Rechtstendenzen in der BRD

Aus zwei zentralen Widersprüchen der konservativen Ideologie – wenn der Staat zuviel macht, so ist das Sozialismus, dennoch soll er möglichst stark sein und ständig in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen; das System ist der Ausfluß der Menschennatur, dennoch ist diese ständig staatlicherseits zu korrigieren und einzuschränken – ist das simple Credo des Rechtsdemokraten zu erschließen: an dieser Gesellschaft ist ohne alle Frage festzuhalten, die Unterschiede und die führende Position der Kapitalisten müssen so sein (letztere haben sich ja ihre Stellung verdient). Den Konservativen treibt also das bohrende Ärgernis, daß die Einsicht in die Selbstverständlichkeit dieses Systems immer wieder bestritten wird. Darum ruft er beständig nach dem Staat, der diese vollkommene und menschenadäquate Ordnung immer neu gegen die Menschen bzw. deren unvernünftige Natur durchsetzen soll. Wenn der Konservative vor den Gefahren des Zuviel an Staat warnt, dann hat er Angst davor, daß die Staatsgewalt zu Leistungen für die unzufriedenen und unvernünftigen Bürger mißbraucht werden könnte. Für ihn ist nämlich die bleibende Unzufriedenheit nur die Bestätigung, daß es der Allgegenwart des Staates gegen die Leute dringend bedarf. Jedes Eingehen auf die Ansprüche der Bürger gilt ihm als Anstachelung der Unzufriedenheit.

Der Konservative steht also so auf dem Standpunkt des Staates, daß er jede Kritik und Unzufriedenheit umstandslos abgeschmettert sehen will, und zu diesem Zweck denkt er sich alles Mögliche aus über Menschennatur, Soziale Marktwirtschaft, Christentum etc., um diese als Argumente in der gewaltsamen Herstellung der Selbstverständlichkeit vorzubringen. Jede Unzufriedenheit am Staat muß sofort als ins linke Lager gehörig bezeichnet werden, d.h. als Gefährdung des Staates schlechthin. Jegliches Vorgehen gegen solche Kreaturen ist gerechtfertigt, stellen doch diese kranken Hirne eine ernsthafte Bedrohung des Staates dar. So ist der Konservative das beste Zeugnis dafür, daß nicht nur er abgeschafft gehört.


Kammerjäger der Demokratie


Strauß, Dregger, Löwenthal – allein schon die Erwähnung dieser Namen genügt dem aufrechten Linken, sich die Zornesröte ins Gesicht zu eifern. Aber dabei bleibt es denn auch: Rot als Farbe des Zornes und der Empörung; in der bürgerlichen Presse breit getretene Skandale über einen angeheiterten Strauß in den nächtlichen Straßen New Yorks werden hergenommen als Beleg für die Behauptung, FJS sei ein Undemokrat und etliches mehr, für eine POLITISCHE Bezeichnung also. Die weitere Analyse des Phänomens erschöpft sich im Winken mit Namen, die bestimmte Assoziationen hervorrufen sollen; allerhand üble Machenschatten werden den Bezeichneten unterstellt, wie Mauscheln mit den Großbossen, Wirtschaften in die eigene Tasche – was zwar alles stimmen mag, zunächst aber absolut nichts über die Stellung dieser politischen Richtung zur und in der bürgerlichen Gesellschaft aussagt. Wieder einmal wird von EIGENEN Demokratievorstellungen ausgegangen, diese umstandslos mit denen des Gegners konfrontiert, wobei die Konsequenzen dann bekannt sind: der Angefeindete macht es genau so und kann seine Retourkutsche noch mit dem mächtigen Arm des Staates und der allgemeinen Übereinstimmung vorwärtstreiben. Dabei wäre es so einfach, treten sich doch bei den Rechtsdemokraten die Widersprüche nur so auf die Füße, gerade aufgrund der selbstgeschaffenen Drangsale, die der Konservative über den gewöhnlichen Menschenverstand hinaus glaubt propagieren zu müssen. Die Kritik der Rechtsdemokraten muß das aufnehmen, was sie von sich selbst behaupten, nämlich DEMOKRATEN zu sein – sogar die einzigen. Aufschlüsse über die Demokratie im allgemeinen als auch darüber, warum sie solche Varianten hervorbringt, sind zu erwarten.

Auf den ersten Blick ist sichtbar, daß unsere Demokraten ihre Gesellschaft mit großer Leidenschaft und großen Tönen verteidigen. Dies verdeckt jedoch leicht die Tatsache, daß auch solche Menschen – und im folgenden konzentriert sich der Artikel auf die CSU und den Bund Freies Deutschland (BPD) – eine theoretische Absicherung zu liefern sich bemüßigt fühlen. Solches findet sich im wesentlichen im „Berliner Manifest“ (BM) des BFD und in den „Gedanken zum Grundsatzprogramm – Zwischenbericht“ (Gedanken) der CSU, während die reine Leidenschaft besonders in den Wahlkampfbroschüren der CSU aufzufinden ist, wobei uns hier die „Enthüllungen über eine mögliche Zukunft“ genügen sollen (Enthüllungen) (Die CDU-Hessen war in ihrem Wahlkampf sehr zurückhaltend und gab sich, in wohl richtiger Einschätzung der politischen Verhältnisse in Hessen, zumindest in ihren schriftlichen Verlautbarungen einen durchweg sachlichen Anstrich).

Worin besteht nun nach diesem Material der wesentliche Vorzug der Demokratie? Sie schützt die Freiheit des Individuums und – hierin liegt, in der Betonung, die eiste Besonderheit dieser politischen Richtung – entspricht der menschlichen Natur.

„Die einzige Alternative zur Ideologie ist; die Freiheit mit sozialer Bindung, mit dem Risiko eigener Entscheidungspflicht, mit der, Chance zur Selbstverwirklichung ohne Fremdbestimmung. Darunter ist keine Würde und darüber ist nichts außer der Religion.
Soviel Freiheit wie möglich – dabei muß es bleiben... Gleiche Chancen für alle – ja! Nur die Menschen sind nicht gleich, ihre Unterschiedenheft ist naturgegeben und jeder Kollektivismus ist gegen die Natur.“ (BM, S. 17 f).

Somit ist also die Demokratie eine Ordnung, die dem Streben der Menschennatur, den unterschiedlichen Vorstellungen der Individuen, den meisten Raum gibt. Aber nicht nur gibt sie diesem individuellen Streben Raum, sondern sie basiert geradezu darauf» die demokratische Gesellschaft“ konstituiert sich als Versammlung von Individuen, die alle ihr eigenes Glück verfolgen. Ein geplantes Zusammenleben würde ihre Natur vergewaltigen und Leistungsfähigkeil verkümmern lassen.

