Demonstrationen gegen die Castortransporte Gewaltfrage? Freitag Morgen: „Wer gehofft hatte, die Anti-Atom-Bewegung könnte in den vergangenen zehn Jahren eingeschlummert sein, eingelullt durch verkürzte Laufzeiten und eine Pause im Salzstock Gorleben – weit gefehlt.“ (SZ, 5.11.2010) Eine ziemlich große Protestbewegung „einzulullen“ – schon cool, wie der Meinungsprofi jetzt den Zweck des Ausstiegsbeschlusses kennzeichnet, den er damals höchstwahrscheinlich als „unter den gegebenen Möglichkeiten besten Kompromiss“ bezeichnet und für die Herstellung eines gediegenen gesellschaftlichen Konsenses gelobt hat. Aber was scheren einen die Lügen von gestern, wenn es um die Demonstrationen von heute geht. „Bleibt friedlich!“ heißt jedenfalls wieder einmal die stetige Mahnung in Presse, Funk und Fernsehen, sonst wird euer Protest „unglaubwürdig“. Freitag Abend, Tagesschau: Noch bevor der erste Demonstrant mit einem Transparent gewedelt hat, spricht die Tagesschau-Tante von einem „bevorstehenden unruhigen Wochenende“. Da zwanzigtausend Demonstranten erwartet werden, „steht“ – auch das inzwischen offenbar völlig selbstverständlich! – einer „der größten deutschen Polizeieinsätze bevor“: über 16.000 Bullen sind schon vor Ort. Der Polizei-Pressesprecher darf in den Nachrichten verkünden, dass die Polizei für „Ordnung“ sorgen wird, was sonst? Alle, Zuschauer wie vor allem beteiligte Demonstranten, sollen sich Sorgen machen, dass nichts aus dem Ruder läuft. Um was es da eigentlich geht? Klar, irgendwie um Atomkraft, ungesund und so. Ein Vertreter der Protestler darf auch was dazu sagen: „Es komme nicht so sehr drauf an, dass der Castor-Zug umkehrt, sondern dass die Politik umkehrt. Sie müsse einfach zur Kenntnis nehmen, dass ihr Beschluss gegen die Mehrheit der Bevölkerung nicht durchsetzbar sei.“ Der Mann, obwohl seit Jahrzehnten auf derselben Demo unterwegs, scheint sich einen unverdrossen guten Glauben bewahrt zu haben – sowohl über die eigentlich guten Absichten einer Regierung, von denen er nach wie vor ausgeht, wie über die Wirksamkeit des demokratisch zugelassenen Protestwesens. Halten wir nur einmal nüchtern fest, mit wem sich die Atomkraftgegner anlegen, bevor es eventuell zu „gewaltsamen Zwischenfällen“ kommen wird: 1. Eine Bundesregierung, die die deutsche Energiepolitik so bestimmt, dass sie alle nötigen Funktionen für einen erfolgreichen nationalen Kapitalismus erbringt. Und die ihre Bürger wie die restliche Welt mit den Folgen konfrontiert. 2. Energiekonzerne, die auf Basis staatlicher Beschlüsse, ausgerüstet mit jeder Menge Kapital und Kredit, ihr profitables Geschäft mit der Atomkraft betreiben. 3. Eine ganze Abteilung deutscher Forschung und Wissenschaft, die sich den Anliegen der deutschen Politik widmet, den Ministerien mit Eifer bestellte Gutachten liefert und die vornehm die Schnauze hält, wenn ihre Ergebnisse nicht in die politische Linie passen. 4. Eine deutsche Presse, die sich voller Verständnis und auf allen Kanälen der Frage annimmt, wie die nationale Führung die schwierige Aufgabe bewältigt, die deutsche Wirtschaft mit billigem Strom zu versorgen, Energieunternehmen aufzubauen, die der weltweiten Konkurrenz standhalten und gleichzeitig „die Gesellschaft“, die diese Prioritätensetzung leider noch nicht ganz teilt, nicht zu „spalten“. 5. Ein Gewaltapparat, der sich vorsorglich in voller Montur aufbaut, seine Wasserwerfer auffährt, Pfefferspray, Schlagstock und juristische Konsequenzen gleich abschreckend für jeden androht, der den staatlichen Beschlüssen auch nur symbolisch in die Quere kommen will. Fazit: Auf was sich die Atomkraftgegner mit ihrem Protest beziehen, ist, unterstellt und verfügt also über jede Menge Gewalt! An den Punkten 1 bis 4 bemerkt das üblicherweise allerdings niemand, sondern sieht da nur eine durch und durch friedliche „Zivilgesellschaft“ am Werk. Erst wenn deren Gewaltapparat ins Bild kommt, wird – wenn überhaupt! – registriert, dass es in dieser demokratischen Gesellschaft so etwas wie „Herrschaft“ und „Gewalt“ gibt – eine Feststellung, die man sich ansonsten für ausgemachte Diktaturen wie China vorbehält. Sonntag Abend, bei Anne Will: Nachdem die Kameras der Tagesschau ein paar „gewaltsame Zwischenfälle“ festhalten mussten, unterhält sich eine illustre Runde über die Frage, ob Deutschland eigentlich „gegen alles“ ist. Ohne Scheiß ... Montag Morgen: BILD titelt „Castor-Irrsinn!“ und meint damit weder einen Zug, der mit gefährlichem Atommüll durch die Republik fährt noch die „17000 Polizisten“, die ihn sichern sollen. Gemeint sind vielmehr die Proteste, die dieses Jahr „so schlimm wie noch nie“ waren: „Bürgerkrieg im Wendland“. Das will die BILD-Zeitung aus einer Polizei-sms erfahren haben und so wird es dann natürlich auch gewesen sein. Vorläufige Lehren aus einem weiteren Castor-Wochenende: • Wem die deutsche Atompolitik nicht passt, kann auf SPD, Grüne oder Linkspartei setzen. Die Opposition ist schließlich genau dafür da: Unbehagen an der existierenden Politik einzusammeln und in Stimmen für eine nächste Regierung zu verwandeln. • Wem die deutsche Atompolitik nicht passt, kann darauf hoffen, dass irgendein Gericht einen Verfahrensfehler findet, sicherheitsmäßig ein bisschen nachgebessert werden muss, die EU mehr Transparenz anordnet. • Wem die deutsche Atompolitik nicht passt, kann sich daran erfreuen, dass in Presse und Fernsehen über sein Anliegen diskutiert wird – mit Für und Wider, Argumenten rauf und runter, alle bezogen auf den Maßstab, dass eine „realistische Lösung“ für die Probleme her muss, die „wir“ alle nun mal haben. • Wem die deutsche Atompolitik nicht passt, kann dagegen demonstrieren und seinen Unmut kundtun. Auch das ist erlaubt in Deutschland. Allerdings auch nur das. ____________________________
