Die SPD korrigiert ihr Bremer Modell
Um die Bremer Universität, bei ihrer Gründung von der CDU als „rote Kaderschmiede“ verschrieen, als der „rote Riesenkrake“ (CDU-Wahlslogan 1971) zum beliebten Wahlkampfthema avanciert, ist es in der bundesdeutschen Öffentlichkeit stiller geworden. „Der Reformalltag hat begonnen“, kommentiert die SPD, und Bremens Rektor Steinberg sieht seine Universität in einer Phase der „notwendigen inneren Konsolidierung“. Nach den Anfangswirren also wieder alles im Lot in Bremen? Der Schein trügt – der Bremer Reformalltag ist alles andere als harmonisch. Seit drei Semestern wird zwischen Landesregierung (Senat) und Universität ein erbitterter Konflikt ausgetragen: Mittel werden gekürzt, Tutorenprogramme gestutzt, der Ausbau der Universität verzögert sich und vor allem: den von der Universität erarbeiteten Studienordnungen setzt der Senat Prüfungsordnungen entgegen, die so ziemlich alles in Frage stellen, was an der Universität an Studienreform konzipiert worden ist.
Der gleiche Bremer Senat, der die Universität zum Zwecke der Reform gegründet und, bevor überhaupt der erste Student an der Universität studierte, eine mit viel Geld und Personal ausgestattete mehrjährige Reformplanung in Gang gesetzt hatte, konfrontiert nun die von der Universität erarbeiteten Ergebnisse mit eigenen Dekreten: – will die Universität ihre Studenten zu „fächerübergreifendem, problemorientierten wissenschaftlichen Arbeiten“ befähigen (Universitätsentwurf für eine Diplomprüfungsordnung/DPO), so verordnet der Senat die Aneignung „gründlicher Fachkenntnisse“ (Entwurf des Bildungssenators zur DPO, Januar 1974); – sollte sich die Bremer Lehrerausbildung nach dem Willen der Universität „an fächerübergreifenden, gesellschaftlich relevanten Fragestellungen“ orientieren, so verordnet der Senat das herkömmliche Wissen der Schulfächer; – wollte die Universität Scheine, Noten und Klausuren aus den Prüfungsordnungen verbannen, so entscheidet der Senat: „Die Benotung der Prüfungsleistungen ist im Interesse der Anerkennung der in Bremen erworbenen Diplome unabdingbar.“ Die Universität legt Protest ein. Sie besteht gegenüber ihrem Auftraggeber auf dem, was sie aus ihrem Reformauftrag gemacht hat. Die Forderungen des Bildungssenators „gehen völlig an der Realität der gegenwärtigen Ausbildung und Prüfung an den meisten westdeutschen Universitäten vorbei, indem stillschweigend unterstellt wird, daß an allen anderen Universitäten bis auf Bremen berufsgerecht ausgebildet und geprüft wird. Diese Unterstellung trifft nicht zu und ihr Nichtzutreffen ist gerade ein wesentlicher Kritikpunkt an den westdeutschen Universitäten, von dem die Reformdiskussion ihren Ausgangspunkt nahm.“ Die politischen Gruppen gehen einen Schritt weiter: nicht um eine „berufsgerechte Ausbildung“ geht es dem Senat, sondern um politische Disziplinierung. Der Angriff auf die Bremer Reformkonzeption gilt ihnen als Angriff auf die fortschrittlichen Studenten. „Der Staat als Organ der Kapitalistenklasse ist gezwungen, die freie Entfaltung der politischen Auseinandersetzung an der Universität zu unterdrücken, die erkämpften Rechte der Studenten zu liquidieren und das Studium in Form und Inhalt seiner Kontrolle zu unterwerfen.“ (Wahlaktionsprogramm des KSB, SS 74) So sicher die linken Gruppen darüber sind, worauf die staatlichen Maßnahmen abzielen – in ihren Erklärungen sagen sie zugleich, daß all das, was der Bremer Senat verordnet, nicht seinem politischen Kalkül, seiner Taktik gegenüber den Freunden des Fortschritts allein entstammt: „Natürlich machen die objektiven Zwänge der Hochschulreform nicht vor Bremen halt. Insofern beruft sich Thape zurecht auf die bundesweite Entwicklung und auf ,Sachzwänge'.“ (Roter Banner 24.10.73) Aber auch die Anführungszeichen hindern die Linken nicht daran, die Sachzwänge als solche zu akzeptieren — haben sie sich doch seit der Inbetriebnahme der Bremer Universität auf allen Ebenen geltend gemacht: – an der Gleichwertigkeit der Bremer Examina wird in der KMK und in den Bundesländern auch von den SPD-Genossen gezweifelt. Das Paradestück des Bremer Prüfungswesens, die Nichtabiturientenprüfung, wird in kaum einem anderen Bundesland anerkannt; – die Hochschulrahmengesetz-Diskussion im Bundesrat hat deutlich gemacht, daß es keine Fürsprecher für eine Bremer Experimentierklausel gibt; – die Bremer Gazetten sind voll von Vermutungen und Verdächtigungen über Bremer Promotionsverfahren und Berufungen; – Bremer Lehrer zweifeln an der Qualifikation ihrer späteren Kollegen und verweigern deren Ausbildern die Praktikumsstellen. An allen Ecken und Enden bekommt der Bremer Senat zu spüren, daß das Bremer Modell umstritten, die Skepsis hinsichtlich der Leistung der Universität groß ist. Dem Argument, daß Anerkennung notwendig ist und Leistung voraussetzt, kann sich schließlich auch die Universität nicht entziehen: „Der Auffassung in der Stellungnahme, daß das Gelingen des Reformmodells . . . auch davon abhängig sei, daß die hier erbrachten Leistungen anerkannt werden …, ist zuzustimmen.