Aber auch ein Konservativer merkt, daß eine gesellschaftliche Ordnung, in der die Individuen mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander einwirken und aufeinander angewiesen sind, so einfach und selbstverständlich nicht zu erklären ist. Als erste Voraussetzung individuellen Glückstrebens tritt die Existenz eines Mittels auf, mit dem sich der einzelne in der Gesellschaft behaupten kann:

„Wirtschaftliche Freiheit und geistige Freiheit bedingen einander. Man kann die materielle Freiheit nicht in Fesseln legen, ohne die ideelle Freiheit zu knebeln. Und umgekehrt.“ (BM, S .18: „Wirtschaftliche, politische und persönliche Freiheit bedingen einander, Kollektivismus im wirtschaftlichen Bereich zieht zwangsläufig politische und persönliche Unfreiheit nach sich.“ („Freiheit ist unteilbar.“) (Gedanken, S.23)

Zur Freiheit schlechthin gehört somit auch die Freiheit, das dem einzelnen zukommende Mittel zur Betätigung seines individuellen Strebens, seine wirtschaftliche Basis, frei handhaben zu können. Ja, man kann das ganze sogar umkehren („Freiheit ist unteilbar“): die wirtschaftliche Freiheit ist der „eigentlichen“ Freiheit vorausgesetzt; verfügt man nicht über ein wirtschaftliches Mittel, das die Anerkennung in der Gesellschaft sichert, steht die Freiheit in den Sternen geschrieben.

 

Die Freude am Eigentum ...

Die „wirtschaftliche Freiheit“ bedarf nun unabdingbar des Eigentums. Dieses - so erfahren wir – liegt selbst wieder in der menschlichen Natur begründet: es scheint sowohl aus ihr zu entspringen als auch ihre jeweilige Besonderheit auszumachen:

„Kollektivismus führt  zu Vermassung, zur Einebnung der Persönlichkeitsentfaltung und zu einem normierten Alltag entmündigter Bürger. Niemals wird sich eine Uniformierung des Privateigentums erzwingen lassen (gegen die Natur! der Verf.) . . . Der eine hat mehr Freude am Verbrauch, der andere mehr am Erwerb von Ersparnissen.“ (BM, III)
„Dem Menschen ist der Wille zur eigenen Leistung gegeben .Auch die Freude am Eigentum und dessen Ausgestaltung.“ (Enthüllungen)

Dabei bleibt es. Eigentum muß sein, eine Reflexion über das Warum und Woher wird mit dem emphatischen Hinweis auf die unbezweifelbare Notwendigkeit abgeschmettert.

Nun hören wir aber von einer neuen, wesentlichen Eigenschaft des Eigentums:

„Wo aber Eigentum geschaffen wird, . . wachsen mit dem Streben, es zu erhalten und zu mehren, zugleich die Notwendigkeit und Bereitschaft zum persönlichen Beitrag zu Gunsten des Allgemeinwohls. Dem Gemeinwohl ist wiederum nur sinnvoll zu dienen, wenn jeder einzelne der Gesellschaft zur Selbstverwirklichung befähigt wird. Und Selbstverwirklichung setzt Lebensfreude voraus, die ohne die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben, zumindest drastisch reduziert würde.“ (BM, S III)

War der Ausgangspunkt die alles beherrschende Freiheit des Individuums, seine Natur, und war die Ordnung zunächst nur Ausfluß dieser Natur, so tritt nun das „Gemeinwohl“, offensichtlich ein gesellschaftlicher Zusammenhang der Eigentümer, hinzu. Ein Vermittlungsschritt zwischen dem Einzigen und seinem Eigentum und der gesellschaftlichen Verknüpfung der Individuen ist nicht zu entdecken.


... wird sozial gebunden

Natürlich ist einem Rechten das ganze Gerede von der „Gesellschaft“ suspekt und er möchte es auf das Nötigste beschränkt wissen, aber mit der expliziten Einführung der „wirtschaftlichen Freiheit“ – in der sich ja die Abhängigkeit des einzelnen sowohl von seinem wirtschaftlich verwertbaren Mittel (von seinem Glücksstreben kann er nicht leben) als auch von den anderen Individuen ausdrückt – hat er sich einen Mühlstein an den Hals gebunden! Sollte die gesellschaftliche (Ordnung eigentlich nur für die Natur des Menschen existieren, gewinnt sie demgegenüber nun eigenes Gewicht. Verschiedene Formulierungen versuchen das Nebeneinanderstehende miteinander zu verbinden:

„Freiheit mit sozialer Bindung“ (BM, S 18)
„Selbstbestimmung des eigenen Lebensbereiches und Mitbestimmung in der Gesellschaft.“ (Enthüllungen)
„. . . auch jeder Bürger trägt soziale Verantwortung“. (Gedanken S. 25)
„Verantwortungsbewußtsein“ (Enthüllungen).

Schließlich wird den Menschen das Unmögliche auferlegt, nämlich ihre Selbstverwirklichung zu verfolgen und sie zugleich einzuschränken, damit sie

1. immer nur an sich selbst denkend ihr individuelles Glück schließlich
2. zumindest en miniature erreichen können:

„Zur Selbstverwirklichung des Menschen gehört unabdingbar auch die Einsicht in seine Grenzen, die Einordnung seiner Ansprüche in die verfügbaren Mittel und Möglichkeiten der Allgemeinheit, die Bescheidenheit als Bescheidwissen über den eigenen Platz im Ganzen.“ (Gedanken. S. I0)

Verblüfft ist man jedenfalls im ersten Moment, scheint es doch so, als (ordere die CSU plötzlich ein gesellschaftlich bewußtes Handeln der Individuen – von  „Einsicht“, „Wissen“ und „Einordnung“ ist die Rede. Doch schnell ist klar, was hier wirklich gefordert ist: „soziale Verantwortung“ entweder als einfache Unterwerfung unter das, was einem die Verhältnisse so aufherrschen – Bescheidenheit wird zur adäquaten menschlichen Tugend –, oder als selbstbewußte Reflexion darauf, welche Bedingungen vorhanden sein müssen, damit das eigene Mittel funktionieren kann. Daß hier nicht gesellschaftlich geplantes Verhalten, höchsten Altruismus als Verhaltensweise der etwas Blöden, die es mit den christlichen Werten ganz erst meinen, intendiert ist, wird schnell klar, wenn man sich das allzeit und überall gültige Grundprinzip in Erinnerung ruft:

„Leistung ist Wettbewerb.“ „Das Prinzip des Wettbewerbs ist zu erhalten.“ (BM, S. 113)

„Wettbewerb“,, ist aber ohne Frage ein Gegeneinander der Individuen, der Versuch, den anderen auszustechen (man muß so einfache Dinge hin und wieder noch einmal sagen, sonst gehen sie noch völlig im Wortwust verloren), dabei aber und hier wird es problematisch ist eine diffuse Gemeinsamkeit der Individuen, der Zwang zur Leugnung ihres Eigennutzes, gleichzeitig behauptet bzw. gefordert, über den Charakter dieser Gemeinsamkeit konnten wir aber außer den Phrasen über die menschliche Natur, die Notwendigkeit des Eigentums und über das Schöne an der Leistung nichts erfahren, weiden jetzt nur umstandslos damit konfrontiert, daß es eben noch etwas anderes, das ..Allgemeinwohl“, die „Gesellschaft“, die „Verantwortung“ auch geben soll.


