Am Ende „des schwersten Arbeitskampfs in der bundesdeutschen Tarifgeschichte“, dem Ausstand der Metaller in Nord Württemberg-Nordbaden, bekundeten Beteiligte und Unbeteiligte ihre „große Erleichterung“ darüber, daß endlich wieder gearbeitet wird. Im nächsten Satz allerdings bereits herbe Kritik. Das Kapital beklagte die schwere Gefährdung, die von diesem Abschluß für die Arbeitsplätze ausgehe. Die Regierung sorgte sich, ob angesichts der 5 % nicht ihre Wachstumsprognosen über den Haufen geworfen werden würden. Die Journaille wies darauf hin, daß so ein Ergebnis „bei mehr Vernunft der Beteiligten“ auch ohne Streik dringewesen wäre. Und die Gewerkschaft, die als einzige „alles in allem“ rundum zufrieden ist, kann den Grund hierfür kaum am Ergebnis ihres Kampfes ausmachen, das im Vergleich zu den Streikzielen doch mehr als mager ausgefallen ist. Weniger die Resultate des Klassenkampfs in der Druck- und Metallindustrie sind es aber, die kritisiert werden, sondern daß er überhaupt stattgefunden hat, wird am Ergebnis beklagt. Das Pendant dazu geben die Revisionisten(1) ab, denen es weniger auf die Ziele der Arbeiter und die Ergebnisse ihrer Gewerkschaft ankommt, sondern denen vielmehr der bloße Fakt, daß es überhaupt zu einer Konfrontation mit dem Kapital kam, Grund zu Siegesmeldungen und Triumphgeschrei ist. Selbst im Meckern über die mageren Abschlüsse kommt dies noch zum Ausdruck, wenn der Grund dafür in der „Kapitulation der Gewerkschaftsführung“ gesucht wird, womit eine Niederlage im Klassenkampf dadurch in einen Sieg verwandelt wird, daß man die Arbeiter mit der von ihr gewählten Führung entschuldigt. Daß die DKP dies unterläßt ist nur eine besonders abgeschmackte Variante: daß die Gewerkschaftsführung noch beim miesesten Abschluß auf die Solidarität der Mitgliedschaft bauen kann, ist ihr Beleg für die ,,Schlagkraft der Einheitsgewerkschaft“, an die man sich gerne durch bedingungslose Lobhudelei anhängen möchte. In der Demokratie, einer sozialen noch dazu, möchte man also den Klassenkampf am liebsten für überflüssig erklären, sobald er einmal von der falschen Seite versucht wird und denen, die für ihn sind, ist es herzlich gleichgültig, was dabei für die Proleten rauskommt.
1. Ein Ärgernis Obzwar noch jeder Kommentator als Vorzug der Demokratie preist, daß man in ihr sogar streiken darf (natürlich, bitteschön, auch aussperren), ist jeder Arbeitskampf Anlaß für die Besorgnis, er gefährde nicht nur die Grundlagen „unserer Wirtschaft“, sondern wirke auch vergiftend auf das „soziale Klima“ und, wenn er länger als ein paar Tage dauert, wittern konservative Schreiber „nicht wiedergutzumachende Schäden“ für unsere „freiheitliche Grundordnung“, die man unter Umständen doch verändern sollte, wenn die Tarifautonomie einmal nicht im Sinne des Erfinders funktioniert. Im Streik kommt nämlich einiges ans Tageslicht der Gegenwart, was nach übereinstimmender Auffassung aller Demokraten eigentlich in die Mottenkammer der Vergangenheit gehört: daß „unsere Wirtschaft“ eine Veranstaltung ist, in der die einen arbeiten und die anderen von fremder Arbeit leben. Daß die einen fürs Arbeiten bezahlt werden und die anderen daraus einen Profit ziehen, woraus folgt, daß dieser umso höher, desto niedriger der Lohn und desto intensiver die damit bezahlte Arbeit ist. Daß also das „soziale Klima“ nur die jeweilige Einstellung des einen „Sozialpartners“ zu einem Vertragsverhältnis anzeigt, in dem es bei ihm um die nackte Existenz geht, weswegen er in regelmäßigen Abständen zu seiner Kündigung gezwungen ist. Und daß schließlich die freiheitliche Grundordnung eine Ordnung ist, in der diejenigen, die davon außer Arbeit und Lohn nichts haben, durch die Verrechtung der Tarifauseinandersetzung zum Ordnung halten verpflichtet werden. Deshalb wird hierzulande der kleinste Streik schon zur Staatsaffäre, weil es sich um eine Auseinandersetzung handelt, die – obzwar rechtens – mit einem Rechtsbruch einer Partei eröffnet (Bruch des Arbeitskontrakts) und meistens mit einem anderen der Gegenseite (Aussperrung) gekontert wird. Beide Seiten sind im Recht, weil ihr Vorgehen vor und während des Arbeitskampfs aufs Gesetz pochen kann, und damit zwischen gleichen Rechten nicht die offene Gewalt entscheidet, hat der Staat den Konflikt verrechtet. Die entscheidende Passage der einschlägigen Paragraphen lautet, daß der Arbeitskampf nicht mit dem Ziel der Vernichtung des Gegners geführt werden darf, worin ausgesprochen ist, daß der einen Seite die Existenz nur soweit zugestanden wird, als sie sich durch Selbstbeschränkung vertragsfähig erhält. Deshalb wird der Streik in einer Gesellschaft, in der beide Kontrahenten als ,,Sozialpartner“ auf dem Boden der Marktwirtschaft stehen, das „freie Spiel der Kräfte“ also das Gesamtwohl realisieren soll.
