Die Eurokommunisten

Das Kräfteverhältnis wächst von Tag zu Tag!


Nicht nur in Gegenden, wo sich revisionistische Organisationen in der Welt unter 1 % zwanglos tummeln, pflegen ihre Vertreter jeder Kritik jedem Angriff auf die falschen Zwecke dieser Vereine – ein Argument entgegenzuschleudern, das einerseits auf einem interessierten Mißverständnis beruht, andererseits kein Mißverständnis mehr zuläßt. Wir meinen die Phrase vom „Kräfteverhältnis“, das für die Tatsache verantwortlich sein soll, daß der betreffenden Politik nur sehr wenig Erfolg beschieden ist. Das Mißverständnis auf dem die Phrase beruht, ist die Verwechslung von Kritik mit dem Vorwurf der Erfolglosigkeit, das Mißverständnis, das sie erspart, betrifft die immer noch übliche Unterstellung, bei Leuten, die sich so verteidigen, handle es sich um Revolutionäre, um Leute also, die etwas gegen die ökonomischen und politischen Verhältnisse in ihrem Land haben, sie also zerstören wollen. Wer nämlich jeden sachlichen Einwand gegen seine Politik mit der Tautologie kontert, es stünde besser um sie, wenn es mangels Masse nicht so schlecht um sie stünde, der hat sich daran gewöhnt, von den Gründen ihres Scheiterns abzusehen. Er hat nicht das Problem, daß diejenigen, mit deren Unterstützung er das „Kräfteverhältnis“ ändern will, anderes im Sinn haben als er selbst, daß seine möglichen Parteigänger in Wirklichkeit seine Gegner sind und er sich nicht in der glücklichen Lage befindet, eine bloße Alternative von dem präsentieren zu können, was die Massen gemeinsam mit ihm anstreben. Im Gegenteil: ganz absichtlich, also bewußt ereifert er sich in dem Beweis, daß lediglich die gesteigerte Unterstützung seitens der Adressaten aller Politik vonnöten sei, um der eigenen Sache das längst berechtigte Gelingen zu sichern. Wer sein Tun und Lassen mit dem Hinweis auf das „Kräfteverhältnis“ verteidigt, gesteht also ein, daß seine Politik „realistisch“ in dem Sinne ist, daß sie sich den „Kräften“ akkomodiert, die ihn (noch) nicht zum Zuge kommen lassen: und zwar denen, die als Gewalt über andere herrschen ebenso wie denen, die sich dieser Gewalt unterordnen.

Was den Revisionisten gelingt, sooft sich die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten ändern, und warum sie bisweilen recht kräftig werden, sieht man am Eurokommunismus – vorausgesetzt freilich, man betrachtet ihn nicht undogmatisch büromäßig unter dem Aspekt des Kräfteverhältnisses als eine Chance der „Linken“.


C'e una crisi profonda (4)

Eurokommunisten sind nicht nur wie die meisten ihrer Zeitgenossen mit den Zuständen in ihrer Heimat und anderswo unzufrieden. Aus ihrer Unzufriedenheit heraus werden sie zu durch und durch positiven Menschen. Wenn sie dem Kapitalismus mit allem, was dazu gehört, nachsagen, er werde zur Gesundheit seiner Jugend in diesem Leben nie mehr zurückfinden, so wollen sie mit dieser durchaus nicht neuen Erfindung (aus dem tendenziellen Fall der Profitrate und anderen hat schon früher mancher Fäulnis und Zusammenbruch deduziert) den Massen keineswegs einreden, sie sollen Schluß machen mit den Opfern, die das spätmonopolistische Leben von ihnen fordert und, statt für „die“ Gesellschaft zu arbeiten, gegen das Lohnsystem kämpfen. Um die Rettung der Gesellschaft, des Landes, der Wirtschaft, der Tradition und ähnlicher – realer oder erfundener – Abstraktionen      geht es ihnen.

Enrico stellt die Frage

„Warum befindet sich das Land in den Fängen einer Krise, die von ihm nicht überwunden werden kann?“,

weil er die Antwort längst weiß und loswerden möchte:

„Abgesehen (!) von objektiven Gründen liegt die Hauptursache (!) dieses ungelösten Widerspruchs; der die (!) Gesellschaft zugrundezurichten droht, darin: es fehlt eine geeignete politische Führung.“

Mit seinen bürgerlichen Widersachern teilt ein Eurokommunist also bei seiner Krisenbesichtigung das Desinteresse an objektiven Gründen ebenso wie die politische Liebe zu dem Land, für das er sich zuständig fühlt. Und diesem Patriotismus gelten Land und Leute durchaus nicht gleich: in Portugal will Alvaro mit seiner Sorte Kommunisten „alle Opfer“ bringen, „wenn es darum geht, dem Volk und dem Vaterland zu dienen“, die Revolution, die das Vaterland rettet, sieht für die Leute, die sich für diese Rettung einspannen lassen, Opfer selbstverständlich vor. Ein Eurokommunist wirbt um den Zuspruch der Massen, indem er ihre Sorgen in die um das Funktionieren der krisengeschüttelten Gesellschaft und ihrer politischen Ordnung verwandelt. Auf die Massen kommt es ihm an, insofern sie als Staatsbürger die Entscheidung für eine politische Führung treffen können, die sich ernsthaft um die Rettung der Nation bemüht. Umstandslos appelliert er an die Staatstreue der Leute, die sich diese schon in der Phase der Fäulnis einiges kosten lassen müssen; offen spricht er die Lüge aus, daß von der Staatsgewalt, sofern sie nur in die richtigen Hände kommt, das Heil ausgehe. Und anders als bei uns, wo die DKP wie ihre revisionistischen Spiegelbilder einen Existenzkampf führen, nach Anerkennung im politischen Leben jammern und sich einigermaßen schwertun, das Nichtfunktionieren der deutschen Welt glaubhaft zu machen, um als ihre Retter einsteigen zu können, geht es in den Hochburgen der Euros ganz einfach um die Macht im Staat: wacker streiten sie mit ihren positiven Programmen um den rechten Gebrauch der Staatsgewalt, präsentieren sich als honorable, tatkräftige und – oder auf französisch:

„Nous pensons que la majorite actuelle ne pourra pas resoudre les problemes qui se posent au pays.“(1)

Für einen Euro ist der bürgerliche Staat nicht fähig, die Massen so zu traktieren, daß sie für das Kapital brauchbar sind, sondern unfähig, mit den, „sozialen Problemen“ fertig zu werden. Sein Sozialismus ist deswegen der Kampf um die politische Macht, mit der er zwar keines der beschworenen „Probleme“ aus der Welt schaffen will, die ihm aber als das Mittel zur Schlichtung sämtlicher Gegensätze, die das Land heimsuchen. recht probat erscheint. Sozialismus ist der engagierteste Einsatz dafür – wer sich um die ,,Stabilität der Gesellschaftsordnung“ den Kopf zerbricht, hat keinen Umsturz vor. Müßig die Frage, was ein Arbeiter davon hat, wenn sich Berlinguer mit Andreotti um die Posten im sottogoverno(2) streitet, wenn Carrillo einen Bischof aufsucht und Marchais im Elysee-Palast vorspricht! Darum geht es nämlich gar nicht, was die Euros auch in Wort und Schrift ständig nachzuweisen bemüht sind.


Ci poniamo sempre dal punto di vista delle masse (3)

Weil sie in den ,,konkreten Analysen“ von noch viel konkreteren Situationen die ganze schlechte kapitalistische Welt zum Beweis ihrer positiven Absichten heranziehen, sind die Urteile, die sie über die Geschäfte von Kapital und Staat fällen, ziemlich einfältig. Die Theorie der Eurokommunisten leidet nicht an des Gedankens Blässe. Nach dem schlichten, aber die Notwendigkeit ihres Einsatzes konsequent unterstreichenden Motto „die Staatsmacht ist unfähig, die Krise zu meistern“ verwandeln sie jede kapitalistische Sauerei in einen „Ausdruck der Krise“ und verlegen ihren Grund in den unsachgemäßen Gebrauch der Staatsgewalt. Ob sich das italienische Kapital bei der Schaffung seiner Reservearmee besonders großzügig verhält, oder die Unsicherheiten rentabler Ausbeutung ein Seveso hervorbringen; ob die Internationalisierung des Kapitals französische Betriebe gefährdet und Bauern ruiniert, oder die Amis die Concorde nicht landen lassen; wenn die Inflation auf der iberischen Halbinsel jährlich ihre 30-40 % beträgt und die „Öffnung“ zur EG selbst dem einheimischen Kapital mehr kostet als bringt – alles gerät den Theoretikern und Parteitagsrednern zum Beleg dafür, welch gravierender Versäumnisse sich ihr Staat schuldig macht. Vom rein theoretischen Standpunkt betrachtet handelt es sich in den Reden und Traktaten der Eurokommunisten um der bürgerlichen Wissenschaft und ihrer Abteilung „politische Agitation“ durchaus kongeniales Zeug – kein Phänomen des bürgerlichen Lebens wird eines objektiven Urteils für wert befunden, weil alles zwischen Himmel und Erde besagtem Interesse an einem alternativen Gebrauch der Staatsmacht entsprechend zugerichtet wird.

Freilich ist die Alternative, der praktische Zweck, welcher die „Erklärungen“ diktiert, ein durchaus anderer als bei den Demokraten, die in Krisenzeiten ihre faschistischen Ratschläge und Forderungen an die Staatsmänner bereithalten: einmal im Amt, will ein Eurokommunist die Nation und ihre Wirtschaft vom schädlichen Treiben der Monopole befreien, also von Staats wegen einen Angriff auf das (Groß-)Kapital starten. Doch auch bei dieser staatlich geplanten Attacke auf das Privateigentum fällt noch vor der Sichtung der ökonomischen Veränderungen, die da bewerkstelligt werden sollen, eines auf. Der „Standpunkt der Massen“, bisweilen noch verschämt „der Arbeiterklasse“ ist nicht der ihres materiellen Interesses, sondern der des unzufriedenen Staatsbürgers, der die Wirtschaft der Nation, von der er sich abhängig weiß, qua Staatsgewalt sanieren lassen soll. Das Versprechen der Eurokommunisten, ihr Wirken an den Schalthebeln der Macht gereiche dem kleinen Mann zum Vorteil, indem es die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessere, tritt als Argument gegen den Klassenkampf der Ausgebeuteten auf, nämlich als Forderung an die Arbeiter und sonstigen „Werktätigen“ (deren Kreis sich in den eurokommunistischen Strategien erheblich erweitert hat!), sie möchten per Kreuz auf dem Stimmzettel für die Wachablösung in den Regierungszentren sorgen.

Als wäre der bürgerliche Staat zu nichts anderem erfunden als zur arbeiterfreundlichen Verwaltung des Klassengegensatzes, bitten diese Parteien die Opfer des Kapitals um Vertrauen in eine von ihnen getrennte Gewalt, die es dann schon richten wird. Dieser „Standpunkt der Massen“ bedient sich des (falschen) Bewußtseins der von Staat und Kapital abhängigen Bürger, der Staat sei für ihr Zurechtkommen brauchbare Instanz (der „Beweis“ dafür läuft über alles, was in der Geschichte der Arbeiterbewegung dem Staat abgerungen worden ist, was man also gegen ihn durchsetzen mußte!) – um ihnen zugleich zu sagen, daß dergleichen natürlich erst dann der Fall sei, wenn sie die KP in die Ministersessel gewählt haben. So ist bereits vor dem „Erfolg“ mit aller Deutlichkeit klargestellt, daß die Wohltaten der Staatsrevolution nur bedingt zustandekommen: Ohne kräftige Unterstützung der Partei bei ihrer Krisenbewältigung und Rettung der Nation kein Segen von der „antimonopolistischen Demokratie“, vom „Sozialismus“ in den jeweiligen Landesfarben. Und wie ernst es die Eurokommunisten mit dieser Bedingung meinen, führen sie ihren Anhängern wie Gegnern unter den Massen gerade dort vor Augen, wo bürgerlichen Beobachtern der Siegeszug des Revisionismus einen kalten Schauer über den Rücken jagt.


