Gewerkschaftspolitik im Ausbildungsbereich

Wenn Lehrer Perspektive haben:

Interesse und gesellschaftliche Perspektive – Gewerkschaftliche Harmonielehre


„Wir müssen die Demontage unserer Gewerkschaft verhindern.“

Mit diesem beschwörenden Aufruf beschloß der GEW-Vorsitzende Frister seine „Erklärung zur Lage der GEW“. Stagnierende Mitgliederzahlen, Austrittsbewegungen, interne Rangeleien signalisierten den „Beginn der Talfahrt“ in einem Lehrerverband, der sich nicht mehr einig ist über die rechte Art, die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten. Zwar berufen sich alle auf das Grundkonzept der GEW, das kürzlich in hoher Auflage als „GEW über sich selbst“ unter den Kollegen verteilt wurde, doch scheint das zunächst die einzige Gemeinsamkeit in einem erbitterten Streit.

Während die GEW-Linke den DGB-Funktionären und den „karrierebewußten konservativen GEW-Standespolitikern“ „Verfilzung der GEW-Vorstände mit der SPD-Kultusbürokratie“, Mißbrauch der Gewerkschaft als „Transmissionsriemen bürgerlicher Parteien“, „Angst vor allem und allen, die etwas an der Basis der GEW in Gang bringen könnten“, und eine Hetzkampagne gegen die Linken vorwirft, kontert die Gegenseite mit „Angst der radikalen Linken vor der Basis“, – d. h. vor der „echten demokratischen Verbreiterung ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten“ –, mit der „gewerkschaftsschädigenden Funktion der linksradikalen Positionen“ –

„Sie versuchen die GEW zum Instrument einer Politik der grundsätzlichen Ablehnung unserer bestehenden gesellschaftlichen Ordnung zu formieren“ –, mit „mangelnder Bereitschaft zu rationaler Konfliktlösung und Geringachtung konkreter Mißstände, neurotischer Übertragung eigener faktischer Ansichten auf den Angstgegner, willkürlichem Umgang mit dem freiheitlichen Demokratiebegriff und Mißachtung von in anderen Bereichen längst erprobten demokratischen Praktiken sowie totaler Verachtung und Enthumanisierung andersdenkender Gewerkschaftskollegen.“


Gewerkschaftliche Indikation und Fristerlösung

Seinen vorläufigen Abschluß fand dieser GEW-interne Kampf bis aufs Messer nach dem Warnsignal der Berliner GEW-Spaltung in den Beschlüssen der außerordentlichen Vertreterversammlung am 8. März in Köln, die – nach den Worten der GEW-Führung – „die Anziehungskraft der GEW erhöhen und Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit und demokratischen Zuverlässigkeit“ auch in den eigenen Reihen ausräumen sollte.

(Alle Zitate, soweit nicht anders vermerkt aus „GEW über sich selbst“; Erich Frister: „Erklärung zur Lage der GEW“ (Materialien zur außerordentlichen Vertreterversammlung der GEW) in: „Erziehung und Wissenschaft 3“, 1975; sowie aus „Erziehung und Wissenschaft 4“, 1975)

Durch die lästigen Linken vor eine bedauerliche Alternative gestellt –

„Entweder wir stellen unsere Glaubwürdigkeit wieder her durch entschiedenes administratives, organisatorisches und politisches Handeln gegenüber den Ultralinken und sichern der GEW auf allen Ebenen die Voraussetzungen für eine sachbezogene Arbeit, oder die Regression zur Volksfrontgewerkschaft wird eintreten und sich mit wachsendem Tempo vollziehen“ –

entschieden sich die Funktionäre für ihre unangenehme Pflicht – Frister:

„Ich bin kein Freund von Ausschlußverfahren, Satzungsregelungen und administrativer Perfektion, aber ich habe mich in den GEW-Funktionären getäuscht …, die historische Einsicht und politische Differenzierungsfähigkeit vieler junger Mitglieder überschätzt“. „Gegenüber religiösem Fanatismus, monokausaler Interpretation der Wirklichkeit und wahrnehmungsverengenden Heilslehren versagt das Instrument rationaler Auseinandersetzung“ (der kundige MSZ-Leser kennt diese Töne!) –

und erreichten es, „durch Satzungsänderungen die Einheit der GEW zu stärken“ und durch die satzungsmäßige Verpflichtung aller Mitglieder auf die Unvereinbarkeitsbeschlüsse, die Beschränkung der Selbständigkeit der Landesverbände, die Zentralisierung der Ausschlußkompetenz und ein neues Wahlverfahren „dem Spuk der Unterwanderung ein Ende“ zu bereiten. Was in der Presse allgemein Zustimmung fand –

„Als eine der letzten Einzelgewerkschaften reihte sich die früher als „links“ verschriene Lehrergewerkschaft in die Abwehrfront des DGB gegen das politische Sektierertum ein“ –

ließ auch bei der Mehrheit der Vertreter „nach den lähmenden innerverbandlichen Auseinandersetzungen“ ein „Gefühl der Erleichterung“ aufkommen. „Jetzt wieder an die Arbeit“ lautet die offizielle Parole.


Ernsthafte Arbeit und ihre Gegner

Es verwundert allerdings, daß eine Gewerkschaft, deren Führungsgremien mit Berufung auf die Mitgliedermehrheit aus ihrem Haß gegen die Linken keinen Hehl machen und sich redlich abrackern, den „Sperrmüll der Studentenbewegung“ beiseitezuschaffen, für Linke eine solche Attraktivität besitzt, daß sie sich ihrer beständig erwehren muß. Offenbar hat die GEW als Interessenvertretungsorganisation etwas Verlockendes für Linke aller Schattierungen und gerät doch durch ihr Eintreten für die Interessen der Lehrer in Gegnerschaft zu den Vorstellungen ihrer linken Mitglieder. Denn – so behauptet jedenfalls die mehrheitliche GEW-Mitte – durch die „rasche Trennung von den Chaoten“ soll der Zustand wiederhergestellt werden, in dem die GEW endlich ungestört tun kann, was die Mehrheit als ihre Aufgabe ansieht:

„Für bessere Arbeitsbedingungen eintreten, sich für höhere Gehälter einsetzen, für mehr soziale Sicherheit im Beruf streiten“, den Lehrern „berufliches Selbstbewußtsein und soziale Geltung“ erwerben und der „vernachlässigten Aufgabe Bildung einen angemessenen Platz in der Gesellschaftspolitik sichern“.

