Einführungen in das Studium Idiotenführer in die Niederungen der Wissenschaft
„Wie bringe ich mein Studium möglichst erfolgreich hinter mich?“ „Was muß ich tun, um einen Schein zu bekommen?“ oder „Wie soll eine Seminararbeit aussehen?“
Was er da zu lesen bekommt, ist wenig schmeichelhaft. Die beste Hilfe für den in die Welt der Wissenschaft hineintapsenden Neuling – so erfährt er zuerst – ist es, ihm ohne jede Beschönigung klarzumachen, daß er dafür völlig ungeeignet ist. So ist es Illusion, „wenn man glaubt oder sich einredet, junge Studenten könnten von vornherein das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden und verstünden im großen und ganzen, was man ihnen sagt. Wer das meint, hat noch nie eine studentische Nachschrift gesehen.“ (1/11) In einem Buch, das für ihn geschrieben ist, muß sich der Rat suchende Anfänger erst einmal allgemeine Beschwerden über sich anhören. Die aus dem tiefen Erfahrungsschatz des wissenschaftlichen Fachmanns geschöpfte Tatsache, daß Studenten noch nicht einmal nachschreiben können (Rechtschreibung!), was man „Ihnen vorerzählt, ist für den Fachmann, der sich um den Zwangscharakter seiner Veranstaltungen für den Examenswissen schwarz auf weiß sammelnden Studenten einen Dreck schert, Beleg genug, um sie als dumme Hunde hinzustellen. Dies allerdings in verständnisvoller Form, die der Beschimpfung den Charakter einfühlender Sorge um den blöden Studienneuling gibt: „Solche Illusionen ... treiben die Studenten tatsächlich in die Knechtschaft. Da sie die Anlehnung, die sie suchen, im Raum der akademischen Freiheit nicht finden, fallen sie, an Freiheit wenig gewöhnt, erst recht einer um sich fressenden Unterrichtsbürokratie ... zum Opfer.“ (1/11) Ein kritisches Wort über die zunehmende („um sich fressende“!) „Verschulung des Studiums“ „beengende Lehrpläne“ etc., die einem selber das Professorenleben und den Wissenschaftsdienst am Studenten schwer machen, weil die vielgerühmte akademische Freiheit flöten geht (die der Student ohnehin mangels Standfestigkeit kaum genießen könnte), erweist sich dabei immer als äußerst praktisch. Nicht etwa um den Blödheitsvorwurf an die Studenten jetzt im Gemosere über die Organisation der Ausbildung untergehen zu lassen, sondern vielmehr um ihn zu verstärken. Ist es doch ein weiterer Beweis, für die studentische Borniertheit, wenn sie ständig steigenden Anforderungen mit bloßer „Autoritätengläubigkeit und Lernwut“ zu begegnen trachten, anstatt sie als Angebot der „Freiheit des Lernens anzunehmen“, die weit mehr von ihnen verlangt: „Dies bedeutet für den Einzelnen weithin auch Selbsterziehung. Sie ist als Mitverantwortung umso ernster zu fordern, als die Verschulung des Studienbetriebs einerseits und das Ringen der Universität um den Wandel ihres Gefüges andererseits jeden unmittelbar aufrufen, lebendig mitzuwirken, wenn er noch daran glaubt, daß es der Geist ist, der den Körper baut.“ I/17) Ist der Neuling aber nicht fähig, den Zwang der Studienanforderungen als Hilfe zur Entfaltung seiner „Lernfreiheit“ zu deuten und entsprechend ,,verantwortlich“ sich darauf einzustellen, ist er also der akademischen Freiheitsfreuden nicht würdig, die allenfalls noch in den hehren Kreisen von Oberseminaren anzutreffen sind, wo man priva- et gratissime(1) noch eine echte Gemeinschaft von Lehrenden und Forschenden bildet, so ist es „schon besser, durch sachliche Anleitung den Studenten zur Freiheit zu zwingen, als ihm den Weg in die Unfreiheit freizugeben.