Klassenkampf in Portugal: Die Demokratie von oben
Wie das Militär den Klassenkampf freisetzt, um den Staat zu retten Nachfolgende Analyse der portugiesischen Ereignisse war bereits abgeschlossen, als die Anhänger des Copcon-Chefs Carvalho in gewohntem Dilettantismus die konsequente Entwicklung hin zur sozialdemokratischen Machtübernahme aufhalten wollten: das klägliche Scheitern dieser Meuterei bestätigt unsere Schlußfolgerungen. Carvalho hat jeden Einfluß verloren, Rosa Coutinho hat sich „freiwillig“ aus dem „Revolutions“-Rat zurückgezogen, in dem nun – wie man der Presse entnehmen kann – allenfalls noch zwei Vertreter der Linken mitdebattieren. Ministerpräsident Azevedo, dessen „Streik“ Auslöser der jüngsten Ereignisse war, konnte als Sieger dem portugiesischen Volk die große Säuberung verkünden und sich diesmal auch des Beifalls eines Großteils der Bevölkerung in der Hauptstadt gewiß sein, die anscheinend genug hat von weiteren Experimenten. Die PS versammelte am 29. 11. weit über 30 000 Lissaboner, um öffentlich mit der PC und ihrem Sekretär Cunhal abzurechnen und dokumentierte damit, daß dieser Versuch, sie kurz vor dem Sieg noch zu stoppen, ihr endgültig Parlamentswahlen und dadurch die Macht verschaffen wird. Der MFA wendet sich ans Volk nur noch durch die Stimme des Staatspräsidenten Costa Gomes, der allein den Befehl über die „regierungstreuen Truppen“ übernommen hat, und das sind jetzt alle, mit Ausnahme der Paras von Tancos(1), die von den Lissabonern mit Tomaten beworfen werden und nicht mehr mit den roten Nelken des April 1974. So endet die portugiesische Revolution und zeigt noch in ihrer Agonie, daß sie keine war, sondern der Versuch ehrgeiziger Hauptleute, dem Volk die Demokratie von oben beizubringen, um den Staat zu retten. Die den Staat jetzt retten werden, haben bei diesem Unternehmen für die Militärs wieder die ihnen zukommende Verwendung – Einsatz zur Erhaltung von Ruhe und Ordnung. Diese werden sie jetzt ausreichend üben können: in den Kasernen. I. Die Revolution von oben Am 25. April 1974 übernahmen portugiesische Militärs die Staatsmacht „im Namen des Volkes“: fungierten anfangs noch kompromittierte Figuren des Kolonialkriegs als Repräsentanten der neuen Herrscher, so setzte sich der fortschrittliche Flügel des Offizierskorps nach und nach durch und entmachtete schließlich den ersten Präsidenten Spinola, der sich einer Politik widersetzte, die der MFA unter der Parole „Alles für das Volk“ zum Protagonisten eines „Programms für den Sozialismus“ machen wollte. Höhepunkt dieser Entwicklung war der „Politische Aktionsplan“ des MFA vom 21. 6. 1975, in dem zu lesen steht: „1. Die Bewegung der Streitkräfte (MFA) ist die überparteiliche Befreiungsbewegung des portugiesischen Volkes, die als ihr wesentliches Ziel die nationale Unabhängigkeit definiert. Der MFA anerkennt, daß diese nationale Unabhängigkeit über einen internen Entkolonialisationsprozeß verläuft, der nur durch den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft erreicht wird. … 1. 2. Unter einer sozialistischen Gesellschaft als einem zu erreichenden Hauptziel versteht man eine klassenlose Gesellschaft, die geschaffen wird durch die Kollektivierung der Produktionsmittel unter Abschaffung aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und bei der allen Personen gleiche Möglichkeiten für Bildung, Arbeit und Förderung ohne Ansehung der Geburt, des Geschlechts, des religiösen oder ideologischen Bekenntnisses zu gewähren sind.“ (Hervorhebungen v. uns. MSZ) Während Militärs üblicherweise putschen, um das Land vor der „kommunistischen Gefahr“ zu retten und die alte Ordnung wieder herzustellen, kommen in Portugal ausgerechnet die Obristen nach dem Putsch auf die Idee, eine sozialistische Gesellschaft aufbauen zu müssen und diese mit den Idealen der bürgerlichen Gesellschaft, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, schöpferisch zu begründen. Vor dem Putsch: Ein Staat zerfällt Der Grund hierfür liegt in dem, wogegen der Putsch sich richtete: der faschistische Estado Novo des Oliveira Salazar und seines Nachfolgers Caetano, der nach Auffassung des MFA einen „internen Entkolonialisationsprozeß“ notwendig machte: Der Estado Novo selbst bezog die Mittel zur Aufrechterhaltung seiner Funktionen kaum aus der Besteuerung der ohnehin am Existenzminimum dahinvegetierenden Bevölkerung, erst recht nicht durch eine nennenswerte Schmälerung des Profits des großen Kapitals und der Latifundien. Das ausländische Kapital, auf dessen Potenzen man bei der optimalen Aussaugung der Kolonien angewiesen war, wußte es zu schätzen, daß es die Gewinne zur Gänze in die Heimat transferieren konnte; dies sein Preis für die Unterstützung bei der „Erschließung unterentwickelter Gebiete“. Die Finanzierung des Staatsapparates zur Aufrechterhaltung der infrastrukturellen Minimalausstattung des Landes, zum Unterhalt des riesigen Polizei- und Militärapparates, erfolgte größtenteils durch das Abzweigen eines Teils der afrikanischen Beute an den Staat. Der ihm von den Befreiungsbewegungen aufgezwungene Kolonialkrieg schmälerte nicht nur den Geldstrom, der nach Portugal floß, die Mittel des Staates schmolzen vielmehr rapide durch die horrenden Summen, die der Unterhalt der Armee und die Führung des Vernichtungskriegs in den Kolonien forderte. Zugleich mußten sich die Widersprüche im eigenen Land zwischen dem Reichtum der besitzenden Klassen und (Den Proletariern in Stadt und Land verschärfen, zumal den Hungernden die Flucht in die Kolonien, die von der Regierung vorher planmäßig gefördert worden war, immer mehr durch die wachsende Unsicherheit dort versperrt wurde. Der Kolonialkrieg, der den status quo um jeden Preis erhalten sollte, zeitigte das Gegenteil: mit den wachsenden Erfolgen von Frelimo, MPLA und PAIGC standen die Kosten für seine Erhaltung in keinem Verhältnis mehr zum Gewinn. Der portugiesische Staat kämpfte mit dem Bankrott und seiner politischen Cbaotisierung, was weder der Versuch einer Öffnung für ausländische Kapitalinvestitionen im Mutterland noch das immer brutaler und umfassender werdende Vorgehen der Armee in Afrika bzw. des Geheimdienstes PIDE im Inland aufhalten konnten. So war es nicht zufällig, daß die Armee, das Instrument zur Erhaltung und zum Schutz des Staates, die Initiative ergriff, den faschistischen Staat zu zerstören, um den portugiesischen Staat vor dem Ruin zu retten. Daß sich hinter dem idealistischen Antikolonialismus junger Offiziere nur die Sorge um den Staat verbirgt, zeigt das oben zitierte MFA-Programm, welches Entkolonialisierung und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft als Mittel für das Ziel der nationalen Unabhängigkeit fordert. Der Putsch verdankte sich also dem Kalkül, daß der Kolonialkrieg nicht zu gewinnen war, das Verheizen neuer Truppenkontingente nicht das erwünschte Resultat brachte. Es ging um die Rettung des portugiesischen Staates; die erste Putschregierung begriff sich denn auch als „Junta der nationalen Errettung“. Ein solches Rettungswerk war nur gegen den Faschismus möglich und damit gegen die ökonomische Herrschaft des internationalen und portugiesischen Großkapitals, des Großgrundbesitzes und gegen den Terror, der diese Herrschaft aufrecht erhielt. Sie konnte sich nur stützen auf die bisherigen Opfer, das portugiesische Volk in seiner übergroßen Mehrheit. Die Gegnerschaft zum Estado Novo implizierte die Negation der bisherigen ökonomischen Struktur, die nationale Unabhängigkeit war nur möglich gegen das imperialistische Kapital. Die Partizipation des Volkes an Ökonomie und Politik des neuen Staates verlangte die Freiheit und Gleichheit der Bürger, sie mußten