Wissenschaftler beherrschen diese Dialektik von Möglichkeit und Notwendigkeit auf höherem Niveau. Wenn sie die Wörtchen „wenn-dann“ in den Mund nehmen, dann mit dem Gestus der logischen Schlußfolgerung, auch wenn sie die Volksliedphantasie so vorbildlich anwenden wie der geschichtsschreibende Sohn eines bekannten geschichtensschreibenden Mannes: „Hätten sie (»die Nutznießer des Systems Bismarcks«!) die soziale Demokratie mit dem Herzen angenommen, mit ihr sich endgültig ausgesöhnt, dann wäre trotz aller im Volk wühlenden Bewegung die Katastrophe des Dritten Reiches zu verhüten gewesen; dann hätte etwa die Regierung Brüning bis zum natürlichen Niedergang der Nazipartei gehalten werden können. Aber das Großbürgertum hielt die Entwicklung seit 1917 für illegitim, für noch rückgängig zu machen. Daher sein Pakt mit der Revolution des verzweifelten Kleinbürgertums, symbolisiert durch das berühmte Treffen im Hause des Bankiers; daher der dreißigste Januar 1933.“ „Ohne die Kommunisten hätte die Republik nicht so unglücklich und blutig, wie es geschah, begonnen, wäre Hindenburg nicht Reichspräsident geworden, wäre die Demokratie nicht gleichzeitig von links und von rechts bedrängt und erstickt worden ...“ Gemäß der beliebten Devise: „Wie konnte es nur dazu kommen?“, die statt nach Gründen nach Schuldigen und Unschuldigen fragt, verfabelt er aufrecht antifaschistisch die Demokratie in eine Bedingung zur Verhinderung der Nazis, und entschuldigt sie dann damit, daß Landjunker und Kommunisten (des weiteren auch die Sozialdemokratie, der seiner Meinung nach „der Machtwille fehlte“) keine demokratiefördernden Bedingungen waren, weil sie sich nicht der Demokratiebegeisterung befleißigt haben, die er als Möglichkeit ausgemalt hat. Wenn man die historischen Geschehnisse vom Ideal der Rettung der Demokratie aus betrachtet, und die politische Landschaft über diesen Leisten schlägt, dann werden aus Reaktionären und Linken gleichermaßen schlechte Bedingungen dafür, demokratisch Hitler überflüssig zu machen. Dabei fallen die politischen Differenzen nicht einfach unter den Tisch: Den Rechten wird die Ehre zuteil, an einem vorgestellten Programm gemessen zu werden, das sie erklärtermaßen nicht verfolgt haben, und ihnen dann vorgeworfen, daß sie es nicht verfolgt haben; bei den Linken wird solche Spekulation gespart; schließlich wird ihre bloße Existenz als Bedingung dafür angesehen, daß die Demokratie dem Ideal des Historikers von ihr nicht entsprechen konnte und Demokraten wie Nicht-Demokraten aus ihrem Antikommunismus, nicht aber aus der Verteidigung der Demokratie ein Prinzip gemacht haben. Daß Kommunisten, alte Monarchisten, Sozialdemokraten, Wirtschaft, usw. keine günstigen Bedingungen für das Weimarer Gebilde waren, das sich der historische Betrachter erfunden hat, und daß er säuberlich unterscheidet, bei wem er sich eine wünschenswertere Haltung noch vorstellen will, erklärt zwar nichts über die politische Lage und ihre Beteiligten, einiges aber über die „Notwendigkeit“, auf die es hier offenbar ankommt und die den Denkprofi vom selbstgenügsamen Staatsamateur unterscheidet. Mit souveräner Gleichgültigkeit gegen die Taten und Gedanken der politisch Beteiligten mißt er alles an seiner demokratischen Utopie, sammelt eine schier endlose Latte von angeblichen Bedingungen für Hitlers Aufstieg und verschafft sich so mit viel Verständnis für das „Versagen der Demokratie“ zwar nicht den Grund, wohl aber lauter gute tautologische Gründe für den Durchbruch der Person „H.“’s und den Ausbruch der „ihm selber unbekannten teuflischen Kräfte seiner Seele“: Hitler erklärt sich aus der Voraussetzung seiner Nichtverhinderung, Weimar damit, daß es die Nichtvoraussetzung für Hitlers Verhinderung war, weil es selbst Bedingungen seines Nichtfunktionierens hatte ... Solcher Bedingungen gibt es viele, so daß sich schließlich als Spitze der Dummheit diese „historische Notwendigkeit“ dahin auflöst, das „Abenteuer eines einzelnen Bösewichts“ mit dem Hinweis auf die Bedingung seiner Existenz dem Zufall anheimzustellen: „Hätte es den einen Menschen nicht gegeben, so wäre gekommen niemand weiß was, aber nicht der Nationalsozialismus, so wie wir ihn erlebten. Zufällig gab es ihn.