Wieder drücken die Völker die Daumen: Unser Euro wackelt – Ein Rettungspaket der (starken) Eurostaaten für die (schwachen) Eurostaaten Am Wochenende 8./9. Mai spendierte die Politik dem Volk ein Déjà-vu-Erlebnis: Wieder mal saßen Entscheidungsträger der höchsten Ebene mit rauchenden Köpfen bis in die Nacht zusammen, um rechtzeitig einen knalligen Beschluss hinzukriegen. Wieder mal galt es, durch ein politisches Machtwort einen drohenden „Super-GAU“ der Finanzmärkte zu verhindern. Zuletzt hatte man derlei erlebt, als im Herbst 2008 die Bankenkrise mit der Lehman-Pleite eskalierte und auch schon mit extremen Übernachtaktionen der Krisenstäbe eine „Kernschmelze des Finanzsystems“ bekämpft werden musste. Deadline war in all diesen Fällen die Börseneröffnung in Tokio, frühmorgens (MEZ): Abwehrmaßnahmen scheinen offenbar kaum mehr möglich, wenn die „Panik“ von dort ausgehend erstmal ihren Lauf nimmt … Anscheinend hat es unser Wirtschaftssystem so an sich, dass da ab und an akute Krisen „ausbrechen“. Und anscheinend können die sich so gefährlich hochschaukeln, dass die Beteiligten nichts mehr im Griff haben, sondern statt dessen – nach nicht einmal zwei Jahren – schon wieder „in den Abgrund schauen“. Wie an andere Vulkanausbrüche scheinen sich die Bürger aber auch daran regelrecht zu gewöhnen. Sie schauen sich in der Tagesschau an, was ihnen da erneut an Besorgnis erregenden Mitteilungen über den Bildschirm flattert: Der Euro soll in schwerer Gefahr sein, also das Geld, mit dem sie tagtäglich ihr Leben bestreiten und von dem sie (falls vorhanden) etwas auf die Seite gelegt haben für die Risiken, die ein Leben in der Marktwirtschaft „so“ mit sich bringt. Zum Grübeln über das „Lebensmittel“ Geld und seine seltsamen Unarten bringt das die wenigsten. Statt dessen versuchen sie sich auf die neue Lage einzustellen, auch wenn das gar nicht geht. Sie erinnern sich an Hyperinflation und Währungsreform, kaufen Goldmünzen und fragen bei der Sparkasse nach, wie sicher ihr Geld jetzt eigentlich noch ist. Und sie rufen, wie ebenfalls bereits gehabt, danach, dass sich die Politik gefälligst als rettender Engel in die Bresche schmeißen soll. Dass Vater Staat es richten soll, ist allen völlig selbstverständlich – so sehr, dass sie sich nur noch eines fragen: Greift die Regierung jetzt rechtzeitig und zu allem entschlossen ein? Macht Merkel auch bloß alles richtig? Setzen sich die deutschen Minister in Brüssel gegen alle anderen durch? Und dann auch noch: Schäuble krank ... Offenbar geht die Finanzkrise also in eine neue Runde. 1. Um das zu erklären, worum es momentan geht, wollen wir zunächst noch einmal die Vorgeschichte zusammenfassen.
Seinerzeit war der Ausgangspunkt des Crash-Szenarios die Immobilien-Kredit-Krise in den USA, diesmal ging es mit Umschuldungsproblemen Griechenlands los. Beide Male sorgte das Finanzsystem für eine lawinenartige Ausbreitung der Krise bis hin zum möglichen Kollaps der Märkte insgesamt. Der kleine Unterschied: In dieser „zweiten Runde der Finanzkrise“ geht es um die „Rettung der Retter“. Die Staaten, die in der „ersten Runde“ mit ihrem Staatskredit geholfen haben, die Kreditunwürdigkeit der Banken zu überspielen und den Absturz der Restwirtschaft zu bremsen, stehen jetzt mit ihrer Kreditwürdigkeit im Zentrum der Krise. 2007 und 2008 wurden weltweit Banken und andere Finanzinstitute vor dem Zusammenbruch gerettet, indem ihnen Zentralbanken zu Niedrigstzinsen quasi beliebig viel Geld zur Verfügung gestellt haben, das ihnen aus dem Interbankenkreditverkehr nicht mehr zufloss, und indem die Staaten gewaltige Kredite in Form von Bürgschaften für Zahlungsverpflichtungen und in Form direkter Kapitalspritzen springen ließen. Seitdem verdienen wichtige Häuser aus der Bankenbranche – auch mit der Staatsknete, die ihnen von allen Seiten zugeschoben wurde – wieder richtig viel Geld. Allerdings tun sie das auf ihre Art und nicht ganz so, wie es sich die Staaten mit ihren Hilfen vorgestellt hatten. Sie vergeben weniger Kredite an die sog. Realwirtschaft – denn die ist immer noch nicht aus der Rezession heraus, in die sie durch die Finanzkrise gestürzt wurde, erscheint also eher als unsichere Aussicht fürs Geldverdienen. Die Banken sehen profitable und sichere Geschäfte eher in einer anderen Sphäre. Das ist ironischerweise eine, die sich aus ihrer Rettung selbst ergeben hat: Emission von und Handel mit staatlichen Schuldtiteln. *1) Staaten beschaffen sich das Geld, das sie über ihre regulären Einnahmen (Steuern etc.) hinaus benötigen, wie andere Großschuldner auch am Kapitalmarkt. Dort lösen sie alte Schulden (fällig gewordene Schuldtitel) ein, indem sie neue Papiere ausgeben, und erhöhen das Schuldenvolumen darüber hinaus, wenn sie es – wie jüngst zur Rettung von Banken und Unternehmen – für nötig befinden. Kreditgeber sind Anleger aller Art, die Staatsschuldscheine, obwohl die im Allgemeinen relativ niedrige Renditen versprechen, wegen ihrer Sicherheit schätzen und gerne ins Portefeuille nehmen. Die besondere Sicherheit, die staatlichen Schuldversprechen zugeschrieben wird, beruht darauf, dass der Staat als Schuldner nicht wie ein Unternehmen mit seinen Geschäftserfolgen für die Einlösung seiner Versprechen haftet (wie es bei Unternehmensanleihen der Fall ist), sondern mit seiner hoheitlichen Zugriffsmacht auf jeglichen Reichtum, der auf seinem Territorium in seinem Geld erwirtschaftet wird, einsteht. Dennoch wird auch die Sicherheit von Staatsanleihen von den Kapitalmarktteilnehmern kritisch beäugt. Die Frage lautet stets: Dienen die Schulden, die ein Staat gemacht hat, wirklich dazu, ein Kapitalwachstum anzustoßen, so dass dem Finanzminister daraus die Mittel zur Schuldenbedienung zufließen und seine nächste Neuverschuldung „solide“ erscheint? Diese Frage wird längst nicht in allen Fällen, in denen ein Staat mit hoheitlicher Zugriffsmacht seinen Standort bewirtschaftet, so positiv beantwortet, dass ihm umstandslos seine Schuldpapiere abgenommen werden. Die Aufblähung der Verschuldung im Zusammenhang mit der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise hat aber auch bei den normal als „gute Schuldner“ geltenden Staaten Zweifel genährt, ob die munteren Schuldenmacher aus den wichtigen Hauptstädten der Welt die eingegangenen Verpflichtungen wirklich zuverlässig bedienen können. Denn im Fall dieser Schulden war eines von vornherein klar: Sie müssen sein, weil die Rettung der gefährdeten Banken „systemisch“ ist, werden aber gar nicht verausgabt, um neues kapitalistisches Wachstum anzustoßen, sondern „nur“, um den denkbar schlimmsten Unfall der Marktwirtschaft, den Zusammenbruch des Kreditsystems, zu verhindern. Seitdem müssen sich deshalb alle Staaten vermehrte Zweifel an ihren staatlichen Schuldpapieren gefallen lassen. Und zwar gerade von denen, die sie mit diesen Schulden gerettet haben – das ist die lustige und ganz sachgerechte Logik der Finanzsphäre, die eben nur eine Frage beherrscht: Wo lässt sich am besten Geld verdienen und wie sicher ist das? Welcher Staat angesichts des generellen Misstrauens, dass auf alle Fälle zuviel staatlicher Kredit in Umlauf ist, zuerst in Mißkredit gerät und damit Probleme bei der Umschuldung alter in neue Schuldtitel erfährt – dafür gibt es keine Notwendigkeit., aber – aus der Logik der Finanzanleger – heraus doch ein paar Anhaltspunkte. Nachdem schon einige andere Staaten zahlungsunfähig wurden und nur mit Hilfe von Drittstaaten oder supranationaler Behörden (IWF, Weltbank) weiter `im Geschäft´ blieben (genannt seien nur als Beispiele