Darüberhinaus liegt dem GEWler nach offiziellen Angaben an „politischer Diskussion, fachlicher Information und geselliger Begegnung“.

Dabei sind die Linken ein doppeltes Hindernis. Zum einen machen sie der GEW ihre sichtbaren Erfolge madig – „die GEW sei im Grunde erfolglos gewesen … der Zustand des Bildungswesens sei finster und chaotisch“ – zum andern sind sie eine Plage; weil sie die Glaubwürdigkeit der GEW untergraben, eine „sachbezogene“ Arbeit ablehnen und statt einer „positiv veränderten Gesellschaftsordnung“ eine „grundsätzlich andere“ schaffen wollen, obwohl sich doch jedem unvoreingenommenen Betrachter die Erfolge aufdrängen.

Stolz hält GEW-Chef Frister den roten Schwarzmalern die Bilanz staatlicher Bildungsreformen entgegen:

„Wenn man sich die Verbesserung der Gehälter, die – gewiß noch unzureichende – Beteiligung an Arbeitszeitverkürzung und die Herabsetzung der Schüler-Lehrer-Relationen vergegenwärtigt, dann sind diese hinter uns liegenden Jahre, was die Vertretung der Interessen unserer Mitglieder angeht, nicht Jahre des Stillstandes oder gar des Rückschritts gewesen, sondern Jahre der Erfolge und Fortschritte.“ Mehr noch: „Nach alle dem . . , steht außer Zweifel, daß in den hinter uns liegenden Jahren ein immer größer werdender Anteil unserer heranwachsenden Bürger eine bessere und intensivere Bildung erhalten hat.“

Frister verhehlt auch nicht, wem diese positiven Staatsmaßnahmen zu verdanken sind – der ernsthaften, sachbezogenen Arbeit der GEW:

„Das Mehr an Bildung in unserer Gesellschaft, der Zuwachs an Lebenschancen durch anspruchsvollere Bildung gehen zu einem wesentlichen Teil auf das Konto der GEW. Die unermüdliche und unbeirrt während der 50er und 60er Jahre von uns erarbeiteten und propagierten Forderungen setzten sich durch. Die große Mehrheit unserer Mitglieder empfand Befriedigung dabei, dieser Gewerkschaft anzugehören, die der Bildungspolitik die Richtlinien wies, die das Tempo der Entwicklung beschleunigte.“

Noch in der Vereinnahmung gesellschaftlicher Fortschrittsleistungen für die GEW ist hier jedoch nur zu deutlich, daß es nicht Erfolge der GEW sind. Was sie beschleunigt, wem sie die Richtung weist, ist das Handeln des Staates, der sich in der Bildungspolitik Forderungen der GEW zu eigen gemacht hat. Die uneingestandene Ohnmacht gesellschaftlicher Interessenvertretung, die dem Staat die Durchsetzung ihrer Belange überlassen muß, gerät hier freilich zur schlichten Apologetik. Mit der Reformentwicklung ist nicht nur die GEW sondern zugleich der Staat gerechtfertigt, der berechtigte Interessen durchzusetzen imstande und willens war.


Kritische Zufriedenheit oder Reform ohne Ende

Doch – es bleibt auch Unzufriedenheit: Trotz des Vorrangs der Bildungs- vor den Rüstungsaufgaben existiert international Nachholbedarf, die 40-Stunden-Woche für Lehrer ist noch durchzusetzen . . . usw., kurz:

„Das alles darf nicht zu dem Trugschluß verleiten, die Ziele einer Veränderung des Bildungswesens seien erreicht worden.“

Aber auch diese Kritik schlägt zum Positiven aus. Denn mit dem Hinweis auf objektive Schranken des gutwilligen Staates und der Feststellung, daß „heute vorhandene Probleme“, (NC, mangelnde Ausbildungsplätze, Arbeitslosigkeit, unerträgliche Situation in den Hauptschulen) „Konsequenzen der Reformerfolge sind“, schlägt der interessierte Gedankengang des Interessenvertreters wiederum zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Eingeständnis, daß Reformen die Probleme, die sie aus der Welt schaffen sollen, reproduzieren, erscheint hier als Beleg für die Notwendigkeit der eigenen Existenz als Interessengruppe – Erfolge) verweisen von selbst auf noch Unerreichtes, produzieren neue Forderungen und garantieren zugleich ihre Erreichbarkeit, wenn man sich nur gehörig anstrengt – und als Beweis der Staatsleistungen – weil er so viel reformiert hat, steht er vor neuen Problemen. Die GEW hat also sich und den Staat gegen „Angriffe von rechts und links“ verteidigt, indem sie die Not zu einer Tugend gemacht hat: Da die Behebung eines Mangels einen anderen zur Folge hat, muß man weiterwerkeln, die Reform bedarf der Reform, und – man ahnt es schon – die Reform der Reform muß auch reformiert werden, und so hat man immer was zu tun, kann immer unzufrieden und zugleich doch grundzufrieden sein.


