Nachspiel zur Buback-Erschießung:


Die Gewalt und ihre Liebhaber


Der Mord an Buback mag für seine Verwandten und Freunde eine traurige Sache sein, weil ihnen etwas an seiner Individualität gelegen hat und nicht (nur?) an dem Amt, das er innehatte.

Für Politiker wie Helmut Schmidt war sein Tod nur deshalb ein Anlaß zur Veröffentlichung ihrer Betroffenheit, weil Buback – wie sie selbst – eben ein hohes staatliches Amt bekleidete, weswegen sie gleich an dessen Grab eine Staatsfeier veranstalteten. Die Losung hieß:

„Die Schüsse von Karlsruhe galten nicht Buback, sondern unserem demokratischen Staat!“

und daß dies eine Lüge war, konnte angesichts der Leiche und der gleichzeitigen Präsenz all der Leute, die in unserem Staat sehr viel zu sagen haben, nur denen verborgen bleiben, die ein Interesse daran haben, den Mord am Generalbundesanwalt mit einem Angriff auf den Staat zu verwechseln. In diesem Interesse sind sich bestenfalls zwei Parteien einig:

die Anarchisten(1) und die Staatsmänner, wobei erstere ihre Aktionen sogar als bloße Vorbereitung für diesen Angriff verstehen; seine endgültige Abwicklung soll sich ihrem Verständnis nach der Mitwirkung der „Volksmassen“ verdanken. Die Politiker allerdings nehmen die Gleichung der Anarchisten, derzufolge es ein Kampf gegen den Staat ist, wenn man einen seiner Repräsentanten umlegt, viel ernster, als Leute, die sich gegen das Recht mit Rache wehren. Den Grund dafür verheimlichen sie nicht: in der unzählige Male wiederholten Verurteilung der Attentäter als Verbrecher, die mit Politik nichts zu schaffen haben, aber so tun, als hätten sie ein politisches Anliegen, gilt ihnen die Gewalttätigkeit der Anarchisten als Indiz dafür, daß diesen Leuten die Würde des Politikers abgeht. Politik treibt nur, wer von jeglicher Gewalt Abstand nimmt – so lautet die Definition ihres Handwerks, die sie dieser Tage gleich zum Motto einer nationalen Kampagne gemacht haben. Anlaß dafür bot ihnen die Tat von Karlsruhe samt den ihr folgenden Stellungnahmen seitens einiger studentischer Vereine, deren wirkungsvollste vom Göttinger AStA kam. Über den Grund der aufgeregt vorgebrachten Frage „Wie stehst Du zur Anwendung von Gewalt?“ die sich „die Bürger“ und insbesondere diejenigen unter ihnen, denen manches nicht paßt, von einem Helmut nach dem anderen gefallen lassen müssen, möchten wir uns ein paar Vermutungen nicht verkneifen.

Wer auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Gewalt mit der Antwort bereitsteht, er sei ein radikaler Gegner jeglicher Gewalt und setze sich dafür ein, daß es ein Ende hat mit den vielfältigen Prozeduren, anderen Leuten die Aufgabe ihres Interesses, den Verzicht auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse oder gar den Abschied von den Lebenden aufzuzwingen, wird – so entnehmen wir der allgemein anerkannten Auswertung des bundesweiten Frage- und Antwortspiels – im Quiz „Politiker fragen, Bürger antworten“ keinen Preis gewinnen.


Heuchelei ex officio ist eine Drohung

Die verlangte Antwort lautet nämlich:

„Ich selbst hatte und habe nicht vor, Gewalt anzuwenden und wende mich, so andere dergleichen tun, mit Abscheu von ihnen ab und hin zum Staat, dem als einzigen der sinnvolle Gebrauch von Gewalt gebührt.“

Wer bei diesem Quiz mitmacht, muß also höllisch aufpassen. Er darf nie vergessen, daß es Figuren wie Schmidt, Kohl, Strauß etc. sind, die von Berufs wegen für die Bescheidenheit ihres Volkes sorgen und seit einigen Wochen keinen Satz mehr herausbringen, in dem sie nicht ihre Berechtigung verkünden, an der Macht zu bleiben oder an die Macht zu kommen, öffentlich beklagen sie die Unzufriedenheit der Bürger, denen sie eine nach der anderen auf die Schnauze hauen, räsonieren laut über die ,,Regierbarkeit“ des durch ihre Taten vielleicht ,,staatsverdrossenen“ Volkes; und wenn sie sich bei der Auseinandersetzung um die Macht im Staate gegenseitig etwas ganz Schlimmes vorwerfen wollen, fällt ihnen der Vorwurf ein, die andere Partei sei samt ihrem Häuptling zu schwach, zu unentschlossen, zu rücksichtsvoll im Treffen von unpopulären Entscheidungen – kurz: sie rühmen sich, besser als ihre Alternative die Gebote des Allgemeinwohls gegen die Mehrheit der Allgemeinheit durchzusetzen, einen stärkeren Staat zu machen.

