RECHTSAUSBILDUNG FÜR SOZIALPÄDAGOGEN Das soziale Herz auf dem rechten Fleck
Was dem angehenden Sozialpädagogen jedoch noch viel mehr am Recht mißfällt, ist die Tatsache, daß er in den diversen Paragraphen oftmals seine Intentionen gar nicht mehr wiederfindet. An der Verwandlung der gängigen Probleme, mit denen er befaßt sein wird, in Rechtsfälle vermißt er das rechte Verständnis für die zum Problem Gewordenen, ohne das – so sein Bekenntnis – auch keine echte Hilfe zu gewährleisten sei. Doch die Notwendigkeit, sich mit diesen Bestimmungen zu befassen, liegt auf der Hand: „In der sozialpädagogischen Arbeit ist die Kenntnis rechtlicher Bestimmungen unerläßlich geworden, da verschiedene Rechtsnormen auf die tägliche Praxis der Sozialpädagogen einwirken.“ (Schleicher) Und so begleiten den Studenten durch alle Studienabschnitte hindurch allgemeine und nach Studiengängen spezifizierte Unterweisungen hinsichtlich des ,Juristischen Aspekts“ seines späteren Tätigkeitsfeldes. Ob nun die Sozialpädagogen wirklich eine gegenüber den bornierten juristischen Gesichtspunkten überlegene Betrachtungsweise besitzen oder ob nicht vielmehr beides sich prächtig ergänzt – die juristische Einweisung der angehenden Helfer der Menschheit belehrt sie in diesem Punkt ebenso eindeutig wie in allen Detailfragen der Rechtsmaterie.
Dabei präsentiert sich schon die Zubereitung der Fälle als durchaus aufgeschlossen für die Intentionen ihres Berufsstandes; das in den anderen Teilen der Ausbildung geübte sozialpädagogische Beurteilungsvermögen ist voll gefordert: „Frau A., 35 Jahre alt, hat zwei Kinder im Alter von 13 und 14 Jahren und erwartet ein drittes Kind. Ihr 40jähriger Ehemann ist Hilfsarbeiter. Wegen Trunkenheit und ständigen Reibereien mit Arbeitskollegen verliert er immer wieder seinen Arbeitsplatz. Das Jugendamt wird von den Nachbarn angerufen, die mitteilen, die Kinder würden häufig von ihrem betrunkenen Vater geschlagen und trieben sich nachts herum. Und für das, was der angehende Sozialarbeiter an diesem Fall lernen soll, hat ihm die Schilderung der Familie A. schon die notwendigen Hinweise gegeben: Daß Herr A. sich über die Drecksarbeiten aufregt, die man für den kümmerlichen Lohn eines Hilfsarbeiters geduldig zu verrichten hat, und über die Schikanen, die man als minderwertige Arbeitskraft ebenso ruhig über sich ergehen zu lassen hat, darf nicht interessieren, weshalb die Folgen eben dem streitsüchtigen Charakter von Herrn A. zugeschrieben werden. Daß er seine Kinder verprügelt, paßt auch ins Bild. Daß es zu unerträglichen Situationen kommen muß, wenn Herr A. abgeschlafft und gereizt nach Hause kommt und seine Kinder herumtoben und Ansprüche anmelden, anstatt auf Zehenspitzen durch die Wohnung zu schleichen, weil sie noch nicht gelernt haben, sich zusammenzureißen, eben weil sie noch Kinder sind – darauf kommt es nicht an: Herrn A. muß der Sozialpädagoge als jemanden betrachten, der sich nicht unter Kontrolle halten kann und sich seinen Kindern gegenüber nicht so aufführt, wie es sich gehört. Und auch die Methode, mit der Herr A. versucht, mit seiner trostlosen Lage „zurechtzukommen“, durch Alkoholkonsum wenigstens das Bewußtsein davon zeitweilig abzutöten, trennt die sozialpädagogische Betrachtungsweise säuberlich von den Gründen, die Herr A. dafür hat: er leidet nun einmal an „Trunksucht". Genug: So wie Herr A. sich zur Welt stellt, aufgrund seiner Streitsüchtigkeit und Säufematur „verliert er immer wieder seinen Arbeitsplatz“ (nicht, daß ihm gekündigt würde!). Er verschuldet also das Unglück seiner Familie. Ebenso Frau A.: womit sie konfrontiert ist, daß der Mann nicht nur zu wenig Geld für ein halbwegs anständiges Leben mit nach Hause bringt, sondern auch noch den Ärger über seine elende Lage an der Stelle ausläßt, wo er keine Kündigung riskiert, hat nicht zu interessieren. Relevant ist allein der Sachverhalt, wie sie sich dazu stellt. Sie ist den „Schwierigkeiten“ nämlich „nicht gewachsen “.
