Franz Josef Strauß
„Da die CSU eine Firma (!) ist, die sich hoch in der Gewinnzone befindet, habe ich keinen Grund, jetzt mit einer Maschinenpistole durchs Kabinett zu gehen“ (Die Zeit 43/78), ließ Strauß verlauten. Der Spiegel bemerkte hierzu feinsinnig, daß Strauß selbst dann, wenn es ihm um die „Hervorkehrung seiner Abgeklärtheit, seiner Weisheit und seiner Milde“ gehe, von „blutrünstigen Bildern“ nicht lassen könne. Und wie es sich für die Hofberichterstattung vom wechselseitigen Umgang unserer politischen Persönlichkeiten gehört, kommt die seit je an Strauß herummäkelnde Presse zu dem für ihn nicht ungünstigen Schluß, die Rolle des „gütigen Landesvaters“ passe nicht zu ihm und er sei in ihr bei weitem nicht „ausgelastet“.
In Wirklichkeit demonstriert Strauß, in der selbstgefälligen Pose des Terroristen, der nichts zu befürchten hat, worauf es für ihn als bayerischer Ministerpräsident ankommt: bürgernahe Politik. Mit seinem Versprechen, die bewährte Politik der CSU fortzusetzen, gibt er zugleich das andere, die anstehende Kabinettsumbildung als Säuberung des Staatsapparates von „kurfürstlicher Selbstbestätigung“, also von dem Volk „entfremdeten“ Politikern und Beamten, durchzuziehen. Die „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ Goppels und seiner Mannen war Strauß immer schon ein Dorn im Auge, im Fall des „stinkfaulen“ Heubl, der schon bei der „kleinsten Menge Alkohol“ „Geheimnisse“ ausplaudert, ließ er rechtzeitig ein „Dossier“ anfertigen. Und auch das Resultat dieser „Reinigung“ des Staatsapparates entspricht den Praktiken, wie sie Faschisten pflegen: Kumpanei und Berechnung.
Am Beginn eines Porträts von Franz Josef Strauß steht die Feststellung, daß das deutsche Volk in diesem Politiker einen sehr erfolgreichen Führer besitzt, einen der Nachkriegspolitiker, deren einziges Trachten dahin ging und geht, daß die Deutschen „in menschlichem Recht und Wohlstand leben“ und „nicht wieder von einer Katastrophe – dann zum 3. Mal in diesem Jahrhundert – heimgesucht“ werden. Die Propaganda aus dem Osten, einer wie Strauß sei ein „unverbesserlicher“ und „unbelehrbarer“ faschistischer Reaktionär, muß zurückgewiesen werden – weil das Gegenteil der Fall ist. Strauß ist ein Politiker, der aus den Fehlern des Faschismus gelernt hat. Nach wie vor hat das Volk zuerst seinem Staat zu dienen und dann an seinen Nutzen zu denken. Dabei aber den Staat zu ruinieren, darf nicht mehr vorkommen. Verantwortung nach Hitler tragen heißt, und dafür steht das politische Werk des Franz Josef Strauß, daß der Kapitalismus aus Prinzip ohne faschistische Diktatur gemacht werden muß, weil sie prinzipiell nur als Mittel der Demokratie taugt, wenn sich anders die drohenden „Katastrophen“ nicht unter Kontrolle bringen lassen – hierzulande und draußen in der Welt.