zumindest für die eine Seite, die sich schwer tut, ihr eigenes Interesse als im Interesse „unserer Wirtschaft“ liegend auszugeben, wie es sich unsere Gewerkschaft als „verantwortungsbewußte Institution“ im Staate angelegen sein läßt. Die ideologische Anstrengung, Arbeiterinteressen mit dem Florieren der Marktwirtschaft zu akkomodieren, sind so der Auftakt dazu, jene zu deren Wohl fallenzulassen: „Es ist ein erstes Gebot wirtschaftlicher Vernunft, die Arbeitnehmer mit der Kaufkraft zu versehen, die unsere Wirtschaft schließlich vorfinden muß, damit das Schiff endlich wieder flott wird und die Beschäftigungslosen vom entwürdigenden Dasein der Arbeitslosigkeit wegkommen.“ (Eugen Loderer) Die andere Seite tut sich dagegen leichter: „Die 8 %-Forderung der IG Metall gefährdet den ohnehin erst in Ansätzen vorhandenen Gesundungsprozeß der Metallindustrie. Wenn wir uns darauf nicht einlassen und sogar den Arbeitskampf als letztes Mittel in Kauf nehmen, helfen wir damit letztlich nur mit, Arbeitsplätze zu erhalten.“ (Heinz Dürr) Da angesichts solcher Ziele ein Streik folglich das allerletzte ist, muß sich die eine Seite laufend entschuldigen, ohne sich „aus der Verantwortung stehlen zu können“, die ihr die andere genüßlich vorhält. „Diesen Streik haben nicht wir zu verantworten, sondern die Unternehmer. Dennoch bin ich jederzeit bereit zur Wiederaufnahme der Verhandlungen. Sollten Ort und Zeit ein Problem sein, gar eine Frage des Prestiges, so bin ich gern bereit, als erster den Telefonhörer in die Hand zu nehmen.“ (Franz Steinkühler) „Dieser Streik ist uns aufgezwungen worden. Wir sind jederzeit wieder verhandlungsbereit. Ohne Vorbedingungen, an jedem Ort und zu jeder Stunde.“ (Heinz Dürr) Daß die gewerkschaftliche Forderung nur ein Angebot, das Unternehmerangebot hingegen eine Forderung ist – „Natürlich sind die 8 % verhandlungsfähig. Aber eine 5 vor dem Komma muß es schon sein.“ „Wir haben nie gesagt, daß die 3,5 % unser letztes Wort sind.“ – sorgt dafür, daß das Streikergebnis sich auf jeden Fall in den Grenzen des „marktwirtschaftlich Vernünftigen“ bewegt. Trotzdem muß der Streik stattfinden, denn er ist
bei der allerdings die Gewerkschaft die erfahrungsgemäß undankbare Rolle des Demonstrationsleiters unternimmt und die Unternehmer nicht einmal der Hauptadressat – also fein raus sind! Adressat sind nämlich die Mitglieder, denen beigebracht werden muß, daß sowohl ihre Lohnforderungen als auch Schutz vor Abgruppierung nicht in die „wirtschaftliche Landschaft“ passen. Die IG Metall und vorher schon die IG Druck haben den Streik als einen geführt, in dem „es um mehr geht; als um Lohn und Gehalt“ (Loderer), nämlich darum, daß „der technische Fortschritt nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer“ stattfindet. So werden die Angriffe des Kapitals, am Verhältnis Lohn- Leistung zu seinen Gunsten zu drehen, von der Gewerkschaft so gegeneinander ausgespielt, daß dabei sowohl die Lohnforderung als auch der Rationalisierungsschutz auf der Strecke bleiben. Die Kapitalisten, die neue Maschinen nicht deshalb anschaffen, weil sie fortschrittliche Menschen sind, sondern um damit Lohnkosten zu sparen, mehr Profit zu machen, finden sich in der günstigen Lage, daß sie getrost für den Fortschritt eintreten können, weil er für sie mit dem Profit zusammenfällt. Der Kompromiß, den sich die Unternehmer in solchen Tarifverhandlungen „abringen“ lassen, ist so einer, der ihren Gewinn sichert und ausbaut. So zeugen die Abschlüsse bei Druck und Metall von doppelten Niederlagen: weder Absicherung noch Reallohngewinne, stattdessen eine