Kommunismus auf italienisch

Wie die PCI den italienischen Staat retten will

Seit vergangenem Sommer regieren die italienischen Christdemokraten mit der Unterstützung der Kommunistischen Partei. Das Minderheitskabinett Andreotti, durch Stimmenthaltung der PCI ins Amt eingesetzt, erhielt erst vor einigen Wochen die Zustimmung der Kommunisten zu seinem Reformplan zur Überwindung der italienischen Wirtschaftskrise.

An diesem „austerity-program“, das drastische Preiserhöhungen zur „Abschöpfung der Kaufkraft“, Lohnstop, Lockerung des Arbeitsplatzschutzes und andererseits generöse Zuweisungen für die italienischen Industrieunternehmen vorsieht, kritisierten die PCI-Parlamentarier

nur die pauschale Benzinpreiserhöhung (weil hierbei „keine Rücksicht auf die sozial schwächeren Schichten“ genommen worden sei) – alles andere befürworten sie im Interesse des nationalen Wohls.

Während die italienischen Arbeiter wilde Streiks organisieren, um gegen die Stillhaltepolitik der kommunistisch orientierten Gewerkschaften diese Aufgabe erkämpfter Positionen zu verhindern, gefällt es den professionellen Beobachtern des westlichen Auslands nicht schlecht, daß diese Kommunisten der Reaktion helfen, die Arbeiter zu disziplinieren: aber sie zweifeln daran, ob das auch zum Nutzen des Kapitals geschieht: Meint es die PCI wirklich „ehrlich“, wenn sie sich als die einzige Partei darstellt, die Italien „retten“ kann, und diesen guten Willen regelmäßig demonstriert, indem sie zum Wohle Italiens derartige Maßnahmen durchsetzen hilft –  oder will sie sich nur das Vertrauen der Wähler erschleichen, um die Grenzen für die Rote Armee zu öffnen? Denn Kommunisten sind Kommunisten, und daß die PCI an die Macht will, ist klar – auch wenn diese Partei ständig die Priorität der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ vor ihrem Interesse an der Regierungsgewalt betont. Statt sich an die Politik der PCI zu halten und so zu erklären, wieso die italienischen Kommunisten demokratischer als die Demokraten und päpstlicher als der Papst sind, messen solche Kommentare die Partei an der geläufigen Vorstellung kommunistischer Praxis und vermissen die Übereinstimmung, die ihnen eine Rechtfertigung für die bei anderen KPs üblichen Warnungen vor der roten Gefahr liefern würde. Weil sie um ihren Vorteil fürchten, sehen sie von dem ab, was die PCI bislang schon für den italienischen Staat geleistet hat und unterstellen den „seriösen“, „soliden“ und an sich recht vorteilhaft für Italien erscheinenden Zielen der Kommunisten taktische Motive, ein Vorwurf den die PCI als üble Verleumdung zurückweist – zurecht, denn Italiens Kommunisten sind nicht besser als ihr Ruf.


Den unaufhaltsamen Niedergang der kapitalistischen Strukturen aufhalten ...

XXXXXXXXXXXXXXX„Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“ (PCI-Wähler Lampedusa)

Kein Mensch, geschweige denn die PCI selbst, versucht zum Klassenkampf zu mobilisieren oder betreibe gar die Revolution. Die PCI bewirbt sich vielmehr in Konkurrenz mit anderen Parteien um die Regierungsämter – mit dem Angebot, das Land auf den „italienischen Weg aus der Krise“ zu führen. Aber in der Begründung, weshalb nur der „kommunistische Vorschlag” im Gegensatz zu anderen Parteiprogrammen, die ebenfalls den Nutzen des italienischen Staates anstreben, Aussicht auf Erfolg hat, kommt Italien zunächst mal gar nicht vor,

„Der Kampf für eine neue Welt-Ordnung des Friedens und der Zusammenarbeit ist untrennbar von dem, der neue Organisationsformen im ökonomischen, sozialen und politischen Leben in jedem Land bringt.“ (HK 32)

Die Italiener haben also das Glück, Bestandteil der „neuen Weltordnung” werden zu sollen, weshalb man keinen Gedanken mehr an italienische Verhältnisse zu verschwenden braucht, sondern sich um ihre Integration in die „Einheit der Welt“ sorgen muß:

„Wir Kommunisten, die wir uns zu den Erben, Fortsetzern und Übermittlern all dessen zählen, was in Jahrhunderten von der Menschheit an Höchstem geschaffen wurde, sind die hartnäckigsten, wenn auch nicht die einzigen Verfechter und Erbauer der Einheit der Welt.“ (B 429)

Und warum gibt es bisher keine „Einheit der Welt“? Weil die Welt geteilt ist, selbstverständlich,

„Es gibt nicht nur reiche und arme Länder: Es gibt auch und vor allem die Reichen und die Armen in der ganzen Welt und innerhalb jedes Landes. Die Wurzel der Ungleichheit, der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung in den internationalen Beziehungen zwischen Völkern und Staaten liegt über die Grenzen hinweg in der Unterteilung in ausbeutende und ausgebeutete Klassen. Sie liegt in der sozioökonomischen Struktur in all jenen Teilen der Welt, die ein kapitalistisches System haben ...“ (HK 32)

Was keineswegs heißt, die Kommunisten hätten etwas gegen Klassen oder wären gar für den Sieg der einen über die andere: Die Unterteilung in ausgebeutete und ausbeutende Klassen ist der Grund der Ausbeutung – wären alle Klassen gleich, gäbe es keine Ausbeutung. Zur Harmonisierung des Verhältnisses zwischen den Klassen sind nur gewisse Korrekturen in der Verteilung des produzierten Reichtums vonnöten.

Wenn man aber den Ausbeutern und ihren Opfern Gemeinsamkeit predigt und von „neuen Organisationsformen“ der Ausbeutung Nutzen verspricht (und ein „Erbe der Menschheit“ vom Schlage eines Berlinguer würde sich hüten, die „Einheit der Welt“ dadurch zu behindern, daß er nur ihren ausgebeuteten Teil agitiert und ihn womöglich noch zum Kampf gegen den restlichen Teil aufstachelt), tut man sich mit beiden Seiten schwer, weil beide tagtäglich die Erfahrung machen, daß sie ihren Vorteil nur auf Kosten der anderen kriegen können. Man muß ihnen also erklären, daß sich die Zustände auch gegen ihren Willen, ganz von allein, verändern werden, so daß gar nichts übrigbleibt, als sich der historischen Tendenz anzuschließen: der Sozialismus ist ohnehin im Schwange, keiner kann was dafür, am allerwenigsten die Partei, die sich lediglich auf die Seite des Fortschritts stellt:

„Die Worte Lenins: Der Sozialismus blickt uns aus allen Fenstern des modernen Kapitalismus entgegen, sind (nicht wahr und nicht falsch, sondern) heute wahrer denn je.“(HK)

Wen das nicht überzeugt, den konfrontiert Berlinguer mit dem letztlich schlagenden Argument: die Ausbeutung nach der alten Art wird nicht mehr lange funktionieren, denn der Kapitalismus gefährdet sich selbst.