Das Abgründige in der Menschennatur ...

Dieses Nebeneinanderstellen von Individuum und „Gesellschaft“ macht auch einem Konservativen zu schaffen. Eine erste Möglichkeit, sich aus der Klemme zu winden, scheint ihm darin zu bestehen, daß er sich nun auf den Standpunkt der „Gesellschaft“ stellt und von daher Bedenkliches an der Menschennatur entdeckt. Er will sie den eigenen Vorstellungen, wie sie eigentlich sein sollte, gemäß machen; nicht länger ist sie das bestimmende Moment, nach dem sich alles ausrichten soll, sondern sie unterfällt der expliziten Kritik, muß sogar eingeschränkt werden. Die CSU erklärt sich die Schwierigkeiten mit den Individuen und daß es mit der Selbstverwirklichung nicht so recht klappen will, folgendermaßen:

„Nachdem der Wiederaufbau im wesentlichen abgeschlossen und der Nachholbedarf gedeckt war, breitet sich eine ständig wachsende materielle Eigenorientiertheit aus . . An die Stelle der auch ethisch fundierten Herausforderung des Wiederaufbaus ist der Ehrgeiz getreten, die Mitmenschen materiell mindestens ein-, möglichst aber zu überholen . . . Ungeist der Konsum-, und Wegwerfgesellschaft ...“ (Gedanken, S. 26)

Vom „gesellschaftlichen Standpunkt“ aus paßt dem Konservativen das Bild von der menschlichen Natur nicht in den Kram – drum wirft er alle seine Prinzipien im Brustton der Selbstgerechtigkeit dessen, der seine weitschauende Vernunft gegen den beschränkten Horizont des kleines Mannes geltend macht, über Bord. Und er merkt gar nicht, daß er zum Kampf gegen Leistungs- und Wettbewerbswillen antritt.

Der BFD ist in seiner Kritik noch radikaler und scheut sich nicht, das menschliche Verhalten angesichts der welthistorischen Erfordernisse als kleinmütig, entartet, gar zügellos ausschweifend anzuprangern.


... gefährdet die Würde der Person

Die Kritik der Menschennatur unterstellt sie als wandelbare: sie kann sowohl auf die schiefe Bahn geraten als auch durch Appelle und noch zu spezifizierende Maßnahmen gerettet werden.

Zwar ist der Wille zur Leistung, die Freude am Eigentum und Wettbewerb dem Menschen angeboren, zugleich legt er aber auch Eigenschaften an den Tag, die ihm von außen angetragen werden, seine Natur bestimmen: die CSU entdeckt wirtschaftliche Phänomene wie „Wiederaufbau“, „Konsum und Wegwerfgesellschaft“, „Nachholbedarf“, die all die schönen Eigenschaften des strebsamen Individuums plötzlich ins Schlechte verkehren. Das Ineinandergehen von Selbstbestimmenden Individuum und gesellschaftlicher Bestimmung, von trotzigem Freiheitsschrei und hilfloser Unterwerfung unter den Zwang des Faktischen findet sich in folgendem nach nochmaliger Betonung der Abhängigkeit der „Freiheit“ von der „wirtschaftlichen Freiheit“, heißt es, daß die „wirtschaftliche Abhängigkeit“
„für alle Teilnehmer am Wirtschaftsprozeß gegeben (ist), nicht nur für die so genannten Lohnabhängigen, denn das wirtschaftliche Geschehen bezieht alle Gruppen in seine Konjunkturen und Krisen ein.“

Damit hat sich der Konservativismus auf den Kopf gestellt. Da existiert ein wirtschaftlicher Mechanismus, der sich die Menschen unterwirft und dabei unerklärliche Fieberkurven („Konjunkturen und Krisen“) durchläuft. Daß diese Aussage nicht bestehen bleiben kann und daß das Wirtschaftliche Geschehen etwas mit dem Handeln der Individuen zu tun haben muß, führt zum rückwärts gesprungenen salto mortale mit Bauchlandung:

„Die Abhängigkeit des einzelnen im Wirtschaftsprozeß findet wiederum ihre Grenze in der Würde der Person . . .“ (Gedanken, S. 25)

Tritt in solchen Passagen derselbe Widerspruch nur in immer neuen Formulierungen auf, so weiß der BDF etwas neues zum Verhalten der Individuen zueinander und zu ihrem Eigentum. Im „Berliner Manifest“ heißt es, daß der „Gleichheits-Fetischismus“, der auf eine „Verteilung der Unternehmergewinne“ abziele, der „sichere Weg in die Armut aller“ wäre – abgesehen davon, daß solche Umverteilung jeden nur unwesentlich reicher machen würde (was zweifellos stimmt). Nimmt man den Unternehmern ihre Gewinne weg, unterbindet man damit „jede wirtschaftliche Investition“.


Freiheit und Geld

Gesagt ist. also, daß erstens der gesellschaftliche Reichtum und Fortschritt und damit das Schicksal aller in der Gesellschaft lebenden Individuen nicht von ihnen selbst, sondern von bestimmten Personen abhängig ist – alle Leistung und aller Wettbewerb also ohne sie für die Katz sind – und daß zweitens die Besonderheit dieser sich selbst verwirklichenden unternehmerischen Individuen darin hegt, daß sie immer größere Geldsummen als andere erzielen müssen.

