Portugal:

Es herrscht Ruhe im Land


Portugal – nach dem Sturz des Faschismus durch einen Militärputsch volksfreundlicher Hauptleute für nahezu zwei Jahre besorgniserregender Gegenstand des am Wohlergehen des westeuropäischen Kapitals und dessen politischer und militärischer Absicherung interessierten Journalismus – macht keine Schlagzeile mehr: der politische Alltag in einem Land wie Portugal ist mit der demokratischen Regierungsübernahme der Sozialdemokraten des Mario Soares im Juli 1976 eingekehrt. Die politisierenden Offiziere der Bewegung der Streitkräfte (MFA) sind in die Kasernen zurückgekehrt oder beobachten die Ergebnisse unter Hausarrest wie der linke Otelo de Carvalho. Wenn sich also für die Sprachrohre des Imperialismus in den Redaktionen und für seine Staatsmänner in den westlichen Hauptstädten die portugiesischen Verhältnisse „normalisiert“ haben, dann kann dies nur eines bedeuten: den Bewohnern des „europäischen Armenhauses“ geht es wieder einmal normal dreckig.


Die Hinterlassenschaft des MFA

Daß die „portugiesische Revolution“ keine war, zeigt neuerdings ein Staatsmann wie Willy Brandt, der angesichts der Zustände in Portugal voll des Lobes ist über die portugiesische Revolution. Nicht das Volk, das unter Soares kaum besser lebt als in den Tagen Caetanos, hat schließlich den Faschismus gestürzt, sondern das Militär, das sich zur Aktion genötigt sah, weil der portugiesische Staat in Gefahr geraten war, durch den langandauernden Krieg in Afrika und die daraus resultierende Zerrüttung der Ökonomie - im Mutterland zu zerbrechen. Um einen ordentlichen Staat zu machen, der den Terror des Faschismus gegen das Volk durch die aktive Zustimmung der Bürger zu den Maßnahmen der Staatsgewalt ersetzen sollte, verordneten die Militärs den Portugiesen die Demokratie. Das daraus resultierende Chaos war die Folge der Interessen, die unter den Bedingungen der MFA-Regierung nicht nur artikuliert werden durften, sondern deren Durchsetzung in wilden Klassenkämpfen auch versucht wurde. Die Bewegung der Streitkräfte, angetreten den Staat zu retten, sah ihn nun erst recht gefährdet. Der Antifaschismus der Putschoffiziere verbot ihnen die Rückkehr zur faschistischen Beendigung des Klassenkampfs, sodaß das Angebot der PS des Mario Soares, die Portugiesen mit der Perspektive EG zum freiwilligen Verzicht auf die Vorteile zu bringen, die sie sich vom Sturz des Caetano-Regimes versprochen hatten, den Abtritt des MFA von der Macht bewirkte. So bringt die gewaltsame „Erziehung“ der portugiesischen Massen zu Staatsbürgern zur Anschauung, was der demokratische Staat immer ist, die Selbstunterwerfung seiner Bürger unter die Staatsgewalt, die das Wohl der Nation gegen diejenigen Bürger durchsetzt, die davon nichts haben, aber es erarbeiten müssen; ferner, was Demokratie in einem Lande wie Portugal bedeutet, dessen Bürger vom Staat nicht einmal den Nutzen kriegen, der in den Metropolen für die Proleten abfallen muß, damit sie fürs entwickelte Kapital brauchbar bleiben. Dabei müssen Mittel angewandt werden, die denen des Faschismus nur eines voraus haben, daß sie von einer demokratisch legitimierten Regierung eingesetzt werden. In einem Land wie Portugal

– das kaum eigene Industrie hat, die zudem mit extrem geringer Produktivität arbeitet,
– wovon die Kehrseite ist, daß über 1/3 der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist,
– das deshalb nahezu alle Rohmaterialien, die Ausrüstungen für Industrieanlagen, sowie die Hälfte seiner Nahrungsmittel einführen muß und diesen Import nur zu 42% durch Export von Textilien und Agrarprodukten, die international auf stark begrenzte Nachfrage stoßen, decken kann,
– weshalb es mit 8 Mrd. DM beim Imperialismus verschuldet ist und jährlich in Milliardenhöhe Handels- und Zahlungsbilanzdefizite mit steigender Tendenz erwirtschaftet.

