Methoden der Sozialarbeit

Charakterbildung der Sozialpädagogen


Mit den Erfahrungen, die der Sozialwesenstudent in seinen diversen Kontakten mit der Praxis macht, wird er an der Hochschule nicht allein gelassen. In eigens dafür eingerichteten Fächern „Methoden“, „Supervision“ und dergl. werden die Erfahrungen systematisch verarbeitet. Zwar gilt der Grundsatz „Jeder Fall liegt anders“ – durch solche Sprüche wird der zukünftige Sozialarbeiter davor gewarnt, sich allzu schnell Routine zuzulegen und damit die Suche nach effektiveren Wegen einzustellen –, doch sollen die Studenten sich bestimmte allgemeine Prinzipien aneignen, die für jegliche Sozialarbeiter/Klient-Beziehung unabdingbar sind.

Die Bedeutung solchen „Methoden“-Wissens wird dem Studenten dadurch nahegebracht, daß er vermittels Rollenspielen seine Unfähigkeit vorgeführt bekommt, auf Klienten adäquat zu reagieren. Zu diesem Zweck müssen die Studenten über Fälle aus ihrer Praxiserfahrung berichten, woraufhin der Dozent in die Rolle des Sozialfalls schlüpft und die Studenten sich daran abarbeiten läßt, ihn sozialpädagogisch zu beackern. Durch sein entsprechendes Reagieren auf ihre Bemühungen hat der Dozent leichtes Spiel – er weiß ja schließlich, worauf es ankommt –, seinen Zöglingen vorzuführen, daß ihre Bemühungen stets dann nichts fruchten, wenn sie nicht den Grundsätzen folgen, die er ihnen als Prinzipien beibringen will.

Liegt z.B. der Fall vor, eine Mutter sucht beim Sozialarbeiter Rat, weil ihr Sohn Drogen nimmt, so stoßen erst einmal alle die Beiträge auf Ablehnung und Verbitterung bei dem zur Mutter verpuppten Dozenten, die sie umstandslos auf Erziehungsfehler ansprechen, denn damit wird ganz offensichtlich das Prinzip verletzt, daß man sich zu allererst einmal das Vertrauen des Klienten verschaffen muß. Auch der Rat, den Jungen bald möglichst in eine Entziehungskur zu schicken, machen den „Ratsuchenden“ aggressiv, die Problemlösung muß doch gemeinsam erarbeitet werden, sonst fehlt nachher die Motivation, trotz Schwierigkeiten weiterzumachen. Schließlich ward Dozent/Mutter gänzlich verständnislos reagieren, wenn der Sozialarbeiter ihr erklären will, warum ihr Sprößling, wie so viele andere Jugendliche, Drogen nimmt – der Sozialarbeiter ist sich nämlich, wenn er solches unternimmt, nicht über den Charakter seiner Beziehung als „helfender“ und „problemlösender“ im klaren. Usw. usw.

Der Trick dieser ganzen Rollenspielerei liegt eben darin, den Studenten plastisch vorzufiihren, daß ohne die Anwendung der bestimmten Methoden, sprich: sozialarbeiterischen Handlungsprinzipien nichts zu erreichen ist. Jeder Gedanke und Einfall wird daran gemessen, ob er für das Ziel des Sozialarbeiters tauglich ist oder nicht. Und damit alle Teilnehmer dieser Unterrichtsveranstaltung auf diese Frage konzentriert sind – d.h. sich alle anderen Überlegungen aus dem Kopf schlagen –, werden diejenigen, die nicht Sozialarbeiter spielen müssen, zu Beobachtungsaufgaben abkommandiert (beobachte das verbale und nonverbale Verhalten, wie die Zielsetzung im Gespräch verfolgt wird, wie das Ziel artikuliert wird), wobei sie ihre bis dahin schon erworbenen Kenntnisse über die Sozialarbeiter/Klient-Beziehung bewähren können, indem sie ihre Beobachtung als Belege für richtigen bzw. unvollkommenen Umgang mit dem Klienten einbringen.

Die Verarbeitung der Praxiserfahrungen ist also das ständige Einpauken der Prinzipien der Sozialarbeit (wie sie in den Methodenbüchern zusammengestellt sind) anhand von Fällen.

Als erstes wird den angehenden Sozialarbeitern nahegebracht, stets daran zu denken, daß seine Beziehung zum Klienten eine ..professionelle“ ist:

„Der Caseworker geht die Beziehung zu seinem Klienten nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit oder zu seiner eigenen Genugtuung ein, sondern weil er weiß, wie er helfen kann und weil er von seiner Dienststelle zur Hilfegewährung beauftragt und berechtigt ist.“ (Perlman)

Damit ist von vornherein klar, daß der Sozialarbeiter seinen Job erfüllen soll, und da gibt es bestimmte vom Staat vorgegebene Zwecke, für die er sich stark zu machen hat. Ein Klient ist deshalb auch nicht einfach ein Mensch, der gewisse Schwierigkeiten mit dem hat, was die Gesellschaft von ihm verlangt; für den Sozialarbeiter ist er jemand, der für bestimmte staatliche Sozialmaßnahmen in Frage kommt, die ihm mit der Absicht gewährt werden, daß er sich möglichst bald wieder nach Kräften für die Gesellschaft nützlich macht, oder wenigstens ihr nicht zu sehr zur Last fällt. Oder es ist jemand, der mit staatlichen Zwangsmitteln (Fürsorgeerziehung, Bewährungshilfe und dergl.) oder pädagogischen Trimmübungen (Jugend- und Erwachsenenarbeit) dazu gebracht werden soll, sich in die Ordnung dieser Gesellschaft einzufügen.

