American Heroes „Die Helfer, die bei den Rettungsarbeiten nach den Anschlägen vom 11. September ihre Gesundheit verloren, werden entschädigt!“ berichtet die SZ vom 13. März 2010 (hieraus alle folgenden Zitate). Michael Moore hat über diese Geschichte, die in Amerika zu einem kleinen Skandal geworden ist, einen Film gemacht. „Sicko!“ Botschaft und Inhalt des Streifens umreißt die SZ wie folgt: „Wohlmeinende, ehrliche Leute, die für ihr Land anpacken und dann von diesem im Stich gelassen wurden. Viele können nicht mehr arbeiten, haben mit den Jobs ihre Versicherung verloren und verlieren nun, weil sie jeden Cent für Ärzte und Medikamente ausgeben, auch ihre Wohnungen.“ Die Betroffenen, mit ihnen Michael Moore und breite Teile der Bevölkerung, deuten das Schicksal der ehemaligen Helden als Skandal. Von der Nation, von Staat, Unternehmern und ihren amerikanischen Volksgenossen haben sie offensichtlich anderes erwartet und klagen deshalb an. Das ist allerdings schon etwas daneben – denn was soll einen nationalen Helden eigentlich auszeichnen, wenn nicht genau das: selbstlose Aufopferung für das, was das Vaterland von ihm erwartet und einfordert? Angebracht wäre es ja wohl, sich an Hand des Schicksals dieser Leute mal ein paar Gedanken darüber zu machen, wie eigentlich ein ganz normaler Mensch zum Helden wird und wofür er sich dabei eigentlich „opfert“. In diesem Sinn liest sich die Geschichte der american heroes vom ground zero nämlich etwas anders: als Aufklärung über die im kapitalistischen Alltag Amerikas geltenden Prinzipien, für deren Rettung die Feuerwehrleute und sonstigen Helfer verheizt wurden.
Fazit: Statt sich zu wundern über die schäbige Behandlung hätten die Helfer, hätte das amerikanische Fußvolk und mit ihm die Patrioten der gesamten freien Welt, an dieser Geschichte einiges lernen können: 1. Es gibt keine positive Volksgemeinschaft, die es zu verteidigen lohnt. Die lieben Volksgenossen, mit denen man sich in Zeiten nationaler Notlagen verbündet wähnt, bestehen aus konkurrierenden Geldverdienern, Unternehmern, Rechtsanwälten, Ärzten usw., die die Notlagen ihrer Mitmenschen gewinnbringend ausnutzen. 2. Wenn man erst zum Einsatz kommandiert und anschließend für Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft als Held gewürdigt wird, dann sollte man zuhören, wofür man da von seinen Herren gelobt wird: Für den Dienst an einer Nation, von der das einfache Volk nichts hat außer Arbeit und Armut. Wer sich das Lob gefallen lässt und zugleich einen irgendwie gearteten Lohn ausrechnet, ist ein selbstbewusst-ignoranter Heuchler, der sich praktisch verheizen lässt. Mit ziemlicher Sicherheit werden weder die Betroffenen noch die Nation, die an ihrem schweren Schicksal Anteil nimmt, diese paar Schlüsse aus den damaligen und heutigen Ereignissen ziehen. Was passiert ist, erschüttert sie alle miteinander nicht in ihrem festen Glauben an die eigentlich gute Volksgemeinschaft, der sie angehören. Die Differenz zwischen ihren Vorstellungen und dem, wie mit den Rettern vom Ground Zero umgesprungen wird, erklären sie sich vermutlich wahlweise mit angeblichen Sachzwängen, Verfehlungen bösartiger Amtsinhaber, vielleicht sogar einem undankbaren und rücksichtslosen „System“. Am Ende läuft noch einer Amok für die erbittert geglaubte Idee, dass man so nicht umgehen kann mit den „american heroes“ ... ____________________________ Ausnahmsweise Einigkeit Die kleinen Leute monieren mal wieder: „Mit uns kann man’s ja machen.“ Wir meinen: Genau! *** Verurteilung des bösen Manns = Freispruch fürs System Die Liebhaber der kapitalistischen Gesellschaftsordnung halten gerne alle Errungenschaften der Zivilisation, alle technischen Erfindungen und überhaupt alle Schönheiten des Lebens vom Milchkaffee über das Düsenflugzeug bis hin zur Solarzelle dem Kapitalismus zugute. Wenig Zusammenhang können sie zwischen ihrer geliebten Wirtschaftsweise der privaten Bereicherung in Konkurrenz und auf Kosten anderer und deren unschönen Resultaten erkennen: Ein ums andere mal ist irgendein Schurke (manchmal auch mehrere) schuld, wenn es mal wieder kracht. *** Eine Frage der Bildung Manche Menschen, die in Sozialkunde nicht genug aufgepasst haben, fragen sich in Zeiten allgemeiner Rezession, wer denn nun die ganzen Unsummen über Nacht vernichtet hat. Gebildetere wissen natürlich, dass es die unsichtbare Hand des Marktes war. *** Zur Beruhigung Der Markt kann nicht nicht regulieren. *** Wertpapiere Wer bei dem Wort allein nicht misstrauisch wird, der soll sich jetzt auch nicht beschweren! *** Verhältnisse und Verhältnismäßigkeit Unter diesen Verhältnissen kann es als sicher gelten, dass der Diebstahl von 250 Euro aus der Tasche eines kleinen Mannes diesen mehr erregt als sein nächster Tarifvertrag. *** Konsumentenverantwortung In Zeiten der guten Konjunktur wird die Verantwortung für die ökologischen Folgen des kapitalistischen Wachstums von den Herrschenden gerne der Konsumwut jedes Einzelnen in die Schuhe