“ Die Drohung des Senats Die Kritik des Senats – „Da die Bestimmungen (der Lehrerprüfungsordnungen) unter Beachtung des Beschlusses der Kultusministerkonferenz erarbeitet wurden, mußten auch die Bedingungen der allgemein üblichen Hochschullehrveranstaltungen gewühlt werden. Sollte die Universität Bremen gleiche Lehrveranstaltungen nicht durchführen, so müßten entsprechende Lehrveranstaltungen gleichen Niveaus — insbesondere in Bezug auf die Anforderungen — eingesetzt werden.“ (Schreiben des Bildungssenats vom 27. 4.73) wird von den Studenten mit Beifall abgenommen. Kaum sind die Prüfungsordnungen erlassen, fordern sie Kurse, um sich das prüfungsrelevante Wissen aneignen zu können. Während noch die staatlich geforderten Lehrinhalte als Disziplinierung zurückgewiesen werden, stellt sich schon das praktische Problem, wie man denn an die denunzierten Inhalte kommt: „Die erziehungswissenschaftlichen Bereiche erfordern von uns den Nachweis eines erziehungswissenschaftlichen Studiums. Es wird vom Studenten alles gefordert, was im Schlagwortverzeichnis der UB unter Schule steht. Wer beherrscht diese Bereiche von unseren Hochschullehrern? Keiner! (!) Es fehlen also mindestens 4 (?) Erziehungswissenschaftler.“ (Info des Studiengangausschusses Arbeitslehre/Politik, April 1975) Und auch die linken Gruppen, die nichts eiligeres zu tun haben, als sich die Interessen der von ihnen Vertretenen zu eigen zu machen, wissen, daß fortschrittliche Lehrinhalte nichts nützen, wenn sie nicht anerkannt werden: „Fortschrittliche Hochschullehrer werden ,kaltgestellt’, da zu erwarten ist, daß Prüfer vom Staat eingesetzt werden. Daraus folgt praktisch, daß die nicht prüfungsberechtigten Hochschullehrer in leeren Arbeitsvorhaben sitzen, denn ihre Leistungsscheine sind für die Studenten wertlos.“ (FSB-Flugblatt, SS 1974) Die vielen Sorgen um prüfungsadäquate Personal- und Veranstaltungsplanung, das studentische Verlangen nach Kursen für die obligate empirische Sozialforschung, die säuberliche Trennung der Hochschullehrer in Prüfungsberechtigte und andere — all diese Formen des Umgangs mit Prüfungsordnungen zeigen, daß die Studenten sich mit dem Senat und der Universitätsleitung in einem einig sind: alle haben sie ein Interesse an einer Ausbildung, die es zur Zeit in Bremen nicht gibt. Der Konflikt mutet nun völlig paradox an:
II. Lernen — für eine bessere Gesellschaft
„Das Bremer Modell, getragen auch von der übereinstimmenden Willenserklärung von SPD, CDU und FDP In der Bremischen Bürgerschaft hat das Ziel: Der Konsens, auf dem trotz allen Parteiengezänks das Bremer Modell der Hochschulreform beruht, ist Ausdruck eines von allen gesellschaftlichen Gruppen wahrgenommenen und ausgesprochenen Mangels der herkömmlichen Universitäten: ,,Das bisherige Studium bestand aus isolierten Studienvorhaben, die . . . nicht auf die zukünftigen Berufsaufgaben und nicht auf die gesellschaftliche, kritische Punktion von Wissenschaft hin reflektiert waren. Eine Kluft zwischen Studium und Berufspraxis, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist das überall konstatierte und beklagte Ergebnis.“ (E. B. Berndt u. a., Erziehung der Erzieher, Reinbek 1972, S. 189) Die Konstatierung dieses Mangels ist Gemeingut. Die Universität Bremen jedoch war dem Willen ihrer Urheber und Planer zufolge nicht nur so einzurichten, daß durch ihr Wirken die „Kluft“ zwischen Theorie und Praxis wenn schon nicht beseitigt, so doch verringert wird; sie hatte auch noch die Kleinigkeit zu leisten, die Beseitigung von Mißständen in der Gesellschaft zu befördern. Die Hochschulreform sollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ausbildungsinhalte sollten im Interesse besserer Berufsqualifikation verändert und zugleich sollten wissenschaftliche Erkenntnisse erarbeitet werden, die gesellschaftlicher Veränderung dienen konnten. Die Bremer Überlegungen z. B. zur Reform der Lehrerausbildung „zielen auf die Aufhebung ungleicher Bildungschancen … Die Möglichkeit einer demokratischen gesellschaftlichen Entwicklung ... im Interesse der breiten Mehrheit der Bevölkerung hängt mit davon ab, ob der Lehrer in seinem Unterricht solche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erkenntnis und praktischen Nutzung demokratischer gesellschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten dienen.