für Europa Island, Lettland, Ungarn und die Ukraine), kam mit Griechenland ein erster Vertreter der Eurozone ins Visier „der Märkte“. Dass dieses Land unter dem Euro-Regime zwar einige Wachstumserfolge erzielte, aber relativ zu anderen Euroländern eher Importüberschüsse im Warenhandel wie im Kapitalverkehr zu verzeichnen hatte, also negative Bilanzen, wird ihm jetzt zum Verhängnis. Die Kreditwürdigkeit des hoheitlichen Standortverwalters wird in Zweifel gezogen und diese Zweifel werden durch das praktische Verhalten der Kapitalmarktakteure in der Art einer self-fullfilling-prophecy bekräftig: Der griechische Staat konnte schon länger neue Papiere nur zu steigenden Zinsen am Markt unterbringen; Kurse von früher ausgegebenen Staatspapieren, die im Handel unter Abgabedruck gerieten, sackten ab; Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) stiegen an; Wechselwirkungen zwischen all diesen Teilmärkten verstärkten den Trend. Und auf diesen Trend setzte sich dann wie üblich (man lässt ja logischerweise keine Geschäftsgelegenheit aus) eine Extraspekulation oben drauf, die mit Wetten auf ihn, also die weiterhin steigende Kreditunwürdigkeit Griechenlands, schnelles Geld machen will. Die Reaktion der Euro-Länder Schon diese Entwicklung an den Finanzmärkten für Anleihen und darauf bezogene Derivate (CDS) konnte die anderen Euromächte nicht kalt lassen. Auch wenn sie sich bei Einführung der Gemeinschaftswährung (auf Betreiben der Deutschen) eine „no bail out-Klausel“ in ihr Vertragswerk geschrieben haben, wonach kein Mitgliedsland ein anderes aus dessen Schulden herauskaufen sollte *2), war allen Beteiligten sofort klar, dass mit der Pleitegefahr für ein Euroland, und sei es prozentual noch so geringfügig am Gesamtgeschäftsvolumen aller Euroländer beteiligt, die Kreditwürdigkeit aller anderen Mitgliedsnationen angekratzt ist – und damit auch die „Stabilität des Euro“ als solche. Stabil ist eine Währung umso mehr, je klarer für alle Finanzmarktteilnehmer, die Investments in verschiedenen „Währungsräumen“ miteinander vergleichen und gegeneinander abwägen, die Sicherheit auf dem Tisch liegt, jeden in dieser Währung realisierten Gewinn weiterhin in dieser Währung mit Perspektive auf Vermehrung anlegen zu können. Diese Sicherheit ist fragil, wenn wie im Fall Griechenland ein Teilstandort des Geschäfts, von dem die Gemeinschaftswährung Euro eben auch abhängig ist, auszufallen droht, weil der Hüter dieses Standorts, die dortige Staatsgewalt, nicht mehr Herr ihrer Finanzmacht ist. Darüber hinaus aber wurde und wird die Absage an griechische Staatsanleihen, die „die Märkte“ erteilen, begleitet durch eine unmittelbare Gefährdung des Euro. Auf den Devisenmärkten, auf denen der Euro selber Handelsobjekt ist und gegen andere Währungen getauscht wird, entsteht ein Verkaufsdruck, wenn Anleger aus griechischen Papieren aus- und dafür in amerikanische oder japanische Papiere einsteigen. Dieser Verkaufsdruck verfestigt sich und damit der Kursverfall des Euro gegen Dollar oder Yen, wenn Anleger dann auch wegen des sinkenden Euro aus anderen Euro-Investments (seien es Staatsanleihen anderer Eurostaaten oder sonstige Finanztitel) herausgehen. Und dieser für die Euromächte bedrohliche Trend wird erst recht akut, wenn eine Extraspekulation hinzukommt und einige „Spekulanten“ direkt Wetten gegen den Euro abschließen, z. B. mithilfe von Optionsge-schäften. Seit längerem wird kolportiert, dass einige Hedgefonds-Manager im Februar 2010 auch noch extra Absprachen über parallel ausgerichtete Wetteinsätze getroffen haben; deren Sprecher bemühen sich dann um die „Richtigstellung“, dass die Kapitalkraft ihrer Fonds gar nicht ausreiche, um die Kurse am Eurodevisenmarkt entscheidend zu beeinflussen. *3) Seit Einsetzen der Griechenlandkrise gibt es von Seiten der anderen Euroländer also akuten Handlungsbedarf, um sich und ihrer aller Währung aus der Schusslinie zu bringen. Zunächst einmal heißt der Versuch in dieser Phase: Der Angriff der Finanzmärkte gilt den Griechen – und nicht dem Euro. Wie 2008 auch versucht man, die Krise zu lokalisieren (damals bei der IKB, später bei der Hypo Real Estate Bank) und zu behaupten, dass alles andere weitgehend in Ordnung ist und keinen Zweifel verdient. Gerade weil klar ist, dass sachlich eine solche Trennung zwischen der Gemeinschaftswährung und einem Teilmitglied gar nicht richtig geht, wird den Griechen abverlangt, dass sie einen praktischen Beweis dafür antreten sollen, dass es nur an ihnen und ihrem schludrigen Umgang mit Schulden gelegen hat. Gleichzeitig werden vorsorglich die Länder, die als nächste ins Visier der Märkte kommen könnten, aufgefordert, ihre Haushalte zu sanieren (Irland, Portugal, Spanien). Während die Europäische Zentralbank (EZB) schon länger Unterstützung gewährt, indem sie gegen alle Gepflogenheiten die von den 3 großen Ratingagenturen auf „Ramsch“ heruntergesetzten Griechenanleihen weiterhin als Pfandsicherheit für die Gewährung von Liquiditätskrediten an Kreditinstitute akzeptiert und damit deren Kursverfall am Sekundärmarkt abbremst, ziehen sich die anderen Rettungsaktivitäten der Staaten ein wenig hin. Das liegt daran, dass sich die wichtigen Euro-Staaten bei aller Gemeinsamkeit darin, dass der Zweifel der Märkte auf Griechenland lokalisiert und dort bekämpft werden muss, über das „Wie?“ nicht einig sind. Vor allem Deutschland und Frankreich bringen unterschiedliche Vorschläge ins Spiel, die ihnen von ihrem nationalen Standpunkt und ihrer nationalen Betroffenheit her sinnvoll und unumgänglich erscheinen, und beharren darauf. Darin macht sich einerseits nichts anderes als der generelle Widerspruch des EU-Projekts geltend: Verschiedene Staaten bewirtschaften eine Gemeinschaftswährung, von der sie Nutzen für ihre Nation erwarten und verlangen. Aber genau das führt in einer Situation, in der Finanzmärkte an der Sicherheit des Gesamtprojekts (hier in seiner Form als griechische Staatsanleihen) zweifeln, zu neuen Anhaltspunkten, die das Misstrauen nähren: Es erscheint fraglich, ob die EU-Länder überhaupt mit ihrem Geld zusammen dafür einstehen, den Angriff der Spekulation auf Griechenland zurückzuschlagen. Nach und nach – immer unter dem Druck der Märkte – werden dann Konturen eines Hilfspakets für Griechenland deutlich. Dessen Volumen (110 Mrd. Euro) ergibt sich aus der Summe aller in den nächsten 3 Jahren fällig werdenden Tilgungs- und Umschuldungsverpflichtungen des griechischen Staatsschuldners, deren Einlösung man diesem nicht mehr zutraut. Man spendiert dem griechischen Staat also Zeit bis zum Wiedererreichen eigener Kreditwürdigkeit durch „Strukturreformen“ (die man ihm zugleich bis