INTERAKTIONSTRAlNING

Hart im Nehmen – härter im Geben


Im Fachbereich Sozialwesen werden in einigen Unterrichtsveranstaltungen Sachen von den Studenten verlangt, die Zumutungen besonderer Art darstellen.

Wenn man dort über irgendein Thema diskutiert, bekommt man plötzlich den Vorwurf zu hören, man verstecke sich hinter einer scheinbaren Objektivität, weil man seine Sätze nicht mit Formeln wie „Für mich ist ...“ oder „Auf mich wirkt das ...“, oder „Ich fühle mich von dem, was du gesagt hast, so und so betroffen, weil ich nämlich meine ...“ einleitet. Man muß den unverschämten Vorwurf einstecken, man bringe sich selbst nicht in die Diskussion ein. Unverschämt deshalb, weil man sich ja nichts als die Selbstverständlichkeit geleistet hat, das zu äußern, was man sich über das Thema gedacht hatte. Ferner auch deshalb, weil man sich zumuten lassen soll, ständig den anderen vorzufaseln, wie man sich von der Sache und den anderen betroffen fühlt.

Doch es gibt noch peinlichere Geschichten. Als erwachsener Mensch soll man sich z.B. vor seine Kommilitonen hinstellen und mittels einer Papierrolle irgendetwas „spontan anstellen“, um dann anschließend den Zuschauern mitzuteilen, wie man sich dabei gefühlt habe. Daß es einem ,,irgendwie peinlich“ war, soll natürlich herauskommen, denn dazu war man ja in die peinliche Situation hineinversetzt worden. Völlig daneben wäre es deshalb, wenn man einfach feststellte, man habe sich „verarscht“ gefühlt, denn man soll die Angelegenheit ja zum Anlaß nehmen, etwas über seine Schwierigkeiten in die Diskussion „einzubringen “.

Wenn man als „Affe“ von einem Kommilitonen bezeichnet wird, dann ist das im Rahmen eines Spiels, wo man sich gegenseitig mit Tiemamen charakterisieren soll, durchaus nichts besonderes und soll auch nicht so aufgefaßt werden, daß jemand einen blöd findet. Die Erklärung lautet nämlich: Du wirkst so behend und beweglich. Weshalb man auch ohne Angst haben zu müssen, eine gescheuert zu bekommen, mit „Esel“ kontern kann: so geduldig, ausdauernd und fröhlich. Die Heuchelei, man würde dabei tatsächlich etwas über den anderen aussagen und ihm klarmachen wollen, verhindert deplazierte Reaktionen. Natürlich fällt kein wirklich vemünftiges Wort über den anderen, wie sollte auch, wo man den anderen kaum kennt. Aber um Beurteilung geht es ja auch gar nicht (dazu brauchte man schließlich nicht in die Tierwelt auszuweichen), man wird gerade darauf verpflichtet, bloß wild zu assoziieren. Jeder soll nur seine „Empfindung ausdrücken“, (d.h. sich welche zurechtlegen) – wobei unterstellt ist, daß jeder das sicher anders sieht, aber es geht ja auch eben nur um die „spontane“ Äußerung. Was man dem anderen zu sagen hat, ist darum nichts als peinliches Schulterklopfen oder hinterfotziges dem anderen eins Auswischen: Wer darum ernst auf solche Beiträge reagiert, bekommt vorgehalten, erstens sei es ja nur ein Spiel und zweitens habe er selber offensichtlich ein Problem damit, von anderen zu hören, wie sie über ihn dächten.

Genauso gut kann man aber auch ein Ratespiel machen: ich nenne 2 gute und 2 schlechte Eigenschaften, wer ist gemeint? Und schon ist man mittendrin in wüsten Spekulationen: „Du wirkst auf mich so und so“, „dein Problem scheint mir folgendes zu sein“, „ich fühle mich durch dich abgewiesen“, oder „ich habe folgendes Problem mit mir ...“ Der Willkür und Unverschämtheit wie auch der trostlosen Zurschaustellung von Selbstmitleid sind hier Tür und Tor geöffnet. Das einzige, was nicht erlaubt ist, ist, daß jemand sagt: Hier nimmt niemand sich und den anderen ernst; sonst würde man nicht zulassen, daß so aufeinander rumgetrampelt wird. Und wenn dann jemand losheult, weil er das Sich-gegenseitig-fertig-Machen nicht aushält, dann ist der schönste Erfolg solcher Übungen, den Betroffenen erneut zu verarschen und ihn dazu zu beglückwünschen, daß er so erfolgreich seine Hemmungen überwunden hat und seine Gefühle „frei“ ausdrücken konnte.