Mitgliedschaft, die sich nach dem Streik bloß fragt, was das ganze überhaupt sollte. Dem wird durch die Orientierung des Lohnkampf auf die Gerechtigkeit vorgebeugt: nachdem die Unternehmer ausgesperrt hatten, ging der Streik gegen die „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ dieser Maßnahme (Höhepunkt die Massenanzeigenkampagne der IG Metall) und die Rücknahme der Aussperrung wird zum Streikziel. So schlägt die Gewerkschaft Kapital für die Agitation aus den Maßnahmen, die sie selbst dem Gegner ermöglicht hat: statt einen Streik zu organisieren, der keinen Betrieb ausläßt und erst wieder mit den Unternehmern zu verhandeln, wenn diese tatsächlich etwas anbieten, also dafür sorgen, daß die Aussperrung ein Schlag ins Wasser ist, schont man die Kasse, buhlt um Verständnis für die eigene Mäßigung, um nachher umso kräftiger blechen zu müssen und sich auch noch die Folgen der, Aussperrung in der Öffentlichkeit und bei den Ausgesperrten vorhalten zu lassen. So schafft es die Gewerkschaft für die Mitglieder nichts rauszuholen und gleichzeitig an den Maßnahmen, mit denen die Gegenseite ihre Stärke demonstriert, der Basis beizubringen, wie schön es ist, in einer starken Gewerkschaft zu sein.
1. Der Staat „Lieber würde ich mich in Stücke reißen lassen, bevor ich als Kanzler in die Tarifrunde eingreife!“ erklärte der Kanzler auf einer Betriebsversammlung in Salzgitter, um dann vor den Fernsehkameras beherzt einzugreifen durch einen frontalen Angriff, der taktisch geschickt beide Tarifpartner einschloß, um den richtigen zu treffen. Das Angebot der Metallindustrie läge wohl etwas zu niedrig, dadurch sei die IG Metall erst zu ihren 8 % „provoziert“ worden. Auch die Druckkapitalisten hätten etwas kürzertreten sollen, nicht gleich aussperren. Aber hier obliege ihm als Staatsmann ein ernstes Wort an beide Seiten: es ginge nicht an, daß das Volk ohne Zeitung sei, von wegen Grundrecht auf Information. Dies sage er streng unparteiisch. Das Schöne am demokratischen Staat ist eben, daß er sich gleichsam über den Klassen schwebend an beide wendet und damit natürlich nur der einen droht. Das Interesse der Allgemeinheit an Zeitungen und an einer voll laufenden Produktion erfordert die Arbeit der Arbeiter und wenn diese sich gegen die laufende Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen, müssen sie dabei im Augenmaß behalten, daß ihre Aktion weniger die Kapitalisten als vielmehr „unser aller Recht auf Zeitungen“ und „unser aller“ Interesse an einer florierenden Wirtschaft trifft. Dem starken Arm, der alle Räder still stehen läßt, braucht der Kanzler keine Fessel anlegen, solange der Kopf, der ihn führt, sich mit dem Hinweis des Kanzlers wieder auf „das Ganze“ verpflichten läßt. Und das weiß er, weiß Gott! Die IG Druck gibt ihre eigenen Streikbruchpostillen heraus, „damit, liebe Mitbürger, Sie auch in den Streiktagen informiert bleiben.“ Und die Metallgewerkschaft will nur in und um Stuttgart streiken, „um die Produktionsausfälle in vertretbaren Grenzen zu halten.“ Daß der Druckkompromiß, also die Zustimmung der Gewerkschaft zum „natürlichen“ Aussterben der Setzer, Resultat höherer Staatseinsicht war, dokumentierte die Anwesenheit des Mogadischu-Helden Wischnewski, der für dies Geschäft keinen „Millionenkoffer“ mitbringen mußte, weil es um Geld längst nicht mehr ging. Und Steinkühler und Dürr, die sich in Stuttgart einigten, „waren bleich und übernächtig“, als sie die Glückwünsche von Staat und Parteien für ihren „gemeinsam erfochtenen Sieg der Vernunft“ entgegennahmen. Im Fernsehen gab's täglich, was sonst nur selten