Die Kritiker der Werbung

Kaufend verzichten - Anleitung zum rationellen Konsum


Eine ganze Zeit lang wollte sich niemand mehr des in kritischen Kreisen einst heißgeliebten Themas annehmen. Mit der Flaute in den Auftragsbüchern derer, auf die es ankommt, war den Ideologen des „Konsumterrors“ der Wind aus den Segeln genommen. Wo allenthalben der Absatz stockt, scheint es wenig angebracht, der ersehnten Wiedergenesung der Volkswirtschaft durch die Beschimpfung des „Konsumdenkens“ der Bürger in die Quere zu kommen. Das hat denn auch Das Deutsche Nachrichten-Magazin nicht vor, wenn es bewundernd konstatiert, daß

„wo sonst so vieles stagniert und die Halden sich auf dem Käufermarkt türmen, wenigstens die Werbewirtschaft (sich) einer schönen Blüte“ erfreut.

Schließlich verkörpert diese Branche beispielhaft die gegenwärtigen Hoffnungen derjenigen, die jetzt schon dicke Gewinne machen und nur auf Anzeichen dafür warten, daß das auch in Zukunft so bleibt, und auch die Wünsche derjenigen, die eben dafür jetzt Opfer bringen, weil sie meinen, daß später auch für sie was abfällt.

Die schöne Blüte der Werbewirtschaft ist aber nur die andere Seite der Unzufriedenheit des Kapitals mit dem Gang der Geschäfte:

„Deutschlands Konsumgüter- und Dienstleistungsproduzenten, der Not gehorchend und wie immer im Zugzwang der Konkurrenz nacheifernd, werben leidenschaftlicher denn je.“

Damit das klar ist: Niemand, der den

„Markt als gesellschaftsbildende Kraft“ (SZ 12. 6, 69)

erkannt hat und damit die Werbung als

„Teil unseres demokratischen Soseins“ (A. Scholz, Hamb. Werbeberater)

sollte denen noch zusätzlich kritisch ans Bein pinkeln, die mit dem

„aufwendigen und riskanten Geschäft der Werbung“

den volkswirtschaftlichen Karren wieder aus dem Dreck ziehen sollen, damit unser Demokratisches ein Sosein bleiben kann.

Schuld an dem elenden Gerangel „auch noch um kleinste Anteile“ sind die Verbraucher, die mit ihrer „Kaufunlust und Verdrossenheit“ das Kapital schier zur „Verzweiflung“ und zur Aufstockung ihrer Werbeetats treiben. Denn die Verbraucher sind „gewitzt“ durch „Energieschock, Wachstumsnot und Arbeitslosigkeit“ und sparen, anstatt all ihr Geld auszugeben. Wenn also klar ist, daß es die Not und nicht ihr Mangel an Kauflust ist, der sie am Kaufen hindert, dann ist auch klar, daß die kritische Öffentlichkeit keinen Purzelbaum schlägt, wenn sie die Leute einmal wegen ihres Konsumdenkens, das andere Mal wegen der Konsumunlust anmacht, weil die Leute so oder so Verantwortung zeigen sollen, indem sie sich in den Dienst am Ganzen stellen.

_________________________________________________________


Werbung contra Wohlstand?

Vance Packard, der in seinem Bestseller „Die geheimen Verführer“ das ,,unterirdische Wirken“ jener „Sorte von Meinungsknetern“ beschrieb, „die in der Fachwelt als »Tiefen- Heinis« bekannt sind“ –  also Psycho- und Soziologen, die ihren Einfallsreichtum in den Dienst marktanfeuernder Werbeagenturen gestellt haben –, ist bemüht, das Mißverständnis erst gar nicht aufkommen zu lassen, daß seine Enthüllung der Tricks der Werbeleute einer der üblichen pauschalen Angriffe auf die Werbung sei:

„Die Werbung spielt eine lebenswichtige Rolle, nicht nur für die Entfaltung unseres wirtschaftlichen Wachstums, sondern ist eine farbenreiche, unterhaltsame Seite des amerikanischen Lebens und viele Schöpfungen der Werbefachleute sind geschmackvolle, ehrliche, künstlerische Arbeiten.“

Während die Unternehmer sich der Werbung bedienen, um ihre Waren gewinnbringend loszuschlagen, verleiht Packard dem Wirken der Marktstrategen höhere Weihen:

„Sie füllen in unserer Gesellschaft eine wichtige und aufbauende Funktion aus.“

Schließlich sorgen sie dafür, daß

„wir ... zum Besten unserer Wirtschaft, ob wir es wollen (!) oder nicht, mehr und mehr verbrauchen müssen.“

Daß er so tut, als sei diese uneigennützige Leistung der Verbraucher für die Gesellschaft von ihrem Willen abhängig, weshalb man sie eben dazu zwingen muß, das „Beste der Wirtschaft“ auch zu wollen, beruht auf der interessierten Verwandlung des Überflusses des Kapitals in den Überfluß derer, die ihn erarbeiten, also auf der Lüge, die Menschen hätten alles, was sie brauchen, ihre Not sei Vergangenheit:

„Ein großes und lästiges Hindernis erstand den »Anregern« aus der Tatsache, daß die meisten Amerikaner bereits völlig brauchbare Öfen, Autos, Fernsehgeräte, Kleidung usw. besaßen.“

Wer wie Packard „dieses reiche und üppige Leben, zu dem die Menschen gelangten“, als „lästiges Hindernis“ betrachtet, zeigt, daß seine Sorge, „ob die Menschen denn glücklicher geworden“ seien, für diese nichts Gutes bedeutet. Denn erstens ist es ihm ganz offensichtlich wurscht, daß der Zweck „unserer 400-Milliarden Wirtschaft“ nicht die Bedürfnisbefriedigung ist; und zweitens hat er vor, die Leute für etwas, was sie angeblich weder brauchen noch wollen, schuften zu lassen, damit das Geld denen, die es nicht ausgeben müssen, um davon zu leben, sondern um es zu vermehren, auch vermehrt zurückfließt.


Tiefen-Heinis gegen Konsumentenunvernunft

Der „Verdruß mit den Leuten“ besteht aber nicht nur darin, daß sie sich „zu leicht mit dem zufrieden geben, was sie bereits haben“ und damit mit ihrer apathischen Fettleibigkeit verantwortungslos das Wachstum „unserer 400-Milliarden-Wirtschaft“ aufs Spiel setzen, sondern auch zweitens in der „augenscheinlichen Eigenwilligkeit und Unberechenbarkeit“ der angepeilten Konsumenten, die festgestellter maßen laufend falsche Auskunft hinsichtlich ihrer „Wünsche und Neigungen“ geben (etwa interessiert befragt nach ihren Zahnputz- und Wäsche-Wechsel-Gewohnheiten) und darüber hinaus auch ein völlig „vernunftwidriges Verhalten“ an den Tag legen.

Angesichts dieser übersättigten und unvernünftigen Massen ist den Verkaufsspezialisten kein Strick daraus zu drehen, daß sie zu „psychologischen Angelhaken“ greifen, mit denen die Konsumenten gegen ihr Bedürfnis zum Kauf veranlaßt werden sollen, denn

„wenn die Leute, so überlegen die Marketer, nicht vernünftiger Weise unterscheiden können, solle man sie auf mühelose, eingängige, gefühlsmäßige Weise, im unvernünftigen Unterscheiden unterstützen.“

Der für den „Absatz von Erzeugnissen im Werte von Milliarden Dollar“ so unbrauchbare Mensch bietet als Bündel von „Befürchtungen, Schuldgefühlen, Ängsten, Feindseligkeiten und inneren Spannungen“ ungeahnte Möglichkeiten: Man muß nur so findig sein, um

„Wege zur Umgehung unserer Befürchtungen nicht allein hinsichtlich bestimmter Produkte, sondern auch in Bezug auf Situationen zu finden, an denen die Wirtschaft interessiert ist.“

Dabei zeigen noch sämtliche Beispiele, die Packard anführt, daß ihm daran liegt, die Mittel, derer sich die Werbung bedient, um den Verbraucher zum Kauf eines bestimmten Produkts zu bewegen, in den Grund für den Kauf zu verwandeln:

Da kauft sich keiner mehr eine Kühltruhe, weil er billiges Fleisch und Gemüse einwecken will und keine Zeit hat, jeden Tag zum Metzger zu rennen – vielmehr entlarvt er sich als labile Type, weil

„nur Leute, die sich unsicher fühlen, immer mehr Lebensmittel im Haus brauchen“,

was zu der Empfehlung an die Frostle-Fabrikanten führt,

„bei der Werbung diesen »Eichhörnchen-Faktor« mit in die Rechnung einzubeziehen.“

Den Oetkers im Lande aber eröffnen sich ungeahnte Absatzchancen für Fertigkuchen über die werbewirksam auszunützende Erkenntnis, daß

„Kuchenbacken stellvertretend für Nicht-mehr- gebähren-können steht“.

