gelegenheit gibt, dem heimgekehrten Vater die Zigarette anzupreisen, die ihm die Freiheit bringt, was aber allein nicht unterhaltsam genug ist, so daß sich hier die Gelegenheit ergibt, eine der beliebten Serien unterzubringen, weil die Finanziers der Werbung sicher sein wollen, daß das Interesse an ihren Produkten erhalten bleibt.

Ebenso, wie man allabendlich weiß, daß der Weiße Riese kommt, kann man sich dank der Serien darauf einstellen, Montags „Oh Mary“, Dienstags „Tom und Jerry“ und Mittwochs die Probleme einer deutschen „Normalfamilie“ kennenzulernen, der kein anstehendes Problem fremd ist und die es solidarisch zu lösen weiß, Donnerstags zeigt Herr Onedin, welch entsagungsvolle Arbeit im Dienste des Fortschritts die Unternehmer auf den Weltmeeren geleistet haben. Am Freitag führen Dick und Doof vor, daß die Dummen zumindest die Lacher auf ihrer Seite haben und am Samstag lehren die Überlebenden der Mary Jane, wie man sich auch ohne Sozialleistungen durchschlägt, sofern man sich nicht alle Lehren der Woche noch einmal bei Dieter Thomas Heck musikalisch darbieten lassen will.

Weil das Fernsehen weiß, was es seinen Zuschauern zumuten darf, stellen die Darsteller dieser Serien auch keine Charaktere mehr dar, sondern lassen diese nur raushängen – zumal man ohnehin aus der vorhergehenden Folge weiß, wo Gut und Böse zu finden ist.

Der Zuschauer stößt sich nicht an der dargebotenen Moral. Er hat nach jahrelanger Zuschauertreue Familienanschluß bei den Waltons gefunden, mit ihnen die Freuden der Armut durchlebt, mit dem Eaton-Butler unter einem Dach mit den Reichen gehaust, mit den arbeitsamen Firbecks ist er nach Feierabend langsam aber sicher zu Erfolg gekommen und hat die Segnungen der Freiheit ausgekostet und sich mit Kung-Fu skrupelvoll durch den Westen handgekantet. Ihn stört höchstens, daß die schlechte Machart mancher Serien ihm die gewünschte Identifikation erschwert: Sepp Dirschel aus Garching: „Mary spielt zu unnatürlich!“ Die damit von ihm angezettelten ,Niveaudiskussionen' beantwortet das Fernsehen in Frontstellung gegen die Dr. Joseph Dirschels mit dem überlegenen Verweis auf die Einschaltquote, womit von seinem Standpunkt das Problem klargelegt ist: die Sendungen müssen so sein, daß alle ohne Anstrengung zuschauen können und dürfen andererseits nicht zu banal.


Ludi et circenses

Sie müssen so sein, daß alle ohne Anstrengung zuschauen können, was in den diversen Shows und Quiz vorbildlich verwirklicht ist, weil die Bedürfnisse der Leute so trostlos sind, wie sie hier vom Fernsehen befriedigt werden dürfen.

Während die „Waltons“ das Unterhaltungsbedürfnis ausnutzen um klar zu machen, daß „Arm und Glücklich“ zusammengehören, fällt bei Peter Alexander das moralische Geseiche und Unterhaltung als Kultur zusammen: wenn er die Liebe verherrlicht und den Nutzen der Selbstlosigkeit feiert usw., ist dies schlechte Unterhaltung, weil sie das Bedürfnis der Leute, deren Ideale er besingt, befriedigt, sich mit ihrem beschissenen Leben, ihren täglichen Sorgen abzufinden („Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein!“). Sein Wiener Charme, die deutsche Fassung von there is no business like show-business, gestattet ihm dabei, die Sorgen eines Vaters um die Tochter so zu präsentieren, daß jeder merkt, wie leicht man mit seinen Sorgen fertig wird, wenn man ein so sonniges Gemüt hat wie unser Peter. Und da er weiß, was er seinem Publikum schuldig ist, lädt er zu seinen Shows nicht nur seine Künstlerfreunde ein (wo doch aus Dieter Thomas Hecks Hitparade bekannt ist, daß nur diejenigen freundlich klatschen, die ohnehin nicht mehr wählbar sind), sondern auch das Fernsehballett, dessen rhythmisches Rumgehopse langer Beine in aufreizenden Kostümen nur ein matter Ersatz für die Pornos ist, die Report immer nur ankündigt.