Die „Krise des Kapitalismus“ beginnt laut Berlinguer bei den „Entwicklungsländern“, die sozialistisch werden – und das gezwungenermaßen, nicht weil sie ausgebeutet werden, sondern weil sie niemanden zum Ausbeuten finden können und so nie auf einen grünen Zweig kommen. („Das würde die Existenz anderer Länder voraussetzen, die man durch einen ungleichen Austausch(!) berauben kann.“) Sie hindern dadurch leider die imperialistischen Staaten, wie bisher ihren Profit im „unterentwickelten“ Ausland zu machen, indem sie die Investitionsmöglichkeiten auf der Welt einschränken. Aber nicht nur das: das so in die Enge getriebene Kapital kann die gewachsenen Bedürfnisse der Arbeiter nicht befriedigen (was ihm doch in den letzten 200 Jahren so vortrefflich gelang).

„Aber auch in kapitalistischen entwickelten Ländern muß sich die Art der Entwicklung(!) grundlegend verändern. Und das nicht nur, weil mit dem Sieg des Sozialismus in einem Teil der Welt und mit dem Zusammenbruch des Kolonialismus(!) die Ausbeutungsmöglichkeiten von riesigen Märkten nicht mehr vorhanden sind, (...) sondern auch deshalb weil die Errungenschaften der Arbeiter, die Erhöhung der Löhne und Gehälter und der Beschäftigung, also selbst die Entwicklung der Produktivkräfte und die Verbesserung des Lebensstandards der Volksmassen natürlich eine ständige Erhöhung der Nachfrage verursachen...“(HK 33f.)


... durch einen Sozialismus zur Bereicherung der Weltkultur!

Nach der Unverschämtheit, den Befreiungsbewegungen der „Entwicklungsländer“ die Frustration über das Fehlen weiterer Bananenrepubliken anzudichten, werden die Arbeiter beschimpft: durch ihren unmäßigen Konsum verursachen sie die Inflation, denn sie zwingen das ohnmächtige Kapital, ständig die Preise zu erhöhen – denjenigen, die zu wenig Geld haben, um sich Lebensmittel zu kaufen, wird erzählt, es gäbe zu wenig Lebensmittel, für die sie ihr Geld ausgeben könnten. Diese plumpe Leugnung der Überproduktion, daß Waren nicht verkauft werden, wenn mit ihnen kein Profit zu machen ist, (hat Berlinguer noch nichts von den Autohalden bei Fiat gehört?) wie die Unterstellung, der Kapitalismus sei ein gut gemeintes, jedoch leider unzulängliches System zur Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern, macht ein weiteres Mal klar, daß die revisionistische Erfindung einer „Krise des Kapitalismus“ nichts mit den kapitalistischen Wirtschaftskrisen zu tun hat (weshalb die PCI auch „ökonomische“ von „konjunkturellen Krisen“ unterscheidet). So präsentiert sich die PCI als Verein zur Förderung eines krisenfreien Kapitalismus, denn mit dieser interessier-naiven ökonomischen „Analyse“ versucht die PCI, die Unumgänglichkeit „sozialistischer Maßnahmen“ plausibel zu machen .Nicht weil der Kapitalismus abzuschaffen ist, sondern weil er es nicht mehr schafft, ist der Sozialismus der einzige Garant seiner Erhaltung (obschon er es sein soll, der das Kapital gefährdet – siehe das obige Dilemma bei den „Entwicklungsländern“). Denjenigen, denen es nach Meinung der PCI zu gut geht, waren sie es doch, die mit dem Niedergang des Kapitalismus ihren Wohlstand erreicht haben, macht man Angst, um sie zur Einsicht in die Notwendigkeit der weltweiten historischen Perspektive zu bringen. Man reibt ihnen ihre Abhängigkeit vom Kapital unter die Nase, um auch ihnen den Vorteil des „Sozialismus als objektive Alternative und auch als subjektiven Reifungsprozeß“(HK 35) für eine Menschenwürde nahezubringen:

„Die Bewegung der politischen und ökonomischen Befreiung der unterdrückten und ausgebeuteten Völker wirkt also nicht nur im objektiven Sinnendem sie die materielle Basis angreift, die die Entstehung von  ‘Arbeiteraristokratien’ (!!) gefördert hat, sondern sie wirkt auch auf politische und ideelle Orientierungen von breiten Massen, indem sie die neokapitalistischen Illusionen zum Schwanken bringt und den unsicheren und erniedrigenden (!) Charakter der jetzigen sozialen Ordnung entblößt.“ (HK 35)

Wem das nicht einleuchtend genug ist, dem winken die fortschrittlichen Einheitsvertreter der Weltgeschichte mit der Anerkennung der Nachwelt:

„(Der Sozialismus) hat außerdem ermöglicht, die Geschichte und Weltkultur mit dem Beitrag von Klassen und Völkern zu bereichern, die vorher davon ausgeschlossen waren oder am Rande standen.“ (HK 35)

So stellt die PCI eine großzügige Kosten-Nutzen-Kalkulation über die Effektivität des „sozialistischen Aufbaus“ auf, wobei der gewaltige ideelle Nutzen für die Weltkultur den handfesten materiellen Schaden, der bei seiner Verfolgung entsteht, bei weitem überwiegt.

Worin der Schaden bestellt und wer ihn zu tragen hat, gibt die PCI offen zu erkennen, wenn sie dem Kapitalismus den Vorwurf nicht ersparen kann, daß er es in der Ausbeutung nicht weit genug gebracht hat:

„Diese Art (kapitalistischer) Expansion, deren Hauptmerkmale in der mangelnden Ausnutzung und Mobilisierung ungeheurer materieller und menschlicher Ressourcen besteht...“ (B 184)

und den Sozialismus als Abhilfe dieses Mangels anpreist:

„Die Schaffung von neuen strukturellen Grundlagen hat bewiesen, daß mit dem Sozialismus keine organischen (!) Übel vorhanden sind.“(HK 36)

Hiermit ist klar, weshalb gerade die Italiener kommunistisch wählen sollen: Italien ist besonders gut geeignet, um die Vorteilhaftigkeit „neuer struktureller Grundlagen“ vorzuführen. An seiner schlecht funktionierenden Wirtschaft soll sich die welthistorische Überlegenheit des Sozialismus bewähren.


Die italienische Krankheit: Auszehrung durch unsaubere Kräfte ...

XXXXXXXX„Man kann ja korrupt und doch effizient sein, oder aber unfähig und ehrlich, beides zusammen aber, unfähig und korrupt – das ist einfach zuviel!“ (PCI-Wähler Moravia)

Sozialismus heißt nach Vorstellung der PCI nichts anderes, als „aus der italienischen Krise positiv herauszukommen”, einer Krise, der sich die positive Seite abgewinnen läßt, daß sie den Leuten die Augen öffnet für das, worauf es ankommt. Sie ist eine „Chance, die uns die Geschichte einräumt“, wie schon öfters, wenn aus tiefem Darniederliegen von Staat, Ökonomie und Kultur die Italiener eine „nationale Wiedergeburt“ (= „rinascita nazionale“: als beredte Beispiele führt die PCI gern die Renaissance und das Risorgimento an) erlebten.