Strauß ist das beste Beispiel dafür, daß das Eintreten für faschistische Zustände die Glaubwürdigkeit eines demokratischen Politikers nicht im geringsten erschüttert, zumal wenn es um die Erhaltung heutiger faschistischer Regimes wie die in Spanien (inzwischen demokratisiert), Südafrika, Chile und sonstwo als Bastionen der „freien Welt“ geht, um die sich der CSU-Vorsitzende in Wort und Tat verdient gemacht hat. Daß ihm einmal ähnliches widerfahren wird wie seinem Unionsfreund Filbinger, der sich so „ungeschickt“ zu seiner ruhmreichen Vergangenheit als Marinerichter verhalten hat und dadurch seine Glaubwürdigkeit als entschlossen handelnder Politiker eingebüßt hat, steht nicht zu erwarten. Selbst eine jüngste Schmähschrift der SPD: „F.J. Strauß im Zwielicht der Geschichte“ enthält keine Geschichten vor 1945. Wie aus seinen Biographien zu entnehmen ist, hat Strauß eine lückenlos „reine Weste“. Geboren am 6. September 1915 in München, Sohn eines Metzgers, der seinen Laden in der Schellingstraße hatte, macht Strauß 1935 ein „hervorragendes Abitur“, studierte in München „Germanistik, Geschichte, Volkswirtschaft und klassische Sprachen“, war Mitglied des NSDSTB, trat 1937 dem NSKK bei und wurde später beim Sturm 23/M86 in München „weltanschaulicher Referent“ und „Rottenführer“. Strauß hat nie behauptet, daß er „im Widerstand“ gewesen ist (weswegen es zu einem seiner Wahlkampfschlager gehört, von Wehner und... Brandt „lückenlosen Aufschluß“ darüber zu verlangen, was sie in der Zeit ihrer „Absetzung“ ins Ausland getrieben haben). Als Ausweis kann er vorweisen, daß ihn Partei und Kriegsministerium als „Zivilisten“ gefördert haben (1943 wurde er Studienrat); es gibt sogar die Bestätigung seines letzten Kommandeurs, der „Oberleutnant Franz Strauß sei soldatisch weder Feuer nach Wasser gewesen. Er habe sicher seine Pflicht getan, aber kein Jota mehr!“ Was diesem Vorgesetzten mißfiel, war augenscheinlich die realistische Einsicht des jungen Strauß, daß Hitler sich „übernommen“ hatte und der Krieg nie und nimmer zu gewinnen war. Diese Einsicht war zwar nicht originell, sondern stellte die Kritik am Führer dar, zu der sich die meisten Deutschen letztlich durchrangen. Im Unterschied zu denen, die bis zum Schluß durchhielten, war Franz Strauß aber einer von denen, die den deutschen Antifaschismus zu praktizieren gedachten (hinterher natürlich!), bei aller Pflichterfüllung an das Überleben dachten, ohne als Wehrkraftzersetzer aufzufallen – wobei allerdings der Gerechtigkeit halber hinzugefügt werden muß, daß Strauß dieses für den Landser unmögliche Kunststück gelingen und kaum in den Verdacht eines passiven Widerständlers kommen konnte, weil er noch kurz vorm Ende als Ausbildungsleiter in der Flak-Kaserne in Altenstadt bei Schongau die Aufgabe zugeteilt bekam, der Wehrmacht letzte Kraft zu geben. Das Urteil einer seiner Biographen: „Strauß war 1945 ein politisches Nichts. Gerade darin lag seine große Chance“ ist in zweierlei Hinsicht interpretationsbedürftig. Einmal wurde Strauß nicht deswegen von der amerikanischen Besatzungsmacht als Dolmetscher angestellt und dann als stellvertretender Landrat von Schongau eingesetzt, weil er ein politisches Nichts gewesen wäre. Die westlichen Alliierten, die den verbliebenen Deutschen mit ihren Panzern die Demokratie aufzwangen, griffen zur Ankurbelung des politischen Lebens zweckmäßigerweise nicht auf die Masse von vernichteten Existenzen zurück, die wieder in die Fabriken