Stattdessen läßt man in der Serienunterhaltung am Abend die Hemmungen fallen, die Familien- und Jugendschutz denen nachmittags und vor 8 auferlegen: in Western darf sich der Bürger von den Schlägen, die er tagsüber einstecken muß, dadurch erholen, daß er mit der US-

Kavallerie für den noch durchzusetzenden Staat die Indianer zusammenhauen und sich mit Kojak für die zu erhaltende Ordnung durch New Yorks Unterwelt prügeln darf. Sonntags ist er Augenzeuge am Tatort, wenn Deutschlands Kommissare für Ruhe und Ordnung sorgen und da er bei diesem Schauspiel nur gern gesehener Gast ist, bietet ihm XY-Zimmermann freitags Gelegenheit, „unseren Polizeibeamten“ auch wirklich zu helfen. Daß diese Staatsbürgerkunde für Denunzianten auch der Möglichkeit Tür und Tor öffnet, dem unsympathischen Nachbarn den Besuch der Staatsgewalt zu bescheren, ist zwar nicht unbedingt erwünschte, aber in Kauf genommene Begleiterscheinung dieser populären Sendung nach dem Motto

„wo gehobelt wird, fallen Späne“.

Schließlich gibt es auch noch für diejenigen, die immer die Dummen sind, jene ,,aus den USA (!) stammende Rätselart in Form von Intelligenz- oder Gedächtnisprüfung“ (Brockhaus), Quiz genannt, die es ihnen gestattet, endlich einmal in ihrer Freizeit ihren Mit-Zuschauern zu beweisen, daß auch ein Dummkopf viel wissen kann, wobei es nicht darauf ankommt, ob man nun alles über Beethoven oder alles über die Berliner U-Bahn auswendig gelernt hat. Im einen Fall beweist man, daß Musik nicht zum Hören, sondern zum Wiedererkennen da ist, im anderen, daß die U-Bahn nicht nur fährt, sondern auch eine Geschichte hat. Veranstaltungen dieser Art zeigen, wie schön „geistige“ Arbeit in der Freizeit ist und daß sie sich für ein wandelndes Speziallexikon auch auszahlen kann.

Ist das Schöne an den Unterhaltungssendungen dieser Art, daß das Interesse der Zuschauer an ihnen mit dem Interesse des Staates an den Zuschauern zusammenfällt, so erlauben die Sportsendungen,, daß ganz zwanglos neben die Unterhaltung die rechte nationale Gesinnung tritt, so daß es des Spielens der Nationalhymne schon nicht mehr bedarf, wenn der FC Bayern gegen Dynamo Kiew antritt (was natürlich die Russen nicht hindert, sie doch zu spielen), weshalb auch das normale Programm bei derartigen Ereignissen ausfallen kann, da der Sportreporter ohnehin dafür sorgt, daß das Fernsehalltagsprogramm anhand der olympischen Wettkämpfe eingearbeitet wird.

So ist Erfolg im Sportstudio eine gute Qualifikation für andere Formen der Agitation durch Unterhaltung, was Wim Thölkes Aufstieg zum Showmaster beweist, wie auch umgekehrt ein heute-Redakteur bei der unmittelbaren Staatsagitation so viel lernt, daß er die über den Sport vermittelte mühelos beherrscht (Hanns-Joachim Friedrichs). Das Lob der Leistung durch hartes an-sich-Arbeiten vermittelt dem Bürger ebenso notwendige, im Kapitalismus gefragte Tugenden, wie sich über die Kommentierung der Leistung von DDR-Athleten zeigen läßt, daß sie 1. gar keine sind, weil nicht von Menschen, sondern von Robotern erbracht, womit 2. die Überlegenheit des westlichen Systems auch an seinen Schlappen noch demonstriert werden kann. Der Auftritt eines derart perfekten Philanthropen wie Joseph Neckermann für die Sporthilfe überzeugt jeden, daß die an unsere Sportler verfütterten Steaks auf keinen Fall zu breitem Kreuz und tiefen Stimmen wie bei den Ostschwimmerinnen führt (wenngleich die ARD diesen Eindruck beinahe dadurch gefährdet hätte, daß sie Kornelia Ender in die Olympia- Schönheitskonkurrenz aufnahm, wodurch jeder sehen konnte, daß sie von hinten noch schöner ist als die goldene Annegert von vorne).