„Ich glaube, daß in uns das Wissen um die Notwendigkeit und Möglichkeit viel stärker sein müßte, in dieser tiefen Krise des Kapitalismus kein Auflösungsfaktor, sondern ein Aufbau- und Erneuerungsfaktor zu sein, und zwar so, daß sich der Weg zur Umwandlung im sozialistischen Sinne öffnen kann.“ (Politbüromitglied G. Napolitano in: Intervista sul PCI, Mailand 1976)

Da es also nicht darum geht, das bestehende System aufzulösen, sondern es zu erneuern. richtet sich die Politik der PCL die den italienischen Kapitalismus sanieren will, auf eine Verbesserung seiner staatlichen Voraussetzungen, „die demokratische Gesundung und Erneuerung der gesamten Gesellschaft und des Staates“, wodurch sich der Sozialismus einstellen wird, denn – so Berlinguer – „es gibt gar keinen besseren und kürzeren Weg zum Sozialismus als den der Demokratie.“ Nun weiß auch die PCI, daß Italien eine Demokratie ist, dafür haben nicht zuletzt entschiedene Demokraten wie Togliatti und Longo nach 1945 gesorgt, als sie die kommunistischen Partisanen entwaffneten und in die große Koalition mit der DC einbrachten. Die Demokratie ist lediglich nicht ausreichend verwirklicht, weil sie einerseits von den Repräsentanten des „malgoverno” mißbraucht, durch Korruption diskreditiert wird und weil andererseits durch schmutzige politische Tricks ihre wertvollste Stütze, die PCI, von der Regierungsmacht, zumindest in Rom, ausgeschlossen bleibt. Die italienische Krise ist also weniger eine Krise der Wirtschaft als eine des Staates und der Demokratie, und weil diese an sich in Ordnung ist (die PCI ist Hauptpfeiler des „arco costituzionale“), eine der Politiker, eine moralische Krise, der nur ein starker, integrer und sauberer Staat beikommen kann:

Die Konfrontation der Wirklichkeit mit den Vorstellungen der PCI fördert also vor allem einen Hauptmangel zutage: in Italien fehle ein starker und effektiver Staatsapparat, der imstande wäre, seine Bürger im nationalen Interesse in ihre Schranken zu weisen.

Wie nahe die Partei mit dieser analytischen Leistung wieder einmal am Puls der Realität liegt, zeigt ein Blick in die Zeitung. Ihre Erklärung, alle Unzuträglichkeiten gingen auf die Schwäche des Staates zurück, paßt vorzüglich zu den Routine gewordenen Meldungen über die optimale Zusammenarbeit italienischer Beamten mit zahlungskräftigen Bürgern, gemeinhin Korruption genannt, die beiden Seiten zu stets erneuertem Vorteil gereicht. Die ,,Ohmacht des italienischen Staates”  sieht so aus, daß alle Entscheidungen der Staatsmacht von den politischen Interessenvertretern der herrschenden Klasse ausgeschachert werden, was seine institutionalisierte Form in den Correnti der DC findet, die den Staat als Pfründe betrachten, die sie unter sich wechselseitig aufteilen. Der Bürger hat sich damit abgefunden, daß die Gleichheit der Anrede für Abgeordnete und Mafiosi („onorevole“) nicht nur eine des Namens ist und regt sich nur noch über den für ihn besonders ärgerlichen Umstand auf, daß ohne Schmiergeld praktisch niemand irgendeinen Staatsdienst in Anspruch nehmen kann und der einzige Staatsdienst, der einigermaßen funktioniert, die Polizei ist. Die Häufigkeit von Streiks sowie die Anwendung dieses Kampfmittels durch alle Interessengruppen, inklusive der Staatsbeamten, zeigt, daß die Italiener ihrem Staat gegenüber nicht die in Demokratien übliche Loyalität an den Tag legen, sondern sehr wohl wissen, daß sie nur gegen ihn für sich etwas herausschlagen können, was allen Streiks die politische Wendung von Forderungen an den Staat verleiht. Wo der Staat so offen als Interessenvertretung der herrschenden Klasse auftritt wie in Italien, wird der Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital als offener Klassenkampf in Gegnerschaft zum Staat ausgetragen, woraus sich die Gegnerschaft der PCI zu radikalen Kampfmaßnahmen der Arbeiterklasse erklärt, ist sie doch gerade an einer Stärkung des Staates interessiert, den sie als Mittler zwischen den Konkurrenten, als Gemeinsamkeitsstifter herrichten will.


... Genesung durch saubere Staatsmänner

„Sono un simpático.“ (PCI-Wähler Celentano {„Azzurro“})

Diese Verwaltung, die vornehmlich in die Tasche ihrer eigenen Bediensteten und deren Vetternschaft arbeitet, beurteilt die PCI als „zu wenig“ leistungsfähig; dem Staat, der fortwährend unter Beweis stellt, daß er sich zum Nutzen der begüterten Bürger stark macht, wirft die Partei „Schwäche“ vor und an Staatsagenten, die mit der Mafia kollaborieren, appelliert sie, mehr für das Allgemeinwohl zu tun:

„Es ist deswegen klar, daß man sich nicht nur(!) auf die Kräfte verlassen kann, die bis jetzt das Land geleitet haben, weil sie die notwendige Autorität und Glaubwürdigkeit nicht haben, und zwar wegen der Schäden, die sie verursacht, der Versprechungen, die sie nicht eingehalten haben, wegen der schwerwiegenden Korruptionsfälle und wegen des allgemeinen Verschleißes(!) einer Machtpraxis, die an erste Stelle die individuellen Klientelen und Gruppeninteressen stellt.(...) Man braucht eine tiefe Umgestaltung der politischen Leistungen, den Beitrag von neuen Kräften, die für ihre Ernsthaftigkeit, Sauberkeit und Treue gegenüber den Interessen des Volkes bekannt sind.“ (HK 41)

Schlimmere Illusionen kann man kaum verbreiten: angesichts der Abhängigkeit der ganzen Volkswirtschaft von der Interessensidentität von Staat und Industrie schlägt die PCI die Einsetzung einiger effizienterer und ehrlicherer Figuren in die Regierungsämter vor – die für einen ordentlichen und funktionierenden Kapitalismus sorgen – und flugs dient der Staat allen Bürgern gleichermaßen. Infolge ihrer persönlichen Integrität werden diese Ehrenmänner nach Meinung der Partei nämlich keine Schwierigkeiten haben, die anstehenden Reformen durchzuführen und die Wirtschaft wieder auf den Damm zu bringen – im Gegensatz zu den schmierigen Burschen in den bisherigen Regierungen, die selbst bei gutem Willen nur auf Mißtrauen und degoutierte Ablehnung beim Volk stoßen.