geschoben – mit jedem Schluck Cola stirbt ein Schimpanse. Die einzig denkbare und angeblich wünschenswerte Lösung liegt im freiwilligen Konsumverzicht. Nun fordern die gleichen Ideologen ihr Volk in der Krise zum massenhaften Autokauf auf! *** Wissenschaft und Erkenntnis Seit Krise ist und die Staaten mit Milliarden intervenieren, steht eine wissenschaftliche Theorie heftig unter Beschuss. Angeblich ist ihre Zeit sogar schon abgelaufen. Der Neoliberalismus hat abgedankt und die Tragfähigkeit des Keynesschen Wirtschaftskonzepts gewinnt an Zuspruch. An den Universitäten ist Umdenken angesagt. So geht also Theoriebildung in einem System, dass sich gerne von staatlich bezahlten Philosophen „Wissensgesellschaft“ nennen lässt. Argumente, wissenschaftliche Auseinandersetzung? Papperlapapp – was über die Güte einer Theorie entscheidet, ist schlicht das: Wie sie zur Realität passt und ihrer „Zeit gemäß“ ist. *** Gedankenspiel Nur für den Fall, die aktuelle Krise würde sich im nächsten Jahr noch so richtig ausbreiten und die ganze so genannte „Realwirtschaft“ erfassen. Nur für den Fall, dass die Besitzenden einfach nichts mehr mit ihren Produktionsmitteln, Arbeitskräften, Mietskasernen, Grund und Boden anzufangen wüssten, weil beim besten Willen kein Geld mehr damit zu verdienen ist. Sollten wir dann alle weinen, vor den stillstehenden Fabriken und den leeren Häusern hocken und auf die Rettung durch irgendwelche Staatsführer hoffen? Oder wäre es doch denkbar, dass diese Dinge auch ohne die Bereicherung ihrer Eigentümer nützlich sind? *** Hoffnung und Erlösung Von Hoffnung und Vertrauen ist in diesen Tagen viel die Rede. Gehofft wird, dass die Krise doch nicht so schlimm werde und bald vorüber gehe, dass den Mächtigen doch ein geeignetes Gegenmittel einfallen möge, dass mit einem neuen Präsidenten in Amerika alles besser werde, dass es hoffentlich nicht noch zu einem großen Krieg kommt (hatten wir ja schließlich alles schon, machen wir uns gar nix drüber vor, ist schlimm, weiß jeder), dass die unvermeidlichen Pleiten hoffentlich andere Länder und Betriebe, die unvermeidlichen Entlassungen hoffentlich andere Kollegen, die bevorstehenden Banken-Crashs bitte nicht das eigene Vermögen vernichten mögen und so weiter und so fort. Es wird immer weiter gehofft. Darf man aus so viel Hoffnung vielleicht den Schluss ziehen, dass die normalsterblichen aber selbstbewussten Mitglieder einer bürgerlichen Gesellschaft entgegen ihrer eigenen Einbildung NICHTS, aber auch GAR NICHTS im Griff haben? Darf man vielleicht auch einmal einen historischen Vergleich machen und die hoffnungsfrohen und aufgeklärten Zeitgenossen daran erinnern, dass ihre Verstandesleistungen ganz schön der frommen Unmündigkeit mittelalterlicher Untertanen ähneln, über die sie sich so erhaben fühlen? Und wäre es vermessen zu behaupten, dass ihr Verhältnis „zur Entwicklung auf den Märkten“ und den Zickzackkurven der Börsen, auf die sie ebenso erstaunt wie ehrfürchtig schauen, als wären sie vom Himmel gefallen, in Sachen Ohnmacht und Unterwerfungsbereitschaft einfach einzigartig ist? Kein Wunder also auch, dass die Krise der Kapitalakkumulation zur Konjunktur des guten alten Glaubens führt. Mit seiner Sorte Hoffnung und Erlösung ist er doch das zuverlässigere Opium, besonders seit wir Papst sind. Und schließlich halten die kritischen Realisten ein Leben nach dem Tod offenbar immer noch für wahrscheinlicher als die Idee einer geplanten Wirtschaft zum Nutzen aller. *** Unerbittlicher Frieden Schon seit Jahrzehnten herrscht zwischen den Ländern des Westens erbitterter, pausenloser Frieden. Ohne den hätten sie den Krieg gegen das Böse auf der Welt nie gewonnen. Und auf diesen Frieden sind sie stolz. Manchmal so sehr, dass man den Eindruck bekommt, dass sie ihn nicht mehr lange durchhalten. *** Völkerverständigung Immer wieder ist zu bestaunen, wie die Völkerverständigung auf Konferenzen und Spitzengipfeln Fortschritte macht, ohne dass die Völker auch nur ein einziges Wörtchen sagen müssten. Noch staunenswerter ist vielleicht nur noch, wenn Politiker angestrengt und nächtelang um den Frieden ringen, den sie alle so dringend wünschen, dann aber leider doch nicht sichern konnten, so dass am nächsten Tag die Bomben fliegen. *** Der richtige Zeitpunkt In der Krise müssen die Lohnabschlüsse niedrig sein, damit die Unternehmen nicht pleite gehen. Im Aufschwung müssen sie niedrig sein, damit sie die Konjunktur nicht abwürgen. Für billige Lohnarbeit ist im Kapitalismus einfach immer der richtige Zeitpunkt, natürlich nur, um den fleißigen Arbeitsleuten auch weiterhin eine solch famose Lebensgrundlage zu ermöglichen. Das ist gewissermaßen ein Sachzwang, der nicht wirklich etwas mit dem Interesse an rentabler Ausbeutung zu tun hat. *** Zeitgeist Immer beliebter wird die Forderung, den wild gewordenen Kapitalismus durch die gute alte Marktwirtschaft zu ersetzen. Krisenzeiten sind eben auch im Geistesleben einer Nation turbulente Zeiten! *** Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen Passend zur Krise warnt der Papst: „Wer das Haus seines eigenen Lebens nur auf sichtbare und materielle Dinge – wie Erfolg, Karriere und Geld – aufbaut, der baut auf Sand.“ Bei aller Kritik muss man ihm das eine lassen: Im Vergleich zum kapitalistischen Konjunkturverlauf sind unsichtbare immaterielle Dinge wie die heilige Dreifaltigkeit, die unbefleckte Empfängnis oder das jüngste Gericht einfach ein superfestes, Jahrtausende altes Fundament, auf das man nicht nur Häuser des Lebens, sondern sicher noch viele Luftschlösser bauen könnte. ____________________________
