Unser Mann in Peking
Da aber realer Sozialismus das realisierte Ideal ist, also die Politik revisionistischer Parteien im Besitz der Staatsmacht, sind Revisionisten den Wechselfällen der Politik ihres jeweiligen Ideals ausgeliefert: der permanente Kampf zweier Linien, in dessen Verlauf zwar die Politik dieselbe bleibt, aber Personen entlarvt werden oder neu aufsteigen, zwingt die hiesigen Maoisten seit geraumer Zeit zu ständiger Parteinahme bei gleichzeitiger Beteuerung, ihre Politik bliebe genauso der Generallinie treu wie diejenige der jeweils favorisierten Person oder Fraktion im Vorbildstaat. Zu Lebzeiten Maos gab es zwar auch schon regelmäßig rechte und linke Entartungen, jedoch entschied der große Steuermann, der es als Entdecker des Maoismus ja wissen mußte, wer denn nun jeweils ins bürgerliche bzw. ins proletarische Hauptquartier gehörte. Nun ist Mao tot und die Kämpfe um seine legitime Nachfolge, die in China entbrannten, blieben auch für westdeutsche Marxisten-Leninisten nicht folgenlos, zumal ihr gemeinsamer Favorit, die Shanghaier Linke um Tschiang Tsching, als Viererbande entlarvt und des besonders heimtückischen Verbrechens „in linkem Gewande rechtsopportunistische Ziele“ verfolgt zu haben bezichtigt, eingesperrt wurde. Noch schlimmer: der von allen Maoisten inklusive Mao selber als Rechter gebrandmarkte Teng Hsiao-Ping wurde plötzlich rehabilitiert und ist nun der zweite wirklich Linke in Peking. Da heißt es sich entscheiden: schart man sich um das rote Banner von Hua, Tschiang Tsching, Teng oder weht dies neuerdings nicht mehr in China sondern im Albanien Enver Hoxhas?
Daß die KPD schweigt, wenn Enver Hoxha die Theorie der drei Welten als „antirevolutionär“ und „pseudoantiimperialistisch“ geißelt, verwundert nicht. Zum einen ist ihr die Entscheidung zwischen der Großmacht China und dem Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa sicher nicht schwergefallen. Zum anderen hatte sie auf der Suche nach Bündnispartnern gegen die „gefährlichste Supermacht, den Sozialimperialismus“ nicht nur wie die anderen Chinaparteien auch die chilenische Militärjunta, den Schah von Persien und in Angola die Unitabanden favorisiert, die Kubaner dagegen als „Söldner des Sozialimperialismus“ beschimpft – die Rote Fahne hatte die Vaterlandsverteidigung zum Hauptpfeiler ihrer Politik gemacht: sie kämpft gegen den Abzug amerikanischer Truppen und für die Nato, damit nicht „der russische Tiger mit seinen scharfen Pranken hereinspaziert und sich alles unter die Krallen reißt, was er in sein gefräßiges Maul hineinstopfen kann“ Die KPD fürchtet mit einer Revision ihres Hauptanliegens vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren und versucht zu retten, was zu retten ist, indem sie sich energisch an die Seite Hua Kuo-Fengs und Teng Hsiao-Pings stellt. Und weil letzterer erst im vorigen Jahr anläßlich seiner Entfernung aus den Ämtern scharf verurteilt worden war: „China: Die Massen feiern den Sieg der revolutionären Linie ... gegen die revisionistische Linie Deng Hsiao-pings“, muß er jetzt eben wieder rehabilitiert werden: „Unsere Partei stellt zu dieser Entscheidung (der Wiedereinsetzung Tengs) fest, daß sie im Jahre 1976 bei der Beurteilung des Genossen Deng Hsiao-ping fehlerhaften Einschätzungen unterlegen war.“ Ganz schön gemein von der Viererbande, die Partei des deutschen Proletariats mit ihren Machenschaften so hinters Licht zu führen! Ganz schön gemein auch gegen den KSV, der seine angekündigte, aber bisher nicht erschienene Broschüre zum Chinaartikel der MSZ wohl umschreiben muß: gilt es doch die Roten Zellen und MGs nicht – wie seinerzeit der KSV Marburg in seinem SozPol-Info – als Teng-Agenten, sondern als Anhänger der Vierer-bande zu entlarven!