“(I/11) Was sich moderner und studentennäher auch so vorbringen läßt, daß man niemanden zur blinden Erfüllung akademischer Anforderungen zwingen wolle und könne, zumal die heutige „Verschulung“ (Heuchler!) für einen jungen Menschen kaum auszuhalten und gar nicht fröhlich sei, woran man „leider“ wenig ändern „könne“ (meint: wolle!), weswegen man aber empfehlen könne, sich die fehlende Freiheit neben der Erfüllung des Lehrplansolls im fröhlichen Selbststudium zu verschaffen, was auch dem Examen unbedingt zugutekommt, für dessen Bewältigung „Angst“ (die man immer gerade bei ihm nicht haben muß) die schlechteste, der Besuch der psychotherapeutischen Beratungsstellen deshalb gegebenenfalls aber eine günstige Voraussetzung sei. Nicht das Studium, das den Studenten mit einer Latte von Beschimpfungen empfängt, die mit erfrischender Offenheit Selbstzucht und akademischen „Sachzwang“ als die ihm adäquate Hilfe propagieren, ist – so gesehen – die Zumutung, sondern der Anfänger ist sie für die Wissenschaft: So zwingt er die Wissenschaft in die Niederungen seines beschränkten Horizonts hinabzusteigen. „Einführungen in eine Wissenschaft gehören immer zu den schwierigsten didaktischen Aufgaben des wissenschaftlichen Lehrens. Sie müssen einerseits aus einer Fülle von wissenschaftlichen Daten und Zusammenhängen eine für den Anfänger verständliche Ordnung bieten, andererseits sich aber zugleich auf den Verständnishorizont eines Studienanfängers sowohl sprachlich wie sachlich einzustellen vermögen.“ (II/9) Die dem Studienanfänger vorgetragene Selbstbeweihräucherung der von Verantwortung ihnen gegenüber geplagten und von den didaktischen Anforderungen gequälten Professoren helfen natürlich dem Studienanfänger ganz enorm. Erfährt er doch von den Eingeweihten nicht nur, daß sie ihn für beschränkt halten, sondern zugleich die zweifelhafte Anerkennung, daß sie ihn immerhin für fähig halten, zumindest diese Tatsache und die enorme, wissenschaftliche Leistung einzusehen, die sie den studentenfreundlichen Koryphäen aufbürdet, nämlich kunstvoll primitiv zu sein. Was sie dann in der Fortführung ihrer Schelte auch hemmungslos sind: Der studentische Frischling, der – unbedarft, wie er ist – glaubt, schon was zu können oder zu wissen und damit die Wissenschaft behelligen will, erfährt von Seiten der ihn einführenden Profis beleidigt aggressive Ablehnung. Er muß sich „festgefahrener Vorstellungen und Vormeinungen“ schimpfen lassen, die „immer von Vorurteilen, Ideologisierungen und Fehlsichten durchsetzt“ sind. Da wird kein Wort der inhaltlichen Widerlegung seiner Vorstellungen laut, sondern wild aus allen Rohren gegen den Anspruch, überhaupt schon was wissen zu wollen, gefeuert. Besser er wäre gleich dumm geblieben: „Einmal festgelegte Vorstellungen in einer so wichtigen Sache zu korrigieren, zu beseitigen oder zu verändern, ist aber immer schwieriger als vom »Nullpunkt« her richtige Vorstellungen aufzubauen.“ (H/9) Mit dieser Lüge bekundet die Wissenschaftlerbrut alles andere als ein brennendes Interesse an der Ausräumung falscher Vorstellungen. Sie träumt davon, den Studenten wie eine tabula rasa zu behandeln, in deren widerstandsloses Wachs sie ihre Ideologien ritzen können.