Ordine nuovo: „eine konservative Vision der Funktion der Arbeiterklasse“

In ihrem Ideal vom sauberen, ordentlichen, nur dem Interesse des Staates verpflichteten Politiker, der entschlossen durchgreift, wenn das Staatswohl es erforderlich macht, treffen sich Italiens Kommunisten mit ihren faschistischen Landsleuten, deren Terrororganisation Nuovo Ordine hieß und die mittlerweile, wohl um Verwechslungen zu vermeiden, das Adjektiv „nuovo“ durch ,,nero“ (= schwarz) ausgewechselt hat, dem die PCI prompt die Parole von der Ordine rosso entgegensetzte. In den Vorstellungen zur Rettung des Kapitalismus allerdings grenzt sich die PCI deutlich von der faschistischen MSI ab: während die Missini, getreu der faschistischen Gegnerschaft zum allzu großen Kapital, die Konkurrenz durch Erweiterung des staatlichen Sektors selbst in die Hand nehmen wollen, versuchen die Kommunisten, ihr günstigere Voraussetzungen zu schaffen: Obwohl „wir sagen, daß industrielle Veränderungen vonnöten sind, daß man nicht alles, wie es heute ist, verteidigen kann“ (schade !) (Amendola, Ros. 70), haben die italienischen Kapitale im Falle „sozialistischer Maßnahmen“ keine Schmälerung ihrer Profite, sondern deren kontrollierte und programmierte Steigerung zu erwarten. Die PCI plant keine Enteignungen, da

„unserer Meinung nach der öffentliche Sektor in Italien schon breit genug ist“ und die bestehenden „Marktmechanismen ... ein notwendiges Kriterium(!) sind, um die Rentabilität zu messen(!)“ (HK 44)

„Unternehmerentscheidung und freier Markt sollen erhalten bleiben, weil bisher kein besserer Mechanismus zur Erzielung größtmöglicher Effizienz erfunden wurde.“ (Barca)

Stattdessen ist „ein Rahmen von objektiven Vorteilen neuer Art für die Unternehmerwelt“ (HK 44f.) vorgesehen, worunter zu verstehen ist:

– Lohnstop,

– Kampf gegen den assentismo (Fernbleiben vom Arbeitsplatz, um einem Zweitjob nachzugehen, weil der Lohn nicht für den Lebensunterhalt reicht)

– Einschränkung der Autonomie der Gewerkschaften (die kommunistisch geführte CGIL praktiziert schon jetzt „Besonnenheit“),

– Rationalisierungen und Förderung der „Mobilität“ („Man kann nicht überall Arbeitsplätze halten...Wir sind gegen staatliche Rettungsmaßnahmen, die nicht auf Wirtschaftlichkeit und Industriepolitik basieren.“(Amendola; Ros.72), sowie

– die (stärkere )“Beteiligung Italiens an der internationalen Arbeitsteilung“ (Napolitano), wozu „neue und immer intensivere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit den rückständigen und Entwicklungsländern“ gehören (Italien ist immer noch keine Bananenrepublik.) – „Das wirkliche Ziel der Vorschläge der PCI ist, US-Industrielle davon zu überzeugen, daß es sich lohnt, noch einmal in Italien zu investieren.“ (Barca)

Die Öffnung des italienischen Luftraums und der Küstengewässer für die immer mal wieder vorkommenden Pannen in der Industrie durch die DC-Regierungen macht Investitionen anscheinend noch nicht verlockend genug. Da die „internationale Arbeitsteilung” gerade die ökonomische Schwäche Italiens ausnützt, weshalb es nicht widerstandslos hingenommen wird, daß Italien sich in den Entwicklungsländern breitmacht, ist auch erhebliche Überzeugungsarbeit nötig.

Mit dem gesteigerten Steueraufkommen, welches das solchermaßen angereizte nationale Kapital hervorbringen soll, möchte eine PCI-Regierung dann daran gehen, durch sozialen Wohnungsbau, Reform des Gesundheitswesens, des Ausbildungswesens etc. etc.(„innenpolitische Reformen”) die Ausbeutungsbedingungen zu verbessern und zu modernisieren, und so die weitere Entwicklung „neuen Typs” der italienischen Volkswirtschaft sichern.


Sozialismus unter bestimmten Aspekten

Denn zu wessen Schaden ein solcher Aufschwung der italienischen Industrie geht, ist an den vorgesehenen Maßnahmen abzulesen. Der neue nationale Reichtum soll von den Arbeitern erbracht werden, ohne daß sie einen Vorteil davon hätten, geschweige denn, daß er ihnen gehören würde; im Gegenteil, gegenüber ihrer jetzigen Lage haben sie einschneidende Nachteile zu gewärtigen – statt der bisherigen automatischen Angleichung der Lohnsätze an die Preisentwicklung Lohnstopp, statt des von den Gewerkschaften erkämpften weitgehenden Schutzes vor Entlassungen Verlust von Arbeitsplatzen, statt der bisherigen Praxis des assentismo verschärfte Konkurrenz, statt der jetzigen Tarifvertragsfreiheit Kontrolle der Gewerkschaften. Die PCI steht gar nicht an, diese Konsequenzen zuzugeben – im Gegenteil, keine Stelle in den Verlautbarungen der Partei, in der nicht hervorgehoben wird, daß der „italienische Weg zum Sozialismus” erhebliche Opfer von den Bürgern verlangt, wobei man sich wohlweislich hütet, die Opfer der Arbeiter zu spezifizieren:

„Ein harter Einsatz heißt, daß man mehr produzieren muß, nicht verschwenden, sondern sparen und jede Hilfsquelle gut ausschöpfen, die Industrie erneuern und die Wirtschafts- und Verwaltungsaktivität nach Kriterien der Effektivität und der Strenge reorganisieren, bestimmte Gewohnheiten ändern muß, um Wege zu suchen, die zu einer besseren und anderen Lebensweise als jetzt führen. Dieser Einsatz bedeutet auch, zu erreichen, daß die Politiker und alle Angehörigen der öffentlichen Verwaltungen eine neue Arbeitsmoral im Dienste der Nation und des Staates finden. Harter Einsatz bedeutet auch, daß Lehrer und Studenten die Verpflichtung zu einem strengen und disziplinierten Studium wiederfinden, daß alle Bürger sich der Entfaltung in den Grenzen der Möglichkeiten ihrer Bildung und Kultur hingeben, die sie für den Fortschritt des Landes ausüben müssen. Harter Einsatz bedeutet schließlich, daß alle gegen jegliche Formen von Delinquenz und Immoralität handeln, um den Sinn der Solidarität und der gegenseitigen Unterstützung unter Menschen wieder zu schaffen, gegen jede Form von Egoismus und erbitterten Individualismus“ (HK 40).