“ (Kursiv im Original!) Tja, wenn in Braunau nicht zwei vor der Jahrhundertwende gevögelt hätten, Marx nicht das Kapital geschrieben hätte, Bismarck für Demokratie gewesen wäre ... Wenn solch wissenschaftliche »Wenn's« nicht wären, dann könnte unser Mann auch nicht Hans Maier die Hand reichen, der die wissenschaftliche Demut vor den gottgewollten sinnreichen Zufällen in der Geschichte gebildet mit einem Pascal-Pensee zu illustrieren pflegt: „Die Nase der Kleopatra, wäre sie ein wenig länger gewesen, die Welt wäre einen anderen Gang gegangen.“ Außerhalb der Grenzen historischer Spekulation gibt sich diese Betrachtungsweise mit und ohne »wenn-dann« noch viel logischer. Ein musikliebender Psychologe macht es streng nach Schema: „Die musikalische Genialität eines J.S. Bach war mit hoher Wahrscheinlichkeit von Erbfaktoren bestimmt ... eine Disposition, die sich nur dann in musikalischem Verhalten manifestieren kann, wenn die Umwelt ein solches Verhalten möglich macht“; ein Ökonom bewegt sich dagegen schon etwas freier: „Durch Geld wird es möglich, ungleiche Dinge – wie Apfelsinen, Lehrbücher und Flugreisen – zu addieren. Alle Güter und Dienste lassen sich in Geld ausdrücken und damit auf einen Nenner bringen. Die Existenz eines Generalnenners ist Grundvoraussetzung ...“ Die Umwelt macht heutzutage offensichtlich wissenschaftliche Gedanken möglich, durch die man nicht schlauer, sondern verdummt wird. Denn wenn es auch stimmt, daß ohne kleine oder große Scheinehen nichts über die Ladentheke kommt, ist das Geld noch lange keine Erfindung, um zu Apfelsinen, Lehrbüchern und Flugreisen zu kommen; ebenso ist das musikalische Genie ganz vom Tisch, wenn über es mit viel Willkür aber ohne große Originalität vermeldet wird, daß es eigentlich nur aus Genialität besteht und aus Bedingungen, die es erst zur Wirklichkeit machen. Und der abstrakte Kalauer von der Umwelt heißt ja, daß nicht einmal irgendwelche angegeben werden sollen, sondern der Standpunkt der Bedingungslogik methodisch vorgetragen wird. Bachs Genie hätte sich zwar sicher auch nicht ohne Geld – zum Addieren seiner Notenbücher und Cembalos – manifestiert, und ohne Umwelt sind auch die mathematischen Vorfahren nicht zu denken, deren Manifestationen Voraussetzung für Addition und Nenner sind. Doch sind die zitierten Einfälle Voraussetzung für streng logische Fortsetzungen, die denselben Fehler noch einmal andersrum auf tischt: „Es ist evident, daß ohne eine Rechenskala die Makroökonomie nicht existieren könnte.“ „Eine arbeitsteilige Wirtschaft mit hohem Niveau ist somit bei Naturaltausch nicht vorstellbar.“ „Nehmen wir an, ein Mensch mit den gleichen musikalischen Anlagen (Gen-Strukturen) wie Bach hätte vor 20 000 Jahren in der Eiszeit gelebt. Ein solcher Mensch wäre im täglichen Kampf ums nackte Dasein aufgegangen.“ Wenn einmal in Form einer Schlußfolgerung, die aus einer erklärten Bestimmung auf eine notwendige andere folgert, nur noch die Willkür am Werk ist, einen Gegenstand mit irgendeiner seiner Voraussetzungen zu identifizieren oder als Voraussetzung für irgend etwas anderes abzuservieren, dann drängt die Macht des Gedankens danach, sich tautologisch der Notwendigkeit des behaupteten Zusammenhangs zu versichern, indem mit den Bedingungen gespielt wird. Man ersetzt sie durch andere, und kommt zu dem umwerfend zwingenden Ergebnis, daß dann auch die Möglichkeiten nicht mehr dieselben sind: Ohne Geld nix Markt, ohne Brandenburg keine Brandenburger Konzerte. Zwar wird das Argument für die Unentbehrlichkeit des Geldes sowie einer nachdiluvialen Staatswelt durch die negative Umformulierung auch nicht besser, doch mit ein bißchen Phantasie und einigermaßener Beherrschung des Konjunktivs läßt sich bei der wissenschaftlichen Beweisführung eine Untersuchung der Gegenstände ganz vermeiden, indem man sich irgendwelche Umstände wegdenkt zu dem höheren Zweck, sie als conditio sine qua non wieder herbeizuzaubern: „Die Entwicklung des Schriftstellers zu einem selbständigen und regelmäßigen Beruf wäre aber im Zeitalter des Kapitalismus ohne die Metamorphose des persönlichen Dienstes in eine unpersönliche Ware undenkbar gewesen.