Einem Land wie Portugal also, das auf Gedeih und Verderb dem Imperialismus ausgeliefert ist und ihm nichts zu bieten hat außer der Arbeitskraft seiner arbeitenden Bürger, versprach Soares keineswegs die Herauslösung aus seiner Abhängigkeit vom Imperialismus („Wir stehen fest zum westlichen Bündnis!“), sondern eine für Portugal vorteilhaftere Integration ins imperialistische System: die Mitgliedschaft in der Interessensgemeinschaft des westeuropäischen Kapitals. Wollte Mario Soares das Versprechen, mit dem er die Wahlen gewonnen hatte, ein geordnetes Portugal in die EG einzubringen, wahrmachen, so stellten die Proleten in den Städten und auf dem Lande, die mit den Segnungen der EG geködert worden waren, für einen portugiesischen Wunsch nach EG-Mitgliedschaft zugleich ein Hindernis dar: Ihre durch den MFA geweckten Ansprüche standen einer optimalen Ausbeutbarkeit im Interesse des Kapitals entgegen. Die Aufgabe, den Werktätigen die Notwendigkeiten der EG und zugleich der EG die portugiesische Arbeitskraft schmackhaft zu machen, erfordert eine Politik, die es versteht, den Opfern der Ausbeutung diese als notwendiges Übel auf dem Weg zu Sonne und Freiheit, auf dem es solidarisch zusammenzuhalten gelte und den eigenen Nutzen hintanzustellen, demokratisch aufzuzwingen: den demokratischen Sozialismus.


Sozialdemokratie in einem Land wie Portugal

Im Rahmen seiner „behutsamen Transformation Portugals in Richtung demokratischer Sozialismus“, die „nicht das Spiel (!) der Interessen mitmachen will, die sich gegen die Arbeiter richten“ (PS-Parteitag, November 1976), verfügte Soares gemäß seinem Sanierungsprinzip – „Wir (?) müssen mehr produzieren, weniger konsumieren und mehr arbeiten“ (Soares) – seit seinem Amtsantritt:

Für den Rest des Jahres 1976 einen Lohnstop und für 1977 ein Verbot von Lohnerhöhungen über 15 %, während die jährliche Inflationsrate mehr als doppelt so hoch und bei Lebensmittel zum Teil um das Fünffache höher ist. Komplementär dazu baute die Regierung dem Kapital, hier vor allem dem ausländischen, goldene Brücken, damit es auch kräftig von der so verbilligten Arbeitskraft Gebrauch macht. Um das „ Vertrauen in die portugiesische Volkswirtschaft“ als sicherer Anlagesphäre wiederherzustellen, ergingen folgende Maßnahmen:

– Liberalisierung des Investitionsgesetzes für Ausländer
– Abwertung des Escudo um 15 % (dies bedeutet nicht zuletzt eine weitere erhebliche Verbilligung der portugiesischen Arbeitskraft für das ausländische Kapital)
– Steuerbegünstigungen für Investitionen
– Rückgabe enteigneter Betriebe und Ländereien, bzw. Zahlung von Entschädigungen
– Abschaffung der Arbeiterselbstverwaltung