Damit die zukünftigen Sozialpädagogen nicht einfach mit ihren menschenfreundlichen Normalvorstellungen (der Mensch, mit dem man da zu tun hat, hat es ja wirklich nicht einfach), Gefühlen wie Mitleid oder Abneigung, und Einsatzfreudigkeit (was kann man alles für den tun) an die Not herangehen, die ihnen später täglich präsentiert wird, bekommen sie eine professionelle Haltung eingebleut. Sie müssen sich stets darüber im klaren sein, als was sie diejenigen, die zu ihnen kommen, zu betrachten haben (dazu in den Methodenbüchern das Kapitel „Person“), was für sie als Sozialarbeiter von deren Nöten relevant ist („Problem“) und was sie als Vertreter bestimmter staatlicher bzw. staatlich geförderter Institutionen zu leisten haben („Platz“).


Der Aufbau der Person

Als erstes wird dem Studenten eine „Hilfe“ für seine spätere Arbeit angeboten. Er braucht sich nicht mit den „vielen Dimensionen und feinen Verflechtungen“ der Person herumzuschlagen – da wäre er ja hoffnungslos überfordert! Und außerdem wäre das eine Anmaßung, denn:

„Niemand von uns kann jemals die Gesamtheit einer anderen Person erfassen, obwohl wir (wieso wir?) uns das manchmal einbilden.“
Diese „Gesamtheit“ ist nämlich „ein Zusammenspiel von physischen, psychischen und sozialen Faktoren, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Plusquamperfekt, Indikativ und Konjunktiv), die sie (die Person) in jede Lebenssituation mit hinein trägt.“

Was sich hier so nett als Achtung der Würde des Mitmenschen vorträgt, den man nie ganz erfassen könne – wie kommt man nur auf so ein Problem! –, ist also der Auftakt dazu, ihn und seine Lebenssituation in verschiedene Faktoren zu zerlegen. Daß ein Alkoholiker z.B. Alkoholiker ist, liegt dann daran, daß er eine schlechte Konstitution hat, daß er über mangelhafte „Ichkräfte“ verfügt (der erfahrene Sozialarbeiter merkt das schon bei der ersten Begegnung, wenn der Klient nervös an seinem Jackenknopf herumfingert), daß er in der Arbeit „wenig Anerkennung“ findet, keinen „sozialen Halt“ in der Familie hat (die Frau ist ihm davongelaufen, die Kinder sind im Heim usw. usw. ...

Bei der Charakterisierung des Klienten als Faktorenbündel handelt es sich um alles andere als die diskrete Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit, mit der man zu tun hat. Statt sie ernst zu nehmen und sich um die Gründe zu kümmern, warum sich dieser Mensch mit Alkohol tröstet und sich dabei ruiniert (da käme man sehr schnell darauf, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er leben muß, alles andere als menschenfreundlich sind – weshalb er mit dem Saufen versucht, wenigstens das quälende Bewußtsein davon abzutöten –, und dann merkt man auch, daß es ein zynisches Geschäft ist, den Fehler in der „falschen Anpassungsart“ der Leute zu suchen), hat der Sozialarbeiter die Lebensverhältnisse seines Klienten daraufhin abzuklopfen, wie sie Bedingungen seiner Arbeit sind. Daß die Frau diesem Menschen weggelaufen ist, ist für den Sozialarbeiter z.B. insofern ein mißlicher Umstand, als der Klient dadurch über keine feste Bindung verfügt, was sehr nützlich für den Therapieprozeß wäre – um ihn mit seiner Sorge für seine Familie zu „ordentlichem“ Verhalten zu erpressen. Und daß er, um seinen Lebensunterhalt zu bekommen, Tag für Tag eine Arbeit machen muß, die ihn anstrengt und fertigmacht, die ihm deswegen zum Hals heraushängt, und wo er auch kaum Aussichten hat, jemals sich zu verbessern, ist dem Sozialarbeiter eigentlich wurscht. In seiner Diagnose (der Klient erfährt dort keine Anerkennung) hat er ja schon deutlich gemacht, inwiefern ihn die Arbeitssituation interessiert – als Bedingung für das Selbstbewußtsein des
Klienten. Wenn die Arbeit die Ichkräfte des Klienten mehr befördern würde, hätte der Sozialarbeiter die Möglichkeit, ihn darüber zu motivieren, von seinem störenden Verhalten Abstand zu nehmen.