Staatsbürger werden. Daß die Gegnerschaft zum Imperialismus schon der Weg zum Sozialismus ist, ist ein Mißverständnis, dem nicht nur die Offiziere des MFA aufgesessen sind (man denke nur an die hysterisch-säuische Kommentierung der portugiesischen Ereignisse in der bürgerlichen Presse, die auf der Gleichung beruht, Schaden für die imperialistischen Staaten = Kommunismus!); und daß die Demokratie die Negation des Faschismus darstellen soll, ist auch ein Gedanke, den der bürgerliche Antifaschismus mit dem Revisionismus in allen seinen Varianten teilt. Das Militär ergreift die Macht: Was will es damit machen? In einer Rede im Juni 1974 „betonte der portugiesische Ministerpräsident Vasco Gonçalves, daß die Versicherungen der früheren Führer über eine wirtschaftliche Stabilität nichts weiter als ein Märchen gewesen seien. In Wirklichkeit habe sich am Vorabend des 25. April 1974 die portugiesische Wirtschaft am Rande des Chaos befunden. So habe die Zahlungsbilanz Ende April dieses Jahres ein Defizit von mehr als. 6 Milliarden Escudos aufgewiesen, die Preise seien um 30 Prozent höher als im März 1973 gewesen und die Kriege in Portugiesisch-Afrika hätten das Land 45 Prozent seines Budgets gekostet... Mit einem neuen Wirtschaftsplan, so erklärte der Ministerpräsident weiter, beabsichtige seine Regierung, Investitionen anzuregen (!) und die Industrie zu fördern (!).“ (Portugal-Report der port. Botschaft in der BRD, Nr. 6/1974). Im Gegensatz zu Caetano beabsichtigte der MFA – nach dem gescheiterten Putschversuch Spinolas am 11. 3. 1975 als staatliche Führungsinstitution eingerichtet – die Effizienz des portugiesischen Staats durch ein System herzustellen, das auf der freiwilligen Anstrengung der Bevölkerung gründet. Ist der bisherige Weg der Erhaltung des Staates durch den Zufluß aus Übersee nicht mehr gangbar – daher der Putsch – so muß der nationale Reichtum jetzt von den Bürgern selbst geschaffen werden, damit der Staat ihn aus ihren Steuern ansammeln kann. Dazu muß aber erst einmal eine nationale, funktionierende Volkswirtschaft errichtet werden: „Investitionen anregen“, „unternehmerische Initiative fördern“ ist also das Gebot der Stunde. Dies allein nützt aber nichts, wenn das Volk nicht arbeitet, mehr als früher und effektiver ohne wesentlich höheren Preis für die Arbeitskraft, denn wie könnte sonst akkumuliert werden? Da die gewaltsame Auspressung der Arbeitskraft sich als wenig nützlich für den Staat erwiesen hatte, sollen die Leute jetzt freiwillig schuften, um ihren Nutzen zu realisieren. Der MFA erstrebt also die Transformation vom unterdrückten ausgebeuteten Subjekt des Faschismus zum demokratischen Staatsbürger, der sich freiwillig ausbeuten läßt, ohne daß dafür die wirtschaftlichen Voraussetzungen vorhanden wären. So praktiziert der MFA eine contradictio in adjecto: die Durchsetzung der Demokratie von oben. Auch das Ziel nationaler Unabhängigkeit durch die sozialistische Demokratie erweist sich als illusionärer Wunsch nach einem eigenständigen, unbeschränkten Wirtschaftswachstum. Als Motor dieses wirtschaftlichen Aufbaus bieten sich einerseits die nicht an der faschistischen Ausbeutung unmittelbar partizipiert habenden kleinen und mittleren Kapitale an, die jetzt „gefördert“ werden, die verstaatlichten Monopole, sowie neue ausländische Investitionen, die vom Staat dahingehend gesteuert werden sollen, daß das von ihnen geschaffene Mehrprodukt den Interessen Portugals dient.
II. Die Praxis des MFA Um die Lage der Arbeiterklasse zu normalisieren, ihr das für ein dauerhaftes Funktionieren der Arbeitskraft notwendige Existenzminimum zu sichern, erläßt die Regierung bereits kurz nach der „Revolution vom 25. April“ folgende Verordnung: – Erhöhung des Mindestlohns (inzwischen ca. 400 DM mtl.), Verkürzung der Arbeitsund Erhöhung der X XX XX X XXUrlaubszeiten Beides sind Maßnahmen, die die alten Bedingungen, Profite zu machen, drastisch einschränken und daher als Weg zu einer „gerechteren und ausgewogeneren Gesellschaft“ ausgegeben werden. Die Reaktion der Kapitalisten: alle versuchen, die Verordnung zu unterlaufen. In einigen Fällen wird als letzte Konsequenz einfach Bankrott gemacht – bei möglichst großem Gewinn für den Kapitalisten, versteht sich, der damit sein Schweizeroder sonstwo-Bankkonto weiter erhöht. (Anfänglich wurde sogar das Firmeninventar mitgenommen. Diesem Treiben setzte der MFA mit seiner Ausreiseverordnung zumindest offiziell ein Ende – DM 93 Devisen darf man über die Grenze mitnehmen). Für die großen Konzerne ist diese Lösung jedoch eine ökonomische Unmöglichkeit, die Investitionen sind zu wertvoll. Ihre Reaktion ist: Stop aller laufenden Investitionsprojekte und Unterlaufen des Mindestlohns, Versuche Entlassungen klammheimlich vorzunehmen, usw. Ein Konzern wie ITT z. B. entläßt Arbeiter oder heimst unter Drohung von Entlassungen Kapitalhilfen des portugiesischen Staates ein. Streikrecht ... Hiergegen haben die Arbeiter jetzt jedoch ein Mittel in der Hand: das Streikrecht (am 27. August 1974 als Gesetz erlassen). Nach mehr als 40 Jahren ist den Arbeitern wieder die legale Möglichkeit gegeben, durch Verweigerung ihrer Arbeit Forderungen durchzusetzen. „Streiks müssen sieben Tage im voraus angekündigt werden. Einer Arbeitsniederlegung müssen mindestens 30tägige Schlichtungsgespräche vorausgehen. Mit siebentägiger Vorankündigung können Betriebsleitungen auch Aussperrungen verfügen, falls Streikvorschriften nicht eingehalten, Werksanlagen besetzt oder Maschinen und Material vorsätzlich zerstört werden. Die Regierung behält sich das Recht auf Notstandsmaßnahmen vor. ... und die Folgen Das Ganze hört sich völlig „normal“ an – es könnte aus unserem Bundesanzeiger abgeschrieben sein –, ist es aber nicht unter portugiesischen Verhältnissen. Statt durchgesetzter Konkurrenz, gibt es eine Handvoll Monopole und konkurrenzunfähige Kleinindustrie, denen ein Heer von Tagelöhnern und Arbeitslosen gegenübersteht, was jeden Arbeitskampf mehr oder weniger unwirksam macht. „Die Lohnerhöhungen und Sonderleistungen seit dem 25. 4. übersteigen 100 Prozent (obwohl schon vorher über Tarif bezahlt wurde) und sind damit an der oberen Grenze des Vertretbaren angelangt.“ (Der Tageslohn eines port. Arbeiters beträgt heute max. 20,– MSZ) Welche Profite dieses Unternehmen vorher auf Kosten des portugiesischen Proletariats abgesahnt hat, ist leicht zu erschließen. Daß die „obere Grenze“ inzwischen überschritten ist, steht ebenfalls lakonisch im „Handelsblatt“: „Es lohnt sich nicht mehr. (17. 3. 1975) Folge: Das Kapital wird so schnell wie ökonomisch möglich ins Ausland transferiert und damit die portugiesische Ökonomie immer weiter an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Die Strategie des Kapitals ist altbekannt und zeigt nur, auf was es ankommt: Profit. „Die plötzliche Veränderung zwischen Kapital und Arbeit, deren gerechter Ausgleich gesucht aber noch nicht gefunden worden ist, haben das Vertrauen auch der wenigen mutigen (I) Investoren untergraben. Die preissteigernde Tendenz der Rohstoffe, das neue Lohnniveau ... all dies wird im gegenwärtigen Portugal dazu führen, einige hundert unrentabler Unternehmen aufzulösen. Es wird eine Zeit dauern, bis einige tausend (!) anderer brauchbarer und notwendiger Betriebe geschaffen worden sind.