„Emma“:

Brigitte radikal


Worin besteht die Frauenfrage? „Die Frauen sind zwar selbständig, aber sie fühlen sich nicht selbständig“, steht in Alice Schwarzers EMMA. Und woher kommt dieser Mangel an Selbstbewußtsein? „Weil Frauenschwäche und Männerstärke in unserer Gesellschaft »normal«, die Norm sind. Erfunden von Männern und akzeptiert von Frauen.“

Die Frauen sind also an ihrer Lage selbst schuld: obwohl die Frauenfrage etwas mit „unserer Gesellschaft“ zu tun haben soll, existiert sie für EMMA eigentlich nur in den Köpfen der Frauen, die sich einbilden, daß sie unselbständig und von den Männern abhängig seien. Die Unverschämtheit gegenüber ihren Adressatinnen, ihre Unterdrückung als dümmlichen Glauben an die Überlegenheit der Männer auszugeben, bildet so neuerdings die Grundlage einer ganzen „Zeitschrift für Frauen von Frauen“, die monatlich in der ihr eigenen hemdsärmeligen Art Frauenprobleme bespricht, um sie zu leugnen.

Da für EMMA besagtes „Vorurteil“ das Grundproblem bildet, widmet sie sich zunächst dem exzessiven Beweis, daß die Frauen Grund für ein eigenes Selbstbewußtsein hätten, durchaus selbständig und unabhängig seien und überhaupt die Männer gar nicht nötig hätten. Erster Beleg für diese Lüge ist sowieso schon mal die Existenz der Zeitschrift selbst, denn ein „Blatt dieser Größenordnung“ bringen sonst nur Männer auf die Beine; aber darüber hinaus muß zur Hebung ihres Selbstwertgefühls vor allem die Leserin zu ihren Fähigkeiten beglückwünscht werden – weshalb man sich nicht wundern darf, wenn die Verherrlichung der Hausfrauenarbeit zum Repertoire dieser feministischen Zeitung gehört:

„Mit geübtem Hausfrauengriff werden (in einem Frauenhaus) leergetrunkene Kaffetassen gestapelt ... Sie verwalten Küche und Wäsche, putzen alles selbst ...“ Wobei EMMA sich unter dem Motto „Selbst ist die Frau!“ auch noch anheischig macht, durch Aufklärung über Abflußverstopfung und ähnliches die letzten Rudimente männlicher Vorherrschaft im Haushalt zu beseitigen.


Die Menschwerdung der Frau ...

Thema Nr. 1 im Kampf gegen die Selbstunterschätzung der Frauen ist jedoch der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Da der natürliche Unterschied zum Leidwesen der Schreiberinnen trotz erheblicher Anstrengungen in dieser Richtung („Hach, bin ich heute unwohl! Menstruationsbeschwerden sind fast immer psychosomatischer Natur ...“) nicht völlig geleugnet werden kann, polemisieren sie eben gegen die männlichen Geschlechtsorgane und führen so die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau allen Ernstes auf ihren Organismus zurück: „Es ist sicherlich nicht nur Einbildung, sondern auch (!) eine Tatsache, daß Männer damit – so wie die Dinge heute (?) laufen – eine Macht (!) haben: die Macht, Frauen zu schwängern, sie auch einer ungewollten Mutterschaft auszuliefern (Alimente als männliches Machtsymbol?). Wie relativ solche Tabus sind, sehen wir am Beispiel Indien. Da wird die Vasotomie staatlich gefördert, und Männer, die den Eingriff machen lassen, werden mit einem Transistorradio belohnt.“

Denn da eben das, was Frauen sind und tun, ihnen wenig Grund zu dem von EMMA gewünschten Selbstbewußtsein gibt; da sie nicht nur von den Männern abhängig sind, sondern auch von ihnen unterm Daumen gehalten werden – stellt die Feministin ununterbrochen Vergleiche zur Lage der Männer an, die regelmäßig ungünstig für die Frauen ausfallen. Da sie andererseits keineswegs den Kampf gegen die Gesellschaft führen will, die den Frauen aufzwingt, dem Mann in seinem häuslichen Privatleben dienstbar zu sein, leugnet sie diesen Zwang und bemängelt, daß die vom Staat proklamierte Gleichheit von Mann und Frau unzureichend realisiert sei. Und weil die ganze Angelegenheit für Weiber vom Schlage einer Alice Schwarzer ein Bewußtseinsproblem ist, ergänzt sie die hasenfüßige Selbstunterschätzung der Frau durch die arrogante Selbstüberschätzung des Mannes, dessen Anmaßung den Frauen Benachteiligungen einbringt.