Das Bearbeitungsmaterial

Ein perfekter Sozialprofi ist also der, der von vornherein jeden Menschen daraufhin taxieren kann: wo liegen Möglichkeiten bei ihm und seiner Umwelt, die der Sozialpädagoge ausnutzen kann, ihn zu ändern. Entsprechend sehen die Gesprächsprotokolle aus und der dazugehörige Kommentar, wie sie in Methodenbüchem abgedruckt sind. Hier das Beispiel der Frau C, die vom Sozialarbeiter Geld kriegen will, solange ihr Mann im Knast sitzt:

„Während der Unterredung wurden die folgenden Gebiete im einzelnen besprochen. Frau C konnte ihre Gefühle über die Inhaftierung ihres Ehemanns äußern und dann rückblickend darlegen, daß sie genügend Abstand gewonnen hätte, um die Trennung zu ertragen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Sie war in der Lage, die Beziehung zwischen ihrer bejahenden Einstellung und der ihrer Kinder zu sehen und erörterte im einzelnen die ihrer Meinung nach erreichte Anpassung.“
„Frau C’s Schilderung der Veränderung ihrer Gefühle deutet an, daß sie .Ichkräfte’ hat, die sie die Art von Belastungssituation selbst (!) meistern lassen. Ihr Bewußtsein, wie ihre Gefühle diejenigen ihrer Kinder über die Situation beeinflussen, zeigt einiges Verständnis für Eltern-Kind-Beziehungen in ihrer Familie.“ (Bravo, Frau C! Nur weiter so, dann rückt die Behörde vielleicht auch bald das Geld raus!) „Dies sind wichtige diagnostische Hinweise für den Sozialarbeiter bei der Betrachtung möglicher Hilfen für die Familie C.“ (Friedländer)

Der Sozialarbeiter, der die Prinzipien des Kapitels „Person“ sich angeeignet hat, ist also in der Lage, seine Mitmenschen parteiisch zu betrachten. Vom Standpunkt der Sozialinstitution aus beobachtet er den Klienten und horcht ihn aus, um das Material zusammenzustellen, das er braucht, um den Menschen als Sozialfall bearbeiten – d.h. zu einem funktionellen Verhalten ködern – zu können und die Mittel der sozialen Institution zweckgemäß zu verwenden. Die Methodenbücher finden für solch rücksichtsloses Vorgehen freilich noch stets Legitimationen, die diese Tätigkeit als menschenfreundliches Geschäft darstellen. An das Argument, man könne die Gesamtheit einer Person nie erfassen, schließt sich z.B. schön folgendes aus der Soziologie sattsam bekannte Argument an: Weil alles (die Welt, die Menschen) so kompliziert ist, muß man froh sein, daß es bestimmte Institutionalisierungen gibt, die das Leben „erleichtern“ und darum muß ein jeder das machen, was institutioneil vorgegeben ist:

„Glücklicherweise ist die Notwendigkeit für Caseworker, den einzelnen Menschen kennenzulemen und zu verstehen, durch seine Aufgabe umschrieben, diese Person, seinen Klienten,zu befähigen, einen erfolgreichen Weg zur Lösung seines Problems zu finden. Dazu braucht er nicht unbedingt allen Dimensionen und der Dynamik der Persönlichkeit Rechnung zu tragen. Die Natur des Problems, das die Hilfe erfordert, bestimmt unter anderen, welche Kenntnisse notwendig sind und worauf sich das Verständnis erstrecken muß.“

Hier wird also nichts von dem erklärt, was der Sozialarbeiter tut, es wird lediglich legitimiert, was er machen soll, sich gefälligst auf das beschränken, was sein Job von ihm verlangt, und alle anderen Gedanken (etwa: woran das wohl iegt, daß es in dieser Gesellschaft diese Sozialfälle gibt) sich abgewöhnen.

Hat der Sozialarbeiter erst einmal gefressen, daß ihn der Mensch nur als Fall zu interessieren hat, daß er sich in der Diagnosetätigkeit um das, was der Klient will, einen Dreck zu scheren hat, es lediglich für seine Tätigkeit in Betracht ziehen muß und danach beurteilt, wie es sich für eine Eingliederung des Klienten ausnutzen läßt, dann gibt es nur noch das Problem, sich auch den entsprechenden Zynismus in der Behandlung zuzulegen. Dazu muß er sich Folgendes klarmachen:

„Wer als Klient zu einer Sozialdienststelle kommt, leidet immer unter einem seelischen (!) Druck ...
Wenn der Caseworker weiß, daß sein Klient sich unausweichlich bedroht oder aus dem Gleichgewicht geworfen fühlt, so weiß er auch, daß dessen AbwehrSchutz-Maßnahmen (so richtig zieht er noch nicht) in voller Aktion sind. Zugleich kann das Bemühen des Klienten, von seiner Sozialdienststelle Hilfe zu bekommen, als ein Anpassungsversuch ( – aber er muß ja schließlich ziehen wollen) gesehen werden ...
Daher wird es von Anfang an das Ziel des Caseworker sein, dem Klienten zu helfen, daß er weniger sich selbst zu schützen braucht (sowohl gegen das Problem als auch gegen seine Furcht vor der Dienststelle oder der Veränderung seines Verhaltens), sondern daß er vielmehr alle Kraft entfaltet, um die Anstrengungen, mit seinem Problem fertig zu werden, wieder aufzunehmen oder noch zu verstärken.“ (Perlman)

