Die Universität Hamburg:

Weltoffene Wissenschaft in der Uni tags um halb Zwölf


Hamburg hat nicht nur eine Szene, sondern auch einen fortschrittlich-weltoffenen Geist, der schon manchen Hanseaten zu Höchstleistungen an staatsbürgerlicher Vernunft getrieben hat. Als ein „Klaus Störtebeker“ aus der Familie der „Liekedeeler“ – nhdt. Gleichteiler –, um seine freiheits- und gerechtigkeitsliebenden Seeräuberkollegen vor dem Schwert zu retten, geköpft durch das Spalier derselben marschierte, bewies er, daß nicht unbedingt ein funktionierender Kopf dazugehört, um in Schicksalsstunden das eigene Opfer in den verantwortungsvollen Dienst am Nächsten zu stellen.

Heutzutage hat der Hamburger Geist derlei Greueltaten nicht mehr nötig, weil er in der jugendlichen, dynamischen Gestalt des obersten Repräsentanten der Hansestadt, Hans-Ulrich Klose, ein liberales „Image“ besitzt und mittels „öffentlicher Denkanstösse“ in Sachen Stamokap und Radikalenerlass auf den nachhaltigen Gebrauch der Köpfe seiner Mitbürger im Dienst der „langfristigen Entwicklung der Hansestadt und der Bundesrepublik“ überhaupt rechnet.

Getrieben von der niederschmetternden Erkenntnis, daß die „Politikerverdrossenheit“ (Frankfurter Rundschau 13.12.78) der akademischen Jungwähler die „etablierten Parteien (mit einem 3,5 %igen Stimmenanteil der „Bunten Liste“ bei der letzten Bürgerschaftswahl) im Stich gelassen“ (ebd) hat, macht er sich daran, die jungen Intellektuellen aus dem „politischen Abseits“ (ebd) herauszuholen.

In wohltuender Bürgernähe und gleichzeitiger Distanz zu seinem obersten Parteikollegen und Kanzler Schmidt vermißt H.-U. ein „Vertrauen, das wir offensichtlich verloren haben „und verpflichtet seine Nicht-Wähler, auf daß sie der Sünde wider die Hansestadt abschwören, sich Gedanken darüber zu machen, wie es anzustellen sei, die Hamburger SPD nicht mehr als „die CSU ihrer Partei“ (ebd) erscheinen zu lassen.


Praktische Reformvorschläge und undogmatische Theorie-Diskussion

Bei diesem Geschäft geht er mit bestem Beispiel voran und sinniert angesichts der zum Schutz des grundgesetz-gesicherten Allgemeinwohls mit Berufsverbot Bedachten, seien diese auch nur einige an der Zahl und darüber hinaus als Kommunisten eine bleibende Randgruppe, darüber nach, ob es nicht besser wäre, „20 Kommunisten in den Staatsdienst einzustellen als daß ich 20.000 junger Menschen verunsichere“ (Stern), die sich verdrossen einreden, potentiell vom Staatsdienst ausgeschlossen zu sein.

Wohl wissend, daß diese jungen Menschen ihre Reformideale nicht für die begeisterte Unterstützung der SPD-Reformpolitik benützen, dennoch aber ein Gutteil von ihnen und andere politisch „verdrossene“ Jungbürger mit ein bißchen öffentlicher Heuchelei eventuell als SPD-Wähler zu gewinnen sind, bietet H.-U. ihnen an, die SPD

„für die verschiedenen geistigen und politischen Ströme zu öffnen und als Ansprechpartner wieder glaubhaft zu machen“ (ebd).

Da erklärt er die SPD „aus ihrer langen Tradition heraus“ zum Springquell aller linken Staatsideale und zeigt an sich beispielhaft, daß es durchaus „hamburgisch“ ist, den Staat „hin und wieder zum Reparaturbetrieb“. (Hamburger Morgenpost 14.12.78) des Kapitals zu erklären. Eine provokante Aussage von einem Politiker, der in den frühen Siebzigern sich als Säuberer der SPD von den „Stamokap-Jusos“ bekannt machte und sich heutzutage als staatlicher Klinkenputzer zur Verhinderung des endgültigen Zusammenbruchs der Hanse-Monopolisten bezeichnet?

Eben nicht, weil sich auch die „Stamokap-Theorie“ bei geeigneter hanseatischer Interpretation auf den Boden des „Stabilitätsgesetzes“ stellen läßt, ähnelt sie doch in frappanter Weise der Weisheit der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft,

„daß es nicht nur einen Regulator Markt, sondern auch den der Politik gibt. Markt und Politik bestimmen überall den Ws-Prozeß“ (vor dem American Chamber of Commerce).

Wenn man die Stamokap Theorie zu einer etwas ausgefallenen Formulierung des Dogmas der sozialen Marktwirtschaft macht, daß staatliche Wirtschaftspolitik Marktschwächen korrigiert –

„gewisse Teile der Analyse finden eine gewisse Entsprechung in der Wirklichkeit. Es ist doch wohl unumstritten, daß der Staat heute schon Wirtschaftslenkung betreibt.“ (Morgenpost 14.12.78) –;

wenn man auch noch ausdrücklich die Staatslenkung fordernde Moral dieser Theorie zur falschen Therapie der Probleme staatlicher Marktkorrektur erklärt –

„ich halte diese Therapievorschläge nach wie vor nicht für richtig“ (ebenda) –,

dann läßt sich aus der Unzufriedenheit über die mangelnde Bereitschaft des Kapitals, die staatliche Subventions- und Investitionspolitik auch mit entsprechend profitablem Einsatz für das Wachstum der Volkswirtschaft zu honorieren, eine repräsentative kritische Theorie-Diskussion machen.

Damit bietet sich Hans-Ulrich als kompetenter Wegweiser für all die kritischen Staatsbürger an, die nicht gemerkt haben, aus welcher Ecke der Hamburger Geist pfeift und nun mit politischem Fingerspitzengefühl die Möglichkeit geboten bekommen, ihre linken Ideale zum kritischen Engagement bei der „Lenkung“ des Hansekapitals zu benützen. Aus berufenem Mund wird ihnen bescheinigt, daß linke Illusionen schon immer gut waren, sofern sich ihrer die Hamburger Politiker bemächtigen und klarstellen, wieweit Unzufriedenheit über die Politik in und außerhalb der Hansestadt gehen darf, um noch für diese Politik brauchbar zu sein. Auf kritische Begleitmusik, engagierte Diskussion und Beschränkung auf das Machbare kommt es in Hamburg an, dazu ist jeder Gedanke tauglich, sofern er sich nicht dazu versteigt, umstandslos praktisch umgesetzt werden zu wollen. Da sei Klose vor, denn

„es kommt nicht auf kluge Beschlüsse an, entscheidend sei nun die Praxis“ (ebd).


Hamburger Wissenschaft – die engagierte Praxisorientierung

Dieses Credo des obersten politischen Repräsentanten hat wie für jede andere Staatsinstitution auch für die geistige Produktionsstätte des modernen Hamburger Geistes Gültigkeit, die seit ihrer Gründung beauftragt war und sich verpflichtet gefühlt hat, das ihrige zur Blüte des hanseatischen und deutschen Gemeinwesens beizutragen.