marschieren mußten, um sich ihre Existenz zu verdienen, sondern auf bewährte Funktionäre des deutschen Staates. Zweitens waren diese Staatsagenten wie Strauß keine politischen Nichtse. Sie hatten vielmehr eine antifaschistische Gesinnung und den positiven Willen zur Demokratie vorzuweisen – dabei handelte es sich eben um jene Hitlerkritik, die Strauß schon besaß, mit der er in ihrer volkstümlichen Fassung politische Versammlungen der ersten Jahre des modernen Deutschlands bestritt, wenn es galt, „Unbelehrbare“ in die Schranken zu weisen: „Das mit den »Tausenden« von Jahren haben wir schon einmal gehört. Sie schrumpften auf zwölf zusammen.“ In der druckfertigen Schulbuchfassung formuliert Strauß sie so: „Unter einer verantwortungslosen Führung ist ihnen (den Deutschen) im vorgeblichen Gemeinschaftsinteresse das Letzte abverlangt worden. Dabei stellte sich am Ende (!) heraus, daß die von der Mehrheit aus echtem (!) Solidaritätsempfinden erbrachten Opfer nicht nur nutzlos waren, sondern auch noch für eines der größten Verbrechen m der Geschichte der Menschheit mißbraucht wurden. Als Folge dieser bitteren Erkenntnis hat das nationale Bewußtsein der Deutschen einen schweren, hoffentlich nicht bleibenden Schaden erlitten.“ Was Strauß hier als den Schaden, den Hitler angerichtet hat, bedauert, ist allein der Mißbrauch der Tugenden, die ein demokratischer Politiker der „Mitte und des Maßes“ nicht anders wie der Führer selbst dem arbeitenden Volk abverlangt: sich zu opfern. Betrachtet man das Zitat nicht allein als Geständnis, daß das Verbrechen des Faschismus für Strauß – wie für jede Kriegsopfergedenkrede seit 1945 – nicht Millionen von Toten sind, sondern der Umstand, daß dabei der Staat geopfert worden ist, so daß der „Ertrag und die Ernte (!) von Generationen“, also die Stärke Deutschlands in der Welt „zerstört“ ist. Es steht zugleich für das Programm des Wiederaufbaus, dessen Problem für die Aufbaupolitiker wie Strauß darin bestand, die Quelle eines funktionierenden modernen Staates erneut in Gang zu setzen, nämlich nun unter einer „verantwortungsvollen Führung“ den Leuten das Letzte abzuverlangen, und dessen „beispiellosen Erfolg“ Strauß bei jeder geeigneten Gelegenheit herauszustreichen versteht: „Zunächst galt es, die drängendste materielle Not unserer Mitbürger zu beheben, für Brot, Arbeit und ein Dach über den Kopf zu sorgen.“ Die Attitüde des Politikers Strauß, der sich vor das deutsche Volk stellt und behauptet, er sage stets die „unverfälschte Wahrheit“, ist für den Fall überflüssig, wenn es gilt, als „Oberbefehlshaber der Bundeswehr“ „Geheimnisse des Staates“ zu schützen. Aber wenn Strauß sich über die Grundsätze der „freien Leistungsgesellschaft der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“ ausläßt, die dem „Arbeiter ein großes Maß an Wohlstand, Freiheit, Recht und persönliche Würde“ gebracht habe, dann redet er in klarstmöglicher Offenheit – schon deshalb, um keine Unklarheiten darüber aufkommen zu lassen, daß er zwar Politik für alle „Mitbürger“ macht, die Pflichten der Bürger für den Staat aber sehr unterschiedlich auszufallen haben. Die einen haben das „Recht auf Eigentum“ und dafür die Aufgabe, die Wirtschaft zu führen; die anderen haben zu arbeiten und hierfür die „Freiheit, den Arbeitsplatz“ aufzusuchen: „Für uns ist, zusammenfassend gesagt, Soziale Marktwirtschaft die Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer, die Freiheit des Konsumenten (!) im Verbrauch (!), das Recht auf Eigentum und das Recht auf unternehmerische Investitionsentscheidung.