“ (Portugal Report 1/75) Den Arbeitern, denen vom MFA die Existenzsicherung versprochen wurde, nützen solche frommen Sprüche wenig: sie besetzen die Fabrik, um ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie scheren sich dabei ebensowenig um das Verbot der politischen Streiks wie um sonstige gesetzliche Regelungen, noch lassen sie sich von der an der PCP orientierten Intersindical aufhalten, deren Einheitsappelle auf die freiwillige Einschränkung zugunsten des Staatsinteresses hinauslaufen, statt für den organisierten, Klassenkampf zu agitieren. Verstaatlichungen Auf das sich abzeichnende wirtschaftliche Chaos reagierte der Staat auf seine Weise: Von März bis Juni 1975 wurden die Banken und Versicherungen, die wichtigsten Basissektoren in Industrie und Transport verstaatlicht (14 Elektroenergie-Gesellschaften, 5 Erdölraffinerien und 4 Transportgesellschaften, darunter die Eisenbahn und die zivile Luftfahrtsgesellschaft TAP, 20 Unternehmen in der Tabak-, Zementund Papierindustrie) und die 4 größten Einzelhandelsketten unter staatliche Kontrolle gestellt. „das Geld, das bei den Banken deponiert ist, nicht mehr einer privilegierten Minderheit für betrügerische (1) Spekulationen, sondern den echten (!) Notwendigkeiten des Volkes dienen wird“ (Portugal Report 3/75) Dieses Geld soll als Kredit „den fortschrittlichen Unternehmern und den jetzt staatlichen Firmen zur Verfügung gestellt werden“, was heißt, daß der MFA die Wirtschaft nicht selbst in die Hand nehmen, sondern ihre Effektivierung durch unterstützende Kontrolle betreiben will. Dies wird auch vom 1. Sekretär der PCP offen propagiert: „Es geht darum, die wirtschaftliche und finanzielle Grundlage der Unternehmen herbeizuführen ... eine große Rentabilität (!) zu erreichen.“ (Grundfragen der Entwicklung in Portugal) Und so erlaubt man sich den schönen Widerspruch, daß „die nationalen Hilfsquellen in den Dienst der Verbesserung der Lebensbedingungen der portugiesischen Bevölkerung, insbesondere der am meisten benachteiligten Schichten und im allgemeinen der Arbeiterklasse gestellt“ werden sollen, indem „der freie Wettbewerb durch Sicherung der privaten Unternehmerinitiative gefördert“ werden soll! (aus: Wirtschaftlicher Dreijahresplan) Verhältnis zum ausländischen Kapital Die ganze Operation heißt nicht umsonst „Errichtung einer sozialistischen Demokratie“, ein Staat also, in dem es gerechter zugehen soll, in dem jeder zum Zug kommt. Was dieser Weg praktisch ist, zeigt sich auch an der Frage der nationalen Unabhängigkeit und der Behandlung ausländischer Firmen. Mit geschickter Taktik läßt sich das Anbiedern sicher nicht erklären: „Wir wollen in der Tat einen klaren Weg der nationalen Unabhängigkeit gehen. Gleichzeitig kommen wir den Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, nach.“ (MFA, in: Portugal Report 3/75) Ausländische Firmen werden hofiert, erfordert doch „die Entwicklung unserer Wirtschaft die Öffnung unseres Landes für ausländische Investitionen.“ (ebd.) Gleichzeitig werden die ausländischen Firmen gebeten, auf ihre Interessen zu verzichten und sich aufopfernd in den Dienst des Aufbaus zu stellen: „Wir wünschen jedoch, daß diese ausländischen Investitionen staatlicher oder privater Art wirksam den Notwendigkeiten unseres Landes entsprechen und sich der Form der Gesellschaft anpassen (I), die die Portugiesen zu errichten bestrebt sind“. (Portugal Report 4/75) Seit wann richtet sich die Kapitalverwertung nach anderen Kriterien als den ihren? Die moralischen Appelle werden dazu führen, daß der MFA sich mit dem ausländischen Kapital arrangiert, oder sie führen nur dazu, daß die erhofften Investitionen ausbleiben. ,,a) eine sehr markante Unausgeglichenheit der Zahlungsbilanz . . . Die „große Produktionsschlacht“ solls bringen. Der Weg zum Himmelreich geht durch das Fegefeuer, das müssen die Arbeiter eben einsehen. „In der Tat, wenn die Zerstörung des Kapitalismus die Liquidierung der Ausbeutermacht der mächtigen Monopol-, Latifundienund Finanzbourgoisie erfordert, so verlangt der Aufbau des Sozialismus Arbeit, Opfer, politische Gewissenhaftigkeit der Arbeiterklasse, wobei man auf die künftige Gesellschaft ohne Klassen und ohne Ausbeutung abzielt. Das kann jedoch kurzfristig nicht bedeuten, daß alle Ungerechtigkeiten, geschaffen vom vorherigen Regime, gelöst werden, und daß man plötzlich jedem portugiesischen Arbeiter einen Lohn zahlen (!) kann, der seinen gerechten Erwartungen (!) und realen Notwendigkeiten entspricht.“ (Aktionsplan des MFA) Die Arbeiter sollen also jetzt Opfer bringen; wie die SZ vom 1. 11. 1975 schadenfroh meldete: „In seiner Rede hatte Azevedo erklärt, der politisch-motivierten Gewalttätigkeit müsse ein Ende gesetzt werden. Sie würde dem Land sonst einen „selbstmörderischen Rückfall in den Primitivismus“ bringen. Azevedo geißelte .unmögliche Lohnforderungen, wilde Streiks, nicht genehmigte Besetzungen von Ackerland … Den Arbeitern, die alles nicht so recht einsehen wollen, wurde eine neue Mentalität verordnet: „… daß die Einführung eines wahren (?) Sozialismus notwendigerweise eine Veränderung der Mentalität (!) einschließt . . . daß der überwiegende, fast ausschließlich materiell ausgerichtete Teil der Motivation, charakteristisch für kapitalistische Gesellschaften, sich verwandelt (?) in eine geistige Motivation, die es dem Einzelnen ermöglicht, von einer egoistischen und individualistischen Haltung zu seinen Mitmenschen (!) zu einer altruistischen (!) und kollektivistischen Haltung überzugehen ...“ Solch reaktionäre Blüten treibt der „Sozialismus“ des MFA! Die Arbeiter, die sich das nicht gefallen lassen, werden prompt zu Konterrevolutionären gestempelt, obwohl sie nur ihre Konsequenz aus dem MFA-Spruch „Alles für das Volk!“ ziehen. Sie verlängern den Fehler des MFA, indem sie seinen Verheißungen Glauben schenken, und Verhältnissen, die dies nicht gestatten, den unbegrenzten Vorteil abtrotzen wollen, anstatt den Weg der proletarischen Revolution zu gehen – gegen den MFA und die Parteien. Hauptproblem Landwirtschaft Auch hinsichtlich der Landwirtschaft – dem für das unterentwickelte und wenig industrialisierte Portugal wichtigsten Wirtschaftssektor – läuft die Politik des MFA auf den halbherzigen Versuch hinaus, durch Korrekturen der Eigentumsverhältnisse und durch sie begleitende partielle staatliche Kontrolle zugunsten effektiverer Nutzung des Bodens den nationalen Reichtum zu steigern, ein Versuch, der an dem prinzipiell respektierten Grundeigentum einerseits, an den teils gewalttätig geltendgemachten Interessen der Landbevölkerung an Eigentum und seinem Nutzen andererseits auf selbstgeschaffene Schranken stößt. So bietet sich hier das traurige Bild durch den Militärputsch entfachter Auseinandersettärputsch entfachter Auseinandersetzungen, die der MFA weder anzuleiten noch zu unterdrücken gewillt ist, das Schauspiel von Klassenkämpfen ohne revolutionäres Ziel und entsprechende Führung, die das Militär vorsichtig lavierend zu kanalisieren und in eine neugeregelte, breitgestreute Eigentumsverteilung zu überführen sucht, um aus den Produktionsanstrengungen der Bauern größeren staatlichen Nutzen zu ziehen. Die Resultate dieses Unternehmens, das den Großgrundbesitz partiell beschränkt, ohne eine konsequente Beseitigung der Grundlagen der Agrarnot durchzusetzen, das den Armen • auf dem Land Besserung durch Eigentumsstreuung verspricht, anstatt die Landwirtschaft planmäßig zu kollektivieren, sehen allerdings aufgrund der sozialen Unterschiede im Süden und Norden Portugals verschieden aus. Ein Regierungsdekret ermöglichte die Enteignung von total vernachlässigten Gütern und deren Übernahme durch den Staat; ein weiteres Gesetz sieht die Enteignung unbewässerten Grund und Bodens über 500 ha und bewässerten Bodens über 50 ha vor. Weit davon entfernt, eine Enteignung von Grund und Boden anzustreben, zielen diese Dekrete auf die rationellere Bewirtschaftung des Grundeigentums, indem der Staat bei seiner Vernachlässigung einspringen und gegen allzu ausgedehnten Besitz vorgehen soll. So wundert es denn auch nicht, daß diese staatliche Zurückhaltung sich praktisch im Verzicht auf planmäßige Enteignung und Neuverteilung selbst in den geforderten Fällen niederschlug. Die Landreform der Bauern... Statt dessen nahmen die durch die Militärpropaganda für Landreform und Sozialismus aufgestachelten Landarbeiter das Heft selber in die Hand und begannem ihre Landreform, die mit dem MFA-Programm – so wie sie es verstehen – ernst zu machen versuchte. Ohne sich um die Regierungsdekrete zu kümmern, beisetzten sie die Ländereien, auf denen sie bislang unter der Fuchtel der Pächter geschuftet hatten, friedlich oder gewaltsam, je nachdem, ob Grundbesitzer oder Pächter schon abgehauen waren oder nicht. Ein Bauer berichtet: „Am 17. Februar 1975 haben wir dann die Besetzung des Gutes beschlossen, denn die Leute wollten endlich die Rechte (I), die ihnen hier seit 50 Jahren zustehen. Sie wollten allein das Land wiederhaben. Das Land gehört der Bevölkerung, die es bebaut hat.