sollen schuld sein an dem großen Desaster, das in diesem Herbst über uns alle gekommen ist. „Bankster“ nennt die in solchen Fragen ungemein kreative BILD-Zeitung jetzt den Berufsstand in unserer Gesellschaft, der professionell mit Geldangelegenheiten befasst ist und normalerweise nicht nur gut bezahlt, sondern auch hoch angesehen ist. Im Augenblick ist es mit seinem Ansehen allerdings nicht so weit her. Der Volkszorn richtet sich gegen diejenigen, die in ihrem „Casinokapitalismus“ Milliarden verzockt haben. „Wann legen Sie den Gangstern unter den Bankern das Handwerk?“, fragt BILD die Politik. Und die schickt – zunächst in Amerika, inzwischen auch bei uns – durchaus ein paar Ermittlungsbeamte los, die kriminellem Treiben auf die Spur kommen sollen. Es wird also eine Große Schuldfrage aufgeworfen und beantwortet. Etwas ist falsch gelaufen! Woher man das weiß? Dumme Frage! Man sieht es doch! Alles ist in Unordnung geraten, Banken krachen, Kurse stürzen ab, Politiker schwitzen über Rettungsmaßnahmen. Da muss doch jemand etwas falsch gemacht haben, heißt die Logik. Banken und Banker Sie geben aller Welt Kredit, damit mehr gewinnträchtiges Geschäft stattfinden kann. Nicht ohne Berechnung – aber seit wann ist das verlangt in einer kapitalistischen Wirtschaft? Ihre Kredite können sie vergeben, weil sie über das Geld ihrer Kundschaft verfügen. Sie führen die Konten einer Gesellschaft, die mit Geld hantiert und damit „ihre Wirtschaft“ abwickelt, die Lohnkonten kleiner Leute genauso wie die Geschäftskonten großer Unternehmen. Dafür kassieren sie erstens Gebühren. Zweitens aber nutzen die Banker die bei ihnen deponierten Geldsummen, um sie zu verleihen. Sie zahlen dem Teil der Kundschaft, der ihnen sein Geld anvertraut, Zinsen und verlangen von dem Teil, dem sie es überlassen, höhere Zinsen. Bei ihrem Kreditgeschäft beziehen sich die Banken darauf, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft die Unternehmer immer einen guten Grund haben, sich zusätzliches Geld zu besorgen. Diese sogenannte Realwirtschaft sieht in der Möglichkeit, auf Kredite der Banken zurückgreifen zu können, einen ganz und gar unverzichtbaren Dienst bei ihren Unternehmungen, „rentabel“ zu sein. Für diesen Dienst zahlt sie Zinsen und bemüht sich, immer kreditwürdig zu sein. Umgekehrt verdienen die Banken an den Unternehmen. Geht eine Geschäftskalkulation nicht auf – was infolge der Konkurrenz der Unternehmen ständig irgendwo der Fall ist –, versuchen sie ihre Ansprüche auf Zins und Rückzahlung aus der Konkursmasse zu bedienen; gewieft wie sie aus Erfahrung sind, wittern sie Zahlungsschwierigkeiten vielleicht auch schon vorher und treiben mit ihren Bemühungen, ihr Geschäft zu sichern, das ein oder andere Unternehmen in den Ruin. Ansonsten aber basiert ihr Geschäft auf dem Erfolg kapitalistisch produktiver Betriebe. Dieses Grundgeschäft der Banken funktioniert unterm Strich nicht schlecht; bei den Geldinstituten, privaten wie öffentlich-rechtlichen, wird aus dem Geschäft mit Schulden Geld gemacht, und zwar nicht wenig. Auf dieser Basis denken die führenden Köpfe der Bankenwelt vorwärts. Und zwar genau so, wie es alle Subjekte in der Marktwirtschaft tun. Sie wollen mehr verdienen. Sie wollen das, was sie schon verdient haben, so einsetzen, dass es noch schneller wächst. Und sie überlegen sich, wie sie dieses Ziel noch effektiver, geschickter, risikoloser erreichen. Selbstverständlich sind sie profitgierig – eben genau so, wie es alle in dieser angeblich vernünftigsten aller denkbaren Wirtschaften sind und ja auch sein sollen. Nicht anders als der Rewe-Kaufmann, der seine Kundschaft mit einer geschickt ausgeleuchteten Gemüsetheke anschmieren will; nicht anders als Opel Bochum, das mit der x-ten Rationalisierungsmaßnahme die Lohnsumme senkt, die seinen Erlösen gegenübersteht. Finanzgeschäfte der höheren Art Sie erfinden sich nämlich zusätzlich zu ihrem normalen Kreditgeschäft eine ganze Palette von „Finanzprodukten“ und machen eine regelrechte „Finanzindustrie“ auf. Was alles dazu gehört; wie alles im einzelnen funktioniert, ist einerseits so vielfältig und kompliziert, dass die Bankfachleute selbst zugeben, den Überblick zu verlieren und nicht mehr alles zu verstehen. Das Prinzip der ganzen Chose ist aber durchaus klar und eindeutig. Daraus, dass die gesamte kapitalistische Gesellschaft