Sportübertragungen sind in der Regel billig, da die Wettkämpfe (noch) nicht vom Fernsehen produziert werden müssen und die Bunten Abendgestalter dürfen es etatmäßig nicht zu bunt treiben.

Billig also müssen sie sein, aber dafür ist dem Fernsehen nichts zu teuer, denn um allen moralischen Tricks genügen zu können, sind einige Investitionen erforderlich, was diejenigen vergessen, die mit dem Verweis auf das ,Niveau' des Gebotenen meinen, an den hohen Fernsehgebühren herummäkeln zu können, weshalb das Fernsehen auch weiterhin die hohen Ausgaben nicht scheuen wird, damit Rudi Carrell am laufenden Band Feuerabends Musik Trumpf sein lassen kann und Ilja Richter mit seinem köstlichen Humor am tristen Samstag Abend das Licht aus und Spot(t) auf minderjährige Hauptopfer im Publikum richten kann, was den Zuschauer aber nicht hindert, sich auch weiterhin das Geld für Wums Wohlfahrtsveranstaltung aus der Tasche locken zu lassen, weil er meint, daß dort etwas zu gewinnen sei und sich von der Ziehung der Lottozahlen zu erhoffen, auch einmal überlegen zu dürfen, ob er sein Geld besser in Aktien oder Grundstücken anlegen soll, wobei er hoffentlich sich an Plus/Minus erinnert, das breite Streuung empfiehlt. Wer weder im Lotto noch bei Big Wim einen Treffer landen konnte, den tröstet der samstägliche Stargast Mireille Matthieu, die für teures Geld singt, daß es besser ist „frei wie ein Vogel zu leben, als im goldenen Käfig zu sein“, was auch treibendes Motiv Dr. Kimbles „Auf der Flucht“ ist, der seit 10 Jahren (neuerdings im BR) Rolf Pohle zeigt, was eine Harke ist.

Und wem das alles noch nicht zum Glück in dieser Welt reicht, dem erläutert nach den Lottozahlen das Wort zum Sonntag 1) daß in jedem ein Mensch steckt, 2) daß in jedem Mensch ein Mitmensch steckt und 3) daß er lieber für das Glück des Mitmenschen sorgen soll, da nicht jeder Mensch glücklich sein kann.


Programmschluß

„Jeder Mensch hat das Recht auf Eigenleben. Die Intimsphäre ist in den Sendungen zu achten“.

was 1. falsch ist, denn das Fernsehen wird nicht intim und 2. noch einmal klarstellt, daß der Staat keineswegs gewillt ist, die Leute in ihrer Freizeit in Ruhe zu lassen. So nötigt er denjenigen, die zur Ergänzung ihres garnicht lustigen Alltags der tristen Unterhaltung des Fernsehens bedürfen, auf, was sie zum Aushalten dieses Alltags dringend nötig haben. „Zwei Stunden Fernsehen“, hat ein Engländer namens Hilby festgestellt, „entsprechen drei Stunden Arbeit“, woraus das deutsche Fernsehen schon die richtige Konsequenz gezogen hat und sein Programm am Sonntag nach langem Fernseh-Wochenende frühzeitig mit Herbert von Karajan schließt, damit sich seine Zuschauer am nächsten Tag bei der Arbeit vom Fernsehen erholen können. Das Versprechen jedoch, „hiermit beendet das deutsche Fernsehen sein Programm“ erweist sich sogleich als trügerisch, wenn die Programmvorschau auf den nächsten Tag unwiderruflich (?) folgt.