Ob die Universität – 1919 nach jahrelanger senatorischer Kalkulation des Profits geistiger Produktion dem Bau von Kanonenbooten vorgezogen – unmittelbar auf die

„Beachtung des Auslandes und insbesondere der überseeischen Gebiete“ (v. Melle, Gründung 1919)

verpflichtet wird oder ob

„unablässiger Eifer für die Wissenschaften von Ihnen heute, meine Studenten, gefordert (wird), gefordert im Namen der Männer und Frauen, die in Fabrik und Büro, auf dem Feld und draußen auf dem Meer, in den Kohlengruben (etc) ihre schwere Arbeit in Mühsal und Not verrichten“ (Wiedereröffnung 1945),

stets läuft die Geistesproduktion in Hamburg auf das hinaus, was Klose beispielhaft vorführt: wissenschaftliche Diskussion über praktikable Vorschläge zur Verbesserung der Staatsgeschäfte, Abwägung der Brauchbarkeit auch kritischer Ansätze unter sorgfältiger Berücksichtigung der unumstößlichen politischen Notwendigkeiten; Indienstnahme der Reformideale für diesen politischen Realismus, kurz – Ausbildung von weltoffenen Agenten der diversen Staats- und anderen Geschäfte, die die Verpflichtung auf einen praktischen Staatsbürgersinn erfüllen und dafür als Studenten lernen, sich in der Vielfalt der Theorien und Erklärungsansätze durch die Reflexion ihrer praktischen Nützlichkeit und Praktikabilität für Staat und Kapital zurechtzufinden. Deswegen gilt noch heute als offizielle Ideologie für den Ausbildungsbetrieb die Verpflichtung zur großen geistigen Freiheit, die Rektor Petersen 1945 schlagkräftig antifaschistisch als Auftrag an die höchsten Schüler der freien Hansestadt formulierte:

„Ich hoffe und wünsche, daß innerhalb der Studentenschaft die hohe Kunst der Diskussion wieder geübt wird.“

Aus diesem der Handelsmetropole sich verpflichtet sehenden Selbstverständnis heraus hat die Hamburger Universität als eine der ersten und konsequentesten in der BRD die Quintessenz der Reformeuphorie der 60er Jahre sich voll zu eigen gemacht. Die ständige Anpassung an die „sich ständig ändernde gesellschaftliche Wirklichkeit und ihre Anforderungen an Forschung und Lehre“ ist erklärtes Prinzip ihrer Wissenschaft, die für diese flexible Unterwerfung des Denkens unter die jeweils anstehenden Erfordernisse von Staat und Kapital einen Reformstandpunkt geltend macht, der als Ideologie eines „gesellschaftlichen Fortschrittsengagement“ ebenso groß herausgeputzt wird, wie er sich praktisch vor dem „gesellschaftlich Machbaren“ bescheidet und damit dem verpflichtet, was gesellschaftlich gemacht wird.


Politischer Orientierungsrahmen 1979

Der Hamburger „Regierungslehrer“ Hartwich führt die dafür notwendigen falschen Gedankenschritte geradezu klassisch vor. Er hat keinerlei Schwierigkeiten, sich als „Apologet der BRD-Demokratie“ zu bekennen und von letzterer laufend festzustellen, daß „in ihren Gesetzen die arbeitende Bevölkerung ihre Interessen nur ungenügend wiederfindet“. Diese Kritik am bundesrepublikanischen Staat, vorgetragen von einem „emanzipatorischen Fortschrittsinteresse“, das nach sozialen Reformen ruft (Hartwich bekennt sich persönlich zum gewerkschaftlichen Konzept einer besseren, weil gewerkschaftlich mitbestimmten Demokratie und bestreitet einen Gutteil seiner Vorlesungen mit Erzählungen, welches Demokratieproblem er gerade mit welchen Gewerkschaftsfunktionären bei welcher Gelegenheit besprochen hat), ist nämlich nur der Anlaß, die Unvoreingenommenheit eines solchen Interesses selbst zu „problematisieren“, indem man es „auf wissenschaftliche Objektivität verpflichtet“, d.h. auf die Berücksichtigung des – von bestimmten Interessensanforderungen getrennten – Standpunkts des staatlichen Interesses als solchem.

Hartwich – der dabei subjektiv und objektiv sehr gut aussieht, hat er doch selbst sein Interesse ins Licht der Wissenschaft gestellt – verweist „illusionslos“ auf Schwierigkeiten der Durchsetzung sozialer Reformen in einer „Gesellschaft, die als Organisation gegensätzlicher Interessen existiert“, womit er nicht die Gesellschaft angreifen, sondern Verständnis für die dem Staat zugeschriebene schwierige Aufgabe wecken will, all diese Interessen „auszugleichen“. Dadurch, daß er die staatliche Verwaltung der Interessengegensätze im Interesse des Staates (Allgemeinwohl genannt) in das staatliche Problem verwandelt, allen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, werden aus den vom Staat dabei angewandten nicht gerade zimperlichen Praktiken und aus ihren ungemütlichen Wirkungen für immer die gleichen Bürger bedauerliche Schranken und Antriebe zugleich für das Bemühen, das Allgemeinwohl noch allgemeiner zu machen. Der Rest der ideologischen Veranstaltung besteht einerseits darin, dieses nun zur staatsbürgerlichen Verantwortung gewordene Bemühen mit pseudowissenschaftlichen Argumenten für die politischen Grenzen reformerischen Handelns zur Pflicht jedes einzelnen in der und für die Gesellschaft zu machen und seine eigene kritische Verantwortung demonstrativ zur Schau zu stellen. Die Frage nach den „Realisierungsbedingungen“ zu kurz kommender Interessen verwandelt sich dabei unter der Hand in eine ebenso endlose wie langweilige Diskussion, wie „Gesellschaft“ zu organisieren gewesen wäre, sein könnte, müßte, sollte etc., um einen harmonischen Interessensausgleich zu bewerkstelligen. Auf der anderen Seite wird schon durch die überdeutliche Kennzeichnung dieser Gedanken als „Denkmodelle“, „Zielvorstellungen“ usw. ein Trennungsstrich zu den Notwendigkeiten politischen Handelns gezogen, das durch diese bunte Welt der vorstellbaren Möglichkeiten zwar positiv beflügelt, aber nicht von ihnen, sondern von den »faktisch gegebenen Möglichkeiten« geleitet werden soll.

Die Vorsicht gegenüber dem „Denkbaren“ wird wissenschaftlich ebenso streng wie falsch als Eigenschaft der politischen Gegenstände formuliert: »Staat und Gesellschaft heute« werden als „komplexe Gebilde“ (v)erklärt und damit alle ungemütlichen Seiten als „Probleme“ ausgegeben, die ihre „Problematik“ aus der Kompliziertheit der gesellschaftlichen Zusammenhänge erhalten (alles ist heute von letztlich nicht erfaßbaren, also auch nicht einfach kritisierbaren, da wechselseitig abhängigen historischen, sozialen, rechtlichen, ökonomischen etc. Bedingungen abhängig) und diesen wiederum ihre Komplexität verleihen. Dieses tautologische Ungetüm ist die Art und Weise, in der ein Hartwich Wissenschaft nicht auf Objektivität sondern auf die staatliche Realität verpflichtet. Weil alles so komplex = unerklärlich ist, gilt es jeden Gedanken, der sich ja sonst in Kritik und Anforderungen an die Gesellschaft aus wachsen könnte, an anderen zu relativieren, wobei der objektive Maßstab die Funktionstüchtigkeit des Staates darstellt, der in Kalamitäten gerät, wenn er mit Ansprüchen konfrontiert wird, die sich nicht an seinen eigenen orientieren:

„Wie kann das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert werden, daß es nicht zum Hemmnis sozialer Reformen wird?“