GEW contra DLV: I. Runde

Soweit stellt die GEW nur die selbst- und staatsbejahenden Züge dar, die jeder Interessenvertretung eigen sind, und es verwundert, daß bei diesen gesellschaftsfrohen Reformfreunden linkes Miesmachertum und kommunistische Gesellschaftsnörgelei so verbreitet sein sollen. Eher fällt hier zunächst auf, daß sich dieser Lehrinteressenverband noch nicht von den anderen Organisationen unterscheidet, die er als berufständisch und konservativ bekämpft. Hebung des beruflichen Selbstbewußtseins, soziale Geltung, höhere Besoldung, weniger Arbeitsstunden, überhaupt mehr Geld für Bildung, das alles wollen auch DLV und Konsorten; sie treten sogar – wie Frister empört feststellt – mit einer „scheinbar fortschrittlichen bildungspolitischen Programmatik“ auf. Die GEW muß sich also auch gegenüber diesen – bisher so artverwandten – Kontrahenten behaupten, und sie tut es, indem sie jede Gemeinsamkeit mit solchen Verbänden weit von sich weist. Soweit sie nämlich gleiche Forderungen aufstellt, warnt sie:

„Die Erwartungen der Mehrheit (der GEW-Lehrer) dürfen nicht als unpolitisch oder gar berufsständisch mißverstanden werden.“

Bei der GEW muß es also noch anders zugehen, was freilich an diesen Forderungen selbst nicht unmittelbar liegen kann, decken die sich doch mit denen der Konkurrenz. Das politische Moment liegt außerhalb, in etwas zusätzlichem: GEW-Mitglieder haben nämlich noch „eine über die eigene berufliche Tätigkeit hinausweisende Perspektive“. Diese Perspektive muß es denn wohl auch sein, die Linke so verlockt.


GEW contra DLV: 2. Runde

Was sich da so harmonisch den eigenen Interessen zugesellen soll, daß es diesen eine eigene Dignität verleiht, ist zunächst ein ganzer Katalog schöner Forderungen für das Wohl der Gesellschaft, die die GEWler neben und in Einvernehmen mit ihren unmittelbaren Interessen durchzusetzen gewillt sind:

„Sie wollen mit Hilfe der gewerkschaftlichen Organisation … auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit Einfluß nehmen …“:

Sicherung der „persönlichen Freiheit“, Erweiterung der „sozialen Sicherheil“, Verbesserung der „sozialen Gerechtigkeit“ haben sie sich ins Mitgliederbuch geschrieben. Für solche hehren Ideale darf der GEWler Lob erwarten, auch wenn sie, bzw. gerade weil sie, wenig modifiziert, in diversen Gesetzen als staatlicher Bildungs- und Gesellschaftsauftrag fixiert sind und – in der Sache nur unwesentlich verändert – von konservativen Parteien und Gruppierungen verteidigt werden. Der aufrechte GEWler weiß hier natürlich sofort, daß die Rechten nur Bauernfängerei betreiben: Mit seinen scheinbar fortschrittlichen Reden will der Gegner nicht nur GEW-Mitglieder verunsichern und abwerben, sondern die Verkündigung der gesellschaftlichen Relevanz der Bildungsaufgaben und die schönen Worte vom gesellschaftlichen Fortschritt dienen ihm als Mittel, seinen Interessen gegen andere berechtigte Interessen bei Staat und Öffentlichkeit mehr Gewicht zu verleihen. Indem der GEWler diese böswillige Täuschung der ständischen Organisationen anprangert, kann er sich dem Eingeständnis entziehen, daß es mit der unterstellten Harmonie der Interessen nicht so weit her sein kann, wenn sich partikulare Interessen dieses idealistische Mäntelchen umhängen können, um entgegenstehende Interessen aus dem Feld zu schlagen. Seiner eigenen Ehrlichkeit ist sich der GEWler sicher: Seine Fortschrittlichkeit ist es, die ihn dem Ruch der Scheinheiligkeit ent- und dem Licht wirklicher Harmonie zuführt.


Die Einheit aller Benachteiligten ...

Die GEW zeigt ihre gesellschaftskritischen Krallen und entzieht sich damit ein für allemal der Verwechslung mit den Ständischen. Endlich kehrt sie ihre Staatszweifel hervor. Beim Recht auf Freiheit, Bildung usw. angelangt, das allen Bürgern zusteht und doch nicht alle genießen, erscheint nun der Staat in einem dunkleren Licht.

Schattenseiten der Gesellschaft tun sich dem kritischen Blick auf: Nicht nur die Lehrer haben dem Staat noch viel abzuverlangen. „Der größte Teil“ der Bevölkerung wartet noch auf die „Verwirklichung der Grundrechte des Grundgesetzes“. Da es – verfassungsmäßig garantiert – dem Staat aufgegeben ist, Glück, Frieden und Gerechtigkeit für alle zu schaffen, kann man empört feststellen, daß er offenbar bisher weitgehend versagt hat. Vom Standpunkt der in Glück und Gerechtigkeit zusammengefaßten Berechtigung aller gesellschaftlichen Interessen ist so zunächst einmal der Staat nicht nur als Adressat der Forderungen sondern auch als Gegner fixiert. Und der Grund ist schnell gefunden, denn ein kurzer Blick genügt, um auszumachen, wer zu den Benachteiligten in der Gesellschaft gehört: All die sind es, die es sich nicht leisten können, was sich andere leisten, weil ungerecht verteilt wird, die sich dem unterordnen müssen, was ohne sie entschieden wird, die in ihrer täglichen Abhängigkeit in der Beschränktheit ihrer Mittel schmerzlich bemerken müssen, daß sie bei der Entfaltung ihrer Individualität auf mächtige Hindernisse stoßen, die Lohnabhängigen also, die unverschuldet all das zu ertragen haben und die auch in der Bildung auf den untersten Sprossen festgehalten werden.