ins Detail verordnet). Aber auch der Zusatz, dass die „vorerst“ auf 3 Jahre limitierte hilfsweise Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit Griechenlands trotz eigentlicher Zahlungsunfähigkeit jederzeit verlängerbar ist, verschafft diesem Hilfspaket nicht den gewünschten und wohl auch erwarteten Erfolg. Im Gegenteil. Die Finanzmärkte „spielen weiter verrückt“. Nicht nur erhöht sich der „Risikoprämienaufschlag“ im Zinssatz griechischer Staatsanleihen relativ zum Zinssatz der best-gerateten deutschen Staatsanleihen immer weiter. Nicht nur werden jetzt auch Staatsanleihen anderer Euroländer, die als weitere Pleitekandidaten gehandelt werden, wie Portugal, Irland und Spanien, mit Zinsaufschlägen beglückt, die die Schuldenaufnahme verteuern und damit die prekäre Haushaltslage der Staaten verschlechtern. Auch der rasante Kursverfall des Euro geht weiter seinen Gang. Und am Ende spitzt sich die Lage auf den Finanzmärkten derart zu, dass in der Woche vor dem Brüsseler Beschluss alle möglichen Märkte mit einbezogen werden. Der Dow Jones-Index in New York stürzt aufgrund des Gerüchts, dass Obama den Europäern helfen müsse, kurzzeitig dramatisch ab. Der Interbanken-Kreditmarkt ist dabei, wieder „auszutrocknen“, weil die Banken natürlich am besten wissen, wie viele gefährdete Anleihen sie in ihren Büchern haben, ihren Partnerbanken also dasselbe zutrauen und entsprechend vorsichtig werden. Weltweit wächst „die Unruhe“ bei allen Finanzanlegern, denen die Verluste aus der ersten Runde der Finanzkrise noch vor Augen stehen. Der Goldpreis sprengt alle Rekorde … In hektischen Telefonkonferenzen auf G 7-Ebene macht US-Präsident Obama parallel zum EZB-Chef Trichet, der schon wieder das Wort „Kernschmelze“ in den Mund nimmt, deutlich, dass die Europäer jetzt ganz schnell etwas wirklich Großes unternehmen müssen. 2. Das Brüsseler Rettungspaket für gefährdete Eurostaaten, die den Euro gefährden In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai haben sich die EU-Verhandlungsführer zu einem ziemlich radikalen Beschluss durchgerungen, den ein paar Tage vorher sicher keiner von ihnen auf dem Monitor hatte. Jetzt sollte Schluss sein damit, dass „die Politik von den Märkten vor sich her getrieben wird“, wie eine der häufig verwendeten Sprachregelungen lautete. Die wichtigste Botschaft aus Brüssel heißt: „Der Euro wird mit allen Mitteln verteidigt!“ Gemeint ist das ausdrücklich so: Er wird als die Gemeinschaftswährung all seiner Mitgliedsstaaten, die er heute ist, gegen alle „Angriffe von Spekulanten“ (ein Verantwortlicher sprach von „Wolfsrudeln“) verteidigt. Damit kritisieren die Euro-Staaten die von ihnen selbst bis zuletzt (und auch noch während der Griechenland-Krise) betriebene Konkurrenz, die sie als Vertreter ihrer besonderen Nationen und deren unterschiedlicher, teils auch gegensätzlicher Interessen in diesen heiklen Fragen gegenüber ihrer gemeinsamen Währung eingenommen haben. Angesichts der drohenden Konsequenzen für das Geld, in dem sie alle ihre Standorte bewirtschaften, raffen sich die Euromächte zu einer betont einheitlichen und einheitsfördernden Position auf. Sie bekennen sich dazu, um der Stabilität ihres Euro willen allen Mitgliedsländern ungeachtet der Ursachen und der Größe von deren Schulden und Haushaltsproblemen ihre gemeinschaftliche Kreditwürdigkeit als Ersatz für deren gegebenenfalls nicht mehr vorhandene Kreditwürdigkeit zu leihen und zwar unbedingt und in jeder erforderlichen Größenordnung. Gleichzeitig werden damit die bisherigen Versuche der Eingrenzung der Staatsanleihenkrise auf Griechenland, was bis dato gültige Leitlinie war, auf den Misthaufen der Geschichte geworfen. Umgekehrt wird diese bisherige Politik der Kriseneindämmung, in der die Konkurrenz um die Vermeidung von Schäden für die jeweilige Nation – ähnlich wie in der ersten Runde der Krisenbewältigung, beim Bankenretten und Rezession-Bekämpfen – groß geschrieben wurde, zum Teil des Problems erklärt. Die Euro-Staaten sind nun der Ansicht, dass sie durch ihre „Unentschlossenheit“ die Märkte zu ihren kritischen Tests, inwieweit der Euro eigentlich gewollt sei, selber „provoziert“ haben. Auch Alternativen, die im Zuge der Griechenland-Krise laut geworden waren, werden nunmehr ausgeschlossen – nicht nur bezüglich Griechenland, sondern prinzipiell. So etwas wie das Nahelegen eines (wie auch immer zeitlich begrenzten) Austritts aus dem Euroverbund oder gar ein Rausschmiss kommt nicht in die Tüte. Die Losung jetzt lautet: Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Mitgliedsnationen aus deren Finanzproblemen herauszukaufen, falls das unabweislich nötig erscheint, ist das der endgültige Beweis, dass die Skepsis der „Spekulanten“ gegenüber unserer Währungsunion berechtigt sind! Der Beschluss In aller Rigidität bekennen sich die Euromächte zur Unbezweifelbarkeit ihres Willens, das imperialistische Aufbruchsprojekt, als das der Euro von Anfang an gemeint war, auch und gerade dann weiter durchzuziehen, wenn Probleme der etwas größeren Art auftreten. Sie bekennen sich dazu, an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) auch dann als Mittel der (nicht nur) ökonomischen Stärkung der Gemeinschaft und aller ihrer Mitglieder festzuhalten, wenn sich – wie jetzt sehr drastisch – die ursprüngliche Idee blamiert, der europäische Binnenmarkt mit seinem einheitlichen Geschäftsmittel, dem europäischen Geld, würde automatisch zu mehr Wachstum für alle und damit zu mehr Gewicht für die Währung führen. Die Probleme Griechenlands und mit Griechenland zeigen ja, wie das Wachstum der einen EU-Länder auf Kosten der anderen zustande kommt und welche negativen Rückwirkungen auch für die Gewinnernationen damit verbunden sind! Diese Währungsunion soll und muss nach wie vor eine Währung herausbilden, die so stark und wichtig ist, dass die Amis endlich ihre Monopolstellung als Leitwährungsnation verlieren – das wird jetzt offen bekannt! Auch Europa will endlich ein Geld, das weltweit als Zahlungsmittel begehrt ist, das man – so wie in den USA üblich – zur Abwälzung eigener Probleme auf andere nutzen kann, das man einfach nachdrucken kann zur Finanzierung allfälliger Weltmachtambitionen! Eine Verkleinerung der Mitgliederbasis („Kerneuropa“) oder gar ein Rückfall auf den Status einer „Provinzwährung“ (so wird auch die so erfolgreiche D-Mark im nachhinein genannt), kann und darf nicht sein! Wie sehen die Beschlüsse zur Rettung aller künftigen Wackelkandidaten der Eurozone aus? 1. Die Europäische Kommission gründet eine eigene Zweckgesellschaft, die am Kapitalmarkt Euroanleihen auflegen soll und das so zu günstigen Konditionen – man ist ja Agentur der versammelten Staatengemeinschaft und genießt deren potenzierte Kreditwürdigkeit – aufgenommene Geld dann ebenso günstig, am Marktniveau vorbei, an Problemländer weiterzuverleihen. Alle Mitgliedsstaaten sollen wiederum dafür bürgen, dass dieses Geld an die Zweckgesellschaft zurückfließt und zur zuverlässigen Bedienung der Zahlungsverpflichtungen zur Verfügung steht. Zusammen mit 60 Mrd. Euro, die aus Haushaltsmitteln der EU stammen, und 250 Mrd. Euro, die der IWF bereithält, sollen so insgesamt 750 Mrd. Euro als Kreditrahmen zustandekommen, so dass alle denkbaren Finanzierungsbedürfnisse schwächerer Mitgliedsstaaten abgedeckt werden können. Eine Aufstockung gilt ausdrücklich als möglich. 