Sozialismus tri- und polycolor

Dieser Siegeszug verdankt sich – soviel geht schon aus den stereotyp unters Volk gebrachten Prinzipien dieser Politik hervor – einer spezifischen „Disposition“ auf Seiten der umworbenen Massen, einer Disposition allerdings, die herzlich wenig mit Psychologie zu tun hat. Was ein Arbeiter oder Bauer mit seinen Interessen anstellt, wenn er der KP seine Stimme gibt oder gar zum Aktivisten wird, erklärt sich auch im südlichen Europa nicht aus der seelischen Verfassung „des“ Italieners, Spaniers oder Portugiesen. Eher schon aus der Verfassung, in der sich Kapital und Staat befinden. Der Nationalismus, den Eurokommunisten bei den Massen vorfinden und pflegen, weil sie ihn ausnützen wollen, ist in diesen Ländern deshalb so lebendig, weil das staatliche Leben nicht „funktioniert“, weil die faschistischen Regimes in Portugal und Spanien neben Arbeitern und Bauern auch noch die nationale Wirtschaft ruiniert haben, die italienischen Regierungen der letzten Jahre die Staatskassen leerten, ohne ein ordentliches Wachstum zustandezubringen, und weil der französische Staat außer für einen niedrigen Lebensstandard der Lohnabhängigen, für die Existenzbedrohung der Bauern auch für eine Schwächung des französischen Kapitals in der internationalen Konkurrenz sorgte. Nicht, daß das Engagement für einen starken und sauberen Staat deshalb rationeller würde, ist damit gesagt, sondern lediglich, daß unter solchen Verhältnissen neben den faschistischen und demokratischen Varianten der Staatsbegeisterung der Kampf um den nützlichen Staat seinen Aufschwung nimmt. Die in kapitalistischen Ländern übliche Kunst, die einem auferlegte materielle Not um die staatsbürgerliche Tugend zu ergänzen, erhält dort, wo man nicht unter demokratisch-rechtsstaatlich garantierten Konkurrenzbedingungen das Leben schwer gemacht bekommt, sondern am ordentlichen Konkurrieren, am Verkauf der Arbeitskraft, und damit am Existieren gehindert wird, den Schein der Berechtigung. Zwar fällt die Modernisierung von Staat und Ausbeutung auch dort nicht mit dem Erfüllen der Ansprüche der Erniedrigten und Beleidigten zusammen – immerhin aber kann ein diesbezügliches Programm, ob es nun „antifaschistische Erhebung“, ,,Demokratisierung“ oder „Sozialismus in den Farben Frankreichs“ heißt, auf faktische Veränderungen durchaus verweisen, wenn es um die Legitimation des falschen Kampfes geht. Und falsch ist jede Politik, die Staatsillusionen benützt und befördert, also die Abhängigkeit vom Kapital mit einer Zusatzbehandlung durch den Staat Kompensieren will. Auch in den romanischen Ländern bleiben staatliche Verordnungen Mittel für die Garantie von Diensten, die der lohnabhängige Bürger zu verrichten hat; auch dort sind Sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen – gerade weil sie der Rettung der Nation gelten alles andere als positive Leistungen für sein Auskommen. Der einzige Unterschied zu prosperierenden kapitalistischen Ländern besteht darin, daß dort zusätzlich zu den bürgerlichen Parteien eben auch die Eurokommunisten den praktischen Beweis dafür antreten, welchen Zweck Politiker verfolgen, wenn sie die Wirtschaft des Landes sanieren: es ist ihnen um das Wohlverhalten der geliebten Massen zu tun.


Im Interesse aller: Kapitalisten überflüssig machen ...

Daß Kommunismus ist, wenn alles verstaatlicht ist und das Individuum nichts mehr zählt, hat sich in der bürgerlichen Welt vom Kindergarten bis zum Parlament herumgesprochen, obgleich es in jedem kapitalistischen Land üblich ist, Verstaatlichungen vorzunehmen und Individuen zugrundezurichten. Auch den eurokommunistischen Parteien bleibt der einschlägige Verdacht nicht erspart, durch ihre mehr oder minder drohende Machtübernahme die Freiheit des Kapitals und damit die aller Leute zu liquidieren. Diesen Verdacht entkräften sie auf eigentümliche Weise, d.h. nicht etwa mit dem Argument, daß die Entmachtung des Kapitals alles andere zuwege bringt als die Knechtung des Individuums; oder mit dem praktischen Beharren darauf, daß Kapitalisten unschädlich gemacht gehören. Zum einen betonen sie, daß ihre Absichten in Sachen Verstaatlichung der kapitalistischen Nationalökonomie nicht wider-, sondern entsprechen – nach Marchais ist eine

„objektive Tendenz zur Vergesellschaftung vorhanden. Es ist ein Merkmal unserer Epoche“ –,

zum anderen legen sie viel Wert auf die Demonstration ihres guten Willens, der sich eben in seiner ganzen großen Güte keineswegs auf die rücksichtslose Zerstörung des Kapitalverhältnisses richtet. Ihnen geht es eben um die Rettung des Gemeinwesens: „Deshalb müssen die kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Investitionen entsprechend gelenkt und die Entwicklung, Ausbildung und Beschäftigung der Arbeitskräfte eingeplant werden.“ Da kommen – trotz des Streits, der in Frankreich um die Zahl der anstehenden Verstaatlichungen (700 oder 250?) zwischen KPF und Sozialisten tobt – keine häßlichen Töne auf: wer Enteignungen gar nicht vorhat, sondern lediglich das volkswirtschaftliche Wachstum auf Vordermann bringen möchte und dabei die Übernahme des einen oder anderen Unternehmens in staatliche Regie befürwortet, der ist den Rentabilitätserwägungen bürgerlicher Ökonomen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Er ist eben kein Fanatiker des „realen Sozialismus“, der mit der gar nicht fortschrittlichen Entdeckung aufwartet, daß – wenn schon nicht die Lohnarbeiter, so doch – die Kapitalisten durch staatliche Funktionäre ersetzbar sind.