damit beschäftigt ist, sich Waren zu verkaufen, Geld zu investieren oder zu leihen, Risiken zu versichern, Währungen zu tauschen usw. usf., machen die Finanzfritzen jeweils eine eigene Geschäftsgelegenheit. Selbstbewusste Profitgeier Entsprechend denken die Banker über sich. Sie halten sich für die mit Abstand fortschrittlichste Fraktion des internationalen Geldverdienens. Das betrifft nicht nur die Gewinnmargen ihres Geschäfts, in denen ein Ackermann 25% Rendite von seiner Bank verlangt. Sie wissen, dass sie es tatsächlich geschafft haben, die gesamte restliche Welt von dem Kredit, den sie verwalten, abhängig gemacht zu haben – von den popligen kleinen Konsumenten über alle Arten kapitalistischen Unternehmens und Handels bis hin zum Staat, der über sie seine Staatsverschuldung managt. Mag sein, dass das Zirkulieren von und Spekulieren auf ihre ganzen Papiere irgendwie auch davon abhängt, dass ausgebeutet und verkauft wird, dass gebaut und verwaltet wird. Sie aber sind es, an deren Tropf diese gesamte Gesellschaft hängt – die wahre Elite des Kapitalismus. Das wollen sie honoriert sehen – in ihren Gehältern und darin, dass das gesamte Gemeinwesen ihnen den fälligen Respekt entgegenbringt und sie nicht mit dummem Sozialneid und anderen „peanuts“ behelligt. Diese Typen sind also der Auffassung, dass das, was sie sich in die Tasche stecken, keineswegs zu Unrecht dort landet, ein Betrug am Rest der Welt ist oder ähnliches. Angesichts des „großen Rads“, das sie drehen, finden sie ihre fürs gemeine Volks unvorstellbaren Gehälter ganz und gar gerecht und halten die öffentliche Stimmung gegen sie für den Ausdruck eines immer noch existierenden kleinbürgerlichen Egalitarismus. Dass sie „wie alle anderen“ dem staatlichen Recht und seiner Justiz unterliegen, empfinden sie als Unding – eine populistische Verbeugung des demokratischen Staats vor seinen Volksmassen. Und so sehr sie jetzt, in der offenbar gewordenen Krise ihrer tollen Finanzindustrie, die alles andere mit reinzureißen droht, staatliche Hilfe verlangen und auch kriegen – das Rettungspaket von 500 Milliarden umfasst immerhin ungefähr das Anderthalbfache des gesamten Bundeshaushalts 2008 – so unerhört finden sie die damit verbundenen Auflagen. Die angedachten Gehaltsbeschränkungen sollen deshalb von der politischen Klasse als erstes relativiert werden – damit die Banken sich überhaupt helfen lassen! „Bankster“ trifft die Sache also nicht. Jetzt, wo die Sache aufgeflogen ist, bezichtigt man diese Leute einer falschen Profitgier – und will doch gar nichts gegen das Prinzip von Kredit und Geld gesagt haben, das es ja auch in Zukunft wieder geben soll, nur eben wieder erfolgreich. Jetzt erfreut man sich sogar einen Moment lang an der Vorstellung, dass der Dünkel von Ackermann & Konsorten einen drüber kriegt – die SZ schreibt durchaus ein bisschen schadenfroh: „Jetzt wird es ungemütlich in den Chefetagen.“ – um eben diese Typen morgen wieder zu hofieren. Anders gesagt: „Bankster“ sind diese Subjekte ausschließlich in dem Sinn, wie das ganze System von Recht und Eigentum, Demokratie und Allgemeinwohl funktioniert. Es macht die Bereicherung weniger auf Kosten der Massen zum gültigen Prinzip, das juristisch in Ordnung geht und demokratisch gewollt ist. Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank? ____________________________
Amerika hat seinen Hauptfeind erledigt und feiert den Sieg der Gerechtigkeit Am 11. September 2001 hatte eine Handvoll islamistischer Terroristen zum größten Teil erfolgreich drei Symbole der amerikanischen Weltmacht attackiert: das World Trade Center, das für die ökonomische Macht der USA stand, das Pentagon als Zentrale der militärisch-politischen Macht und das Weiße Haus als Ort der politischen Führung. Seitdem führt Amerika einen globalen „Krieg gegen den Terrorismus“ mit den Hauptschauplätzen Afghanistan (als Basisland von Al Kaida) und Irak (als Schurkenstaat mit antiamerikanischen Ambitionen) und seine Geheimagenten jagen Osama bin Laden, den saudi-arabischen Führer der Terrorgruppe, Auftrag: lebendig oder tot. Der Krieg gegen Amerikas Feinde findet nach Obama deshalb statt, weil „die Opfer“ das verlangt haben. „Heute kann ich dem amerikanischen Volk und der Welt mitteilen, dass die USA eine Operation durchgeführt haben, die Osama Bin Laden getötet hat, den Führer der al-Qaida und einen Terroristen, der für den Mord an Tausenden von unschuldigen Männern, Frauen und Kindern verantwortlich ist.