2. Die EZB soll in Zukunft ermächtigt und verpflichtet sein, auf dem Sekundärmarkt für noch nicht fällige Altanleihen von Euro-Staaten als Käufer aufzutreten, wenn die Nachfrage zu wünschen übrig lässt und der dann nachfolgende Kursverfall die Kreditwürdigkeit des Emittenten schwächen könnte. Dieser Baustein der Brüsseler Beschlüsse gilt als „Tabubruch“ für die EZB. Bei ihrer Gründung hatten die Gründerväter angesichts der noch gar nicht vorhandenen „Glaubwürdigkeit“ der neu kreierten Währung größten Wert darauf gelegt, dass die Notenbank in völliger Unabhängigkeit von den Regierungen ihre Geldpolitik zu betreiben habe und dabei nur die innere Werthaltigkeit, die Kaufkraft, als Zielgröße vor Augen haben müsse. „Strenge Regeln!“– das war der für unbedingt nötig erachtete Weg des Euro zur anvisierten „Stabilität“. Von diesen Skrupeln rückt die Eurogemeinde jetzt erstmal demonstrativ ab. Dass die EZB den Ankauf von europäischen Ramschanleihen, den sie ab sofort zur Rettung der Kreditwürdigkeit klammer Mitgliedsstaaten organisieren soll, mit selbst geschöpftem Geld finanziert, das also keine neuen Schulden der Eurostaaten begründet, gilt nunmehr als Vorzug dieser Art Hilfe. Mögliche Spätwirkungen wie Inflation – auf Warenmärkten oder im Finanzsektor („Blasenbildung“ heißt sie dort) – werden gesehen und erwähnt, aber für zweitrangig erklärt angesichts der jetzt drängenden Probleme. 3. Und schließlich wird im Zusammenhang der Brüsseler Beschlüsse auch nachdrücklich daran erinnert, dass man jetzt – nach den Erfahrungen mit den „Anti-Euro-Spekulanten“ – erst recht das Ziel einer „besseren Regulierung der Finanzmärkte“, das man eigentlich schon seit der ersten Runde der Finanzkrise fest im Visier hatte, verfolgen müsse. Gewisse Praktiken wie (ungedeckte) Leerverkäufe oder intransparentes, weil nicht an Börsenplätzen registriertes Hin-und-Her-Handeln von CDS und auch das Nicht-Kontrollieren gewisser Finanzunternehmen (Hedgefonds) – derlei müsste mit Nachdruck überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Man müsse den „Spekulanten“ die „Daumenschrauben“ nicht nur zeigen, sondern zur Not auch anlegen. Für solche Korrekturen an den „Spielregeln“ von Finanzmärkten, die letztlich natürlich nur erfolgreich sein können, wenn sie weltweit und ausnahmslos übernommen werden, habe man jetzt, durch die Eindämmung der akuten Spekulationsexzesse, Zeit gewonnen ... Alles ein entschlossener „Kampf gegen die Spekulanten“? Ein recht merkwürdiger „Kampf“ ist das schon, den Sarkozy, Merkel und die anderen angeblich führen: Die Spekulanten werden ja nicht in Handschellen ab- und dem Schnellrichter zugeführt. Vielmehr zielt der Staatskonter gegen sie darauf ab, sie gemäß ihren eigenen Rechnungen zu beeindrucken, womöglich zu widerlegen. Die Kreditgarantien der Euro-Gemeinschaft sollen die Zweifel in die Bonität dieses oder jenes Schuldnerstaates der Eurozone und damit in diejenige der Gemeinschaft insgesamt wirksam zerstreuen; dass dabei auch Verluste bei spekulierenden Hedgefonds entstehen sollen, die diese belehren, lieber auf den Euro zu setzen als gegen ihn, ist klar. Die Rechnungen der Spekulanten werden also nicht angegriffen, sondern sollen in die passende Richtung beeinflusst werden. Man will über Beschlüsse die Märkte von der Unsinnigkeit anti-euromäßiger „Exzesse“ überzeugen. Damit ist aber einmal mehr klargestellt, dass man die Finanzmärkte und ihre Protagonisten nicht nur nicht in Frage stellen, sondern umgekehrt ganz ausdrücklich ins Recht setzen will. Nur sollen sie durch die Beschlüsse aus Brüssel mit Fakten konfrontiert werden, die ihre Rechnungen anders ausfallen lassen. Man will die Freiheit der Finanzmarktakteure, man will ihr freies Schalten und Walten nach ihren eigenen Erfolgskriterien, weil man ganz grundsätzlich auf positive Funktionen dieses speziellen Gewerbes angewiesen ist und bleiben will. Nur bestimmte unliebsame Wirkungen, die zuletzt ganz offensichtlich mit den erwünschten Funktionen verbunden waren, die will man nicht und die möchte man unterbinden. Und zwar weniger durch Verbote, als vielmehr durch Angebote. Das Brüsseler Rettungspaket heißt ja: Schaut her, dank unserer Garantien für alle Mitgliedsstaaten könnt ihr auf alle Staatsanleihen, die in Euro begeben werden, und auf den Euro insgesamt setzen. Ihr alle, Spekulanten dieser Welt, seid herzlich eingeladen, in Euroland zu investieren und hier jede Menge Kohle zu machen! Wir machen den Euro fest, retten dadurch auch alle Finanzhäuser, die in Euro-Finanztiteln engagiert sind, und vertrauen fest darauf, dass Ihr das Eure dazutut und durch Euer Marktverhalten unsere Beschlüsse bestätigt! *4) 3. Wie die Eurostaaten mit den Widersprüchen ihres Eurorettungs-Programms fertig werden wollen Dass sie alle Register ziehen, um eine Pleite von Mitgliedsnationen und damit eine Pleite ihrer bislang so erfolgreichen Gemeinschaftswährung abzuwenden, kann man den Eurostaaten nicht absprechen. Es ist aber doch interessant, wie die Zweifel in die Kreditwürdigkeit von Eurostaaten ausgeräumt werden sollen: Durch noch mehr Staatskredit. Das ist erstens ökonomisch ein in sich widersprüchliches Unterfangen. Der Ausgangspunkt in der (zunächst Griechenland-, dann Euro-) Krise war ja bereits: Staaten haben in der Krise ihren Kredit strapaziert. Und zwar nicht, um mit kreditfinanzierten Staatsausgaben Geschäfte anzuschieben, die dann diese Schulden im Nachhinein rechtfertigen, indem sie dem Staat zusätzliche Einnahmen einspielen sowie eine stabile Verschuldungswährung zum Resultat haben. Sondern, um den drohenden Stillstand des Geschäfts zu unterbinden (Banken) und den eintretenden Einbruch des Geschäfts zu bremsen (Konjunkturpakete). Staaten sitzen seitdem auf Unmengen Schulden, ohne dass der Nachkrisenaufschwung schon viel bringen würde. Das Verhältnis von Schulden und Nationalprodukt verschlechtert sich, die Schuldenquote steigt. Schon vor der Griechenlandkrise ist der Imperativ „Sparen!