Hat man so dem Hochschulneuling reingewürgt, daß seine Blödheit wie auch Vermessenheit es sind, die es der Wissenschaft schwer machen, ihn überhaupt unter ihre Fittiche zu nehmen und erst recht dem Schreiber eines Einführungsbuches das letzte an menschenfreundlicher Überwindungskraft abverlangen, so gilt es auch mit allem verfehlten Anspruchsdenken an die Wissenschaft aufzuräumen. In den naiven Hirnen von Studienanfängern nämlich grassiert noch immer das Mißverständnis, in der Wissenschaft gehe es schlicht und einfach um die Erklärung ihres Gegenstandes: „Der Leser einer Einführung wird erwarten, daß er zunächst etwas erfährt über die Sache, in die er eingeführt werden will. Was ist Geschichte? So wird er fragen. Genauso wie dem Studenten alles, was er bisher über die Welt zu wissen glaubte und als „selbstverständlich ansah“ schlechthin als Hindernis für wissenschaftliches Forschen vorzuhalten ist, wird ihm auch die Illusion schleunigst aus dem Kopf geschlagen, er könne es sich in der Wissenschaft auf dem Sofa gesicherter Erkenntnisse bequem machen. Hier gibt es „nichts »Leichtes«. Wo immer man anfängt – sofort haben wir es mit komplizierten, komplexen Zusammenhängen zu tun ... stößt man auf ein schier undurchdringliches Dickicht von Zusammenhängen, Daten und Strukturen.“ (11/10) Noch bevor der Student Zugang zu wissenschaftlicher Betätigung erhält, muß er sich hinter die Ohren schreiben, daß es sich bei diesem Geschäft um kein Zuckerschlecken handelt. Sicher ist nur eins – so wird ihm eingebleut –, daß es in einer „sich wandelnden und durch weiträumige Beziehungen gekennzeichneten Gesellschaft“ keine Sicherheit gibt. „Der Studienanfänger, für den dieses Buch geschrieben ist, soll also von vornherein in die Schwierigkeiten unserer Disziplin eingeführt werden und nicht in falsche Gewissheiten.“ (II/14) Die Vorschrift, daß Wissenschaft nie die Erkenntnis ihres Gegenstands wohl aber das unbegrenzte Aufdecken „komplexer Zusammenhänge“ und ständig neuer ,,Probleme“ zuwege bringen könne, macht dem Anfänger die Trostlosigkeit der sich ihm so eröffnenden „Dickicht“-Perspektive mittels der entwaffnenden Ehrlichkeit eines wissenschaftlichen Insiders schmackhaft, der von Anfang an nichts anderes im Sinn hat, als den orientierungslosen Neuling vor frustrierenden Fehlerwartungen zu behüten. So wird dem angehenden Studiosus mit dem Impetus der Bescheidenheit verklickert, daß er – der geistige Winzling – gefälligst in Ehrfurcht vor der professoralen Verfabelung der Welt in unlösbare Probleme (was sie an brutalen Lösungen sogenannter Erziehungs- und anderer Probleme durchaus nicht hindert; im Gegenteil, wie man sieht, die rechte Einstellung dafür ist) zu ersterben. Er hat sich gefälligst vor Gewißheiten zu hüten und erhält zugleich die Lehre erteilt, daß die Verpflichtung auf jene komplizierte Weltsicht, die das Verbot, an einem Gedanken festzuhalten, einschließt, das eigentlich Tolle an der ganzen Sache ist, denn nur so wird „von Anfang an sein kritisches Nachdenken und seine kritische Phantasie angesprochen.“ (11/14) Wenn er sich also bisher als ,,Einführung in das Studium“ nur Unverschämtheiten bieten lassen mußte, so diente das einzig und allein dem Zweck, ihm klar zu machen, daß er es ist, auf den es ankommt. Die Zumutungen, die das Studium für ihn bereithält, hat er als Leistungsanreiz, sich die nötigen Voraussetzungen zu ihrer Bewältigung anzueignen, zu verstehen.