“ Der geradezu philosophisch anmutende Tiefgang der geistreichen Hirnübung besteht in der routinierten Blauäugigkeit, mit der wild phantasierende Wissenschaftler ihre Gedankenspiele scheitern lassen und dem staunenden Publikum tautologisch eingestehen, daß sie sich z.B. als gute Germanisten die Welt nur so vorstellen können, wie sie wollen – als eine mehr oder weniger schlechte Bedingung für die Schriftstellerei, die schließlich nicht nur sie für das höchste der Gefühle halten. Daraus entstehen dann so konsequent idealistische Neukonstruktionen der Wirklichkeit aus der germanistischen schönen Seele wie folgende: „Von einer Säkularisierung der Ehe um die Wende zum 19. Jhdt. darf mit gutem Grund die Rede sein. Denn das Hervortreten eines Eheromans setzt einen solchen Prozeß der Säkularisierung voraus. Er setzt voraus, daß die Ehe problematisch zu werden beginnt. Die Ehe wird damit dem Zugriff des Schicksals ausgesetzt. Sie wird einer tragischen Darstellung fähig, einer Darstellung, die Tragik erzeugt.“ Man wird solchen höheren Blödsinn allerdings nicht mehr tragisch nehmen, wenn man die Spitzenleistung eines gerade wieder mal ins Gespräch gekommenen undogmatischen Theologieprofessors zur Kenntnis nimmt. Denn der erklärt die Existenz Gottes nicht nur aus dem Willen, sich in der ach so leeren Welt einen höheren Sinn zuzulegen, wofür die Entscheidung zu Gott eine ausgezeichnete Bedingung ist: „Denn was ändert sich, wenn Gott existiert? ... Dann wäre selbst alles unabwendbare Leiden, das sich nach den Vertretern der Kritischen Theorie nicht begrifflich aufheben läßt, dann wären Unglück, Schmerz, Alter und Tod des Einzelnen, aber auch das drohende Eschaton der Langeweile in der total verwalteten Welt doch nicht das Letzte, sondern könnten auf ein ganz Anderes verweisen ... Denn was ändert sich, wenn Gott existiert? ... Dann hätte die endliche Sehnsucht des Menschen, der nach Ernst Bloch unruhig, unfertig, nie erfüllt immer neu unterwegs ist, doch einen Sinn und ginge nicht ins Leere ... Wer so nicht für sich selber lebt, wird wahrhaft zu sich selber kommen, Mensch sein, Sinn, Identität, Freiheit gewinnen.“ Er führt auch exemplarisch vor, daß sich aus der gottbedingten Lösung aller Sinnprobleme kritischer Wissenschaftler sogar das ganze göttliche Wesen samt Sohn entwickeln läßt. Ihre Charaktereigenschaften sind es, diese ausgezeichnete Möglichkeit zum Sinn zu bieten: „Als konkret geschichtliche Person besitzt Jesus eine Anschaulichkeit, die einer ewigen Idee, einem abstrakten Prinzip, einer allgemeinen Norm, einem gedanklichen System abgeht; ... eine Vernehmbarkeit, der gegenüber Ideen, Prinzipien, Normen und Systeme als stumm erscheinen; ... eine Realisierbarkeit, wogegen Ideen oft als unerreichbare Ideale, Normen als unrealisierbare Gesetze, Prinzipien und Systeme als wirklichkeitsferne Utopie erscheinen ... So ist Gott denn zu verstehen als der zugleich nahe und ferne, weltliche und unweltliche Gott, der des Menschen Freiheit nicht verunmöglicht, einschränkt, überspielt, sondern ermöglicht, trägt und vollendet.“ Küng sei Dank!
Wenn sich der Wille, einer Sache nicht auf den Grund zu gehen, also auch nicht zu erklären, wofür sie wirklich taugt und was ihre notwendigen Voraussetzungen sind, allenthalben so unverfroren betätigt, wundert es nicht, wenn schon Woody Allen und Karl Marx bemerkt haben, daß es sich nicht um die vereinzelte Macke einiger verrückter Wissenschaftlerexemplare, sondern um eine allgemein verbreitete und verbindliche Form bürgerlichen Denkens handelt. Jeder aufmerksame Zeitgenosse wird bestätigen können, daß er sich den Geisteszirkus ohne den Bedingungsfehler nicht vorstellen kann. Schließlich erfährt er tagtäglich aus berufenem Munde, was man alles für „undenkbar, nicht mehr wegzudenken“ zu halten hat; – unsere Gesellschaft ohne Energiequellen, – Demokratie ohne Parteienvielfalt, aber auch 5 %-Klausel – Schule ohne Noten – Abrüstung ohne Aufrüstung – Goethe ohne Liebesleben usw. usf. Ein ganzes Heer bestallter Wissenschaftler ist jahrein, jahraus damit beschäftigt, sich je nach seiner Auffassung vom richtigen Gang der Welt, also gemäß seiner Vorstellung des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes, von der aus er die ganze restliche Welt beurteilt, sich auf die eine oder andere Sache als unerläßlicher, auch wichtiger, nicht zu vernachlässigender Bedingung zu kaprizieren, die bislang vernachlässigt worden sei. Für unsere Gesellschaft spielen auch die Massenverkehrsmittel, für die Demokratie auch eine stabile Regierung, für die Schule auch die Klassenstärke, für die Abrüstung auch ein Entspannungsklima, für Goethe auch Luthers Deutsch eine nicht zu übersehende Rolle. Streit kann da nicht ausbleiben, wenn der eine die industrielle Revolution auf den Calvinismus (das proletarische Arbeitsethos ist immer noch gefragt), der andere auf die Dampfmaschine (der Fortschrittsdrang des Kapitals