Die Individuen sind sich von daher gleich – jeder muß aus seinem Mittel eine Geldsumme beziehen und daraus seine Selbstverwirklichung bestreiten – aber der wahre Jakob des Unternehmers liegt darin, daß er immer größere Geldsummen (Gewinne) bezieht, größer zum einen im Vergleich zum jeweiligen Vorschuß, zum anderen im Vergleich zu anderen Geldempfängern (würde er doch sonst das berühmte „Risiko“ nicht mehr tragen wollen). Nicht nur, daß nun eine seltsame Abhängigkeit der freien Individuen untereinander und von ihrem jeweiligen Eigentum konstatiert ist, nein, auch das Eigentum der Kapitalisten führt ein seltsames Eigenleben: die Gesellschaft bzw. das Leben aller ihrer Mitglieder, der gesellschaftliche Reichtum, basieren darauf, daß aus Kapital mehr Kapital wird. Die Phrase von der „Freiheit der Individuen“ ist nun konkret geworden: um die Vergleichung von Geldsummen geht es – und wo steckt im Geld noch die so mannigfaltige Menschennatur?


Doch die Verhältnisse sind nicht so

Nachdem nun alle Ausflüchte aufgezählt sind – die Menschen sollen doch bitte verantwortungsbewußt sein, und zudem ihre schlechten Eigenschaften zügeln, der Wirtschaftsprozeß möge doch bitte ein Einsehen haben usw. – kann auch der überzeugteste Demokrat nicht an der Feststellung vorbei, daß es in der Realität nicht wohlgeordnet und harmonisch genug zugeht, um sie durch einfachen Fingerzeig zum Beweis seiner Vorstellungen zu machen. Zwar versichert er sich selbst:

„Die soziale Marktwirtschaft stellt nicht nur die leistungsfähigste Wirtschaftsordnung, sondern auch die menschenwürdigste Lösung des ökonomischen Problems unter den heutigen Bedingungen dar.“ (Gedanken. S. 251)

Doch dann gibt es auch .Konjunkturen und Krisen“, die Bedrohung der Wirtschaft durch „Machtzusammenballungen“, die Tatsache, daß „unter natürlichen Umständen das Recht oft der Macht folgt, die schwächere Gruppe benachteiligt wird“ (Gedanken, S. 11).
und vieles andere mehr. All diese Feststellungen laufen darauf hinaus, daß die „freie Initiative“, die ja angeblich das Wohl des einzelnen bedeutet, seiner Selbstverwirklichung zugleich Abbruch tut. Die CSU kommt zu der erstaunlichen Einsicht, die sie natürlich unter Hinweis auf den „Sozialismus“ gleich wieder relativiert:

„Freie Initiative als Grundrecht und soziale Bindung als Grundpflicht widerstreben notwendigerweise (!?) einander bis zu einem gewissen Grade. Im Gewinnstreben wird die soziale Bindung vernachlässigt, im Sozialismus die Initiative geopfert.“ (Gedanken, S. 25)

Der Ruf nach „mehr Gerechtigkeit“ kommt auf, der Staat soll „ausgleichende Gerechtigkeit“ üben – irgendwo ist also etwas ungleich und muß ausgeglichen werden, die vielgepriesene Ungleichheit fordert ihre eigene Nivellierung, und soll dabei doch immer wieder Triumphe feiern. Anscheinend ist die Lage doch nicht so ausgezeichnet, wie das dröhnende Pathos weismachen will, prinzipiell wäre sie zu ändern – aber keiner weiß, was nun „Gerechtigkeit“ sein soll, ist doch die Vorstellung davon schon wieder ganz verschieden je nach Individuum. (Die platte Variante, alle sollten doch gleich viel Geld haben, steht den Konservativen – wie oben gezeigt – nicht zur Verfügung!

Hinzu tritt, daß es mit den demokratischen Regeln etwas seltsames auf sich hat, sind sie doch von Nicht Demokraten (Kommunisten und Faschisten] genau so gut anwendbar und können als Mittel dienen, die Demokratie zu stürzen (BM, S 16) Da der Appell an den guten Willen und die freiheitliche Gesinnung, diesen Mißbrauch zu verhindern, eben nur Appell ist, wie auch die Tatsache, daß das Grundprinzip der Gesellschaft – „freie Initiative“, – selbstmörderische Tendenzen zeigt, zwingen dazu, sich nach einer Instanz umzusehen, die all dem regulierend und mit Zwangsgewalt ausgestattet, gegenübertritt: da es ihn schon gibt, ist für den Demokraten auch klar, daß nur er diese Instanz sein kann – der Staat.


Der Staat: ein irdischer Deus ex Machina

An dieser Stelle eine kurze Überlegung, was bislang denn nun Spezifisches über die Rechtsdemokraten gesagt wurde. Nimmt man es genau, eigentlich recht wenig: die Sätze über die Freiheit und die Initiative des einzelne, über seine gleichzeitige „soziale Bindung“, über Leistung und Wettbewerb und Wahrung des Eigentums stehen jedem Demokraten zu Gesicht. Dennoch deutete sich im Zungenschlag einiger Zitate das Typische solcher „rechtsgerichteten“ Politik an. Gerade an der Funktion des Staates bzw. an der besonderen Art, wie er eingefühlt wird, wird dies noch deutlicher.
Eines wissen wir über den Staat jetzt schon: er ist ein deus ex machina von ganz irdischer Gestalt und steht ohne weitere Erläuterung neben dem oben geschilderten Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.

„In Wirklichkeit sind die staatlichen Institutionen, die ihrerseits die sittlichen Normen repräsentieren, unentbehrliche Voraussetzung für die Verwirklichung und den Schutz der Freiheit des Einzelnen, vor allem können sie nicht durch den vagen Begriff der Gesellschaft ersetzt werden. Der Staat bedarf zur Durchsetzung seiner Aufgaben der Autorität.“

Der Staat soll Einfluß auf die „Gesellschaft“ und das Leben seiner Bürger nehmen, zugleich aber davon sich bestimmen lassen.

„Die Achtung vor dem Staat und seinen Einrichtungen ist die natürliche Entsprechung der Tatsache, daß der Staat seinerseits den Bürgern gegenüber voll verantwortlich ist.“ (Gedanken, S. 12)

Auch dies ist noch einmal für alle Demokraten gleich; nur in den Wertungen dessen, wozu der Staat nütze sein soll, unterscheiden sie sich. Während ein SPD-ler beispielsweise meint, durch richtige Handhabung des Staates alle Probleme der Welt lösen zu können – und ein Helmut Schmidt stimmt darin mit einem Johann Strasser völlig überein – haben die Rechten zwar ebenfalls jederzeit den Ruf nach dem Staat auf den Lippen – zugleich jedoch ist er ihnen ein unbegreifliches, bohrendes Ärgernis. Der BDF wählt die Ausweichtaktik: er reflektiert kein einziges Mal bewußt auf den Staat, unterstellt ihn aber immer und überall als notwendigen und selbständig handelnden. Die CSU hingegen, als staatstragende Partei, kann sich so nicht aus der Klemme ziehen, muß Ausdrückliches dazu sagen.
Dem Staat mißtrauisch gegenüberzustehen, ihn aber ständig herbeizitieren zu müssen, drückt sich bei der CSU in schon grotesker Zuspitzung aus: ihre „Enthüllungs“-Broschüre handelt von schier nichts anderem, als dem „sozialistischen Zwangsstaat“, wobei das endlos wiederholte Negativum darin bestehen soll, daß er eben „zuviel Staat“ sei – und im selben Atemzug reihen sie Taten an Taten ihrer eigenen bayerischen Staatsspezies rühmend aneinander bzw. werfen den „Roten in Bonn“ Untätigkeit vor.