Die „illusionslose Analyse“ der Durchsetzungsbedingungen sozialer Reformen ist ein hundsgemeiner Trick, die gesellschaftlichen Interessensgegensätze als staatliche Normenkollision zu behandeln, für deren Ausgleich der Staat zu bürgen hat – und somit die Illusion vom Staat als gerechtem Sachwalter konkurrierender Interessen heraufzubeschwören, dessen Objektivität als Kriterium jedweden Fortschrittsgedanken anerkannt werden muß.
So spricht Hartwich noch jedem „emanzipatorischen Interesse“ seine Berechtigung zu „als notwendiges Moment der gesellschaftlichen Entwicklung, auch wenn (!) es von geltenden Normen abweicht“, um es mit dem Hinweis auf eben diese Normen in seine Schranken zu verweisen:

„Leider sind die Verhältnisse nicht so, wie das in manchen Fällen wünschenswert wäre, aber eine wissenschaftliche Betrachtung muß die Objektivität berücksichtigen.“

Im Unterschied zur modernen Reformuniversität Bremen, an der man das illusionäre Geschäft betreibt, den realen Verhältnissen ihre Fortschrittsideale entgegenzuhalten, ist an der konservativen Reformuniversität Hamburg der praktische Verstand gefragt, der sich eine Vielfalt von Reformmöglichkeiten einfallen läßt, um sie auf den Prüfstein der unumstößlichen, weil realen Tatsachen zu stellen und dergestalt auf das „Machbare“ zu verpflichten.
Während in Bremen der Reformidealismus wissenschaftlich praktiziert wird, wird er in Hamburg getrennt von der wissenschaftlichen Betätigung als gemäßigte und liberale ideologische Haltung gepflegt, die der Politologie eines Hartwichs immer neue Anstöße für ihren „kritischen Realismus“ liefert. Kritische Ansätze politologischen Denkens sind erlaubt, aber nur dann legitim, wenn sie sich an den staatlichen Entscheidungen als oberstem Maßstab realistisch korrigieren, sich also in nützlicher Weise um das Funktionieren der bestehenden Verhältnisse bemühen, für die man unumwunden Partei ergreift:

„Das gründliche Nachdenken über die deutsche Geschichte und die ernsthafte Beschäftigung mit der Politik können (!) zu keinem anderen Ergebnis als zum illusionslosen Bekenntnis zur freiheitlichen politischen Ordnung führen.“

Gerade diese Festlegung politischen Denkens und Handelns auf das, was „unsere demokratische Grundordnung“ gestattet, ebnet den realistischen sozialdemokratischen Weg zum Fortschritt, der – naturgemäß – immer unvollkommen sein muß:

„Die Illusionslosigkeit ... ist (zudem) Quelle der Einsicht, daß auch die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens nie etwas Vollkommenes und Endgültiges darstellt, sondern immer weiterer Vervollkommnung bedarf.“


Selbstverantwortlicher Persönlichkeitstausch

Die einer realistisch-fortschrittlichen Wissenschaft gestellte Aufgabe, gesellschaftlich nützlich zu wirken, teilt auch die Hamburger Psychologie. Das Ehepaar Tausch hat in den

„persönlichen existentiellen Lebens-Sinn-Problemen, die zukünftig stark an Bedeutung gewinnen werden“,

eine Schwachstelle der Demokratie ausgemacht, der es mittels „Gesprächspsychotherapie“ zu Leibe zu rücken gedenkt. Durch

„Verminderung von Ängstlichkeit, Vergrößerung der Selbstachtung und Akzeptierung der eigenen Person, Herstellung vermehrter Spontaneität“

und ähnlichen „Veränderungen von individuellen Verhaltensweisen“ gehen Annemarie und Reinhard partnerschaftlich die eigentlich „unzureichenden“ Stellen im „System der Gesellschaft“ an: die „psychische Funktionsunfähigkeit“ und „seelische Instabilität“ einer „wachsenden Anzahl“ von Bürgern. Diese praxisnahe Psychologie macht das explizite Bekenntnis, über die Ursachen bestimmter Ängste, Instabilität etc. hinwegzusehen, zu ihrem Wissenschaftsprogramm und versieht sich, wie es sich für eine ordentliche Psychologie gehört, mit dem Schein der Rücksichtnahme auf die Selbständigkeit des Subjekts –

„Es werden keine Vorschläge, Anordnungen, Empfehlungen oder Lenkungen inhaltlicher Art gegeben“ –,

um so umstandslos den Leuten vorzuschreiben, daß es allein an ihrem „Selbst“ und seiner mangelnden Selbstlenkung liegt, wenn unangenehme Erfahrungen unangenehm bleiben. Deshalb schlagen Tausch/Tausch vor, ohne sich lange bei praxisfernen Legitimationen aufzuhalten, „nicht laissez-faire, nicht autoritär, nicht direktiv, sondern sozial-integrativ“ die Individuen (möglichst schon in der Erziehung) so zurechtzumachen, daß sie die ihnen von den gesellschaftlichen Zwängen aufgehalsten „Probleme“ trotz und bei allen weiteren Schwierigkeiten „weitgehend selbständig in einem ihnen angemessenen (!) Sinn lösen“. Dazu ist es vor allem notwendig, daß man die „Diskrepanz von Idealkonzept und Selbstkonzept“ zum Verschwinden bringt, also sich einredet, daß man sich mit seinen zu hohen Ansprüchen die eigene Unzufriedenheit beschert.

Selbstverständlich vergißt ein Psycholog der Hamburger Uni nicht, auf die Bedeutung seiner menschenfreundlichen Überlegungen für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft ausdrücklich zu verweisen: Er verspricht

„diejenigen Beeinträchtigungen möglichst jedes Einzelnen zu vermindern, die weitgehend ohne (!) Nutzen für den Einzelnen wie die jeweilige Gruppe das komplizierte soziale Zusammenleben von Menschen in Familien, Betrieben oder Institutionen beeinträchtigen,“

und macht dem Staat damit den fortschrittlichen Vorschlag, in seinem eigenen Interesse an funktionsfähigen Bürgern, diese auf eine Art und Weise zu beeinträchtigen, die ihm mehr Nutzen bringt. Er soll „größere Möglichkeiten“ an „befriedigenden sozialen und emotionalen Bedingungen am Arbeitsplatz“ und in der Freizeit zur Verfügung stellen – um nicht zuletzt das „sozialintegrative Engagement“ des Psychotherapeuten zu erleichtern.


Realistische Ideale einer idealisierten Realität

Sehr praxisorientiert sind auch die fortschrittlichen Gedanken des Pädagogen Schulz, der sein wissenschaftliches Wirken ganz im Dienste der Probleme der in Hamburg zunehmend protegierten Gesamtschule aufgehen läßt. Da er seine Hauptaufgaben darin sieht, den angehenden Lehrern eine für dieses praktizierte SPD-Reformmodell unabdingbare engagierte Einstellung zu ihrem Beruf mitzugeben, läßt er für diesen Zweck den pädagogischen Reformgeist immer wieder in Kollision mit den wirklichen Erziehungsverhältnissen treten – um ihn postwendend wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Schließlich braucht eine Gesamtschule keine verrückten Idealisten, sondern Lehrer, die sich zum Handwerk der Kinderselektion bekennen und sich die unangenehmen Begleitumstände ihres Wirkens mit einem ordentlichen Fortschrittsgewissen erleichtern.

So stellt Schulz sich und seinem Auditorium den Unterricht als eine humane Veranstaltung vor, in der sich alle Beteiligten ständig darüber „verständigen“, wie man es am besten schafft, die Kinder so zur

„Selbstentfaltung zu bringen, daß diese sich später selbständig und autonom zur Natur und zur Gesellschaft verhalten können“.

