Fußball-WM ’78: BUENAS NOCHES ARGENTINA?
Alarmiert von diesem Zustand meldete sich alsbald ein Volksvertreter der CSU im Parlament zu Wort, der Kaiser Franz auf diplomatischen Kanälen nach Argentinien geschleust sehen wollte, um das Schlimmste zu verhüten. Der gute Dionys Jobst drückt naiv aus, daß Fußball nur dadurch zur schönsten Nebensache der Welt werden kann, daß es eine machtvolle, über ihm stehende Instanz gibt: die Regeln des Weltfußballverbandes, z.B. diese lächerliche Meldefrist, sind Makulatur, wenn der Staat – zur Rettung des Fußballs – beschließt, die Zeit etwas auszudehnen, weil sein Kaiser in die Mannschaft muß. Der Kanzler ließ dem Hinterbänkler ausrichten, daß ihm ein Erfolg von Vogts & Co auf südamerikanischem Rasen und die dadurch zu erwartende Verschmelzung der Bürger mit ihrem Staat, die sich in millionenfachen „Deutschland, Deutschland“-Rufen laut macht, als Begleitmusik seiner manchmal doch reichlich unpopulären aufschwungsfördernden Aktivitäten sehr gelegen käme. Zugleich jedoch bescheinigt Helmut dem Dionys eine gewisse Bewußtseinstrübung, was die Prioritäten angeht: zwar hat der deutsche Staat die Macht, die Regeln der FIFA zu ändern, aber er tut das nicht, sondern beharrt darauf, daß Fußball eben die schönste Nebensache ist. Die Hauptsache in dieser Welt, nämlich der Staat, mischt sich in diese Sphäre also nicht ein, könnten doch sonst ganz und gar unzulässige Vorstellungen entstehen, unser Staat müßte seine Massen mit Fußballerfolgen bei Laune halten. Weswegen Helmut Schmidt launig hinzufügt, er wolle in die „Hoheit“ des anderen Helmut nicht hineinreden.
Solange die deutsche Elf von Sieg zu Sieg eilte und so ganz zwangsläufig dafür sorgte, daß sich die rechte Begeisterung an der Überlegenheit des ,,deutschen Systems“ einstellte, war ja noch alles in schönster Ordnung. Die jüngsten Niederlagen freilich haben wieder einmal das vertrackte Problem aufgeworfen, daß die Massen, wenn sie wie-ein-Mann hinter ihrer Nationalelf stehen, die Überlegenheit ihrer Mannschaft gern gleichsetzen mit gutem Fußballspiel, also dummerweise fordern, die hochbezahlten Kicker, müßten als erstes mal besser spielen – ein Problem, das die DFB-Angestellten in ihren Kommentaren glänzend zu lösen verstanden. Erstens wurde festgestellt: „Was besseres haben wir nicht“, weshalb man 2. „mit dem auskommen muß“; wofür 3. das verlorene Spiel zur rechten Zeit kam und heilsam war, ist doch auf diese Weise 4. der ,,Masseneuphorie ein Dämpfer“ versetzt und den Spielern gezeigt worden, daß sie noch viel mehr hinlangen müssen, um der Ehre, Mitglied einer deutschen Mannschaft zu sein, gerecht werden zu können („Es spielen für Deutschland“...). Und damit diesen Parolen die rechte Andacht zuteil wird, bemühten Fußball(?)lehrer Schön und sein Boss Herrmann auch noch zwei Geister: den von Spiez und Malente, zwei Lager, wo die deutschen Spieler sich schon einmal zum Endsieg hochkollerten. Weil man sich aber auf keinen Fall jetzt plötzlich erhoffen kann, daß der Katsche, dieser Krummstiefel, aufspielt wie der ausgewanderte Kaiser und die Jungs überhaupt in Zukunft nurmehr ins gegnerische statt ins eigene Tor köpfen, kommt es also nur darauf an, der Elf die richtige Einstellung einzuhauchen, die man braucht, wenn man für Deutschland fummelt und foult. Unser oberster Trainer stellt in dieser schweren Stunde seine hervorstechenden Qualitäten erst recht in den Dienst der Nation, kehrt erst recht heraus, was ihn über den gewöhnlichen Trainer zum Bundestrainer erhoben hat. Er demonstriert, daß man – wie überall auf der Welt – auch und gerade auf dem nationalen Fußballfeld durch Leistung und ordentlichen Charakter (z.B. immer nur daheim kicken, brav auf die Funktionäre hören, auch in der B-Mannschaft begeistert aufspielen) zu Ehren kommt, und deswegen statt andauernder Ansprüche gefälligst etwas mehr Einsatzbereitschaft zu zeigen hat für das große Ganze. Man muß sich also von diesen Experten in Sachen Fußball bekehren lassen, daß der Fußballplatz v.a. ein Feld ist, auf dem sich vornehmste Bürgertugenden wie Anspruchslosigkeit und Opferdasein bewähren. Die Spieler selbst sind eifrig bemüht, diesem dem Spiel entgegengesetzten Standpunkt als den ihren heraushängen zu lassen. Allen voran der kleine, dumme Berti, der – je weniger er die gegnerischen Stürmer von den Beinen holen kann – die seinem Posten als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft zukommenden blödsinnigen Sprüche öffentlichkeitswirksam von sich geben darf. Ob er jetzt einen Sieg mit der guten Moral der Truppe erklärt oder ein mieses Spiel zum „Resultat mangelnder Kameradschaft“ uminterpretiert („Jeder spielt für sich, statt für die anderen“) – stets verkündet der Spielführer in seinen Stellungnahmen zum Geschehen auf dem grünen Rasen dem interessiert lauschenden Publikum, auf was es beim Spiel und im Alltag – wie man am Fußball leicht sehen kann – ankommt:
Die deutsche Journaille – immer an vorderster Front, wenn es darum geht, Schaden von der Nation abzuwenden –, gab der Stimme des Volkes viele Seiten Platz und kritisierte am DFB, daß er zu wenig dafür tut, eine so qualifizierte Mannschaft zusammenzustellen, daß auch sichergestellt ist, daß Deutschland in dem in Argentinien stattfindenden Vergleich der Staaten eine gute Figur macht. BILD z.B. ging der Sache auf den Grund und diagnostizierte messerscharf, daß unsere Profis einer allgemein menschlichen Unsitte erlegen wären, nämlich zu viel Geld zu verdienen, was ihren Charakter derart verdirbt, daß sie es nicht mehr für das Allerhöchste halten, der Nation selbstverständlich ihr fußballerisches Geschick zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite ist natürlich ein versauter Charakter wie der eines Paul Breitner, der ständig an unser aller Helmut herummeckert, akzeptiert, wenn er sein Talent nur zur Verteidigung des WM-Titels einsetzen würde.