Weiterhin darf der Teilnehmer am Volksquiz diese Tatsachen nicht relativieren, also etwa einerseits denen, deren ganze Karriere sich in dem Bestreben erschöpft, Gewalt über andere Leute ausüben zu dürfen, in diesem Bestreben hinderlich sein, bloß weil sie sich die Zustimmung der von ihnen Regierten als Mittel für ihren Aufstieg gewählt haben. Oder andererseits aus der Frage, die eine Drohung ist, deswegen eine wirkliche Frage herauszuhören, weil sie „gestellt“ wird – also an die Interessenmeinung denken, die sie freidemokratisch äußern dürfen. Der Fehler des ersten Mißverständnisses kann ihnen an den Sprüchen der Politiker über die Notwendigkeit, im Interesse des Ganzen auf die Interessen ihrer Wähler „leider“ keine Rücksicht nehmen zu wollen, aufgehen. Auch die Erinnerung an gewisse Gesetze, in denen die Herren Staatsmänner die Umstände kodifiziert haben, unter denen sie bereit sind, auch ohne die Zustimmung des Haufens, von dem „alle, Macht ausgeht“ ihre Geschäfte weiterzuführen, kann da helfen. Daß diese Leute gegen die Anwendung von Gewalt nur bei anderen etwas haben, geht schließlich auch aus ihrem Betragen auf dem weiten Rund des Globus hervor, wo sie sogar zu gewissen Konzessionen bereit sind: bei Partnern kann die Achtung der Souveränität ihrer faschistischen Prozeduren durchaus schicklich sein. Das zweite Mißverständnis ist schlimmer, weil folgenreich.


... die jedermann versteht

Es pocht ja nicht nur auf das Recht, seine Meinung sagen zu dürfen, ohne sich darum zu kümmern, daß ein Zugeständnis der Staatsgewalt von dieser auch zurückgenommen wird, wenn es nottut; mit diesem Irrtum feiert der befragte Bürger ja nicht nur die Tatsache, daß er die Anliegen, mit denen er nicht zum Zuge kommt, in öffentlich zur Schau gestellte Unzufriedenheit verwandeln „darf“ – er tut dies ausgerechnet an einem Thema, das den Herren vom Staat lebenswichtig ist! Wer also meint, auf die Frage nach der Bereitschaft seiner Unterwerfung unter die Staatsgewalt mit ethischen, sozial-wissenschaftlichen oder gar revolutionären Spekulationen reagieren zu dürfen, macht sich verdächtig. Bedingungsloses Akzeptieren ist hier gefragt – man kann nicht „der Meinung sein“, die Staatsgewalt gehöre entfernt! Und wem das nicht einleuchtet, dem wird nicht erst in der gerade laufenden Kampagne das Argument jedes aufrechten Demokraten entgegengeschleudert: wer der Meinung ist, die Staatsgewalt beseitigen zu müssen, wird auch zugeben, daß dazu die Anwendung von Gewalt vonnöten ist! Womit gleich noch einmal unterstrichen wäre, daß sich eine Regierung nur durch eine andere ersetzen läßt, Politiker ein Bewußtsein von ihrer Notwendigkeit besitzen und diese Notwendigkeit mit allen Mitteln behaupten, auch wenn ihnen die Botmäßigkeit von Stimmvieh einmal fehlen sollte. Deshalb ist eben das eine oder andere Parteienverbot in westlichen Demokratien, der eine oder andere Faschismus in der freien Welt, ab und zu ein Krieg und anderes mehr nichts, was einen in der Meinung, man sei gegen Gewalt, stören braucht. Eine ist damit ja nicht gemeint!


Gewalt ohne Recht – mal was anderes!