... Lohnabhängige gegen Staat und Unternehmer

So gewinnt die gesellschaftliche Perspektive der GEW Konturen: In der Ökonomie der Gesellschaft ist alle Unterdrückung angelegt. Ohne dem weiter nachzugehen, kann sich der GEWler auf den gemeinsamen Gegner stürzen:

„Organisierte Unternehmer, die private Gewinne groß und staatliche Ausgaben klein halten wollen“ und „konservative Politiker, die ständische Barrieren aufrechterhalten möchten“, sind die Wurzel aller Übel. Was läge näher, als die bildungspolitischen Forderungen „gegen die Reglementierung von Bildung nach Marktbedürfnissen, gegen eine Erziehung zur Anpassung an fremde Interessen, gegen frühe Aussortierung und Leistungsdruck, gegen eine Zementierung sozialer Schichten durch die Schule“

zu erkämpfen. Unbeschadet aller Realität, daß jeder Politiker Bildung für alle als sein Ziel formuliert, daß die Unternehmer nach Beseitigung der Bildungsmisere und Verbreiterung der Berufsqualifikation rufen, daß Emanzipation, Fortschritt, Abbau von Leistungsdruck usw. Schlagwort noch jedes CDU-Kultusministers sind, hantiert die GEW munter mit der behaupteten Interessenidentität von konservativen Staatsvertretern (gegen den Staat als solchen hat man natürlich nichts) und Unternehmerschaft, die sich ihr vom Standpunkt der noch unerfüllten Interessenforderungen ergeben hat, und mengt so unverdrossen ökonomische Abhängigkeit, politische Unterdrückung, kurz gesellschaftliche „Ungerechtigkeiten“ jeder Art durcheinander. Dem GEWler reicht dafür die Koinzidenz der Erscheinung von politischer und sozialer Unterprivilegierung und ökonomischer Einkommensform, wobei er sich den Luxus leistet, geflissentlich zu übersehen, daß dies schon bei ihm nicht mehr so recht zusammenstimmt. Standhaft hält er an der Identifikation seiner Interessen mit denen anderer als Lohnabhängiger fest. Daß die einen vom Staat ihr Geld beziehen, die anderen in Fabriken gegen Lohn die Unternehmer bereichern, interessiert ihn nicht, hat er doch hier, einen gleichfalls benachteiligten Interessenten gefunden, mit dem er zusammenstehen kann. Ist der GEWler erst einmal über die eigene Unzufriedenheit auf andere Unzufriedenheit gestoßen und hat sich als »Lohnabhängiger« mit ihnen gegen Unternehmer und ihre Staatshandlanger verbündet, kann er nun durch diese umfassende Gemeinsamkeit bestärkt ausrufen:

„Für die eigenen Interessen und die der andern kämpfen“ heißt: „Interessenpolitik ist auch Gesellschaftspolitik.“


Für Staat und Gesellschaft – Gegen linke Systemfeinde

Unversehens ist die GEW damit in eine scheinbar umfassende Gegnerschaft zum Staat und Ansichten verdächtig nahe geraten, die daraus, daß sie den Staat als Instrument der Monopole bekämpfen, den Schluß ziehen, „das System“ müsse verändert werden, und die meinen, die GEW müßte das doch auch wollen.


KRITIK DER GEW

Der Nutzen der Perspektive – Massenprobleme – Ausschluß linker „Massenfeinde“

Freilich übersehen diese unzufriedenen „Systemgegner“, daß die GEW hier nur die äußerste kritische Spitze ihrer Gesellschaftsbejahung formuliert hat. Denn die GEW läßt keinen Zweifel aufkommen, daß sie zwar auf Bedingungen der Ausbildung gestoßen ist, die außerhalb derselben liegen, daß sie aber an diesen »objektiven Grenzen« nicht rütteln will. So kann der Staat vom Gegner jederzeit wieder zum väterlichen Adressaten werden: Er soll die Wirkungen ausbügeln, um deren Behebung es einem geht, wenn man einen gemeinsamen Grund  aller Ungerechtigkeiten proklamiert. So kann man denn auch ganz gesellschaftsbejahend fordern: „Eine neue Verzahnung zwischen Bildungssystem, Arbeitsmarkt und Einkommensverteilung soll gefunden werden“. Wer seine Interessen und die anderer Benachteiligter durchsetzen will, kann in seiner ganzen Unzufriedenheit nichts grundsätzlich gegen die Gesellschaft haben. Und wenn ihm Linke eine revolutionäre Konzeption unterjubeln, sich in ihrem Gerechtigkeitswahn dazu hinreißen lassen, Interessensvertretung gegen diese Gesellschaft machen zu wollen, dann muß man es ihnen eben noch einmal deutlich sagen, damit sie sich alle falschen Hoffnungen aus dem Kopf schlagen:

„(Die GEW) wird aber auch an ihren mehrfach abgegebenen Erklärungen festhalten, daß sie das Recht des Staates bejaht, diejenigen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung beseitigen wollen, aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten.“

Was die GEW gegen diesen Staat und diese Gesellschaft vorzubringen hat und was ihr linke Zuläufer und den Geruch der Systemfeindschaft eingetragen hat, ist also einerseits nicht so ernst gemeint – im Grund hat sie nichts gegen beide, das System soll sich verändern, indem es sich beibehält –, und doch meint sie es andererseits damit so ernst, daß sie beständig gegen Staat und Unternehmer (auch das Wort Kapitalisten fällt wohl ab und zu, häufiger noch der etwas vornehmere Begriff der Monopole) mosert und sich mit den Schwierigkeiten und Ungereimtheiten herumschlägt, die sie sich selbst mit der Subsumtion aller Benachteiligten unter das verflachte Kriterium der Lohnabhängigkeit – sprich Geldverdienen durch unselbständige Arbeit – aufgeladen hat. Das fängt, wie wir gesehen haben bei dem hartnäckigen Kampf gegen die Linken an, die immer noch nicht begreifen wollen, daß eine Gewerkschaft sich nach den handfesten Interessen ihrer Mitglieder zu richten hat und nicht nach Weltverbesserungsträumen linker Chaoten, die bei Monopol gleich an Revolution denken.