“ Die Opfer Bin Ladens sind natürlich nur der Berufungstitel, nicht der Grund für die jahrzehntelange Jagd auf den Drahtzieher – sie selbst sind tot und die etwaigen privaten Rachegedanken ihrer Angehörigen sind deren Sache und keine Maßgabe für die Staatsgewalt. Der amerikanische Präsident lässt bei seinem Verweis auf die Opfer als Auftraggeber sehr absichtsvoll unter den Tisch fallen, dass sein arabischer Kontrahent natürlich nicht einfach „unschuldige Männer, Frauen und Kinder“ in aller Welt um die Ecke bringen wollte, sondern dass der von ihm geplante Anschlag auf die einschlägigen Symbole der Weltmacht USA gezielt hat. Dafür hat Osama den Tod durchaus auch möglichst vieler amerikanischer Bürger gewollt, die er allesamt für schuldig hielt, das in seinen Augen verbrecherische Treiben ihrer Nation auf der ganzen Welt und speziell im Nahen Osten zu ermöglichen (=> Amerikas Feinde in „Immer noch aktuell). Der amerikanische Präsident entpolitisiert nun die Attacke auf die US-Bauwerke samt lebendigem Inventar – so wird daraus ein Massenmord an lauter unschuldigen Menschen. Gründe (im Sinne von nachvollziehbaren Kalkulationen) dafür, etwa in Amerikas Nahostpolitik, kann und darf es nicht geben – das wäre ja so ungefähr dasselbe wie gute Gründe. Insofern war hier schlicht „das Böse“ am Werk – und das ganz vehement: „Fast 3000 Bürger wurden uns genommen, eine klaffende Lücke blieb in unserem Herzen zurück.“ Rein zahlenmäßig haben die USA ihren Erzfeind im Gefolge von 9-11 natürlich ohne Probleme getoppt. Allein in Afghanistan und im Irak lassen sie alle zwei Monate mehr „Menschen“ bzw. „unschuldige Zivilisten“ über die Klinge springen (insgesamt nach Schätzungen amerikanischer Institute bisher 30.000 in Afghanistan und 190.000 im Irak, ohne das Haus für Haus eroberte Falluja, über das anscheinend gar keine Zahlen vorliegen. Quellen: Wikipedia/Wikileaks). Der himmelweite Unterschied, der jeden solchen Vergleich deshalb von vornherein verbietet, liegt aber darin, dass Amerika mit seiner army grundsätzlich im Auftrag des „Guten“ unterwegs ist, weshalb die Leichen, die seinen Weg pflastern, nicht gegen es sprechen, sondern nur davon zeugen, wie viel Übel und Antiamerikanisches es in dieser Welt eben gibt. Terrorismus contra legitime Staatsgewalt Denn das ist nun mal der Kern der ganzen Angelegenheit: der Unterschied der geächteten terroristischen und der anzuerkennenden legitimen staatlichen Gewalt. Allein an der ausgeübten Gewalt sind beide Seiten gar nicht zu unterscheiden, ebenso wenig an den Gründen, die sie für sich geltend machen: Beide fighten für eine in ihren Augen gerechte Weltordnung, beide berufen sich dafür auf die jeweils höchsten Werte, die ihrer Nationen, und beide führen sie auch noch einen Gott oder Allah an, der ihr Handeln heiligt. Der Unterschied ist: Osama will seine gerechte Sache erst erkämpfen, weil es sie noch nicht gibt. Was ihm vorschwebt als Überwindung der gegenwärtigen Lage, ein machtvolles und allseits respektiertes Konglomerat arabischer oder auch nicht-arabischer „Kalifate“ mit einem gefestigten ökonomischen und moralisch-religiösen Innenleben (islamische Sittlichkeit), ist ein purer Wunschtraum, ein politischer Idealismus. Seinen Kampf führt er deshalb nicht aus der Position eines anerkannten Staates mit ökonomischen und entsprechenden politischen Mitteln, sondern mit einer Handvoll Gleichgesinnter, nicht auf der Basis gesicherter Steuereinnahmen, sondern mit Spenden, nicht mit einer regulären Armee, sondern mit Bombenanschlägen, nicht mit UN-Resolutionen, sondern mit Videobotschaften. Deshalb ist die von ihm ausgeübte Gewalt „Terror“, sprich: keine legitime, weder durch ein loyales Volk, noch durch die Staatengemeinschaft anerkannte Gewalt. *1 Obama dagegen regiert einen Staat – und zwar nicht irgendeinen, sondern den mächtigsten Staat der Welt. Er sieht (wie sein Vorgänger) durch 9-11 „die Sicherheit“ seines Landes bedroht – das ist die Wahrheit der „Schmerzen“, die die 3.000 Opfer für die Nation bedeutet haben. Schließlich verlangt Amerika vom Rest der Welt, dass seine Interessen freie Bahn haben und diese Weltordnung der Freiheit gilt seit dem Abdanken des kommunistischen Ostblocks überall. Mit den nicht immer schönen Konsequenzen für Menschen wie ganze Nationen sollen sich alle abfinden und sich der überlegenen Gewalt der Weltmacht beugen. Das ist „die Ordnung“, die der Terrorakt in den USA selbst angegriffen hat – wenn auch nur symbolisch, denn an zwei Türmen und zwei Gebäudekomplexen hängt die Macht der USA natürlich nicht. Der US-Staat sieht seine Macht in Frage gestellt, die Unantastbarkeit des Heimatlands verletzt und die Nation gedemütigt. Schnell antwortet er darauf mit Krieg, um sich und seine Position zu verteidigen. Obama jetzt, 10 Jahre danach: „Wir haben schnell herausgefunden, dass die Angriffe vom 11. September von al-Qaida ausgeführt wurden – einer Organisation unter Führung von Osama Bin Laden, die öffentlich den USA den Krieg erklärt und sich verschworen hat, Unschuldige in unserem Land und rund um die Welt zu töten. Und so haben wir einen Krieg gegen al-Qaida begonnen, um unsere Bürger, unsere Freunde und Verbündeten zu schützen.“ Weil Amerika die größte Macht auf dem Globus ist, hat es dabei das Recht ganz selbstverständlich auf seiner Seite: Die Staatenwelt und die UN bescheinigen den USA, dass ihr Krieg gegen den Terrorismus legitim ist, sprich: die von den US-Boys begangenen Gewalttaten in Ordnung gehen.