Und diese bestehen zu allererst darin, sich das richtige Verhältnis zu seiner jeweiligen Fachwissenschaft anzueignen. Nachdem der Leser einschlägiger Studieneinführungen den ihm meist schon im Vorwort vorgesetzten Brocken, daß es sich bei ihm aufgrund von Blödheit, Voreingenommenheit und verfehltem Anspruchsdenken um ein einziges .Hindernis fürs Wissenschaftstreiben handelt, geschluckt hat, wird er nun auf die nächste Etappe des Trimmpfads gehetzt. Hier heißt es zuerst einmal „eine Wendung zu vollziehen“, die deshalb unerläßlich wird, weil seine Wissenschaft „zu den Bereichen (gehört) die eine völlig neue Einstellung bedingen.“ (IV/1) – Demnach soll der Einsteiger in die Pädagogik, nachdem er sein Hirn von allen „festgelegten Vorstellungen“ gesäubert hat, sich „das eigentliche pädagogische Denken“ verpassen, um überhaupt „das Pädagogische als ein wissenschaftlich erfassbares Problem zu sehen“. Und dafür muß er sich schon einiges antun, denn „der Weg bis zu diesem Verhalten ist ein weiter und schwieriger „ (IV/1). – Wer einmal auf „die Bahn des Historikers“ geraten ist, braucht als Sonderfahrkarte eine ihm ureigenste „Betrachtungsweise“ Ab jetzt nämlich „begründet er sein Weltbild geschichtlich“. – Genauso soll der Anfänger in Psychologie „dazu ermutigt werden, in jeglicher unreduzierter Wirklichkeit menschlichen Verhaltens und Erlebens selbständig Ansatzmöglichkeiten für spezifisch psychologische Problemstellungen „zu finden“. – Und hat erst der „Neuling auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft“ „die Hauptschwierigkeit“ für sein Unvermögen, „die Sprache objektiv betrachten zu können“ darin zu entdecken gelernt, daß er sprechen kann, so ist auch er vorurteilsfrei für „die ganz besondere Anstrengung“ prädestiniert, „vertraute Gegebenheiten mit den neuen Augen“ seiner Wissenschaft zu sehen. – Nicht zuletzt braucht der Soziologielehrling eine ganz spezifische „Sichtweise“, die es ihm gestattet, sich aus dem von „Fehlsichten“ durchsetzten Pfuhl der „Primärerfahrungen“ zu befreien und zu einer ganz „neuen Schicht von Erscheinungen“, nämlich von „soziologisch relevanten Erscheinungen“ vorzustoßen. Noch jede wissenschaftliche Disziplin verlangt dem Studenten als Vorbedingung, um überhaupt ins geisteswissenschaftliche Getriebe Einlaß zu bekommen, die Anerkennung der grundsätzlichen Spielregel ab, sich vorbehaltlos auf ihre besondere „Denk“- und „Sichtweise“ einzulassen, verpflichtet ihn also darauf, die ganze Welt vom Standpunkt seiner Wissenschaft aus zu betrachten. Und zwar nur von ihm, was die ganze Schwierigkeit für einen in mannigfachen Betrachtungsweisen geübten „gesunden Menschenverstand“ ausmacht.