NUR KEINE HEMMUNGEN

Weil solche Verkehrsweisen keine Selbstverständlichkeit sind, gehört natürlich ein gewisses Maß an Übung dazu. Darum geht der Dozent in den ersten Sitzungen und auch später immer dann, wenn sich die Studenten nicht „trauen“, sich in der geforderten Art und Weise zu prostituieren, mit gutem Beispiel voran. Aus dem Kontaktspiel – man läßt sich die Augen verbinden und von allen aus der Gruppe streicheln, sagt dann, welches man am schönsten fand und wer das wohl gewesen ist – weiß er auch gleich die fällige „Erfahrung“ am besten herauszuholen: „Das fand ich ganz toll, die Sperre die man sich sonst so gegenüber aufgebaut, in der kühlen, bloß verbalen Kommunikation zu überwinden. “ „Ich fand das einfach schön, berührt zu werden ... Wärme ... Zutrauen“ usw. Da muß man schon „verklemmt“ sein, wenn einem davor ekelt, Leuten gegenüber, mit denen man nichts zu tun hat, sich zu geheuchelten Zärtlichkeiten zu zwingen. Da reproduziert man nur die verklemmten und körperfeindlichen Verhaltensweisen des alltäglichen Lebens, wo man den Postboten kaum kennt, den Gemüsehändler nie streichelt und mit der Politesse nicht einmal über seine Partnerprobleme redet.

Natürlich gibt es Unbehagen an solchem Unterricht. Man bekommt schon mit, wenn auf einem „zu sehr rumgehackt“ wird. Auch das peinliche Sich-kümmem der Studienkollegen oder des Dozenten um die eigenen Gefühle, die sie doch gar nichts angehen und die man so, wie man sie bringen muß, auch gar nicht hat, die schließlich ihnen im Grunde aber auch gleichgültig sind (nur daß darüber gesprochen wird, darauf kommt’s an), empfindet man als Druck. Aber das vorzubringen und zu sagen, daß man das nicht will, bringt einem nur neue Scherereien ein. Dann stürzen sie sich erst recht alle auf einen, jubeln einem Probleme unter, daß es nur so kracht, oder spielen gekränkt, weil sie doch einem nur „helfen“ wollten. Wenn man die Peinlichkeiten nicht mitmachen will, muß man schon ein Stück weit mitheucheln: Entweder man macht da, wo es einem noch erträglich scheint, mit, quasselt drauf los und bringt all das, was von einem gehört werden soll, damit man sich später abseilen kann – von wegen „Ausgewogenheit des Gruppenprozesses“, oder man sagt: „Tut mir leid, ich glaube ich bringe das jetzt/noch nicht, ich brauche erst mal etwas Zeit“. Natürlich kann man sich das auch nicht zu oft leisten. Denn auf diejenigen, die derlei Selbsterfahrungs- und Kommunikationstraining absolvieren sollen, wird ständig ein beträchtlicher moralischer Druck ausgeübt: Der Dozent fühlt sich „unwohl“, wenn man ihm vorwirft, er übe Druck aus, „was hast du denn gegen uns?“ oder, die andere Variante: „du bist eiskalt“, ,,kannst keine Gefühle zeigen“, „meinst wohl, man könnte alles mit dem Kopf machen“. Wer sich zurückziehen will, muß das zumindest (psychologisch) begründen, schon allein, weil er das der „Gruppe“ (zu der sich diejenigen, die die gleiche Unterrichtsveranstaltung besuchen müssen, gemausert haben) schuldig ist, und die „Gruppensituation ja auch von ihm abhängt“. Und schließlich muß man ja auch noch am Ende der Sitzung seine Anteilnahme in der „Interessenskala“ eintragen.

Doch allein diesem Druck kann es nicht geschuldet sein, wenn solche Veranstaltungen trotz gelegentlicher Proteste ihren geregelten Verlauf nehmen.