ist dabei unbedingtes Kriegsziel. Dass sich die USA mit dem „Mythos“ Osama bin Laden und seiner Al Kaida vielleicht nur selbst ein Bild zurecht gelegt haben, unter das sie alle Widerstände in der arabischen Welt zusammenfassen, die sie ärgern, spielt keine Rolle. Dass sie selbst wissen und jetzt ständig zu Protokoll geben, dass der Terror natürlich nicht besiegt ist, nachdem dieser als Ursprung allen Übels ausgemalte „Terrorfürst“ ausgeschaltet wurde, ist unerheblich. Als Weltmacht waren sie es sich auf alle Fälle schuldig, ihr eigenes Feindbild endlich sauber abzuarbeiten und den personifizierten Erzfeind zu erledigen. Dass dies so lange gedauert hat, obwohl die Supermacht alles dafür getan hat, war schon länger wie eine Schmach empfunden worden. Jetzt hat´s der US-Staat allen gezeigt: Kein Feind der USA kann sich vor deren Exekutionsorganen in Sicherheit bringen, nirgendwo auf der Welt. Und diesen Erfolg will sich der aktuelle amerikanische Präsident, der blöderweise unter einem gewissen Weichei-Image leidet, auch persönlich ans Revers heften: „Und so habe ich kurz nach meinem Amtsantritt Leon Panetta, den Direktor der CIA, angewiesen, die Tötung oder Gefangennahme Bin Ladens zur Top-Priorität in unserem Krieg gegen al-Qaida zu machen, während wir unsere breiteren Bemühungen fortsetzen, sein Netzwerk zu stören, auseinanderzunehmen und es zu besiegen.“ Natürlich war der Tod Osamas Ergebnis davon, dass sich die CIA mit ihren Agenten jahrelang an seine Spur geheftet und am Ende die bestausgebildeten und -gestatteten amerikanischen Elitesoldaten zugeschlagen haben. Der Befehl des obersten Kommandeurs nach dem bekannten Krimi-Motto „Fangt den Täter, schnell!“ trägt zum Gelingen einer solchen Aktion bekanntermaßen wenig bei. Deshalb versucht Obama, die Bedeutung seines Anteils an der Angelegenheit zu unterstreichen – eine schneidige Killeraktion bringt eben ein paar Wählerprozente in unser aller Vorbildstaat. „Der Tod von Bin Laden stellt die bedeutendste Errungenschaft bis jetzt bei den Bemühungen unserer Nation dar, al-Qaida zu besiegen.“ Während er diesen tollen Triumph in alle Welt ausstrahlen lässt, will Amerikas Präsident zugleich die Muslime beruhigen. Sie haben keinen Grund, sich aufzuregen, denn die USA sind modern und reflektiert genug, ihr Mordkommando zu unterscheiden von einem Krieg gegen „den Islam“: „Während wir dies tun, müssen wir außerdem bekräftigen, dass die USA keinen Krieg gegen den Islam führen und niemals führen werden.“ Zwar hat Obama, wie er mehrmals hervorhebt, höchstpersönlich den Tod Osamas befohlen, der im Namen des Islam gegen Amerika gekämpft hat. Und natürlich führen die Amis auch ansonsten einen Krieg gegen den Islam – gegen den politisierten Islam nämlich, der nicht bereit ist, sich umstandslos in die amerikanische Weltordnung einzuordnen und dem amerikanischen Gebot über die richtige Reihenfolge von Staat und Religion zu genügen (dafür stehen die Taliban, die iranische Republik u. a. ja durchaus unter Generalverdacht!). Während bei Amerika die Nation, ihre Macht und ihre Moral also allesamt in eins fallen, muss beim Islam aufgepasst und sortiert werden: hier der gute, gefügige, dort der böse Islam. Bei Osama aber war sowieso Hopfen und Malz verloren – in seinem „Nachruf“ spricht Obama dem Al-Kaida-Führer kurzweg ab, überhaupt ein „muslimischer Führer“ gewesen zu sein. „Bin Laden war kein muslimischer Führer, er war ein Massenmörder von Muslimen. Tatsächlich hat Bin Laden eine große Zahl von Muslimen in vielen Ländern abgeschlachtet, darunter in unserem eigenen Land. So sollte sein Tod von allen begrüßt werden, die an Frieden und Menschenwürde glauben.“ Als glaube man doch nicht so ganz an die eigene Theorie, hat man den schändlichen Massenmörder dann allerdings vorsichtshalber im Meer versenkt ...