“ (Portugal auf dem Weg zum Sozialismus, S. 118) Auch die Bauern fordern also nicht die Kollektivierung des Bodens als Voraussetzung der Revolution auf dem Land sondern das Gegenteil: Sie argumentieren mit alteingesessenen Eigentumsmitteln – vor 50 Jahren waren die jetzigen Lohnarbeiter größtenteils selbst noch Pächter – und begründen diese mit der Arbeit, die sie in den Boden gesteckt haben. Und das „Volkstribunal“, das einen Landarbeiter freisprach, der einen Großgrundbesitzer umgebracht hatte und letzteren posthum als „Volksfeind“ verurteilte, ist ein bekanntes Beispiel für den Zusammenhang von Gerechtigkeitswahn und Spontaneismus, der die Aktivitäten im Süden kennzeichnet. ...und die Reaktion des MFA Der MFA reagierte zwiespältig: Teile begrüßten die ungesetzlichen Landbesetzungen – „Die Absichten der Bevölkerung sind gut, wenn auch die Methoden nicht orthodox sind. Aber das ist nach 48 Jahren Faschismus unvermeidlich... und außerdem (!) ist das der Kampf gegen den Kapitalismus.“ (Portugal auf dem Weg . . . S. 121) – und schlugen sich bei der Durchführung ihres Programms der Demokratisierung von oben damit so sehr auf die Seite der spontanen Massen, daß sie sich als lenkende Kraft selbst aufgaben. Andererseits versuchte die MFA-Agrarreformbehörde, die Aktivitäten der Landarbeiter in geordnete Bahnen zu lenken und eine feste Eigentumsordnung abzusichern, indem sie des langen und breiten die juristischen Probleme behandelte, die sich aus der „unorthodoxen“ Landnahme ergeben. So berichtet besagter Bauer weiter: „Einmal waren Leute von der Agrarreformbehörde da: die prüfen jetzt, auf welcher Basis das Land den Bewohnern überlassen werden soll.“ (ebenda, S. 118) Wenn der MFA in die Entwicklung auf dem Lande eingreift, die er selbst hat in Gang kommen lassen, dann also nur, um die spontanen Aktivitäten zu kanalisieren, ihren Ergebnissen die juristische Weihe zu verleihen, ihnen die eigentumsfeindliche Spitze zu brechen und die von den Bauern gebildeten Kooperativen, die immerhin noch die Ahnung enthalten, daß kollektive Nutzung des Bodens notwendig ist, mit Krediten zu unterstützen, statt sie zu planen. So schreitet man neuerdings, da der Ruf nach Ordnung in dem selbstgeschaffenen Chaos lauter wird, mehr und mehr gegen Landbesetzungen ein und zeigt damit das wahre Gesicht der MFA-Bemühungen um die Landwirtschaft. Das Streben nach einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Landwirtschaft hat bei den Verhältnissen des portugiesischen Südens die auf eigenes Eigentum und seinen Nutzen ausgerichteten Aktivitäten der Landbevölkerung zur Voraussetzung und konfligiert zugleich beständig mit ihnen. Unter den wenig entwickelten und von den imperialistischen Mächten abhängigen Verhältnissen Portugals wird durch ein solches Programm zudem nicht einmal der in den Industrienationen vorhandene Stand der Landwirtschaft erreicht. Daß es bis jetzt noch nicht zu größeren Unruhen unter der Landbevölkerung gekommen ist, liegt nur daran, daß die Inbesitznahme und Bebauung bisher ungenutzten Großgrundbesitzerbodens immerhin eine Ausweitung der Anbaufläche bedeutet und staatliche Kredithilfen in den meisten Fällen nicht in größerem Umfang notwendig waren, da Saatgut, Düngemittel und Geräte von den kapitalistischen Pächtern übernommen werden konnten. Die reaktionäre Seite der MFA-Politik auf dem Lande
Der MFA und die Öffentlichkeit Daß der MFA mit seinen Versprechungen, seinen „Alles für das Volk“-Parolen die im Faschismus Unterdrückten zur Verfolgung ihrer Wünsche und Interessen auffordert, um einen demokratischen Staat zu schaffen, mit diesen Appellen aber nicht die notwendige freiwillige Beschränkung dieser Interessen erreicht, sondern ihr ungehindertes Austoben, treibt das Militär auch in anderen Fragen in Uneinigkeit und Lavieren. Dabei tut es sich im Bereich der Öffentlichkeit besonders schwer, wo es Pluralismus und ungehinderte Meinungsfreiheit proklamiert, sich selbst der Agitation für die Durchsetzung richtiger Zielsetzungen enthält und den Massen nichts anderes zu sagen weiß, als daß sie sich selbst äußern, durch öffentliche Diskussion aber auch die notwendigen Kompromisse finden sollen. Leider sind die Linken durch aus nicht so bescheiden, die Einschränkung der Öffentlichkeit zu akzeptieren, daß eben nur der etwas zu sagen haben soll, der auch über die Medien verfügt, sondern haben – in schöpferischer Anwendung der MFA-Parolen – Sender und Zeitungen beschlagnahmt, um ihrem spontaneistischen Massenbewußtsein Gehör zu verleihen. Für die Aufklärung der Massen ist dadurch freilich wenig gewonnen – im Gegenteil. Ein „nicht parteiliches marxistisches“ Blatt Die von den Arbeitern mit schließlicher Billigung des MFA in Besitz genommene Zeitung „Republica“ stellt sich programmatisch in den „Dienst der Arbeiterklasse, der Bauern, der Soldaten, der Matrosen und aller Ausgebeuteten“ und definiert sich als ein „nicht-parteiliches(!) marxistisches(?) Blatt, das dazu bestimmt ist, den Klassenkampf in Portugal voranzutreiben.“ (Republica, Sonderausgabe für Deutschland), und was „nicht-parteilicher Marxismus“ ist, verraten die Arbeiter in ihrer Forderung, die Kontrolle des Inhalts müsse darin bestehen, jede bestimmte politische Linie zu unterbinden und statt der Austragung und Beseitigung von Differenzen und Aufklärung der Bevölkerung über die portugiesischen Zustände, die Zeitung auf den Charakter eines streng neutralen Sprachrohrs der spontanen Massenwünsche zu verpflichten. Ein Sender fliegt in die Luft Während der MFA bei der „Republica“ nur versuchte, diese Forderung der Arbeiter zum „reinen Arbeitskonflikt“, zum Kampf um Mitbestimmung umzuinterpretieren, begnügte er sich im Falle des ehemals katholischen, von Arbeitern besetzten Lissaboner Senders „Renascenca“ nicht mit einer solchen Verharmlosung des Konflikts. Zu sehr hatten sich im Militär inzwischen die Gewichte zugunsten derjenigen verschoben, die exemplarische Maßnahmen zur Eindämmung der linken Eigentumsverletzungen forderten, zumal wenn es sich um solch brauchbare Einrichtungen wie einen Sender handelt. Seinem Inhalt nach sollte der linke Sender freilich nichts anderes leisten, als die „Republica“: „Bei gewissen Ereignissen bildet der Sender eine Avantgarde, wie bei dem Interview mit Otelo de Carvalho, der ständigen Verbreitung von Nachrichten und Erklärungen über die „Revolutionären Arbeiter-, Soldatenund Matrosenräte“ und beim Interview mit den Arbeitern von .Republica', als ihnen der Schlüssel zum Verlagsgebäude ausgehändigt wurde. Parallel dazu übertragen die Arbeiter häufig Telefongespräche und Erklärungen, in denen ihnen Unterstützung bekundet wird. Schließlich berichtet Radio Renascenca über Angelegenheiten, die mit den Arbeiterkommissionen, den Bewohnerkommissionen usw. im Zusammenhang stehen, und macht kostenlose Werbung für Genossenschaften oder Dienstleistungsunternehmen, die von den Anbietern kontrolliert werden.