... aber nicht sofort, und nicht alle

Schließlich ist er sich mit bürgerlichen Staatsmännern darum einig, daß Staatseingriffe nicht unbedingt eine praktische Kritik an der Ausbeutung darstellen: um Korrekturen von Mißwirtschaft ist es ihm zu tun, wobei er freilich nicht vergißt, diese Korrekturen als Bedingung für künftige Umverteilungskunststücke hinzustellen. Wenn die Arbeiter in den bereits durch bürgerliche Regierungen verstaatlichten Unternehmen immer wieder Gründe für Arbeitskämpfe finden, so tilgt eine Euro-KP den aufkommenden Zweifel daran, ob die Rentabilität auch dieser Betriebe nicht vielleicht auch nur mit den Knochen der Proleten erwirtschaftet wird, mit der Versicherung, daß die Durchführung seines gesamten Säuberungsprogramms zur Schaffung enormer Reichtümer führe, weil insbesondere dem verschwenderischen Treiben der Finanziers ein Ende gemacht werde – so daß mit Zuwendungen aller Art den Arbeitern der Klassenkampf erspart bleibt.

Abstriche im Verstaatlichungsprogramm, insbesondere bei schwierigen Bündnisverhandlungen, sind somit üblich, weil es sowieso nicht um einen Angriff auf das Produktionsverhältnis geht: die Übernahme von Betrieben in staatliche Verwaltung ist ja nur ein Mittel, die Wirtschaft zu effektivieren. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen aus dem Arsenal bürgerlicher Wirtschaftspolitik, die in einem Land wie Italien oder Spanien noch nicht durchgeführt werden.


Zunächst tut's auch ein ordentlicher Kapitalismus

Der Grund für die vielen Klassenkämpfe in Italien liegt ja auch nicht darin, daß hier das Kapital erfolgreich ist, wenn es den Arbeitern niedrige Löhne und miese Arbeitsbedingungen aufhalst – sein Mißerfolg in Sachen Akkumulation ist es, was die Proleten immer wieder zur Aufkündigung der großen Einheit zwingt. Deshalb liefern sie der KPI mit ihren ökonomischen Kämpfen auch stets den Beweis dafür, daß die „demokratische Wende“ stattzufinden hat. Beseitigung von Spekulation und Korruption, von Kreditgeschäften, die nicht dem industriellen Wachstum dienen, aber die Inflation verstärken usw. – darauf zielen die Auseinandersetzungen in den Fabriken „eigentlich“ ab! Wenn sich ausländische Unternehmer beklagen, daß es mit der Disziplin in Spaniens Produktionsstätten nicht so weit her ist, steht Carrillo nicht an, um Geduld zu bitten. Er gibt zu bedenken, daß das Verhältnis Arbeiter-Kapitalist „nach 40 Jahren Diktatur eine gewisse Zeit zur Normalisierung“ benötige. Nirgends kommt schöner zum Vorschein, was Revisionisten in Ländern wollen, in denen der Staat die nationale Wirtschaft nicht ordentlich gegen die imperialistische Konkurrenz stärkt, als in der Deutung von Klassenkämpfen: sie sind ein Zeichen dafür, daß die Modernisierung der Ausbeutung und ihrer staatlichen Verwaltung ansteht“– und daß diese Modernisierung allein von der KP des Landes ehrlich und ernsthaft angegangen wird. Die PCE profilierte sich durch ihre Zustimmung zum „Pakt von Moncloa“, an dem man sehen kann, wie „Eurokommunismus und Staat“ zusammenhängen: Bei einer festgestellten Inflationsrate von 30-35 % einigten sich die Herren Politiker darauf, daß Lohnerhöhungen 22 % nicht übersteigen dürfen. Dem Gesundungsprozeß des Kapitals eröffnen sie eine Chance, indem der Staat ab sofort die „Soziallasten“ der Unternehmer übernimmt, was sicherlich der „Geldwertstabilität“ zugute kommt. Radikales fiel ihnen in Sachen Steuer und Spekulation ein: in Spanien soll künftig im Steuer- und Kreditunwesen ebenfalls unterbunden werden, was der nationalen Akkumulation hinderlich ist – womit glücklich der Stand in Sachen Regelung der Konkurrenz zwischen industriellem und Geldkapital sowie Grundbesitz erreicht wäre, für den man in England vor 150 Jahren sorgte. Zur Krönung des ganzen ein kleines Anti-Terror-Gesetz – wenn das alles die arbeitende Bevölkerung nicht voranbringt?