Die Persönlichkeit des Klienten in Faktoren zu zerlegen, die erheblich für die sozialarbeiterische Tätigkeit sind, ist also nur die Vorbereitung dazu, ihn als das Material zu behandeln, dem man beibringen muß, sich sozialadäquate Verhaltensweisen zuzulegen. Wenn den Sozialarbeiter da der Klient mit seinen Problemen, Interessen und seinem Willen stört, hat der schon die entsprechende psychologische Erklärung solchen Verhaltens parat, die ihn darin beruhigt, sich auf so etwas nicht einlassen zu müssen: der Mensch wird mit sich nicht fertig und hat darum auch die falsche Einstellung zu der sozialen Hilfe, die ihm zuteil werden soll. Was der Sozialprofi also jetzt mit diversen Tricks (von denen später die Rede sein soll) erreichen muß, ist, den Klienten davon abzubringen, ihm solche Schwierigkeiten zu machen. Und wenn der Klient Vorbehalte gegen die Sozialstelle hat – weil er weiß, daß er seine Interessen nicht bei der Dienststelle durchsetzen kann, sondern nur dann ein Almosen bekommt, wenn er erkennen läßt, daß er sich auch wieder schön anpassen will, – wenn er sich darum also nicht allzu bereitwillig auf das verpflichten lassen will, was der Sozialarbeiter mit ihm anstellen will, dann ist die psychologische Erklärung dieses Phänomens als verständliche, aber verfehlte „Schutzmaßnahme“ für den Sozialmenschen die moralische
Rechtfertigung dafür, sein Objekt so weit mürbe zu machen, daß es für die sozialarbeiterische „Hilfe“ empfänglich wird.


Das „Problem“ als Scheitern des Klienten, seiner sozialen Rolle gerecht zu werden

Wenn der Sozialarbeiter nun schon keine Skrupel mehr hat, ganz selbstverständlich seinen Klienten als Sozialfall zu betrachten, der in einer psychischen Schwierigkeit steckt, mit seiner Rolle als Klient fertigzuwerden, dann ist er auf dem besten Wege, auch die Probleme dieser Leute richtig einzuschätzen, nämlich als deren Versagen. So berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich von der Zentralstelle für Strafentlassene in Schwabing, welche Schwierigkeiten sie bei den Leuten feststellt:

„An 1096 Hilfesuchende konnten Arbeitsplätze, an 748 Unterkünfte vermittelt werden. Die Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung liegen ... zum einen darin, daß über die Hälfte der »Ehemaligen“ keinen erlernten Beruf haben. (.Facharbeiter bekommen binnen 24 Stunden eine Stelle’, Hauptsache, sie sind versorgt!). Zum anderen gibt eine ganze Reihe ihre Tätigkeit bald wieder auf, »weil sie nicht gewohnt sind, regelmäßig zur Arbeit zu gehen«“ (– nicht weil sie dazu gezwungen werden, noch die letzte Dreckarbeit für einen miesen Lohn dankbar zu verrichten).
„Um solchen Leuten wie auch den »nicht Wohnfähigen« zu helfen, die nicht imstande sind, ihre Unterkunft in Ordnung zu halten, seien gegenwärtig in verschiedenen Justizvollzugsanstalten Therapieversuche im Gang.“

Hier ist also das Prinzip der Sozialarbeit:

,, ... immer ist es die Unfähigkeit der Person, die Mittel zur Erhaltung oder zum Erreichen sozialen Wohlbefindens“ (das liegt dann vor, wenn der Sozialarbeiter nicht eingreifen muß) „aufzubringen, die das Problem in den Bereich des Caseworkers rückt.“ (Periman)

konsequent angewandt. Schwierigkeiten haben die „Ehemaligen“ mit sich und erreichen darum auch nicht „soziales Wohlbefinden“. Man muß ihnen deshalb erst einmal die Fähigkeit beibringen, regelmäßig arbeiten zu gehen (sonst können sie sich ja gar nicht selbstverwirklichen), und sich dabei weder von der Anstrengung noch von der schlechten Bezahlung abhalten lassen, und die „Unterkunft“ (von Wohnung kann da kaum die Rede sein) in Ordnung halten (die haben eben keinen Sinn für Gemütlichkeit, obwohl das Bedürfnis dafür im Knast durchaus hätte entstehen können) – gut, daß die keine gut eingerichtete Wohnung haben, das wäre ja schade um die schönen Klamotten ...

Als Sozialarbeiter hat man sich also ganz darauf zu konzentrieren, die Leute so hinzubiegen – und wenn es erst einmal scheitert, muß eben eine zusätzliche Therapie her –, daß sie sich in die Gesellschaft einordnen, soziales Wohlverhalten zeigen.