Kurz, die Italiener sollen die „nationalen Interessen über jedes Einzelinteresse stellen”, d.h., statt für sich – für den Staat ackern. Die Kommunistische Partei Italiens ist so sehr von dem Drang besessen, die Effektivität ihres „Sozialismus” für die Rettung der westlichen Welt zu beweisen, daß sie entschlossen ist, ihn auf Kosten der Arbeiterklasse durchzusetzen, deren „Vorhut“ und Interessenvertretung sie zu sein behauptet, Warum die italienischen Kapitalisten und erst recht die Latifundienbesitzer des Mezzogiorno diesem neuen Bündnispartner gegen allzu unverschämte Ansprüche der arbeitenden Bevölkerung skeptisch gegenüberstehen, liegt darin, daß sie sich im Gegensatz zur PCI keine Illusionen über die Möglichkeiten der Demokratie in Italien machen. Sie wissen, daß die Verfilzung des Staatsapparats mit den Agenturen der herrschenden Klassen keine Entartung ist, sondern daß ihr Nutzen und damit der Kapitalismus und seine Demokratie in Italien auf diese Weise noch am besten erhalten werden. Aber auch diejenigen, die davon den Schaden haben, kommen nicht auf den Gedanken, die Verteidigung und den Ausbau dessen, was sie Staat und Kapital in langwierigen Kämpfen abtrotzen konnten, einem Programm vorzuziehen, das den Verzicht auf Streiks und laufende Lohnerhöhungen verlangt, stattdessen Einschränkungen und Mehrarbeit von ihnen fordert. Deshalb wirbt die PCI die Kapitalisten mit dem Versprechen, ihnen nicht weh zu tun, und macht den Arbeitern klar, daß es erst einmal zu verzichten gelte, wenn sie später in den Genuß des Sozialismus kommen wollten:

„Es würde also nicht darum gehen, als Nahziel die sozialistische Gesellschaft zu stellen, weil dafür einige in- und ausländische Grundbedingungen nicht vorhanden sind, sondern darum, Maßnahmen und Orientierungen zu verwirklichen, die unter bestimmten Aspekten (!) sozialistischer Art sind.“

Es müssen schon ganz besondere Aspekte sein, die einen Arbeiter Lohnverzicht als eine „Maßnahme sozialistischer Art” sehen lassen und es verlangt ihm ein Übermaß an Orientierung ab, sich durch

„Diese Umgestaltung ... nach und nach (!) objektiv (!) aus der Logik des kapitalistischen Systems hinaus“ führen zu lassen. (HK 42)


„Für eine neue Arbeitsmoral im Dienste der Nation“

„ Nur indem wir die Mentalität des italienischen Volkes verändern, können wir unsere Probleme lösen.“ (Giancarlo Pajetta)

Da die PCI mittlerweile die Staatsgewalt, die ihr politischer Gegner ausübt, unterstützt, bedient sie sich um so ausgiebiger der moralischen lndoktrination, um die Arbeiterklasse für die Genesung der italienischen Wirtschaft opferbereit zu machen. Die Krise Italiens, so erfahren die Arbeiter, sei eine moralische, d.h. ihrem Egoismus und ihren „partikularen Neigungen“ sei es zu verdanken, daß sich das Land am Rande des Abgrunds bewegt. Weit davon entfernt, den gewerkschaftlichen Kampf der italienischen Arbeiter als Notwendigkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu begreifen oder zumindest sein Resultat zu respektieren, verlangt die PCI im Namen der Demokratie vorwurfsvoll von den Arbeitern, „gewisse Haltungen zu revidieren“ (SPIEGEL 14/76).

„ich glaube, daß Berlinguer vornehmlich eines bedrückt: die Idee, daß er ein Volk zum Kommunismus erziehen soll, das genießerisch, individualistisch, anarchisch ist, ein Volk, das wohl bei Demonstrationen soziale Disziplin zeigt, dann aber heim(!)geht und vergnügt alles weiter so macht, wie es ihm gerade paßt.“ (Politologe Firpi in Spiegel 14/76)

Die schwere Aufgabe des geduldigen Enrico besteht also darin, den allzu sorglosen, weil mit der Sorge um sich selbst beschäftigten Italienern eine ihrer Mentalität fremde „positive Einstellung“ gegenüber den „Problemen des Landes“ anzuerziehen. So werden die Italiener nicht nur ob ihrer Genußsucht – der „private Konsum“ ist laut PCI-Propaganda in Italien „anormal entfaltet“ – und ihrer individualistischen Lebensweise beschimpft, sondern auch für dumm gescholten. Sie merken nicht, daß sie sich selbst schaden, wenn sie immerzu an sich selbst denken statt an den Staat, der im Argen liegt. Angesichts einer Situation, wo Italiener nur bei Demonstrationen „soziale Disziplin“ zeigen, macht die PCI ihnen die falsche Rechnung auf, daß nur im Verzicht auf den eigenen Nutzen zum Wohle des so gestärkten Ganzen das eigene Interesse gesichert sei – damit sie tun, was nicht ihnen, sondern der PCI paßt.

„Wir“ – so schwört Pajetta die Fiatarbeiter auf den demokratischen Weg aus der Krise ein – „werden von einer nationalen Krise gigantischen Ausmaßes bedroht. Nur wenn wir uns vereinigen, werden wir und Italien diese Herausforderung bewältigen.“ (Newsweek 14/6/76)

Der Applaus der Arbeiter demonstrierte Pajetta, daß die Erziehungsarbeit der PCI bereits die schönsten Früchte trägt: beklatschten doch die Arbeiter ihren ,,unitarischen Geist“, der sie zur Bewältigung einer Krise, die nicht die ihre ist, herausfordert. In dieser Stunde der Not, wo alle zusammenstehen müssen, können sich allerdings die Arbeiter nicht nur als gute Italiener hervortun, sie dürfen auch ihre „Fähigkeit“ zur Schau stellen, „die Kapitalisten in der Regierung der Produktivkräfte des Landes zu übertreffen“ (Napolitano, a.a.O.), so daß kein Zweifel über die eigentlichen Herren der Produktion bleibt. Gerade weil die Krise die Unfähigkeit jener „Wirtschaftskreise und politischen Kräfte“ (B 400) beweist, die sie zu verantworten haben, bietet sie den Arbeitern die günstige Gelegenheit, ihren Willen zur „Mitverantwortung“ durch die Äußerung ihrer Fähigkeit zu unterstreichen, die „strukturellen Probleme“ des Kapitalismus zu bemeistern.

„Niemand hat besser als Gramsci diese konstruktive Vision der revolutionären Funktion der Arbeiterklasse ausgedrückt, die Notwendigkeit einer positiven Haltung der Arbeiterklasse gegenüber den Problemen der Produktion, die Notwendigkeit für die Arbeiterbewegung, eine Alternative auf dem Gebiet der Organisation der Produktion und der Verwaltung der Wirtschaft aufzuzeigen.“ (Napolitano, a.a.O.)

So sollen sich die Arbeiter den „Bedürfnissen des Landes“ zuliebe mit den Kapitalisten vereinigen (schließlich sind diese auch Italiener und obendrein Erfinder des Marktmechanismus) und dem Kapital aus der Krise helfen.