“ (Arbeitsgruppe Hochschulwochen, Materialien zur Universitätseröffnung, Bremen 1971 S. 96) Abbau von Ungleichheit, Förderung der Demokratie soll das Ziel der Bremer Wissenschaft sein und diese Wissenschaft zugleich Mittel, die Praxisferne des Studiums aufzuheben. Die Bremer Variante bundesdeutscher Hochschulreform ist „die Parteinahme der Universität Bremen für den gesellschaftlichen Fortschritt auf der Seite der Unterprivilegierten.“ (Rektor Steinberg). Mit dieser doppelten Zielsetzung war das Scheitern des Bremer Modells programmiert: denn wer sich dank seiner Ausbildung in einer Gesellschaft nützlich macht, in der es von Unterprivilegierten nur so wimmelt, macht sich eben für die Aufrechterhaltung dieser Zustände nützlich. Und wer es ernst meint mit der Veränderung der Gesellschaft, der setzt sich ein politisches Ziel, das im Gegensatz zu einer Ausbildung steht, deren Vorzug in der Brauchbarkeit für das liegt, was er abschaffen will. So war also abzusehen, daß — solange nicht eines der beiden unvereinbaren Ziele aufgegeben wurde — keines von ihnen zu verwirklichen ging. Die politische Intention sorgt in Bremen dafür, daß Wissenschaft und Ausbildung gar nicht erst stattfinden — und die Verfolgung der politischen Zwecke in Gestalt wissenschaftlicher Ausbildungsveranstaltungen ist die Garantie dafür, daß Politik zwar belabert, nicht aber praktiziert wird. Projekte mit kritischer Note In Bremen gibt es keine Vorlesungen und Seminare, in denen vorhandenes Wissen vermittelt wird, sondern Projekte: sie sind das Mittel, keines des beiden Reformziele durchzusetzen, weil man beide verwirklichen will. Ihr Zweck geht aus „Projektkriterien“ hervor: a) Die Thematik und die daraus abgeleitete Organisation der wissenschaftlichen Praxis des Projekts soll als gesellschaftlich wesentliche Aufgabe begründbar sein. – weil sich ein Reformer auf den Standpunkt des Staates stellt und sich um die Gründe nichts kümmert, die dazu geführt haben, daß der Wissenschafts- und Ausbildungsbetrieb den gesellschaftlichen Anforderungen nicht genügt, verändert er den universitären Zirkus einfach: für ihn liegt es auf der Hand, daß die Wissenschaft deswegen der Gesellschaft ihren Dienst versagt, weil sie sich nicht an ihr orientiert – also zwingt er die Wissenschaft zur Legitimation gegenüber den Zwecken, die an sie herangetragen werden, – der Inhalt der bisherigen Ausbildung hatte bei seiner Anwendung in der Berufspraxis nur allzu deutlich seine Untauglichkeit bewiesen – also gilt es im Ausbildungsprogramm die praktischen Erfordernisse der Berufsausübung zu berücksichtigen. Praktika zu vermehren bzw. einzuführen und dieselben wissenschaftlich zu kontrollieren. Wobei es nicht schwer fällt, zu erraten, wie die Kontrolle durch eine Wissenschaft aussieht, die sich bereits praktischen Interessen, dem Fortschritt und anderem überantwortet hat … – ein Reformer legt wenig Wert auf Wissen: ihm kommt es auf dessen Nützlichkeit an – also gelten ihm, alle in der Praxis relevanten Interessen als Ausgangspunkt für „Problemlösungen“, die in der Ausbildung kennenzulernen sind. In den „Ansätzen“ und „Methoden finden die Interessen ihren innerwissenschaftlichen Ausdruck, ihre Vielfalt wird explizit begrüßt und mit dem Ideal einer falschen und deshalb pluralistischen Wissenschaft kombiniert: die Fanatiker des praktischen Interesses in der Wissenschaft bemühen sich stets auch um „Integration“ … Die andere Seite des Reformers, sein Eintreten für die unterprivilegierten Lohnabhängigen, gibt diesem gigantischen Unternehmen zur Zerstörung von Wissenschaft und Ausbildung, das die Hochschulreform darstellt, die kritische Note und bereichert die bürgerliche Gesellschaft um eine weitere contradictio in adjecto: die linke Universität, die eine Unzahl kritischer Menschen in all ihren Funktionen aufnimmt, die den Standpunkt der Zukurzgekommenen einnehmen und ihn mit dem Willen zur Veränderung der Klassengesellschaft verwechseln. Der Berührungspunkt des Reformismus mit dem Revisionismus(1), das Sich-Stark-Machen für die Interessen der Erniedrigten und Beleidigten, der bornierte Drang, den Ausgebeuteten wenigstens bei ihrer lebenslangen Rolle etwas mehr Nutzen verschaffen zu wollen, führt beide an einem Ort wir der Bremer Universität zusammen und ermöglicht ihnen eine fruchtbare Auseinandersetzung. Das Projektstudium ist das Werk von Reformern und hat mit dem Kommunismus so wenig zu tun wie mit Wissenschaft — die Rolle der „konsequenten“ Interessenvertreter erschöpft sich darin, dem Reformismus vorzurechnen, daß er seine Parteinahme für die Lohnabhängigen bleiben lassen muß, will er den Standpunkt des Staates bei der Reform von Wissenschaft und Ausbildung beibehalten.