Sicher, ein offenes Eintreten für Lohnstop wagt nicht jeder KP-Vorsitzende, wenngleich alle in ihrem praktischen Verkehr mit bürgerlichen Parteien auf der einen und Gewerkschaften auf der anderen Seite die Ziele des ökonomischen Kampfes dem politischen Erfolg der Partei gelassen unterordnen. Berlinguer versäumt es nie, die Gewerkschaften für ihre Verdienste um die Errungenschaften proletarischen Lebensstandards zu loben, wenn er sie in die große Einheit einschleusen möchte. Wenn er aber gegen das Andreotti-Programm nur matte Einwände der Form vorbringt, es sei nicht „konsequent“ genug, kann nicht einmal ein bürgerlicher Journalist übersehen, daß Eurokommunisten auch die „scala mobile“, eine durchaus nicht unbedeutende Schranke für staatlich organisierte Lohndrückerei, zu opfern bereit sind. Die „Errungenschaften“, die sie den Arbeitern und Bauern des Landes zuteil werden lassen wollen, haben eben samt und sonders zwei Eigenschaften: sie kommen nur über den kleinen Umweg zustande, daß die KP, an der Regierung beteiligt, ihre „demokratische Wende“ inszeniert; und zweitens sind sie deshalb ziemlich zukünftig.


Ein breiter Zusammenschluß

Für eine revisionistische Partei ist es die größte Selbstverständlichkeit, die Arbeiterklasse als „Teil des Volkes“ zu hofieren, und dabei wird es keineswegs als störend empfunden, daß die völlig bewußte Instrumentalisierung der „Hauptkraft“ der demokratischen Volkskämpfe für Ziele, die den materiellen Interessen der Arbeiter entgegenstehen, den agitatorischen Erfolg beständig gefährdet. Daran, daß der Einsatz gewerkschaftlicher Kämpfe für die Ideale der Gerechtigkeit und einen Staat, der die Arbeitskräfte der Nation auch ordentlich benützt, linke Abspaltungen hervorbringt, haben sich die Eurokommunisten längst gewöhnt; und auch daran, daß der Nationalismus des Volkes noch ganz andere Bewegungen hervorbringt. Sie reagieren auf diese Herausforderung methodisch, wie es sich für ordentliche Revis gehört. Wenn das Volk außer in seiner gemeinsamen Unterordnung unter die Staatsgewalt keine Einheit bildet, dann muß man es eben zur Einheit bringen.

„Man muß den Kampf weiterführen, man muß den einheitlichen Druck der Massen verstärken und intensivieren. Die Gewerkschaften und die anderen demokratischen (!) und Massenorganisationen, wie die Genossenschaften und die Vereinigungen der Bauern, der Kaufleute, der Handwerker, der Frauen, der Studenten werden ihre Rolle spielen.“

Die ökonomischen Interessen der hier aufgelisteten Teile des Volkes mögen sich noch so sehr widersprechen – Berlinguer weiß, wie sie alle zusammenkommen: als demokratische Organisationen verfolgen sie eben alle das hohe Ziel der Demokratisierung. Da alle betroffen sind von der Politik der Regierung, die sich den Monopolen andienert, dichtet ihnen der KP-Mensch auch gleich denselben politischen Willen an – und Marchais kennt auch diejenigen, die schuld daran sind, wenn die große Einheit nicht mit „nationalem Elan“ kämpft:

„Staatsmacht und Reaktion versuchen, das Land zu spalten, indem sie die Frauen in Gegensatz zu den Männern stellen. ... Staatsmacht und Reaktion wollen die Generationen gegeneinander aufbringen ... bemühen sich, die französischen Arbeiter den eingewanderten Arbeitern entgegenzustellen ... die Franzosen nach dem Gesichtspunkt zu spalten, ob sie an Gott glauben oder nicht ...“

Wer die Gegensätze der Konkurrenz nicht zur Kenntnis nehmen will und der Klassengegensatz gehört hier dazu und den Staatsidealismus par excellence predigt („Seite an Seite mit den Gaullisten“ für „die Würde Frankreichs“), für den ist der Klassenkampf überholt. Alle Interessen, an die er „anknüpft“, will er im Dienst an der Nation benützen, weshalb das breite Bündnis aller Volkskräfte von Jahr zu Jahr breiter geworden ist. In Portugal hatte Cunhal mit seiner Mannschaft kein Problem, eine von oben, von Militärs qua Putsch inszenierte Staatsaktion den geliebten Massen als „Revolution“ zu verkaufen, wofür die Portugiesen, die von ihrer Arbeit leben müßten, inzwischen teuer bezahlen. Für die Bekämpfung der Inflation, für die Treue zur NATO, für den Anschluß an die EG usw. usw. lassen die Euros die Massen antreten – und Carrillo agitiert in seinem Bestseller für ein effektives Militär:

„Ohne den Wert des Menschenmaterials zu unterschätzen, möchte ich fragen: Wären unsere Streitkräfte bei einem eventuellen Angriff von außen heute in der Lage, ...?“


Der Sozialismus der faulen Kompromisse

Die Euros haben sich viel vorgenommen. Ein ,,glückliches und freies Volk“ in einer unabhängigen, blühenden und starken Nation wollen sie schaffen – und zur Verwirklichung dieser historischen Aufgabe ist ihnen jede Waffe aus dem Arsenal bürgerlicher Wirtschaftspolitik sowie des demokratischen Klassenkampfes von oben recht. Die Demokratie, von der sie sich soviel versprechen, wo es sie noch nicht gibt, legt ihnen immer dann, wenn es sie gibt, manches Hindernis in den Weg – worauf sie in aller Form mit dem Vorwurf reagieren, die bestehende Demokratie sei nicht echt. Konfrontiert mit der Tatsache, daß die Volksmassen ihre Stimmen zu einem beträchtlichen Teil den Parteien zukommen lassen, die in der gängigen Form den Klassengegensatz verwalten und nichts davon halten, das Volk ständig für die Perfektionierung der Demokratie kämpfen zu lassen, zweifeln sie sogleich an der autonomen Entscheidung der Massen, Sie müssen verführt worden, gespalten worden sein. Ein Eurokommunist verfällt nicht im Traum darauf, den Staatsidealismus, den er für seine Durchsetzung gewinnen mochte, für den Erfolg seiner bürgerlichen Konkurrenten verantwortlich zu machen. Und noch viel weniger will er sich dazu bequemen, die demokratischen Prozeduren als das zu nehmen, was sie sind. Er will sich ihrer eben auch bedienen!