“ (O Seculo“, 17. 6. 75) Der Sender war also eine Nachrichtenzentrale, die das Ideal des MFA „Alles für das Volk“ praktizieren wollte. Doch steht solcher Einsatz für den Nutzen des Volkes im Gegensatz zu dem, was der MFA damit erreichen will und woran seine Mehrheit gegen solche Ausschreitungen mehr und mehr festhält: geordnete Zustände. Während sich die Anhänger der Rätedemokratie im MFA mit den Besetzern des Senders solidarisierten, ließ die Regierung Azevedo Anfang November die Sendeanlagen von Radio Renascenca durch Fallschirmjäger zerstören und demonstrierte durch diesen vorsichtigen Gewaltakt ihre Schwäche. Um das kirchliche Eigentum gegen die Linken zu verteidigen, ohne sich für die Kirche gegen das Volk offen stark zu machen, um eine ordentliche Meinungsfreiheit zu garantieren, ohne sich mit den Linken auf gefährliche Kämpfe um die Mittel der Meinungsäußerung einzulassen, wurde das Streitobjekt kurzerhand für die Linken – damit freilich auch für die Kirche – unbrauchbar gemacht.
III. Der Zerfall des MFA Es gibt also keinen Grund, die Politik des MFA zu begrüßen. Diese wildgewordenen Militärs, die bis zum offenen Scheitern des Kolonialkrieges das Werk der Faschisten betrieben, um dann zur Rettung des Staates darauf zu verfallen, Demokratiefanatiker zu werden und die von ihnen in die Hand genommene Macht dadurch zu stärken, daß sie die Massen für sie begeistern und sie Ihnen überlassen wollen, die die wirtschaftlichen und politischen Gegensätze sich austoben ließen, nur um sie mit besänftigenden Sprüchen von Einheit, Sozialismus, Volkswille und Opferbereitschaft und vorsichtigen Maßnahmen zur Eindämmung der unzufriedenen Massen wieder zu kitten zu versuchen, anstatt sich auf die Seite der Arbeiterklasse zu stellen, die die alten Eigentumsverhältnisse angetastet haben, nur um eine veränderte Eigentumsverteilung – freilich ohne den versprochenen Nutzen – zu installieren, betreiben unter dem Vorzeichen von Demokratie und Sozialismus die Chaotisierung der portugiesischen Verhältnisse statt ihrer Revolutionierung. Anstatt die Staatsmacht dazu zu benützen, die Arbeiter und Bauern für eine sozialistische Umwandlung des Landes zu gewinnen und diese gegen Widerstände in Gang zu setzen, haben die Militärs nichts anderes im Sinn, als so weng wie möglich auszuüben, sich gegen Bevormundung des Volkes zu verwahren und andererseits das enthemmte Nutzendenken der Massen durch Maßhalteappelle und -beschlüsse auf ein anständiges Staatsbürgerbewußtsein zu trimmen. In ihrem illusionären Streben, den portugiesischen Staat auf ein demokratisches Volk zu stützen' den Kampf des Volkes um seinen Vorteil zu entfesseln und zugleich in geordnete Bahnen zu lenken, vergrößern sie nicht nur das politische und wirtschaftliche Chaos, treiben die Arbeiter und Bauern in hilflose Aktionen, ihren Vorteil aus Verhältnissen zu schlagen, die einen solchen nicht zulassen, sondern treiben die enttäuschten Massen, die sich vom MFA-Staat ihren uneingeschränkten Nutzen versprochen haben und stattdessen teils staatliche Beschränkungen, teils Chaos geerntet haben, in die Arme der bürgerlichen Parteien, die den Widerspruch des MFA dahingehend auflösen, daß sie die Durchsetzung einer staatlichen Ordnung auf Kosten der Arbeiter und Bauern betreiben wollen. Nicht willens, die zunehmende Desorganisation, die der MFA selbst eingeleitet hat, um einen besseren Staat zu schaffen, aufzuhalten, andererseits als Staatsdiener nicht willens, Portugal aus dem System des Imperialismus zu lösen und eine sozialistische Ubergangsgesellschaft durchzusetzen, treten im MFA selbst mehr und mehr die Gegensätze zutage, und die brüchige Basis der Bewegung zerbricht. Der Fall der Regierung Gonçalves Das erste Opfer war Vasco Gonçalves. Sein „sozialistischer Weg“ der Anlehnung an die kommunistische Partei diskreditierte sich mit dem praktischen Scheitern der MFA-Versprechungen, die seine Regierungen zu erfüllen zugesagt hatten. Sein letzter Rettungsversuch vor der Vollversammlung des MFA belegt schlagend die falsche Politik des revisionistischen Flügels im MFA, der – statt seine Position für die Arbeiterklasse auszunutzen – im MFA bis zum letzten um Einfluß taktiert: „Die zentrale Frage des Sozialismus ist die Machtfrage. Eine sozialistische Gesellschaft kann einzig über die Machtübernahme der Arbeiterklasse errichtet werden. Die Arbeiter können nur dann die Macht übernehmen, wenn es eine Avantgarde gibt, die in der Lage ist, sozialistische Politik zu entwickeln und zu praktizieren.“ (Le Monde, 20./21. 7. 75) Wer in einer Militärbewegung, die einen Putsch veranstaltet hat, nur um die errungene Macht nicht auszunützen, und divergierende politische Richtungen durch Einheitsappelle und taktische Manöver unter einen Hut zu bringen versucht, für die Machtübernahme der Arbeiterklasse ausgerechnet in dem Augenblick spricht, wo diese Bewegung durch seine Absetzung erkennen läßt, daß sie an einer politischen Festlegung auf den Revisionismus nicht interessiert ist, der setzt sich nicht dafür ein, die Arbeiterklasse an die Macht zu bringen, sondern provoziert mit seinem Festhalten an einem nicht vorhandenen gemeinsamen Willen nur die empörten Reaktionen derjenigen, mit denen er um den Einfluß im Militär rangelt. Die PSP beschwor prompt die heimliche Errichtung der Diktatur und berief sich auf die Geschichte: Die Theorie der Avantgarden sei immer nur ein Deckmantel für diktatorische Maßnahmen gewesen (Le Monde, 27./28. 7. 75), die natürlich niemand so sehr verabscheut, wie die Putschisten. Das Copcon-Dokument macht gar den Dirigismus und die Versuche zur Kontrolle des Staatsapparates durch die PCP für die Ineffizienz der ersten vier Regierungen und die steigende Gegnerschaft des Volkes gegen den MFA verantwortlich, und verkündet damit nur sein Programm, das spontaneistisch gefärbte Konzept der Anpassung an das vorfindliche Unzufriedenheitsbewußtsein der Massen. Carvalho und seine (Volks)freunde Die Volksfreunde des Copcon haben den letzten Rest von Durchsetzungswillen, den der Revisionist Gonçalves wenigstens noch theoretisch bekundet, aufgegeben. Während sie einerseits das Ziel einer Rätedemokratie proklamieren und für die Organisierung der Volksmassen in Dorf-, Fabriks- und Wohnbezirksräten eintreten, durch welche die Arbeiter Gelegenheit zur selbständigen Lösung ihrer Probleme erhalten sollen, fordern sie andererseits die endgültige Umfunktionierung des MFA in ein Vereinheitlichungsbecken für die „wirklich revolutionären Gruppen“ (was ihnen-– freilich nicht nur ihnen, sondern der Sammelbewegung MFA insgesamt, arbeiterfeindliche Demokraten wie Antunes eingeschlossen – die recht unkritische Solidarität der SB-Einheitsfanatiker eingebracht hat, die im MFA mit geübtem Auge ihre eigene Scheiße freudig wiederentdeckt haben (vgl. Resultate 2). Daher versäumen sie keine Gelegenheit, den Revisionisten vorzuwerfen, daß sie sich nicht umstandslos den Interessen der Bevölkerung akkomodieren und nicht unmittelbar überall Verbesserungen der Lebensbedingungen versprechen. So kritisieren sie z. B. an der – der PCP nahestehenden – 5. Division: Die Kampagnen „haben oft nicht die sozio-kulturellen Gegebenheiten des Milieus respektiert, in dem sie sich abspielten, und manchmal das sittliche Empfinden der Bevölkerung tief verletzt ... sie waren nicht von konkreten Maßnahmen begleitet, die dem Volk hätten zeigen können, daß das Ziel die wirkliche Verbesserung seiner Lebensbedingungen ist.