Dieser beim einfachen Anschauen schon ersichtliche Widerspruch – dem sich natürlich auf der empirischen Ebene entgegenhalten läßt, daß die CSU an anderer Stelle dann wieder leidenschaftlich Enthaltsamkeit des Staates fordert, sein Handeln also gerade im Nicht-Handeln bestehen soll – findet sich theoretisch „begründet“ in den „Gedanken“: nach einer nochmaligen Absetzung vom „Dirigismus“ heißt es:

„Der Staat muß aber auch mit Entschiedenheit den immanenten ordnungspolitischen Gefährdungen entgegentreten. Er hat für die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu sorgen. Ein ausgewogenes Nebeneinander von großen, mittleren und kleineren Unternehmen ist hierfür unerläßlich. Die Wettbewerbsnachteile der kleinen und mittleren Unternehmen müssen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen ausgeglichen werden.“


Der Staat – der große Zampano!

Um die „freie Initiative“ und den „Wettbewerb“ zu schützen, soll der Staat den Wettbewerb nun selber machen, indem er den einzelnen Betrieben ihre Ordnung zuweist; dabei soll er in den Wettbewerb natürlich prinzipiell nicht eingreifen, und Schöpferkraft und Leistungswillen der einzelnen  Unternehmen  ihren  freien Lauf lassen. Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die der Staat, ohne sich einzumischen, erledigen soll – so z. B. soll er die Multis stoppen –, aber Geld, soll er dabei möglichst nicht verbrauchen, auf keinen Fall die Steuern erhöhen. „Im Gegenteil“, er soll die Steuerlastquote schleunigst senken. Und in schöner Konsequenz heißt es schließlich:

„Mehr Staat läuft in Zeiten rasch wachsender Inflation meist auf nichts anderes hinaus als auf mehr Verwaltung, mehr Bürokratie und damit noch größere Schwerfälligkeit, ja Unbeweglichkeit.“ (Gedanken, S. 30 f).

Die Inflation, dieses unangenehme Resultat der überschäumenden „freien Initiative“ soll also plötzlich nicht auf den einschränkenden Griff der Staatsgewalt treffen, wo diese doch sonst alle unerfreulichen Entwicklungen zurückdämmen soll.

Das Gestammel läßt sich also dahingehend zusammenfassen, daß der Staat das schützen soll, was ihn selbst immer wieder notwendig macht, und indem er dies schützt, soll er sich weitgehend überflüssig machen:

„Die Möglichkeit zur Initiative in allen Bereichen ... zu schützen und zu entwickeln, ist heute eine Hauptaufgabe des Staates“. (Gedanken, S. 25)

Daß in all dem ein mächtiger Lindwurm stecken muß, ersieht man schließlich aus Äußerungen wie:

„ . . . dem Sozialstaatsprinzip sind »natürliche« Grenzen gesetzt“ und schließlich, damit es „ein individuelles Sich-Wohlfühlen des Einzelnen an seinem Platz in der Gemeinschaft“

gibt, ist vorausgesetzt

„daß der Staat die Befriedigung der Grundbedürfnisse für alle zufriedenstellend regelt.“ (Gedanken, S. 13).

Man stutzt: Ist hiermit eingestanden, daß die Entfaltung der „freien Initiative“, die „menschenwürdigste Ordnung“, nicht einmal gewährleisten, daß der Mensch in den Pausen seines unbändigen Schöpfungsdranges was zu Beißen bekommt, der Staat ihm erstmal die Selbsterhaltung zu sichern hat, bevor er sich an seine Selbstverwirklichung macht? Ist damit gesagt, daß die freie Entfaltung der menschlichen Natur eine Tendenz in sich trägt, die eigene Naturbasis aufzuheben, und der Staat als Sachwalter der Reproduktion den sich selbst Verwirklichenden zum Essen und trinken anleiten muß?


Der Staat das unbekannte Wesen

Wenngleich wir hier die besondere Stellung der Rechtsdemokraten zum Verhältnis von Staat, Demokratie und Individuum dargestellt haben, ist doch festzuhalten, daß das Herumtapsen im Widerspruch, das verständnislose Anglotzen des Staates als einerseits notwendig selbständig handelndem, andererseits immer wieder den Anforderungen der neben ihm stehenden Individuen unterworfenem, allen Demokraten gemein ist. Sie kommen über die Feststellung nicht hinaus, daß Staat und Demokratie etwas miteinander zu tun haben müssen: aber weil sie es nur so unbestimmt lassen können, kommen sie schließlich zu absurden Schlußfolgerungen, wie sich in den zwei vorhergehenden Fragen andeutete. Demnach muß die Auflösung des Verhältnisses, des beliebigen In-Beziehung-Setzens, eine notwendige Folgerung für eine mögliche weitere Untersuchung sein. Einige Ansatzpunkte dafür haben wir gewonnen: daß nämlich das Aufeinanderwirken der Individuen in „freier Initiative“ mit ihren jeweiligen wirtschaftlichen Mitteln (wobei zugleich eine Besonderheit des Unternehmerindividuums sich offenbarte), das, was man gemeinhin als Gesellschaft bezeichnet und doch nicht über die bloße Ansammlung von Menschen hinausdenkt, daß also dieses Aufeinanderwirken nach anderen Erklärungen als den simplen Annahmen über die Menschennatur verlangt und offensichtlich etwas komplizierter ist, als der gesunde Menschenverstand sich träumen läßt.

Wichtig ist uns hier jedoch nur, daß die einfache Betrachtung dessen, was in unserer „Sozialen Marktwirtschaft“ sich so abspielt, offensichtlich erzwingt, über die schlichte Konstatierung eines Verhältnisses von Staat und Gesellschaft hinauszugehen. (Die Revisionisten(1) aller Schattierungen bleiben auch in eben dieser Feststellung stecken: nicht was der Staat ist, wird jemals von ihnen erklärt, sondern – in „kommunistischer“ Umdrehung der Rede vom Staat, der für seine Bürger da ist – nur behauptet, der Staat sei eben für die Kapitalisten da, und damit soll dann bewiesen sein, daß er ein kapitalistischer oder „Klassenstaat“ sei.)

