Neue Wege der Entwicklungshilfe: Die Ökonomisierung der Armut
„die Vorurteile der Bevölkerung gegenüber Entwicklungshilfe abzubauen. Denn es hat in einer umfangreichen Studie festgestellt, daß Vorurteile und Mißtrauen weit verbreitet sind und tiefsitzen bei vielen unserer Mitbürger.“ (Berliner Stimme, 15.10,77) So wird in einer dieser Anzeigen, die auf Zweiseitenformat erscheinen, die Vorstellung zerstört, daß die Neger sich von den Entwicklungshilfegeldern goldene Betten kaufen und in gepflegten Parks auf rassigen Rennpferden Polo spielen. Das BMWZ weist diese Kritik entschieden zurück: „Das stimmt ganz und gar nicht. Für goldene Betten und dicke Autos gibt es keine Entwicklungshilfe“ (Anzeige: Sind das die armen Neger …?) und versichert glaubhaft, daß die Vergabe einer jeden Mark und ihre Verwendung der Kontrolle des BMWZ unterliegt, schließlich ist „Entwicklungshilfe ... keine humanitäre Gefühlsduselei. ... sie dient unseren eigenen Interessen.“ (Anzeige: Helfen wir der Wirtschaft der Dritten Welt, damit sie unsere eigene kaputtmacht?) Bei der Aufzählung dessen, was einem Entwicklungsland „wirklich hilft“, kommen lauter Vorteile für die BRD raus: 1/4 der Exporte der BRD gehen in die Entwicklungsländer, die Kredite fließen als Aufträge ins Land zurück und bringen der BRD 1 Mio Arbeitsplätze ein – was eine Lüge ist, investiert doch das Kapital in den Entwicklungsländern, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind als hier. Und darüber, daß die Kredite großenteils nicht zurückgezahlt werden, macht sich der Staat keine allzu großen Sorgen: sorgt doch die Verschuldung gegenüber dem Imperialismus für die bleibende Abhängigkeit der Schuldner und Steuergelder, die vielleicht nie mehr an den BRD-Staat zurückfließen, erreichen dennoch den vorgesehenen Adressaten, das westdeutsche Kapital, das so neben den direkten Subventionen auch noch über die Aufträge aus der „Dritten Welt“ vermittelte Zuwendungen aus dem Haushalt einstreicht. Und mit dieser Entwicklungshilfe wird neben der Sicherstellung der Rohstoffzufuhr eine ,,Arbeitsteilung zum Nutzen aller“ installiert, an der Marie Schlei ihre helle Freude hat, „Unsere Wirtschaft nutzt ihre Chance, die Branchen auszubauen, in denen es auf technisches Wissen und besondere Qualitätsarbeit ankommt,“ (Entwicklungshilfe. Durch Partnerschaft Probleme lösen. Hrsg. BMWZ. Im folg. zit. als 1) während die Entwicklungsländer mit einfacher Arbeit und billiger Arbeitskraft die anderen Branchen unterstützen und damit einen Beitrag zum Ausbau der Stellung der BRD auf dem Weltmarkt leisten: „Heute gibt es bereits Beispiele dafür, daß Betriebe Arbeitsplätze und Marktanteile sichern konnten, weil sie Teile ihrer Produktion in Entwicklungsländern anfertigen ließen.“ (1) S. 13