Denn besser mit dem Nörgler und Querulanten gezeigt, daß auch im Kampf um den Coupe du Monde kein Weg an Deutschland vorbeiführt, als mit lauter braven Typen, die zwei linke Füße haben, gegen die Polacken oder gar diese Nordafrikaner baden gehen. Deshalb zetteln die Gazetten Versöhnungstermine an, kaufen Old Schwabbelface Neuberger gar ein Ticket nach New York, damit dieser den Kaiser retransferiere und geben mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Leser und von Prominenten gute Ratschläge („Stellen Sie Ihre Wunschelf auf!“), wie selbst mit dem augenblicklichen Aufgebot mehr Staat zu machen sei als bisher. BILD engagierte ganz einfach einen Berliner Psychologen, der 10 Millionen Lesern und 22 Spielern mitteilt, wie sie sich anstellen müssen, damit die deutsche Fußballzunft wieder Hochkonjunktur hat. Die Spieler sollen dadurch in Topform kommen, daß sie sich immer wieder sagen: „Ich kann auch so sein wie Franz!“ (alterprobte Methode nach dem belgischen Apotheker Coué, die auch Dettmar Cramer schon mit Erfolg bei den Bayern angewandt hat). Wer von Niederlagen spricht, zahlt 20; DM in die Mannschaftskasse (Zusatzvorschlag der MSZ:Wer Erich Beer etc. einen Pflocker nennt, wird mit Hans-Hubert und Helmut drei Stunden allein in ein Zimmer gesperrt). Die Spielerfrauen sollen ihren für Deutschland den Ball tretenden Gatten jeden gesundheitsfördernden Wunsch (wobei es leider auseinandergehende Meinungen gibt) von den Lippen lesen und ihnen das Gefühl geben, daß sie die Größten sind (z.B. soll Agnes Maier, obwohl sie die Späße ihres Sepp gar nicht komisch findet, herzlich lachen). Schließlich die Fans, die auch bei noch so miserablem Spiel die Augen zudrücken und“ die Mannschaft begeistert anfeuern sollen („Toll, dieser Fehlpaß von Berti!), um dadurch die Jungs wieder so spielfreudig zu machen, damit sich wieder ehrlich „Deutschland vor, noch ein Tor!“ brüllen läßt. Das Publikum trägt überhaupt einen Gutteil Verantwortung! an der Misere der Nationalelf: „So sehr wir gegen Fanatiker und Chauvinisten sind (na, na, na), so unbegreiflich muß der mangelnde Korpsgeist der Hanseaten bleiben“ (Die Fußballwoche anläßlich der schwachen „Aufhören, Aufhören!“-Rufe beim Brasilienspiel). Der Angriff auf die Fußballfanatiker heißt, daß ihr Fanatismus zwar sehr recht ist, aber sich immer daran zu bemessen hat, worauf er sich richtet: wenn die Fans schon so einsichtig sind, sich nur über Fußballspiele wirklich aufzuregen, dann sollte diese Einsicht auch so weit gehen, daß man auf keinen Fall vom Spiel sich abhängig zu machen hat. Das heißt zum einen, daß man seine Mannschaft anfeuert, weil man hinter ihr steht, egal wie sie spielt, zum anderen muß man aus genau demselben Grund imstande sein, eine Niederlage gelassen zu verdauen. Sportreporter wird man, wenn man dieses Kunststück massenwirksam vortragen kann: nämlich sich für die Mannschaft zu begeistern, Fouls und Fehler großzügig zu übersehen („trotz einiger gelber Karten, alles in allem ein faires Spiel“), zugleich jedoch – insbesondere wenn es schlecht geht – darüberzustehen und ganz objektiv von Fairness und Schönheit des Spiels zu faseln. Schließlich hat man auch als deutscher Fußballreporter den Ruf zu verteidigen, daß wir kein Land sind, in dem der Fußball alles ist, weil man sonst wenig ist.
Die Fanatiker und Chauvinisten sind also zu verurteilen, weil sie ein gewonnenes Match offenbar dringend nötig haben, um mit ihrer Nationalität zufrieden sein zu können. Wer glaubt, ein 7. Rang in Argentinien sei eine nationale Katastrophe, ist verrückt, weil er übersieht, daß Deutschlands Stärke nicht auf den Flügeln liegt, Es ist zwar ein willkommener Anlaß für Begeisterung über die BRD, wenn Deutschland es den anderen im Stadion wieder mal gezeigt hat – für das Wohlergehen unserer Demokratie gibt es aber weiß Gott Wichtigeres.
aus: MSZ 23 – Mai 1978 |