Gewerkschaft sein – Gewerkschaft werden. Oder ...

Doch ist das nur eine der Schwierigkeiten, die sich die GEW mit der über die Lehrerinteressen hinausweisende Perspektive aufgehalst hat. Bitter macht sich für sie selbst bemerkbar, daß Lohnabhängigkeit der Arbeiter und Lohnabhängigkeit der Staatsbeamten zwei grundverschiedene Abhängigkeiten sind: Die GEW ist keine anständige Gewerkschaft, die mit dem Mittel des Arbeitskampfes gegen ihren »Arbeitgeber« ihre ökonomischen Interessen durchfechten kann. Im Betrieb sind die gegensätzlichen ökonomischen Fronten klar und rechtlich fixiert. Der GEWler aber, im Drang, eine richtige Gewerkschaft zu werden, gerät in Konflikt mit sich selbst als Staatsbeamter:

,,Die GEW als Interessenorganisation von überwiegend Staatsbediensteten muß bei allen Maßnahmen zur Erfüllung ihres bildungs- und gesellschaftspolitischen Mandats die Rechtseinbuße ihrer beamteten Mitglieder in Rechnung stellen (öffentlich-rechtliches sogenanntes Treueverhältnis, Disziplinarordnung, Verpflichtung zu „Mäßigung und Zurückhaltung“ bei politischer Betätigung, obrigkeitlich durchgesetztes Streikverbot). Damit unterscheidet sich die GEW von den Industriegewerkschaften in einem Kernstück gewerkschaftlicher Arbeit: dem bisher nicht durchsetzbaren Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht.“


... Der Kampf des Staatsbeamten mit sich selbst ...

Diese gewerkschaftlichen Einschränkungen beruhen auf der Sonderstellung der Staatsbeamten: Als Beamter soll der Lehrer Staatsfunktionen wahrnehmen, d. h. in seiner Tätigkeit von der Verfolgung partikularer Interessen Abstand nehmen. Für diesen Verzicht wird er vom Staat entsprechend entlohnt und gegenüber den übrigen Gesellschaftsmitgliedern mit Existenzsicherungen bedacht. Als gewerkschaftlicher Lehrer bringt er seine Partikularität, noch dazu in der Form einer politischen Zielsetzung, innerhalb seiner staatlichen Tätigkeit wieder ins Spiel. Die daraus resultierende paradoxe Gegnerschaft des GEW-Lehrers zu sich selbst als Staatsagent findet ihren Ausdruck in den Forderungen der GEW zum Streikrecht. Einerseits will sie am Beamtenrecht festhalten, andererseits in Negation desselben die Einschränkungen, die die Tätigkeiten des Staates seinen Beamten auferlegt, beseitigen. In der verlangten Aufgliederung des Beamtenrechts in Status- und Folgerecht (s. GEW - Über sich selbst, Kampfmaßnahmen) soll der verbeamtete Lehrer die Möglichkeit erhalten, über seine allgemeine Staatsfunktion das gerade Gegenteil derselben durchzusetzen.


... aus verschiedener Sicht

Hier tut sich daher wieder ein Feld dauernder Auseinandersetzungen zwischen GEW-Linken und der gemäßigten Mehrheit auf. Während die Linken an der Gegnerschaft zum Staat festhalten und mit der Aufforderung zum Widerstand gegen eine Verfassungsinterpretation, in der „Rechtlichkeit und Staatlichkeit noch als dasselbe scheinen“ zugleich den Widerspruch des Beamten formulieren – „Der Staat kann jedermann Arbeitsverträge aufnötigen, die ihn der Geltung der Grundrechte entziehen. Seinen Beamten gilt der Staat nicht als normaler Gegenstand des Rechts, dafür hält er ihn für das Recht persönlich“. (Betrifft - Erziehung, 11, 1974, S. 25) – und gegen die Vereinzelung der Lehrerarbeit, die brüchige Organisationsdisziplin und das öffentlichkeitsabhängige Selbstbewußtsein des Lehrers die Vorbildlichkeit der Arbeitergewerkschaften hochhalten, haben sich gemäßigtere GEWler noch soweit einen klaren Blick für die harten Realitäten bewahrt, daß sie die Qualen eines Lehrergewerkschaftlers mit seinem eigenen und dem öffentlichen Gewissen ebenso aussprechen wie seine ökonomische Sonderstellung:

„Die Durchsetzbarkeit des Lehrerstreiks ist ... vor allem durch das Bewußtsein der Vereinzelung am Arbeitsplatz und durch Schwierigkeiten bei der Differenzierung zwischen dem Staat als Arbeitgeber und dem Staat als herrschaftlich-gesellschaftlicher Ordnungsmacht (beeinträchtigt). … Zum einen ist die Unterrichtstätigkeit als Erwerbszweig in ihrem Produktionscharakter nicht konkret faßbar (!), zum anderen schiebt sich die angenommene … Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Bildungswilligen hemmend zwischen Erwägung und Durchführung des Streiks … Zum psychischen Druck auf etwa bestehende Streikbereitschaft trägt die weithin beobachtete mangelnde Fähigkeit der Öffentlichkeit bei, zwischen den staatlichen Hoheitsaufgaben der Staatsbediensteten und ihrer Lohnabhängigkeit zu unterscheiden ...“

Im Klartext sprechen Linke wie Mehrheit nur aus, daß bei der GEW so gut wie alles anders ist, wie bei anderen Gewerkschaften, nur daß eben die GEWler auch Geld verdienen und gern ihre Arbeitssituation verbessern würden.