Während nun „fortschrittliche“ Demokraten – einschließlich der Revisionisten – ein Gefühl für die Widersprüche haben und durch zähes Reformieren und Effektivierung des Staates auf „Verbesserung“ der Demokratie dringen, leugnen die Rechten schlichtweg die Existenz von Widersprüchen.


Eine frühere Variante des Problems

Ausgehend vom ehernen Prinzip der Freiheit des Einzelnen, mit sich und seinem Eigentum alles anstellen zu können, muten die Rechtsdemokraten dem Staat die Quadratur des Kreises zu: wie kann der Staat das Wirtschaftsganze absichern, ohne die Freiheit der Wirtschaftssubjekte einzuschränken und bei alledem noch demokratisch verfahren, d. h., sich nach dem Willen der Mehrheit richten? Ein früherer Verfechter der freien Entfaltung des Unternehmers stand vor dem gleichen Problem:

„Das Privateigentum ist nur dann moralisch und ethisch zu rechtfertigen, wenn ich annehme, daß die Leistungen der Menschen verschieden sind . .. Damit muß zugegeben werden, daß die Menschen wirtschaftlich nicht auf allen Gebieten von vorneherein gleich wertvoll, gleich bedeutend sind ... Es würde unlogisch sein, die Verwaltung des Ergebnisses einer bestimmten, an eine Persönlichkeit gebundenen, Leistung dem nächstbesten Minderleistungsfähigen oder einer Gesamtheit zu Übertragen ...“ (Adolf Hitler vor dem Industrieklub in Düsseldorf)

In der Wirtschaft kann es also keine Demokratie geben, trotzdem muß auch der faschistische Staat „die Befriedigung der Grundbedürfnisse für alle zufriedenstellend regeln.“ Nicht zuletzt, weil er dies versprach, kam er an die Macht im Staat. Jedoch ist er „konsequenter“ als die Rechtsdemokraten:

„Es ist ein Widersinn, wirtschaftlich das Leben auf dem Gedanken der Leistung, des Persönlichkeitswertes, damit praktisch auf der Autorität der Persönlichkeit aufzubauen, politisch aber diese Autorität der Persönlichkeil zu leugnen und das Gesetz der größeren Zahl, die Demokratie, an dessen Stelle zu schieben ...“ (ibid)


Kritik als Krankheit

Nicht daß sie hierbei souverän ihren eigenen Satz vom notwendigen Sich-Widerstreben von „Freier initiative, und sozialer Bindung“ übergehen, ist hierbei das Frappierende (ein weiterer Widerspruch fällt mittlerweile nicht mehr ins Gewicht), sondern daß sie alle Schwierigkeiten der Welt nun demjenigen anlasten, der sie benennt. Ein solcher kann eh nur ein Verrückter sein, einer, der den Teufel an der Wand sehen will, an Halluzinationen leidet. Indem er seinen Unsinn von sich gibt, bringt er die Menschen durcheinander, läßt sie Dinge bezweifeln, an denen es keinen Zweifel gibt, verführt sie schließlich dazu, gegen ihre eigene Natur zu handeln; und wenn die Menschen dieses tun, muß es zwangsläufig zu Schwierigkeiten kommen (so sagt der Rechte, wenn er gerade mal wieder auf dem Standpunkt der Menschennatur steht). Das ist der circulus vitiosus, den der linke Querulant in Gang setzt, und den zu unterbrechen, der Rechtsdemokrat als seine vornehmste Aufgabe ansieht;

„Dieses Fieber der Zügellosigkeit im Kostüm der Weltverbesserung ist mit Salbeitee nicht zu heilen. Und da es sich um eine ansteckende Krankheit handelt, muß zunächst einmal für eine geistige Quarantäne der Infizierten gesorgt werden, indem wir uns von ihnen distanzieren.“ (BM, S. 122)

Also weg mit dem Salbeitee und die gelbe Flagge gezeigt, wenn die Menschen sich mal nicht so verhalten, wie sie eigentlich sollten. Es ist eine dem rechten Flügel der Demokratie zukommende Besonderheit, daß er sich des selbstverschuldeten Problems der Menschennatur dadurch zu entledigen sucht, daß er gewisse Menschen zu Unmenschen erklärt, warum diese Demokraten den Sozialisten immer unterstellen müssen, sie wollten die Menschen ändern – Anlaß zu dieser Unterstellung wird ihnen allerdings reichlich gegeben.

Die Beschreibung des politischen Gegners mit dem Vokabular der klinischen Pathologie ist die auffallendste Parallele zur faschistischen Ideologie, die sich bei den Rechtsdemokraten findet. Dieses Verfahren enthebt seine Protagonisten der Anstrengung, die gegnerischen Argumente zu widerlegen, in dem der Kontrahent zur feindlichen Unperson entmenschlicht wird. Ist er somit aus dem Spektrum möglicher Diskussion herausgenommen, wird mit ihm nach dem Vorbild der Medizin verfahren: seine politische Argumentation wird als unheilbare Krankheit diagnostiziert, die ansteckend ist. Die Therapie ist demzufolge die Isolierung, im Extremfall die Zerstörung des Krankheitsherdes. Daß solches Vorgehen den Feind von der Gewährung demokratischer Rechte ausnimmt, muß die Rechtsdemokraten nicht mehr anfechten: tendenziell gelten jene nur noch für ihresgleichen und wer nicht so ist wie man selbst, hat kein Recht zu sein.

Der Liberale stellt mit Erschrecken fest, mit welcher Leichtigkeit und durchaus demokratischen Argumenten die hehrste Tugend des Demokraten, die Toleranz, im Pfandhaus der schönen Ideen versetzt wird, wo sie dann für bessere Zeiten aufgehoben wird.