Wenn die Regierung hierzulande ihren Bürgern die Notwendigkeit von Entwicklungshilfe nahezubringen versucht, so weiß sie sehr wohl, daß von ihrer Zustimmung der künftige Erfolg der Entwicklungspolitik nicht abhängig ist. Wenn die Bundesregierung dennoch einen Werbefeldzug für Entwicklungshilfe veranstaltet, so deswegen, weil dies dem weiteren Erfolg der Regierungsparteien zuträglich ist, wenn man dem Wähler klarmacht, daß die Gelder für die Neger letztlich nicht den Schwarzen und ihrem Wohlbefinden gelten, sondern eindeutig dasjenige ,,unserer Wirtschaft“ befördern und unserem Staat die internationale Stellung erhalten bzw. ausbauen, die er braucht, damit seiner Wirtschaft keine Grenzen gesetzt sind. Egon Bahr, der es verstand, die gewinnbringende Erschließung des Ostblocks für das BRD- Kapital gramzerfurchten Gesichts als „Ringen um Frieden und Verständigung“ glaubhaft darzustellen, hat es so leicht, anklagend den moralischen Zeigefinger gegen den Egoismus der Bundesbürger zu schwingen, und ihnen staatsmännisch klarzumachen, daß Humanität für die Neger Vorraussetzung des Geschäfts mit ihnen ist: „Menschen, die in einer verzweifelten Lage sind und um ihre physische Existenz kämpfen, die sehen, daß die Reichen unter immer neuen fadenscheinigen Gründen ablehnen, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich für die Mehrheit der Menschheit eine sinnvolle Perspektive ergibt, müssen in Gefahr sein, emotional zu reagieren …“ ohne dabei jedoch zu verheimlichen, was ihn wirklich rührt: „zu bewundern ist die Geduld, mit der diese Länder ihre Bitten, Wünsche und Forderungen vortragen. Aber die Zeichen mehren sich, daß diese Geduld begrenzt ist.“ (FR, 13.3.77) Bahrs Sorge gilt dem Elend der Bevölkerung in den Hungerländern einzig und allein deswegen, weil er darin eine Gefahr sieht für die staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Elend fortlaufend produzieren und so profitabel machen für den Imperialismus. Geld will er springen lassen, damit diese Staaten weiterhin Ausbeutungsobjekt bleiben und die dafür fließenden Millionen streicht er als humanitäre Hilfe für eine Not heraus, die diesen Menschen naturgegeben sei, genauso, wie die Geduld, mit der sie sie ertragen. Die winzige wirkliche Sorge, die ministeriale Heuchler dieses Schlages beschäftigt, diejenige nämlich, daß die „Verdammten dieser Erde“ ihre Geduld verlieren könnten, verwandeln sie in die Agitation für Maßnahmen, es dahin nicht kommen zu lassen: „Die Länder der Dritten Welt fühlen sich benachteiligt, sie finden die Weltwirtschaftsordnung, so wie sie jetzt ist, ungerecht. Mit Recht. Denn sie müssen 2/3 der Erdbevölkerung ernähren, haben dafür aber nur 1/5 des Welteinkommens zur Verfügung. Wir, die reiche Bundesrepublik, stehen deshalb logischerweise zusammen mit den anderen reichen Industrieländern für die Entwicklungsländer »auf der einen Seite«. Und das wird sich nur ändern, wenn wir mithelfen, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu schaffen. Sonst bleibt ihnen eines Tages nur noch die Gewalt.“ (Anzeige: Zahlen wir den Entwicklungsländern …?)