So stellt sich EMMA die Aufgabe, die männliche Selbstgerechtigkeit als irrational und die Unfähigkeit der Hausfrau zu Männerberufen als Aberglauben hinzustellen. Das zynische Lob der weiblichen Arbeitsfähigkeit präsentiert sich abwechselnd als feministische Makroökonomie – „Frauen leisten zwei Drittel der gesamtgesellschaftlich notwendigen Arbeit ...“ – und als bewundernde Schilderung der Selbstzerstörung, deren Frauen fähig sind, wenn sie die Doppelbelastung von Haushalt und Geldverdienen auf sich nehmen müssen („Mein Mann ist arbeitslos“). Was alles für EMMA nicht etwa ein Grund ist, diese Schinderei abschaffen zu wollen, sondern Anlaß für die Forderung nach Anerkennung der Frau als gleichberechtigte Arbeitskraft.

Für diejenigen, denen die Anerkennung als geeignetes Ausbeutungsmaterial nicht so besonders verlockend erscheint, diskutiert EMMA jedes beliebige andere Phänomen der Welt als Frauenproblem: die ganze Kultur ist von Männern beherrscht, weshalb man sich an eine Tradition weiblicher Schriftstellerinnen, Rocksängerinnen etc. erinnern soll; „Justitia ist ein Mann“, weshalb man Solidarität mit Judy Anderson empfinden soll; und auch die „Porträts (emanzipierter =) erfolgreicher Frauen“ fehlen nicht in dieser wildgewordenen „Brigitte“. Solche Vielseitigkeit ist bitter notwendig, denn die Reportagen über alle möglichen Benachteiligungen der Frauen haben jeweils den Mangel, daß die gerade nicht Betroffenen nur durch gewaltsame Abstraktion als Frauen einbezogen werden können: „Wir sind alle geschlagene Frauen! ... Selbst der sanfteste Mann, der keiner Fliege was zuleide tut, könnte uns immerhin schlagen.“ Bei Themen, die derartige Spekulationen nicht mehr zulassen, überlegt die Verfasserin kurzerhand, was wäre, wenn die Betroffene ein Mann wäre – und so schafft es EMMA, auch die „Klitorisbeschneidung“ unter dem Aspekt der Gleichberechtigung zu besprechen: „Die Beschneidung der Klitoris ist nicht zu verwechseln (!) mit dem, was »Beschneidung des Penis« genannt wird ... Das Gegenstück ... wäre also beim Mann die Kastration ...“ – um ihre Leserinnen dann zum Postkartensolidaritätsprotest dagegen aufzufordern, daß die Papuas ihren Frauen schnöderweise das „Recht auf ihren Körper“ vorenthalten – wenn sie wenigstens über ihre Verstümmelung mitbestimmen könnten!


... durch die Arbeit

Aber auch Positives kann EMMA aus fernen Ländern berichten. In Südvietnam sind die Frauen als „moderne Amazonen“ nicht nur in die Schützengräben gestiegen, als es keine Männer mehr gab, sondern sie arbeiten auch nach dem Krieg bis zum Umfallen im Wiederaufbau. „Vietnamesinnen sind gewohnt, hart zu arbeiten Die Emanzipation der Vietnamesin hat somit Tradition. In Vietnam ... ging die Erinnerung an matriarchalische Epochen nie ganz verloren ... Zudem waren die Frauen der armen Schichten stets dazu gezwungen, schwerste Arbeit zu verrichten, so daß sich nur die robustesten behaupten konnten.“ Und bei alldem haben sich diese „Amazonen“, trotz „häßlicher Strohhelme“ und Reifengummisandalen noch ihre „Weiblichkeit“ erhalten! Den Vietnamesinnen ging und geht es also nicht um die Befreiung vom Imperialismus, sondern sie sind eigentlich Feministinnen, denen die US–Soldateska und die Napalmbomben bei der Emanzipation geholfen haben. Und bei alledem noch Frau geblieben ...

Womit auch der bundesdeutschen EMMA–Leserin klar sein dürfte, wie sie ihre „Emanzipation“ voranzutreiben hat. In einem nämlich sind sich Alice Schwarzer und Esther Vilar einig: die Hausfrauen stellen ein beachtliches Potential unterbeschäftigter Arbeitskräfte dar, für dessen „Selbstverwirklichung“ in der männlichen Arbeitswelt jede auf ihre Weise agitiert.

Worin die Frauenfrage ihren Grund hat und worum es bei ihrer Lösung nicht geht, haben wir in unserem „Beitrag zum Jahr der Frau: Die Frau im Kapitalismus“ ausgeführt.

 

aus: MSZ 16 – April 1977

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