vorkommt: Klassenkampf national und ohne Verkleidung in Form von Unterhaltung. Der Objektivität des Bildes (leere Fabrikhallen, müßige Redakteure, die „seit Tagen für den Papierkorb produzieren müssen“) stand der des Kommentars in nichts nach. „Bei allem Verständnis für Drucker und Metallarbeiter, der Streik schadet uns allen“ und ihnen am meisten, weil er uns allen schadet. ,,Das deutsche Nachrichtenmagazin“, dessen Redakteure ihren ,,Spiegel“ während des Streiks herausbrachten, wobei sie sich (fast durchweg gewerkschaftlich organisiert) den Zumutungen der Bildschirmtexteingabe unterwarfen, die die Gewerkschaft ihnen durch den Streik ersparen wollte, ließ deutlich raushängen, auf welcher Seite der Platz kritischer Staatsbürger im Klassenkampf ist: kritisch auf Seiten des Kapitals, dem ganz offen vorgeworfen wurde, sich zu sehr auf die Forderungen der Gewerkschaft einzulassen. Das ganz natürlich vorgetragen als Interesse an der Gewerkschaft, in die „neuerdings Kräfte eindringen ... die über die Tarifpolitik die Gesellschaft kippen wollen.“ Während die Basis streikte, entdeckten die cleveren Spiegel-Macher, daß „die Gewerkschaftsbasis“ nichts vom Klassenkampf hält, „nur 29 % der Auffassung sind, die Löhne müßten stärker steigen als die Lebenshaltungskosten“ und der „große Rest“ gar „das akzeptieren wollte, was der Bundeswirtschaftsminister für verdaulich hält“. (Spiegel Nr. 10/1978) Eine gelungene Umdrehung der alten Revi-Masche, zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und gewählter Führung einen Gegensatz zu konstruieren mit umgekehrter Zielsetzung! Beim „Spiegel-Gespräch“ mit Eugen Loderer bedienten sich die Interviewer des Repertoires, das sie in der journalistischen Auseinandersetzung mit Franz Josef Strauß entwickelt hatten und das mit durchschlagendem Erfolg, weil der IG-Metall-Vorsitzende wohl wähnte, einem gewerkschaftsfreundlichen Organ in parteipolitischer Verbundenheit Rede und Antwort zu stehen.
wurde natürlich von der öffentlichen Meinung gleich mitproduziert, was nicht heißt, daß sie eine andere gewesen wäre, wie dies z.B. die IG Druck meinte („Unsere Streikposten stiessen bei der Bevölkerung durchweg auf großes Verständnis für unsere Ziele!“). Auf den Begriff wurde vox populi von jener Karikaturfigur gebracht, die erklärte, sie hätte absolut nichts gegen den Druckerstreik, wenn nur die Zeitungen erschienen. Das Funktionieren der demokratischen Öffentlichkeit kommt in der generellen Anschauung zum Ausdruck, die den Arbeitskampf für eine Störung hält, die tagtägliche Ausbeutung hingegen für das Normale, dessen Wiederherstellung mit Erleichterung aufgenommen wird. Gerade die ständigen Versicherungen der Politiker und ihrer publizistischen Sprachrohre, Streik sei etwas völlig Reguläres, aber ... , künden von der ruhigen Gewißheit, daß bei unserer Gewerkschaft die Mißfallenskundgebungen von Politikern und Journalisten ausreichen, um den Klassenkampf nicht zum Kampf Klasse gegen Klasse ausarten zu lassen und seine demokratische Beilegung zu garantieren. Weswegen man am Ende des Tarifkonflikts bei „sorgfältiger Analyse“ den Nutzen solcher Arbeitskämpfe zu würdigen weiß, was die Frage an die Kontrahenten, ob sie angesichts des Ergebnisses nicht bei „mehr gutem Willen“ vermeidbar gewesen wären, einschließt. In der sozialen Demokratie haben Arbeitskämpfe die gleiche Funktion wie die Opposition, Dampf ablassen. Unnachahmlich formuliert von jenem Fernsehkommentator, der erklärte, „Franz Steinkühler hätte ohne Kampfmaßnahmen ein solches Ergebnis bei seiner Mitgliedschaft kaum durchsetzen können.“