“ Dementsprechend sind auch die Probleme, die Strauß bespricht, wenn er bei den Unternehmern agitieren geht und wenn er sich an das arbeitende Volk wendet, um diesen klarzumachen, was er für es leistet, nicht dieselben. Mit der ersteren Klasse pflegt er zu besprechen, wie sie ihren Reichtum vermehren können, den Arbeitern demonstriert er gern, daß das, was Adolf für sie getan hat, er viel besser kann: „Wir legen Wert darauf, daß auch der Ärmste bei uns ein menschenwürdiges und kulturwertes Leben hat, anständig wohnen kann, seine Familie ernähren kann, ausreichend zu essen hat und von den gehobenen Gütern des Lebens wie z.B. Fernsehen, Küchenmaschinen, Volkswagen oder eine Eigentumswohnung oder ein Einfamilienhaus, auch dieses, sich leisten kann.“ Der von den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten ständig gegen Strauß erhobene Vorwurf, ihm sei der kleine Mann egal und er tue nichts für ihn, trifft also beileibe nicht zu. Dieser erfolgreiche Mann der Politik weiß haargenau, wie es mit dem Arbeiter steht, nämlich keinerlei Aussicht auf ein sorgenfreies Lebens zu haben. Sich den Arbeiter als fleißigen Schaffer am Arbeitsplatz zu erhalten und gleichzeitig dem Arbeiter die Sorge zu nehmen, sich nicht mehr arbeitsfähig zu erhalten – das ist die hohe Kunst des Sozialpolitikers Strauß, die er als Finanzminister Gelegenheit hatte, in die Tat umzusetzen, indem er mit seiner Konzeption der „mittelfristigen Finanzplanung“ die Hoffnung der deutschen Arbeitnehmerschaft auf ein Einfamilienhaus mit der Anregung der Leistungsbereitschaft kombinierte: mit einer Erleichterung der staatlichen Steuerlast sich ein fleißig sparendes deutsches Volk zu schaffen. Daß dieser entschlossene Wille, verantwortliche Politik zu leisten, das Programm eines „Sozialreaktionärs“ sein soll, wie die sozialen Kräfte in unserem Land zetern, dieser absurden Behauptung kann Strauß mit Recht „Diffamierung“ entgegenhalten. Denn wer wollte denn weismachen, daß der oberste Sozialdemokrat Schmidt eine Alternative für das arbeitende Volk bereithält, und wer kann bestreiten, daß es Strauß jüngst in Chile (!) auf unnachahmliche Art gelungen ist, mit der Feststellung „Die Arbeitnehmerfrage ist eine Frage der Befreiung des Arbeiters zum Individuum, zur Person, zum gleichberechtigten Bürger“ das Programm der deutschen Gewerkschaft auf den Begriff zu bringen.
„Die Welt ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht friedlicher geworden.“ Den CSU-Vorsitzenden Strauß kennt das deutsche Volk jedoch nicht so sehr als Fachmann für die Endlösung der Arbeitnehmerfrage nach Hitler (das war der unvergessene Erhard). Das hat seinen Grund darin, daß Strauß, kaum war der Krieg zu Ende und sich das Volk von den Politikern christliche Sprüche der folgenden Art anhören mußten – „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen.“ –
Diese Angriffe kann Strauß leicht als Heuchelei abtun, solange es die private Außenpolitik von Brandt an der Spitze der „Sozialistischen Internationale“ gibt, und zweitens ist es albern zu bestreiten, daß Verantwortung für Deutschland tragen eben auch heißt, sich darum zu kümmern, daß Deutschland in der Welt etwas zu sagen hat und nicht untergeht. Daß es das elementare Interesse des Volkes ist, dafür zu sorgen, sich in die Angelegenheiten anderer Leute, d.h. Nationen einmischen, um eigenem Schaden vorzubeugen, dafür hat es einen