Daß Bahr und mit ihm die gesamte Bundesregierung keine Angst davor haben, daß die „Dritte-Welt-Länder“ eines Tages in Europa und in den USA einmarschieren, liegt auf der Hand. Sie befürchten vielmehr, daß der Unmut der ausgebeuteten und ausgehungerten Bevölkerung Befreiungsbewegungen aufkommen läßt, die – unterstützt von der SU – sich der bedingungslosen Ausbeutung ihres Landes widersetzen, und so mit ihren Forderungen die Rentabilität der bereits getätigten Investitionen gefährden. Den Befreiungsbewegungen muß also das Wasser abgegraben werden, damit Entwicklungshilfe nicht nur zur Sicherung der Grenzen oder zur Niederhaltung meuternder Massen ausgegeben werden muß wie etwa in Botswana: „Der drohende Konflikt im südlichen Afrika trifft Botswana unmittelbar und, wie es scheint auch unvorbereitet. Eine der Konsequenzen nannte unverblümt Botswanas Vizepräsident und Finanzminister … Die Regierung von Botswana muß die öffentlichen Mittel, die für Entwicklungsprojekte bestimmt waren, jetzt abziehen und in die »Police Mobile Units« stecken, eine paramilitärische Polizei, die in Botswana die Armee ersetzt.“ (Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. So sieht die Praxis aus. Hrsg. BMWZ. Im folg. zit, als 4) Angesichts solcher Probleme fällt einem Minister aus Bonn ein, wie seiner Zeit das Deutsche Reich sein Ausbeutungsmaterial befriedet und zu mehr Freude an der Arbeit bewegt hat: „Zunehmende Rechte für die Masse der Arbeitenden hat zur Erhöhung der Produktivität, zu mehr Interesse an der Arbeit und zur Abnahme von inneren Spannungen geführt“ (FR, 13.5.77) Was für die zivilisierte Menschheit galt, empfiehlt sich erst recht für die Wilden, wo im Unterschied zu den Metropolen der ,,soziale Friede“ ungleich billiger zu haben ist (im wahrsten Wortsinne für ein Butterbrot und dazu noch ein Schock Nationalbewußtsein, was überhaupt nichts kostet!), weswegen ,,Entwicklungspolitik Friedenspolitik ist“ und selbstkritisch nur noch angemerkt werden muß, daß bislang noch bei weitem nicht alle billigen Möglichkeiten zur Befriedung der Schwarzen, Gelben und Braunen ausgenutzt worden sind. Die Anzeige des BMWZ mit dem Titel „Wieso beklagen sich die Inder über Nahrungsmangel, wo doch ihre Straßen voller Ochsen und Kühe sind?“ soll nicht zu dem einfachen Schluß verführen, die Inder seien selber schuld an ihrem Elend. Vorschläge, wie die Rindviecher einfach zwecks Fleischproduktion abzuschlachten, müssen sich mangelnden Takt vor religiösen Gefühlen vorhalten lassen und auch die Forderung, dem Hunger durch die Überlassung von Nahrungsmitteln abzuhelfen, was so teuer gar nicht wäre, wird fernab von jeder humanitären Gefühlsduselei als ineffektiv zurückgewiesen. Stattdessen propagiert die Bundesregierung die „Hilfe zur Selbsthilfe!“ „Indem wir den armen Ländern helfen, ihre Menschen selbst zu ernähren. Und genau das versucht das BMWZ. Mit unserer Hilfe werden Staudämme gebaut, Bewässerungsanlagen geschaffen. Es werden Gebiete, die brachliegen, für den Ackerbau erschlossen, landwirtschaftliche Geräte, Saatgut und Dünger werden geliefert. Deutsche Experten beraten an Ort und Stelle. Zu dieser Politik der Entwicklungshilfe gibt es keine Alternative: Zwischen den armen Ländern des Südens und den reichen Ländern des Nordens muß es einen Ausgleich geben. Denn auch die Völkergemeinschaft brachte den sozialen Frieden.“ (Anzeige: Wieso beklagen sich die Inder ...?) Das leuchtet jedem Bundesbürger ein: Er zahlt doch keine Steuern dafür, daß die Hungerleider das Geld einfach verfressen und womöglich noch mehr Esser in die Welt setzen. Entwicklungshilfegelder, die zum unmittelbaren Hungerstillen eingesetzt werden – das ist rausgeschmissenes Geld, darüber sind sich die Bürger mit ihrem Staat einig. Und wenn das BMWZ bekundet: „Die Menschen in den Entwicklungsländern wollen nicht, daß wir sie durchfüttern.“ dann hängt es ihnen sein Problem an: es will sein Geld nicht für eine Sache einsetzen, die nichts bringt. „Wirkungsvoller (!) ist es, die Staaten der Dritten Welt in die Lage zu versetzen, die Menschen selbst ernähren zu können.“ (1) S. 7