ist auch so eine transepochale Konstante), ein Dritter die Geschichte bis 1890 auf das Urtrauma des 30-jährigen Krieges als entscheidende Voraussetzung »zurückführt«. Ein Pädagoge weist auch mit der üblichen Selbstüberschätzung darauf hin, welch wichtige Bedingung für die Bildungspolitik angeblich der ewige Streit ist, ob nun Erbanlagen oder Umwelt die entscheidende Bedingung des Lernens ist, auch wenn es sich nur um Varianten des pädagogischen Standpunkts handelt, daß das Kind eine gute und schlechte Bedingung für seine Erziehung ist: „Maßnahmen, Forderungen und Reformvorstellungen im privaten und öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesen finden ihre Chance oder Begrenzung im Konzept der Begabung. Wer z. B. von der Unveränderbarkeit genetisch fixierter Begabungsdifferenzen ausgeht, wird ein anderes Schul- und Erziehungssystem befürworten ... als einer, der die Begabung unter einem dynamischen Gesichtspunkt als erworben und weitgehend durch Umwelteinflüsse determiniert betrachtet.“ Jemand kann noch so gediegen den Begriff des Bedingungsfehlers aussprechen – der Bedingungen gibt es viele und Notwendigkeit heißt deshalb, daß man aber auch keine weglassen darf –, es findet sich eben deshalb auch ein Richter, der grobe Fahrlässigkeit beklagt: „Der Autor resümiert: »Allgemein ist zu sagen, daß der linke Radikalismus ein multifaktorielles Problem ist und daß er aufgrund der Interaktion von familiärer Sozialisation, Psychopathologie, Sexualstörung, Persönlichkeitsmerkmalen und des repressiven Verhaltens durch Hochschullehrer und Staatsrepräsentanten zustande kommt. Würde ein Faktor aus dieser Kette fehlen, wäre die Motivation für den linken Radikalismus nicht gegeben.« In der öffentlichen Diskussion dieser Befunde ist die Bedeutung der sozialen Mitursachen indessen rasch untergegangen. Unverkennbar überwiegt die Neigung, sich allein mit den sexuellen Auffälligkeiten der Radikalen zu beschäftigen.“ Für die wissenschaftliche Diskussion trifft das nicht zu, denn auf einem Kongreß über Terrorismus wurden für dieses Phänomen dreiunddreißig verschiedene sogenannte Ursachen mit aller gebotenen pluralistischen Toleranz neben- und gegeneinandergestellt. Inzwischen sind wieder ein paar dazugekommen.
Wenn man z. B. Denken anzweifeln möchte, muß man nur der Sprache eine unmögliche Leistung unterstellen und kann dann naserümpfend konstatieren: „Die Sprache aber erweist sich als mangelhaft, wenn es sich darum handelt, das Denken vor Fehlern zu bewahren ... Die Sprache ist nicht in der Weise durch logische Gesetze bestimmt, daß die Befolgung der Grammatik schon die formale Richtigkeit der Gedankenbewegung verbürgt.“ Die dabei beiläufig geäußerte eindeutige Lüge: „Sie genügt schon der ersten Anforderung nicht, die man in dieser Hinsicht an sie stellen muß, der, eindeutig zu sein ...“, nimmt der Nächste begeistert auf und macht daraus gleich einen ganzen Wissenschaftszweig, der diese lauthals vorgebrachten Unverschämtheiten gegen die Sprache damit untermauert, daß er lauter zweideutige Sätze in die Welt setzt, die angeblich für sich keinen Sinn haben, und dann aus Gott und der Welt lauter Bedingungen für die Verständlichkeit der Sprache macht: „Es gibt außersprachliche Bedingungen und Gelegenheiten, die es erlauben, die Decodierung eher in die eine als in die andere Richtung zu orientieren.“ Ob der keineswegs unbescholtene Satz „he follows Marx“ „Er folgt Groucho auf Schritt und Tritt“ oder „Er ist ein Schüler von Karl Marx“ bedeutet, ist demnach keine Frage der Bedeutung des Verbums und des Namens, sondern hängt davon ab, ob der Blödsinn von Breschnew auf dem Roten Platz oder von einem linguistenreifen Deppen in „Kennen Sie Kino?“ verzapft wird. Ist der Satz glücklich in ein Bündel von Bedingungen, sog. Kommunikationsfaktoren aufgelöst, so hat die linguistische Bedeutungsleugnerei endlich zu ihrer pragmatischen Reinform gefunden, wo die Sprache eine Bedingung unter vielen in dem komplexen Modell für die Lösung der Fragestellung ist, „ob und unter welchen Bedingungen ein Sprechakt gelingt“: „Erstens sind das Bedingungen, die der Sprecher einhalten muß, und zweitens Bedingungen in bezug auf den Hörer. Unter den ersten Bedingungen können wir vier Sorten aufführen – vorausgesetzt, daß die physikalischen und physischen Umstände so beschaffen sind, daß überhaupt ein Kontakt Zustandekommen kann oder schon besteht – Germanisten pflegen dieselbe