Damit ist alles Notwendige gesagt: Denn, wie schon der Name sagt, hat sich die Familienfürsorgerin und mit ihr der Student nicht um Herrn und Frau A. als weniger glückliche Exemplare der Wohlstandsgesellschaft zu kümmern, sondern um Herrn und Frau A. als Eltern, und in dieser Eigenschaft bleibt ihnen – dank der eindeutigen Zubereitung der Sachlage ein harter Vorwurf nicht erspart. Sie haben in der Erfüllung ihrer elterlichen Pflichten sträflich (im wörtlichen Sinn, wie der Sozialpädagogikstudent noch lernen wird) versagt. Ihre Kinder benehmen sich nämlich nicht so, wie sie sollen, sind als Schulschwänzer, Streuner und Gelegenheitsdiebe schon halbwegs in eine kriminelle Karriere eingestiegen und die Eltern – wie die Fürsorgerin scharfsinnig bemerkt In Gestalt dieser scheinbar neutralen Darstellung der Sachlage hat der Student sehr eindeutig gesteckt bekommen, wie er die Familie A. zu betrachten hat. Daß deren Lebensbedingungen rundum beschissen sind, darauf hat er keinen Gedanken zu verschwenden. Worauf er sein Augenmerk zu richten hat, ist ausschließlich die Tatsache, daß Familie A. „sozial kaum tragbare“ kleine A.’s hervorbringt. Skrupel gegenüber dieser brutalen Sichtweise muß man mit den von den anderen Fächern gelieferten „Erklärungen“ erledigen: wenn Millionen anderer Hilfsarbeiter mit ihrem ebenso miesen Job und dem ebenso geringen Lohn ordentlich bleiben und deren Familien, wenn auch genausowenig Stätten von Freude und Glück, doch „funktionieren“, na dann ist Familie A. – eben nicht „normal“. Was das bedeutet, veranschaulicht der Fall: „normal“ ist, wer den Anforderungen genügt, die von seiten „der Gesellschaft“ an ihn gestellt werden. So hat der Student unterderhand auch schon die erste Lehre geschluckt, wie vom Standpunkt des Rechts aus die Familie zu betrachten ist: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht“. Über die pflichtgemäße Ausübung des Rechts „wacht die staatliche Gemeinschaft“. (Art. 6 Abs. 2 GG) Die unschöne Wahrheit über das ,,natürliche Recht“ der Eltern, daß es ihnen gleichzeitig als Pflicht auferlegt ist, daß der Kindesliebe also offensichtlich einiges im Wege steht, die „staatliche Gemeinschaft“ nichtsdestotrotz aber die Eltern dazu zwingt, diese unangenehme Eigenschaft des Elternrechts wahrzunehmen, wäre für einen Sozialpädagogen eine Gedankenverirrung. Ganz im Gegenteil: er hat hier den Standpunkt der „staatlichen Gemeinschaft“ einzunehmen, die vermittels seines sozialpädagogisch geschulten Sachverstandes über die „pflichtgemäße Ausübung“ des Elternrechts „wacht“. Nachdem dieses hier nicht der Fall ist, muß er sich die Palette von Handlungsmöglichkeiten vergegenwärtigen, die das Recht zur Beendigung der elterlichen Pflichtvergessenheit bietet und unter denen er auszuwählen und nach Maßgabe der sozialpädagogischen Kriterien zu entscheiden hat: „In einem Sachverhalt wie diesem ... hat (die Sozialarbeiterin) die Möglichkeiten und Grenzen eines sozialpädagogischen Behandlungsprozesses zu erwägen. Sie wird eine sozialpädagogische Analyse der Familiensituation, eine Prognose der möglichen Entwicklung und einen sozialpädagogischen Handlungsentwurf erstellen. Der Handlungsentwurf ist dann auf seine gesetzlichen Voraussetzungen hin zu überprüfen und zu korrigieren und so zu einem realisierbaren Handlungsplan fortzuentwickeln. ... Aus den Erhebungen zur Familiensituation können sich folgende Handlungsmöglichkeiten ergeben.
An diesem schönen Katalog von Handlungsmöglichkeiten, die das Recht dem „Behandlungsprozeß“ an die Hand gibt, läßt sich nun allerdings eindeutig ablesen, wozu das besondere sozialpädagogische Augenmaß, dessen Perspektive die Schilderung der Sachlage bereits allzu deutlich gemacht hat, verlangt wird. Möglichkeit 1, Strafanzeige gegen die Eltern, ist nämlich für den Sozialpädagogen z.B. schon nicht empfehlenswert: Ein Jurist könnte so entscheiden mit seinem Argument, daß Unrecht Unrecht ist und geahndet werden muß; der Sozialpädagoge aber soll sich die Frage vorlegen, was mit den kleinen A.’s geschieht. „Pflege und Erziehung“ sind bei den Bedingungen von den Eltern auch mit Strafe nicht zu haben. Ins Gefängnis gesteckte Eltern erziehen noch weniger und das Geld für eine Strafe, woher nehmen, ohne zu stehlen? Der gelehrige Sozialpädagoge schaltet daher auf „Hilfe“ um. Zu deren Gewährung muß er allerdings die Verhältnisse der Familie A. noch einer genauen – juristisch versierten – Besichtigung unterziehen, die den berechnenden Charakter der Hilfe und damit auch ihre wenig freundlichen Absichten unmißverständlich zum Ausdruck bringt: „Die Familienfürsorgerin wird noch klären müssen, ob z.B. wirtschaftliche Hilfen (Sozialhilfe) die Familiensituation erträglicher machen könnten, ob eine Beratung und Unterstützung der Eltern und der Kinder durch das Jugendamt oder einen Erziehungsbeistand Erfolg versprächen ...