Wenn das Ministerium die Ziele der Entwicklungspolitik für ein Land wie Niger angibt, läßt es keinen Zweifel darüber, daß es die Folgen des imperialistischen Wirkens (Zerstörung der herkömmlichen Produktionsformen der Bevölkerung, Vertreibung von fruchtbarem Land, usw.) auf dem Rücken der hungernden Massen kompensieren will. „Ziel der Hilfe mußte es sein, betroffene Einwohner von Klimaschwankungen unabhängiger zu machen, verlorenen Lebensraum wenigstens mit einer Minimalgarantie für bessere Existenz wiederzugewinnen und eine spätere Selbstversorgung zu sichern. Vor allem sollten Menschen so schnell wie möglich beschäftigt werden, anstatt weiterhin auf unbestimmte Zeit lethargisch von Almosen zu leben.“ (4) S. 21
Solche Entwicklungshilfe, die sich nicht mit Almosen abgeben will, gibt diese nur, damit möglichst bald kein Geld mehr ausgegeben werden muß. Die „Graswurzelarbeit“ moderner Entwicklungspolitik will in der Tat jede Wurzel dürren Grases erschließen lassen. Das heißt dann „armutsorientierte Entwicklungshilfe“, die überhaupt nichts mehr kostet, sondern die Primitivität als Autonomie in der Beschränktheit lobt und in allen urtümlichen Formen der Produktion, die abgeschafft zu haben der Kapitalismus sich nicht ohne Berechtigung rühmt, den adäquaten Weg für die Menschen entdeckt, die noch nicht reif sind fürs Industriezeitalter, aber der Industrie in den Metropolen nicht zur Last fallen sollen. Den Massen in den Entwicklungsländern beläßt diese Politik das Elend, aber es gibt ihnen die Ehre, sie wenigstens durch Arbeit bestreiten zu können. Stolz berichtet Marie Schlei: „Hier in Iferouane, der nördlichsten, noch bewohnbaren Siedlung Nigers, ist ein neues Konzept der Entwicklungshilfe nachahmenswerte Realität geworden – das arbeitsintensive Projekt.“ (4) Während in der kapitalistischen Ökonomie das Prinzip Ersatz von Arbeit (wenn auch nicht von Arbeitern!(*1)) durch Maschinen gilt, so wird in den Entwicklungsländern das Gegenteil propagiert, denn eins gibt's dort im Überfluß, muß nicht importiert werden und kostet fast nicht: menschliches Arbeitsvieh. So bringt man der dortigen Bevölkerung das Prinzip bei, das die Massen in den Metropolen seit längerem praktizieren, ohne daß dabei auch nur annähernd vergleichbare Kosten und Probleme entstehen: „Eine bestimmte Anzahl von Stunden zu arbeiten, um Anrecht auf Lebensmittel und Geld – eine lächerliche Summe – zu haben.“ (4)
Diese Form der Entwicklungshilfe macht Schule: In Bolivien und im Sudan „wird ein Heer von Arbeitern im Straßenbau beschäftigt, weil man auf Planierraupen und Greifbagger verzichtet. Straßenbau und Landwirtschaft eignen sich besonders zur Schaffung neuer und dringend notwendiger Arbeitsplätze.“ (4) S. 22 Weil jedoch der Einsatz von noch soviel menschlicher Arbeit in vielen Fällen nicht erlaubt, das Existenzminimum zu erwirtschaften, setzen sich Wissenschaftler aus aller Welt zusammen, um die Armen sowohl am Sterben als auch am Leben zu hindern. Das nennt sich dann: „Erarbeitung einer Strategie zur schnellen Lösung der drängenden Probleme der Entwicklungsländer, die in Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Landflucht bestehen und durch die herkömmliche Entwicklungshilfe nicht gelöst werden können.“ (Spandauer Volksblatt, 17.7.77) und überlegt wird dabei, wie die ungebildete aber massenhafte Landbevölkerung durch Einsatz von Billig- (!) und Einfach- (!)Technologie in die Lage versetzt werden kann, ohne Ausbildung die vorhandenen Rohstoffe so zu verarbeiten, daß sie in die Lage versetzt wird, die eigene Not so zu organisieren, daß sie auf niedrigstem Existenzniveau selbstsuffizient dahinvegetieren kann. Dies Ideal teilen übrigens die imperialistischen Entwicklungshelfer mit den maoistischen Freunden der „ Völker der Dritten Welt“: während erstere jedoch mit dem Lob des Mangels die Peripherie des Weltmarkts kostensparend als das erhalten wollen, was sie ist, feiert die chinesische