III. Das Projektstudium
Ein Projekt ist auf Grund der Kriterien, denen es ungeachtet ihrer Unvereinbarkeit unterworfen wird, eine logische Unmöglichkeit. Idealismus wäre es, anzunehmen, daß es deshalb nicht durchgeführt wird. Auch in Bremen ist die Welt nicht vernünftig. So eine Ausbildungsveranstaltung wird von mehreren Hochschullehrern durchgeführt. Man findet sich zusammen in einem Projektplenum, in dem die „Fragestellungen und Ergebnisse der anderen Arbeitsvorhaben des Projekts verallgemeinert und zu einem Theorieansatz .. . strukturiert werden“ (Vorlesungsverzeichnis SS 1975, S. 76), und löst sich wieder auf in mehrere Arbeitsvorhaben, die sich der Behandlung der „Aspekte des Projektgegenstandes“ widmen, den „Praxisbezug“ des Projekts garantieren Oder der „Vermittlung methodischer Grundlagen“ dienen. Die Rolle der linken Wissenschaftler besteht hier vornehmlich darin, aus den Einsichten des alten Marx einen „methodischen Ansatz“ zu machen und einen „materialistischen Ausgangspunkt“ durchzusetzen. Aller Anfang ist schwer Zunächst einmal aber sind die Projektemacher mit dem ersten Kriterium vor eine Schwierigkeit gestellt: die Thematik des Projekts soll als gesellschaftlich wesentliche Aufgabe begründet sein, aber da diese Begründung geliefert werden soll, bevor man sein Thema untersucht hat, gibt es soviele Begründungen ,als es gesellschaftliche Relevanzen gibt. Wichtig ist also, daß die Interessen, denen sich die Wissenschaft unterwirft, zu Wort kommen. Hatten sich Professoren und Staatsmänner angesichts diverser Forderungen in der Studentenbewegung noch mit dem richtigen Argument zur Wehr gesetzt, eine demokratische Wissenschaft sei Unsinn, bemühen sie sich nun als Reformer um die Auflösung von Wissenschaft und Ausbildung in Diskussion: „Fragestellung und Aufbau der Projekte (dürfen) nicht beliebig und zufällig sein (ach?), sondern müssen sich an den objektiven Problemen der Gesellschaft … orientieren. Eine solche Orientierung an objektiven Problemen ist jedoch weder durch irgendeine Form der Studienorganisation zu sichern, noch läßt sie sich dogmatisch dekretieren. Ihre Bestimmung unterliegt den permanenten Diskussions- und Entscheidungsprozessen der universitären Öffentlichkeit allen Mitgliedern der universitären Öffentlichkeit der Universität (ist) die relevante Beteiligung an diesen Diskussionsprozessen zu sichern.“ (Berndt a. a. O., S. 185) Wenn allerdings die Projektinhalte in demokratischer Diskussion bestimmt werden sollen, dann müssen die Projektteilnehmer Abstand nehmen von obsoleten Vorstellungen wie der, daß es einen Unterschied zwischen richtig und falsch gibt. Getreu dem Imperativ einer pluralistischen Wissenschaftstheorie, die jüngst mit sozialdemokratischen Vorwörtern den Markt erobert hat, haben sie dem stets zum Totalitarismus führenden „Ideal“ von Wahrheit abzuschwören (vgl. MSZ Nr. 4/ Becker) und kritisch-relativierend-problematisierend zu diskutieren – und bei diesem Geschäft wäre Wissen ein Hindernis. Eine Selbstverständlichkeit scheint dies jedoch nicht einmal nach jahrelanger Übung im Einerseits-Andererseits des Besinnungsaufsatzes zu sein, denn die Bremer Universität hat dem Projektstudium eine Eingangsphase vorgeschaltet, in der die Studenten (bei denen man ja den Verdacht haben könnte, sie kämen an die Universität, um etwas zu lernen) zu bereits willigen Diskussionsteilnehmern konditioniert werden. Da Kommunikation oberstes Gebot dieser Ausbildung ist und dieser fast unmenschlichen Anforderung, den ganzen Tag lang zu schwätzen, ohne über Stoff zu verfügen, einige Barrieren entgegenstehen, hat man in Bremen Bedingungen dafür geschaffen, daß sich die Partikularität der Studierenden im Hause der Wissenschaft wohlfühlt. Auf die Erstsemester wartet ein überdimensionales Schaumstoffkissen, die sogenannte „Schmuseecke“, auf dem sie erfahren können, daß die Bremer Wissenschaft mit Geist nichts zu tun haben will. Und nicht nur das Diskutieren müssen sie lernen, sie müssen auch den Zweck der Diskussion akzeptieren lernen: es geht um gesellschaftliche Relevanz im Interesse der Lohnabhängigen – und im Eintreten für die Bevorzugung eben dieses Interesses erblicken wiederum linke Volksdiener und Fortschrittsmenschen ihre oberste Pflicht. Deshalb „kann sich das Eingangsstudium weder auf die zweifelsohne (?) wichtige Aneignung von Faktenwissen noch auf die erforderliche Vermittlung formaler und instrumenteller Fähigkeiten beschränken, sondern es soll die Gegenüberstellung von Faktenwissen und Denkprozessen isolierter Individuen in einem kooperativen Prozeß des forschenden Lernens überwunden werden.“ Der Student soll den „Stellenwert fachspezifischer Kenntnisse über deren Beziehung zum gesamtgesellschaftlichen Kontext erfahren“ und zur „problemorientierten Aneignung von Fachdisziplinen“ befähigt werden. (Studienführer S. 124 f.)