“ (Le Monde 15. 8. 75) Sie selbst unterstützen dagegen jede Unmutsregung im Volk und solidarisieren sich selbst dort noch uneingeschränkt. wo sie Bedenken bekommen: Copcon-Chef Carvalho kleidet das in die folgenden Worte: „Was direkte Aktionen wie Besetzungen von Häusern oder Land angebt, so haben wir immer die gerechten Forderungen des Volkes unterstützt, während wir in den Fällen, wo diese sich außerhalb der revolutionären Legalität (!) stellten, versucht haben, in dem Sinn vorzugehen, daß wir diejenigen, die Fehler machten, politisch überzeugten, wobei wir stets den Gebrauch von Gewalt gegen das Volk vermieden, der für uns zulässig ist.“ (Portugal – auf dem Weg zum Sozialismus?, S. 88) Daß der Copcon noch nie jemanden von der Falschheit einer Aktion überzeugt hat, es sei denn, sie war von den Parteien initiiert, braucht niemanden zu verwundern, hat er sich doch prinzipiell auf die Seite der spontanen Massen geschlagen. Vor lauter falscher Bewunderung für die praktischen Unzufriedenheitsäußerungen des Volkes, läßt er es ins Verderben laufen und bejubelt seine Aktivitäten umso lauter, je mehr das Chaos und damit auch der Ruf nach Ordnung wächst. Die waschechten Demokraten: Melo Antunes Je größer das Chaos, um so fruchtbarer wird der Boden für die Leute um Melo Antunes, die waschechten Demokraten im Militär, die über der Entfesselung der Massenunzufriedenheit nie den Einsatz für die staatliche Ordnung, dem diese dienen soll und nicht kann, aus den Augen verloren haben. Sie wollen „die Anarchie und den Populismus energisch zurückdrängen, der die katastrophale Auflösung des Staates zur Folge hat, in einer Entwicklungsphase, wo kein einziges politisches Projekt ohne staatliche Unterstützung lebensfähig ist.“ (Le Monde 9. 8. 75), und fordern deshalb als „Gemäßigte“ den „Aufbau einer sozialistische Gesellschaft in einem Rhythmus …, der der sozialen Realität Portugals angemessen ist.“ (ebenda), wobei sie unter der sozialen Realität aktuell das Wahlergebnis der verfassungsgebenden Versammlung verstehen. Daß sie auf diese „energische“ Weise den Volkswillen vertreten, kommt nicht von ungefähr. Schließlich haben sie es auf die Durchsetzung der Demokratie abgesehen, was für Portugal ein gewaltsames Geschäft bedeutet, bei dem der proklamierte Nutzen der politischen und wirtschaftlichen Ordnung geopfert wird. Daher suchen auch sie den Rückhalt bei den Parteien, die ihr Programm vertreten: „Unser Modell des Sozialismus ist untrennbar mit der politischen Demokratie verbunden. Es muß unter der Bedingung des politischen Pluralismus mit den Parteien aufgebaut werden, die in der Lage (!) sind, dieses nationale Projekt zu unterstützen. Dieses Modell des Sozialismus ist auch untrennbar mit den fundamentalen demokratischen Freiheiten, Rechten und Garantien verbunden.“ (ebenda) Zielstrebig betreiben sie daher die Absetzung linker Militärs und Staatsvertreter, rufen nach Ordnung und Durchgreifen, beschwören die Gefahr des Umsturzes von links, und lassen sich nur durch taktische Überlegungen ein vorsichtiges Vorgehen aufzwingen. Die Linken dagegen kritisieren den MFA in dem Maße, wie sie in ihm an Einfluß verlieren, kontern mit der Gefahr von rechts, versuchen ihre Anhänger zu stärken und der Regierung, wo es geht, unter Ausnutzung ihrer verbliebenen Machtpositionen in den Rücken zu fallen, halten aber noch angesichts des Zerfalls des MFA an seinem Ideal lest. Da es eine Bewegung der Streitkräfte nur mehr der Form nach gibt, sucht ein jeder nach Verbündeten in und außerhalb des Militärs. Gonçalves tritt für die PCP ein, Otelo de Carvalho erhofft sich die Lösung von einer Stärkung der linken Szene und Melo Antunes von den Mehrheitsparteien. Ergebnis der MFA-Herrschaft Während die Arbeitslosigkeit – noch angeheizt durch die rechten Angolaflüchtlinge – wächst, die Staatsfinanzen schrumpfen, das imperialistische Ausland abwartend Investitionen zurückhält, schreitet die Desorganisation des Militärs – ein Signum der Staatsmacht seit dem Putsch – nun auch in den obersten Reihen des MFA selbst rapide fort. Die immer offener zutage tretenden Differenzen, die zunehmende Zurückdrängung der Revisionisten und Spontaneisten im MFA, das wachsende Durchgreifen der mehr und mehr sozialdemokratisch orientierten Regierung, die eskalierende antikommunistische Hetze und Absicherung gegen den Druck von links (Aushebung von regierungstreuen Elitetruppen, Entmachtung der Linken in Lissabon, usw.) und auf der anderen Seite die zunehmende Opposition linker MFA-Kräfte gegen den MFA selbst zeigen, wohin der Weg führt. Rechtsputsch, Durchsetzung der Staatsgewalt durch Sozialisten und Verbündete mithilfe der MFA-Mehrheit oder offener Bürgerkrieg, in dem Linke und Bürgerliche die Arbeiter und Bauern für ihre verschiedenen Varianten von Demokratie in Portugal verheizen, sind die trostlosen Alternativen eines Schauspiels, das hiesige Linke aus der Ferne oder Nähe als Lehrstück in Sachen Revolution beklatschen.
IV. Die Stunde der Parteien Mit dem Zerfall des MFA hebt die Stunde der Parteien an: er, der sich im Frühjahr der „portugiesischen Revolution“ als Garant der Einheit des Volkes feiern ließ, für sich das Sagen reklamierte, weil nur er den Sieg der Revolution besorgen könne und nicht die Parteien und ihr Gezänk, hat sich getreu seinem eigenen Programm so weit zerstritten, daß in seinen Reihen nur noch darüber gestritten wird, mit welcher der Parteien die Ordnung wieder herzustellen sei. Ließen sich die Militärs vor den Wahlen zur Konstituante noch einen Blankoscheck von den Parteien unterzeichnen, so haben sie unter dem Aushängeschild Azevedo die Regierungsgewalt (oder besser: was davon übrig geblieben ist) an PSP und PPD übertragen. Mário Soares macht Porto zur heimlichen Hauptstadt eines Landes am Vorabend der sozialdemokratischen Machtübernahme. Die Ideologischen Differenzen innerhalb des MFA reflektieren das Spektrum der politischen Parteien: die Antunes-Clique will Soares und was er will, Carvalho hat sich schmollend aus dem „Revolutionsrat“ zurückgezogen, nicht lange nachdem seine Freunde von den „Revolutionären Brigaden“(2) sich in den Untergrund unter Mitnahme von 10 000 Gewehren aus Armeebeständen verabschiedeten. Vasco Gonçalves läßt die kommunistischen Massen in Lissabon seine Rückkehr ins Amt des Premiers fordern und die Fans des CDS in der Armee lassen die ihnen unterstellten Truppen im Norden Spalier stehen, wenn der antikommunistische Mob, aufgehetzt von seinen Pfaffen, die Büros der PCP und der revolutionären Gruppen demoliert. Was der MFA den Parteien voraus hatte, seine Einheit und seine Macht, ist dahingeschwunden, und es wächst der Wunsch nach einer Auflösung des Revolutionsrats und der Übertragung des Staates an die parlamentarische Mehrheit, die weniger Skrupel hat, dem portugiesischen Volk die Demokratie von oben beizubringen. Die revisionistische PCP Die Kommunistische Partei Portugals, die ihre Politik am engsten mit der des MFA verbunden hat, wird es kaum mehr verhindern können, mit ihm zu unterliegen; für die Übernahme der Staatsmacht kommt sie erst recht nicht mehr in Frage. An ihr läßt sich studieren, was passiert, wenn man versucht unter portugiesischen Verhältnissen das Ideal der wahren Demokratie in die Praxis umzusetzen und dazu auch Gelegenheit bekommt (dies und wenig mehr unterscheidet dann auch die PCP von der DKP, trotz aller kernigen Sprüche, die Alvaro Cunhal im Gespräch mit der Sensationsjournalistin Fallaci zu Protokoll gab: die DKP kann bis auf weiteres nur fordern und an die „friedliebenden Massen“ appellieren, ohne gestützt auf sie Politik zu machen.) Die