Die Frauen backen also nicht etwa, weil ihr Alter wenigstens am Sonntag was Süßes zum Kaffee will, sondern

„sie beschenken die Familie symbolisch mit einem neuen Baby – eine ihnen sehr liebe Vorstellung“.

Zusätzlich ist dabei darauf zu achten, daß die Eier selbsttätig dem Paketkuchen hinzugeschlagen werden dürfen, nicht weil er sonst nur noch nach Pappendeckel schmeckt, sondern weil sonst ein gegenläufiger Effekt durch Hausfrauen eintritt,

„die das Gefühl haben, die Verwendung von tischfertigen Konserven sei ein Zeichen schlechter Haushaltsführung und drohe sie einer gewohnten Quelle des Lobes zu berauben.“

Daß das Essen scheußlicher Dosensuppen wenig mit Genuß, aber was mit der Absorption der Zeit der Frau durch die zunehmende Berufstätigkeit zu tun hat, können auch nur Leute behaupten, die sich nicht im klaren darüber sind, daß der Suppenesser eigentlich ins Fruchtwasser des Mutterleibs zurückwill und die große Chance der Maggis somit im Angebot eingedöster Ersatzbefriedigung liegt.


Alternativen des Mangels als Versprechen des Luxus

Wenn Hausfrauen in ihrer Entscheidung zwischen „Oetker“ und „Aurora“ durch den reaktionären Wunsch, in ihrer angestammten Dienerrolle Anerkennung zu finden, beeinflußt werden, wenn der Wunsch nach Geborgenheit den Ausschlag z.B. für ,,Maggi“ gegen „Knorr“ gibt, dann heißt das noch lange nicht, daß die Leute dies Zeug nicht wirklich brauchen. Schließlich verdankt sich die Devise: „Koch schneller Mutter!“ nicht der gesteigerten Geilheit der Ehemänner oder einer „schnellebigen Zeit“, sondern dem vermehrten Anspruch auf ihre Zeit seitens der Unternehmer selbst. Die Kunst des Marketers besteht nun darin, den Dingen des täglichen Bedarfs, die clevere Unternehmer mit sicherem Blick für das, was die Leute bitter nötig haben, als Marktlücke entdecken, die Aura des erschwinglichen Luxus zu verleihen.

Diejenigen, die ihr Geld nur ausgeben, wenn es sich rentiert, d.h. wenn es mit Gewinn zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, wollen in der Konkurrenz um die, die ihr Geld ausgeben müssen, dadurch die Nase vorne haben, daß sie ihnen weismachen, Scheißen sei mehr als das Verrichten einer Notdurft:

„ ... ich hatte noch nie in meinem Leben einen solchen Luxus gesehen: Ein riesiger Park, eine herrliche Villa, fünf Autos und Hakle dreilagig auf allen Toiletten.“

Den Widerspruch des Kapitalismus, daß die Ökonomie alles zur Befriedigung des Bedürfnisses bereitstellt, dieses aber nur als zahlungsfähiges seine Befriedigung erfährt, also der Zwang, mit einer begrenzten Summe Geldes auskommen zu müssen, verwandelt der Yankee-Soziologe in eine „Psychologie des Supermarktes“, wo die Waren beseelt sind (sie „rufen »kauf mich, kauf mich«“) und den bewußtlosen Konsumenten erst durch das Klingeln der Registrierkassen die Seele eingehaucht wird:

„Dann aber, beim Klingeln der Registrierkassen und beim Klang der Stimme der Angestellten, die um den Betrag bat, stieg die Lidschlaghäufigkeit über normal bis zum ungewöhnlich hohen Satz von 45 Lidschlägen je Minute. In vielen Fällen stellte sich heraus, daß die Frauen nicht genug Geld besaßen, um all die hübschen Dinge zu bezahlen, die sie in das Wägelchen gelegt hatten.“