Aber nicht nur die Studenten, auch die Hochschullehrer und Tutoren haben Schwierigkeiten mit dem Anfang. Dies zeigt sich an der Einrichtung von „Vorprojekten“, in denen in Kooperation und Kommunikation nach einem Gegenstand fürs Projekt gesucht wird. Diesen Suchprozeß macht sich keiner leicht: „In diesem Projektvorlauf muß es zunächst darum gehen: eine Präzisierung der Fragestellung für den Forschungsprozeß, die Entwicklung des theoretischen Kontextes, in dem die Fragestellungen strukturiert werden müssen, dir Klärung der empirischen Ebene für die Untersuchung ... zu erreichen.“ (Vorlesungsverzeichnis WS 74/5 S. 275) An solchen Anstrengungen sind die Studenten getreu dem Prinzip demokratischer Diskussion natürlich gleichberechtigt beteiligt: es ist auch kaum anzunehmen, daß ein einziger Wissenschaftler in einem Semester so viele Fehler machen kann und zugleich sicher bleibt, daß es um seine dreifache Auflösung der Wissenschaft in ein willkürliches Subsumieren des Gegenstandes unter in Methodenquark verwandelte Interessen gehen muß. Doch ein Gegenstand muß her! Und hier zeigt sich, daß die doppelte Konditionierung der Projektteilnehmer Früchte getragen hat. Wer keine Begründung hat, kann sich wenigstens entscheiden, und wie diese Entscheidung ausfällt, stand schon vorher fest: „Zielsetzung des Projekts ist es, Inhalte zu bearbeiten, die es dem späteren Lehrer ermöglichen, eine Darstellung der Arbeitswelt zu geben, die im Interesse der später lohnabhängigen Schüler ist.“ (Vorlesungsverzeichnis SS 1972, S. 160) Sollte immer noch jemand darauf beharren, daß man sich erst Wissen über einen Gegenstand aneignen muß, ehe man über seinen gesellschaftlichen Nutzen entscheiden kann; sollte ein Student zu erkennen geben, daß es ihm um seine Ausbildung geht und nicht um die Interessen der Lohnabhängigen, so kann er sich der moralischen Verurteilung durch die Universität sicher sein: hat er doch gezeigt, daß er gegen den gesellschaftlichen Fortschritt, also ein Reaktionär ist. Vor lauter Eifer und angesichts der Not mit dem Gegenstand, der dem Interesse das Feld hat räumen müssen, vergißt man in Bremen bisweilen sogar, daß man sich ja auch um die Befähigung zur Berufspraxis kümmern wollte.
Diese Entschiedenheit der Projektbeteiligten ist jedoch nicht von langer Dauer. Denn wie die Behandlung des Themas der eigenen Ausbildung und zugleich den Löhnabhängigen nützt, darüber läßt sich ja auch im weiteren Projektverlauf trefflich streiten. Schließlich müssen die Projektveranstalter die beiden anderen Projektkriterien doch noch berücksichtigen: die Anforderungen der beruflichen Praxis sind im Auge zu behalten, und jede Wissenschaft ist unter dem Aspekt einzubringen, unter dem sie die Gegenstände untersucht, die in der Berufspraxis vorkommen. Wer will da entscheiden, wo der Schlußpunkt zu setzen ist: da sich z. B. die Sozialpädagogik mit der Arbeiterjugend befaßt und diese sehr viele unterschiedliche Dinge treibt, muß man sich eben mit diesen Dingen auch befassen. Ein Projekt „Zur Lage der Arbeiterjugend“ besteht folgerichtig aus einem Kurs gleichen Titels, einem Vorhaben zur „Methodenkritik“, einem zur „Ausbildungssituation“, zur „Mediennutzung“ und einem zur „Stadtentwicklungsplanung“ —ja richtig, wohnen tun die ja auch! Hinwiederum ist Stadtentwicklungsplanung selbst ein relevantes Problem, und deshalb gibts dazu ein eigenes Projekt, das sich jeweils beschäftigt mit „Stadtentwicklungsplanung“, „Sozialplanung“, dem „instrumentellen Inventar der Gemeinwesenarbeit“, den „Rahmenbedingungen kommunaler Entwicklungsplanung“, mit „Elementen einer Theorie staatlicher Funktion auf lokaler Ebene“ fmmh!), „statistischen Problemen in der Stadt- und Regionalforschung“ und schließlich mit „politökonomischen Determinanten der Stadtentwicklungsplanung“; — wäre das Personal nicht so knapp, der Komplexität des Problems würde noch weiter Tribut gezollt.