Im Niedergang der KPD und ihrem Versuch, ihm mit dem Konzept der Vaterlandsverteidigung zu begegnen, sieht Ernst Aust schon seit einiger Zeit die Chance für seine Partei, den schon besiegelten Untergang rückgängig zu machen. Weil also der KPD das Wasser bis zum Hals steht, wettert die KPD/ML Morgenluft; sie veröffentlicht die albanische Kritik und bringt eine Broschüre gegen die Theorie der Drei Welten heraus, ganz so als sei diese weder von China noch von Albanien, ganz zu schweigen von der KPD/ML je vertreten worden: „Sie (die Theorie der drei Welten) fördert unter der Fahne des Kampfes gegen den russischen Sozialimperialismus die Zusammenarbeit mit den westlichen Imperialisten, ja sogar mit dem US-Imperialismus ... Das wesentliche an dieser Strömung ist die Propagierung der Klassenversöhnung, die Propagierung der Klassenzusammenarbeit, das Eintreten für die Unterwerfung des Proletariats unter den Imperialismus.“ Den schwarzen Peter erhält der Konkurrent, gegenüber dem man Boden wiedergutzumachen hofft: „Uns ist diese opportunistische Strömung besonders von der Gruppe Rote Fahne (KPD) her bekannt.“
Das sagt sich auch der KBW und harrt der Dinge, die da kommen. Er hat es nicht nötig, seine Entscheidung schnell zu fällen. Wer zweimal so stark ist wie seine beiden Konkurrenten zusammen, kann es sich leisten, so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, weil er vom Zerfall der anderen profitieren will: der KBW kritisiert die Umtriebe der Viererbande, lobt Hua Kuo-Feng und schickt zum 11. Parteitag der KPCH ein Grußtelegramm, in dem er den Namen Teng Hsiao-Pings diplomatisch unterschlägt.
So oder so: den Maoisten ist Maos Tod sichtlich peinlich. Und das kommt einem Verein, der sich schlauerweise nicht auf ein existierendes Ideal seiner Praxis festgelegt hat, gerade recht. Im Arbeiterkampf berichtet der KB akribisch-genüßlich unter einer eigens dazu eingerichteten Rubrik über die Verrenkungen der ML-Scene. Maos Tod eröffnet ihm die Chance, Mao selbst gegen die Ideale seiner Konkurrenten zu wenden, indem er sich zum wahren Sachverwalter seines Erbes aufschwingt und in Konkurrenz zur KPCH einen eigenen V. Band der Werke Mao Tse Tungs herausgibt, mit der Begründung, daß „noch zweifelhaft ist, ob nach dem Rechtsputsch vom Oktober letzten Jahres insbesondere die Texte zum Klassenkampf im Sozialismus und zur Kulturrevolution überhaupt vollständig und korrekt veröffentlicht werden sollen.“ Solche Häme verlockte zwar auch die DKP, aber sie verkneift sie sich wohlweislich: Obwohl ihr Mao schon 1965 verstorben ist, die daran anschließenden Flügelkämpfe nicht nur entschieden sind, sondern sogar zur Verbannung des bis dato größten Marxisten-Leninisten nach Lenin aus dem Moskauer Mausoleum führten, gibt es im Lager derer, die in der SU den idealen-realen Sozialismus sehen, mittlerweile Parteien, die ihr Idol anpinkeln: die Eurokommunisten. Und bei der DKP ist die eigene Anbiederung ans Volksbewußtsein soweit entwickelt, daß sie sich darauf beschränkt, ihr Idealland in rosigen Farben zu zeichnen, ohne seinen Besudlern die Freundschaft aufzukündigen, weil man deren Erfolge auch gerne herzeigt.
Arbeitslose, Studenten und BMW-Arbeiter, die zur Sonderschicht fahren, haben also keinerlei Grund zur Freude, wenn die diversen maoistischen Parteigruppierungen ihnen ihr Elend durch Sieges- und Entlarvungsmeldungen aus dem fernen China versüßen wollen. Steckt dahinter doch nur das Elend revisionistischer Politik, die monoton die immer gleiche Entlarvung der Machenschaften der Monopole samt ihrem Staat mit der emphatischen Auspinselung existierender Paradiese in Gestalt von Arbeiter- und Bauern-Staaten verbinden, in denen dieselben das Geschäft ihrer Anwendung als Proleten selber in die Hand genommen haben sollen, wofür besonders die Existenz großer Führer Zeugnis ablege. Und ebenso wie hierzulande der Revisionismus das Volk immer im Recht sein läßt, wenn er als sein Freund Politik macht und alle Schuld am Unheil den Monopolbourgeois anlastet, ist es letztlich auch gleichgültig, wer sich in Peking durchsetzt, denn das Ideal der eigenen Praxis bestimmt nach materialistischer Auffassung immer noch diese ...
aus: MSZ 19 – Oktober 1977 |