Der gelehrige Jungpädagoge erfährt so beispielsweise, daß er den beschwerlichen Weg bis zum „eigentlichen pädagogischen Denken“ dann ein gutes Stück vorangekommen ist, wenn er sich nicht fragt, was es mit der Erziehung auf sich hat, sondern davon ausgeht, daß es sie gibt, „daß der Mensch wie jedes Lebewesen geboren wird und stirbt und daß er zwischen diesen beiden Grenzpunkten seines Lebens eine Entwicklung durchläuft, an der Erziehung und Lernen offensichtlich maßgeblichen Anteil haben.“ (11/27) Erziehung gehört zum Leben und deshalb muß es sie so, wie es sie gibt, auch geben, lautet der als „fundamental“ verkündete „Tatbestand“. Zumal Erziehung ja der Natur des Menschen entspricht. Denn hat der Student erst einmal gelernt, mit pädagogischem Spürsinn den Menschen als „extrauterine Frühgeburt“ zu entdecken, die beim Erblicken des Lichts der Welt – instinktlos wie sie ist – nichts zu bieten hat, als Geplärre und In-die-Hosen-Scheißen und somit absolut defizitär in der Ecke der „soziokulturellen Umwelt“ rumliegt, so darf er schon die nächste Strophe des pädagogischen Glaubensbekenntnisses mitsingen: „Wir Pädagogen betrachten den Menschen als ein Wesen, das erst durch Lernen zum Menschen wird.“ (II/47) Soweit macht es dem Einzuführenden auch keine allzu großen Schwierigkeiten mehr, (falls doch, nutzt's ihm auch nichts), sich mit dem „das Pädagogische“ professionell handhabenden Schreiberling darauf zu einigen, daß unter Lernen „zunächst eine Form von Anpassung an die jeweils vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse, Normen kulturellen und sozialen Ansprüche“ (II/47) zu verstehen ist, für die das am „Grenzpunkt“ des Geborenwerdens stehende ,,Wesen“ deshalb prädestiniert ist, weil es gerade wegen seines Mangels an angeborener Umweltanpassung „von Natur aus“ den Vorteil aufweist, „umweltoffen“ und „lernfähig“ zu sein – den Pädagogen also geradezu herausfordert, seine Individualität auf die gesellschafts- = menschgerechte Passform zuzuschneidern. Daß er über das für die Pädagogik unabdingbare „Verhalten“ verfügt, sich also ihr ,,Menschenbild“, das die existente Erziehung als die der menschlichen Natur entsprechende überhaupt propagiert, zueigen gemacht hat, darf der Wissenschaftsneuling unter Beweis stellen, indem er sich vorbehaltlos auf Fragestellungen einschwören läßt, die nichts anderes mehr zum Inhalt haben, als die Problematisierung der effektivsten Weisen der Zurichtung auf die vorgegebenen gesellschaftlichen Zwecke: „Unter welchen äußeren Bedingungen wird optimal gelernt? Welche äußeren Umstände reizen zum Lernen? Was garantiert am besten den Lernerfolg? Lob oder Tadel?“ etc. etc. Fragestellungen, die für die „Wechselfälle der pädagogischen Kleinarbeit“ des künftigen Lehrerberufs der so gedrillten Studenten zweifellos die „nötige Kraft“ vermitteln, da ihre Beantwortung, wenn schon „niemals eindeutige Rezepte für die Praxis“, so doch mit Sicherheit immer eins zutage fördert: die Anerkennung des gewalttätigen Geschäfts der mit dem Leistungsvergleich betriebenen Verteilung des Schülermaterials auf die Hierarchie der Berufe als staatsnützliche „pädagogische Gesamtaufgabe“, die jedem den Platz in der „industriellen Gesellschaft“ zuweist, der ihm zukommt; denn da wir nun einmal „in einer durch Leistung bestimmten Gesellschaft leben, würde man letztlich niemandem einen Gefallen tun, wenn man ihm zuwenig Ansprüche vorsetzte.“ (H/49) Mit seinen so bescheiden vorgetragenen Definitionen, die er sich trotz der „Komplexität der Probleme“ zutraut: „Wir gehen davon aus, daß die Probleme mit denen wir es zu tun haben, uns vorgegeben sind und daß war sie uns nicht aussuchen können.“ (11/14) legt der Pädagoge sein Jungvolk darauf fest, sich von der Erklärung seines Gegenstandes ab- und Fragen nach der funktionsgerechten Anwendung erzieherischer Maßnahmen sowie der Einsicht zuzuwenden, daß jeder „pädagogische Akt einmalig“ ist und deswegen in seine „Selbstverantwortlichkeit“ fällt, in jedem „Einzelfall“ die unvernünftigen, lernunwilligen Schulwürmer niederzubügeln. Womit er auch schon in der gebotenen Primitivität – und damit schnörkellosen Offenheit – alles ausgeplaudert hat, was seine Wissenschaft an Erkenntnissen zu bieten hat und wofür sie taugen.