Die Glaubenszweifel der Gläubigen

Hier ist der Punkt, wo der Revisionist im Zeigefinger den Starrkrampf verspürt, und wo der Streit unter den gewöhnlichen Demokraten angeht, ob ein FJS mit seinen schleimig-markigen Sprüchen von der Ausrottung des Ungeziefers nicht vielleicht doch zu weit gehe – er mag sich ja manches denken, aber doch nicht so offen sagen . . . Die – sicherlich nicht zu verharmlosenden – Sprüche der Schwarzmänner dürfen jedoch nicht ihrer individuellen Borniertheit zugeschrieben werden und eben damit wieder entschärft: in ihnen tritt zutage die tiefe Verstörtheit dessen, der nur glauben kann und nicht denken, der sein bürgerliches Credo beschwörend der ihn ständig widerlegenden Welt entgegenhalten muß. Auf die Dauer ist dies sehr schwierig, ohne ernsten Schaden am Gemüt und Seele zu nehmen, also muß der Zweifel am vorab Selbstverständlichen endlich aufhören, muß denen, die mit „unverständlicher Sprache“ (Enthüllungen) und „Soziologen Kauderwelsch“ herumkritteln, das Maul gestopft werden – dann hat die liebe Seele wieder Ruh. Die so sehr bekämpfte „Gleichmacherei“ tritt ihren Siegeszug an, denn nun sollen alle das gleiche denken, nämlich, daß es keine bessere Welt als diese geben kann. Der BFD meint sogar, diese Glücksvorstellungen seien außer Kapital und Investitionen unabdingbar ebenfalls in die „unterentwickelten Länder“ auszuführen – ansonsten es keine Freiheit auf der Welt geben wird; auch die Neger müssen lernen, was Leistung und Wettbewerb ist:

„Die Investition von Geld, Maschinen, Industrieprodukten und technisch naturwissenschaftlichen Kenntnissen muß deshalb ideelle geistige Hilfe im Sinne der Grundlagen eines wohlverstandenen (!) Freiheitsstrebens hinzugefügt werden.“ (BM, S. 93)

Unter abschreckendem Verweis auf den „sozialistischen Zwangsstaat“, der seinen Bürgern ein bestimmtes Bewußtsein aufzwingen will (Enthüllungen), wird der Staat aufgerufen, die Bewußtseinsvergifter, die Glücksverheißer, unschädlich zu machen. Gerade in der seibernden Haßtirade (sei sie auch noch so schön aufgemacht, wie in den „Enthüllungen“ – ein Fakt, der übrigens der liberalen „Süddeutschen Zeitung“ sehr positiv ins Auge sticht) verrät sich die tiefe Unsicherheit, der Zwang zum Dogma – und dies alles angesichts der Tatsache, daß die Linken sowieso nur unverständliches, für jeden vernünftigen Menschen unsinniges Zeug schwätzen.

Ja, gerade die Behauptung, es sei unverständlich, – womit weitere Beschäftigung damit eigentlich schon überflüssig erscheint –, dient ein weiteres Mal zur Abschreckung und Verteufelung. Politik, die sich – sei es auch nur dem Anspruch nach –- wissenschaftlich begründet, kann nur Verführung, Täuschung, Mißachtung des gesunden Denkens im Schilde führen.

Uns aus dem Wissenschaftspluralismus bekannte Glaubenssätze tauchen wieder auf:

„Das ist das Schlimme an den sozialistischen Heilslehren: sie erheben einen absoluten Anspruch. Sie sind die Wahrheit Die totale Wahrheit Als ob es die gäbe “ (Enthüllungen)

Es gibt nur eine Wahrheit: daß alles so ist, wie es ist, und daß es richtig ist, so, wie es ist.


Intelligenzfeindschaft

Hinter der Sprachkritik lauert also die Feindschaft gegen die Intelligenz, die Unverträglichkeit des rationalen Arguments mit dem Credo. Jenes soll mit der Kritik in seiner Form erledigt werden, damit dieses triumphiere. Grundlage dieses Verfahrens ist der Glaube an die heile Welt, die eine einfache Welt ist. So wettert die CDU in Hessen gegen die Erziehung zur Konfliktbewältigung in den Rahmenrichtlinien für den Deutschunterricht mit dem schlichten „Argument“, durch die Darstellung von Widersprüchen in unserer Gesellschaft würden diese verstärkt oder gar erst geschaffen. Dies erinnert an Rosenbergs These im „Mythus des 20. Jahrhunderts“, der Klassenkampf sei eine Erfindung des Juden Marx. Weil es in der bürgerlichen Gesellschaft Widersprüche trotz aller Beteuerung wirklich gibt, kann ihr intellektueller Kritiker zwar zum Verstummen gebracht werden, nicht jedoch der Gegenstand seiner Kritik beseitigt. Er wird einfach geleugnet und das Gegenteil behauptet: „Menschlich und schön: Bayern – ein Land, in dem sichs leben läßt.“ (Wahlslogan der CSU).

Eine Frage und ihre Beantwortung

„Warum den Alfons Goppel alle mögen“ fragt sich der „Bayern Kurier“ in einer Sonderausgabe zur Landtagswahl und antwortet darauf u. a.: „Letzten Herbst zum Beispiel ahmte er im Urlaub am Walchensee das Röhren eines Hirsches nach . . . Mit einer Gießkanne . . . Er ist wie er ist . . . mit einem Sinn für die Lebensfreude der Bayern.“ Fazit: „Den muaß ma mögn, ob ma mog oder net.“

 

Zweifel an der Menschennatur

Die zuvor schon heimlich geäußerten Zweifel an der Menschennatur werden nun explizit, aber m einer Weise, die das eigene Dogma wieder glänzend bestätigt: es gibt Menschen, die sind krank .wahnsinnig, man muß sie in die Quarantäne nehmen zum Schutz der gesunden Menschheit:

„Das von den Kritikern . . . geäußerte Unbehagen hat vorwiegend psychologische Ursachen.“
„Motivation »unterschwelligen Neides“ (Gedanken, S. 26)
„Eine Minderheit Willensschwacher und Arbeitsunlustiger klagt die Gesellschaft an, ihr Unvermögen verschuldet zu haben.“
„Der Spuk muß weg!“ (BM, S. 113, 109)

Aber gerade die häufig angeführte Behauptung, die Linken seien getrieben vom gelben Neid, zeigt, wie den Rechtsdemokraten nichts anderes übrig bleibt, als sich beständig wieder den eigenen Zweifel vorzuführen: wenn die JuSos und Konsorten den ganzen Spuk nur deswegen treiben, weil sie an die Perserteppiche, Ozelots und Luxusappartements heranwollen (so geschildert in den „Enthüllungen“), dann reflektiert sich im Feindbild die eigene Affirmation der Konkurrenzbeziehungen, deren negative Seite nun aber durch Projektion in den außerhalb der gesunden Gesellschaft Stehenden beseitigt sein soll.