standen der amerikanischen Aktion ein wenig im Weg. Denn (nicht nur) bei der Suche nach dem Terrorchef war klar geworden, dass der Staat, den man sich zum Hauptverbündeten erkoren und finanziell entsprechend ausgestattet hat, ein ziemlicher Hort des bekämpften politischen Islam ist. Kein Wunder übrigens – genau diesen religiösen Fundamentalismus hatte die USA ja während der sowjetischen Besatzung Afghanistans bestens benutzen können und damals massiv gefördert. Amerikas Schlussfolgerung daraus heißt (bereits seit Monaten): Wir denken nicht daran, uns durch etwaige Rücksichtnahmen auf die Souveränität Pakistans oder sonstige völkerrechtliche Kleinlichkeiten ausbremsen zu lassen. Drohnenangriffe, Aktionen amerikanischer Soldaten oder auch seltsamer Zivilisten ergeben immer wieder kleine Nachrichten in den Tageszeitungen über „20 bis 25 versehentlich getötete Zivilisten“ in Waziristan, „von hinten erschossene Räuber“ in Islamabad u. ä. Für ein Kommando vom Kaliber „Osama zur Strecke bringen“ gilt das natürlich schon lange – da können sich die deutschen Völkerrechtler noch so aufregen und ihren deutschnationalistischen Antiamerikanismus in ausgefuchste Studien übersetzen. „Im Laufe der Jahre habe ich wiederholt klargemacht, dass wir innerhalb von Pakistan handeln werden, wenn wir wissen, dass sich Bin Laden dort aufhält. Das ist es, was wir getan haben. Aber es ist wichtig festzuhalten, dass unsere Terrorabwehr-Zusammenarbeit mit Pakistan geholfen hat, uns zu Bin Laden und dem Anwesen zu führen, auf dem er sich versteckt hat. Tatsächlich hatte Bin Laden auch Pakistan den Krieg erklärt und Attacken gegen das pakistanische Volk angeordnet. Heute Nacht habe ich Präsident Zardari angerufen, und mein Team hat auch mit seinen pakistanischen Kollegen gesprochen. Sie stimmen zu, dass dies ein guter und historischer Tag für unsere beiden Nationen ist. Und in die Zukunft blickend ist es wichtig, dass Pakistan weiter mit uns gegen al-Qaida und dessen Verbündete kämpft.“ Dass die USA auf dem Boden Pakistans mit Helis herumfliegen, ihre Feinde erschießen und deren Häuser in Brand stecken, ist ihr gutes Recht – ihr Präsident hat es schließlich schon immer gesagt. Und Pakistan hat zugestimmt, dass all das „ein guter und historischer Tag für unsere beiden Nationen ist“. Na dann! Andererseits schützt dies die Pakistanis nicht gegen ein „Schurkenstaat-Verdikt“, nachdem klar ist, dass Osama sich nur mit geheimdienstlicher Unterstützung so lange an einem solchen Ort hat aufhalten können ...
All die kleinlichen Probleme, die Obama in seiner Triumph-Rede noch streift – unter anderem auch noch die leidigen Kriegskosten –, stehen zurück, wenn er zum schwungvollen Finale ansetzt. Alle Verluste, alle Opfer, alle Anstrengungen, alles, was noch auf die Nation zukommt, sind nämlich ein einziges Argument dafür, zu dem „Gemeinschaftssinn des 11. September“ zurückzufinden. In ihm liegt die Lösung für alle Probleme, die Amerika zu schaffen machen. Auch wenn das der Sache nach nicht stimmt, formuliert der amerikanische Präsident damit einen denkbar harten Anspruch an sein Volk: Er fordert dessen bedingungslose Aufopferungsbereitschaft für die Nation. Umgekehrt wertet er die gelungene Hinrichtung des Erzfeindes als „Zeugnis für die Großartigkeit unseres Landes und der Entschlossenheit des amerikanischen Volks. Die Absicherung unseres Landes ist noch nicht komplett. Aber heute Nacht haben wir einmal mehr daran erinnert, dass Amerika schaffen kann, was es anstrebt.“ Bei Hitler, Stalin und Mao würde jeder unschwer den bösartigen und gefährlichen Größenwahn heraushören – aber zum Glück sind wir ja im Vaterland der Freiheit. „Danke. Gott segne euch. Und Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika.“ P. S. Merkel gratuliert für Deutschland. Und hat tags darauf Verständnis dafür, dass man als Deutscher amerikanische Rachegelüste auch moralisch bedenklich finden kann. _____________ *1 Übrigens ist die Weltgeschichte voll von Beispielen, dass „Terror“ Staatsgründungen vorausgeht. Man denke nur an die zionistischen Terroristen, die den Staat Israel erkämpft haben, die UCK, die den Serben das Kosovo abgetrotzt hat, die Maoisten in China und nicht zuletzt die USA selbst, deren Lostrennung von ihrem Mutterland England auch nicht beim Tee ausgehandelt wurde. ____________________________