Die falsche Harmonie – Das allgemeine Bildungsinteresse

So eröffnet das freimütige Eingeständnis des GEWlers, der im Kampf gegen die Linken, die diese GEW-Sonderstellung nicht genügend berücksichtigen, seine eigene Schizophrenie ausplaudert, einen trüben Einblick in die behauptete Harmonie von Lehrerinteresse und gesellschaftlicher Perspektive. Und auch was er sich als die besondere, inhaltliche Übereinstimmung seiner Interessen mit denen der andern Lohnabhängigen zugute hält, das was ihn dazu prädestiniert,  einen  Beitrag  zum gesellschaftlichen Fortschritt im Namen der sozial Benachteiligten zu leisten – seine Berufsaufgaben als Bildungsvermittler – muß der GEWler beständig relativieren. Denn daß er hier eine bisher vernachlässigte Gemeinschaftsaufgabe, die alle gesellschaftlichen Schichten verlangen, zum besonderen Interesse eines bestimmten Bevölkerungsteils gegen Konservative und Unternehmer zurechtlügt, gibt der hin- und her lavierende GEWler selbst noch zu, wenn er – vgl. oben – diese Bildungsaufgaben zum Verantwortlichkeitsproblem des einzelnen als Staatsbeamter erklärt, also unbemerkt den Standpunkt des Staates einnimmt, der für Bildung für alle sorgen soll. Damit ist aber auch klar, daß das gesellschaftliche Bildungsinteresse bei den »Lohnabhängigen« nur soweit existiert, wie sie dem Staat immer wieder diese und noch alle möglichen anderen Leistungen abverlangen, als Voraussetzung für die Erfüllung ihrer Interessen und Wünsche.


Disharmonie I. Teil: Fehlendes Bildungsinteresse

Es wundert nicht, daß – statt die Harmonie bewiesen zu haben, der gesellschaftsbewußte GEWler sich eine neue – dem Staat nur zu vertraute Bürde aufgelastet hat, nämlich bei den Arbeitnehmern erstmal ein richtiges Bildungsbewußtsein schaffen zu müssen. Er klagt, die Bevölkerung müsse erst noch davon überzeugt werden,

„daß die Bildungsreform weiterzuführen ist und daß immer noch eine Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt erforderlich ist“.

(Offenbar gibt es doch eine ganze Menge, die die Rüstungsausgaben und die Gelder für innere Sicherheit usw. nicht verringert sondern vermehrt sehen wollen!). Selbst in den Gewerkschaften steht diese Aufklärungsarbeit noch an:

„Es genügt nicht mehr, von Gewerkschaften und Hochschulen zu reden (es geht hier um den Ausbau der Hochschulen, MSZ), sondern die Gewerkschaften müssen in den Hochschulen und die Hochschulen in den Gewerkschaften lebendig sein“ was offenbar bisher nicht der Fall ist.


Disharmonie 2. Teil: Die egoistische Gesellschaft ...

So tritt zutage, daß – was für den einen Inhalt seines Berufs als Staatsbeamter und damit seiner Reproduktionsinteressen ist, für den anderen nur eine gesellschaftliche Voraussetzung für einen Beruf ist, die er durchaus nicht zum wesentlichen Inhalt seiner Interessen und Wünschen machen muß. Die gesellschaftliche Perspektive des GEWlers existiert also neben der Verfolgung seines Interesses: Die geleugnete Differenz der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen macht sich daher beim GEWler wie bei der von ihm vereinnahmten Bevölkerung geltend – nicht zum Vorteil des armen Lehrers: Was seinem interessierten gesellschaftskritischen Geklingel lebenswichtige und unbezweifelbare Tatsache ist – daß seine Reproduktionsinteressen mit den allgemeingesellschaftlichen bildungspolitischen Aufgaben seiner Tätigkeit zusammenfallen –stößt auf wenig Gegenliebe vor dem mißtrauischen Blick derjenigen, die nüchtern einschätzen, ob staatliche Gelder ihnen etwas nützen und die es zumeist neidisch macht, wenn andere mehr bekommen, für eine Arbeit, die vergleichsweise leicht ist. So klagt die GEW:

„Ebenso vermag ein großer Teil der Öffentlichkeit nicht zu erkennen, daß die Forderung nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrer zugleich eine Verbesserung der Struktur des ganzen Bildungswesens intendiert (!) und damit im Interesse der Allgemeinheit liegen müßte.“

Der GEWler erinnert hier an den armen Unternehmer, der den verständnislosen Gewerkschaften entgegenhält, daß er mit seiner Profitmacherei nur einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlergehen intendiere.


... und der egoistische Lehrer

Aber auch von eigener Seite wird der GEW schmerzhaft vor Augen geführt, daß allgemeiner Bildungsfortschritt und Lehrerinteresse zwei Paar Stiefel sein können.

„Angesichts der steigenden Ansprüche, die die Veränderungen an Erzieher, Lehrer und Hochschullehrer stellten, waren die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen unzureichend … diese Überforderung brachte bei einer großen Anzahl der Betroffenen die Reform in Verruf.“


Gesellschaftlicher Fortschritt für den Lehrer ...