„Die Konzentration auf die Probleme, denen der Mensch in seinem Streben nach sozialer Sicherheit und angemessenem Funktionieren“ (was denkt der Mensch, wenn er morgens aufsteht? Wie kann ich heute angemessen funktionieren!) „begegnet, gehört zu den kennzeichnenden Eigenschaften des Caseworkers.“ (Das macht ihn für den Klienten auch so sympathisch!) „Das bedeutet, daß der Hauptakzent der Hilfe des Caseworkers auf die Schwierigkeiten gerichtet ist, die die Person hat, sich sozial richtig und konstruktiv zu verhalten, oder auf die Angriffe, denen sie sich durch die Umwelteinflüsse ausgesetzt fühlt (!).“

Für den angehenden Sozialarbeiter ist seine Tätigkeit so als eine legitimiert, die ja letztlich nichts anderes anstrebt als das, was der Klient im Grunde seines Herzens selbst wünschen müßte. Sicherheit in diesem Urteil verschafft sich der angehende Sozialarbeiter dadurch, daß er die Verhaltensweisen des Klienten mit seinen eigenen vergleicht: Auch er hat schon einmal einen über den Durst getrunken, Shit geraucht, Krach zuhause gehabt, mal nicht ein noch aus gewußt usw., insofern hat er auch viel Verständnis für die Situation seines Falls, aber er hat auch immer festgestellt, daß man die Situation meistern kann, wenn man nur will und sich einen Ruck gibt. (Man kann ja ruhig einmal seinen Kummer in der Nacht ertränken, aber man muß auch sehen, daß man am nächsten Tag wieder auf der Matte ist.) Das Starke an diesem Vergleich ist, daß er von „Verhaltensweisen“ ausgeht. Daß dabei in der Regel recht unterschiedliche Sachen gleichgesetzt werden – ob einer mal einen trinkt oder ob er sich ständig mit Alkohol betäubt, ist ja wohl ein kleiner Unterschied –, ist dabei noch die harmlosere Seite. Weil man das, was der Klient macht, als Verhalten bespricht, zeigt man, daß einem die Umstände, weshalb jemand so sein Leben verbringt, scheißegal sind – aber an denen wül man ja auch nicht drehen.

Wer macht sich als Sozialarbeiter bei seiner Arbeit mit Jugendlichen im Freizeitheim noch darüber Gedanken, warum Lehrlinge so wenig Spaß an „emanzipatorischer Kommunikation“ haben, wo doch klar ist, daß sie ein konsumtives, unpolitisches und sich nicht selbst bestimmen wollendes Verhalten haben. Und natürlich erklären sich die Schwierigkeiten auch aus „Umwelteinflüssen“ (Vater liest nur „Bild“, in der Arbeit wird man zu sehr dazu angehalten, nur Anordnungen auszuführen). Hier bewähren sich also wieder mal wunderbar all die Abstraktionen, die man in den theoretischen Fächern beigebracht bekommen hat: Statt sich mit dem auseinanderzusetzen, was da eigentlich los ist, bezeichnet man den Umstand, daß die Jugendlichen in Ruhe gelassen werden wollen, als Konsumverhalten (womit die Sache für den Sozialarbeiter gegessen ist), und statt sich darum zu kümmern, was mit den jungen Leuten im Betrieb gemacht wird, redet man von dem „Umwelteinfluß“ Betrieb, in dem vor allem eine „einseitig verlaufende Kommunikation“ oder „strukturelle Gewalt“ (oder wie die Abstraktionen noch heißen) herrschen soll. Und indem man sich genau so das Problem der Menschen zurechtlegt, auf die man einwirken will, hat man auch schon die rechte Sozialarbeitereinstellung zu ihnen. Ihre Unfähigkeit, sich so zu verhalten, wie man es von ihnen erwartet, muß man beseitigen und schon hat man ihnen zu ihrem Glück verholfen. Und wenn einem dabei der Klient im Wege steht, muß man seine psychischen „Abwehrreaktionen“ trickreich ausschalten:

„Aus dieser Erkenntnis – daß Probleme sowohl subjektive als auch objektive Bedeutung (!) haben – folgt, daß alles, was ein Mensch in bezug auf sein Problem tun kann oder will, in hohem Maße von seiner gefühlsmäßigen Einstellung dazu abhängt. Daher muß der Caseworker solche Gefühle hervorlocken (!) und sich oft mit ihnen beschäftigen, damit sie die Arbeit des Klienten an seinem Problem eher fördern als hindern.“

Dabei darf die ganze Veranstaltung aber nicht zu einer reinen Psychoveranstaltung werden, wo man nur noch Gefühle thematisiert, schließlich sollen die Gefühle der einen Seite ja zu dem Zweck „hervorgelockt“ und zugerichtet werden, damit der Mensch sich mit seinen objektiven Schwierigkeiten abfindet, indem er konstruktiv zur Gestaltung seiner „Umwelt“ beiträgt:

„Gleichzeitig darf der Caseworker die objektive Realität von Problem und Lösung nicht aus den Augen verlieren, denn nur so kann er seinem Klienten helfen, die Wirklichkeit selbst richtig zu sehen und sich erfolgreich mit ihr auseinandersetzen.“


Die Institution – Dein Freund und Helfer

Nachdem dem Sozialwesenstudenten nun klar sein muß, daß in allem, was er sozialpädagogisch macht, ja nur das Glück des Klienten befördert wird (darum werden Sozialarbeiter auch immer so sauer, wenn man ihnen sagt, daß sie ein ganz schön zynisches Geschäft betreiben), ist es eigentlich selbstverständlich, daß er zur Institution ein gutes Verhältnis hat:

„Eine soziale Institution verkörpert den Entschluß einer Gesellschaft, ihre Mitglieder vor Versagen im sozialen Bereich zu schützen, Fehlanpassungen zu verhindern und die Entwicklung eines besseren und höheren Niveaus menschlichen Zusammenlebens zu fördern. Zu diesem Zweck werden finanzielle Mittel mobilisiert“ (deren überreichliches Vorhandensein den löblichen .,Entschluß der Gesellschaft“ aufs anschaulichste demonstriert), „um Hilfen und Möglichkeiten in organisierter Form zu bieten. Sich vor Zuständen oder Ereignissen bewahren, diesen Vorbeugen oder sie fördern zu wollen, schließt ein, daß die unterstützende Gesellschaft“ (Hilfe, wo man hinschaut!) „bestimmte Zustände oder Handlungen bewertet, d.h. sie für gut oder unerwünscht hält“ (das kann man ihr bei soviel Hilfsbereitschaft auch wirklich nicht verwehren). „Die soziale Dienststelle hat deshalb für jene Werte einzutreten, die von der unterstützenden Gesellschaft“ (so nennt man anscheinend bei den Amis die Soziale Marktwirtschaft) „als erstrebenswert angesehen werden. Sie ist mitberufen, soziale Maßstäbe und Werte zu erhalten oder zu erreichen.“

Das politologische Fachwissen, daß der Mensch schließlich den Staat braucht, sonst würden sich die Leute, die bekanntlich von Natur aus als Lohnarbeiter und Kapitalisten konkurrieren, die Schädel einschlagen, wird hier also sozialpädagogisch vertieft: Der Staat ist der Zusammenschluß der Bürger zum Zwecke des Helfens. Wenn man sich das als Einstellung erst einmal zugelegt hat, dann kann man als Sozialpädagoge eigentlich kaum noch ernsthafte Probleme mit seiner Tätigkeit bekommen. Wenn die Gesellschaft so besorgt um das Wohl ihrer Mitglieder ist, muß alles getan werden, um sie zu erhalten, müssen alle Störfaktoren ausgeschaltet werden. (Die Leute sind ja auch zu blöd. Anstatt zu merken, daß es überall nur um „das höhere Niveau menschlichen Zusammenlebens“ geht ...) Und wenn man dann in einer Sozialdienststelle arbeitet, die diesen Zweck recht offensichtlich verfolgt, wo man also eigentlich nicht so recht erkennen kann, worin das Glück des Klienten bestehen soll, muß man sich eben nur klar machen, daß es nicht selbstverständlich ist, daß die Gesellschaft Unterstützung gewährt. Wenn also nicht alles so perfekt ist, dann gibt es in ihr doch zumindest einen Anspruch, der sich sehen lassen kann, und im übrigen: wie sieht’s denn in anderen Ländern aus?

Also muß der Student lernen, was im Rahmen der Möglichkeiten zu tun ist. Wenn er einen Sozialfall anpackt, braucht er nicht (ihn überfordemde) Überlegungen anstellen, wie z.B.: was muß geändert werden, damit die Not der Leute aufhört. Er hat die Richtschnur: Möglichkeiten der Institution und Ziele, die sie verfolgt. Also wäre es z.B. verfehlt, die Mittel eines Freizeitheims dafür auszugeben, einem Jugendlichen, der keine Arbeit und darum auch zu wenig Geld hat, Geld zu schenken, damit er sich in seiner Freizeit einiges leisten kann. Das Geld fürs Freizeitheim ist für „bessere Zwecke“ vorgesehen. Man soll damit Videobänder, Bastelmaterial und dergl. kaufen, was pädagogischen Zwecken dient, wo sich die Investition auch lohnt. Als angehender Sozialarbeiter hat man sich überhaupt mit der Tatsache vertraut zu machen, daß die finanziellen, rechtlichen und auch personellen Mittel jeder Institution begrenzt sind und daß es gewisse fest umrissene Zuständigkeiten gibt. Ein Freizeitheim ist für die „sinnvolle Beschäftigung“ der Jugendlichen nach Feierabend da und nicht dafür, Almosen zu geben. Da wendet sich der Klient besser an die betreffende Stelle, die ihm unter gewissen Bedingungen zu bestimmten Auflagen eine finanzielle Unterstützung oder doch wenigstens einen Rat geben kann.

Wichtig ist vor allem, daß man sich als Sozialarbeiter überhaupt erst einmal über das ganze vorhandene Angebot an Sozialdienststellen informiert. Dann läßt man vielleicht auch von so „pauschaler“, unwissender Kritik: den Leuten werde in dieser Gesellschaft nicht anständig geholfen. Zu diesem Zwecke demonstriert der Dozent gelegentlich eines Rollenspiels (Fall: Selbstmordversuch), daß die Studenten noch nicht einmal die Telefonnummer des Notarztes kennen. Aber kritisieren ...!

Und wenn der Sozialpädagoge ganz fest davon überzeugt ist, daß die Institution – wenigstens im Rahmen der Möglichkeiten – nur Gutes tut, und das dem Klienten auch bei allen seinen Handlungen zu verstehen gibt, wenn er also seiner Berufung, die sozialen Maßstäbe und Werte hochzuhalten, gerecht wird, dann erreicht er vielleicht den schönsten Erfolg eines Sozialarbeiters, daß der Klient

„bereit sein (wird), sich mit der Gesellschaft, die ihn schätzt und ihre Hilfsbereitschaft dartut, einszufühlen.“

Freilich muß das Ziel der sozialarbeiterischen Tätigkeit nicht immer so plump vorgetragen werden, daß einem gleich Faschismus einfällt, aber wo es darum geht, den Menschen, der in der Gesellschaft scheitert, zu ändern, geht es auch immer darum, ihm eine Identifikation mit dieser Gesellschaft zu vermitteln, und sei es in der „kritischen“ Form: „Solidarität ist möglich“.