Neben die Appelle an die „wirtschaftliche Vernunft“ der Arbeiter – die hierzulande in der Regel ausreichen – traten in Portugal antigewerkschaftliche Dekrete, um zu verhindern, daß der Hunger das Volk zu unsolidarischem Verhalten treibt: die meisten vom MFA erlassenen Vergünstigungen, wie Mindestlöhne und voller Lohnausgleich bei Arbeitsausfall durch Streik, die Erschwerung von Entlassungen, wurden zurückgenommen. Rigorose Streichung von „Staatsleistungen“, Steuer- und Abgabeerhöhung (unterm Titel der „Kaufkraftabschöpfung“), Zwang zum Kauf von Staatsanleihen, sowie ein Heer von 20 % Arbeitslosen, sind die Peitsche, die garantiert, daß die portugiesischen Arbeiter sich nicht nur mit den unters Existenzminimum gedrückten Lohnhöhen abfinden, sondern auch die gesteigerte Produktivität (sprich: Arbeitshetze) erdulden. Auf Grundlage der totalen Abhängigkeit Portugals vom Imperialismus besteht also die Konsolidierung des Staates in der Rücksichtslosigkeit gegen die nationale Ökonomie durch Zurichtung als Billiglohnland fürs ausländische Kapital und ist damit identisch mit der von Soares bezweckten „Reife des Landes für die EG“, keineswegs allerdings mit der Schaffung von Voraussetzungen für eine Vollmitgliedschaft. Portugal bleibt nämlich auf diese Weise „eine arme Region“, die auf Zuschüsse der EG angewiesen wäre: die durch das niedrige Lohnniveau erzielten Erlöse fließen nahezu vollständig den jeweiligen Muttergesellschaften zu, was den Bankrott des Staates – der seine einzige relevante Einnahmequelle in der Besteuerung der Hungerlöhne hat – ebenso verewigt wie die aussichtslose Position des nationalen Kapitals innerhalb der Konkurrenz auf dem europäischen Markt, das seinen Profit nur durch die Unterbezahlung der Arbeitskraft erzielt, womit das Elend der Arbeiter und Bauern die Bedingung seines Florierens bleibt.


Auf dem Weg in die EG?

Kein Wunder, daß Mario Soares’ „unzweideutige Option für Europa“ (Genscher) ihn zum ständigen Antichambrierer bei den westeuropäischen Regierungschefs macht. Zwar kehrt er regelmäßig mit Milliardenkrediten zurück – dies die Anerkennung für seine marktwirtschaftlichen Verdienste – aber statt einer verbindlichen Zusage auf eine EG-Vollmitgliedschaft erhält er Anweisungen, wie er seinen eigenen Staat weiter auf dem Wege nach Europa zuzurichten hat. Warum auch: schließlich sind die „wirtschaftlichen Gegenargumente von enormem Gewicht und erdrückender Zahl“ (Die Zeit, vom 10.3.1977), was nichts anderes heißt, als daß die Ausgleichszahlungen aus EG-Fonds, auf die ein Mitglied Portugal, das zur Gänze unter die Bestimmungen für „wirtschaftliche Notstandsgebiete“ fiele, Anspruch erheben könnte, wesentlich höher wären als die Gewinne, die das EG-Kapital jetzt aus dem Nichtmitglied Portugal herausschlägt. Da zieht auch die Drohung nicht, mit der Soares die Mitgliedschaft erzwingen will, in Portugal drohe immer noch die Gefahr einer „kommunistischen Diktatur“ oder diejenige eines „Rechtsputsches“. Den herrschenden Klassen seines Landes hat er jeden Grund genommen, dem Faschismus nachzutrauern, und daß er bei den EG-Staaten überhaupt Anerkennung als Bündnispartner findet, verdankt er gerade dem Umstand, daß er sich zuhause gegen die Linken durchgesetzt hat. Selbst mit dem Buhmann aus den Tagen der MFA-Herrschaft, Alvaro Cunhal und seiner KP, läßt sich keine Angst mehr erzeugen: nichts mehr ist übrig geblieben von den starken Sprüchen, den Vorteil des Volkes auch gegen die demokratischen Gepflogenheiten durchzusetzen. Cunhal legt Wert darauf, ein gutes Verhältnis zu den Eurokommunisten zu demonstrieren und seine einzige Kritik an Soares besteht in dem saudummen Vorwurf, die Minderheitsregierung und ihre Maßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft gefährdeten die junge portugiesische Demokratie. Und wo die sozialistische Minderheitsregierung in allen ihren Maßnahmen demonstriert, daß ihre Sanierung der nationalen Ökonomie über die Knochen der Proleten geht, kritisiert Cunhal die Liquidierung der letzten proletarischen Positionen aus den ersten Monaten nach dem Putsch ausgerechnet mit dem Argument „die Rückgabe von Land und Fabriken an ihre früheren Besitzer müsse unterbleiben, bevor der nationalen Wirtschaft ernsthafter Schaden zugefügt werde.“ Der Erfolg von Soares ist der Sieg der Demokratie in Portugal und er garantiert dem Imperialismus das Geschäft und die Sicherung der NATO- Südwestflanke. Soares, solange er sich mit Krediten und öffentlichem Lob halten kann, wird mit seiner „Option auf Europa“ leben müssen, genauso wie z.B. die Türkei, die bereits seit 1962 den Beitritt beantragt hat.