Politiker wie Strauß, der sich von Beginn seines Wirkens an mit der Beschäftigung der Probleme des Imperialismus heute eine weithin reichende Anerkennung verschafft hat und der dabei dem Volk nie verheimlicht hat, daß, weil „die Bundesrepublik im starken Maße von ihrer Umwelt abhängt und schon aus diesem Grunde kein esoterisches, das heißt nach innen gerichtetes (!) Leben führen kann“, Unheil vom Volk zwar unbedingt abgewendet werden muß, dies aber nicht gerade einfach ist. Denn Strauß hat stets mit „allen seinen Kräften“ dafür gewirkt, „daß Unheil von unseren Bürgern gewendet und der Bestand unseres freiheitlichen Staates nicht verschleudert wird, zugleich aber doch (!) durch eine vernünftige Politik die weltpolitischen Möglichkeiten der Zukunft im Sinne einer Humanisierung auch der kommunistischen Systeme durch eine überlegte (!) und langfristige Taktik und Strategie unsererseits genutzt werden.“ Nach Osten hin ist die Lage für die Deutschen seit 1945 nicht besser geworden, weil sich die Russen beharrlich weigern, die durch „Hitlers Schuld“, vor allem aber durch die Unentschlossenheit der westlichen Alliierten verlorengegangenen Ostdeutschen herauszurücken: „Da die Kampfansage des Ostens an den Westen nicht aufgehoben ist und eine gemeinsame ethische Basis zwischen beiden Lagern kaum existiert, wird der Kampf – trotz gelegentlicher Phasen der Entspannung – weitergehen. Durch kleine Schießkriege sind aber kaum nennenswerte Änderungen der Lage denkbar.“
„Die Bevölkerungszahl der westeuropäischen Nationen ist anderthalbmal so groß wie der Vereinigten Staaten. Europas industrielle Kapazität ist heute schon gewaltig und kann durch wirtschaftliche Integration durch Rationalisierung und Konzentration noch beträchtlich gesteigert werden ... Europa braucht nur seine materiellen und geistigen Mittel zusammenzufassen, um neben Amerika als gleichrangiger Partner zu bestehen. Das freie Europa verfügt über 2 Millionen Soldaten sowie in England und Frankreich über nukleares Potential ...“
So bleibt als Einsicht aus dem politischen Werk des Franz Josef Strauß übrig, daß man dessen weltpolitische Analyse in einem Sinn zustimmen muß: Frieden wird es so schnell nicht geben. Weshalb von Franz Josef Strauß auch in seiner vorübergehenden Position als Ministerpräsident des Freistaates Bayern noch allerhand Kriegerisches für die Erhaltung des inneren Frieden der Bundesrepublik zu erwarten ist. Für diesen Frieden ist er nämlich. Und dabei ist er Realpolitiker genug, um zu wissen, daß Friedensgefährdendes nicht von Politikern ausgeht, deren Partei er im Wahlkampf mit der Drohung „Freiheit oder Sozialismus“ Stimmen abjagt.
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Es existiert ein klassenneutrales Urteil über das, was vom Politiker Franz Josef Strauß zu halten und zu erwarten ist, und dieses Urteil heißt: Nichts Gutes. Da es klassenspezifisch verwendet wird, kann nur ein Durchgang durch die verschiedenen Klassen und Stände unserer Republik zeigen, was und für wen es etwas wert ist. Die werktätige Bevölkerung, um mit ihr anzufangen, hat den dialektischsten Gebrauch im Umlauf: daß von Strauß nichts Gutes zu erwarten ist, ist für den Arbeiter umstandslos das Gegenteil: etwas Gutes. Des Rätsels Lösung: Wenn ein Mensch gegen seinen Nachbarn gewalttätig vorgeht, so wird sich der Nachbar vorsehen und zu schützen wissen. Die Tatsache, daß der Strauß ein Mensch ist, der stets seine Entschlossenheit bekundet, in der Verfolgung