Anlageprofis raten: Citigroup meiden! Trotz gigantischer staatlicher „Schutzschirme“ geht die Bankenkrise ihrer inneren Logik gemäß weiter. Das voranschreitende Zusammenbrechen der miteinander verschlungenen Geldvermehrungskreisläufe quer durch die Finanzzentren aller Länder fordert weitere Opfer. In den USA, dem Kernland der Finanzkrise, kam zuletzt die einst größte Universalbank der Welt, die Citigroup, an die Reihe. Um die Pleite abzuwenden und damit wieder mal eine „Kernschmelze“ im weltweiten Finanzsystem zu verhindern, musste der amerikanische Staat „in einer dramatischen Wochenendentscheidung“ alle Bedenken hintanstellen und für 306 Milliarden US-Dollar Staatsbürgschaften und 20 Milliarden Soforthilfe zusagen. Schon wieder ein neuer Weltrekord im Jahr 2008. Ohne diese Bürgschaften hätte die Bank von ihresgleichen und Profianlegern auf dem Kapitalmarkt keinen Cent mehr ausleihen können; ohne die Geldspritzen wäre sofort die Überschuldung eingetreten. Und jetzt liest man, Tage später, in der Anlegerzeitung „Euro am Sonntag“ vom 30.11.08 Folgendes: „Trotzdem bleibt die ehemals größte Bank der Welt ein Schwerstkranker. Vier Quartale in Folge erwirtschaftete das US-Unternehmen, bedingt durch die Finanzkrise, Verluste von insgesamt 20 Milliarden Dollar. Doch das sind Peanuts im Vergleich zu dem, was nicht in den Konzernbilanzen steht. In banküblichen Verfahren wurden Risikowerte in Zweckgesellschaften ausgelagert. Diese `Off-balance-sheet´-Positionen erscheinen folglich nie in den Unternehmenszahlen. Angaben der Citigroup zufolge handelt es sich dabei um 1,23 Billionen Dollar an hochriskanten Vermögenswerten, darunter auch 667 Milliarden Dollar an Hypothekenanleihen. Im Zuge der US-Immobilienkrise und dem damit verbundenen Wertverfall am Häusermarkt sind diese Papiere derzeit faktisch wertlos, da sie keine Käufer finden. Weil die Anleihen wiederum als Sicherheiten zur Aufnahme weiterer Kredite verwendet wurden, ist das Ausmaß des Schadens bis dato schwer kalkulierbar. Zudem ist auch die Hilfe des Staates keineswegs kostenlos. Pro Jahr kommen nun 2,2 Milliarden Dollar an reinen Zinszahlungen auf die Citibank zu. 75.000 Entlassungen stehen ins Haus, die Aussichten sind finster. Anleger sollten einen großen Bogen um die Bank mit dem Schirmlogo machen, wenn sie nicht bald selbst im Regen stehen wollen.“ Schon aufschlussreich, was man dieser Schilderung der Geschäfte und der derzeitigen Lage einer Bank entnehmen kann, die bis vor kurzem zur Weltspitze gehörte. • Offenbar hat sie es geschafft, über die Jahre riesige Kapitalwerte zusammenzuwirtschaften – das muss man ja auch erst mal können. Allein die „hochriskanten Vermögenswerte“, die gar nicht in der Bilanz auftauchen, machen ein Zehntel des gesamten Jahresprodukts der reichsten Nation der Welt aus. Entsprechend gigantisch ist jetzt der Abschreibungsbedarf, der künftige Verluste weit jenseits der bisherigen 20 Milliarden USD mit sich bringen kann. • Mit den heute so genannten „Giftpapieren“ hat die Bank ihre ebenso horrende wie gewinnträchtige Kreditaufnahme abgesichert. Werden all diese Kredite im Verlauf der Krise fällig gestellt, sind auch 300 Milliarden (!) Staatsbürgschaften kein funktionsfähiger Schutzschirm mehr. Wieviel da tatsächlich fällig wird, lässt sich heute noch gar nicht absehen. • Mit den Zinsen, die er von der Bank für seine Hilfen verlangt, nimmt der US-Staat die Wiedergenesung der Bank vorweg, strapaziert aber ihre gegenwärtige Liquiditätslage. • Und natürlich: Entlassungen von zig Tausend Mitarbeitern kann ein Konzern zwar jederzeit vornehmen, der Faktor Arbeit ist ja immer das schwächste Glied in der Kette. Aber dass diese Maßnahme neben der Einsparung von Kosten, die in ihrer Größenordnung in keiner Weise an die zu realisierenden Verluste heranreichen, auch Aufgabe von Geschäftsmöglichkeiten bedeutet, liegt auf der Hand. Soweit die Einblicke in den Irrwitz des Bankengeschäfts und die Absurdität einer Krisenabwicklung durch Geschäftsleitung und Staat. Dem Redakteur der Zeitschrift „Euro“ geht es allerdings um ganz etwas anderes. Das Blatt will Anleger beraten, wie sie aus ihrem Geld mehr machen können – in Normalzeiten und eben auch jetzt in der Krise. Die dates & facts des Crashs einer der weltgrößten Banken münden deshalb in Kopf und Feder eines abgebrühten Vermögensberaters in den schlichten Rat: „Citigroup vorläufig meiden“. Ah ja! |