Gelegenheit verdankte die PCP zwei Umständen: (1.) ihrer relativen organisatorischen Stärke am Tag nach dem Putsch vom 25. April 1974 – sie verfügte über ein intaktes, weitverzweigtes Netz der Partei, erprobt in der illegalen Arbeit unterm Faschismus, mit einer wirklichen Basis Im Industrieproletariat und mit Kadern in den Reihen des Militärs; dazu noch in Gestalt Ihres Generalsekretärs über einen Agitator mit starker Anziehungskraft auf die Massen, was in den turbulenten ersten Monaten nach der Revolution, wo die Initiative oftmals von der Straße bzw. der Lissaboner Stierkampfarena ausging, einen nicht unwesentlichen politischen Faktor darstellte. Daneben mußten die fortschrittlichen Offiziere in der PCP eine kongeniale Kraft sehen, weil sie (2.) in ihrem Programm von 1965 (nur unwesentlich modifiziert auf dem ersten Parteitag in der Legalität 1974) zu Forderungen für einen „portugiesischen Weg zum Sozialismus“ gelangt war, wie sie sich auch im MFA-Aktionsprogramm finden: – die PCP entwickelt darin ein Etappenmodell für den „allmählichen Übergang zum Sozialismus und Kommunismus“, das zunächst die „nationaldemokratische Revolution“ vorsieht, die die faschistische Staatsmacht zerschlagen und an ihre Stelle die „antimonopolistische Demokratie des Volkes“ setzen soll. Als deren Hauptmotor proklamierte sie nach dem Putsch das Militär und begnügte sich bescheiden mit der Rolle des Juniorpartners; Die putschenden Offiziere griffen daher bei der Säuberung des Staatsapparats und der Massenmedien von Funktionären des ancien regime auf Kader der PC und ihrer Bündnisorganisation MDP zurück, besetzten Bürgermeisterämter, Redaktionen und höhere Ministerialposten mit diesen. In der Regierung Gonçalves verfügte die PC mit 2 Ministern (plus einem vom MDP) und sympathisierenden Offizieren über die Mehrheit, die sie dazu benutzte, ihre Machtpositionen im Staatsapparat weiter auszubauen.* Anstatt diese Position auszunutzen, um die Arbeiterklasse auf die proletarische Revolution vorzubereiten, agierte die PC mit dem MFA-Konzept der Demokratie von oben, und versuchte zugleich, systematisch die Demokratisierung zu verhindern, in dem sie andere politische Kräfte aus dem Staatsapparat rauszulavieren versuchte. Diesen Widerspruch vertrat sie durch die Theorie von der „wahren Demokratie“, in der die Sozialdemokraten und ihre Gefolgschaft keinen Platz haben sollten. Als die PC nach den Wahlen, die ihre geringe Basis im Volke schlagend dokumentierten, ihren Machtanspruch aufrechterhalten wollte, mußte sie sich natürlich dem Antikommunismus ins offene Messer laufen. Eine Partei, die für Demokratie und nicht für den Sozialismus agitiert, muß sich isolieren, wenn sie sich den Resultaten der Demokratie nicht unterwirft (dies die portugiesische Variante des DKP-Dilemmas, sich als Uberdemokrat aufzuspielen und zugleich die staatlichen Verhältnisse in der DDR als Vorbild zu preisen). Nicht daß die PCP nach der Macht trachtete, sondern was sie damit machte, ist ihr vorzuwerfen und erklärt zugleich, warum ihre Machtpositionen nach dem Sturz der Regierung Gonçalves nicht mehr viel wert waren: die Kommunisten als Demokraten verloren trotz aller Taktiererei immer mehr an Einfluß, nachdem die Demokratie gegen sie entschieden hatte. Wenn die Partei, nach verzweifelten Versuchen in der Azevedo-Regierung mitreden zu können, jetzt erstmals gegen die Regierung und die maßgebende Fraktion des MFA öffentlich auftritt, so nützt ihr das nichts mehr: ihr eigener Anhang ist außerhalb Lissabons zu schwach, die Sozialdemokraten und ihre Verbündeten betreiben immer offener ihre Zerschlagung und die Linken außerhalb der PC haben nicht vergessen, wie sie mit ihnen umsprang, als sie noch in der Regierung war. So treibt eine Politik, die die Arbeiter in demokratische Kämpfe stürzt, das Proletariat in die Arme der Sozialdemokratie! Spontaneismus und Sektierertum: die Linksradikalen Die linke Szene in Portugal unterscheidet sich nur dadurch von dem, was hierzulande als Freund des Volkes auftritt, daß sie die Programme spontaneistischer, anarchistischer, trotzkistischer und „marxistisch-leninistischer“ Gruppen Westeuropas unter den Bedingungen in Portugal praktizieren kann: die portugiesische Linke träumt nicht nur von der revolutionären Aktivität der Massen, in Portugal sind die Massen aktiv geworden und die Linken können ihre Konzepte ausprobieren (dies auch der Grund für die Attraktivität, die Portugal im Sommer auf die linken Polittouristen ausübte, und was sich in diversen Erlebnisberichten in den linken Gazetten niedergeschlagen hat.) – jede Aktion des Volkes zur Verbesserung seiner materiellen Lage in Stadt und Land gilt Ihnen per se als revolutionär, erfährt ihre bedingungslose Unterstützung und wird als Teil der Revolution gefeiert; So geraten die spontaneistischen Gruppen, soweit sie einen realen Machtfaktor darstellten (vor allem MES und LUAR(3)) bei zunehmendem Chaos und Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ins Abseits derer, die falsche Versprechungen gemacht haben, und ihr Bild bei denen, die ihnen vertraut haben, wandelt sich von einer „revolutionären“ Alternative zum Schuldigen an der gegenwärtigen Misere. Statt Avantgarde der proletarischen Revolution, werden die Linken zu den ersten Opfern der aufkommenden Sehnsucht nach Ruhe, Ordnung und dem starken Staat sein, und die ehemals so spontanen Massen werden dann ganz andere Sorgen haben, als ihre selbstproklamierten Freunde zu verteidigen. Schon jetzt ereilt dieses Geschick die dem Anarchismus verwandten Gruppen (MRPP), die im MFA-Staat nur eine besonders raffinierte Variante des Faschismus wittern und sich mit rechtsradikalen Bombenwerfern um die Urheberschaft an spektakulären Anschlägen streiten. Pyrrhus-Siege feiern immer noch die Maoisten um die PCP/ML, die den „Hauptfeind“ in der „sozialfaschistischen Cunhal-Clique“ sehen, sich von Antunes/Soares die Rettung vom „Joch des Sozialimperialismus“ erhoffen, es folglich begrüßen, wenn wieder ein PCP-Büro in Flammen aufgeht und sich in ihrer Volksverbundenheit bestätigt sehen, wenn die „Massen“ ihnen auf die Schultern klopfen, weil sie öffentlich Cunhal-Puppen verbrennen. Ein CDU-Freundeskreis in Portugal Das Christlich-demokratische Zentrum hält sich in dem gegenwärtigen Gerangel um die Macht zurück: weniger die Tatsache, daß sich ihre Mitgliedschaft vornehmlich aus Funktionären der ehemaligen faschistischen Einheitspartei rekrutiert, sondern der den besonderen Umständen der Lage in Portugal geschuldete Umstand, daß der politische Konservatismus angesichts des ungehemmt tobenden Klassenkampfs als Faschismus auftritt, weil er die Autorität des Staates mit offener Gewalt wiederherzustellen trachtet, verhindern, daß der CDS jetzt schon demonstriert, „daß christlich-demokratische Politik in Portugal einen weit größeren Einfluß hat., als das Wahlergebnis vermuten läßt“ (so Kai-Uwe von Hassel, Portugalreisender vor und nach dem 25. April, der damals vertrat, daß Faschisten wie Caetano im Grunde genommen auch nur Konservative seien und der folglich jetzt die „Diffamierung“ bekämpft, die Konservativen des CDS seien in Wirklichkeit Faschisten.) So arbeitet der CDS offen und versteckt auf einen rechten Militärputsch hin, dem er sich als politischer Arm zur Verfügung stellen kann, denn bei einer Machtübernahme der staatsbejahenden Kräfte auf dem Wege demokratischer Wahlen hat er keine Chance. Der „progressive“ Flügel der Bourgeoisie: die PPD Liberalismus in Portugal kann jetzt ungebrochen auf die alten liberalen Leitsätze pochen: so viel Freiheit, wie nur irgend möglich fürs nationale Kapital und erweist sich damit als politische Organisation