Um dem Vorwurf der idealistischen Phrasendrescherei zu begegnen, macht er darauf aufmerksam, daß er sich hierbei einen Unterricht ohne die Institution Schule ausgedacht habe, der durch diese leidige Institution leider gewisse unausweichliche Einschränkungen erfährt. „Realiter gesehen“ herrschen im schulischen Unterricht nämlich nicht „herrschaftsfreie Diskussion“, sondern unangenehme Zwänge vor, vor allem die „Notengebung“, die nicht nur den Schülern nichts nützt („niemand versteht einen Sachverhalt besser, wenn ich ihm darauf eine 5 gebe“), sondern ganz besonders den Lehrern schadet, weil die Schüler ihnen gegenüber nun mit einem „berechtigten Mißtrauen“ auftreten. Dies ist nun freilich sehr „idealiter gesehen“. Schulz trennt also säuberlich den Selektionszweck der Schule von den pädagogischen Idealen dieser Selektion und interpretiert die Gemeinheiten der Schulpraxis als Widerspruch zwischen den in der Schulverfassung angelegten Möglichkeiten (da steht auch irgendwas von „Selbstverwirklichung“) und ihrer bislang schlechten Realisierung, für die natürlich nicht die Schule, also schon gar nicht die Lehrer, sondern im weitesten Sinne „die Gesellschaft“ die Verantwortung trägt. Damit ist der Lehrer, der nicht Noten gibt, sondern geben muß, bei seinem gesellschaftlichen Verantwortungsbewußtsein gepackt und die gerade noch angegriffene Institution Schule in einen beschränkten „Spielraum“ verwandelt, den man sich zu einem fortschrittlichen Unterricht zu nutzen hat,

„der Sachbildung, Affektbildung, Sozialbildung nicht nur (!) mit der Intention der Förderung von Kompetenz für angepaßtes Handeln in der gegenwärtigen Situation zu akzeptieren vermag, sondern dieses Ziel nur verfolgt, wenn dadurch auch die Förderung von Autonomie möglich (!) ist, und die Förderung von Solidarität mit denen, denen Autonomie und damit volle Menschlichkeit versagt wird.“

Für diesen bereits jetzt realisierten SPD-Unterricht, der die Kinder zu brauchbaren Mitgliedern (verteilt auf die verschiedenen Stufen der Berufshierarchie) erzieht, sie ihr Scheitern im Schulsystem autonom ertragen läßt und ihnen dazu eine entsprechende Staatsbürgermoral verschafft, lehrt Schulz den Pädagogikstudenten neben der kritischen Rechtfertigung ihrer unkritischen Unterstützung der gesellschaftsförderlichen Selektion allerlei praxisbezogene didaktische Motivierungstricks und Kniffs, mit denen sie den widerspenstigen Schülern zu Leibe rücken. Für diesen Realismus, unter den gegebenen Bedingungen Schule zu machen, ist der Reformidealismus eben nur die ideologische Ergänzung, mit der sich nicht nur die eigenen pädagogischen Maßnahmen gegen die Schüler in Notwendigkeiten und guten Willen umdeuten lassen; sie gibt darüber hinaus den Motor für ein dauerhaftes Engagement im Sinne realer Reformpolitik ab:

„Zwischen Funktionieren und Räsonnieren“ („über die Bedingungen der Möglichkeiten der Praxis“) „liegt verantwortbares, reflektiertes pädagogisches Handeln, das von den gegebenen Bedingungen ausgeht, ohne darauf zu verzichten, ihnen gegenüber nicht nur anpassungs- sondern veränderungsfähig zu machen, engagiert für Humanität.“

Auf Grundlage dieser Auffassung von Unterricht –

„Nur im Rahmen eines Vorverständnisses vom Gegenstand Unterricht, wie wir es eben umrissen haben, ist unserer Auffassung nach Objektivität möglich“ –

spricht Schulz jedem wissenschaftlichen Ansatz seine Berechtigung zu und sich selbst für eine Kombination aus geisteswissenschaftlich-sozialwissenschaftlich-handlungsbezogen-kritisch emanzipatorisch aus, wobei auch ein Schuß Neomarxismus erwünscht ist, wenn dieser nicht zu einseitig auftritt; denn

„erst in ihrem Zusammenwirken haben die unterrichtswissenschaftlichen Ansätze eine Chance (!), der Komplexität des unterrichtlichen Feldes zu entsprechen.“


Selbstorganisation gesellschaftlichen Denkens

Das Dogma, keinen Gedanken dogmatisch zurückzuweisen, bevor er nicht auf die Brauchbarkeit für einen konstruktiven Vorschlag zum reibungsloseren Funktionieren von Staat, Bürgern, Schule etc. hin abgeklopft ist, wird vom Politologen Bermbach methodisch vertreten und abgesichert. Weil die Soziologisierung der Hamburger Wissenschaft – die beständige Reflexion der Erfordernisse der kapitalistischen Gesellschaft und ihres jeweiligen Beitrags zu diesen Erfordernissen – die negativen Auswirkungen ihrer jeweiligen Teilbereiche nicht verschweigt, sondern für die Aufforderung zum persönlichen Einsatz für diese Gesellschaft ausschlachtet, also einen das wissenschaftliche Geschäft begleitenden und für es durchaus vorteilhaften Reformidealismus hervorbringt, gehört es zum Aufgabengebiet ihrer Methodenabteilung, diese Fortschrittsideologie laufend in den Wissenschaftspluralismus aufzunehmen, auf den geforderten Realismus zurechtzubiegen und zur Vorschrift für das wissenschaftliche Denken zu machen.

So bringt Bermbach angesichts des Ideals einer Rätedemokratie, die auch die sozial unterprivilegierten Klassen für die Politik mobilisiert, folgenden Einwand:

„Da Gesellschaft immer nur als organisierte Gesellschaft denkbar und vorstellbar bleibt, muß zurückgefragt werden, welche Strukturierung von Gesellschaft sich durch die Notwendigkeit von Organisation ergibt, darüber hinaus, welche Eigendynamik Organisation selber zu entfalten vermag. Eine Gesellschaftstheorie, die daran vorbei wollte und die Erkenntnisse neuerer Organisations- und Kommunikationstheorie etwa als Makulatur bürgerlichen Wissenschaftsverständnisses beiseite zu schieben wünschte, würde sich selber in ihrem Charakter in Frage stellen lassen müssen.“

Der als gedankliche Anstrengung vorgetragene tautologische Blödsinn, daß Gesellschaft immer eine Organisation hat und diese darüber hinaus gegen jene eine Eigendynamik entfalten soll, und die Auffassung, alle politischen Vorstellungen am Funktionieren der existierenden Gesellschaftsorganisation zu messen, werden als Gütesiegel aller ordentlichen Theorien gegen die Idealvorstellung von einer Rätedemokratie ins Feld geführt. Letzterer schreibt Bermbach durchaus auch eine Berechtigung zu, wenn sie sich nur an den anderen Theorien relativiert, und darüber hinaus an dem, was die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse zulassen. („Rege Anteilnahme der Proleten am Staat: ja. Selbst den Staat in die Hand nehmen: Nein“.) Theorien haben sich an den pluralistischen Rahmen zu halten, der von der Praxisorientierung der Wissenschaft gesetzt wird. In diesem Rahmen aber herrscht die große Freiheit der pluralistischen wissenschaftlichen Diskussion, bei der jeder neue Ansatz, staatliche Probleme anteilnehmend zu betrachten und Verbesserungsvorschläge beizubringen, als gleichberechtigt anerkannt wird, wenn er keine alleinige Geltung beansprucht, sondern – wie schon Hartwich forderte – säuberlich zwischen unwissenschaftlichem Interesse des Wissenschaftlers an der Realität und der – außerhalb und vor der, damit aber auch für die Wissenschaft feststehenden – Unumstößlichkeit der gesellschaftlichen Realität trennt:

„Begriffe und Methoden ermöglichen immer nur ein mögliches Verständnis von Politik, weil unterschiedliche Interessen an der Realität unterschiedlich konstitutiv für diese werden und andere Aspekte vernachlässigen.“