“, was nach der Schilderung des Falles, angesichts der Trunksucht von Herrn A. (das Geld wird doch bloß versoffen) und der resignierten Frau A. wohl so gut wie ausgeschlossen ist. Rausgeschmissenes Geld, das sich Sozialamt und Jugendamt sparen können. Der Sozialarbeiter hat nun zu prüfen, ob etwa die Voraussetzungen für die Gewährung einer FEH gegeben sind, wozu die Voraussetzungen des § 62 JWG gegeben sein müßten. Dazu hat er die Verhältnisse in der Familie A. unter die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu subsumieren: „sind die Kinder minderjährig“ „ist die leibliche, geistige oder seelische Entwicklung gefährdet“, „ist die Maßnahme geboten“ und „sind die Personensorgeberechtigten (ein Titel, den die Eltern ihrem vom Staat geschützten „natürlichen Recht“ verdanken) förderungsbereit.“ Daß die Abstraktionen von allen Gründen, warum es in der Familie so und so aussieht, die die Beurteilung anhand der Paragraphen verlangt, eine ungemütliche Angelegenheit ist, stellt sich spätestens an den Konsequenzen heraus. So sich nämlich die Eltern als ihrem staatlicherseits garantierten Titel unwürdig erwiesen haben (wann das der Fall ist, entscheidet sich am Maßstab der „normalen“ Brutalität: wenn Prügel als „erzieherische Ohrfeige“ den Kindern beibringen, was rechtens ist, sind sie durchaus nicht zu verachten), dann ist auf ihre „Bereitschaft“ auch geschissen und die Rücksichtslosigkeit der juristischen Betrachtungsweise entpuppt sich als der theoretische Auftakt zu einer ebenso rücksichtslosen Praxis: „So, wie sich die Situation zum jetzigen Zeitpunkt darstellt, könnte auch gegen den Willen der Eltern eine Heimunterbringung im Rahmen der FE erfolgen, da beide Kinder bereits stark von der Norm abweichen.“ Alles klar? Die Not der Familie A. hat man als sozialpädagogischer Helfer von einem Standpunkt aus zu besichtigen, der darin ausschließlich eine ziemlich ungünstige Bedingung für die Erfüllung der Aufgabe sieht, die zu erfüllen das Recht der Familie vorschreibt. Die Hilfe, auf deren Zwecke das Fach Recht die Studenten verpflichtet, bemißt sich dementsprechend nicht an dem, was die Leute brauchen, sondern ausschließlich daran, wie die Erziehungsfunktion, die nach dem Willen des Gesetzes erfüllt werden muß, doch noch gewährleistet werden kann. Statt an das Elend der Familie auch nur einen Gedanken zu verschwenden, kreisen alle Überlegungen der Sozialarbeit darum, wie bei bleibendem Elend durch die Anwendung staatlicher Zwangsmittel aus den kleinen A.’s doch noch pflichtbewußte, auch in der Not anständig bleibende Staatsbürger gedrechselt werden können. Um die großen A.’s geht es deshalb bei der Aufzählung von Hilfsmaßnahmen sowieso nicht mehr – sie kommen nurmehr als wenig verläßliche Funktionäre der rechtlich erwünschten und per Sozialarbeit durchzusetzenden Erziehung in Betracht. Eltern und Kinder auseinanderzuhauen ist in diesem Fall eindeutig die beste „Hilfe“. Ob die Eltern an ihren Blagen hängen oder umgekehrt, auf solche Kleinlichkeiten will die Familienfürsorge keine Rücksicht nehmen. Schließlich gilt es ja die „geistige und seelische Entwicklung“ doch noch in die rechte Bahn zu lenken und wenn es um diesen edlen Zweck geht, um dessentwillen die Familie in den Genuß des staatlichen Schutzes kommt, muß sie notfalls eben auch dran glauben. Umgekehrt wäre die Perspektive allerdings auch nicht rosiger. Gesetzt den Fall, die Familienfürsorgerin würde der „Familiensituation “ immer noch einen größeren „erzieherischen Einfluß “ Zutrauen als der Heimerziehung, so wäre die Misere der Familie A. auch für ihre Sprößlinge nicht aus der Welt geschafft. Mit guten Ratschlägen der Art, sich im Anblick von Frau und Kindern mehr zusammenzureißen, wird ein Erziehungsbeistand Herrn A. seinen beruflichen Ärger auch nicht ausreden können; auch mit ein paar DM Sozialhilfe mehr zieht nicht der Wohlstand bei den A.’s ein, ein Moped, das die Kinder haben wollen, springt sicher nicht heraus. Auch ein weniger oft prügelnder Vater bleibt ein prügelnder Vater; Geldsorgen hat Frau A. nach wie vor; die Kinder dürften an den Sorgen der Eltern weiterhin auf eine wenig erfreuliche Weise partizipieren und kämen zudem in den Genuß der Tante vom Jugendamt und ihrer öden Ermahnungen, brave Kinder zu sein und regelmäßig die Schule zu besuchen. Würde die „staatliche Gemeinschaft“ also zugunsten ihrer „Keimzelle “ entscheiden und die Familie sozialpädagogisch zum erzieherischen Zusammenhalten nötigen, angesichts der Armut, mit der die A.’s nach wie vor gezwungen sind, auszukommen, und deren Konsequenzen für den Nachwuchs, müßten jedem, der es wissen will, die Wahrheit über das staatliche Interesse an dieser Institution aufgehen und all die sentimentalmoralischen Phrasen über den Grundwert Familie im Hals stecken bleiben.