“ ganz oben auf die Tagesordnung der Haushaltspolitik gesetzt worden, in Deutschland sogar durch eine gesetzliche Selbstverpflichtung („Schuldenbremse“). Und dennoch wurde der letzte deutsche Bundeshaushalt von Schäuble mit einer – „letztmaligen“ - Rekordneuverschuldung eingebracht, weil man in der andauernden Krisenlage die Konjunktur nicht „kaputtsparen“ dürfe. In dieser allgemein als prekär eingeschätzten Lage testen die Märkte, wie es ihrer Logik entspricht, die Kreditwürdigkeit einzelner Länder und damit die der Eurostaaten insgesamt. Sie zwingen sie dazu, die Verschuldung noch mehr in die Höhe zu fahren, um den überschuldeten Mitgliedsstaaten aus der Patsche zu helfen und damit ihre eigene Kreditwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Dieser Beweis, dass die Zweifler am Euro Unrecht haben, ist der Sache nach zugleich der Beweis, dass sie Recht haben. Denn der neu geschaffene Staatskredit zur Rettung des Staatskredits ist endgültig und von vorneherein unabhängig von jeder Funktion für die Förderung von Wachstum. Es sind Schulden der stärkeren Staaten, die ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Verschuldungsfähigkeit der nicht mehr schuldentauglichen schwächeren Staaten in die Welt kommen. Und diese Art Schuldenmacherei ist schwerlich dazu angetan, die Kreditwürdigkeit der stärkeren Staaten, um die es ohnehin nicht zum Besten steht, zu stärken. Ganz im Gegenteil. Mit ihrem Hilfspaket fordern die Macher die Frage heraus „Und wer rettet die Retter der Retter?“ Und dann folgt dem Kursfeuerwerk an den Börsen vom 10. Mai vielleicht der nächste Test „der Märkte“, der die Euromacher in Schwulitäten bringt. Niemandem ist das besser bewusst als den Staaten selbst, die das 750-Milliarden-Eurorettungsnpaket geschnürt haben. Auf die Frage eines Interviewers, ob das Rettungspaket ausreiche, um die Eurokrise in den Griff zu kriegen, antwortet Merkel „Natürlich nicht!“ Ihr wie all ihren Kollegen aus der politischen Klasse Europas ist klar, dass man nun unbedingt aus der „Schuldenfalle“ heraus muss, dass nicht nur die „überschuldeten Peripherieländer des Euro-Raums“, sondern auch die Führungsnationen mit Deutschland an der Spitze „radikale Strukturreformen“ anzugehen haben. Anders könne man ein „dauerhaftes Vertrauen“ der Märkte, also die für marktwirtschaftliches Regieren unverzichtbare Kreditwürdigkeit der Staaten, ihre bleibende Fähigkeit zum Zugriff auf die Finanzierungskraft der Kapitalmärkte, nicht zurückerobern. Dafür müssten die Haushalte aller Eurostaaten „in Ordnung gebracht“ werden. Die Alternative, die es niemals geben dürfe, sei ein „Auseinanderfallen Europas“, eine „Implosion des Euro“… Bei aller Einigkeit in dieser Frage, der Notwendigkeit eines Feldzugs gegen die „Überschuldung der öffentlichen Haushalte“, kann von einer einvernehmlichen Kooperation der Eurostaaten beim Problemlösen allerdings keine Rede sein. Ungeachtet der gemeinsamen Betroffenheit aller Euromächte von Krisenschulden und Schuldenkrise ist die Rollenverteilung in Geber- und Nehmernationen, in Gläubiger und Schuldner mit dem Griechenland- wie dem Euro-Rettungspaket erstmal festgeklopft. Und damit auch die in Nationen, die für sich und für andere „Sanierungspläne“ aufstellen, und solche, die sie sich diktieren lassen müssen. Bei sich selbst entdeckt noch jede Nation den Haken der als unvermeidlich betrachteten „Sparpolitik“: Staatliche Ausgaben sind nun einmal ein Hebel zur Beförderung des kapitalistischen Wachstums, von dem die Nation lebt, ihre Kürzung zum Zweck der Haushaltssanierung also ein Anschlag auf eben dieses Wachstum. Ob Straßen nicht erneuert, Kindertagesstätten nicht ausgebaut oder auch öffentliche Gehälter beschnitten werden – all dies mag für den ein oder anderen davon betroffenen Menschen ärgerlich oder ein ernstliches Problem sein – der volkswirtschaftliche Witz dieses staatlichen Sparens ist jedenfalls ein anderer. „Impulse“ für das nationale Geschäftsleben fallen weg. Und wenn darüber Geschäft selbst ausbleibt, leiden wiederum die staatlichen Einnahmen und die Finanzlage des Staates verschlechtert sich, statt sich zu verbessern – dieses „Dilemma staatlichen Sparens“ kann noch jeder parlamentarische Hinterbänkler auswendig aufsagen. Kein Wunder, dass – kaum war das Rettungspaket verabschiedet – ein parteiübergreifender Streit um das jetzt notwendige „Sparen“ anfängt. Das soll die globalen Finanzanleger erneut davon überzeugen, dass Deutschland die Qualität des Euro als solides Mittel expandierender Geschäfte über alles schätzt und alles dafür Notwendige gegen sein Volk durchsetzt – was auch immer sich der Finanzminister im einzelnen für diesen Beweis einfallen lassen wird. *5) Bei anderen Nationen ist man großzügiger in Sachen „Sanierung“. Wenn in Griechenland auf einen Schlag 30 % der Staatsausgaben gestrichen werden müssen, der Standort darüber dann ein wenig verrottet und auch der „soziale Frieden“ durchaus leidet, dann ist das aus Sicht der Gebernationen schlicht „alternativlos“. Wir brauchen dort kein „Fass ohne Boden“, in das wir sinnlos unsere Hilfsgelder hineinschütten! Und wenn der spanische Staat im vorauseilenden Gehorsam „radikale Einsparungen“ verkündet, fällt von deutscher Seite kein Wort der Warnung vor den Tücken des „Kaputtsparens“, im Gegenteil. Mit dem Brüsseler Rettungsplan für den Euro haben sich die Euro-Staaten zum imperialistischen Gehalt ihres Projekts (Konkurrenz zum Dollar) bekannt und ihr Zusammenhalten und Füreinander-Einstehen zum dafür wesentlichen Mittel erklärt. Ein weiteres Mal in der Weltgeschichte treibt insofern ein Angriff von außen (dieses Mal des „Wolfsrudels“ der Spekulanten) ein Bündnis konkurrierender kapitalistischer Staaten voran. Bei aller demonstrativen Einigkeit in Sachen Euroverteidigung wird allerdings – von der Problemdefinition bis hin zu jedem Lösungsvorschlag – gleichzeitig jedes Moment unmittelbar in virulente Souveränitätsfragen zwischen den europäischen Nationen übersetzt. Dazu demnächst mehr. ________________________ *1) Die Banken können sich bspw. Geld zu einem Zinssatz von 1% bei der EZB leihen und bekommen für Staatsanleihen 2,5% – ein sicheres und von ihnen massenhaft durchgeführtes Geschäft. *3) Ein Hedgefonds verfügt größenordnungsmäßig etwa über 40 Mrd. Dollar; für seine Spekulation hat er bei Optionsgeschäften zudem einen Hebel von etwa 20 zu 1 zur Verfügung. Andererseits werden auf Devisenmärkten riesige Geldmengen bewegt – insofern macht ein konzertiertes Handeln aus Sicht der Fonds-Manager Sinn. *4) Warum (auch) die Eurostaaten das Finanzgewerbe mit seinen mehr oder weniger spekulativen Geschäftspraktiken – Banken- und Staatsanleihenkrise