Die Wahrheit der Werbung, die ihr Angebot als Überfluß propagiert, ist allerdings nichts anderes als die Not der Menschen, die die Unternehmer, die Werbung bezahlen, zwingt, ihre Konkurrenz als Kampf um die Bedürfnisse der Konsumenten auszutragen. Diejenigen, die sich aus der Fülle des Warenangebots nur eine leisten können, sollen dahin gebracht werden, sich für Produkt A und damit gegen B zu entscheiden. Die Leistung Packards als Ideologe der Werbung besteht nun darin, den Leuten ihre aus dem Mangel geborenen Alternativen als Optionen auf Luxus zu verkaufen und daraus eine massive Denunziation des Bedürfnisses abzuleiten:

„Wir haben keinen Beweis, daß mehr materielle Güter, wie mehr Autos oder mehr technische Errungenschaften, irgendjemanden glücklicher gemacht hätten – tatsächlich hat es sogar den Anschein, als sei das Gegenteil der Fall.“

Damit wird jedoch keinesfalls „Konsumverzicht“ propagiert, sondern denen, die allein mit dem Problem sich herumschlagen müssen, daß sie sich bestimmten Konsum nicht leisten können, mit dem Hinweis auf die

„gute alte Zeit der Wirtschaftsdepression“ versichert, daß das Leben in Armut „in vieler Hinsicht produktiver, interessanter ... und auf verdrehte (!) Art sogar heiterer“

gewesen sein soll.


Unterrichtsziel: Kritischer Konsument

Das theoretische Dilemma des Soziologen, die Werbung gut zu finden, weil sie der Wirtschaft nützt, und schlecht, weil sie eben dieser schadet, wenn durch die Werbung das Anspruchsdenken der Leute angestachelt wird, löst der kritische Deutschlehrer. Er bespricht mit seinen Schülern Werbetexte so, daß er „die geheimen Verführer“ die Packards „Tiefenheinis“ in die Werbung hineingezwungen haben, wieder herausdestilliert. Da er dabei darauf achten muß, vom Grund der Werbung – wie schon Packard – abzusehen, läßt er die Schüler assoziieren („Was fällt euch zu diesem Bild ein?“) und konnotieren („Wir wollen nun das Wortfeld zu ... erarbeiten!“). Das immergleiche Resultat solcher Veranstaltungen ist, daß der Lehrer die Leute für dumm verkauft, indem er den Schülern einbleut, sie würden durch die Werbung reingelegt. Ein Rudolph Engelhardt formuliert in „betrifft Erziehung“ als Lernziel:

„Der Schüler muß qualifiziert werden, zu erkennen, daß man mit Bildern und Informationen manipulieren kann.“

Wenn Schüler sich nicht verarscht vorkommen durch solch kritisch-distanzierte Schlaumeierei, liegt das daran, daß es ihnen gefällt, den Standpunkt dessen, der Manipulation durchschaut, den verführten, primitiven Massen gegenüber einzunehmen (womit klar ist, welche Schüler das sind !). Sie praktizieren das Ideal der Werbung, die auf dem Zwang zum Abwägen beruht, indem sie den „Informationsdruck (!) rational durchdringen“ und „Problembewußtsein durch Distanzierung“ (Krauß/Rühl, Modelle für den Politischen Unterricht) gewinnen. Wenn sie also dem Werberummel so schlau, cool und distanziert gegenüberstehen wie der Lehrer, um lieber mit Hilfe der „Stiftung Warentest“ das Warenangebot aus der Perspektive knapper Finanzen miteinander zu vergleichen, dann deshalb, weil sie es sich leisten können – befreit vom aus der Not geborenen Zwang des Kaufens „rational“ unter den angebotenen Gebrauchswerten auszuwählen. Als „kritischer Konsument“ hat man so den genußsüchtigen Massen die Einstellung voraus, mit der man den „Apologeten der Konsumgesellschaft und Konsumfreiheit“ die „die Entfaltungsmöglichkeiten ... auf den unergiebigen Bereich der privaten Existenz“ beschränken, widerstehen und seine rationale Integration in eine Gesellschaft betreiben kann, die mit der Werbung eine „irrationale Integration“ bezweckt.