Absage an irgendeine Objektivität ihres Gegenstandes in der sogenannten Wirkungsästhetik breitzutreten, und die Philosophie poliert auch immer wieder einmal den schon etwas angestaubten Unfug auf, die Gegenstände könnten von der Bedingung abhängen, daß der Philosoph sich ihnen widmet. Moderner ist allerdings in dieser Sparte die Entdeckung von Möglichkeiten des Sinns getrennt von und ausdrücklich gegen die profane Wirklichkeit. Beliebt ist da z.B. der Tod, dessen gängige Betrachtung nicht erst Woody Allen als Holzweg entdeckt hat: „Im Sein zum Tode dagegen, wenn anders es die charakterisierte Möglichkeit als solche verstehend zu erschließen hat, muß die Möglichkeit ungeschwächt als Möglichkeit verstanden, als Möglichkeit ausgebildet und im Verhalten zu ihr als Möglichkeit ausgehalten werden.“ Möglichkeiten bietet auch das Prinzip Hoffnung: „Hat sich der Mensch erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“, wobei hier die logische Pikanterie darin liegt, daß der Inhalt dieses Prinzips die Forderung ist, die Logik der Möglichkeit zur bewußten Einstellung gegenüber der Wirklichkeit zu machen: „Wie reich wurde allzeit davon geträumt, vom besseren Leben geträumt, das möglich wäre ..: Kein Mensch lebte je ohne Tagträume, es kommt aber darauf an, sie immer weiter zu kennen und dadurch unbetrüglich, hilfreich, aufs Rechte gezielt zu halten.“ Auf etwas weniger grundsätzlicherer Ebene treibt solche Willkür gegenüber der Realität alle möglichen brutalen Sumpfblüten, weil zur Gewalttätigkeit dieses Denken auch die Fühllosigkeit gehört, in der existenten Gewalt einige gute oder weniger gute Bedingungen zu entdecken, (vgl. auch MSZ Nr. 32 „Krieg – Vater aller Tugenden“) So ist die kritische Bewertung der Menschenvernichtung nicht von Pappe, zu der ein schöngeistiger Rhetoriker sich gedrängt fühlt: Er entdeckt in Auschwitz eine schlechte Voraussetzung für sein hohes Anliegen, weil dort gute Bedingungen für einen respektablen Kulturstaat einfach vergast wurden: „Die Juden machten aus der Kritik eine Kunst und erkannten der Kunst den Rang einer kritischen Wissenschaft zu, gaben ihr die Würde gallischer clarté ... Kein Zweifel, hätte ein barbarisches Regime die Juden nicht in die Kammern von Auschwitz gejagt: es stünde anders, und besser, um die Autoren und um die Kritik.“ Ein Wissenschaft treibender Polizeipräsident betrachtet den Krieg als Voraussetzung für die innerstaatliche Ordnung und verlängert deshalb die Lüge, Atombomben seien eine Bedingung heutigen Friedens, mit einem sorgenvollen Kommentar: „Erfindung und Einsatz der Atombombe haben nicht nur die Möglichkeit der Kriegsausweitung bis zu der im wahrsten Sinne des Wortes »unmenschlichen« Selbstzerstörung der Menschheit in der Helligkeit des Nuklearblitzes erscheinen lassen, sie haben mit dieser Möglichkeit vorerst auch dem »Großen Krieg« Einhalt geboten ... Daher leben sich seine Aggressionen nicht mehr in großen Kriegen aus. Die Aggressionen sind aber geblieben ...“ – und produzieren Verbrecher, für deren Zustandekommen wiederum andere das ,,Bedingungsgeflecht zwischen Täter und Opfer“, „eine zum Getötetwerden neigende Person“, kurz das Opfer als nicht wegzudenkende Bedingung berücksichtigt wissen wollen. Sobald man den Gegenstand mit allen möglichen Wirkungen identifiziert, die er auf andere hat, oder die auf ihn einwirken, und das zu seiner ureigensten Bestimmung erklärt, sobald also seine Analyse darauf hinausläuft, ihn als Bedingung, Voraussetzung oder Möglichkeit für etwas anderes theoretisch zu erledigen, lassen sich auch den negativen Wirkungen von Atomkatastrophen auf die Bevölkerung gute Seiten abgewinnen. Man muß als christlicher Atomphysiker bei der Aussicht, daß einige Leute dabei über den Jordan gehen, nur an das drängende Problem erinnern, „daß sowieso gewisse Maßnahmen der Geburtenregelung unvermeidlich sind oder jedenfalls geübt werden. Der Hinweis, daß in solchem Zusammenhang auch an eine Bevorzugung der Gesunden und eine stärkere Zurückhaltung erblich Geschädigter zu denken wäre, ist wohl so logisch, daß man sich wundern muß darüber, gerade ihn zum Ansatzpunkt gelegentlich heftiger Kritik genommen zu sehen.“