Den Handlungsspielraum in Gestalt der diversen Paragraphen bietet das Recht dem Sozialpädagogen also nicht umsonst: seine besondere Einschätzung der Lage und sein differenziertes Eingreifen ist gerade deswegen gefragt, um der Absicht der Paragraphen vollends gerecht zu werden. Wenn sich Sozialarbeiter gerne von den anderen Funktionären des Rechts absetzen, die die Leute bloß dingfest machen und verknacken wollen, ihrem Berufsstand dagegen ein ganz anderes, gegenüber dem kalten Recht menschliches, Verständnis für den Einzelfall zugutehalten, so ist dieses Hochgefühl fehl am Platz. Sind sie doch auch nichts anderes als Vollzugsorgane des Rechts, allerdings besondere aufgrund der besonderen Opfer, die das Getriebe der rechtlichen Ordnung hervorbringt. Die Gerechtigkeit des freien Wettbewerbs, an dem sich einige mit ihrem Eigentum, die meisten allein mit ihrer Arbeitskraft beteiligen, wobei sie sich, je niedriger der Lohn, umso mehr ruinieren müssen, kommt nun einmal ohne Verlierer nicht aus und ein bestimmtes Quantum sozialer Ausschuß, der unter diesen Bedingungen seine Existenz nicht zu sichern in der Lage ist, gehört dazu. Was man schon daran sehen kann, daß er in Gestalt des sozialpädagogischen Berufsstandes offiziell anerkannt ist. Ein Staat, der Sozialarbeiter bezahlt, rechnet einen bestimmten Prozentsatz Elend als notwendige Begleiterscheinung der Marktwirtschaft, die er unterhält, mit ein. So schafft sich die gerechteste und freieste aller Gesellschaften regelmäßig eine Anzahl von Leuten, denen, weil sie daran zugrundegehen, der nötige Respekt vorm Recht fehlt. Die rechtlich geregelten Verhältnisse, die Herrn A. dazu zwingen, mit seinem kümmerlichen Lohn zurechtzukommen, bringen die Kinder A. z.B. auf den Gedanken, sich das, was ihnen verwehrt ist, was sie aber im Besitz nicht nur ihrer Schulkameraden vor Augen geführt bekommen, auf unrechtliche Art und Weise zu besorgen. Mit solchen „Fällen“, d.h. Leuten, die gegen Gesetze verstoßen, die nicht das wollen, was sie sollen, haben nun Rechtshüter wie Sozialpädagogen gleichermaßen zu schaffen, aber mit unterschiedlichem Auftrag. Der Richter nimmt sich zunächst nur den Rechtsbruch vor, für den er den Täter zur Verantwortung zieht, indem er ihn verurteilt und ihm seine gerechte Strafe zukommen läßt. Gründe für die strafbare Handlung interessieren ihn dabei nur soweit, als sie für die Einschätzung der Straftat von Belang sind – ob mit Vorsatz oder ohne, im Affekt oder aus Berechnung. Dadurch, daß derjenige, der sich gegen irgendwelche Paragraphen vergeht, gestraft wird, sorgt der Richter für die Aufrechterhaltung des Rechts. Strafe muß sein, und erst im nachhinein bei der Entscheidung darüber, wie gestraft werden soll, kommen Überlegungen ins Spiel,wie auf den Täter Einfluß bezüglich seines späteren Lebenswandels genommen werden oder welche, auch vom rechtlichen Standpunkt unerwünschten Auswirkungen die Art der Bestrafung haben kann. So erwägt ein Richter, der eine prügelnde Mutter verurteilt, die Folgen für deren Kinder: „Würde er nicht Erika Langenstamm einsperren müssen, wegen der gräßlichen Dinge, die sie ganz offenbar getan hat? Soll er dann aber verantworten, daß die beiden anderen Kinder auch noch ins Heim müssen?“ (Süddeutsche Zeitung, 11.2.79), stellt diese Frage jedoch hinter das zurück, was von Berufs wegen seine Aufgabe ist: „Der Staat muß deutlich machen, daß er die Kinder nicht ohne Schutz läßt“, wobei er sich nur die kleine Lüge gestattet, seine Amtshandlung mit dem Wohl der Kinder zu rechtfertigen, was schon das Beispiel der Kinder von Erika Langenstamm, die ins Heim müssen, widerlegt. Es geht nicht um die Kinder, sondern um die Vollstreckung der Paragraphen, auf die der Staat Eltern verpflichtet und für deren Nichtbeachtung sie nun einmal zur Rechenschaft gezogen werden. Anders der Sozialpädagoge: was sein Kollege Richter als zusätzliche Reflexion anstellt, wie der Täter wieder in rechtliche Bahnen gelenkt bzw. die von der Strafe in Mitleidenschaft gezogenen Kinder darin gehalten werden können, ist seine ausschließliche Betrachtungsweise. Er sieht daher im Täter das Opfer; wo der Richter Verfehlungen konstatiert, sieht er Schwierigkeiten, die der Mensch im Zurechtkommen mit der Normalität hat. Wo der Richter straft, will er bessern, d. h. den „Fall“ dazu bewegen, seine Wünsche und Unternehmungen in Zukunft nur noch im Rahmen dessen zu halten, was erlaubt ist und sie andernfalls aufzugeben, woran man schon sehen kann, daß seine freundlicher anmutende Bezeichnung des Täters als Opfer für das Objekt auch nichts Gutes bedeutet. Solche Tätigkeit schließt natürlich nicht aus, daß man mit dem Zuschlägen der Staatsgewalt droht, wenn man es mit Klienten zu tun hat, die sich nicht ändern wollen. Aber einen sozialpädagogischen Erfolg möchte man am liebsten darin sehen, wenn man die Übernahme des Falls durch die Staatsanwaltschaft verhindern kann. Um solcher langfristigen Ziele willen drückt man da als Sozialarbeiter auch schon mal ein Auge zu, nicht ohne dem Klienten mehr oder minder deutlich unter die Nase zu reiben, daß er sich dafür in ganz bestimmter Weise erkenntlich zu zeigen hat.