Diese mit der Propagierung des Pluralismus einhergehende Verunsicherung, ob es Theoriebildung denn überhaupt bringen könne, treibt nämlich nur einer, der von der Sicherheit geleitet ist, daß der Staat mit seiner Gewalt praktisch schon alle Probleme löst, die er sich um ihn macht:

„Politik hat also sicher irgend etwas mit Herrschaft zu tun, und zwar spezialisiert im Staat.“


Fortschrittliche Alltagssoziologie

Die gesamten Geistes- und Gesellschaftswissenschaften argumentieren also bloß noch mit der Nützlichkeit ihrer Gedanken für die Gesellschaft und mit der Notwendigkeit, nichts als diese Nützlichkeit eines Gedankens zum Kriterium seiner Gültigkeit zu machen, wobei gerade in der säuberlichen Trennung zwischen Wünschbarem und Machbarem der politische Wert wissenschaftlicher Propaganda gesehen wird. So erfreut sich die Hamburger Wissenschaft eines blühenden Pluralismus' und bekennt sich mit der Trennung von Interesse und Objektivität ausdrücklich zu ihm, wobei auch rechte Professoren im Wissenschaftsgefüge vertreten, erwünscht und allenfalls wegen ihres parteipolitischen Standpunkts etwas scheel angesehen sind. Die Soziologie braucht also den Standpunkt des funktionierenden gesellschaftlichen Ganzen in Hamburg nicht mehr an die große Glocke zu hängen, weswegen sie sich mehr dem Beweis der Brauchbarkeit dieses Standpunkts bei den vielen Alltagsproblemen von Staat und Gesellschaft mit nicht so recht funktionierenden Bürgern widmet. Statt mit „der Gesellschaft“ als solcher befaßt sie sich vorzugsweise mit Kultur, Jugend, Stadtplanung, Betrieben usw. und befragt „praxisnah“ mit empirischen Einzeluntersuchungen über die Einstellung der Betroffenen zu ihren Problemen und zu den Institutionen, die ihnen diese Probleme an den Hals schaffen, diese „Problembereiche“ der Gesellschaft daraufhin, ob sie (d.h. die Betroffenen) ihren Beitrag zum Gelingen der „sozialen Ordnung“ auch leisten und durch welche Maßnahmen eine funktionstüchtigere Einstellung zu den bleibenden Problemen erzielt werden kann.


Nichts ohne eine solide Basis – Alles für eine solide Basis

Die Ökonomie bringt die reformbewußte gesellschaftliche Verantwortung der Hamburger Uni zur Anschauung. Mit ihren Lobeshymnen auf Geld, Markt, Preis etc., die sie zirkulär daraus erklärt, daß sie funktionieren, immer irgendein Optimum bilden, bei dem immer irgendein Nutzen abfällt, ihrer Besprechung von tausenderlei möglichen Wirkungen staatlicher und betrieblicher Maßnahmen auf das Wachstum bzw. den Gewinn, und den daraus resultierenden Vorschlägen an Staat und Kapital, wie die Ausbeutung der Proleten am effektivsten zu bewerkstelligen ist, bildet sie die realistische Basis des Reformgefummels in den anderen Abteilungen. In ihr selbst hat der Reformidealismus nichts zu suchen. Diskussionen über alternative Wirtschaftskonzepte oder über Möglichkeiten menschenfreundlicherer Auswirkungen gängiger ökonomischer Maßnahmen („Kann Rationalisierung auch arbeiterfreundlich eingesetzt werden?“) gibt es deshalb nur getrennt von der Ausbildung in dazu eingerichteten freiwilligen Tutorien. Sie sollen dem Engagement der Studenten für ihre Ausbildung ein wenig auf die Sprünge helfen und demonstrieren, daß auch bei den Ökonomen kritisches Fortschrittsengagement gefragt ist, was mit der Rede von der „persönlichen Verantwortung für die Gesellschaft“ heuchlerisch untermalt wird. Ganz auf die Erfordernisse der Praxis ausgerichtet, unterscheidet sich ihre Wissenschaft ansonsten keinen Deut von konservativen Universitäten, weil der Hamburger praktische Verstand sich sicher ist, daß sozialdemokratische Politik an den ökonomischen Gegebenheiten nichts ändern darf. Dabei beweist die gelehrte Volkwirtschaftspropaganda, daß das „illusionslose“ Gerede der übrigen Wissenschaften über die Schranken von Reformen an den Notwendigkeiten der Gesellschaft, des Staates und der Wirtschaft noch allemal in der Umkehrung seinen höheren Sinn findet, die durch die Ökonomie repräsentiert wird: »Realistische« Reformpolitik für ein gesundes demokratisches Gemeinwesen und eine florierende Wirtschaftspolitik).


Offener Dialog für problemorientierte Studienfreiheit

Der weltoffene Realismus des praktischen Universitätsverstandes weiß die Vermittlung seiner Ideologie an die Studenten mit aufgeschlossenreformerischem Habitus vorzubereiten. Mit dem allgemeinen Interesse der Studienanfänger rechnend, aus berufenem Munde etwas über die auf sie zukommenden Anforderungen zu erfahren, hat die Uni dem Studium obligatorische „problemorientierte Einführungen“ vorgeschaltet, in denen den Anfängern im „offenen Dialog“ klargemacht werden soll, daß es auf ein „selbstverantwortliches Studium“, also auf ein freudiges Engagement für die gelehrten Ideologien vom demokratischen Engagement ankommt. Nicht nur gegen diejenigen, die aus demselben Gelaber an der Schule die ganz und gar unpassende Auffassung mitgebracht haben, die Anpassung der Ausbildung an die Erfordernisse der Praxis dürfe an ihren kritischen Absichten einfach nicht vorbeigehen, die also den geforderten Realismus vermissen lassen, sondern auch gegenüber denen, die wegen der allzu realistischen Bereitschaft, das Studium in ihrem eigenen späteren Interesse durchzuziehen, die überzeugte Teilnahme vermissen lassen, wird eine Woche lang das Ideal des kritischen Studenten im Reich der diskussionsfreudigen Wissenschaft hochgehalten, der sein Studium als Selbsterziehung zum aktiven Staatsbürger und die Ausbilder nicht als Lehrer und Prüfer, sondern als Helfer bei dieser Aufgabe begreift. Assistenten und Dozenten bieten ein ums andere Mal den „offenen Dialog“ über die „Schwierigkeiten der Anfänger“ an und demonstrieren mit der heuchlerischen Aufforderung, das Lehrangebot nicht einfach als Angebot zu nehmen, sondern als Auftrag für sich selbst zu betrachten und

„im Austausch der Vorstellungen die eigenen Interessen zu reflektieren ... und sich mit dem Lehrangebot auf der Grundlage eigener studentischer Fragen kritisch auseinanderzusetzen so daß Probleme des Studiums auch als Momente politischer Konflikte und Entscheidungen begriffen und an ihrer Lösung mitgearbeitet werden kann.“ (OE-INFO/Päd. Uni),

daß hier nicht auf Kritik, sondern auf mehr Beteiligung gedrungen wird. Dabei existiert auf beiden Seiten noch allemal das Understatement (bei den Lehrenden als geheuchelte Beschwerden über die leidige Inaktivität der Studenten, bei diesen als wohlkalkulierte Demonstration eigenen Interesses), daß Reformeifer gegenüber dem „Lehrangebot“ nicht erwünscht ist. Die Uni repräsentiert also für sich eine Woche lang die Ideologie mündiger Eigenverantwortlichkeit und konstruktiver Kritikfreiheit. Und die Studenten richten sich darauf ein, mit ganz und gar reformillusionslosem Realismus und einer auf Verlangen sich und anderen wohlfeil vorgezeigten politischen Einstellung zum und neben dem Studium letzteres standesgemäß zu bewerkstelligen. Die Universität sorgt solchermaßen mit dem institutionalisierten Einverständnis, daß auch in ihren eigenen Mauern das Machbare noch lange nicht das Ideale ist – zumal wenn die Betroffenen es an Engagement oder dem nötigen Realitätssinn fehlen lassen – für einen reibungslosen Ausbildungsbetrieb vor.