Hunger sättigt Warenhunger

Warum Revisionisten gegenwärtig nichts zur Werbung zu sagen haben, macht ein Konkurrent des großen Warenästheten H. F. Haug deutlich:

„Der Warenhunger ist neurotisch ... ihn (erzeugt) die Warenästhetik als ein Bedürfnis neurotischer Kauflust ... Vorausgesetzt ist dabei freilich eine allgemeine Situation, in der die Befriedigung der Grundbedürfnisse den Konsumenten als selbstverständlich gesichert (!) erscheint. In Situationen relativer Knappheit dagegen wird der Aspekt des Warenhungers nahezu bedeutungslos.“ (R. Paris, in: Ästhetik und Kommunikation)

Da gegenwärtig zweifellos eine „Situation relativer Knappheit“ herrscht, „wird der Aspekt des Warenhungers nahezu bedeutungslos“ für einen Professor, dem in gesicherter Position „die Befriedigung der Grundbedürfnisse ... als gesichert erscheint“ und der die Tatsache, daß Leute in „Situationen relativer Knappheit“ wenig Waren kaufen, weil ihnen das Geld dazu fehlt, in eine psychische Normalhaltung verwandelt und sie als krank beschimpft, wenn sie in Boomzeiten das bißchen mehr Geld, für das sie viel mehr schuften müssen, auch ausgeben. Solche Typen spekulieren auf den Hunger der Leute, und diffamieren die Versuche, ihn zu befriedigen als Warenhunger, weil sie hoffen, daß er sie zur Einsicht zwingt, daß der Kapitalismus nicht mehr funktioniert und seine Ersetzung durch einen revisionistischen Staat sein wirkliches Bedürfnis sei, von dem das trickreiche Kapital ihn mittels Werbung nur abhalte.

„Gerade die scheinbaren Siege des Kapitalismus in Westdeutschland sind aus der Angst der herrschenden Klasse vor dem Sozialismus zu begreifen ... Die Wege der offenen Gewalt sind dem westdeutschen Kapitalismus durch die bloße Existenz der DDR versperrt. Offen bleibt der Weg der korrumpierenden Befriedigung.“ (Haug)

So ist die Werbung eine „Dimension des Klassenkampfes“ des Kapitals, indem sie die Arbeiter, die „in letzter Instanz das objektive historische Interesse der Revolutionierung“ (Paris) haben, mit Konsumterror traktiert:

„Widerstandslos wird der Konsument bedient“; „wo immer es ... eine Begierde oder eine Angst zu schüren gibt, wird eingehakt.“ „Indem die Menschen auf diese Dinge »triebhaft« ansprechen, müssen sie zu ihren Käufern werden. Wenn sie nicht anders können, als automatisch zuzugreifen,“

ist damit zum einen der Mensch als „triebhaft ansprechendes“ Tier entlarvt und zum anderen der unverschämte Angriff der revisionistischen Warenästheten auf die Bedürfnisse der Leute ausgesprochen, den seine Kritik der Werbung darstellt:

Die Menschen werden „verwöhnt, abgelenkt, abgespeist, bestochen“, und „der korrumpierende Gebrauchswert wirkt zurück auf die Bedürfnisstruktur der Konsumenten, denen er sich einprägt zu einem korrumpierten Gebrauchswertstandpunkt.“


Der Luxus des Gebrauchswerts ...

Auf diese Weise macht sich ein Revisionist auch klar, warum die Proleten und sonstigen fortschrittlichen und demokratischen Menschen hierzulande, deren eigentliches Interesse jenseits der Mauer liegt, hier bleiben, ohne in die DKP einzutreten. Er erklärt einfach eine Reihe von Gebrauchswerten zu Luxusgegenständen, die die Verbraucher sich – dumm und vollgefressen wie sie sind – von der Reklame aufschwatzen lassen. Weil ihm nicht nur die Bedürfnisse, sondern erst recht ihre Erweiterung ein Dorn im Auge ist, startet er einen Rundschlag gegen jeden zivilisatorischen Fortschritt, der davon lebt, daß die Bereitstellung der mannigfaltigsten Gegenstände des Bedarfs in der kapitalistischen Produktion schlichtweg geleugnet wird mit dem Hinweis auf die absonderlichen Blüten, die die Konkurrenz der Kapitalisten auf dem Markt hervortreibt. Daß damit nicht der Kapitalismus kritisiert, sondern in der Manier ganz gewöhnlicher Reaktionäre eine Attacke gegen den Fortschritt geritten wird, verdeutlicht Haugs Distinktion des natürlichen Bedürfnisses vom künstlich-manipulierten, mit Hilfe derer das karge Dasein vorzivilisatorischer Zuständnisse als dem Menschen adäquat erscheinen soll. Da verdrängt die Hautpflege bei den Frauen die „naiven Bäckchen“, Seife und Körperspray zerstören den natürlichen sympathisch-männlichen Körpergeruch und zuguterletzt versteht es das Unterhosen-Kapital, dem Mann mit „hygienischen Vorwänden“ und Potenzverssprechen seine geliebten verschissenen Unterhosen auszureden und statt dessen täglich frische anzuziehen:

„Bei der Suche nach neuer Anlagemöglichkeit und hohem Profit steckt das Kapital seine Nase auch unter den langen Pullover. Der Markt für Männerunterwäsche war bis vor kurzem herkömmlich enger als der für Damenunterwäsche, weil Frauen vor allem den Schlüpfer sehr viel häufiger wechseln, waschen und also verschleißen und weil ihre Unterwäsche gemäß der patriarchalisch bestimmten sozialen Geschlechtsrolle der Frauen die Funktion von Reizwäsche hat“, so daß „das Kundenideal des Unterwäschekapitals »weibliche« Züge trug“, die nun den Männern aufgeprägt werden mußten: „Die Bearbeitung vermochte einerseits bei »hygienischen« (!) Belangen anzusetzen, andererseits bei narzißtischen Männlichkeitsphantasien der Ausstattung mit Geschlechtsreizen.“ (W.F.Haug, Kritik der Warenästhetik)

Die unnatürliche und sogenannte Hygiene wird den Männern dadurch eingeredet, daß in einer Anzeige 90 % der Männer, die ihre Unterhosen nicht täglich wechseln (eine „scheinexakte Zahl“ übrigens), mit Schweinsköpfen abgebildet werden:

„Wer nicht täglich die Unterwäsche wechselt und waschen läßt – womit zugleich ein Wunschtraum der Waschmittelkonzerne in Erfüllung ging –“ (ein Beleg für die fortgeschrittene Monopolisierung!), „der wird als unsympathisches Schwein diffamiert. So wirkt diese Marketingstrategie als Beitrag zur Heranzüchtung eines neuen Standards im Verhältnis zum Körper. ... In dem Maße, in dem das Verdrängte künftig von der Ekelschranke umschlossen ist, hat sich“ die Abhängigkeit von der beworbenen Ware verfestigt. Das sinnliche Wesen aber ist umgemodelt. Was bisher unerheblich nebenher (?) spielte(?), mal lästig, mal aber auch Moment höchsten Genusses (Haug ein Fetischist?), ist jetzt verteufelt und zur Schranke des Genusses ... umfunktioniert worden.“ (Haug)


… am Beispiel der Unterhosenproduktion

Auch der zweite Weg der Modellierung des Mannes sei dem Leser nicht vorenthalten: Die Propaganda für sexy Unterhosen, die gar nicht hält, was sie verspricht:

„Ihre Versprechungen bewegen sich auf einem anderen Gebiet als der Körper, sie verspricht anders, als er halten kann.“ Wenn jemand „zum Kauf verlockt wird durch das Versprechen, vermittels der Ware Anerkennung als phallischer Held zu finden, so kauft er, weil er ein solcher sein und nicht, weil er wie ein solcher nur verpackt sein möchte. ... Die gekaufte Ware stattet ihn ... nur mit dem Schein des Gewünschten aus.“ „ ... Hinfort muß der Mann sich auch ein bestimmtes Erscheinungsbild als Attribut seiner Männlichkeit halten, wozu außer mancherlei Anstrengung ... auch die ständig erneuerte Anschaffung einer wachsenden Zahl von Waren gehört.“ (Haug)

An das Märchen, daß sexy-slips die Potenz fördern, hat wohl nur Haug geglaubt. Und nachdem der Professor mittels empirischer Überprüfung des Versprechens feststellen konnte, daß „er“ durchschnittlich exakt (oder scheinexakt) so oft hochzukriegen war wie in den alten Hosen, hat er sich hingesetzt und seine erste Warenästhetik geschrieben. Da aber die meisten Leute das Märchen eh nicht geglaubt haben, sondern tatsächlich nur eine „vielversprechende Verpackung“ anziehen wollten, wird durch die Enthüllung auch keiner zum Revisionisten, der es nicht vorher schon war. Also fährt Haug fort in seiner Beschimpfung von Leuten, die nicht so pinkeln, wie er es will:

„Im übrigen haben diese Hosen keinen Schlitz zum Wasserlassen. Das zeigt, sie sind nicht praktisch als Unterwäsche ...“ (Haug)