hin oder her – so prinzipiell bejahen und unterstützen und auch die eigene Abhängigkeit vom Wirken dieses Gewerbes voll und ganz akzeptieren, dazu steht alles Nötige im Aufsatz „Das Finanzkapital III. Die `systemische´ Bedeutung des Finanzgeschäfts und die öffentliche Gewalt“, in: Gegenstandpunkt, Heft 1/2010. Es sei hier nur angedeutet, dass das Finanzgewerbe im modernen Kapitalismus die alles entscheidende kapitalistische Branche ist, weil hier nicht diese oder jene Ware erzeugt und gehandelt wird, sondern die Ware schlechthin, nämlich Geld als Kapital. An einem zuverlässig funktionierenden Finanzwesen hängt deshalb in ganz grundsätzlicher Weise das Wachstum des nationalen Standorts, es hat sozusagen den Charakter eines öffentlichen Auftrags: Über die Banken versorgt der Staat zunächst seine kapitalistische Gesellschaft mit dem, was sie dafür braucht: Mit der Geldware, in der alle wirtschaften sollen, und gleichzeitig damit auch mit dem nötigen Kredit, den inzwischen alle „soliden“ Unternehmen brauchen, um auf dem Markt gegen ihre Konkurrenz bestehen zu können. Der Finanzsektor gehört deshalb inzwischen selbst zu den Wachstumsbranchen, die dem Staat Steuern einbringen – in den USA werden bereits 40% des Bruttosozialprodukts in dieser Branche erwirtschaftet. Der Staat selbst schließlich erweitert seinen eigenen finanziellen Spielraum, indem er sich verschuldet – seine Banken verkaufen die Staatspapiere an das breite Publikum und erwerben auch selbst welche. Nicht zuletzt tragen große Banken mit ihrem internationalen Geschäft dazu bei, den Einfluss deutscher Unternehmen und des Staats in der ganzen Welt zu vergrößern. *5) Ohne große prognostische Fähigkeiten lässt sich allerdings vorhersagen, dass einige wie stets in den Ausgabenbereichen entdeckt werden, die mit „Sozialstaat“ zu tun haben. Diesen nach wie vor größten Haushaltsposten, der für das kapitalistische Wachstum nötig ist und gleichzeitig eine immer ärgerliche Kost darstellt, kann man eben immer neu ins Spiel bringen kann, solange der „soziale Frieden“ nicht in Gefahr gerät … ____________________________
Nach der WM ist vor der neuen Bundesliga-Saison Der Fußballfan ... ... ist nicht einfach ein leidenschaftlicher Anhänger einer Sportart. Wäre er das, so würde er das Gekicke aus Interesse an tollen Kombinationen, Dribblings und Torschüssen betrachten. Und wegen der Begeisterung und Spannung, die zustande kommen, wenn sich zwei gute Teams im Wettkampfspiel messen. Fußballfans genießen und beurteilen etwas Anderes. Sie sagen nach einem Sieg des von ihnen unterstützen Teams Sätze wie: „War zwar ein Grottenkick – aber Hauptsache, drei Punkte geholt!“ Und nach einem schönen Spiel, das mit einer Niederlage endet, schimpfen sie: „Mist, in Schönheit gestorben, brotlose Kunst!“ Fußballfans gehen nämlich von vornherein davon aus, dass ein bestimmter, nämlich „ihr“ Verein zu gewinnen hat. Dessen Recht auf Erfolg machen sie erst einmal unabhängig von allen dargebotenen Leistungen geltend. Umgekehrt wenden sie sich natürlich nicht einfach ab und suchen sich den nächstbesten Club aus, wenn ihre Mannschaft Niederlagen kassiert oder gar absteigt – das wäre ja so ungefähr das Gegenteil eines Fans. Nein, sie halten ihrem Verein die Treue und gehen mit ihm durch dick und dünn, auch dann, wenn das aus guten Grund wesentlich bescheidener formulierte Motto „wir sind unabsteigbar“ wieder einmal praktisch widerlegt wird. Der Stolz der Fans Wichtig ist einem beträchtlichen Teil von ihnen vor allem der persönliche Einsatz für „ihre“ Mannschaft. Sie legen Wert auf die Demonstration bedingungsloser Parteilichkeit, die sie gern der Außenwelt unter die Nase reiben – etwa indem sie stundenlang vor dem Spiel im Vereinstrikot gewandet die Fußgängerzone mit ihren Sprechchören nerven. Was in anderen Zusammenhängen als eher peinlich empfunden würde, lautstarkes öffentliches Bekenntnis zur Freundin oder zu seinem Lieblingshaustier, einem Fußballfan kommt es auf solche Art von Betätigungen schwer an. Die Frage, was an dem bestimmten und frei gewählten Objekt seiner Begeisterung – Schalke, Bayern, St. Pauli usw. – denn so Tolles sein soll, ist für einen echten Anhänger keine. Er hat sie längst beantwortet, einfach durch seine Entscheidung, es mit einem bestimmten Kollektiv von Gleichgesinnten halten zu wollen. Dieser Entschluss ist absolut willkürlich, oft beeinflusst durch den Wohnort und ähnlich zufällige Umstände. Und diese Parteilichkeit hat für sich gesehen auch gar keinen positiven Gehalt. Den Anschein davon bekommt die Entscheidung erst dadurch, dass es andere gibt, von denen man sich abhebt. Dann solidarisieren sich der Unternehmer, der Azubi aus der Lehrwerkstatt und der Berufsschullehrer – Leute, die ansonsten einiges an Konkurrenz und Gegensätzen austragen – und sind: „Wir Schalker“. Abgrenzung zu, Vergleich mit, Verachtung für „die anderen“ – in nichts als solchen Negationen besteht der „Stolz“, einem besonderen Fan-Kollektiv anzugehören. „Mit etwas muss man sich doch identifizieren“ Das würde sich natürlich keiner sagen lassen. Im Gegenteil, jeder Fan kennt tausend Gründe, warum sein Verein „der beste“ ist, dem Erfolg und seine höchstpersönliche Treue zu Recht gebühren: „Wir sind schon immer der Verein der Malocher im Revier, keine arroganten Geldsäcke!“ Damit richtet man sich dann gegen ein etwas anders gestricktes Credo wie: „Mia san mia! Keiner hat so viele Titel wie wir!“ Oder gegen die Selbstdarstellung: „Wir sind kein Bonzenklub, bei dem das große Geld regiert, wir sind der alternative Kultverein!“ Die Charakterisierungen, die man für den eigenen Verein ins Feld führt, stammen auf die eine oder andere Art aus dem Schatzkästlein der dummen Sprüche, mit denen die bürgerliche Konkurrenzmoral operiert. Da heiligt der Erfolg einerseits die Mittel, andererseits ist er eben nicht alles. In Anstand zusammenhalten, selbst wenn nichts klappt, ist auch was wert. Tugenden wie Ehrlichkeit, Heimatliebe und Treue werden deshalb genauso gefeiert wie Coolness, Schlauheit und geschickte Fouls, mit denen man den Gegner fertig macht. Gemeinsam ist also allen Fan-Gemeinschaften die Berufung auf etwas „Höheres“, das sie ideell eint und zu einem moralisch guten Kollektiv erhebt. Daran ist bemerkenswert, welchen Rückschluss auf ihr sonstiges Leben dieses Bedürfnis offenbart. • Wer meint, dass er seinem Leben einen Sinn verleihen muss, indem er sich mit allem Einsatz von Zeit, Geld und Energie für „seine Jungs“ in die Bresche wirft, der wird das schon aus irgendeinem Grund nötig haben – sein sonstiges Leben, in dem er seine Zeit im Dienst an fremden Zwecken verbringt, hat diese Befriedigung