seiner Zwecke auf andere keine Rücksicht zu nehmen, falls dies notwendig sein sollte, ist dagegen zu begrüßen, weil es sich bei Strauß eben um keinen Menschen wie Du und Ich handelt, sondern um einen Staatsmann, der fest für Recht und Ordnung ist und die Störenfriede raushaut. Der Glaube, man könne von jemand Schutz bekommen, der sich rücksichtslos aufführt, ist und bleibt aber eine Fehlkalkulation, die sich deswegen so zäh am Leben erhält, weil die Arbeiter falsche Theorien über die vermeintlichen und ihre wahren Störenfriede aufstellen. Grenzen werden Strauß vom westdeutschen Proletariat nach wie vor nur von den niedersächsischen Landwirten gesetzt; die meinen zwar auch, daß er recht hat, meinen aber zugleich, daß er lieber in Bayern bleiben soll, weil er eine andere Mentalität hat. Kommen wir zu den Politikern, so steht für sie, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit, fest, daß Strauß in seiner nunmehr 33jährigen Tätigkeit „an verantwortlicher Stelle“ unter Beweis gestellt hat, „für alles fähig zu sein“. Dieser Beweis ist für den Staat insgesamt gut und nicht schlecht, was sich auf folgende Weise darstellt: Für die Firma von Strauß, die CSU, ist er der Mann, der Deutschland vor der sozialistischen Mißwirtschaft und dem Ausverkauf an Moskau retten kann, und zwar dadurch, daß er dem innerstaatlichen Gegner und dem ausländischen Feind gleichermaßen entschlossen nichts Gutes verspricht: den Sozialisten die „harten“ Oppositionsbänke (was im übrigen schneller ginge, wenn nicht die CDU so ein „wankelmütiger Haufen“ wäre und ideologisch nicht mit Sozialstaatsillusionen durchsetzt wäre) und Moskau die Aufrollung seines europäischen Vorfeldes. Die Sozialisten unter Brandt, Wehner und Schmidt ihrerseits revanchieren sich, indem sie Strauß als einen „gefährlichen“ Politiker beschimpfen, der seit Bestehen der Bundesrepublik den „inneren Frieden“ bedroht, weil er von seinen „Putschplänen“ nicht lassen will. Daß „Herr Strauß nicht Bundeskanzler werden darf“ (Schmidt), weil sonst der Demokratie nichts Gutes angetan werde – das ist übrigens der Punkt, wo sich die Gewerkschaften wieder ganz mit den Sozialdemokraten einig sind –, ist freilich eine reine Heuchelei, die für Wahlen berechnet ist, um mit der „Angst vor Strauß“ Stimmen zu kriegen, und sonst nichts. Ansonsten teilt man nämlich mit Strauß fein brüderlich die Macht, insbesondere dann, wenn es die „allgemeine Lage“ erfordert, wie zu Zeiten der „Großen Koalition“, um z.B. die „Notstandsgesetze“ durchzusetzen. Einem Breschnew, der sich bei Brandt und Schmidt persönlich über den „Antisowjetismus“ von Strauß beklagt hat, stellt man klar, daß sich die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik von niemand „auseinanderdividieren lassen“, und schließlich hat der Bundeskanzler sehr bedauert, daß nach dem „Rückzug“ von Strauß der Bundestag um soviel ärmer geworden sei. Dann gibt es eine Sorte von Leuten im Staate, die mit ihrem Wissen, daß der Name Franz Josef nichts Gutes bedeutet, sehr Seltsames anstellen: sie distanzieren sich von dem bayerischen Politiker. Erkundigt man sich nach der sozialen Stellung von Leuten, die sich so etwas leisten können, so stößt man schnell auf die Studenten, Dichter, Filmemacher, Wissenschaftler etc., und zwar ausgerechnet auf solche, die sich auf ihr politisches Bewußtsein als kritischer Staatsbürger einiges einbilden. Warum diese Intellektuellen nicht zu der Erkenntnis kommen wollen, daß sie sich eine