Gerade weil Sozialarbeiter auf ihre Weise bessere Polizisten sein wollen, stoßen bei ihnen auch Vorschläge wie der des Kölner Polizeipräsidenten zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, auf fachmännische Verachtung: „Speziell ausgesuchte Beamte, väterliche Typen im fünften Lebensjahrzehnt, sollen sich künftig um die besonders anfällige Klientel kümmern – dort, wo sie sich trifft, in Diskos und Kneipen. Der Kölner Jugendpolizist ... soll ... regelmäßig »kriminogene Örtlichkeiten sowie Treffpunkte Jugendlicher« überwachen und »Kontakte zu Jugendlichen« halten – das alles »in voller Uniform«. Im Jugendkommissariat sind »Karteien anzulegen sowohl über tatverdächtige Strafmündige als auch über gefährdete und tatverdächtige strafunmündige Minderjährige«. Die Berufsaufgabe der Sozialpädagogen, die Reduktion sozialer Störfaktoren, ist nicht zu bewältigen, ohne deren Vertrauen zu gewinnen, schließlich sollen sie sich ja unter der sozialpädagogischen Obhut die geistige Uniform der Achtung vor den Gesetzen, unter denen sie zu leiden haben, freiwillig überziehen. Und bei diesem „Behandlungsprozeß“ stört die allzu aufdringlich uniformierte Erinnerung an die Staatsgewalt bloß. Wenn die Sozialpädagogen die Jugendlichen als „Opfer“ ansehen, dann bedeutet dieser „Denkansatz“ nicht, daß sie gegen das sind, was diese Opfer schafft, sondern daß sie an ihnen gerne noch etwas drehen wollen – daß sie es nicht aufgeben, aus ihnen noch für diese Gesellschaft taugliche Menschen zu machen. Deshalb wollen sie ihnen auch als ganz ziviler Freund und Helfer nahetreten.
Von diesem Standpunkt aus haben freilich die meisten Sozialarbeiter nicht nur etwas gegen ihre Kollegen mit dem Gummiknüppel, sondern auch gegen einzelne Gesetze einzuwenden. Angesichts des Falls der Familie A. wird nicht nur dem Studenten, der mit der Sozialarbeit noch andere Vorstellungen verbindet, als Kinder ins Heim einzu weisen, sondern auch dem praktizierenden Sozialarbeiter auffallen, daß er mit dieser „Lösung“ des Falls nicht völlig zufrieden ist. Die allgemein bekannte Tatsache einerseits, daß die Heimerziehung einen nicht unerheblichen Prozentsatz ihrer Zöglinge endgültig in eine Kriminellen- oder Asozialenexistenz entläßt, die ziemlich total verhunzte Familie A. andererseits, die ihren Kindern auch keine wesentlich andere Perspektive eröffnet – eine Berufspraxis mit solchen Alternativen führt zu der Kritik, daß die rechtlichen Regelungen ihm, dem Sozialarbeiter, eigentlich bloß Knüppel zwischen die Beine werfe und keine effektive Behandlung solcher Fälle ermögliche. Kritische Sätze der folgenden Art tauchen daher in der Ausbildung ebenso häufig auf wie in den notorischen Beschwerden der Sozialarbeiter über ihren Job: „Bei der Betrachtung der gesetzlichen Regelungen der Jugendhilfe nach dem JWG wird ersichtlich, daß die Jugendhilfe »aufgrund ihrer Konstruktionsfehlers«“ (zu dumm!) „in ihrem gesetzlichen Aufbau nur als Individualhilfe bei bereits eingetretenen »Unglücken« eingreift und dann versucht, diese wieder gutzumachen ... Einen Sozialpädagogen interessiert nichts weniger als der Grund, warum die Jugendhilfe so aussieht, wie sie aussieht. Er legt sich stattdessen lässig ein Wunschbild anderer staatlicher Zustände zu, unter denen nicht er allein auf verlorenem Posten, sondern alle Bürger gemeinsam sozialpädagogisch aufgerüttelt an der Verhütung der unglückseligen „Unglücksfälle'' mitwirken: „Das heißt, es müßte Allgemeingut werden, daß Jugendhilfe eigentlich (!) nicht allein (!) individuelle Hilfe ist, sondern strukturelle (= gesellschaftspolitische) Veränderungen bewirken müßte mit dem Ziel, durch Politisierung des Bürgers und damit Auslösen sozialer Mobilität eine humane Gesellschaft zu erreichen.“ Kritische Sozialpädagogen sind also Rechtsfanatiker besonderer Art: die „Unglücke'', mit deren Verwaltung sie betraut sind, erklären sie zu „Sozialisationsdefiziten''. Nicht die Not läßt die Betroffenen mit ihrer Verpflichtung auf die rechtliche Ordnung kollidieren, den Unglücksfällen ist das Rechtsbewußtsein, der innere Polizist, nicht früh und wirkungsvoll genug eingetrichtert worden. Abhilfe schaffen daher „strukturelle Veränderungen", wobei der strukturell Denkende natürlich nicht so banale Dinge ins Auge faßt wie die Beseitigung all der Trostlosigkeiten, die das Hilfsarbeiterdasein von Herrn A. ausmachen; nein, eine Politisierung der Bürger ist fällig (mehr Staatsbürgerkunde für Herrn A., damit er beim Abendessen mit seinem Nachwuchs ein gepflegtes Gespräch über die Schönheiten unserer Demokratie führen