Ebenso richtet sich auch die „Ermutigung“ des Psycho-Einführers darauf, seine Sprösslinge zu solch zweckgerichtetem Umdenken zu bringen. Besteht doch, wie der ins Reich der Wissenschaft drängende Amateurpsychologe erfährt, das „Spezifische psychologischer Problemstellungen“ darin, alles, was auf der Welt passiert, unter dem Gesichtspunkt des „sich verhaltenden Individuums“ zu beurteilen und somit auch hinter jeder gesellschaftlichen Disfunktionalität das Individuum mit seinem sich gegen die gesellschaftlichen Notwendigkeiten sträubenden Eigensinn als Störenfried zu entdecken. Als hoffnungsvoller Aspirant seines Fachs erweist sich der Student dann, wenn er das Kunststück beherrscht, alle sich ihm stellenden Probleme in solche der Einstellung der Leute zu verwandeln, und hinfort sein ganzes Gehirnschmalz der Frage zu widmen, wie die Gesellschaft dadurch erhalten werden kann, daß man die Individualität den gesellschaftlichen Zwängen gefügig macht, wozu er eventuell noch vorhandene Illusionen über die Hilfe, die er den Mitmenschen angedeihen lassen könnte, schleunigst abzulegen hat.
Auch der Historiker hat, wenn er sein ,,Weltbild“ propagiert, nichts anderes im Sinn, als den Anfänger darauf zu trimmen, daß seine spezielle „rückwärtsgewandte Blickrichtung die Chance bietet, das naive Selbstverständnis der gegenwärtigen Zeit aufzuheben und durch Konfrontation mit Gesellschaften anderer Epochen die aktuellen Probleme in eine richtige Perspektive zu bringen.“ (V/15) Der Vorteil dieser „Betrachtungsweise“ liegt auf der Hand: alle gesellschaftlichen Ereignisse werden – nach dem Motto: „um das Gegenwärtige zu erkennen, muß man sich zunächst von ihm abwenden“ – als gewordene identifiziert und mit dem Hinweis auf die zeitliche Bedingtheit alles menschlichen Handelns ist auch schon seine Notwendigkeit und Unveränderbarkeit nachgewiesen. „Die richtige Perspektive“, derer sich der Geschichtsmensch gegenüber den Fachneulingen brüstet, um sie zum Nacheifern aufzustacheln, liegt also darin, den höheren Wert der Vergangenheit in ihrem Charakter als Vorformen des Existierenden zu ermessen und damit die gegenwärtige Staatsgewalt als das Telos der Geschichte zu feiern. Der „historisch Gebildete“ ist demnach einer, den „das Erlebnis der Vergangenheit ... verantwortungsbewußt für die Zukunft wirken (läßt).“ (1/10) Schließlich muß auch jene Gilde von Politologen, die im Rahmen ihrer „kritischen Theorie“ den konservativen Vertretern ihrer Wissenschaft den vernichtenden Vorwurf der „Verengung der politischen Begriffe“ macht, um den Studenten für die „Eigenart“ ihrer „Konzeption“ der „gedanklichen Antizipation einer befreiten Gesellschaft“ einzunehmen, ihre Schüler vor dem völlig fehlgeleiteten Verdacht warnen, es ginge um die Unterminierung des Vertrauens in den Staat. Ganz im Gegenteil! – Wenn linke Politologen als Konsequenz aus der Kritik an ihren konservativen Kollegen, daß „ihr Denken auf die existente politisch-soziale Herrschaft fixiert“ bleibe, die Vorschrift drechseln, „im Besonderen der Gegenwart“ müsse immer auch „das Allgemeine einer vernunftgemäßen Gesellschaft gedacht“ werden, so sind sie sich im Entwerfen von „Begriffen“, „Verständnissen“ und „Konzeptionen“ nicht nur mit ihren Kumpanen aus der anderen Ecke der Politologie, sondern mit allen Vertretern der