„Wir haben den Arbeitern bereits gesagt, daß auch sie Opfer bringen müssen. Aber man kann das nur von ihnen verlangen, wenn man ihnen eine bessere Perspektive für die Zukunft aufzeigt.“ (Amendola in Stern 11/76)

Die PCI ist ein „rigoroser Moralist“, womit sie – wie erinnerlich – schon einen Schritt in Richtung Sozialismus getan hat. Sie beschimpft jene, die sich nicht von ihrem Interesse abbringen lassen, als „Spalter der Einheit“, erklärt den Schaden für die Bevölkerung, zu dem sie aktiv beitragen will, entweder mit dem immer noch zu geringen Einsatz der Volksgemeinschaft oder aber für nicht existent, als mangelnde Fähigkeit der Arbeiter, mit einer positiven Einstellung auch aus der beschissensten Lage noch das Beste zu machen:

„meine Partei ehrt den Arbeiter, der seinen Beruf und seine Fähigkeit ehrt.“ (Amendola in Ros/71)

Weil die PCI den Massen eine Revolution bieten will, verlangt sie von ihnen ihre typisch italienische Leidenschaft zu zügeln, eine „puritanische Revolution“, um – politisch gereift – „die Probleme des Landes anzupacken und zu lösen“ (B 472).

„Es gibt aber eine Reife der italienischen Arbeiterklasse – unabhängig, ob Kommunisten oder christliche Demokraten oder Sozialisten – , sie wissen, was wichtiger ist: heute 10 000 oder 20 000 Lire mehr in der Lohntüte oder in erster Linie eine Politik, die die Probleme der Wohnung oder der Schule lösen kann, oder des Gesundheitswesens oder des Tranports.“ (Sergio Segre)

Wenn sie auf „Voluntarismus und spontane Klassenaktionen“ (HK 22) und ein paar lumpige Lire mehr verzichten, so werden sie durch die Lösung der „Probleme des öffentlichen Konsums“ entschädigt. Weil die PCI die Stärke der italienischen Arbeiterbewegung

„Italien gehört aber auch zu den Ländern, die für einen entscheidenden Vormarsch der werktätigen Klassen am besten gerüstet sind.“ (B 177)

als Bedrohung des nationalen Interesses fürchtet, versucht sie dort, wo sie sich nicht vom Kämpfen abhalten läßt, diesen wenigstens eine andere Richtung zu geben (bzw. anzudichten):

„So haben die Arbeiterkämpfe annis 68/69 als „mächtiger Stimulans für den ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt und für die demokratische Entwicklung Italiens neue soziale und politische Forderungen, Forderungen nach Selbstverwaltung und Einheit zum Ausdruck gebracht.“ (B 186)

Doch am vernünftigsten verhalten sich die Arbeiter, wenn sie im Dienste des politischen Fortschritts und der demokratischen Entwicklung des Landes für mehr „politische Mitbestimmung im Staat“ kämpfen – indem sie PCI wählen. Damit ermöglichen sie den „arbeitenden Klassen den effektiven Zutritt zur sozialen und politischen Führung“ (Napolitano), die ihnen das Verfechten des eigenen Interesses erspart. Denn einerseits muß die politisch mitbestimmende Arbeiterklasse den anderen Schichten des Volkes im Einsatz für die „kollektiven Interessen“ beispielhaft vorangehen – weshalb eine „Einbeziehung“ der Gewerkschaften in die angestrebte „Planverwaltung“ auch nicht in Frage kommt:

„In bezug auf die Programmierung ist die Gewerkschaft eine Kraft, die bindend zu fragen ist, sie darf aber nicht direkt einbezogen werden. ... Die Arbeiterbewegung und die arbeitenden Klassen können an der Ausarbeitung und an der Verwirklichung eines nationalen Wirtschaftsplanes durch ihre politischen Ausdrucksmöglichkeiten durch die Parteien (!) der Arbeiterklasse und der Werktätigen und nicht durch die Gewerkschaften beteiligt werden.“ (HK 66)

Und wenn es schon Parteien der Arbeiterklasse gibt, muß diese endlich einsehen, daß sie gar keine Arbeiterklasse ist, sondern lediglich den überwiegenden Teil der Mitglieder dreier großer Volksbewegungen darstellt,

„die sich auf die entscheidenden Komponenten in der Geschichte und der politischen Realität berufen: die kommunistische, die sozialistische und die katholische.“ (HK 45)

Weil die PCI weiß, daß es ihrer Basis in der Arbeiterklasse schwerfällt, sich im Interesse des Staates ihrem Gegner zu unterwerfen, begibt sie sich auf die „Suche nach einer positiven Beziehung zur DC“ (ibid.), weil nur so die Probleme Italiens gelöst werden können, (Vorbildlich hier der asketische Berlinguer – nach einer Umfrage der vertraueneinflößendste Mann des Jahres –, der mit seiner katholischen Frau schon seit längerem die von ihm propagierte Einheit der Volksbewegungen vorlebt, indem er seine typisch italienische Leidenschaft wegmacht).


Der historische Kompromiß: „Eine mehr als konstruktive Opposition

„Wir sind eine Oppositionspartei, die in jeder ihrer Handlungen das Bewußtsein einer Regierungspartei zeigt.“ (Sergio Segre, Politbüro der PCI)

Die Absicht der PCI, das italienische Volk und damit Italien durch eine neue Demokratie, einen starken, sauberen Staat zu läutern, setzt ihren bestimmenden Einfluß in den demokratischen Institutionen voraus. Die Partei kämpft folglich nur einen Kampf: den Wahlkampf. Die Geschichte dieses Kampfes ist aber eine der Niederlagen gegen die DC, der es bisher immer wieder gelang, eine regierungsfähige Mehrheit mit der einzigen Parole „Katholisch sind wir und frei wollen wir bleiben“ zu erringen. Obwohl damit der katholische Teil der Volksbewegung zum Ausdruck bringt, daß er mit der DC und dem Papst an den schlampigen Verhältnissen interessiert ist, ist das für die PCI noch lange kein Grund, ihn aufzugeben. Er kann nämlich nichts dafür, denn die DC „trägt die volle Verantwortung für die Krise, in die Italien hineingeraten ist“ (hier ist ihr rechter Flügel gemeint: die „Antilopen“ Andreotti, Rumor, Leone, denen der Lockheed-Skandal diesen Namen eintrug). Und weil die PCI zwischen den demochristianischen Massen und ihren Führern einen Trennungsstrich zieht, steht sie mit diesen Führern auf vertrautem Fuße und hat keine Probleme damit, sie zu unterstützen, zumal sie in der DC auch einen linken Flügel entdeckt hat (die linken Correnti um Moro und Donat-Cattin), deren

„Aufforderungen und Predigten (bisher) wie Wasser eine Marmorplatte hinunterlaufen.“ (HK 41)

Damit sich der anständige Flügel der DC gegen den bösen durchsetzt und eine von ihnen getragene Regierung nicht mehr Marmorplatten predigen muß, muß die PCI zwar nicht in die Regierung, aber weil sie der Regierung lange genug beim Mißregieren zugesehen hat, kann sie ihr Vorschläge machen, wie mit einfachsten Sofortmaßnahmen schlagartig besser regiert werden kann:

„Das erste, was die Kommunisten in der Regierung einrichten würden, wäre eine Koordinationszentrale für Ministerpräsident und Ministerien auf Regierungsebene, damit Moro einmal wüßte, was die anderen machen.“ (Ugo Vetere, für die PCI im Parlament)

Die PCI strebt nur eine maßvolle Mitwirkung in der Regierung an, denn nur so kann ein staatsgefährdender „frontaler Zusammenstoß” (Berlinguer) mit einer schwachen DC oder eine noch gefährlichere kommunistische Alleinherrschaft vermieden werden. Beides würde ja die erstrebte Einheit des Volkes für den italienischen Staat gefährden. Deshalb widmet die PCI den Schwerpunkt ihrer Agitationsbemühungen der Democrazia Christiana. Jene müssen die Christen einerseits dazu bringen, endlich auch das zu machen, was sie ja mit den Kommunisten gemeinsam wollen, andererseits ihr Vertrauen in die Konstruktivität und Kollegialität der PCI wecken. Nicht nur, daß die PCI

„in den letzten Jahren darauf verzichtet hat, eine Regierung nach der anderen in die Krise zu jagen“ (Versuche dazu seitens der Sozialisten und linker DC-Correnti sind immer auf Mißbilligung der PCI gestoßen, weil sie) „eine Diskreditierung der demokratischen Institutionen bedeuten“ – (Segre)

Sie hat im Gegenteil die Regierung unterstützt, wo immer es nur ging. Dreiviertel aller Gesetze zwischen 1948 und 1068 fanden die kommunistische Zustimmung (vgl. Ros 65)! Im Interesse der Nation hat die PCI so eine „nicht aprioristische Opposition“, also eine Opposition, die dermaßen regierungs- und staatstreu agiert, daß jeder Bürger ihr mißtrauen muß, getrieben, für die sie nun erwartet, daß die Regierung Sparki ihr nicht nur dadurch entgegen kommt, daß „sich die Führer der PCI mit denen der DC duzen“ (Segre), sondern der Duzfuß im Parlament zu einem Bein im Kabinett verlängert wird.

Als Materialisten wissen Italiens Revisionisten natürlich, daß die Verbrüderung in Rom nur Ausdruck einer Verschmelzung der Basis sein kann. Die Partei der nationalen Einheit möchte zur Einheitspartei der Nation werden und wirbt um die Massen in der katholischen Volksbewegung. Die Mitglieder des katholischen Volkes sollen entweder PCI wählen oder auf ihre rechten Führer Druck im Sinne des Compromesso storico ausüben.
Wirkungsvollstes Mittel für die Verbrüderung des Volkes ist auch für die PCI Wein, Weib und Gesang: jährlich finden selbst in den kleinsten Ortschaften Feste unter dem Patronat der Parteizeitung „Unita“ statt, auf denen der Wein zu Preisstopperpreisen fließt und die dann als so richtig gelungen eingeschätzt werden, wenn der lokale Parteisekretär mit der Tochter des DC-Bürgermeisters zur Musik der gemischt kommunistisch-sozialistisch-christlichen Feuerwehrkapelle den Einheitstango aufs Parkett legt. Die Jünglinge und Mädchen der kommunistischen Jugendorganisation FGCI erzielen nach Mitternacht stolze Einheitserfolge bei den Altersgenossen von der DC, wobei sie allerdings nicht zu weit gehen, weil sie die Anweisungen ihrer Partei zu Moral und Sitte wesentlich peinlicher befolgen als die Katholiken die diesbezüglichen des Papstes. Die PCI buhlt also um bürgerliche Massen mit dem Konzept, das alle Bürger mit ihr vereinigen soll: Ordnung. Ruhe und moralische Sauberkeit. So verwundert es nicht, daß Italiens Partei der Arbeiterklasse mittlerweile mit ihren Anhängern aus dieser Klasse wesentlich mehr Probleme hat als mit den einfachen Mitgliedern des Klassengegners vergangener Zeiten.


Eine ehrenvolle Aufgabe für die Arbeiterklasse

„Sie muß nicht nur ökonomische und soziale Ziele, sondern auch politische und demokratische Ziele angeben.“

Berlinguers neue Aufgabenstellung für die „Linkskräfte“ in der Arbeiterbewegung sieht vor, daß die Proleten zu Italienern konvertieren. Nicht mehr Lohnkampf, sondern Kampf um die Nation, was ihnen ein „ehrenvolles“ Opfer abverlangt. Angesichts des Austerity-Programms der Regierung Andreotti, das von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern als „Weg aus der Krise über die Knochen der Werktätigen“ (so die sozialistisch-sozialdemokratische UIL) im Gegensatz zur PCI kritisiert wurde, versucht der kommunistische Sekretär der CGIL Lama, die Parteilinie in der Föderation der drei grossen Gewerkschaften durchzusetzen, was in der bürgerlichen Presse genüßlich vermeldet wurde (nicht aus Liebe zu den Arbeitern, versteht sich, sondern aus Freude darüber, daß sich auch die Kommunisten den Standpunkt des kapitalistischen Staates endlich zueigen gemacht haben). Wegen des Übergewichts der CGIL in der italienischen Gewerkschaftsbewegung wird sich Lama wohl durchsetzen, doch die Konsequenz solcher Domestizierung der Arbeiter, deren Lohntüte sich leert, wofür sich die PCI als Lohn die Füllung der Brust mit Stolz ausgedacht hat, stellen die PCI vor Probleme: sie verliert ihre Attraktion als Arbeiterpartei. Während westdeutsche Arbeiter wenigstens staatstreu bleiben und „aus Protest“ CDU/CSU wählen, neigen die „temperamentvollen Italiener“ zu Kurzschlußhandlungen wie wilden Streiks.

Werden diese von Teilen der linken Gewerkschaften unterstützt, reagieren die kommunistischen Funktionäre mit Ausschlußdrohungen, Auflösung ganzer Sektionen und erklären, für die Unbotmäßigkeit der Basis seien „linkssektiererische Elemente“ verantwortlich, die mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun hätten. Kein Wunder auch, daß sie so nicht nur innerhalb der CGIL linke Oppositionen schaffen, sondern auch die Bildung von ständischen Vereinen befördern, wie den faschistisch inspirierten Eisenbahnerassoziationen, die schon zweimal in diesem Jahr den Zugverkehr lahmlegten. Hier erhebt dann die PCI als erste die Forderung nach dem Einsatz der Armee, weil sie besonders am Funktionieren staatlicher Betriebe interessiert ist, schon deswegen, damit die Arbeiter auch pünktlich zur Arbeit kommen. Musterbeispiele für die Disziplinierung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind so die Städte und Regionen mit kommunistischer Administration, was gerade die Hotelbesitzer der mondänsten Orte an Adria und Riviera die „Partei der Arbeiterklasse“ so sympathisch macht, über die „guten Beziehungen“ der PCI zum Gewerkschaftsapparat lassen sich von Kapitalisten mit Parteibuch sogar Sonderabmachungen vereinbaren, die während der Saison ungehinderten Betrieb garantieren.(1)

Weil die Verfolgung von Arbeiterinteressen immer im Gegensatz zum Kapital steht, und damit zum „frontalen Zusammenstoß“ mit der DC führt, benutzt die PCI ihre „feste Verwurzelung in der Arbeiterklasse“, sie von Kämpfen abzuhalten und stattdessen den Weg des „Vergleichs mit der DC“ einzuschlagen. Weil aber bei Vergleichen immer nur die Forderungen beschnitten werden, fordern kommunistische Gewerkschafter überhaupt nichts mehr und beschränken sich auf die Rolle „einer Kraft, die bei der politischen Programmierung bindend zu fragen ist“ (HK 66). Gewerkschaftlicher Kampf hat nicht mehr die Interessen der Arbeiter zum Ziel, sondern muß die Interessen der Nation bei den Arbeitern durchsetzen, damit diese sich nicht mehr für sich einsetzen, sondern „eine neue Arbeitsmoral im Dienste der Nation“ entwickeln.