Distanzierung von Strauß eben nicht leisten können, weil die Wissenschafts- und Kultursphäre in der Demokratie kein Freiraum ist, hat man bald heraus: sie lesen den SPIEGEL. Dort finden sie lauter falsche Urteile über das, was an Strauß nicht gut sein soll, Wochenklatsch für Wochenklatsch aufbereitet, die ihrem sozialen Selbstverständnis natürlich arg entgegenkommen: Strauß sei ein geistloser“ Bayer, ein schlimmer „Kulturfeind“, und das stärkste: ein Politiker, dem es nur auf die Macht ankommt. Als ob es einen Politiker gäbe, dem es auf etwas anderes ankäme einschließlich dem Nachwuchs aus der kritischen Staatsbürgerschaft! Was den SPIEGEL anbelangt, so ging es ihm in seinem „Kampf“ gegen Strauß stets nur um den Streit, was unter nationaler Verantwortlichkeit der freien Presse verstanden werden müsse, und um den Beweis, daß der Mensch Strauß dem Politiker Strauß im Wege steht (der Trick jedes Strauß-Artikels im SPIEGEL). Diesen Beweis hat Strauß schon immer praktisch widerlegen können, indem er noch bei jeder seiner Affären nachweisen konnte, daß er auch rein menschlich stets die Sache der Nation im Sinn gehabt hat, gerade bei dem, was in eigene Taschen flöß. – Flöge sonst der Airbus in den USA? Den Linken im Lande ist das, was Strauß sagt und macht, Anlaß einer politischen Kritik, und dies haben sie schon deshalb bitter nötig, weil sie von dem Programmpunkt des CSU-Vorsitzenden wissen, den Kommunismus noch in seiner Generation erledigt zu sehen, Sie wissen, daß der demokratische Antifaschismus von Strauß sich in puren Antikommunismus auflöst und nennen aus diesem Grund Strauß einen Faschisten. Dieser Feststellung lassen sie jedoch die rückfällige Erklärung folgen, Strauß könnte seinen Zweck, den demokratischen Rechtsstaat in eine faschistische Diktatur zu verwandeln, noch nicht realisieren, weil die demokratischen Gegenkräfte der Republik noch stark genug wären, weshalb die Linken immer dann, wenn Strauß eine „Geheimrede“ über strategische Fragen seiner Bewegung gehalten hat, ihre „Anti-Strauß-Komitees“ forcieren, um sich in die gemeinsame Kampffront der Demokraten gegen das isolierte Häufchen der Reaktionäre im Staate einzureihen. Eine derartige Einschätzung ist aber nicht richtig, bereits aufgrund der einfachen Überlegung, daß ein Faschist, der den Umsturz plant, sich durch gegebene Kräfteverhältnisse nicht irritieren läßt, wenn sie ihm nur eine Chance lassen (und die hätte Strauß ja wohl mehr als genug!). Vor allem aber sind es die Faschisten hierzulande, die abseits in der Ecke stehen, die es besser wissen. Es ist nicht zuletzt ein Verdienst von Strauß, daß es mit der NPD momentan nicht vorwärtsgehen will, weil Typen wie er es bislang geschafft haben, die faschistischen Sehnsüchte im Volk zu befriedigen; in und für die Demokratie. Da sind die Strauß’schen Auftritte in Chile, Afrika und China für einen hiesigen Nazi eben kein Trost, sondern Frust! Fazit: Insbesondere den Linken muß empfohlen werden, den Strauß’schen Ratschlag zu beherzigen, den dieser wiederholt gemacht hat: Man solle doch nicht immer „Kaffeesatz“ bei ihm lesen. Dabei fällt einem noch ein: eine wichtige Klasse, die wir bei unserem kurzen Durchgang durch den Staat nicht berührt haben, hat diesen Fehler noch nie begangen. Strauß und seine Kritiker, das ist ein Kapitel bundesdeutscher Staatsillusion. Daß nur von einem Politiker das Urteil gilt, nichts Gutes zu bedeuten, hat nichts Gutes zu bedeuten.
aus: MSZ 26 – Dezember 1978 |