Die Addition von Aspekten und die interessanten Diskussionen, in denen Ansätze verglichen werden, führen lediglich zu einer Sammlung vor praktischen Verhaltensweisen, die es gegenüber diesen Gegenständen gibt und Konstatierung vielfältiger Wirkungen, mit denen es fertigzuwerden gilt. Weil die praktischen Probleme die den Anlaß gaben, Wissenschaft zu treiben und das zu erklären, womit man sich im Beruf herumschlägt, nur theoretisch wiederholt werden, die zweckmäßige Stellung des Handelnden gar nicht aufgegeben wird, hat die Diskutiererei auch keinen Nutzen: sie hat allein der Vergegenwärtigung all der Probleme gedient, die in der Berufspraxis auf den Studenten warten. Er weiß, daß ein Lehrer zu seinem Tun mannigfaltige Beziehungen hat: als Erzieher muß er fungieren, als Staatsbürger, als Beamter, als Lohnabhängiger und jedesmal wird er seiner Tätigkeit andere Aspekte abgewinnen – und wie er das tut und warum, darüber hat ihm das Projektstudium keinerlei Wissen beschert. So produziert das Projektstudium beim Studenten das Gegenteil dessen, was er verspricht — nicht bessere Bewältigung seiner Berufssituation, schon gar nicht das Begreifen des gesellschaftlichen Zusammenhangs. sondern nur ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Zwangen, die ihm schon das Studium unerbittlich vor Augen führt.
Ergebnis des Projekts ist: der Student hat nicht gelernt, mit den Gegenständen seiner späteren Berufspraxis umzugehen. Aber seinen Beruf muß er trotzdem ausüben; dies muß er also anders lernen. Und dazu verhilft ihm das zweite Projektkriterium – allerdings anders, als die Projektplaner dies im Kopf hatten: der Student erlernt den praktischen Umgang mit der Realität. Und schon wieder wird etwas klar: der Praxisabzug dient nicht der Überprüfung des erworbenen Wissens – denn dieses existiert nicht. Die Durchführung von Erkundungen, die Entwicklung von Unterrichtseinheiten, die Erforschung von Praxisfeldern oder auch die Vermittlung der Fähigkeit, „die im Bereich von Sozialisation und Verhallensformen liegende Möglichkeit gesellschaftlicher Praxis auszunutzen“ (Vorlesungsverzeichnis 1974, S. 126), kann nur noch den Zweck verfolgen, das zukünftige Praxisfeld zu besichtigen – in der zweifelhaften Hoffnung, mit dem Aufschnappen von Rezepten den praktischen Umgang mit der Berufsrolle zu lernen. Der Zirkel des Projektstudiums ist komplett: war das Projekt Folge der Tatsache, daß die Probleme der beruflichen Praxis von der Wissenschaft noch nicht genügend aufgearbeitet, die Qualifikation der Studenten für eine spätere nützliche Tätigkeit daher an der Hochschule nicht ausreichend gewährleistet sei, so wird jetzt die bestehende Praxis selbst zum Maßstab der Bewältigung ihrer Probleme — eine Bewältigung, die doch gerade auf Veränderung der bestehenden Praxis aus war. Man sieht: nicht bessere Qualifikation, Bewältigung der berufspraktischen Probleme, Einsicht in den Stellenwert der wissenschaftlichen und beruflichen Tätigkeit im gesellschaftlichen Zusammenhang ist Ergebnis des Projektstudiums, sondern die Auflösung der Ausbildung in Diskussion, ergänzt durch das Erlernen von Rezepten zum praktischen Umgang mit der Berufssituation. Die totale Reform hat es geschafft, mit dem Mangel der Ausbildung die Ausbildung selbst abzuschaffen – so konsequent ist die Bremer Reform.
IV. Die Konsequenz der Reform
„Die Hochschulen haben die ständige Aufgabe, im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Stellen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Bedürfnisse der beruflichen Praxis und die gesellschaftlichen Erfordernisse zu überprüfen.“ (S. 11) so ist man allerorten bemüht, ihn in die Tat umzusetzen. Die Institutionalisierung von Grundkursen und ähnlichen Veranstaltungen leistet das, was in Bremen neben anderem Aufgabe der Projekte sein sollte: ist die Wissenschaft selbst nur von zweifelhaftem Wert für die Befähigung zum Beruf, so übt man dort den kritischdistanzierten Umgang mit ihr. Per Methodereflexion und wissenschaftstheoretischer Problematisierung lernt der Student, sich nicht auf die Wissenschaft selbst einzulassen; in der Vorführung pluralistischer Theorien und Ansätze übt er sein Geschick, dem Gegenstand beliebig die jeweils interessierende Sichtweise überzustülpen. Insofern braucht das Bremer Modell sich seiner Fortschrittlichkeit nicht zu schämen: mit der Vernichtung von Wissenschaft zum Zwecke einer berufsbefähigenden, für die gesellschaftliche Praxis nützlichen Ausbildung, hat es nur das realisiert, was die Hochschulreform auch den anderen Universitäten abverlangt. Allerdings sind die Bremer Reformer einen Schritt zu weit gegangen.