Daß ein moderner Rechtsstaat sich sein Wirken von der Mehrheit seiner Bürger bestätigen läßt, die nichts davon haben, sich also bei seinen und des Kapitals Opfern die Zustimmung zu den Notwendigkeiten des bürgerlichen Geschäfts einholt, erweckt bei einem Revisionisten nicht einen Funken des Hasses gegen die modernste Form politischer Unterwerfung – geschweige denn einen Zweifel am Bewußtsein der Massen. Wohl aber läßt er seinen Neid auf den Erfolg der bürgerlichen Parteien heraushängen: daß die Massen ihm, der ihnen die Lösung aller nationalen Probleme als die Lösung der ihren einredet, die Gefolgschaft versagen; ja daß sie bisweilen sogar eine Ahnung davon verraten, daß man sich von der „verwirklichten“ Demokratie noch mehr in acht nehmen muß als vor der stinknormalen (Blick nach Osten!), das darf nicht sein. Einer Partei, die selbst auf die Zustimmung der Massen, ja sogar auf ihren Einsatz für sich als das Mittel ihrer Macht scharf ist, verbietet sich eben eine Kritik an der unterwerfenden Zustimmung zum Staat. Eurokommunisten nehmen die Abhängigkeit von den wechselnden staatsbürgerlichen Launen, Illusionen und Sehnsüchten – so sehr sie auch immer den materiellen Interessen des arbeitenden Volkes entgegenstehen – nicht nur in Kauf. In der perfekten Anbiederung suchen sie ihren Erfolg. So viel liegt ihnen daran, daß niemand seine Hoffnungen auf den Staat begräbt, daß sie sich selbst bei jeder Gelegenheit als die Erfüller dieser Hoffnungen präsentieren, indem sie sich mit dem einfachen Mann und seinen Repräsentanten in Übereinstimmung bringen. Alle Schattierungen des reaktionären Lobs der Arbeit wird ihnen geläufig, keine staatsbürgerliche Regung, mit der sie nicht unter (allen) Umständen gemeinsame Sache zu machen verstehen.


Das Bündnis als Anker

Wie man das Volk, wo es sich bereits „bewegt“, mit gemeinsamen Zielen zusammengeschlossen hat, für die breite demokratische Sache einspannt, faßt Marchais am Beispiel Gewerkschaften in nicht zu überbietender Deutlichkeit zusammen. So geht ein Bündnis:

„Zunächst halten wir es für notwendig, daß diese Organisation, insbesondere die Gewerkschaften, völlig unabhängig von den Parteien sind. Die in ihren Reihen kämpfenden Kommunisten richten sich danach in strenger Einhaltung ihres Programms und ihres Statuts. Sie suchen nicht, sich ihrer als »Treibriemen« für ihre Partei zu bedienen.“ (l. Teil: Ranwanzen!)

Dann: „Der zweite Aspekt, den wir bei dieser Zusammenarbeit in Betracht ziehen, ist, daß die Gewerkschaften nicht wie die politischen Parteien dazu bestimmt sind zu regieren. Die Verantwortungsbereiche sind jeweils andere, und wir wollen sie nicht verwechseln.“ (2. Teil: Beim politischen Geschäft von der Arbeiterorganisation nicht stören lassen).

„Davon ausgehend (!), und das ist der dritte Aspekt der Frage, ist es klar, daß sich die Gewerkschaften aufgrund ihrer eigenen Ziele bei der Verteidigung der Interessen der Werktätigen oder (!) der Familien, des sozialen und demokratischen Fortschritts (kleine Metamorphose!) in zunehmendem Maße mit den Linksparteien in der sozialen und politischen Aktion zusammentun.“ (Bündnis 3. Teil: Benutzen!)

Solche Unverschämtheiten lassen sich freilich nur verkünden und praktizieren gegenüber einer Gewerkschaft, die ihren eigenen Fortschritt in der Politisierung, der demokratischen Fortschrittsorientierung des ökonomischen Kampfes feiert und in diesem Bestreben bei anderen Parteien nicht landet.

Bei der Festigung des „Bündnisses der Links-Parteien“, das ein Resultat des auf jeder Seite ausgeprägten Willens zur Macht ist, tut sich die KPF schon etwas schwerer. Hier hat eine Euro-KP nämlich nicht nur einen Bündnispartner vor sich, der sie und ihre Stimmen in derselben Weise für sich benutzen will und deshalb mit dem Hinweis auf die Mandate auf Unterwerfung dringt (beweist mal euren demokratischen Charakter!), sondern auch einen, dem sich Bündnismöglichkeiten auch nach anderen Seiten eröffnen. In Portugal regiert Soares kalt lächelnd mit einer Minderheit, da ihm die Unterstützung von rechts nicht viel kostet. Während Cunhal mit nur 40 Mandaten ohne Einfluß auf die Geschichte Portugals frustriert in der Ecke steht – wo die PCP doch die antifaschistische Bewegung gemeinsam mit der „Bewegung der Streitkräfte“ gemanaged hat –, sucht Carrillo einen derartigen Einfluß zu fingieren, indem er mangels Zuneigung beim PSOE unverbrüchliche Treue zur Suarez-Regierung übt. Und Berlinguer hat bei seinem zum Eurokommunismus gehörigen Nachweis, daß es um konstruktive Alternativen der Staatsführung geht, die letzte Schamgrenze beseitigt. Nichts liegt ihm ferner, als mit seinen 33 % einmal eine bürgerliche Regierung zu stürzen oder zu verhindern. So ernst ist es ihm damit, daß Italien eine Regierung hat, daß sich der Kampf des PC seit längerem darum dreht, gemeinsam mit möglichst vielen ,,unfähigen“, „verbrauchten“ und „korrupten“ Figuren der DC und anderer Kreise den Klassenkampf in Italien verwalten zu dürfen. Dieses Ziel vor Augen, tut er sein Bestes, den Veteranen der DC ihre Ämter zu lassen, und bisweilen vergißt er ganz, daß er dem Volk das Heil zu bringen versprochen hat: „Wir haben Zeit!“

Selbstverständlich haben sich Nationalkommunisten wechselseitig nichts vorzuwerfen: klar, daß jede Nation ihren eigenen Weg gehen muß und die Treffen zwischen den Parteihängern genauso verlaufen wie die Begegnungen zwischen Außenministern. Communique:

„Wir wollen uns nichts reinreden. Die Gespräche verliefen in herzlicher Atmosphäre. In allen grundsätzlichen Fragen wurde Übereinstimmung erzielt.“

Daher der Name Euro!