CSU-Ethnologie

Was Bayern mögen

Rotbuchen, Rotes Kreuz, Rotwand, Rothaarige, Rothäute
Rothenburg o. d. T.
Rothirsche
Rotschwänzchen
Rotwein
Rotkäppchen
Rotkehlchen

vielleicht mögenxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxnicht mögen

Rotbarschxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxxx xxxxxxRotalgen
Rote Rübenxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxx xx xxx Rotzfahnenx
Rotes Meerxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxx xxxxxxRote Armee
Rotfüchsexxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxx x xxxxxx xxxxxx xx Rote Garden
Rotfilterxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxxxx xx xxxx Rotfäule
Rothschildxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxRotlicht
Rotkappenxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxx Rotwanzen
Rotkrautxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxxx xxxxxx xRotfunk
Rotbartxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxx xxx xxxxxx x Rotfront
Rotationxxxxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxx xxxxxxxxx xxxxxx xRote Zellen
Rotorxxxxx

(Gedanken, S. 131)

 

Das Positive ist gefordert

Noch mehr zeigt sich. Diese Gesellschaft bedarf für ihr Vorwärtsschreiten eines bestimmten Bewußtseins, das die Widersprüche als Selbstverständlichkeit in sich aufnimmt. Das Handeln der Individuen, angeblich ihrer Natur entspringend und in dieser Gesellschaft glücklich eingebettet, muß mit Bewußtsein vollzogen werden, – dieses ihr Bewußtsein ist ihnen ständig zu propagieren und offensichtlich mit Erfolg, wenn ein Gerold Tandler, Generalsekretär der CSU, sagen kann:

„Jeder Mitbürger ist einfach aufgerufen, sich mit Dingen und Themen auseinanderzusetzen, die morgen für ihn von ausschlaggebender Bedeutung sind. Die Zeit, in der man Politik mit Parolen und Schlagzeilen »verkaufen« konnte, ist vorbei. Und das ist gut so.“ (Enthüllungen)

Glauben die Leute nicht fest an ihre Demokratie, dann können die „Verderber“ (Kommunisten und Faschisten) diese ganz nach Ihrem Willen manipulieren. Die angebliche Objektivität dieser Gesellschaft ist plötzlich zurückgenommen in den guten Willen der „schweigenden Mehrheit“ (BM, S. 109). Alle Prinzipien zerbröckeln:

Gesinnungstäter

Linke Kritik an den Rechtsdemokraten wittert hinter den Äußerungen von Strauß und Dregger häufig die Rancune von Leuten, die wider besseres Wissen – noch dazu „im Solde des Monopolkapitals“ – das Volk täuschen. Dabei ignorieren sie das von ihnen sonst bei jeder passenden und – zumeist – unpassenden Gelegenheit zitierte marxsche Diktum vom gesellschaftlichen Sein, welches das Bewußtsein bestimmt. Selbst die Angst des Richard Löwenthal vor den eigenen Chimären seines fast schon pathischen Antikommunismus, die ihn veranlaßt, wo er geht und stellt eine Pistole mit sich zu tragen, erscheint ihnen als trickreiche Stimmungsmache. Statt an der – wenn auch noch so verkürzten – Einsicht festzuhalten, daß das bürgerliche Bewußtsein sich den gesellschaftlichen Verhältnissen verdankt, reduzieren sie die Kritik am „Rechtskartell“ auf die Denunziation angeblicher Auftraggeber. Die Herren von CSU/CDU und BDF müßten schon geniale Schauspieler sein, um fortwährend den rechten Ton zur rechten Zeit zu finden. Daß sie vielmehr Gesinnungstäter sind, an das glauben, was sie sagen, hat schon der junge Horkheimer bemerkt:

„Menschen, welche es zu etwas bringen wollen, müssen sich schon beizeiten den Glauben anschaffen, nach dem sie dann mit gutem Gewissen so handeln können, wie es in der Realität gefordert wird, denn wenn sie es contre cour tun, merkt man es ihnen an, und sie machen es schlecht.“

„Gemeinsam muß . . . allen . . . das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Anerkennung des gesetzten Rechts, die Achtung vor seinen Prinzipien und Vorschriften und die Überzeugung sein, daß Recht nur auf den gesetzlich vorgeschriebenen und verfügbaren Wegen geändert werden kann.“ (Gedanken, S. 11)

„Was wir hier in diesem Lande brauchen, ist der mutige Bürger, der die roten Ratten dorthin jagt, wo sie hingehören – in ihre Löcher“ (CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß).

Und während die CSU noch vorsichtig formuliert (Spiegel, Nr. 40/1974, S. 23), daß es jenseits der Politik noch Gottseidank das Transzendente, das Ende aller Fährnisse, die „christliche Weltanschauung“ gibt, nimmt der BFD kein Blatt vor den Mund und sagt, daß auch dann, wenn alle Stricke reißen, man immer nur in Gottes Schoß fallen könne, wo sich diese „gottgewollte“ Ordnung ja eh schon befindet:

„Im Turm des Rathauses Berlin-Schöneberg werden die Unterschriften von 16 Millionen amerikanischen Bürgern aufbewahrt, die dazu beitragen, den Berlinern die Freiheitsglocke zu spenden. Sie begleiteten dieses Geschenk mit der Erklärung:
»Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde des einzelnen Menschen. – Ich glaube, daß allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. – Ich schwöre, der Aggression und Tyrannei Widerstand zu leisten, wo immer sie auf Erden auftreten werden. Ich bin stolz darauf, am Kreuzzug für die Freiheit teilgenommen zu haben. Ich bin stolz darauf . . . daß mein Name nun ein ewiger Bestandteil des Freiheitsschreins in Berlin sein wird und daß ich mich den Millionen Männern und Frauen in der ganzen Welt angeschlossen habe, denen die Sache der Freiheit heilig ist.«
Wem aber die Sache der Freiheit heilig ist, der würde sich an ihr versündigen, wenn er das Recht auf Selbstbestimmung vernachlässigte.“ (BM S. 44 f)

Und so macht der Kammerjäger auf seinem Kreuzzug durch die dunklen Ecken der Demokratie das Kreuzeszeichen, wenn er die Wanze zertritt.

CSU-Philosophie

An die Stelle des Immer-Mehr lmmer-Schneller, Immer-Größer, muß eine „Politik des Menschenmaßes“ treten, die aus dem Wissen um die Natur des Menschen und aus zugewachsener geschichtlicher Erfahrung für jeden Sachverhalt den richtigen Zuschnitt, die angemessene Ausstattung, die zweckmäßige Funktion zu bestimmen sucht. (Enthüllungen)

CSU-Lyrik: Leitbilder wechseln

„Gesellschaft und Staat“
Götzen von heute?
Erst kommt der Mensch.
Unvertauschbar einprogrammiert.
Wir müssen unterscheiden.
Auffordern zur Unterscheidung.
Damit Gesellschaft und Staat uns nicht
die Chance nehmen: Mensch zu sein.
Unterscheiden: Damit wir nicht gleichgeschaltet werden.
Vergesellschaftet. Verstaatlicht.
(Enthüllungen)

 

aus: MSZ 1 – November 1974

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