DER MENSCH ALS KOMMUNIKATIONSBÜNDEL

Die Teilnehmer versprechen sich offensichtlich etwas davon, wenn sie sich so gegenseitig fertig machen. Fragt man sie danach, was, hört man stets das Gleiche: „Ich will mich dadurch besser selber kennenlernen“, „das soll mir helfen, meine Schwierigkeiten im Kontakt mit anderen und gerade auch mit meinen späteren Klienten zu überwinden“, „ich habe gemerkt, daß man gar nicht richtig auf Leute eingehen kann“ usw. Offensichtlich haben alle Erfahrungen gemacht, mit denen sie unzufrieden sind, etwa, daß sie im Praktikum mit Jugendlichen im Freizeitheim nicht zurechtkamen, weil die sich nicht für das interessieren ließen, was die angehenden Sozialpädagogen für sie als gut und nützlich befunden hatten. Oder sie haben Schwierigkeiten in der Wohngemeinschaft, halten es mit der Freundin nicht mehr aus oder haben Krach mit den Eltern. Mit solchen unterschiedlichen Erfahrungen gehen sie freilich sehr eigenartig um. Sie machen erst einmal aus all den verschiedenen Sachen ein und dasselbe: ihr Problem, „mit anderen Leuten umzugehen“. Sie bemängeln an sich, daß sie nicht fähig sind, mit anderen (egal mit wem in welcher Angelegenheit!) zurechtzukommen. Was sie so machen, wofür sie ja auch immer Gründe haben (die vielleicht falsch sind, aber das rauskriegen wollen sie schon gar nicht mehr), ist plötzlich wurscht. Sie betrachten sich selbst als ein seltsam abstraktes Wesen, das sich durch eine einzige Eigenschaft auszeichnen soll: unfähig zu sein, mit anderen zu kommunizieren.

Was sie also durch ein Training erreichen wollen, ist, sich eine Fähigkeit zuzulegen, die alle Probleme, mit denen man zu tun hat, lösen helfen soll, die der Kommunikation. Natürlich gibt’s die so gar nicht, wie sollte auch. Wenn man z.B. mit seinen Eltern redet, geht es immer um bestimmte Sachen, das monatliche Studiengeld, die Freundin, die Berufsperspektive, da wird also nicht schlechthin kommuniziert. Da gibt es Argumente, Ärger, weil man mit bestimmten Sachen nicht einverstanden ist, Krach, weil man sich nicht die Einschränkungen der eigenen Interessen gefallen lassen will usw. Im Freizeitheim genauso: da hat man seinen Auftrag zur „sinnvollen Beschäftigung“ der Jugendlichen und deren Bedürfnisse gehen in eine ganz andere Richtung. Von diesen ganzen Dingen einfach abzusehen und sich um eine bessere Kommunikation zu kümmern, sich neu darin verstehen zu wollen, ändert natürlich nichts an den Gründen, aufgrund derer man mit den anderen Leuten zusammenrasselt (die kümmern einen gar nicht mehr). Das heißt andererseits allerdings nicht, daß das ganze Selbsterfahrungs- und Kommunikationszeugs harmloser oder überflüssiger Unsinn wäre.


DER UMGANG MIT MENSCHEN

Immerhin haben die Studenten, die ihre Schwierigkeiten als Kommunikationsprobleme verstehen, schon einen wichtigen Schritt in Richtung dessen gemacht, was ihnen in der Ausbildung beigebracht werden soll. Sie stellen sich darauf ein, den „Umgang mit Menschen“ zu üben.

Und für einen angehenden Sozialarbeiter kommt es gerade darauf an, daß er sich auf dieses Geschäft versteht. Schließlich hat er den Klienten in seinem künftigen Beruf ja auch nichts anderes zu bieten als seinen sozialpädagogischen Einsatz. Ein Sozialpädagoge ist ja nicht dazu da, „Almosen zu verteilen“. Hätte er die Aufgabe, an Obdachlose Wohnungen zu vermitteln, an Arbeitslose eine angenehme Arbeit, die ihnen genug einbringt, dann wäre der „ Umgang“ mit diesen „Menschen“ gar keine besondere Kunst. Sein Job ist jedoch, auf Menschen Einfluß auszuüben, damit sie ihre Lage akzeptieren und sich trotz ihrer Not an die Spielregeln der Gesellschaft heilten. Und dazu soll er selbst auch keine staatlichen Machtmittel anwenden (dafür gibt’s als ultima ratio immer noch die Polizei), sondern seine Technik der Menschenführung. Wie er es schafft mit den Leuten zurechtzukommen, sie durch den Einsatz seiner Person so weit zu kriegen, daß sie sich von ihm leiten lassen, darauf kommt es in seinem Job an.