offenbar nicht im Programm. Seinen gesamten sonstigen Alltag, Arbeit und Familie, degradiert ein richtiger Fan schließlich ganz cool zur zweitrangigen Nebensache. Für ihn fängt sein richtiges Leben erst am Samstag an, wenn es mit den Kumpels „auf Schalke“ geht oder man mit wehenden Schals im Opel-Astra der Mannschaft zum Auswärtsspiel hinterherjagt. Warum es eigentlich so ist (oder sein muss), dass die gesamte Woche unter „ferner liefen“ zu verbuchen ist, warum sein „Werktag“ so viel Zeit und Energie kostet, warum auch das familiäre Privatleben auf Dauer eher stressig ausfällt als dass es Spaß macht – all das ist als gegeben abgehakt und kein weiteres Nachdenken wert. • Wer sich am Wochenende ein Gemeinschaftserlebnis sucht, findet in seinem Alltag anscheinend nicht viel an freundschaftlichem und solidarischem Umgang. Diesen einfachen Rückschluss auf die praktisch gut bekannten Phänomene „unserer Leistungsgesellschaft“ will der Fußballfan natürlich nicht ziehen: dass es die auf allen Ebenen als Konkurrenz um Einkommen, Jobs, Karrieren, Einfluss usw. organisierte Art und Weise der hiesigen kapitalistischen Gesellschaft ist, die das Verhältnis zwischen den Menschen so ungemütlich macht. Statt dessen lebt er das Bedürfnis nach Gemeinschaft, das bei ihm „trotzdem“ aufkommt, als Fan auf eine denkbar abstrakte, irrationale und unsympathische Art aus: Er sieht von allen gewussten Gegensätzen zu seinen Mitmenschen ab, steigert sich bewusst in einen emotionalen Rauschzustand hinein, in dem er selbst nur als bedingungsloser Parteigänger eines Haufens von professionellen Balltretern vorkommt und posaunt das lauthals gegen andere Wahnsinnige dergleichen Art heraus. • Natürlich ist klar: Die ideale Gemeinschaft, die sich die Fans auf diese Art und Weise als eine zurechtkonstruieren, auf das es doch ankommen müsste, gibt es in der Wirklichkeit nicht – weder beim Traditionsklub noch sonst wo. Das macht die Fans aber nicht weiter irre, statt dessen machen sie ihre Vorstellung kritisch gegen das real existierende Objekt ihrer Identifikationssehnsüchte geltend: Für sie denken außer ihnen, den wahrhaft treuen und selbstlosen Fans, alle anderen am großen Spiel Beteiligten mal wieder nur an sich selbst, Fußball ist heute „nur“ noch ein Geschäft und die Elf auf dem Rasen sind keine „Freunde“, sondern eiskalte Abkassierer, am Ende instrumentalisieren Prominente und Politiker die ganze Veranstaltung noch für sich und ihre Imagepflege – so kann man mit aller Enttäuschung und lauter an der Sache komplett vorbeigehenden Vorwürfen stur an der eigenen Vorstellung festhalten, wie es „eigentlich“ doch sein müsste. Eine Frage der Ehre Im Unterschied zu Menschen, die ähnliche Vorstellungen von einem Sinn, den ihr Leben braucht, und dem Charme einer „echten“ Gemeinschaft suchen, indem sie sich selbst als Sportler oder Vereinsmeier betätigen, delegieren Fußballfans das an ihre Mannschaften, die sozusagen stellvertretend für sie aktiv sind. Sie begnügen sich insofern einerseits mit der Rolle des unverwüstlichen und durch nichts zu erschütternden Anhängers. Andererseits legen sie in dieses Verhältnis nichts weniger als ihre Ehre. Sie erklären die Banalität, sich für einen Sportverein mit seinem Auf und Ab zu interessieren, zum A und O ihrer Person. Das hat für sie selbst ganz interessante Folgen: Freud und Leid ihres Lebens hängt für sie nämlich jetzt tatsächlich in erklecklichem Maß davon ab, was der von ihnen auserkorene Haufen da unten auf der grünen Wiese zustande bringt. Anders gesagt: Fußballfans suchen sich das Objekt ihrer Leidenschaft frei aus – darin liegt tatsächlich ein gewisser Unterschied zu nationalen Sportveranstaltungen, in denen das Kollektiv, in das die Staatsgewalt die auf ihrem Territorium Lebenden zwangs-eingemeindet, ideologisch überhöht und gefeiert wird. Diese freihändige Entscheidung praktizieren sie dann allerdings mit allem Ernst dieser Welt. Und für die so gelebte Vorstellung von sich selbst und der moralisch überlegenen Qualität ihres Vereins fordern sie dann auch Anerkennung vom Rest der Welt, vor allem zunächst einmal von den rivalisierenden Fans, deren Beleidigungen man sich nicht gefallen lassen will. Keine Frage, dass mangelnde Anerkennung und verletzte Vereinsehre dann notfalls auch mit Fäusten wiederhergestellt werden müssen, weshalb die Polizei immer viel aufzupassen hat. Mit Abschreckung, Kontrolle und Erziehung – kein Bundesligaverein ohne Fanklubwesen und offizielle „Fanbeauftragten“ – ist jedoch das berüchtigte „Hooligan“-Wesen im Laufe der letzten Jahre etwas aus der Mode gekommen und eher den 3. oder 4. Ligen zwischen Leipzig und Rostock vorbehalten. Statt sich in „Mobs“ zu gepflegten Massenschlägereien zu treffen, konkurrieren Fangemeinschaften heutzutage bevorzugt um die gelungenste Selbst-Inszenierung: Wer hat die tollsten Anfeuerungsrufe, wer schmäht den Gegner am witzigsten, wo herrscht die beste Stimmung! Fans nehmen sich inzwischen den Stadionbesuch als „Event“ vor, bei dem sie sich an ihrer eigenen Begeisterung so berauschen wollen, dass sie auch durch das mieseste Gekicke nicht von ihrer Leidenschaft abzubringen sind – und damit dem Rest der Welt Respekt für sich abnötigen. Klar, dass sich echte Anhänger dann einbilden, für diese Unterstützung sei ihnen „ihre“ Mannschaft etwas schuldig – oder diese sollte wenigstens so tun, als ob: „Wir wolln euch kämpfen sehn!“ Inzwischen findet die entscheidende ideelle Anerkennung für „die besten Fans der Welt“ – und das sind natürlich alle! – jedoch durch eine ihnen wohlwollend gesonnene Öffentlichkeit statt. Prominente Volkserzieher, erst recht in der Sportschau, sogar in SZ, FAZ usw. würdigen die„sympathische Fankultur“ bei jeder Gelegenheit, sie haben deren Produktivkraft längst entdeckt. Und das nicht nur, weil der Profifußball ein wichtiger Umsatzträger der Unterhaltungs- und (Werbe-) Industrie geworden ist. Öffentlichkeit und Staat fördern das Fußballwesen verstärkt als einen „Zuschauersport“, der sich prima als Volksvergnügen eignet. Denn für sehr viele, insbesondere jüngere Bürger, gehört das Mitfiebern beim lokalen Verein einfach dazu – und dieses Gefühl heimatlicher Verbundenheit mit der Region und, auf höherer Ebene, dem nationalen Kollektiv, schätzt die herrschende Klasse selbstverständlich und unterstützt es insofern gern. Was selbst bei den hartgesottensten „Ultras“ auf fruchtbaren Boden fällt: Zu besonderen Anlässen ruht nämlich die sonst übliche Fan-Rivalität. Bei Länderspielen, erst recht bei der WM, kennen „wir“ keine Schalker, Borussen oder Bayern! Da sind „wir alle“ zusammen Fans der deutschen Nationalmannschaft. Und das war schon immer so. |