Doktrin des „Auf die eigene Kraft Bauens“ die Handwerkelei mit primitiven Produktivkräften und die darausfolgende Perpetuierung der Not als Reich der Freiheit, weil in ihm ohne „Hegemonie der Supermächte“ gedarbt wird. Nur konsequent erblicken die Ideologen des Kapitals und die Sozialimperialismustheoretiker übereinstimmend in sowjetischen Maschinen und cubanischen Ärzten und Lehrern in Angola eine neue „noch brutalere Form des Kolonialismus“. Hat also diese Form der Entwicklungshilfe nur ein Ziel, nämlich die hungernde Landbevölkerung dazu zu bringen, sich selbst als Unruhefaktor auszuschalten – wobei sie auch nützliche Dienste für den Staat leisten kann (Erhaltung von Nutzland, Straßenbau, usw.) – da versteht sich von selbst, daß eine Schulbildung, die es ihr erlaubte, in Industrie und Verwaltung zu arbeiten, überflüssig ist. Das hat die UNICEF, die es sich zugute hält, zuerst für Mutter und Kind auf den Dreh gekommen zu sein, die „Unterstützung (!) der Ärmsten mit einfachen Mitteln“ zu bewerkstelligen, klar erkannt: „Noch wichtiger als Lesen, Schreiben und Rechnen sind praktische Kenntnisse in Ernährungs-, Gesundheitslehre, Tierhaltung, Hygiene und Hauswirtschaft, Erste Hilfe und Gemeinschaftskunde.“ (SZ, 13,12,76) Die hungernden Menschen werden unter Verweigerung der minimalsten zivilisatorischen Errungenschaften — „Die westliche Methode – akademisch ausgebildete Mediziner ... hat sich längst als für Entwicklungsländer für lange Zeit unrealistische und zutiefst unsozial (!) herausgestellt“ (SZ, 13.12.76) – so zurecht gemacht, daß sie für die Entwicklungsländer als Bevölkerung erhalten bleiben und sich auf primitivster Stufe selbst ernähren können. Als verwaltetes Elend stellen sie so eine Voraussetzung für die Ausbeutung der restlichen – durch Ausbildung entsprechend zugerichteten – Bevölkerung dar.
Mit seiner friedenstiftenden Entwicklungshilfe schafft es der Imperialismus so, einen Teil des von ihm produzierten Elends auf die Entwicklungsländer abzuwälzen. Der größte Teil der Bevölkerung in den Ländern der „Dritten Welt“ fungiert so innerhalb des Gesamtreservoirs ausbeutbarer Arbeitskraft als jenes von Marx im „Kapital“ beschriebene „tote Gewicht der Reservearmee", jener „faux frais der kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch großenteils von sich selbst auf die Schultern der Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß.“ (Kapital Bd. I, S. 673) Das Elend der Massen in den Ländern der „Dritten Welt“ kann ohne große Aufwendungen erhalten werden und es ist zugleich die Bedingung seiner Perpetuierung. Deswegen ist die Aufforderung an die imperialistischen Metropolen, „sich den Problemen der Entwicklungsländer vorurteilsfrei zu stellen“ nichts anderes als die zynische Selbstbestätigung, daß man auch künftighin so mit den Kanaken umspringen kann, wie bisher: „Entwicklung- und Industrieländer müssen einsehen, daß Zusammensetzung und Qualität der Produktion nicht einfach am Modell unserer Überflußgesellschaft zu orientieren sind. Die Entwicklungsländer sind auf Exporte angewiesen, um lebenswichtige Importe zu bezahlen. Sie müssen also Waren anbieten, die der Nachfrage und den Qualitätsmaßstäben der Industrieländer entsprechen, und dies erfordert in der Regel eine standardisierte Produktion mit modernen Maschinen und qualifizierten Fachkräften. Aber für den großen und bisher vernachlässigten Inlandsmarkt müssen Investitionen und Konsumgüter nicht diesem Maßstab entsprechen, sondern die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen,“ (Eppler, E., aus: „Wenig Zeit für die Dritte Welt“) Die Negerbevölkerung ist schließlich nicht der Markt für die Industriestaaten, sondern sie wird durch den Imperialismus ebenso erhalten, wie er ihr Elend geschaffen hat. Die Dreckarbeit, die zumindest einigen Negern westlichen Lebensstandard verschafft, nimmt ihm dabei die einheimische Kompradorenbourgeoisie ab, die sich der Staatsgeschäfte annimmt und auch die Geschäfte größtenteils in „nationaler Verantwortung“ verwaltet.