Wenn der Sozialpädagogikstudent sich also im Unterricht anzutrainieren hat, wie man mit Leuten umgehen muß, dann ist das die adäquate Zurichtung seiner eigenen Person für seinen späteren Beruf. Er braucht sich darum nicht zu wundem, wenn er beständig in seiner Ausbildung zum Sozialarbeiter selbst Gegenstand des Unterrichts wird; denn er selbst ist ja das Instrument, mit dem die sozialen Abweichler dahin gebracht werden sollen, wo die Gesellschaft sie haben will. Ein perfekter Sozialprofi versteht es, mit seinem Gegenüber fertig zu werden, eine „Beziehung“ zu ihm aufzubauen, die dem sozialpädagogischen Zweck dienlich ist.


ICH FINDE, ICH FÜHLE, ICH INTERAGIERE ...

Wie man so etwas anstellt, lernt man anhand der „Themenzentrierten Interaktion“ von Ruth Cohn. In der Diskussion über irgendein beliebiges Thema kommt es zunächst darauf an, ständig darauf zu pochen, daß man es „ganz persönlich“ so meint.

„Sprich nicht per »man« oder »wir«, sondern per »ich«“,

ist die erste Vorschrift, an die man sich halten soll. Ständig soll man zusätzlich und hauptsächlich darauf reflektieren, daß man es selbst ist, der hier etwas äußert. Wenn man bei jeder Äußerung sich ins Spiel bringt, gesteht man ein, daß das, was man sagt und denkt, erst einmal nur für einen selbst Gültigkeit und Bedeutung hat. Man gewöhnt es sich ab, sich darauf zu verlassen, daß man mit seinem Verstand etwas herausfindet, was richtig ist und auf dem man deshalb auch anderen gegenüber bestehen kann, weil alles, was man sagt, ja nur dem eigenen Gefühls- bzw. Bedürfniszustand entspringt. Auf dieser Grundlage ist es für den Kommunikationsgeschulten nun ebenso eine Selbstverständlichkeit, anderer Leute Äußerungen nicht als das zu nehmen, als was sie gemeint sind, für ihn sind sie lediglich Material, anhand dessen er über den anderen seine Spekulationen anstellt.

„Stelle weniger Fragen, sondern äußere stattdessen mehr deine eigene Meinung. Wenn du eine Frage stellst, beginne sie mit der Feststellung, was die Frage für dich bedeutet.“

Auf diese Weise wird man darauf festgenagelt, daß man eigentlich immer nur ein psychologisches Problem habe. Durch die ständige Reflexion auf sich, wie man sich zu den anderen stellt, was das jeweilige Problem mit einem selbst zu tun habe, hat man seine eigene Hilfsbedürftigkeit und sein Angewiesensein auf die anderen zu demonstrieren. Man soll bekunden, daß es einem stets vordringlich um Anerkennung geht, was man sagt oder tut, soll man nur als diesem Zwecke geschuldet ansehen.

Jemand, der diese Kommunikationsregeln erlernt hat, beherrscht es, sie gegenüber seinen Gesprächspartnern einzusetzen und sie dazu zu bringen, „sich ins Gespräch einzubringen“, von ihren Problemen und Schwierigkeiten zu reden, also einzugestehen, daß sie mit sich selbst nicht fertig werden. Er liegt beständig auf der Lauer, einen Anlaß zu finden, die Gesprächspartner dazu zu veranlassen, über sich zu reden. Hat er das Gefühl, daß jemand abschaltet oder sich nicht mehr in der Diskussion engagiert, fordert er ihn auf, seine Position zu dem Thema darzustellen oder offen zu legen, warum er sich jetzt nicht mehr beteiligt:

„Störungen haben Vorrang, d.h.: das Gespräch wird so lange unterbrochen, bis eine Lösung für die Störung gefunden ist.“ oder:
„Unterbreche das Gespräch, wenn Du nicht mehr folgen kannst, aus welchem Grund auch immer, denn sonst hast Du nichts von der Gruppe und die Gruppe nichts von Dir.“

Und damit jemand sich bereit erklärt, sich zum Gegenstand der Verhandlung machen zu lassen und sein Angewiesensein auf die anderen zuzugestehen, sind alle Angriffe auf ihn erlaubt, Willkür ist geboten.