Mit der Ideologie, das Studium sei das, was man selbst aus ihm mache, wird Einverständnis darüber hergestellt, daß das Studium so zu machen ist, wie es angeboten wird.


Der AStA – Gewerkschaftlich orientierte studentische Bildungspolitiker

Da sind die Hamburger Vertreter der gewerkschaftlichen Orientierung mit ganzem Herzen zur Stelle und tragen ihren Teil zum Gelingen dieser Veranstaltung bei. Begierig greifen sie diese Aufforderung zum Bereden der kritischen Teilnahme am Studium auf, um sich selbst als Reformgeister zur quasi institutionalisierten studienbegleitenden Dauereinrichtung werden zu lassen. In dieser Phase des Studiums, wo noch nicht studiert, sondern auf's Studieren eingestellt wird, halten sie das Ideal der kritischen Selbst- und Studiumsreflexion noch einmal so richtig hoch, um die angeblich so orientierungslosen und von Schwierigkeiten geplagten Studienanfänger dafür zu gewinnen, sich neben dem Studium mit dem AStA im Geiste dieses Ideals zu engagieren. Wo die Uni „kritisch auseinandersetzen“ ruft, echot es von Seiten des AStA, daß

„schon viel erreicht wäre, wenn es der Orientierungseinheit gelänge, dem Erstsemester alle Probleme ... so zu verdeutlichen, daß er sich rechtzeitig (Unterstreichung vom AStA) mit diesen auseinandersetzen kann.“ (OE-INFO/SozPol).

Außerdem muß endlich einmal klargestellt werden, daß die besseren Bildungspolitiker in den studentischen Tutorien und Kleingruppen sitzen, die keine andere Sorge treibt, als den Verantwortlichen durch das praktische Beispiel ihrer Eigeninitiative am Nachmittag vorzuführen, wie schlecht sie am Vormittag das gemeinsame Anliegen einer „qualifizierten Berufsausbildung“ verfolgen. Angetan von der reformerischen Ideologie einer Wissenschaft für die Demokratie – die dafür sorgt, daß die Uni ihren Beitrag zum Erhalt der Demokratie leistet, so wie sie ist – stellen sie ihr Verantwortungsbewußtsein zur Schau, indem sie den Wissenschaftsbetrieb und die Berufspraxis, für die er ausbildet, nicht kritisieren, sondern durch so radikale Vorschläge neben dem laufenden Betrieb ergänzen wie

„den vielgenannten, aber kaum praktizierten Wissenschaftspluralismus durch die Aufarbeitung alternativer Lehrmeinungen zu verwirklichen“, oder „die Praxisrelevanz der Seminarinhalte aufzuarbeiten“,

oder

„eben die Kluft zwischen dem universitären Angebot und der möglichen späteren Berufspraxis aufzuarbeiten.“ (OE-INFO/SozPol)

Im übrigen begeistern sie sich für gewerkschaftliche Forderungen, durch die Studieneingangsphase die Praxisorientierung des Studiums aber auch wirklich zu garantieren, und wollen endlich die Praktika ordentlich vor- und nachbereitet sehen.


Kampf für Pluralismus und Prüfungsordnungen

Da aber unter dem gemeinsamen Dach Verantwortung für die BRD ein munterer Pluralismus getrieben wird, Alternativen des Wünschbaren und Machbaren diskutiert werden und allzu Kritisches auf solche Alternativen runterdiskutiert wird, also auch in der Propagierung dieser Haltung die Praxisrelevanz der Seminarinhalte gewährleistet ist und die Studenten – mit dieser Einstellung ausgestattet – bestens auf ihre spätere Berufspraxis vorbereitet sind, sind diese Vorschläge nicht nur illusionär. Sie zeugen vielmehr von einem ganz und gar undogmatischen Einverständnis mit den Prinzipien demokratischer Ausbildung: um eine verantwortliche Einstellung zum Fortgang des Staatswesens geht es auch ihnen, nur daß sie dabei diejenigen mehr berücksichtigt sehen wollen, die den Kreis des Machbaren und Wünschbaren etwas weiter ziehen wollen und zu den „unbewältigten Problemen der Demokratie“ (die haben Sorgen!) auch die „Unfähigkeit“ der SPD zählen, die sie im wenig rücksichtsvollen SPD-Modell Deutschland am Werk sehen.

Konsequent haben diese Kämpfer für „wirkliche“ Reformen aus dem „Kampf gegen das HRG“ inzwischen ganz realistisch die „konkrete Forderung“ gemacht:

„Kampf für eine Veränderung des Gesetzes ... (wenn auch zunächst nur in Teilpunkten).“

Ganz vom hanseatischen Geist beseelt und wie es sich für eine ordentliche studentische Interessenvertretung gehört, die von hanseatischen Studenten gewählt werden will und wird, haben sie herausgefunden, daß – weil momentan die „Durchsetzung des HRG an den Fachbereichen ansteht“ – die Gegnerschaft nur in einer entschieden konstruktiven Mitarbeit bestehen kann, in der Ausarbeitung eigener Studien- und Prüfungsordnungen also und in der nebenherlaufenden Pflege einer kritisch-reflektierenden Einstellung zu der „von oben (statt mit ihnen) diktierten Ausbildung“, die denen da oben noch stets verkündet, daß sie viel besser könnten, wenn sie nur wollten.


Fortschrittlicher Dialog mit frustrierten HRG-Machern

Deswegen findet der Kampf des AStA gegen die „Verschlechterung der Ausbildung“ als Diskussionsveranstaltungen mit denen statt, die dafür verantwortlich sind. Denen will man nicht kundtun, wie wenig man angesichts ihrer Taten mit ihnen zu reden hat, sondern ihnen ein ums andere Mal vorhalten, nicht zu handeln:

„Wir wollen Taten, nicht leere (!) Worte!“

Damit profiliert man nicht nur sich als linken Diskussionspartner bekannter Politiker, sondern macht die Diskussion zur unerläßlichen Begleiterscheinung der täglichen diskussionslosen Praxis des reformierten Studiums und repräsentiert damit aufs Beste die politische Haltung der Studentenschaft, die sich qua AStA von Ausbildung und Wissenschaft, die die Studenten ohne größere Schwierigkeiten erledigen, distanziert, statt sie zu kritisieren. Die üblichen Erfolgsmeldungen bleiben nicht aus: nach gesicherten konkreten Erfahrungen des AStA grassiert der „Frust der HRG-Macher“. Die Armen!