Tugendlehre

Für den Erfolg der Sozialarbeit kommt es also auch sehr auf die Glaubwürdigkeit des Sozialarbeiters an. In Methoden lernt er darum auch noch einmal extra, wie er sich zielstrebig anzuschleimen hat:

„Die körperliche und geistige Anstrengung, die mit einer problemlösenden Tätigkeit verbunden ist, läßt sich leichter ertragen, wenn eine Beziehung besteht, von der Wärme und Sicherheit ausgehen. Die Hilfsbereitschaft und Zuversicht, die sie ausstrahlt, werden den Willen, etwas zu versuchen, anspornen und bekräftigen.“

Was der angehende Sozialarbeiter durch ständige Selbstbeobachtung und durch das Beobachtetwerden lernen soll, ist die richtige Anwendung seiner Person als Mittel seiner beruflichen Tätigkeit. Wenn es darum geht, den Willen des Klienten hereinzulegen, darf man nun mal mit falschen – gespielten – Gefühlen nicht geizen.

„So gehört zur helfenden Beziehung im Casework wesentlich dieses akzeptierende, hegende und stützende Element, wie auch jenes andere, das auf die Lösung des Problems hinarbeitet und eigene Anstrengungen des Klienten heraus'fordern will, durch die er sein Empfinden, Verhalten oder Handeln so ausrichtet, daß dadurch eine bessere soziale Anpassung erreicht wird.“

Die Demonstration einer „sympathisierenden Einstellung“, die dem Klienten schon beim Betreten des Büros entgegenschlagen muß, ist also der Charakterzug, den sich ein Sozialpädagoge zulegen muß. Und das heißt nicht Sympathie – wie soll man die auch jedem gegenüber empfinden? Das Gefühl selbst wäre indes auch hinderlich in der Tätigkeit, würde es doch den professionellen Charakter der Beziehung beeinträchtigen. Ein tröstender Händedruck im richtig berechneten Moment kann jedoch fast Wunder wirken. Die geheuchelte Freundlichkeit dient also als Mittel, den Klienten zu den unfreundlichen Anstrengungen zu bewegen, die er auf sich nehmen soll, damit er endlich das macht, was der Sozialarbeiter von ihm verlangt.

„Indem der Caseworker das gefühlsmäßige Engagement des Klienten als ganz natürlich hinnimmt (!), auf die geäußerten Gefühle anspricht und ihm hilft, auch die auszusprechen, die er zu unterdrücken sucht (wie nett), wird eine emotionale Verbundenheit zwischen Klient und Caseworker hergestellt. So beweist der Caseworker, daß er sich mit dem Klienten einig fühlt – daß er nicht wie der Klient, sondern mit ihm fühlt.“

Und dabei soll der Sozialarbeiter durchaus die Autorität, die er nun einmal hat, sinnvoll einsetzen und zeigen, daß man schon eine Lösung finden kann, wenn man nur energisch genug sich auf das konzentriert, was zu machen geht.

„Und da Belastungen durch vielfältige geistige, materielle und emotionale Probleme die Fähigkeit eines Menschen, sich zu konzentrieren beeinträchtigen kann, muß der Caseworker selbst versuchen, die zur Lösung des Problems so wichtige Konzentration herbeizuführen.“

Als Sozialarbeiter hat man kein Zauderer zu sein, kein skrupulöser oder resignativer Typ, sondern einer, der immer zupackt. Und darin ist man auch Vorbild des Klienten, auf dessen Einsatz es ja schließlich ankommt. Und wenn der Sozialarbeiter noch so gut weiß, daß es Gründe gibt, warum der Klient sich nicht um die Lösung seiner Probleme kümmert, wie der Sozialpädagoge es ihm dann beizubringen versucht, es braucht ihn nicht zu stören, hält er sich doch an den falschen Grund: mangelnde Konzentration auf das, was eigentlich ansteht.

Der Sozialarbeiter muß seinem Fall auch klar machen, daß die Sympathie durchaus ihre Grenzen hat, nämlich dann, wenn er nicht mitzieht. Deswegen werden z.B. stinkfreundliche, gestandene Heimleiter auch immer so pampig, wenn sie mit ihrer moralisch erpresserischen Tour bei den Jugendlichen nicht mehr landen, und drohen ganz offen mit der Gewalt, die sie stets im Rücken haben.

Doch solche Entgleisungen, will man doch den Klienten mit dessen Einverständnis umpolen, sollte sich der Sozialarbeiter durch die zur Perfektion gebrachte professionelle Heuchelei möglichst ersparen,

„Das, was der Caseworker zu wecken versucht und was er dem Klienten zu überlegen gibt, ist das Interesse am Selbstschutz vor unangenehmen Folgen.“

indem er dem Klienten klarmacht (und dazu gibt's ja auch noch das Mittel, eine Zeit lang den ,,Leidensdruck zu verstärken“), daß es ja nur in seinem Interesse ist, wenn er sich anständig verhält.