kann?), und dann gibt es „soziale Mobilität". (Der politisierte Herr A. vermeidet Sozialisationsdefizite, wodurch sich seine Kinder auch als Unterschichtler oberschichtsmäßig korrekt aufführen lernen?) Diese strukturelle Kritik am Recht geht nicht zufällig mit derlei verschwommenen Phrasen einer „humanen Gesellschaft"hausieren. Das sozialpädagogisch ausgemalte Ideal einer Gesellschaft, die diesem Berufsstand das Leben leichter machen soll, beschränkt sich auch in der phantasievollen Ausschweifung an den rechtlichen Grenzen, für deren Erhaltung es praktisch da ist. Sich ein Heer von „politisierten Bürgern" vorzustellen, also solche, die sich die Erhaltung der Rechtsordnung so sehr zu Herzen nehmen, daß sie allüberall gleich vorbeugend auf potentielle Rechtsbrecher sozialisierend ein wirken, ist das höchste der Gefühle, wozu es solche Kritik bringt. Eine Kritik an Gesetzen vom Standpunkt der Sozialpädagogik, die meint, sie ließen nicht genügend Spielraum zur Besserung oder rechtzeitigen Beeinflussung der Täter, macht sich eben die Einhaltung dieser Gesetze zum Maßstab und will deshalb auch in der Kritik nicht von den Verhältnissen Kenntnis nehmen, zu deren Schutz das Recht da ist, worin es also seinen Grund und Zweck hat. Weil das Eigentum nun aber gerade deshalb geschützt wird, weil andere von ihm ausgeschlossen sind, kommt es dem Recht selbst auf Besserung oder Verhütung von Unrecht gar nicht an. Mit seinem ganzen Katalog von Bestimmungen kalkuliert es die Vergehen am Eigentum gerade ein und hält sich Sozialarbeiter nur zu den Zweck, die Täter in gewissen Grenzen von ihren „Neigungen" abzubringen. Das interessierte Mißverständnis der Sozialarbeiter, ganz umgekehrt müßten die Gesetze ihrem angeblichen Auftrag zur „Behebung der Symptome der Hilfsbedürftigkeit" zur Seite stehen, ist daher auch die elementare Lebenslüge ihres Berufs, die Beschwerde darüber, daß der rechtliche Rahmen ihrer Funktion nicht die Erfolgsquote zuläßt, mit der sie gerne aufwarten würden. Im Grunde gibt es also gar keinen Grund, angesichts der trostlosen Alternativen, die der Staat für den Umgang mit den Opfern dieser Gesellschaftsordnung bereitstellt, am Recht und am Staat irre zu werden. Man muß einfach nur alles auf den Kopf stellen, so tun, als wären die Sozialarbeiter nicht die einfühlsamen Aufseher für die, die „Schiffbruch erleiden“, um sie zu einem möglichst sozialfriedlichen Abfinden mit ihrer Lage zu bewegen, sondern umgekehrt, als wären die Gesetze für die eigene Klientel gemacht, um deren Integration in die bürgerliche Welt zu erleichtern. Dann läßt sich nämlich ganz einfach feststellen, daß die Gesetze noch nicht so sind, wie sie eigentlich sein müßten, also todsicher so werden, und fertig ist der Glaube an die Reform, daß sie 1. kommt und 2. sicher Gutes bringt. Wenn man dabei noch ganz kritisch sein will, sagt man auch noch dazu, daß der Staat eigentlich das Gute nicht will, dennoch aber gar nicht anders kann, als es zu tun. Etwas gehobener ausgedrückt, heißt das dann: „Obwohl diese Reformen an sich dazu gedacht sind, das jeweilige System an die genannten gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen, die dadurch bedingten Funktionsstörungen zu beseitigen und die gefährdete Stabilität wieder herzustellen, enthalten sie u.U. auch gewisse subversive, systemverändernde Elemente und Tendenzen. ... Zwar wird das jeweilige System dann immer Gegenstrategien entwickeln und an wenden, um diese disfunktionalen Aspekte an sich notwendiger Reformen aufzufangen und zu entschärfen, ihre subversiven Tendenzen zu neutralisieren und notfalls zu eliminieren. Aber es ist nicht von vomeherein ausgemacht – und theoretisch gar nicht auszumachen , was sich jeweils durchsetzen wird, der funktionale, systemerhaltende, oder der disfunktionale, systemverändemde Aspekt.“ (Graf) Nichts Genaues weiß man also nicht – darf man gar nicht wissen, um sich den Glauben an den Reformstaat und dessen unwillentliche Selbstunterwanderung nicht vertreiben zu lassen. Mit der Weigerung, vom Zweck und der eindeutigen Durchsetzung von Reformen Kenntnis zu nehmen, untermauert ein ordentlicher Sozialarbeiter seine Hoffnung auf die unausweichliche „ Verbesserung“ des Rechts, so daß er auch im Einzelfall mit den bestehenden, als unzureichend kritisierten Regelungen guten Gewissens hantieren kann. Schließlich liegt ja dort sein eigentliches