Wo sich Lehrer- und Bevölkerungsinteresse so hart im Raum stoßen, steht also die GEW plötzlich wieder vor dem leicht gewandelten Dilemma ständischer Interessenserwartungen, dem sie sich tapfer dadurch zu entziehen sucht, daß sie einerseits an den Fortschrittsgeist ihrer Mitglieder appelliert – für den Fortschritt muß man auch mal selber zurückstecken können –, andererseits aber umso heftiger die Nützlichkeit des gesellschaftlichen Fortschritts für den Lehrer betont und – mit einem guten Schuß Selbstvertrauen – die besagte Perspektive für den Pädagogenstand funktionalisiert; kurz – den Fortschrittsidealismus materiell zu untermauern versucht:

„Die Arbeitsbedingungen in Kindergärten, Schulen und Hochschulen sind abhängig von dem Rang, den die Gesellschaft dem Bildungswesen einräumt. Nach wie vor kommen Bildungsaufgaben zu kurz. Investitionen im Bildungsbereich sind stets von neuem zu erkämpfen. Darum (!) kann die Interessenvertretung nicht aus dem Gesamtfeld politischer Auseinandersetzungen herausgehalten werden.“


... aus verschiedener Sicht

So kommen schließlich doch alle noch auf ihre Kosten: Der interessierte Pädagoge kann beruhigt mehr Bildung fordern, es ist auch zu seinem Nutzen; die Linken können sich an Interessenvertretung als Kampfaufgabe gegen das System machen: der Gemäßigte kann wiederum, mit der ganzen Überzeugungskraft seines gesellschaftlichen Nutzens und des Nutzens der Gesellschaft für ihn, den Linken vorwerfen, daß sie die Harmonie der Interessen untergraben, weil sie Interessen, gegen den der sie hat und gegen den, der sie erfüllen muß, vertreten. Die Linken können daraufhin Verrat schreien, halten sie doch nur die behauptete Interessenidentität aller Lohnabhängigen soweit fest, daß sie selbst den Arbeitern ein gemeinsames Interesse an Revolution unterjubeln und harmonisch mit ihren sonstigen Reproduktionsinteressen unter einen Hut bringen wollen. Daraufhin können dann die ganz Rechten enttäuscht zum DLV abwandern, der aus dem Pochen auf die gesellschaftliche Relevanz der Lehrertätigkeit nicht gleich ein politisches Konzept macht, das einem immer wieder Verzicht auf liebgewordene Interessen abverlangt.


Alles für den Lehrer

Fragt sich nur, warum sich eine Lehrergewerkschaft eine fortschrittliche politische Perspektive leistet, die sie zur permanenten politischen Akrobatik zwingt. Die Antwort fällt nicht mehr schwer, zumal die Versicherung, daß zwischen Lehrer und andern lohnabhängigen interessensmäßig im Grunde alles in Ordnung sei, inzwischen der gesellschaftlichen Perspektive ihren angemessenen Platz zugewiesen hat. Natürlich sind GEW-Lehrer Fortschrittler, aber es springt auch was dabei heraus! Und daß es die Lehrer sind, die hier – gemeinsam mit allen Lohnabhängigen – ihren Nutzen haben sollten, daß ihr Interesse den Ausgangspunkt der politischen Seiltänze bildet, schimmerte ja nicht nur durch alle Schwierigkeiten hindurch, in denen wir die GEW verfolgt haben, sondern die GEW spricht es beständig selbst aus: Die Mehrheit ihrer Mitglieder will zu einer „respektierten und gesellschaftlich geachteten Organisation“ gehören, sie darf nicht das „Image einer Außenseiter- oder Randgruppenposition“ bekommen, da dies dem „beruflichen Selbstbewußtsein“ und der „sozialen Stellung“ des Lehrers widerspricht. Kurz, wo die gesellschaftskritische Perspektive den Lehrerinteressen und ihrem Ansehen zu schaden droht, wird sie links liegen gelassen Auch das Pluralismusgebot –

„Das gewerkschaftliche Konzept der Gegenwart kann nicht Harmonieunterstellung, Einheitsinteresse und Aktionseinheit als Voraussetzungen um jeden Preis und von vornherein heißen, sondern Einigung auf eine allgemein akzeptierte und von der breiten Gewerkschaftsmehrheit vertretene Linie erst nach gewissenhafter Erforschung, aktiver Einstimmung und ehrlichem Ausgleich der vorhandenen Gruppeninteressen.“

– beharrt auf der Berechtigung aller Interessen und zugleich auf ihrer Gegensätzlichkeit. Doch merkt das der GEWler nicht mehr. Das ganze, zum politischen Grundkonzept ausgewachsene Geschwafel von der Gemeinsamkeit aller Lohnabhängigen, dessen einzig rationaler Kern die allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit mit den Staatsmaßnahmen ist, dient – auch wenn es sich punktuell bis zur ernüchternden Feststellung verselbständigen mag, daß gesellschaftsverbessernde Ideale und eigener Vorteil nicht einfach zusammenfallen – den eigenen Interessen.


Fortschritt = die Masse macht’s

Die GEW hält nicht damit hinter dem Berg, welchen Vorteil dieses Interessen-tete-à-tete von Lehrern und Arbeitern bringt:

„Wirkungsvoll durchzusetzen ist Interessenpolitik nur in einer großen und starken Organisation, in der alle Mitgliedsgruppen solidarisch handeln.“

Hinter der Gemeinsamkeit aller Fortschrittlichen lauern die nackten Zahlen: Der Fortschritt befindet sich da, wo die Mehrheit steht. So kann die GEW stolz verkünden, daß 670 000 Beamte Mitglieder im DGB sind:

„Er ist die größte Beamtenorganisation in der BRD . . . (Die GEW) dokumentiert damit (!) ihre Absage an die traditionellen Standesorganisationen.“

Solidarität stellt sich ein, weil dort viele sind, und wo viele solidarisch kämpfen, da springt für jeden etwas heraus, auch wenn sich die Interessen nicht immer unter einen Hut bringen lassen. Man muß nur eine gemeinsame Formel finden. Der fortschrittliche Lehrer, dem im Grund vor nichts mehr graust als vor dem Fortschreiten von lieb gewordenen Verhältnissen, findet sie unter dem magischen Titel der Lohnabhängigkeit, und in der Anlehnung an den DGB als größte Interessenorganisation.