Solche Blicke in die Welt, die theoretisch alles rücksichtslos danach taxieren, was es für die Lösung sogenannter Probleme angeblich taugt, gebären folgerichtig ganze wissenschaftliche Disziplinen, die ihren Geistesbrüdern vorwerfen, die Logik der Bedingungen nicht ernsthaft genug zu verfolgen, oder sich als ihre notwendige Ergänzung anbieten. Wo die Juristerei streng nach Gesetz den Menschen getrennt von ihren Absichten und Zwecken einen Willen zur Rechtsverletzung andefiniert und den wirklichen Inhalt dieses Willens als Bedingungen bei der Strafzumessung auftauchen läßt, ist auch schon der Kriminologe bei der Hand, der mit Elternhaus, Wohnviertel, Geschlecht usw. den Ausbruch der naturgegebenen verbrecherischen Energie erklärt und aus Gründen der gerechteren Verurteilung, besseren Verbrechensaufklärung oder -Verhütung den Rechtsstandpunkt des abstrakt freien Willens um den der Willensdetermination durch tausend Bedingungen ergänzt. Ein Psychosomatiker leitet seine Absage an die herkömmliche Medizin sogar säuberlich bedingungslogisch ab. Nach der Willenskundgabe, wie er die Krankheit verstehen möchte – „es ist das Verständnis für den Menschen, der unter so veränderten Bedingungen sein Leben führen muß, was uns mangelt“ –, schreitet er von der Bedingung zur Schlüsselrolle fort – „Und je genauer wir diese Zusammenhänge kennenlernten, umso mehr Hinweise erhielten wir, daß auch am Zustandekommen mancher großer klassischer Krankheitsbilder der Klinik ... bestimmte seelische Konstellationen – Erlebnisverfassungen – bedingenden Anteil haben, ja, daß diese dabei sehr oft die Schlüsselrolle spielen.“ und gelangt so zur Neudefinition der Krankheit als Konflikt und der Heilung als „einen gelungeneren Umgang des Menschen mit sich selbst und seiner Welt“. Dabei bedient er sich zwischenzeitlich auch der Standarddummheit, mit der die Soziologie exklusiv ihren tieferen Durchblick bestreitet, und die zur Grundlage aller möglichen Bindestrichwissenschaften geworden ist: alles ist gesellschaftlich bedingt. Dieses soziologische Dogma ist, weil keine Erkenntnis, auch keine Plattheit, sondern die programmatische Ankündigung, die ganze Welt einer Betrachtungsweise zu unterwerfen, welche jedem Einlassen auf den Gegenstand die Berechtigung bestreitet, indem sie unbekümmert darauf herumreitet, daß er in einem größeren Zusammenhang gesehen werden muß, daß er bedingt und damit auch Bedingung ist – durch/für „die Ordnung“, durch/für „das menschliche Zusammenleben“ usw. Diese nichtphilosophische Sinngebung existenter Gewaltverhältnisse genießt zwar den Ruf – vor allem unter Linken – kritisch zu sein, ist aber in Wahrheit nur die notwendige Voraussetzung für die Pseudokritik der linken Wissenschaftsabteilung. Diese kapriziert sich standhaft auf diesen Fehler, macht daher immer und überall geltend, daß sich alle anderen Standpunkte der gesellschaftlichen Betrachtungsweise unterzuordnen oder sich zumindest mit ihr zu verbinden hätten. Daß aber gerade sie mit ihrem Gerede vom sozialen Prozeß so ins Gerede kommen, liegt einzig daran, daß sie Staat, Kapital und Arbeiter ausgerechnet als Bedingung dafür anführen, daß es anders laufen sollte, als der Staat bezweckt. Dabei ist die Gleichgültigkeit gegen den tatsächlichen Gang der Verhältnisse auch nicht besser oder schlechter als die ihrer staatstreuen Antipoden, wenn sie die angebliche Krise des Kapitalismus als Bedingung für die Entstehung revolutionären Bewußtseins untersuchen, in den Europawahlen eine mögliche Chance für die linke Bewegung entdecken usw. Auch in Sachen Brutalität stehen sie deshalb ihren Antipoden in nichts nach. Der jüngst verstorbene Altphilosoph der Studentenbewegung erklärt z.B. ihr Verschwinden mit einer gepflegten historischen Würdigung amerikanischer Gewalt: „Seitdem Vietnam vorbei und die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft ist, fehlen die großen Anlässe.“, und ein kritischer Physikprofessor meint, daß auch Kernkraftwerksunfälle mehr sein können: „Die Opfer von Harrisburg dürfen nicht vergebens sein.“ Andererseits ist die Fragestellung linkssoziologischer Weltbegutachter – „Inwieweit und unter welchen konkreten historischen Bedingungen entwickeln sich Klassengegensätze im kapitalistischen System?“ – die Rechtfertigungsformel, mit der hiesige Linke streng tautologisch zu einem ordentlichen Realismus vorstoßen: Die schwierigen Bedingungen, die gesellschaftlich bedingte Abstinenz in Sachen Klassenkampf sind schuld daran, daß der Sozialismus eine schöne Utopie ist und als Menschheitstraum unter ständiger Begutachtung der sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen weiterverfolgt werden muß. Während die munter voranschreitende Demokratie für die Proleten immer neue, härtere Bedingungen schafft, um all ihre Kräfte auszubeuten, während der Arbeitsmann tatkräftig beweist, daß er die ideologische Quintessenz bürgerlicher Wissenschaft gefressen hat, daß er Bedingung für den Staat zu sein hat, und sich damit zufriedengibt, die hier stattfindenden sozialen Prozesse für eine bessere Bedingung zu halten als die reale Utopie von drüben, fassen die Fanatiker der gesellschaftlichen Bedingtheit ihren wissenschaftlichen Fehler und politischen Standpunkt im Begriff des Kräfteverhältnisses zusammen, das sich schon/wieder/ immer noch nicht genug ändert.