So hat schließlich auch der reformgläubige Sozialarbeiter keine Skrupel, wenn er sich völlig auf die Alternativen einstellt, die ihm die rechtlich erzwungene Not seiner Klienten vorlegt. „Was würdet Ihr denn machen, wenn ein blaugeschlagenes Kind zu euch kommt?“, ist die Standardverteidigung, mit der der Sozialarbeiter Zweifel am hilfreichen Charakter seiner Unternehmungen im Fall A. erschlägt. Schließlich kann es doch nicht schlecht sein, wenn man Kinder aus einem Milieu herausholt, in dem sie nur asozial werden. Zumindest setzt man für die Kinder „noch die beste Lösung“ durch. Daß sie den Eltern weggenommen und in ein Erziehungsheim gesteckt werden müssen, liegt doch da auf der Hand – andere Möglichkeiten gibt es ja auch nicht. Stimmt – wenn man theoretisch und praktisch sein Einverständnis dazu abgegeben hat, daß es solche Familien wie die A.’s geben muß, dann läßt sich mit dem billigen Trick, daß etwas passieren muß, noch jede sozialpädagogische Maßnahme, die auf ihre Weise die Brutalität fortsetzt, die ihre Lage der Familie A. aufnötigt, zu einem Akt reiner Hilfe und Wohltätigkeit umstilisieren. Der simple Gedanke, daß das berühmte kleinere Übel immer noch ein Übel ist, ist für Sozialarbeiter tabu: sie lassen sich nicht nur praktisch auf die Alternativen ein, vor die sie ihre staatliche Aufgabe stellt, sondern verdrehen ihre Tätigkeit im Rahmen dieser Zwänge, die die Klienten dazu nötigt, sich auf eine staatlich erwünschte, weniger störende Weise damit abzufinden, auch noch zum Dienst an der Menschheit. Mit Hilfe des Vergleichs, wie es ohne ihr Eingreifen aussähe, wird dann aus dem kleineren übel lässig eine gar nicht kleine Wohltat. Umgekehrt geben Sozialarbeiter aber auch nur allzu bereitwillig zu, daß das, was sie veranlassen ein übel ist, aber ... Hier fungiert die Klage, daß sie ja auch gar nicht so könnten, wie sie möchten, wegen der miserablen gesetzlichen Grundlagen, als die bequemste Entschuldigung für ihr Tun. Die saubere Unterscheidung zwischen den Gesetzen, an die sie sich bei der Behandlung ihrer Fälle praktisch halten, mit denen sie aber ganz und gar nicht zufrieden sind, und ihrem eigentlichen guten Willen, der leider bloß nicht zum Zuge kommt, erlaubt auch dem kritischen Sozialarbeiter, seine staatlich verordnete Aufgabe zufriedenstellend zu bewältigen. Zwar weiß er durchaus, was er damit den Leuten antut, hält aber mit dem Hinweis darauf, daß er ganz anders wirken möchte, nur nicht kann, sein Gewissen rein. Daß Sozialarbeit leider nun einmal nicht anders zu machen ist, ist auch eine Form des Einverständnisses, die dafür sorgt, daß sie weiter so gemacht wird. Als letztes schließlich kann man daher auch noch ins Feld führen, daß es immer noch darauf ankommt, wie die gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung gebracht werden. Stimmt – wenn die Familienfürsorgerin den Kindern ein Spielzeug mitbringt und mit den Eltern noch ein freundliches Gespräch anzettelt, sieht das Heim hinterher sicher viel schöner aus. Als diese Sorte von Rechtsvollstreckem, die sich auf der einen Seite ihre kritische Nörgelei gegen’s Recht hält, daß es prinzipiell verbesserungsbedürftig = aufgeschlossener für die sozialpädagogischen Absichten sein müßte, und sich auf der anderen Seite, versehen mit diesem guten Glauben, ganz und gar unkritisch mit der Exekution ihres Rechtsauftrags an ihren Klienten befaßt, sie mit Hilfe des sozialpädagogischen Instrumentariums von Drohung, Anschleimerei, Überredung und Gewaltmaßnahmen auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, gehört zum Sozialarbeiter schließlich auch die feste Überzeugung, daß es ohne Recht nicht geht. „Ordnung muß sein“ – diese Weisheit hat daher in der Ausbildung ihren festen Platz. „Ohne Recht wäre ein friedliches Zusammenleben in größeren Gesellschaften nicht möglich. Es hieße, die Menschen unzulässig (!) idealisieren, wollte man annehmen, ein Mindestmaß (!) an rechtlicher Ordnung könnte sich irgendwann erübrigen. Ohne eine solche Ordnung wäre niemand vor Übergriffen anderer geschützt. Zu den Zielen jeder Rechtsordnung gehört also die Gewährung der persönlichen Sicherheit und der notwendigen Lebensbedingungen des Menschen.