Nach dem Streik wird wieder gearbeitet. Mehr als vorher versteht sich. Die ersten Zeitungsausgaben mit teilweise doppelten Seitenzahlen illustrieren dies. Die Druckunternehmer, vorher „dicht am Ruin“, ziehen die Spendierhosen an. „Sie, lieber Leser, sollen für den Ausfall entschädigt werden. Senden sie beiliegenden Coupon ein.“ Die Arbeiter werden für den Mißerfolg des Streiks nachträglich entschädigt. Sie dürfen wieder arbeiten und zwar mehr als vorher. Ihre Gewerkschaft zeigt sich ebenso großzügig, wie das Kapital. Die Forderung nach Ausgleichszahlungen für die Streiktage wurde nirgends erhoben. Erhoben wird sie den Mitgliedern gegenüber werden: vielleicht ein 13. Monatsbeitrag, wie's die IG Druck nach dem letzten Arbeitskampf vorgeführt hat. „Für Franz Steinkühler läuten die Glocken“ meint ein bayerischer Rundfunkkommentator, nachdem 55 % seiner Metaller der Kapitulation zugestimmt hatten, und „der Abschluß in Nord-Württemberg-Nordbaden macht Schule“, zumindest was die Reallohnsenkung betrifft und von der „Unvergleichbarkeit der Tarifgebiete“ mit der die IG Metall ihren „Schwerpunktstreik“ begründet hatte, machen jetzt die Unternehmer in Bayern Gebrauch. In der Demokratie verlaufen alle Auseinandersetzungen demokratisch, also auch jene, deretwegen es überhaupt die Demokratie gibt. Nur scheinbar unterbricht die Gewerkschaft die gemeinsame Anstrengung für unseren Staat und unsere Wirtschaft im Streik. Von der staatstreuen Phrase, es ginge darum, „den Besitzstand der Arbeitnehmer zu erhalten“, bleibt die Erhaltung der „Arbeitnehmer“ als nützlicher Besitzstand der Kapitalisten übrig. So schafft die Gewerkschaft ein Null-Ergebnis ohne sich auf den Unternehmervorschlag einer Null-Tarifrunde einzulassen. Dazu gehört, daß man geteilter Meinung ist, um sich dann am höheren Ganzen zu relativieren. „Natürlich haben wir nicht alle unsere Ziele erreicht“, meinte Loni Mahlein von der IG Druck, „aber das ist bei einer Tarifrunde nicht möglich.“ Das gleiche gab auch sein Kontrahent vom Verlegerverband zu Protokoll. Gerechter geht's nicht. Alle haben weniger gekriegt, als sie wollten. Die Arbeiter weniger zum Leben als Lohnerhöhung, die Kapitalisten mehr Profit als Schmälerung ihrer Erwartungen. Der Witz liegt nun darin, daß Metall- und Druckindustrie ihren Sieg durch demonstratives Zähneknirschen begehen und mit mahnenden Verweisen auf die „Auswirkungen auf die Arbeitsplätze“ auszuschlachten beginnen. Die Gewerkschaft, die sie nun einmal ist: „Wir haben ein gesamtwirtschaftlich vertretbares Ergebnis erzielt, mit dem auch unsere Mitglieder zufrieden sein können“ (sprich müssen!). Der ideologische Zauber, mit dem hier die eine Seite die Durchsetzung der Interessen ihrer Mitglieder als Sieg den Betroffenen schmackhaft zu machen versucht, zeigt, wie veraltet tatsächlich jener Autor des 19. Jahrhunderts ist, der noch vom Kampf der Gewerkschaften gegen das Kapital meinte: „Dieser Kampf existiert, was immer die Apologeten des Kapitals auch dagegen sagen mögen. Er wird existieren, solange eine Lohnsenkung das sicherste Mittel zur Steigerung des Profits bleibt, ja darüber hinaus, solange das Lohnsystem überhaupt existieren wird. Das bloße Vorhandensein von Trade-Unions beweist diese Tatsache zur Genüge; wenn sie nicht zum Kampf gegen die Übergriffe des Kapitals geschaffen worden sind, wozu sind sie dann geschaffen.“ (Friedrich Engels, Die Trade-Unions, MEW 19, S. 258) Geschaffen worden sind sie schon dafür, heute allerdings sorgen sie sich darum, daß es bei diesem Kampf zu keinen Übergriffen der Arbeiter kommt.
aus: MSZ 22 – April 1978 |