Sei es, daß man seinem Gesprächspartner unterstellte Gefühle oder Regungen so anhängt, daß er nicht umhin kann, dazu Stellung zu nehmen, sei es, daß man eigene Empfindungen oder Gefühle in die Debatte wirft, um den Betroffenen zu verpflichten, als Reaktion darauf sich selbst zu bespiegeln.

„Beobachte Signale aus deiner Körpersphäre und Signale dieser Art auch bei den anderen Teilnehmern.“

Weiß der Student mit diesen Regeln umzugehen und sie gegen sein Gegenüber ins Feld zu führen, hat er bereits einen wichtigen Fortschritt in Sachen Umgang mit anderen erzielt. Auf das, was jemand sagt oder will, hat er sich angewöhnt, keine Rücksicht mehr zu nehmen. Er versteht es, sein Gegenüber von vornherein als jemanden zu nehmen, der mit sich Schwierigkeiten hat und darum darauf angewiesen ist, daß andere ihm sagen, was er machen soll. Auch wenn der sich dagegen wehrt, ist das nur als ein Zeichen dafür zu werten, wie schwer es ihm fällt, sich selbst einzugestehen, daß er hilfsbedürftig ist. Indem man das Gegenüber beständig dazu zwingt, darauf zu achten, ganz selbst zu sein, spricht man ihm gerade ab, daß das, was es macht und sagt, sein eigener Wille ist.

„So ist jeder der Vorsitzende, der Chairman seines eigenen »inneren Komitees«, der verschiedenen Strebungen, Wünsche und Bedürfnisse in ihm, mit seinen Gefühlen, Phantasien, Urteilen, Wertvorstellungen und Veränderungswünschen, die er in Beziehung zu setzen hat zu seinen eigenen seelischen und körperlichen Möglichkeiten und zu den Gegebenheiten seiner Umwelt. Durch diese Grundregel »Sei dein eigener Chairman« wird der einzelne an seine Aufgabe zur Selbststeuerung und Selbstverantwortung in der Gruppe erinnert.“

Hat man den anderen erst einmal so weit hereingelegt, daß er akzeptiert, sich selbst ein Problem zu sein, kann man ihm auch all das als Hilfe anbieten, was ein akzeptables Sozialverhalten ausmachen würde.


SO LEGT MAN DIE KLIENTEN REIN

Dafür, daß sich ein normaler Mensch auf dieses Spielchen einläßt, sind allerdings noch ein paar Kunstgriffe erforderlich. Als erstes muß der angehende Sozialarbeiter sich selbst in der Hand haben und mit seiner „Klientenangst“ fertig werden. Er muß also seine Scheu überwinden, mit Leuten, mit denen er nichts zu tun hat, deren Schwierigkeiten er sich nicht gewachsen fühlt, oder die ihn vielleicht einfach abstoßen, eine professionell-persönliche Beziehung einzugehen. Dazu lernt er erst einmal, daß er jeden „akzeptieren“ kann. Wenn er es schafft, mit jedem über seine persönlichen Probleme zu reden, Leuten gegenüber, mit denen er kaum etwas zu tun hat, Gefühle zu äußern (die er auch noch für echte hält), besitzt er die richtige Abgebrühtheit für seinen Job. Er ist in der Lage, Leuten, die zu ihm ins Büro kommen, die professionelle Freundlichkeit entgegenzubringen und damit eine „Vertrauensbasis“ zu schaffen, die er für seinen sozialpädagogischen Zweck ausnutzen kann. Zustimmendes gewohnheitsmäßiges Nicken, tröstend den Arm auf die Schulter legen, ohne, daß man davon selbst berührt ist, der Klient sich aber geborgen fühlt, ist die Charaktereigenschaft, die ein erfolgreicher Sozialarbeiter braucht und die mindestens so wichtig ist wie die freundliche Tapete und der gemütliche Sessel im Amtszimmer. Sich diese Charakterlosigkeit anzutrainieren, ist die andere Seite der Kommunikationsübungen. Die eigenen erheuchelten Gefühle bilden das Instrumentarium, auf andere einzuwirken.