“ (Telekolleg) Das übliche sozialkundliche Verfahren, großzügig über all das hinwegzusehen, was die Rechtsordnung hierzulande zur unumstößlichen Einrichtung erklärt und was sie damit den weniger glücklichen Mitgliedern dieser Gesellschaft antut, und stattdessen hinter allem den ewig gleichen Neandertaler zu entdecken, der mit seiner Keule hinterm Busch auf den Artgenossen lauert – diese Einschwörung auf den Staat wird dem angehenden Sozialpädagogen natürlich standesgemäß nahegebracht: selbstredend wünscht man sich ein „Mindestmaß an rechtlicher Ordnung“. Versehen mit der nötigen kritischen Distanz, derzufolge natürlich möglichst wenig Recht und möglichst viele freiwillig handelnde Menschen das Idealbild von Gesellschaft darstellt, bekommt aber auch der Sozialpädagogik-Student das unerläßliche Credo des Staatsdieners verpaßt, daß „letztlich“ Staat und Recht sein müssen, weil Mensch böse ... Und wer sich diese Auffassung zu eigen gemacht hat, der stört sich auch nicht mehr an der unverschämten Behauptung, daß das Recht dazu da sei, die Lebensbedingungen des Menschen zu sichern. Wenn der tagtägliche Aufmarsch von Leuten, die das Gegenteil am eigenen Leib verspüren, in der Praxis des Sozialarbeiters das auch aufs anschaulichste widerlegt, dann empfiehlt es sich, auf die Segnungen des Rechts auszuweichen, die auch diesen Fällen noch zugute kommen (die ja – unter uns gesagt – auch nicht ganz unschuldig an ihrer Lage sind). Da haben sie ja zum Beispiel einen rechtlich gesicherten Anspruch auf Sozialhilfe, auf behördliche Unterstützung gegenüber Mietwucher, auf die Einweisung ins Heim und allerlei andere schöne Dinge. Daß es bei all diesen Errungenschaften jedoch nicht darum geht, den Leuten das zu verschaffen, was sie brauchen, sondern das, was ihnen rechtlich zusteht – und den Unterschied kann jeder daran merken, mit wieviel Sozialhilfe beispielsweise die solcherart Berechtigten auszukommen gezwungen sind – diese kleine Differenz wiederum kann der nunmehr auch rechtsphilosophisch gebildete Sozialarbeiter mit dem Hinweis erledigen, daß so wie der Mensch auch das Recht nun einmal unvollkommen ist und deshalb in seiner jetzigen Form immerhin das beste, was zu haben ist: „Keine Rechteordnung wird aber je die vollkommene Verwirklichung der Gerechtigkeit sein, jedem das Seine zu geben und alle gleich zu behandeln. Diese Forderungen stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander.“ (Wieso? Wenn vordem Recht doch alle gleich sind, der Kapitalist genauso wie der Arbeitslose uor den Kadi muß, wenn er silberne Löffel klaut, dann erhält doch jeder das Seine!) „Sie sind gleichsam die Pole, zwischen denen die Gerechtigkeit gesucht werden muß. Je geringer der Abstand zwischen Gerechtigkeit und der bestehenden Rechtsordnung ist, um so mehr wird das Recht von den einzelnen anerkannt und von ihrer Überzeugung getragen sein.“ (Das ist das wahre Eden des Sozialarbeiters, da gehen dann Diebe freiwillig in den Knast, weil diese Rechtsordnung ihrem Bedürfnis nach Gerechtigkeit zutiefst entspricht!) „Wo Menschen eine Rechtsordnung freiwillig anerkennen und von ihrer Notwendigkeit überzeugt sind, dort unterscheidet sich das Recht von einer bloßen (!) Machtäußerung im Gewände von Gesetzen. In diesem Sinne waren z.B. die Rassengesetze des Dritten Reiches nicht Recht“ (Wenn Hitler die Deutschen wenigstens vorher um ihre Zustimmung gebeten hätte!), „sondern Unrecht.“ (Im Grunde hätte man Hitler also bloß vor ein ordentliches Gericht bringen müssen.) (Telekolleg) Wer sich diese Überzeugungen zugelegt hat, daß das Nötigste, was die Menschheit braucht, eine ordentliche Gerechtigkeit ist, weil nicht der staatlich verordnete Ausschluß gewisser Teile der Bürger von den Dingen, die man zum Leben braucht, Rechtsbrüche hervorruft, sondern die unabänderliche Natur des Menschen, dem bereitet auch die Selbstverständlichkeit, daß das Recht Ausübung von Gewalt ist, keine Kopfschmerzen. Wenn er dies alles geschluckt hat, verfügt der Sozialpädagoge über die nötige Charakterfestigkeit für sein brutales Geschäft, den Opfern dieser Gewalt beizubiegen, daß ihr Glück einzig in der „freiwilligen Anerkennung“ und überzeugten Verteidigung der Gewalt zu finden ist, die ihnen das Leben schwer macht. Die Kinder der Familie A. und ihre übrigen Klienten werden es ihnen zu danken wissen. Das Fach Recht bildet also durchaus den harten Kern des Sozialpädagogik-Studiums: und zwar nicht deshalb, weil es den Studenten mehr Arbeit als die anderen Fächer aufhalst. Hier müssen sie all die wohlmeinenden Vorstellungen, die sie mit sich herumtragen, an den harten Realitäten der Gesetze relativieren; hier müssen sie zur Kenntnis nehmen, was sie mit den Klienten anzustellen haben und welches Instrumentarium ihnen die Gesetze dafür an die Hand geben; hier müssen sie ihr Ideal von Hilfe an dem korrigieren, was der staatlicherseits festgelegte Zweck ihres Berufsstandes verlangt. Wenn sie das aber alles leisten und sich ihre Vorstellung einer besseren Gerechtigkeit als Ergänzung daneben bewahren, dann haben sie ein gutes Examen verdient. zurück zum Anfang der Broschüre aus: Bremer Hochschulzeitung Nr 1, 1979 |