Der historische Vorkompromiß und die historische Perspektive: „die Revolution der übergroßen Mehrheit des Volkes“

„Die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft auf demokratischem Wege bedarf der Zustimmung in einem ganz präzisen Sinn: In Italien kann sich die Umgestaltung nur als Revolution der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vollziehen. Einzig unter dieser Bedingung können Zustimmung und Kraft miteinander verschmelzen und zu einer unbesiegbaren Realität werden.“ (Enrico Berlinguer)

Für die PCI ist der Historische Kompromiß, wenngleich auch erst als „Pre-Compromesso“ realisiert, bereits siegessichere Realität. Die Regierungserklärung Andreottis hat Partei-Vize Pajetta so „kritisiert“, als gelte es einem Parteifreund ein paar rhetorische Tips zu geben:

„... kritisiert Giancarlo Pajetta zwar den Ton der Regierungserklärung (wahrscheinlich auf die nachlässige Arbeitsmoral der Werktätigen in der Lautsprecheranlagenfabrik zurückzuführen, MSZ) äußerte sich jedoch lobend über die zeitlich präzisierten Verpflichtungen der Minderheitsregierung ...“ (FR 6.8.)

Des weiteren wird die PCI den Zeitplan der Regierung solange „genauestens überwachen“ (Pajetta), bis sie ihn selber mitgestalten kann. Dies ist keineswegs der Fall, wenn die Linke bei Wahlen 51% der Stimmen erreicht. Gegen solche „sektiererischen“ Vorstellungen bemüht die PCI ausgerechnet das Beispiel der Allende-Volksfront, die mit nur einem Drittel der Wählerstimmen ins Amt kam. Unterm Verweis auf die Liquidierung der UP in Chile zieht sie aus deren verhängnisvollem Paktieren mit den Christdemokraten (diese verschafften Allende die Präsidentschaft !) die Konsequenz, man müsse auch mit den Christdemokraten regieren, um ein Überwechseln der DC ins Lager der Reaktion zu vermeiden. Die historische Perspektive der PCI läuft darauf hinaus, die Revolution in Italien mit der DC zu machen, die dann – logo – keinen Grund hat, gegen die Revolution zu sein. Hieß es früher noch zur Begründung der Revolutionsfähigkeit der DC, man dürfe diese Partei nicht danach beurteilen, ,,was sie ist, sondern nach dem, was sie sein könnte“, so ist sie unter Andreotti geworden, was sie ihrem PCI-Begriffe nach ist. Der gegenwärtige Status der PCI als Regierungspartei in der Opposition hat für sie den Vorteil, daß sie ihre Regierungsfähigkeit demonstrieren kann, ohne unmittelbar für die Sauereien des Regierens verantwortlich gemacht zu werden. Sie hält zwar allesamt für notwendig, mokiert sich aber über den Ton, in dem sie vorgebracht und durchgeführt werden. Dahinter steckt das Angebot, die Sanierung des italienischen Staates selbst effektiver durchzusetzen, weil bekanntlich der Ton die Musik macht. Die DC bedankt sich zwar höflich für die Unterstützung. Andreotti braucht sie sogar, um nicht auf die unsicheren Sozialisten angewiesen zu sein und die Linkscorrenti in der eigenen Partei niederzuhalten, denkt aber verständlicherweise nicht daran, die Macht mit einer Partei zu teilen, die sie ihm auch ohne Teilung der Posten erhält. Solche Selbstlosigkeit im Einsatz für die herrschende Klasse und den Staat hat der PCI mittlerweile Lob von Teilen des Kapitals eingetragen (der aufgeschlossene FIAT-Chef Agnelli schätzt deshalb „die PCI als eine verantwortungsbewußte Kraft“, weil er gemerkt hat, daß für ihn Kommunisten, die ihm das Geschäft der Mehrwertauspressung dadurch erleichtern, daß sie die Arbeiter zur Arbeit anhalten und von dummen Gedanken abhalten, ganz nützlich sind) und die Anerkennung im Staat: Pietro Ingrao, „linker“ Flügelmann der PCI, wurde mit den Stimmen der DC Parlamentspräsident.


Nach dem Ausgeführten über die PCI beantwortet sich die Frage der „Zeit“ vom 13.8. –

„Die Rolle der KPl ist alles andere als bequem. Sie erfordert einen Grad von Selbstverleugnung, der oberhalb der Grenzen bloßer Taktik liegt. Wo aber liegt der Nutzen für die Kommunisten?” –

ebenso, wie der Fehler der „Zeit“-Analyse auf der Hand liegt:

Was die „Zeit“ für „Selbstverleugnung“ hält, ist das Prinzip einer Partei, die den italienischen Staat durch die Sanierung des Kapitalismus retten will, was für die Zeit „oberhalb bloßer Taktik“ liegt ist die Strategie der PCI, mit der sie die italienische Arbeiterklasse diszipliniert und an Staat und Kapital bindet, was in der Tat „alles andere als bequem“ ist, angesichts der Klassenkämpfe, die Italiens Arbeiter zu führen gezwungen sind, um sich in ihrem Staat über Wasser zu halten. Und „wo der Nutzen der Kommunisten“ liegt, kann nur eine Postille der Bourgeoisie fragen, für die der Schaden der Arbeiter Existenzgrundlage ist.

Soweit nicht anders vermerkt, stammen die Zitate aus folgenden Quellen:
E. Berlinguer, Für eine demokratische Wende, Berlin (DDR), 1975 (B)
Berlinguer/Gramsci, Longo/Togliatti, Der historische Kompromiß, Westberlin 1976 (HK)
P. Rosenbaum, Italien 1976 – Christdemokraten mit Kommunisten, Reinbek 1976 (Ros)

 

aus: MSZ 13 – Oktober 1976

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(1) Gegen die hier beschriebene Politik der PCI, sich für den Staat stark zu machen und ihn zu stützen, bildeten sich in den 70-er Jahren der Autonomismus bzw. Operaismus heraus, die sich als Arbeiterbewegung von der PCI und deren Gewerkschaften abgrenzen wollten.

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