geisteswissenschaftlichen Disziplinen darin einig, daß es nicht darum geht, über ihren Gegenstand etwas herauszubekommen, sondern den jungen Studiosi vor jeder Wissenschaft das richtige Verhältnis zu ihr einzutrichtern. Nicht die Praxis des Staats steht zur Debatte, wenn die kritische Variante der wissenschaftlichen Staatsagitatoren mit falschen Aussagen über den Staat für ihren Standpunkt Werbung betreibt, sondern wie sich der Staat am besten der Bürger für seine Selbsterhaltung bedienen könne. Als die effektivere Weise der Staatsbefürwortung postuliert sie eine Einstellung, die nicht umstandslos die Unterwerfung unter die Staatsgewalt predigt, sondern bei ihrem Einsatz für die Funktionsfähigkeit des Staats immer „kritisch“ dessen Ideale „mitdenkt“. An demjenigen, der auf das Wissenschaftstreiben eingestimmt werden soll (und der ganze erste Teil des Studiums besteht in der Einführung in das jeweilige Studium) offenbart die Wissenschaft, die sich programmatisch vorstellt, was sie vorstellt: eine Veranstaltung, die dazu da ist, eine Einstellung zu den Sorgen der gesellschaftlichen Institution zu vermitteln, der noch jeder – in seinem eigenen Interesse, versteht sich – zu dienen hat, – und zwar die richtige Einstellung. Und wenn die methodischen Reflexionen über Erstsemester und Wissenschaftsprobleme mit den Erstsemestern noch stets dazu fortschreiten, den jeweiligen »Gegenstand« vorzustellen, um die Studenten zu einer entsprechenden Haltung ihm gegenüber zwangszuverpflichten, dann hat sich die Wissenschaft damit auf den Begriff gebracht: sie ist moralische Unterweisung, freilich eine, die erst gelernt sein will, und bei deren Erlernung der Staat gleich dafür sorgt, daß der Moralapostel nur soviele werden, wie er gebrauchen möchte.
Das Erstsemester, das sich die in allen Einführungsschriften schwerpunktmäßig behandelte Drohung, daß es nur dann auf dem Boden seiner Wissenschaft stehe und für sie reif sei, wenn es sich auf ihre staatsnützlichen Fragestellungen einlasse, zu Herzen genommen hat, muß deshalb diese Nützlichkeit auch an sich selbst unter Beweis stellen und sich erst einmal das seinem Verstand antunlassen, was er dann – so er es durchsteht und eine Anstellung bekommt – anderen antun darf. Schleimige Sätze folgender Art: „Wir wagen den Verdacht, daß die vermeintlich geringen Anforderungen an die »Intelligenz« und den Fleiß einige Abiturienten zur Wahl des Fachs ... verleiten“ werden mit der Sicherheit ausgesprochen, daß verschärfte Studienbedingungen und -anforderungen den Studenten schon dazu zwingen, im Gerangel mit seinen Mitkonkurrenten auf Teufel-komm-raus ranzuklotzen oder sein Studium gleich an den Nagel zu hängen. Auch hier hat sich der Anfänger schleunigst umzuorientieren; denn wie bei seiner Wissenschaft handelt es sich auch beim Aushalten der Studienzwänge einzig um die Frage, ob er sich die richtige Haltung dazu antrimmt. Wehleidigkeit oder gar Motzerei sind hier ganz fehl am Platz – dafür geht's den heutigen Studenten noch viel zu gut! „Meine Generation kann und will jene Jahre jedoch nicht vergessen, in denen sie materiell zwar arm und nach allem hungrig, in der gemeinsamen Anstrengung aber glücklich war.