Wer sich solchermaßen als kritisches Reformgewissen der SPD aufführt – und wie jedes ordentliche Gewissen das Handeln weder kritisiert noch ändert, sondern ihm höhere Ideale vorhält, nach denen es sich richten soll – entdeckt nicht nur seine eigentliche demokratische Aufgabe im Kampf gegen einen immer aufs neue drohenden Faschismus. Der läßt sich darin auch nicht durch die öffentlich gefeierte Sicherheit der demokratischen Gemeinschaft erschüttern, daß sie aus lauter Antifaschisten besteht, der Faschismus also gegenwärtig überflüssig ist. Vielmehr entdeckt so einer in der Hamburger Uni sogar einen mächtigen „Bündnispartner“ für diesen Kampf, der deswegen in der Veröffentlichung eines „antifaschistischen Vorlesungsverzeichnisses“ kulminiert, das – in schöpferischer Weiterentwicklung der früheren Gegenuniversitätspraxis – gegen „Nazi-Nostalgie“ (!) und „faschistische Tendenzen an den Schulen“ auf die Universitätsveranstaltungen hinweist, die thematisch etwas mit den historischen Ereignissen der 30iger Jahre zu tun haben. MSB und Co. bemühen sich also nach, Kräften, aus ihrer Unzufriedenheit einen positiven Beitrag zu machen, wo es nur geht, Uni und Sozialdemokratie an ihre angeblich eigentlichen und besseren Ideale zu erinnern und damit den Studenten ein Organ zu bieten, um neben dem Studium ihre politische Unzufriedenheit mit der Uni zu äußern, ohne sie selbst vorbringen zu müssen. Womit man zwar nicht zufrieden sein, aber sich zufrieden geben kann, wenn man sich nur einbildet, die Funktionalisierung dieser Beiträge für den Universitätsbetrieb bedeute, daß sie bei Studenten und Verantwortlichen Gehör finden. So setzen die gewerkschaftlich Orientierten als solche und als AStA durch Studienreform vorschlage laufend „Pflöcke“ gegen die Reaktion, treiben „Risse“ ins „Lager der Herrschenden“ und erfüllen in einer politischen Landschaft, wo die Jusos mehr an ihre Karriere innerhalb der bürgernahen Politik als an die Ideologie bürgernaher Politik denken, die Rolle der Jusos – nur eben als eigener Studentenverband.


Fortschrittlicher Rückzug

In den Mauern der freien Bürgerschaft wird an der Stätte ihres Geistes die staatsbürgerliche Verantwortung für einen weltoffenen demokratischen Fortschritt, d. h. für den ungestörten Fortgang der Demokratie hochgehalten und für realistische Ideale und staatsidealistischen Realismus Partei ergriffen. Dabei funktioniert der Ausbildungsbetrieb samt konstruktiver studentischer Interessenvertretung prächtig. Dafür sorgen einerseits die vielen Studenten, die ohne große Schwierigkeiten das Studium absolvieren, das für Reformillusionen keinen Platz läßt, und sich auf den propagierten Geist der kritischen Eigenverantwortlichkeit als ein Erfordernis einstellen, das man sich nützlicherweise als Haltung zulegt, ohne davon allzuviel praktisches Aufhebens zu machen. Andererseits ist auch bei denen, die den Anspruch, kritisch gegen alles und jedes zu sein, oder von der Uni frustriert (statt gegen sie aufgebracht) zu sein, als persönliche Attitüde zur Schau stellen, eine Kritik des Ausbildungsbetriebs nicht gefragt. Mit einer Mischung aus gesundem Opportunismus – das Studium reißt man am besten runter, erwartet sich vom AStA nichts, sondern wählt ihn und sucht sich außerhalb der Uni seine kritischen Freizeitplätze – und distanzierter Gleichgültigkeit gegen die falsche Wissenschaft und ihr Ideal eines gesellschaftlich verantwortungsbewußten Jungakademikers, seilen sie sich geistig und u.U. auch für eine Weile physisch von der Uni ab und betätigen sich mehr oder weniger aktiv in der politischen Szene – mit dem falschen Bewußtsein, daß es auf Theorie sowieso nicht ankommt, und sie den Ausbildungsschwindel, der ihnen keinen Spaß macht, durchschaut hätten.

Je nach staatsbürgerlichem Naturell mehr von dem Gedanken beseelt, ihre kritische Haltung für sich und andere in praktischen Alternativen in linken Bürgerkreisen schöpferisch zum Einsatz zu bringen, oder von dem Verlangen getrieben, den eigenen Studienfrust im Kreise gleichgesinnter kritischer Menschen zu belabern und sich standesgemäß jungsozialdemokratisch ein bißchen freier zu entfalten, machen fortschrittliche Studenten das Studium zur Nebensache (was allen linken Gerüchten zum Trotz also ohne allzu große Schwierigkeiten geht!), ohne zu vergessen, mit kritischem Gestus ihr Einverständnis mit dem Ausbildungsbetrieb in eine „Machtlosigkeit gegenüber der technokratischen Hochschulreform“ umzubiegen und somit heuchlerisch zu entschuldigen:

„Viele zogen die Konsequenzen, ihr politisches Engagement in andere Bereiche zu verlagern, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine Verbindung zur Uni herzustellen.“ (Linke Liste)

Der Konsequenz dieses „Rückzugs fortschrittlicher Studenten von der Universität“ verdankt sich die Existenz und Beständigkeit der Hamburger Politszene, der Vielzahl von Bürgerinitiativen und Basisgruppen samt einer blühenden linken Kneipen-, Stammtisch-, Feten- und sonstigen Kultur, die sich zwischen den Extremen Biermann und Udo Lindenberg herumtreibt.


Bunte Szenen an der Basis

Daß das geistige Band zur Uni keineswegs abgerissen ist, beweisen ihre politischen Aktivitäten. Als treuliches linkes Spiegelbild der Ideologie Hamburger Wissenschaft praktiziert man deren Lehre vom staatsverantwortlichen demokratischen Interessenausgleich, bloß in eigener Verantwortung und außerhalb bzw. gegen das offizielle Spektrum der vom Staat institutionalisierten Interessenrepräsentanz. Wahllos stürzt man sich auf sämtliche im demokratischen Getriebe untergebutterten Interessen (Frauen, Kinder, Umweltschutz, Strafgefangene, Schwule, Mieter, Arbeiter, Schüler, Lehrlinge, Lehrer, Rentner usw.), behandelt sie getreu dem Dogma, daß in der Demokratie bei einigem guten Willen doch alle Interessen zum Zuge kommen könnten, als Zukurzgekommene, schließt deshalb sich und die Betroffenen einerseits zwecks „Selbsthilfe“ zusammen und macht andererseits alle möglichen Anstrengungen, ihnen wenigstens moralische Anerkennung von Seiten der Öffentlichkeit zu verschaffen, was ihre Durchsetzung ersetzt. Im dauernden kritiklosen Bequatschen der „Probleme“ der Betroffenen, bei dem die moralische Empörung darüber, daß man, ungerecht behandelt wird, und die wechselseitige Versicherung, daß etwas passieren muß, Ausgangs- und Endpunkt sind, ringt man sich dazu durch, wo es geht, eigeninitiativ einen Kindergarten aufzumachen, den Abbruch eines Hauses zu verhindern, usw. – kurz, sich die schlechten staatlichen Voraussetzungen für das bürgerliche Privatleben mit eigenem gutem Willen und Einsatz etwas erträglicher zu gestalten und vom Staat Anerkennung und mehr Gelegenheit für diese Initiativen zu verlangen.