Die üblichen Legitimationen und Verharmlosungen des Staates, die sich des Hinweises auf seinen demokratischen Charakter (wo es ihn gibt), ansonsten auf seine Funktion für alles mögliche („ohne ihn wäre es noch schlimmer!“) bedienen, werden von den Anarchisten nicht akzeptiert. Daß der Staat eine Gewaltmaschinerie ist und seine Macher für die Sauereien verantwortlich zeichnen, die in ihrem Machtbereich passieren, lassen sich nicht ausreden: illusionslos in diesem Punkt scheren sie sich um die Form, die die Staatsmänner ihren Untaten geben können, wenig. Es interessiert sie nicht, daß die Rentensanierung kein Diebstahl ist, daß im Krieg kein Mord vorkommt und die planmäßige Zugrunderichtung von „Unselbständigen“ in der modernen Industrie nicht zu den kriminellen Delikten zählt, die im Strafgesetzbuch so schön als der nichtgeduldete Teil des Alltags einer neuzeitlichen Demokratie aufgelistet sind. Daß der Staat Recht hat, weil er von seinen Bürgern für notwendig gehalten und daher unterstützt wird, fällt ihnen nicht einmal im demokratischen Hin und Her auf – sie lehnen es ab, die Opfer staatlichen Wirkens davon zu überzeugen, daß sie sich einigen Schaden ersparen können, wenn sie sich nicht für, sondern gegen ihren Staat einsetzen. Sie glauben an feine Politik der Tat, die manche staatsmännische Praxis in den Schatten stellt: wo sich der Politiker, auch der Faschist, noch die Zustimmung anderer verschafft, um endlich den Punkt zu erreichen, an dem sein Wort Gesetz, sein Wille Macht wird, er also keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht, schlägt der Anarchist sofort zu. Er ist bedingungslos gewalttätig, sorgt sich nicht im mindesten um die Gründe dessen, was ihn stört und schreitet zur „Exekution“. Dabei ist er beileibe kein gewöhnlicher Verbrecher: was dieser tut, geschieht aus Eigennutz, ist Resultat der Entbehrungen, die zu ertragen er nicht mehr den Willen hat, obgleich er sich nicht zum Angriff auf ihre Ursachen bemüßigt fühlt. Gewöhnliche Verbrecher haben ein schlechtes Gewissen, bekennen sich schuldig, und achten die Gesetze, denen sie nicht gehorchen. Anarchisten haben ein gutes Gewissen, halten ihren Kampf aus dem Untergrund für Krieg (da ist ja alles gerecht!) und legitimieren ihre Gewalt mit der Lüge, sie sei revolutionär, weil gegen die herrschende Gewalt gerichtet. Sie beweisen damit gleich dreierlei:

– daß sie keine Gegner des Staates sind, was dieser bemerkt und sie einerseits wie Verbrecher behandelt, andererseits sie zum Material einer fröhlichen Agitation für seine friedenserhaltende Gewalt hernimmt

– daß sie keine Bürger sind, die sich in ihrem Vorteil oder ihrer Scheiße einrichten, dabei vom Steuerbetrug bis zur Gemeinheit gegen ihre Konkurrenten alles unternehmen, was erlaubt, geduldet oder übersehen wird von den Hütern des Rechts. Dies veranlaßt die Bürger, Anarchisten für irre Unmenschen zu halten, mit denen auch entsprechend verfahren werden sollte.

– daß sie auch keine Verbrechen begehen, sondern aus dem Verbrechen gegen den Staat ein politisches Kampfprogramm gemacht haben, was die Anarchisten zu spüren bekommen, wenn der Staat gegen sie härter vorgeht als gegen normale Verbrecher.

So handelt es sich bei dieser Spezies des verrückten Bürgers um Leute, die die heimliche Liebe des Bürgers zur Gewalt praktizieren, sie mit der staatlichen Gewalt, gegen die sie vorgehen, rechtfertigen und bei Verbrechern wie auch staatlichen Geheimdiensten die Methoden entdecken, die sie begeistern.


Distanzierte Sympathiekundgabe

Die Anarchisten unternehmen also nichts, was den Wirkungskreis des Staates einschränkt, und schon gar nicht verfallen sie auf die von ihnen verachteten Praktiken der Agitation. Ihr Beispiel soll überzeugen, nicht etwa die agitatorische Kritik an der Mehrheit des Volkes, das sich die Sauereien von Staat und Kapital gefallen läßt. So erfahren sie zum einen die Ablehnung der Bürger (und zwar aller, nicht nur der Flicks und Krupps!), die in ihrem Beispiel nichts Wünschenswertes entdecken; zum anderen die des Staates, der außer ihnen den Prozeß auch noch das große Volksquiz machen kann: er agitiert mit seinen Medien und botmäßigen Journalisten, daß es nur so kracht. An man sehen, wohin Kritik führt! Seine interessierte Verwechslung von Bombenlegern mit Kommunisten zeigt, daß sich der Staat die Ergänzung, die die Anarchisten seiner Gewalt zur Seite stellen, zunutze macht – und zwar nicht nur zu ihrem Schaden (das Volk denunziert sie dermaßen intensiv, daß kaum ein Hinweis stimmt!): Er ist auf einem Gebiet Nutznießer von Baader + Co., das mit deren Treiben absolut nichts zu schaffen hat: sie verhelfen ihm zu einer Großoffensive gegen alles, was links aussieht! Und diese Tatsache bringt lustige Blüten hervor: die einen meinen, das was der Staat aus den Anarchisten macht, sei deren Werk, überhaupt der Punkt, an dem man sie zu kritisieren hätte! Die anderen versteigen sich zu der Behauptung, es handle sich bei den wildgewordenen Bürgern gar um bezahlte Provokateure von Strauß – und insgesamt ergehen sich Revisionisten in einer Kritik an den Anarchos, die den Staat dafür entschuldigt, was er nicht nur in Hochzeiten der inneren Sicherheit vollbringt. Und eine andere Abteilung der ,,linken Szene“ befleißigt sich der Distanzierung, dem publizistischen Mittel, seine Gemeinsamkeit mit anderen zum Ausdruck zu bringen. Weil sie diesen Witz an jeglicher Distanzierung noch nicht einmal am Getriebe bürgerlicher Politik bemerkt haben – Strauß distanziert sich immer von Leuten, die er gerade besucht hat – unterstützen ein paar Spontis im Göttinger AStA den Innenminister gleich ganz kräftig:

„Um der Machtfrage willen dürfen Linke keine Killer sein, keine Brutalos, keine Vergewaltiger, aber sicher auch keine Heiligen, keine Unschuldslämmer.“

Auch diesen Leuten geht nichts anderes im Kopf herum, als die „Machtfrage“ – und weil sie die Karlsruher Aktion als ein Signal für die Offensive des Staates erkannt haben (freilich ohne wissen zu wollen, warum) und nicht für ihre eigene, rücken sie von ihr ab. Sie halten sich für Linke, aber auch die Motorrad-Schützen, und warten mit dem Gebot auf, alle Linken sollten sich solch inopportuner Gewaltanwendung enthalten. Daß sie ihre Sehnsucht zügeln müssen, stehen sie nicht an zu beteuern: eine „klammheimliche Freude“ treten sie in aller Öffentlichkeit breit, sie erfüllt sie, weil Buback tot ist! Das sind feine Ambitionen, die eine „Bewegung undogmatischer Frühling“ da vorführt und im Namen der Linken propagiert:

„Wir alle (?) müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen.“

Das soll der Fehler der Anarchisten sein! Die „Stellvertretung“ wäre also der Haken an jener Großtat – und somit wieder einmal die Differenz zwischen einem Anarcho und einem Politiker (die nichts mit einem Vorzug des einen gegenüber dem anderen zu tun hat!) aufs Erfreulichste eingeebnet:

„Wenn Buback kein Opfer der Volkszornes wird, dann geht die Gewalt, die so ausgeübt wird, ebensowenig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volke ausging.“

Womit klargestellt ist, was die Menschheit braucht: viel gerechte Gewalt, die vom Volke ausgeht – also das, was sie hat! Diese Leute sprechen in ihrem Kommentar aus, worin sich ein Sponti und ein Anarchist einig sind. Das heißt freilich nicht, daß sie sich gleichen. In einer Art Reverenz an ihre großen Brüder betonen die undogmatischen Frühlingsleute auch den Unterschied zwischen Sponti und ausgewachsenem Anarchisten.

„Dies soll nicht unbedingt eine Einschätzung sein oder ein kommentierender Verriß vom Schreibtisch aus, mit päpstlichem Gestus vorgetragen ...“

Wer will schon als billiger Propagandist eines Irrationalismus der spontanen, nicht begründeten Rücksichtslosigkeit denen einen Vorwurf machen, die diesen Irrationalismus mit Gewehr und Bombe praktizieren? Wie könnte ein „Mescalero“ der außer seinem Bedürfnis kein Argument kennt (und diese Kritik ist keine Aufforderung zum Idealismus!), einem Gesinnungsbruder am Zeug flicken, der in der Gewalt längst sein allererstes Lebensbedürfnis entdeckt hat? Solche Vermessenheit legt ein braver Sponti nicht an den Tag – dafür aber einige Bewunderung für die Anarchisten, deren Aktionen wegen ihrer unerfreulichen Wirkung neben Solidarität eben auch Distanzierung verdienen. Diejenigen, die den Mist nachdrucken, um der Meinungsfreiheit die Bahn zu brechen, scheinen weder zu wissen, was sie an Staatsmännern und an den Anarchisten für unangenehme Zeitgenossen haben. Für sie zum Abschluß ein Dogma:

Zwei Parteien stellen kontinuierlich die „Gewaltfrage“, die einen, weil sie um die Gewalt fürchten, die sie ausüben – die anderen, weil sie keine ausüben dürfen!

 

aus: MSZ 17 – Mai 1977

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