Die Technik, ständig die eigene Person ins Spiel zu bringen, soll die Klienten dazu bewegen, ihre Distanz aufzugeben und anzufangen, sich dem Sozialarbeiter – wie einem echten Freund – verpflichtet zu fühlen. In dem, was er dem Klienten dann berufsmäßig, anhand seiner Richtlinien, an „Hilfe“ offeriert, macht er sich unangreifbar; denn er steht dem Klienten ja nicht einfach als Angestellter einer Institution gegenüber, sondern als Mensch der Verständnis, aber auch seinerseits Anspruch auf Verständnis hat, der es ja wirklich nur gut mit den anderen meint. Er versteht es, gezielt ins Spiel zu bringen, daß er natürlich bei allem, was er seinen Klienten zumutet, genauso auch selbst als Sozialarbeiter Unterstützung und Hilfe braucht. Er beherrscht es, mit seiner „Unsicherheit“
zu kokettieren, seinem Gegenüber klar zu machen, daß er selbst auch oft sich nicht zu helfen weiß und sich allein gelassen fühlt. Dem entspricht es, daß er im Interaktionstraining auch geübt hat, dann wenn es notwendig ist, auf stur zu schalten und unerbittlich „Nein“ sagen zu können.


FRÜH KRÜMMT SICH, WER ANDERE KRÜMMEN WILL!

Ein Student, der den „Umgang mit Leuten“ erlernen will und zu diesem Zweck „Kommunikation“ trainiert, setzt sich selbst einigen Peinlichkeiten und Brutalitäten aus. Natürlich schleicht sich darum auch manches Mal ein Unbehagen oder auch Ekel gegenüber der Veranstaltung ein.

Doch was soll’s. Schließlich kommt es ja nur darauf an, sich für den Beruf fit zu machen, und da ist ja von vornherein eine ganz andere Beziehung vorhanden, wo solcher Umgang mit dem Mitmenschen seine Ordnung und seine Nützlichkeit hat. Da hat man Leute vor sich, die ,,hilfsbedürftig“ sind und gelenkt werden müssen. Da muß man eine „Vertrauensbasis“ schaffen, durch die eigene „akzeptierende Haltung“ seinem Gegenüber die Möglichkeit geben, sich auszusprechen und seine Probleme vorzutragen. Der angehende Sozialarbeiter weiß also sehr wohl zu unterscheiden. Was für ihn manchmal recht peinlich ist, wenn der Dozent oder Kommilitone in einem rumbohrt, was ihm als Zumutung erscheint, wenn man ihn nicht ernst nimmt und ihm Probleme unterjubelt – gegenüber seinen Klienten in dieser Weise aufzutreten, ist für ihn etwas ganz anderes. Hier ist es ganz selbstverständlich, eine Technik, die man als Sozialpädagoge beherrschen muß, – Transaktionsanalyse z.B.: Äußerungen der Klienten danach zu sortieren, ob sie auf der Ebene des „Erwachsenen-, Eltern- oder Kinder-Ich“ formuliert sind, womit man ihnen dann klar machen kann, daß sie irrational reagieren, wenn sie sich z.B. über etwas ärgern, Zumutungen ablehnen usw., – also sich einfach über ihren Willen hinwegsetzen und sie nicht für voll nehmen. Da hat man auch keine Hemmungen, Leuten klarzumachen, ihr Elend liege darin, daß sie eine falsche „psychologische Position“ zu sich selbst einnehmen würden, sie müßten zunächst einmal lernen, sich „o.k. “ zu fühlen (Berne) und dann auch die Einstellung bekommen, andere als „o.k.“ gelten zu lassen. Als professionelle Fähigkeit ist dem angehenden Sozialprofi der brutale Umgang mit dem Mitmenschen eine Tugend.–Verständnisvoll und einfühlsam, ganz Mensch, kann er dem Klienten Mensch klarmachen, daß es vor allem er selber ist, der sich zusammenzureißen hat.

Fortsetzung

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aus: Bremer Hochschulzeitung Nr 1, 1979

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