Andererseits pflegt man einen eigenen Realismus und hält nach öffentlichen Figuren wie dem allseits beliebten NDR-Sprecher Henning Venske Ausschau, die für das eigene Anliegen bei der Öffentlichkeit ein gutes Wort einlegen sollen. Die feststellbaren mageren Erfolge und ständigen Querelen zwischen den Interessensfraktionen kann man dann in den Initiativen und Kneipen durch Strategiedebatten über längerfristige politische Orientierung und solidarische Frustbeteuerungen so ausgiebig wie falsch diskutieren, sich zerstreiten, Initiativen eingehen lassen und wieder aufmachen, sich ganz in die linke Stammtischfreizeitkultur abseilen usw. – kurz, alles dafür tun, daß alles so weitergeht. Nach außen verzichtet man also laufend auf die Durchsetzung der Interessen, nach innen treibt man unermüdlich den Ausgleich der Interessen voran, fordert jedes zur solidarischen Relativierung auf, indem man ihm einerseits kritiklose Berechtigung zuspricht und es andererseits auf die anderen verweist, die ja ebenfalls ihr Recht haben. Inzwischen hat man es so weit gebracht, für diese alternative Bürgerpolitik die entsprechende politische Instanz zu gründen, die dem Interessengerangel den höheren politischen Sinn und Zweck gibt: Wahlvolk zu sein für eine politische Alternative, die „Bunte Liste“. In ihrer Rede vom „Gleichgelten“ aller in ihr und durch sie artikulierten Bedürfnisse drückt die Bunte Liste nicht nur die Gleichgültigkeit gegenüber diesen aus; sie zimmert daraus gleich noch ein Modell wahrhaft demokratischer Interessenvertretung, nach dem sich diese aneinander abarbeiten sollen, bevor sie von ihr auf der parlamentarischen Bühne vorgebracht werden. So werden die in Anspruch genommenen Interessen zum Material für ein mieses Demokratiespiel gemacht, bei dem es um nichts anderes geht, als die SPD öffentlich mit ihrem Ideal bürgernaher Politik zu konfrontieren, um ihr nachzuweisen, daß sie diesem nicht ganz entspricht – was im Eimsbütteler Bezirksparlament durch zwei Abgeordnete der Bunten endlich standesgemäß parlamentarisch auch geschieht:

„Gerade (!) die SPD ... wird ihre Ernsthaftigkeit in der Behandlung von Frauenfragen an ihrem Abstimmungsverhalten zum Frauenausschuß Eimsbüttel messen lassen müssen. Wir sind gespannt.“


Der KB – Organisator aller Initiativen

Dafür, daß die Hamburger Szene ihr Alternativdasein immer wieder mal machtvoll geschlossen demonstrieren kann, sorgt der KB. Getreu der Devise, daß man als Vorkämpfer des Kommunismus immer ein Ohr in den fortschrittlichen Massen haben müsse, hört er aus dem Bürgerinitiativen-, Basis- und sonstigen politischen Gebrodel zielsicher den gemeinsamen Nenner heraus, wo alle meinen, daß wieder mal was passieren müßte, und propagiert den dann kraftvoll wieder unter den Massen. So organisiert er die Szene zwei, drei Mal im Jahr für eine Demonstration, ein Tribunal oder sonst ein zum Polit-Fest ausgestaltetes Ereignis. Was der KB als die Instanz der politischen Einheit eines Getümmels divergierender, alles irgendwie kritischer Interessen heraushört, um es wieder hineinzutragen, ist eben die politische Einheit, die so eine Szene hat: Daß man – bei allen Differenzen – sich das Recht auf den eigenen Einsatz für politische Alternativen oder auf die öffentliche Belaberei und Demonstration des eigenen Dagegenseins nicht nehmen läßt. Jüngstes Beispiel: Unter dem Firmenschild Persien veranstaltete bzw. unterstützte der KB nach der Frankfurter Demonstration verbotene Demonstrationen, um mit den dabei einkalkulierten Festnahmen zu beweisen, daß

„wir uns das Recht und die menschliche und politische Pflicht zum demokratischen Protest nicht nehmen lassen.“

Neben ihrem Alternativdasein demonstriert die Szene unter Anleitung ihres politischen Gewissens, des KB, also ab und an, daß sie darauf besteht, Szene sein und bleiben zu dürfen, und verschafft dem KB, von dem sie sich ansonsten natürlich eifrig distanziert, weil die vielen Interessen sich nicht durch ein politisches Konzept bevormunden lassen wollen, die Genugtuung, wieder einmal ein paar tausend auf die Beine gebrächt zu haben. Andererseits plagt sich der KB damit ab, in der Angleichung an die Szene und trotz der Ausräumung einiger hinderlicher Requisiten revisionistischen Parteilebens nicht so zum Zuge zu kommen, wie er es gerne möchte. Die Aufnahme der Bunten Listen in seine eigene Organisation hat nicht die erhoffte Verstärkung gebracht, sondern ein Zerfasern in die Szene, die man für sich funktionalisieren will. Eine Reihe von Mitgliedern sind zu dem naheliegenden Entschluß gekommen, daß sich Politik als Stimmungsmache auch betreiben läßt, ohne ständig den Arbeiterkampf verkaufen zu müssen, woraufhin der KB wieder Lenin schulen läßt, um die Revi-Moral seiner Mitglieder zu kräftigen.

Hin- und hergerissen, wie er als „Speerspitze des Kommunismus“ ein korrektes Verhältnis zwischen sich als „Führungsorganisation“ und der Szene als fortschrittlicher „Massenbasis“ herstellt, also mit sich selbst im Streit, wieweit man für die Profilierung als politischer Alternative sich in das Alternativgefummel der Szene auflösen darf, stellt sich der KB seit geraumer Zeit die rhetorische Frage: „Wie geht es weiter im KB?“ und beantwortet sie sich laufend dementsprechend, daß es irgendwie so weitergehen müsse. Selbst die Ausgetretenen beschwören in den öffentlichen Erklärungen („Nichts Grundsätzliches auszusetzen ... Macht so weiter wie bisher ... Nur ohne mich, da individuelle Schwierigkeiten ....“), daß er als Sprachrohr der falschen Einheit Hamburger Linker erwünscht und als solches von den Linken zugleich links liegen gelassen wird, wo er den gegen die SPD hochgehaltenen politischen Idealen echter Demokratie, unbeschränkter Meinungsfreiheit, demokratischer Beteiligung der Bürger, echten Interessensausgleichs usw. im „Arbeiterkampf“ die revisionistische Gloriole eines dauernden antifaschistischen Kampfs und die weltweite Perspektive des Antiimperialismus verleiht, mit der sich noch das reaktionärste Interesse in einen Schritt auf dem Weg zum Sozialismus verwandeln läßt.


Politische Moral für ein rechtes Studium

Als Vorhut formuliert er das politische Programm, welches noch jeder politisierende Fortschrittsjungbürger in Hamburg – sei’s in der Fortschrittskneipe, in den Initiativen oder auch in der Uni außerhalb des Studiums – vor sich herträgt: gegen die drohende „Faschisierung“ der Demokratie, die in erster Linie durch F.J.S. verkörpert wird, muß man die Demokratie verteidigen und der SPD in ihr oder gegen sie auf die fortschrittlichen Sprünge helfen, und/oder im linken Szenenleben ein gemütliches fortschrittliches Plätzchen einnehmen.

Mit dieser politischen Moral – „Fortschritt“ und „Kampf gegen Rechts“ – kann man nicht nur wie die meisten Studenten ruhigen Gewissens distanziert ein Studium ganz normal absolvieren, sondern dieses auch durch ein alternatives politisches Leben ergänzen oder ersetzen und sich in der Szene, in der man noch jedes Freizeitvergnügen mit dem Schein des politischen Engagements versieht, ebenso wie in der Demokratie einrichten. Irgendwann, wenn die Grenzen der eigenen Freiheit des Studiums nach seinem Abschluß enger gezogen werden, setzt sich auch bei der Mehrzahl dieser fortschrittlichen Menschen die realistische Einsicht durch, daß die eigenen Interessen mehr Besinnung auf das Machbare fordern. So werden auch aus ihnen zumeist noch rundum brauchbare Demokraten, die wie jeder ordentliche akademische Bürger in Hamburg zum Fortbestand der SPD-Politik ihre kritische Stimme beitragen.

 

Zur Charakterisierung der Politik des Kommunistischen Bundes siehe auch „Hauptsache KAMPF!“ aus MSZ 17/1977

 

aus: MSZ 27 – Januar 1979

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