der an der faschistischen Ausbeutung der Kolonien nicht partizipiert habenden Teile des portugiesischen Kapitals und Grundbesitzes, die jetzt ihre Chance wittern. Nicht prinzipiell gegen Nationalisierungen, setzt sich die Partei im konkreten Fall für „Legalität“ und „Zweckmäßigkeit“ ein und gelangt in der Regel zu dem Resultat, daß die privatwirtschaftliche Organisation der Wirtschaft im „gegebenen Fall“ „zweckmäßiger“ ist. Da aber im Portugal von heute die liberale Freiheit erst mal einen starken Staat braucht, der mit den Feinden dieser Freiheit aufräumt, ist die PPD zu schwach, um als bestimmende Partei in Frage zu kommen: der Vorsitzende Sá Carneiro, der oft und gern das Godesberger Programm der SPD im Munde führt, setzt daher auf das Bündnis mit der Massenpartei PS. Dies Bündnis ist für beide Seiten vorteilhaft: im Norden fängt die PPD die Stimmen des Antikommunismus auf, die der PS wegen ihres radikalreformerischen Programms für den Süden verlorengehen. Mittlerweile von Soares angezettelte Reibereien resultieren aus dessen Befürchtung, die PPD könnte zuviel Stimmen absahnen: denn wie bei jedem Bündnis vergessen auch die Bündnispartner keineswegs ihren Vorteil. Die Partei der Stunde: PSP oder sozialdemokratische Politik unter portugiesischen Verhältnissen Die PS des Dr. Mário Soares ist die Partei der Stunde. Ihr Angebot an das Volk ist die Integration der portugiesischen Ökonomie in die EG: statt der Ausbeutung der Kolonien soll nun die Unterstützung des europäischen Kapitals die Wirtschaft sanieren helfen. Und daß sie sich damit Hilfe gerade von der Seite holen will, die für das Elend Portugals mitverantwortlich, spricht sie – wie alle Sozialdemokraten Widersprüchen gegenüber unbefangen – in ihrem Programm auch aus: – so wird die EG einerseits als „Vorherrschaft des Monopolkapitals“, basierend auf der „Ausbeutung der Dritten Welt“ beschimpft, Auch ansonsten beweist die PSP, daß der kämpferische Einsatz für einen portugiesischen Kapitalismus sozialistische Sprüche nicht entbehren kann. So in der Präambel zum Parteiprogramm: – Sie fordert langfristig die „Vergesellschaftung aller Produktionsmittel. Nicht nur die Erinnerung daran, daß auch die SPD seit ihrer Geburt ihren Einsatz für den bürgerlichen Staat in revolutionäre Phrasen gekleidet hat, sondern die Praxis der Partei demonstrieren, daß Dr. Soares Realpolitiker ist. Die PS an der Macht wird sich für Europa stark machen und das heißt für eine Integration des Landes in das System des westeuropäischen Imperialismus inklusive Ausbeutung der „Dritten Welt“, profitorientierte Kapitalinvestition, internationale Monopole und um eine optimale Partizipation Portugals an den Vorteilen stattfinden, die das Europa des Kapitals für das Kapital abwirft kämpfen. Der Versuch, durch die Zusammenarbeit mit der EG, in Portugal einen ordentlichen Kapitalismus zu errichten, in dem das Florieren der Ausbeutung auch den Ausgebeuteten einen angemessenen Preis für ihre Arbeitskraft bezahlt, will aber nicht nur gegenüber der Europäischen Gemeinschaft durchgesetzt werden, sondern auch gegen das eigene Volk, das auf diesem Weg erst einmal zu einem angemessenen Preis dem Kapital angeboten werden muß. Der PS-Führer wird also für Portugal den Noske machen müssen, der bei der Wiederherstellung der Staatsautorität auf Maßnahmen zurückgreifen muß, die sich von denen der Faschisten nur dadurch unterscheiden, daß sie über eine demokratische Legitimation (PS-Mehrheit bei den kommenden Parlamentswahlen) verfügen. Fazit: Was passiert also, wenn Militärs die Demokratie von oben in einem Land wie Portugal durchsetzen wollen? Sie setzen den Klassenkampf frei, zerstören den Staat, den sie retten wollten, vollends, führen das Land an den Rand des Bürgerkriegs und bahnen denen den Weg, die eine zeitgemäßere Unterwerfung Portugals unter den Kapitalismus als einzig vernünftige Lösung anbieten. Die Sozialdemokraten bieten sich als Erben der Konkursmasse an und zeigen durch ihre Politik, was der „demokratische Sozialismus“ in Wahrheit ist: Portugal ist tatsächlich ein Lehrstück, als welches es in den Gazetten der hiesigen Linken gerne ausgeschlachtet wird! ___________________________________________ (1) „Am 11. März begann eine Gruppe von rechten Offizieren um Spinola einen Putschplan in die Tat umzusetzen. Spinola wohnte seit dem gescheiterten Staatsstreich vom 28. September, der ihm die Präsidentschaft gekostet hatte, außerhalb Lissabons auf dem Lande. Die Offiziere gingen, unterstützt von führenden Geschäftsleuten, von der Militärbasis Tancos, 160 Kilometer nordöstlich Lissabons aus. Der Plan sah eine gleichzeitige Erhebung in Militäreinheiten in und um Lissabon vor. Der Plan war ein vollständiger Fehlschlag, falsch kalkuliert, zum falschen Zeitpunkt und nahezu ohne Unterstützung - zwei Fiat T-6 Kampfflugzeuge und zwei Helikopter bombardierten die RAL-1 Kaserne südlich von Lissabon, unterstützt von einer Bodentruppe von Fallschirmjägern. Zwei Stunden später war der dritte Versuch seit dem 25.Apri1 letzten Jahres verpufft. Während sich die irregeführten Fallschirmjäger mit den RAL-1 Soldaten verbrüderten und erklärten »Wir sind keine Faschisten - wir sind eure Kameraden« – floh Spinola nach Spanien und der Rest der Verschwörer wurde ausgehoben.“ (Tony Cliff, Portugal vor der Entscheidung. 1975) (2) „Die revolutionären Brigaden wurden 1969 von einer Gruppe von Aktivisten gebildet, die sich von der KP abgespalten hatten und sie des Reformismus beschuldigten, Eine Reihe von Jahren führten sie bewaffnete Aktionen gegen die Faschisten und den Kolonialapparat aus. So sprengten sie zum Beispiel eine NATO-Basis, jagten Lastwagen, die für die Kolonialkriege bestimmt waren, in die Luft; sie versuchten, am 1.Mai 73 die Energieversorgungsleitungen zu sprengen (die Theorie dabei war, daß dieses den Arbeitern erlauben würde, die Fabriken zu verlassen und Versammlungen und Demonstrationen abzuhalten), und sie ließen anläßlich der Wahl eines Marineoffiziers zum Präsident (im Jahre 1972) Schweine in Marineuniformen los.“ (Tony Cliff, Portugal vor der Entscheidung. 1975) (3) „Die »Einheitsliga für die revolutionäre Aktion« (LUAR) »Die LUAR«, so heißt es im Manifest dieser Organisation, die 1967 von Herminio Palma Ignacio gegründet wurde, »ist eine revolutionäre Bewegung, die in dem dynamischen anti-kapitalistischen Kampf in unserem Lande an der Seite der Arbeiter für ihre Emanzipation, für den Aufbau einer sozialistischen klassenlosen Gesellschaft ohne Ausbeuter und ohne Ausgebeutete eintritt und die in diesem Kampf auch die Erfahrungen der verschiedenen revolutionären Kämpfe in der augenblicklichen Phase der Weltentwicklung berücksichtigt.« In den 60er Jahren war die LUAR durch eine Reihe spektakulärer Enteignungsaktionen von Banken sowie durch andere direkte Widerstandsaktionen hervorgetreten, die sich an den Stadtguerillaaktionen lateinamerikanischer Revolutionäre orientierten (u. a. einen Überfall auf die »Banco de Portugal« in Figueira da Foz 1967). Seit dem 25. April versucht sie mit Hilfe einer spontaneistischen Konzeption - aufgrund derer sie die traditionellen Parteien der Arbeiterbewegung mit Mißtrauen beobachtet - durch Initiierung von Land- und Hausbesetzungen und andere direkte antikapitalistische Aktionen, die den unmittelbaren Interessen der am meisten ausgebeuteten Schichten des städtischen und ländlichen Proletariats entsprechen, die Ansätze im Proletariat zur spontanen Selbstorganisation zu stimulieren, um auf diese Weise die Entstehung möglichst vieler autonomer Organe der Arbeitermacht zu ermöglichen.“ <http://www.trend.infopartisan.net/trd0499/t350499.html> aus: MSZ 8 – 1975 |