Politische Konsolidierung

Weil auch die Portugiesen nach wie vor sich von Soares den Wohlstand durch einen Beitritt zur EG versprechen lassen (mit diesem Verweis auf den Nutzen in der Zukunft, der den Schaden in der Gegenwart kompensieren soll, erweist sich Soares wiederum als „großer Sozialdemokrat“, der die Brücke zwischen den sozialistischen Idealen und der Realität des Hungers zu schlagen versteht, braucht der PS um den Erhalt ihrer Macht nicht bange sein. Gefahrlos konnte Soares seinen linken Landwirtschaftsminister feuern, als dieser sich der Rückkehr der Großgrundbesitzer widersetzte und den Abfall etlicher Parlamentsmitglieder seiner Fraktion in Kauf nehmen: die fehlenden Stimmen zur Mehrheit stellt der rechte CDS zur Verfügung und die KP unterstützt ihn durch Enthaltung, weil sie ihrerseits an einer ,,Option auf ein Volksfrontbündnis mit der PS“ festhält. Und die „revolutionären“ Linken, denen noch vor einem Jahr die Begeisterung des europäischen Revisionismus galt, sitzen entweder im Gefängnis oder sind in ihrer Bedeutung auf das hierzulande gewohnte Maß reduziert: mit dem Werden der einst so spontanen Massen zu Staatsbürgern sind die Volksfreunde von ehedem zu Volksfeinden geworden, die aber unbeirrt an ihrer Liebe zum Volk, das sie um keinen Preis kritisieren d.h. agitieren wollen, festhalten und damit selbst für ihre Isolierung von den Massen sorgen.

Die westdeutschen Revis(1) fahren nicht mehr nach Portugal, sondern nach Spanien, haben ihre revolutionäre Begeisterung auf Rhodesien und die Sahara umorientiert und geben damit ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Klassenkämpfen in Portugal ebenso zu erkennen wie ihren Zynismus, mit dem sie einmal die Portugiesen und ein andermal die Neger zum Gegenstand ihres Reviideals machen. Dafür ist Portugal für die Sozialdemokraten zum Modell geworden, an dem sich demonstrieren läßt, daß der demokratische Sozialismus für ein Land wie Portugal das geeignete Mittel ist, sowohl die Revolution zu verhindern, als auch die Modernisierung seiner Wirtschaft gemäß den Bedürfnissen des Imperialismus zu bewerkstelligen. So wurde für sozialdemokratische Staatsmänner, und deren Sprachrohr ist der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale Willy Brandt, die „portugiesische Revolution“ doch noch ein schöner Erfolg, wenngleich auch dieser noch gesichert werden will: es bedarf auch weiterhin der „Solidarität der Demokraten“ mit Portugal, damit auch der letzte Portugiese einsieht, daß die EG-Mitgliedschaft seines Landes für vieles entschädigt, und daß die Sicherung der NATO-Westflanke sein Interesse ist – und wenn er dies nicht einsieht, ist immer noch die NATO da, weswegen Sozialdemokraten in der BRD und Portugal für deren Stärkung auf jeden Fall solidarisch eintreten.

Zur Vorgeschichte der sozialdemokratischen Gesundung Portugals vgl. MSZ Nr. 4/1974„Der Abgesang des lusitanischen Popanz“ und MSZ Nr. 8/1975 „Klassenkampf in Portugal: Die Demokratie von oben“.

 

aus: MSZ 17 – Mai 1977

zurück zur Startseite