„Das Erstaunliche an dieser Form der Universitätsgründung war der Mut des Staates, ein derartiges Experiment zu wagen. Es ist mir durchaus nachvollziehbar, daß sich Behörden für omnipotent halten. Wie es dagegen wirklich geschehen konnte, daß dieses Grüdungsmodell von staatlicher Seite in solcher Konsequenz akzeptiert worden ist, vermag ich mir dagegen auch heute noch nicht befriedigend zu erklären. Es muß etwas mit bremischen Besonderheiten zu tun haben.“ (Thomas v. d. Vring, Gründungsrektor) Das solchermaßen bestaunte Wunder hat allerdings weniger mit der traditionellen Weltoffenheit der Küstenbewohner zu schaffen als mit der politischen Couleur des Bremer Senats. Was liegt näher für eine Partei wie die SPD, die überall die Unzulänglichkeiten und mißlichen Folgen dieser Gesellschaft aufspürt, die die Beseitigung von Unterprivilegierung und Ungleichheit auf ihre Fahnen geschrieben hat, als die Wissenschaft für eine ihren Zielen entsprechende Ausbildung einzuspannen: „Das bedeutet für die sozialdemokratische Hochschulpolitik, Wissenschaft als politische Kraft so zu fördern, daß ihre Ergebnisse im Sinne des demokratischen Sozialismus nutzbar zu machen sind.“ (Hochschulpolitische Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei Bremens, 1974) Die politische Kraft der Wissenschaft ist in Bremen nun so gründlich gefördert worden, daß weder von der Wissenschaft noch von einer Ausbildung, die eine sozialdemokratische Praxis ermöglichen sollte, etwas übrig geblieben wäre, was den mit dieser Reform beabsichtigten Nutzen hätte bringen können. Kritische Ignoranten, die nichts weiter zustandebringen, als unablässig ihre Parteinahme für die Unterprivilegierten dieser Gesellschaft zu versichern, verfügen nicht einmal mehr über die Voraussetzungen, die es ihnen gestatten würden, die Stellung, die sie mit Entschiedenheit bezogen haben, in die Praxis umzusetzen und denjenigen, um deren Interesse es ihnen geht, praktische Vorteile zu verschaffen Ganz zu schweigen davon, daß sie mit diesen „Fähigkeiten“ höchstens in ähnlichen Institutionen wie der Bremer Universität eine Anstellung finden können. Nicht ein plötzlicher Sinneswandel, nicht die Angst vor der Wahlpropaganda der CDU, auch nicht die Sorge um eine anwachsende Linksradikalität begründet also die Reform der Reform in Bremen sondern die völlige Untauglichkeit der dort veranstalteten Ausbildung im Hinblick auf die Funktion, die sie erfüllen sollte. Das staatliche Insistieren auf Fachwissen, auf allgemein anerkannte Leistungen, die Absicherung durch Klausuren, Noten, Pflichtkurse – all das ist die notwendige Reaktion auf eine Reform, die in der Ausbildung ihre Zurichtung für bestimmte Zwecke installieren wollte und damit ihrem Zweck, auszubilden, widersprach. So läßt sich absehen, wie sich die Bremer Reform entwickelt. Ausbildung und Forschung werden separiert, Paukkurse werden eingerichtet, die das Prüfungswissen vermitteln, und ordentliche Prüfungen finden statt — ein normal verschultes Studium garniert mit kritischen Veranstaltungen, wo das emanzipatorische Interesse seinen Platz zugewiesen bekommt. Denn die Bremer SPD gibt ihren demokratischen Sozialismus nicht auf und Bremen braucht nicht gleich Bayreuth zu werden. Die Studenten können auch weiterhin ihre Kenntnisse aus der „edition suhrkamp“ beziehen, sofern sie mit einigem bürgerlichem Wissen kritisch reflektiert werden. Als Überbleibsel der Gründerjahre wird die „Arbeitsstelle Arbeiterkammer“ die Gegenreform überdauern Ergebnis eines Kooperationsvertrages zwischen der Universität und der Bremer Arbeiterkammer (eine Institution analog den Handelskammern) sollte es ihr Zweck sein, durch Forschung und Lehre der Förderung von Arbeitnehmerinteressen zu dienen. Solange die Ausbildung die Studenten durch die Offenheit der pluralistischen Wissenschaft tauglich macht für die vielfältigen Anforderungen der Lebens Wirklichkeit, schadet dieser besondere Akzent der Bremer Ausbildung lacht Denn da es in unserer Gesellschaft viele Arbeitnehmer gibt, wird sich keine bürgerliche Partei gegen die Berücksichtigung ihrer Interessen wenden, solange dies nicht als ausschließliches Ziel betrieben wird.