In Sachen Utopie werden sie allerdings von der Futurologie ausgestochen, die, vom existenten Umgang mit Arbeitskraft und Natur ausgehend, alle Gegenstände der Staatssorge in variable Bedingungen verwandelt und mit mathematisch vorgeführten Spekulationen streng systematisch den Standpunkt der begrenzten Möglichkeiten breittritt. Mit einer Reihe prognostischer Wenn- dann-Beziehungen stellt sie klar, daß der Bedingungsfehler einem ultimativen Geist entspringt, der die Gewalt der Verhältnisse als Forderung ins Feld führt: (1) Setzt die Menschheit ihren gegenwärtigen Trend fort, so sind wachsende Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Überbevölkerung die unausbleibliche Folge. Sie gipfeln um das Jahr 2030 in einem bedrohlichen Mangel an Rohmaterialien und Nahrungsstoffen. Im Jahre 2100 wird dementsprechend die Bevölkerungszahl auf die Ebene von 1980 gesunken sein und der Lebensstandard auf die Ebene von 1900. (2) Reduzierte die Menschheit sofort ihren Rohstoffverbrauch um 75 % und ersetzte ihn durch Kunst- und Ersatzstoffe, so wäre das Resultat noch schlimmer: Zwischen 2030 und 2050 würden wir eine Umweltkatastrophe von ungeahntem Ausmaß erleben, mit Seuchen und Hungersnot im Gefolge, die bis zum Jahre 2070 fünf Sechstel der Menschheit ausrotten und die Bevölkerungszahl auf weniger als die des Jahres 1900 reduzieren würde. (3) Die einzige Lösung: 40 % Senkung der Kapitalinvestition, 50 %ige Senkung der Geburtenrate, 75 % Senkung der Nahrungsmittelproduktion. Die Bevölkerung würde dann ein wenig zurückgehen auf den Stand von 1970, der Lebensstandard allmählich um 33 % abnehmen, das Gleichgewicht aber für die nächsten 200 Jahre nicht stören. Sobald sich diese abstrakte Parteinahme für den entsprechenden Fortbestand der Menschheit mehr in den gegenwärtigen Gegebenheiten herumtreibt und neben den staatlichen Anstrengungen darauf drängt, das Ideal der Ausschöpfung aller Möglichkeiten unmittelbar zur wissenschaftlichen Richtschnur zu machen, betätigt sie sich als Verhaltenswissenschaft. Mit der Radikalität des guten Gewissens, den Lauf der Welt nicht bestimmen zu müssen, sondern ihm mit freischweifendem Geist ideologische Unterstützung leisten zu dürfen, treibt diese Mannschaft die Bedingungshuberei theoretisch voran, indem sie aus den Voraussetzungen, mit denen eine Sache angeblich erklärt ist, Möglichkeiten macht, sie zu bestimmen, und daraus eine ganze Theorie der Menschenwelt bastelt: „In der Wirklichkeit begegnen wir einem beachtlichen Ausmaß an Steuerung in bezug auf viele relevante Bedingungen. ... Einer weitergehenden Kontrolle und Steuerungen von Bedingungen, die für menschliches Verhalten relevant sind, begegnen wir in der Industrie in Form von Löhnen und Arbeitsbedingungen, in der Schule in Form von Klassen und Unterrichtsbedingungen, im Handel in Form von Geld oder Gütern, im Staatswesen in Form von Polizei und Militär, in der klinisch-psychologischen Praxis in Form eines Einverständnisses desjenigen, dessen Verhalten gesteuert wird usw.“ Was diverse Bürger so tun, lenkt nur ab von einer Verhaltenswissenschaft, die vom Bonbon bis zur Todesstrafe alles pseudorealistisch danach begutachtet, wie es auf die Leute wirkt und zur vorgestellten Wirkung bringen läßt. Die Realität weicht der Unterscheidung Beeinflußbares = Verhalten, Beeinflussendes = Bedingungen, mit der man ohne Rücksicht auf Verluste durch eine Welt von Variablen skinnert: „Wir möchten das Verhalten des einzelnen Organismus Vorhersagen und kontrollieren. Das ist unsere »abhängige Variable« – die Wirkung, für die wir die Ursache finden müssen. Unsere »unabhängigen Variablen« – die Ursachen des Verhaltens – sind die äußeren Bedingungen, von denen das Verhalten eine Funktion ist.