Wie der Imperialismus zweigleisig seine Elendslager erhält bzw. niederhält, profitträchtige Investitionen einerseits, humanitäre Hilfe zur Einsparung allzuvieler Hungertoter andererseits, kommt ihm auch die institutionelle Aufteilung des Beackerns der „Dritten Welt“ nicht ungelegen. Während die Bundesregierung dem Kapital die Wege bahnt, sorgt sich die Kirche um die Hungernden und schickt als Zugabe zum „Brot für die Welt“ auch noch den Durstenden „die Wahrheit des Herrn“. Kardinal Ratzinger sieht in den Hilfsmaßnahmen seiner Kirche den „gelebten Beweis für eine Glaubenseinstellung, derzufolge alle Geschöpfe des Schöpfergottes ohne Rücksicht auf Rasse und Stand gleichberechtigte Brüder sind. Entsprechend müssen sie die Güter des Lebens sinnvoll (!) miteinander teilen.“ (SZ, 17.9.77) Diesem Appell der Kirche an die Moral bzw. den Geldbeutel ihrer Gläubigen kann der Staat einiges Wohlgefallen abgewinnen, nimmt ihm die Kirche doch damit einen Teil der Aufgabe ab, die ihm nur Kosten und sonst nichts einbringt. Auf der einen Seite fordern die Bundesbürger – dies der Anlaß der BMWZ-Anzeigen – von ihrem Staat einen ökonomisch nutzbringenden Umgang mit Steuergeldern, auf der anderen machen sie sich ein Gewissen aus der Not der armen nackten Heidenkinder (Für DM 10,- können Sie ein Negerbaby taufen lassen! Foto kostenlos gegen Rückporto bei ihrem Pfarramt!) und lassen sich ihr Geld für „Misereor“ aus der Tasche und in den Klingelbeutel locken. Außerdem hat das Hausierengehen mit der Not noch einen schönen moralischen Nutzeffekt: sie macht den Leuten klar, wie gut es ihnen im Grunde hier geht – schon den Kindern werden die Heidenkinder vorgehalten, die restlos glücklich über das weggeworfene Brot wären und in ihrem Leben noch nie einen Dauerlutscher gesehen haben. _______________________________ (*1) Die beabsichtigte Aussage dieser Ergänzung ist unklar. Natürlich besteht der Witz des Einsatzes von Maschinen darin, Arbeiter überflüssig zu machen. Die dadurch entstehende Verschiebung des Vorschusses von variablem zu fixem Kapital ist die Grundlage des Gesetzes des tendenziellen Falles der Profitrate. Der/die Verfasser dieses Artikels können höchstens gemeint haben, daß das Kapital stets auch neue Schichten oder die Bevölkerung fremder Länder in seinen Verwertungsprozeß einbezieht, daß also der Ersatz von Arbeitskraft durch Maschinen nicht die einzige Form der Akkumulation des Kapitals ist.
aus: MSZ 20 – Dezember 1977 |