Während die SPD-Reformer auf ihre Art und Weise versuchen, die von ihnen selbst in die Welt gesetzte Mißgeburt nun ordentlich aufzuziehen, begreifen sich die Bremen Linken ihrer einfachen Weltsicht gemäß als eigentlicher Anlaß dieses Unternehmens. Hereingefallen auf die gesellschaftskritischen Äußerungen der Universitätsgründer, haben sie sich en masse an der Hochschule installiert, auch zum Erschrecken der Initiatoren: „An der Bremer Universität sollten die Wissenschaften aus ihrem Eigenleben gelöst und mehr mit Blickrichtung auf die praktischen und gesellschaftlichen Fragestellungen betrieben werden. Vor allem zu Anfang ist es schwierig gewesen. Nicht Marxisten mit diesem Wissenschaftsansatz überhaupt zu bekommen.“ (II. W. Franke. Bildungsexperte der Bremer SPD) Schien zu Anfang der kritische Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse, die die Interessen der Lohnabhängigen nicht zu ihrem Recht kommen lassen, Bremer SPD und linke Wissenschaftler zu vereinen, so mußten beide Seiten sehr bald die Grenzen dieser Gemeinsamkeit erfahren: Die Parteilichkeit der Linken, die nicht davor haltmacht, den Staat und die Regierungspartei anzugreifen, die sich weigern, die Lohnabhängigen gegenüber den Kapitalinteressen zu bevorzugen, bringt sie in Gegensatz zu den Sozialdemokraten. Bestand doch für diese der Zweck der Bremer Universität darin, zu einem für die Unterprivilegierten günstigeren Interessenausgleich zu gelangen, ohne damit das Funktionieren dieser Gesellschaft in Frage stellen zu wollen. Mit ihrer reformerischen Einstellung, die den Benachteiligten dieser Gesellschaft zu Hilfe kommen will, zieht die Bremer Universität immer wieder unerwünschte Bündnispartner an, von denen sie sich dann folgerichtig wieder trennen muß. Auf Grund der Zielsetzung läßt sich zwar die Einseitigkeit der Bremer Wissenschaft nicht ganz vermeiden, darf aber auch gewisse Grenzen nicht überschreiten: Verfassungsfeinde dürfen nicht sein – jedenfalls nicht zu viele. Und damit wird deutlich: Gerade weil es eine Interessenidentität zwischen Linken und SPD-Reformern gibt, müssen die Linken über die Reform der Reform am lautesten jammern. Sie müssen sich als die Verfolgten und Betrogenen fühlen: „Die Entwicklung an der Bremer Universität und in der BRD im letzten Jahr hat deutlich gezeigt: wo immer Kräfte mit dem Anspruch ernst machen, ihre Arbeit an den Interessen der Arbeiter und der übrigen Werktätigen zu orientieren, da wird auf sie massiver Druck ausgeübt.“ (Wahlplattform Demokratischer Liste-Hochschullehrer, 75) Umgekehrt benutzen die SPD-Reformer die angereiste linke Intelligenz als willkommene Entschuldigung für ihre mißratene Reform. Mit selbstmitleidigem Gejammer, die „Chaoten“ hätten ihre Reform kaputt gemacht, „Wenn ich gewußt hätte, daß als einzig mögliche inhaltlich Ausfüllung des Bremer Modells nur der sog. wissenschaftliche Sozialismus marxistisch-leninistischer Observanz zugelassen würde, so hätte ich mich weder für diese Universität beworben, noch mich an ihrer Gründung beteiligt“ (Hochschullehrer Immanuel Geiss) „Die Schwierigkeiten, die es heute an der Hochschule gibt, sind ja nicht auf die Mitentscheidung von Studenten, Tutoren und Assistenten zurückzuführen, sondern vor allem auf radikale Gruppen“ (Bildungssenator Thape), wälzen sie freudig alle Verantwortung auf diejenigen ab, die wegen der Besonderheiten der Bremer Reform geglaubt hatten, die Wasserkanten-Universität wäre ein Feld für ihre volksfreundliche Politik. Und so notwendig der SPD-Reform das Interesse der Linken, der Reform der Reform das Geschrei der Linken auf dem Fuße folgt, so notwendig folgt der Bremer Reformversion das Gezeter und die Verleumdung durch die andren politischen Parteien. Der Kaderschmiedenvorwurf kommt in Parlamentdebatten und Wahlversammlungen so sicher wie das Amen in der Kirche; und freudig wird dann zur Kenntnis genommen, daß offensichtlich auch Mitglieder der Universität ähnlich denken – auch wenn sie es nicht offen sagen dürfen. Man reißt sich denn auch geradezu um den Herrn Geiss, SPD-Mitglied, welcher sich mit dem Stalinismus-Vorwurf seine zukünftige Karriere geebnet hat. Während so die Linke die neuerliche Reform als Anschlag des Klassenfeindes und sich selbst als dessen Opfer erklärt und die SPD ihr Versagen den ,Roten’ zur Last legen will, wird faktisch ein Fehler ihrer reformistischen Politik korrigiert. Eine Universitätseinrichtung, die mit der Unterordnung deren Nutzen für diese Gesellschaft destruiert, muß rückgängig gemacht werden. Zur Veränderung der Gesellschaft hat diese Universität allerdings ebensowenig getaugt wie zur Lebensbewältigung in ihr. Die Bremer Wissenschaftler und Studenten, die die proletarische Revolution dadurch zu befördern meinen, daß sie den Pluralismus der bürgerlichen Wissenschaft um ihren Ansatz bereichern und den Marxismus zu einer Fragestellung herunterbringen, wird dies alles nicht anfechten – sie haben ihre Perspektive. Wer eine universitäre Ausbildung haben will, die ihm einen intellektuellen Beruf und das dazugehörige Einkommen verspricht, wird Bremen – zumindest vorläufig – meiden. Und wer es ernst meint mit kommunistischer Politik, verwechselt ohnehin nicht den wissenschaftlichen Sozialismus mit der fortschrittlichen Professoralform bürgerlicher Wissenschaft. Er weiß, daß an der Bremer Universitär die bloße Kundgabe politischen Willens genügt, um ein Heer „kritischer Marxisten“ (vgl. MSZ Nr 3 1975 ad Vahrenkamp) gegen sich aufzubringen. aus: MSZ 6 – 1975 |