Dazu gehört freilich einiges Fingerspitzengefühl, nicht in die Situation zu kommen, offen als der aufzutreten, der man ist, der unerfreuliche Maßnahmen an seinem Mitmenschen durchsetzt. Doch auch das kann man lernen, z.B. wenn man sich viele solcher Beispiele zu Herzen nimmt, wie das folgende (bei dem es darum geht, daß ein Mädchen in ein Heim gesteckt werden soll:

„Luise kommt außer Atem und mit sehr blassem Gesicht an, bittet auf die Toilette gehen zu können und sagt, daß ihr auf dem Weg schlecht geworden ist. Sie meinte, das käme von ihrer Müdigkeit und von den vielen Aufregungen. Dann kam sie herein und setzt sich zu ihren Eltern. Sie sprach nur mit der Stiefmutter und ignorierte den Vater völlig. ... Ich erklärte Luise den Plan mit dem Heim. Sie nahm das hin, aber mir kam es vor, als ob sie nicht wirklich verstehe, worum es sich handelte. Es war ihr nur darum zu tun, daß sie nicht mit Vater und Stiefmutter Zusammenleben mußte. Der Vater wollte mich in eine strafende Rolle drängen, während ich mit Luise sprach. Er erklärte ihr, daß wir sie jetzt entsprechend der gesetzlichen Regelung unterbringen müßten und daß es mit ihr nicht weitergehen könne wie bisher ...
Die Stiefmutter verfiel nicht in das gleiche Benehmen, sondern schien sich mehr Sorgen darüber zu machen, ob Luise wirklich mit dem Plan zufrieden sei ...
Ich spürte, daß mich der Vater im Laufe des Gesprächs in eine Position für oder gegen Luise drängen wollte. Da ich das nicht zulassen konnte, schlug ich vor, daß sie eine Zeitlang allein miteinander sprechen ... Als ich wiederkam, weinte Luise. Die Stiefmutter versicherte, daß man ihr helfen wolle, und der Vater hielt ihr einen Vortrag über gutes Verhalten. ...“

Was lernt der Sozialpädagoge daraus?

„Es scheint, daß der Sozialarbeiter über Luises Gefühle eine Menge erfuhr (nützlich, nützlich), als er bemerkte, wie das Mädchen atemlos ankam ... Wie sehr sie Angst vor der Unterredung (nicht etwa vor dem Heim, das er ihr als schöne Alternative anzubieten hat) hatte, wurde aus der Bemerkung, daß ihr auf dem Weg zur Dienststelle schlecht geworden sei, deutlich... Man spürt die Einstellung des Vaters gegen Luise heraus, als er immer wieder darauf zurückkam, sie müsse gehorchen und aufrichtig sein. Dank dieser einfühlsamen Beobachtung konnte der Sozialarbeiter die Beziehungen zwischen den handelnden Personen besser einschätzen. Das war in diesem Fall eine wichtige Einzelheit für den Behandlungsplan.“ (Biestek)

Wir haben also hier ein alltägliches, aber gutes Beispiel vor uns, wie der Sozialarbeiter durch „kontrollierte gefühlsmäßige Anteilnahme“ sich aus der Affäre zieht und sein Ziel der „helfenden Beziehung“ erreicht: Er läßt den Vater, der in seiner Standpauke der Luise gegenüber all die Prinzipien vertritt, die der Sozialarbeiter praktiziert, dessen ungeschicktes Poltern aber seiner sozialpädagogischen Natur gegen den Strich geht, solange auf ihr rumhacken, bis die die Heimeinweisung durch den Sozialarbeiter als Wohltat aufnimmt.

Natürlich wird der Student noch eine Menge an seinem Charakter herumfeilen müssen, bis er profihaft die Tour beherrscht, den Menschen die Segnungen des Sozialstaates angedeihen zu lassen.

„Durch zunehmende Erfahrung tritt schließlich die Subjektivität mehr und mehr zurück. Die wiederholte Überprüfung und Analysierungen subjektiver Verflechtungen und die gesammelten Erfahrungen in der Teilnahme an menschlichen Nöten, Ängsten und Leidenschaften ermöglicht es, die Bürde einer Beziehung mit besserem Gleichgewicht zu tragen. Das ist in keiner Weise ein .Verhärtungsprozeß’ (warum kommst du denn schon wieder auf so etwas?); im Gegenteil, es handelt sich eher um einen Auflockerungsprozeß, in dem sowohl die Kenntnis und das Akzeptieren der Verschiedenheit menschlicher Wesen (du bist asozial / ich Sozialarbeiter), uns selber eingeschlossen, als auch die Sicherheit (warum verliert man die nur so leicht?) im Hinblick auf unsere beruflichen Ziele und Fähigkeiten dazu beitragen, unsere emotionalen Reaktionen zu mildem und zu festigen.“

Nur Mut! Übung und viele Rollenspiele machen schließlich den Meister.

Fortsetzung

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aus: Bremer Hochschulzeitung Nr 1, 1979

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