Auf dem Weg zum Sieg?

So vollzieht sich also der Siegeszug der Eurokommunisten, den die bürgerliche Welt so fürchtet und dessen erfolgreichen Ausgang sie samt der von ihr zu ziehenden Konsequenzen vorhersagt, damit er nicht eintritt. Abwechselnd signalisieren die Führungsmächte der westlichen Demokratien mit öffentlichen Überlegungen, ob man bei einer kommunistischen Regierungsbeteiligung Italien beispielsweise nicht aus der europäischen Solidarität ausschließen und ob nicht durch Rückforderung der bundesrepublikanischen Kredite auf der Stelle der Staatsbankrott angeordnet werden müsse, daß sie nicht jede demokratische Mehrheitsentscheidung als solche anzuerkennen gewillt sind. Umgekehrt dankt man bei jedem Wahlausgang, der die gefürchteten Mehrheiten verhindert, erleichtert dem Wählervolk für seine, mit den genannten Androhungen tatkräftig unterstützte Reife und politische Einsicht, die das Bündnis von neuem vor der kommunistischen Gefahr gerettet und dem Vertrauen zwischen den Staaten, d.h. in die Unterwerfungsbereitschaft ihrer Bürger Auftrieb gegeben haben.

Die Eurokommunisten jedoch tun ihr Bestes, um diesen Pessimismus und seine Konsequenzen überflüssig zu machen:

Nicht nur, daß sie mit emphatischen Bekenntnissen zur NATO und zum westlichen Lager dem Vertrauensschwund entgegentreten, sie sorgen auch praktisch mit ihrer Politik dafür, daß der Ernstfall nicht eintritt. Ihr Staatsfanatismus verbietet ihnen die Rücksichtslosigkeit, ohne die eine Machtergreifung nicht vonstatten geht. Angetreten zur Rettung des Staates, machen sie ihr Programm den Erfordernissen der Durchsetzung mittels der Prozeduren der existenten staatlichen Ordnung entsprechend zurecht und retten die Nation vorerst mit den von ihnen bedingt als brauchbar anerkannten Mitteln der gegnerischen Wirtschaftspolitik. Sie antizipieren die Härte ihres geplanten Vorgehens durch eine konsequente (konsequenter als ein Christsozialer das je offen vorzuschlagen wagte) Praxis bürgerlicher Wirtschaftspolitik, die ihnen ja schon immer als inkonsequentes Eingeständnis dafür gilt, daß der Staatssozialismus auf der Tagesordnung steht. Auf diese Weise ersparen sie sich vorerst den Vollzug ihres genuinen Rettungsprogramms und stellen klar, warum revisionistische Revolutionen nicht stattfinden.

Die Krisen, aus denen revisionistische Machtergreifungen hervorgehen, sehen anders aus: Kriege, nach deren Beendigung eine revisionistische Sieger- oder Bündnismacht ihre Bruderpartei in die Regierungsfunktionen einsetzt, erübrigen den eurokommunistischen Weg; und das Wirken des Imperialismus, wenn er zuweilen, wie in Chile, Gemeinsamkeiten zwischen bürgerlichen Reformabsichten und revisionistischen Sanierungsplänen herstellt und das Wählervolk für Volksfrontversprechungen empfänglich macht, erlaubt ihnen eine kurze und in ihren Konsequenzen furchtbare Inbesitznahme der Macht. Die Abstraktion des nationalen Wohls, mit der es der chilenischen KP gelang, per Bündnis eine Mehrheit hinter sich zu bringen und die sie in ihrer Regierungstätigkeit, die die Interessengegensätze offen ausbrechen ließ, als solche zum Vorschein brachte, rächte sich mit der blutigen Zurücknahme des revisionistischen „Sieges“ an ihren Urhebern und den von ihr dafür gewonnenen Volksmassen. Streikende Transportunternehmer und der Klüngel von CIA und Militär genügten, um die als Wähler auf die Segnungen einer Volksfrontregierung vertrauenden und eben in diesem Vertrauen wehrlos gemachten chilenischen Arbeiter und Bauern für ihre falschen Hoffnungen bitter bezahlen zu lassen. Der revisionistische Kommentar, der das chilenische Gemetzel ohne Wimpernzucken zur Bestätigung seines politischen Credos heranzieht,

„nur ein politisches Kräfteverhältnis, das sich zugunsten der Arbeiterklasse und des Volkes entwickelt, kann die Ausbeuterklassen hindern. Die Ereignisse in Chile bestätigen die Richtigkeit unserer Strategie“,

spricht mit dankenswerter Offenheit die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern aus, die die revisionistische Staatsbegeisterung bei ihrer Betätigung im Kräfteverhältnis bereit ist, andere bringen zu lassen.