“ (1/9) Anstrengen muß er sich, der Student, und jede Schweinerei, die ihm angetan wird, als Angebot, endlich einmal seine Belastbarkeit demonstrieren zu dürfen, begrüßen. Hat er das gefressen, so wird ihm auch Wieder geholfen. Darin nämlich, sich die nötige Technik für die Unterwerfung unter die an ihn gestellten Anforderungen zu verschaffen. Unter dem reaktionären Leitsatz, der Arbeit schlechthin als Selbstverwirklichung des Menschen ästhetisiert „Wir wissen: jeder Tätigkeit gibt der Rhythmus leichteren Lauf. Klingend läßt der Schmied den Hammer zwischen den Hauptschlägen auf dem Amboß spielen, wir fühlen den stampfenden Takt stoßender Kolben. So hat auch geistige Arbeit einen eigenen Rhythmus, der feiner sein wird als der mechanische.“ (1/17) öffnet der Lehrmeister für den Studenten, der die richtige Arbeitsmoral besitzt, seinen wissenschaftlichen Werkzeugkasten und händigt ihm jene (feinmechanischen) Werkzeuge – wie Quellenkunde, Bibliographieren, Registrieren, Interpretieren, Zitieren, usw. usw. – zur „rhythmischen“ Handhabung aus. Da es im Leben nun einmal hart hergeht und noch keinem was geschenkt worden ist, muß man sich eben darauf einstellen, lautet die simple Moral, gemäß der dem Anfänger verständnisvolle Ratschläge, wie er seine Zurichtung eigeninitiativ leisten kann, erteilt werden. Nur wenn er den Trick raushat, die richtige Anzahl von Vorlesungen und Seminaren (die, auf die's ankommt!) zu belegen, sich die dort verkündeten Gemeinheiten durch „Nacharbeiten mittels Fachliteratur“ auch noch in die letzten Gehirnwindungen zu stopfen, Pausen „schöpferisch zu nutzen“, möglichst viel in Bibliotheken zu hocken usw., hat er eine Chance, im harten Konkurrenzkampf um die begrenzte Anzahl besser dotierter Arbeitsplätze einen Stich gegen seine lieben Kommilitonen zu machen. Weil aber alles (mindestens) seine zwei Seiten hat, gibt es auch bei den professionellen Trimm- Lehrern in Sachen Studium eine Spezies, die dieses umstandslose Sich-Einstellen auf die Verschärfung der Leistungskonkurrenz an den Hochschulen als „egoistisches Scheuklappenstudium“ beschimpft (siehe auch MSZ 21/1977 „Studienberatung der neuen Studentenbewegung“). Ihr Programm des „solidarischen Lernens“ nimmt die Zwänge der Ausbildung zum Anlaß, um – mit der Lüge, es handle sich dabei um ein Problem von „Anonymität“ und „Isolation“ und somit um eine Frage des Sich-Zusammen-Tuns – den geplagten Studenten endgültig zur Sau zu machen. Was ihm als Weg zum repressionsfreien Studium verkauft wird, endet in der „Gruppe“, wo mit dem Ideal der „Solidarität“ brutal aufeinander losgedroschen wird, damit er das schafft, was sein Interesse an der ganzen Veranstaltung ist, nämlich sich Konkurrenzvorteile gegen seine Rivalen zu verschaffen. So setzt jeder im solidarischen Gegeneinander am anderen die Tugend durch, auf die es – und darin sind sich wieder alle Sorten von Studieneinführern einig – zur Bewältigung (nicht nur!) des Studiums ankommt: Auf daß – wie es der Präsident der größten bundesdeutschen Hochschule in seiner Art so unverwechselbar formulierte – am betroffenen Studenten endgültig der Einsicht zum Durchbruch verholfen werde, daß „Krisen und Einschränkungen als Herausforderung zu Fleiß anzunehmen (sind), anstatt wehleidig kreischende Demonstrationen zu veranstalten.“
________________________________________ (1) privatissime et gratissime – im vertraulichen Kreis und höchst angenehm
aus: MSZ 22 – April 1978 |