“ Die Formel y = f (x) im Kopf, beginnt der Denker zum Beweis für sein Ideal der bedingungslosen Verfügbarmachung der Menschen Papageien auf Rollschuhe zu setzen, Ratten mit Stromstößen zu malträtieren und dabei sorgfältig den (unabhängigen) stimulus x zahlenmäßig mit dem (abhängigen) response y zu korrelieren. Die Experten vernünftigen kapitalistischen Wirtschaftens geben sich nicht minder unverzichtbar für die Praxis, und ermitteln durch wechselndes Konstantsetzen der verschiedenen »Faktoren« genaue »wenn-dann« Funktionsmodelle und konstruieren mathematisch saubere Kurven anhand derer man interessiert mit dem Finger von einer Koordinate zur anderen fahren und angeblich Prognosen über die Nachfrageentwicklung bei ..., die Investitionsneigung bei ... und das Wirtschaftswachstum falls ... aufstellen kann. Zwar halten sich an diese Kurven weder die Wirtschaft noch die Ökonomen, wenn sie Sachverständigengutachten abgeben; aber den Wunsch nach einem möglichst reibungslosen Zusammenspiel des wirtschaftlichen „Bedingungsgeflechts“ versinnbildlichen sie in schlagender Einfachheit.
Daß sich die Staatswissenschaftler im engeren Sinne nicht lumpen lassen und den Praktikern laufend national und international dazwischenquasseln, dieses oder jenes Ereignis mehr als günstige oder ungünstige Bedingung zu veranschlagen, und daß sie sich dabei weniger für die anstehende Entscheidung als für die Pflege des Bewußtseins nützlich machen, die eigene und fremde Gesellschaften seien unbedingt als Mittel der Nation zu behandeln, ist unübersehbar. Der abendländische Ferndialog zwischen einem englischen EG-Befürworter – „Ein geeintes Europa besäße somit die Möglichkeit, zum Katalysator einer internationalen politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft auf föderalistischer Basis zu werden.“ – und einem verstorbenen Studentenführer mit gesamtdeutscher Vergangenheit und Neigung – „Vermag Europa nicht, sich dem Griff der statischen Machtgefilde zu entziehen, dann erwartet es das historische Grab.“ – verwundert daher auch nicht mehr. Ob links oder rechts, diese Wissenschaft steht positiv zur Staatenwelt und leistet sich deshalb auch den letzten Übergang – den zum Bedingungen-Stellen, also zu moralischen Geboten, wie man sich in der Welt aufzuführen hat. Nicht nur fürs praktische Leben – „Heute finden wir uns weithin in der Lage, daß jeder, der ein anständiges und gesittetes Leben führen, der Freundschaft oder Ehe schließen, der Kinder haben und erziehen, der ein Bürger im Staate sein will, zu einer eigenen Anerkennung und Bejahung dessen gelangen muß, was er dort tun und lassen soll...“ – sondern vor allem auch für den freien Geist in und außerhalb der eigenen Reihen: „Alles was ist, läßt sich auch kritisieren,... Ob es aber sinnvoll ist, die Abschaffung dessen zu fordern, was kritisiert werden kann, das läßt sich erst abschätzen, wenn ... Ein Vergleich des Vorhandenen mit den dazu denkbaren Alternativen könnte nämlich durchaus das Ergebnis haben, daß die anderen »Verhältnisse« auch nicht problemlos und vielleicht sogar »schlechter« sind als das Bestehende.“ Sehr umständlich und nur für höhere Kreise drückt damit die Wissenschaft den Grundsatz aus, nach dem man sich zu richten hat und den mehr im praktischen Leben stehende Menschen auf die griffige Formel gebracht haben: „Lieber tot als rot!“. Es ist derselbe Geist, der die Juden erhalten, die überflüssigen Neger loshaben, eine Weltmacht Europa schaffen, den Bürgern kalkulierbaren Staatsgehorsam vorschreiben will. Und von der Einstellung des Alltagsmenschen zum praktischen Leben unterscheidet dieser Geist sich nur durch die rücksichtslose Freiheit, mit der er sich im Reich der Staatsideale tummelt, und durch den entgegengesetzten Standpunkt. Während der im Leben stehende Bürger den Staat samt Wirtschaftswachstum, Atombombe usw. für die Bedingung hält, unter der sich‘s schlecht und recht, aber eben leben läßt, spekuliert die Wissenschaft darüber, daß er diese Bedingung gefährde und sie ins Zentrum seines Strebens zu stellen habe. Und wo der gesunde Menschenverstand von der Frau/dem Mann bis zum kommunistischen Flugblatt alles danach beurteilt, ob und inwieweit es im bürgerlichen Leben weiterhilft, da erhebt die Wissenschaft diese rücksichtslose Denkweise von der kleinlichen Ebene des Existenzkampfes auf das souveräne Niveau des Staatswohls, der Kultur und des höheren Sinns, mit dem sich die Freiheit eines Geistesmenschen ausschmückt.
aus: MSZ 33 – Januar 1980 |