Denn weil die Mühsal des Knochenhinhaltens für Kapital und Staat für die meisten Bürger tagaus tagein weitergeht, beginnt das Fernsehprogramm täglich aufs neue um 16.15 Uhr und am Wochenende schon nach dem Mittagessen, damit die moralische Anstalt ihre Opfer auch dann indoktrinieren kann, wenn sie mangels Arbeit auf andere Gedanken kommen könnten.

 

MSZ-Interview mit dem Mainzelmann Det

„Vom Landestheater Celle zum ZDF“

Det, der beliebte Chef der ZDF-Stars „Mainzelmännchen“ (er ist der ältere Herr mit der Brille, der bei den Kapriolen seiner Truppe fürs gute Ende sorgt), ist ein vielbeschäftigter Mann (fünf Sendungen pro Woche!). So war es nicht leicht, einen Termin mit ihm für dieses Interview zu vereinbaren. Das Gespräch fand in Dets rustikal eingerichtetem Bauernhof im Sauerland statt, der von einer riesigen Antenne überragt wird, die es dem Star ermöglicht, sich die Konkurrenz in allen Regionalprogrammen bis zum Leo des BR kritisch anzusehen. Um in der Umgebung seines Hauses seine Ruhe zu haben, wahrt Det, der ja bekannt ist wie ein bunter Hund, sein Inkognito durch eine perfekte Verkleidung. Unser Foto zeigt ihn so, wie ihn die Bewohner seines Dorfes kennen.

MSZ: Was hat Sie damals gereizt, beim damals noch recht jungen ZDF Fernsehdarsteller zu werden? War es die Faszination des neuen Mediums? Wir wissen, daß Sie vorher mit großem Erfolg am Landestheater Celle den Othello und andere tragische Rollen gespielt haben. Wollten Sie über den Kreis eines solchen, naturgemäß beschränkten Publikums hinausdringen?

Det: Brummel, brummel, jajaja hihi.

MSZ: Sie erhalten täglich viele begeisterte Seherzuschriften. Darunter sollen auch zahlreiche Heiratsanträge sein. Dieses feed-back gibt Ihnen sicher Mut weiterzumachen. Was machen Sie aber, wenn die Resonanz nachläßt, für Sie das „Aus“ kommt. Nehmen Sie dann Ihren Hut, Entschuldigung, ihre Zipfelmütze?

Det: Krümmel, krummel, schluchz, seufz.

MSZ: Sie treten mitten in der Werbung auf. Sehen Sie den Sinn Ihres Programms darin, die internalisierten Sehgewohnheiten durch Ausnutzen der Dimensionsvarianten, wie sie dem Trickfilm eigen sind, gewissermaßen durch eine Kritik des Sehverhaltens, das Konsumverhalten aufzubrechen?

Det: Stöhn, keuch, pust, auwei,

MSZ: Wie man lesen kann, hat es in ihrer Karriere nicht an Bestechungsversuchen gefehlt. Kamen diese mehr von der Industrie oder von selten der großen Kirchen ?

Det: Harr, harr!

MSZ: Wollen Sie Ihr Talent auch in anderen Bereichen des Fernsehens einsetzen. Wir haben gehört, daß auch Sie ins 3. Programm mit einer Sendung für qualifizierte Minderheiten abwandern möchten?

Det: Hui, polter, polter, hepp, hepp.

MSZ: Herr Det, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

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(1) gemeint ist hier eine Art von Kritik, die den Staat bzw. seine Repräsentanten als Vertreter der Interessen des „Volkes“ gegen die Kapitalistenklasse begreift – eine Art von Kapitalismuskritik, die seit der von Bernstein ausgelösten Revisionismusdebatte ein Grundpfeiler linker Beschwerdekultur ist.

(2) Helmut Oeller war von 1964 bis 1987 Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks.

 

aus: MSZ 13 – Oktober 1976

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