Der Lehrer mengt sich unters Volk

So schlägt er sich befriedigt auf die Seite der Arbeitnehmerorganisation, die nicht nur gegenüber den Unternehmern, sondern auch gegenüber dem Staat machtvoll auftritt. Er wird Gewerkschaftsmitglied. Was im Produktionsprozeß, im Kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten entstand als Mittel, die Existenz der Arbeiter im Kapitalismus zu sichern, ohne die Lohnabhängigkeit zu beseitigen, wird allerdings im Ausbildungsbereich absurd. Die Lohnabhängigkeit täuscht eine Gleichheit vor, die der GEWler selbst immer wieder zurücknehmen muß; Mechanismen des Arbeitskampfes sollen für einen Bereich erkämpft werden, in dem sie ihre entscheidende Wirkung verfehlen, und schließlich muß man erst noch beständig die Berechtigung der materiellen Lehrerinteressen und ihre Gleichgerichtetheit mit denen anderer Lohnabhängiger an den Haaren herbeiziehen – die ständigen Solidaritätsbeschwörungen sprechen eine deutliche Sprache – und kehrt doch damit nur den Widerspruch der im Bildungsbereich Tätigen um, daß sie als Staatsagenten ihre partikularen Interessen der Vertretung des Allgemeinwohls weitgehend opfern müssen.


Massenprobleme: die Masse schrumpft

Damit, daß sie sich auf den Standpunkt der gesellschaftlich Benachteiligten gestellt hat, um durch Masse und Gemeinsamkeit auch ihren eigenen Forderungen an den Staat mehr Nachdruck zu verleihen, anstatt die Berechtigung ihrer, Interessen im Gegensatz zu anderen beim Staat durchzusetzen zu versuchen, hat sich die GEW Probleme geschaffen, die das massenhafte, geschlossene und machtvolle Auftreten und damit den eigenen Zweck gefährden. Beständig muß sie ängstlich darauf schielen, sich in Übereinstimmung mit den Massen zu befinden: am Staat herumkritteln, Recht für alle gegen die Monopole fordern und doch sorgsam allzu kritische Töne vermeiden. Damit bringt sie sich selbst in Verruf. Die konkurrierenden Verbände fragen, was denn die GEW nun eigentlich will, werfen ihr einerseits Illoyalität und andererseits Plagiat eigener Forderungen vor. Teile der Öffentlichkeit wittern in ihr eine verkappte staatsfeindliche Partei, die anderes will, als sie sagt. Daher ringt die GEW beständig damit, die eigene Glaubwürdigkeit zu versichern und gegen die Unruhestifter in den eigenen Reihen durchzusetzen: „Zweifel an der GEW ausräumen“ klingt es kategorisch, um sich nicht bei der Bevölkerung endgültig unbeliebt zu machen. Doch auch in den eigenen Reihen muß sie die Verunsicherung derjenigen bekämpfen, die ob der politischen Auseinandersetzung um die richtige Perspektive die Effektivität ihrer Interessenvertretung nicht mehr gewahrt sehen; denn die Austritte häuften sich und dezimierten die Mitgliederzahl.


Lösung: Ausschluß der linken Massenfeinde?

Und was die einen raustreibt, zieht die Falschen in die GEW. Bedauernd stellt Frister fest, daß die GEW eine beträchtliche Anziehungskraft auf „Mitglieder kommunistischer Parteien, linkssozialer Zirkel und linker Sozialdemokraten“ ausübt. Diese böse Konsequenz der GEW-Stärke, nämlich ihrer Gewerkschaftlichkeit, bedeutet ihre größte Gefahr: Die »Systemveränderer« halten an den gesellschaftskritischen Zügen des GEW-Konzepts fest und treiben die Borniertheit auf die Spitze; sie wollen die Gesellschaft umkrempeln, indem sie konsequent den ihr zugehörigen Interessenstandpunkt gegen sie festhalten. Zwar lügen sie sich in die Tasche, damit eigentlich die Mehrheit hinter sich zu haben, doch drängeln sie sich selbst in die »Isolierung«!

Zum Glück ist nun die Widerlegung der Linken bedeutend leichter für den Mehrheits-GEWler, denn es reicht ja das bloße Zahlenargument, der kurze Hinweis auf die Interessenten der Mehrheit, um die Nörgler ins Unrecht zu setzen:

„Da rechts- und linksextreme Parteien (von den Rechten bleibt die GEW zwar weitgehend verschont, nimmt sie aber gern mit auf, damit es nicht gar so einseitig gegen links geht, MSZ) und Gruppen von den Bürgern nahezu einmütig abgelehnt“ werden, ist „jede Unterstützung von extremen Parteien oder Gruppen durch GEW-Mitglieder, die darauf hinausläuft, die GEW für die politischen Ziele dieser Organisationen einzuspannen, daher (!) gewerkschaftsschädigend.“

Zwar bequemt sich Frister noch zu einer Neudefinition des Antikommunismusbegriffs um sich in seinen Säuberungsaktionen gegen die Vorwürfe von links abzusichern –

„Unter Antikommunismus verstehen wir nicht das, was das Wort sagt, nämlich Ablehnung des Kommunismus als Weltanschauung und Modell einer politischen Ordnung, sondern wir verstehen darunter den Mißbrauch der Ablehnung des Kommunismus durch unsere Bevölkerung bei der Auseinandersetzung mit dem freiheitlichen und demokratischen Sozialismus.“ –

doch bedarf es dessen eigentlich nicht. Die Linken haben sich selbst disqualifiziert, weil sie die Anziehungskraft der GEW gefährden. So hat Frister mit dem bisher erfolgreichen Kampf gegen die Linken seine gewerkschaftliche Welt wieder einigermaßen in Ordnung gebracht. Es scheint alles beim alten zu bleiben; man kann weiterwerkeln wie bisher und das Ziel lauthals proklamieren: „Für eine demokratische, mitgliederstarke, glaubwürdige GEW.“

 

aus: MSZ 4 – Mai 1975

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