Die Erfolge der Eurokommunisten

Im Widersinn des staatstreuen Umsturzes faßt sich die ganze Leistung zusammen, zu der Revisionisten auch und gerade dann, wenn sie nicht an die Macht kommen, fähig sind: die Politisierung der Arbeiterklasse, die die Werktätigen dazubewegt, sich die Beseitigung ihrer Notlage von einem alternativen Gebrauch der Staatsgewalt zu erhoffen, und die sie als staatsgläubiges Ausbeutungsmaterial für die Bedürfnisse des nationalen Kapitals disponibel macht. Dies und sonst nichts ist der „Erfolg“, den Eurokommunisten zu verzeichnen haben und dessen sie sich bei der propagandistischen Zurschaustellung ihrer Politik offen und ohne jede Scham rühmen, wenn sie auf die „Kraft“ verweisen, die sie ins Kräfteverhältnis einzubringen vermögen.

Für Portugal durften die Arbeiter und Bauern unter Anleitung der KP zur antifaschistischen  Erhebung antreten, um die von den Militärs zur Rettung des Staates in Gang gebrachte Demokratisierung durchzuführen. Zur Beseitigung der Illusionen, denen das in Bewegung gesetzte „Volk“ unterlag, es sei zur Durchsetzung seiner Interessen aufgerufen, machte die Cunhal-Partei ihren ganzen Einfluß geltend und hat es inzwischen dazu gebracht, die Staatsbegeisterung der arbeitenden Massen auf das zurückzuschrauben, worum es bei ihr immer geht: die Zurücknahme der eigenen Interessen zugunsten des tatkräftigen Einsatzes für die nationale Ökonomie.

In Spanien hat man aus den Wirren dieser „Revolution“ die Lehren gezogen und es vermieden, das Volk zur Demokratisierung des Staates freizusetzen. Die bürgerliche Begeisterung über die „Behutsamkeit“, mit der der spanische Staat sein Volk „reif“ macht für die Demokratie, d.h. von Anfang an gleich gar keine Mißverständnisse aufkommen läßt, was von ihm verlangt ist und was es dabei verlangen darf, gönnt – zurecht auch der PCE ihr Teil Anerkennung. Während die Reformisten der PSOE sich noch die Freiheit herausnehmen, den arbeitenden Wählern mit allerlei sozialstaatlichen Vorhaben Versprechungen zu machen und sogar zum Pakt von Moncloa Distanz bewahren, haben sich die Kommunisten schon längst zum ökonomischen Aufbauprogramm des spanischen Staates bekannt und benutzen ihren Einfluß auf die Comisiones Obreras zur Disziplinierung der Arbeiter gemäß den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten. Können die spanischen Arbeiter doch froh genug sein darüber, daß die KP existieren und in der jungen spanischen Demokratie legal und geachtet für Spanien eintreten darf!

In Frankreich, wo, wie jedermann weiß, die größte Gewerkschaft „kommunistisch gesteuert“ ist, veranstaltet die KPF mit jedem Arbeiterkampf ein taktisches Manöver. Streiks und ökonomische Forderungen werden zum Gegenstand des politischen Schachers. Man denkt nicht daran, die Kampfbereitschaft des französischen Proletariats mißbrauchen und z.B. die 2.400 frs SMIG in Streiks durchsetzen zu lassen – die Klassenkämpfe dienen zur Demonstration dafür, daß die KPF mit ihrem Regierungsprogramm, das jene Erhöhung vorsieht, in die Regierung gehört. Und solange wie dieser Erfolg ausbleibt, stattet Marchais Besuche im Elysee-Palast ab, überbringt dort die Grüße der Arbeiterklasse und fragt an, wieweit die neue Regierung nicht einige der revisionistischen Vorschläge um der Stärkung der nationalen Einheit willen zumindest wohlwollend in Betracht ziehen könnte.

Die italienische KP schließlich, an der Spitze der eurokommunistischen Bewegung, übertrifft ihre Schwesterparteien nicht in der Gemeinheit des politischen Handels mit der Arbeiterklasse, wohl aber im Ausmaß des Geschäfts, in dem sie dem italienischen Staat ein gefügiges Proletariat als Gegenleistung für die Teilnahme am Regierungsgeschäft zu offerieren sucht. Streiks für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und zur moralischen Aufrichtung der Polizei, Bündnisse zur Bekämpfung „der Gewalt“ an den Universitäten zwischen der kommunistischen Jugend und dem italienischen RCDS und zuletzt die Unterwerfung der italienischen Gewerkschaften unter die Konjunkturpolitik, die der Krise des Kapitals mit der dauerhaften Krise des Proletariats Abhilfe schatten soll, samt Rücknahme der gegen das Kapital erkämpften Beschränkungen seiner Ausbeutungsmethoden krönen den Siegeszug des Eurokommunismus.


Ein intellektuelles Schlußwort

Und nachdem es nun schon einmal heraus ist – die MG scheut sich nicht, in intellektueller Überheblichkeit, die Kämpfe der Volksmassen auch in anderen Ländern madig zu machen, die eurokommunistischen Parteien und ihre Führer zu beschimpfen, weil sie der Arbeiterklasse eine furchtbare „Ausbildung“ angedeihen lassen –, soll auch noch ein Intellektueller des 19. Jahrhunderts zitiert werden:

„Je ausgebildeter und allgemeiner der politische Verstand eines Volkes ist, um so mehr verschwendet das Proletariat“ – leider heute wie zu Beginn der Arbeiterbewegung – „seine Kräfte an unverständige, nutzlose und in Blut erstickte Emeuten. Weil es in der Form der Politik denkt, erblickt es den Grund aller Übelstände im Willen und alle Mittel zur Abhülfe in der Gewalt und dem Umsturz einer bestimmten Staatsform.“ (Marx, Kritische Randglossen zu dem Artikel »Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen«, in: „Vorwärts!“ 1844)

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(1) Wir glauben, dass die aktuelle Mehrheit die Probleme des Landes nicht lösen können wird.

(2) Ein Amtl, eine Pfründe

(3) Wir nehmen immer den Standpunkt der Massen ein.

(4) Es gibt eine tiefe Krise.

 

aus: MSZ 22 – April 1978

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