Schließlich könnte das in die Hose gehen, wenn man einmal nicht mehr so viel Zeit hat – wer weiß, ob es einem dann noch gelingt, unter dem Zwang der Verhältnisse einen ordentlichen Unterhosenschlitz zu bedienen:

„Den für den individuellen Konsum zugänglichen Waren wächst die ihnen an sich inadäquate Bedeutung zu, ein größtenteils in Lohnsklaverei verbrachtes Leben mit einem Sinn zu versehen, für den es sich lohnt ... Zuerst wird das Tun des Nötigen erleichtert; aber dann wird das Tun des Nötigen ohne Erleichterung zu schwer, und es kann das Nötige nicht mehr ohne Warenkäufe getan werden. Nun ist das Nötige nicht mehr zu unterscheiden vom Unnötigen, auf das nicht mehr verzichtet werden kann.“ (Haug)


Durch die Einheitsunterhose zum Klassenbewußtsein

Haug plädiert hier reaktionär dafür, sich gleich auf das „Nötige“ zu beschränken, auf Dinge, die „das Tun des Nötigen erleichtern“ zu verzichten, damit man den Wechselfällen, die ein Leben im Kapitalismus ja immer bereithält, nicht verweichlicht und „verwöhnt“ ausgeliefert ist, weshalb er solchen Bedürfnissen mit ihrem Sinn auch ihre Berechtigung abspricht.

„Sind Triebe und Bedürfnisse noch fortschrittlich unter diesen Umständen?“

Wenn die Fortschrittlichkeit der Bedürfnisse darin besteht, verzichten zu können, sieh auf das Reich der Notwendigkeit zu beschränken, dann taugt auch

„das Maß, in dem die Arbeiter in der Lage sind, ihre politischen Erfolge auch gegen kurzfristige Verbesserungen ihrer materiellen Lebenssituation zu behaupten, ... als Kriterium für die Entfaltung ihres Klassenbewußtsein.“ (Paris)

Und damit niemand meint, es könne sich hier lediglich um Vorschläge handeln, die Not im Kapitalismus auszuhalten, läßt Haug es sich nicht nehmen, stolz nach drüben zu weisen, wo das korrekte Klassenbewußtsein sich bereits manifestiert hat in den „Einheitsdingen die „sparsam, nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten hergestellt sind“, (sackförmiger Zuschnitt, optimale Materialverwertung, arbeitszeitsparende Rechts- und Links-Zugriffsmöglichkeit) und in der „Bedarfsdeckungswirtschaft“, die freilich das Problem hat, „Möglichkeiten für eine Bestimmung der Bedürfnisse zu schaffen“, was nur heißt, daß sich die Bedürfnisse am Sinn des Lebens, an der Arbeit für den Staat, auszurichten haben, –

„Gelebt und gearbeitet haben kann also für die Werktätigen im Kapitalismus niemals heißen: ein Werk vollbracht haben, das sie am Ende als erfüllender Inhalt ihres Lebens betrachten könnten wie im Sozialismus jede von ihnen gebaute Maschine, jede Fabrik ...“ (dann brauchten sie keine bunten Minislips)

– womit klar ist, daß die Revis mit den anderen Kritikern der Werbung vor allem eine Gemeinsamkeit haben: sie sind Fans des Staates, bloß eben eines anderen.


Fazit

Die Werbung und ihre kritische Affirmation erfüllen so den gleichen Zweck: sie befördern die Verwertung des Kapitals durch die Mobilisierung des zahlungsfähigen Bedürfnisses der Massen, die auch die im Kostpreis der Waren enthaltenen Werbekosten bezahlen müssen, und weisen es immer dann in seine Schranken, wenn es nicht zahlungsfähig ist und damit seine kapitalistische Existenzberechtigung verliert. So demonstrieren die Anzeigen und Spots den Reichtum der Gesellschaft seinen Produzenten und machen ihnen zugleich klar, daß ihre Teilhabe an ihm sich auf dreilagiges Scheißpapier beschränkt. Und Packard, Haug und der kritische Deutschlehrer, jeder auf seine Weise, halten den reaktionären Trost parat, daß zuviel Konsum ein Terror sei, und die Freiheit sich jedermann in der Beschränkung auftut.

 

aus: MSZ 20 – Dezember 1977

zurück zur Startseite