Die größten Angeber des vergangenen Jahrzehnts – Teil I
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R. BAHRO - Der reale Gesamtidealist


Mit einer gewissen Hartnäckigkeit hält sich in unseren Breiten das Gerücht, die BRD habe sich mit Rudolf Bahro einen Kommunisten eingehandelt. Für die bürgerliche Presse reicht als Indiz, daß der Funktionär von drüben bei allen Querelen mit dem dortigen System (für sein kritelndes Buch Die Alternative, Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, vgl. MSZ 23/1978, mußte er erfreulicherweise sogar in den Bautzener Knast) diesem nicht bedingungslos den Kampf ansagte.

Daß so jemand nun bei uns ist, stellt folglich ein öffentliches Problem dar. Wärst du doch im Unrechtsstaat geblieben, heult die antikommunistische Schmutzschleuder vom ZDF, da hätte sich prima Empörung heucheln lassen, wie die da mit dir umspringen, anstatt daß du hier als Gast Rechte in Anspruch nimmst, die grade für dich die Pflicht zum Wohlverhalten sind. Prinzipiell dasselbe Problem hat die sozial-liberale Presse, allerdings rechnet sie sich, wie etwa Der Spiegel ganz clever auch ein paar politische Pluspunkte aus, daß hierzulande ein in der DDR Geschaßter zum Herumwandeln ein Recht hat. Auch die Linke macht sich mit dem eingeschleusten Marxisten Bahro Sorgen, — daß der sich nämlich „konkurrierend dem wissenschaftlichen Sozialismus gegenüberstellen“ (KB, Arbeiterkampf) könnte, was um so provokanter ist, als dies „die Organisationen der neuen Linken in einer ernsten Krise (trifft)“.


So viele Formen ...

Alle diese Einschätzungen sind falsch. Sie tun dem guten Rudolf Unrecht. Stellte er doch schon vor Monaten bei seiner Einreise im Interzonenzug klar, daß er in höherer geistiger Mission (mit ,,meinen Menschen“) unterwegs ist und nicht an kommunistische Umtriebe denkt. Dazu lächelte er so herzlich aus seinem Latzkragen, daß eigentlich keiner mehr am Sinn seines schon vor Jahren geäußerten sonnigen Leitsatzes hätte vorbeirätseln dürfen:

„So viele Formeln und der eine Glaube.
Immer noch der Rauch über dem Ätna.
Immer Lumumba Bruder,
Camilo Torres Bruder,
immer El Comandante Che.
Die unsichtbare Kirche.“
(Bahro, ... die nicht mit den Wölfen heulen)


... und der eine Glaube

Bruder Rudi hat es mit dem einen menschheitsbeglückenden Idealismus, für den sich auf aller Welt so viele Formeln finden lassen, wie er es versteht, Gesinnungsgenossen auszuheben. Dank solch verrückter Erfinderei bleibt Rudi nicht allein, wenn er träumt von der Zukunft:

,, ... täuscht mich der Unterschied, daß ich den alten Kampf nicht so blindlings führ? nicht auf verlorenem Posten nachtwärts dämmere? ...“

Mitnichten, Rudi, mitnichten!

Als alter Kämpfer weiß er selber so manchen Partner, dem die

„Forderung des Tages, eine langfristige Politik für das Überleben der Menschheit zu entwerfen und vor allem auch zu praktizieren“,

gemäß ist. Vor allem denkt er da an die „fundamentale historisch-schöpferische, auch kulturzivilisatorische Rolle des Staats“, die sich natürlich einer der liebenswerten kleinen idealistischen Konstruktionen Bahros verdankt. Meisterlich, wie es der Abstraktionskünstler versteht, gewisse unschöne Erscheinungen, wenn Staaten zivilisieren, in „dem“ Staat zum Verschwinden zu bringen. So läßt sich aus staatlich organisierten Anschlägen auf das Leben der Menschheit leichthin das Ideal des Überlebens gewinnen, daß man dann „dem“ Staat als Kulturspender recht eigentlich zu danken hat: Sklavenarbeit im alten Ägypten? –  Sie verblaßt angesichts der ewigen Pyramiden, dieser so wunderbar Materie gewordenen Idee einer Überlebenskultur. Schön auch, daß Stalin

„die historisch notwendigen Leidenschaften besaß, um den Machtapparat für die terroristische Umgestaltung von oben zu schaffen, die Rußland damals brauchte.“

Millionen mußten krepieren, denn für Volk und Vaterland war ein geistiger Jungbrunnen nötig. Die Parteilichkeit des Moralisten Bahro macht auch vor heutigen Staatswesen in Ost und West nicht halt, deren Staatsmaschine er mit seinen erfrischenden Ideen so hin trimmen will, daß sie als „Instrument der sozialen Kontrolle“ über die „entfremdete Bedürfnisstruktur der Massen, an deren Überwindung uns ... subjektiv vielleicht sogar am meisten gelegen ist“, besser funktioniert. Rudi der Rufer findet nämlich, daß die Menschheit sich in wildem Konsumrausch selber tyrannisiert, obwohl doch

„längst die Chance dagewesen (wäre), auf einem niedrigen Niveau der Ansprüche die wahre Befreiung der Menschheit zu erreichen, anstatt daß die Ansprüche die Industrialisierung immer weiter treiben“.


Maßhalten

Rudolf Bahros gemeine Staatsphilosophie dichtet den Massen erst den Blödsinn an, sie trieben die Wirtschaft (und nicht diese sie), und zwar nicht mit ihrer Arbeitskraft, sondern mit ihrem Denken, zu ihrem Wohl, um ihnen dann den nur behaupteten Wohlstand gehörig mit dem Vorwurf zu vermiesen, sie sollten sich gefälligst gar nicht erst einen solchen einbilden, das sei unverantwortlich gegenüber der „Gesamtheit“ , und schließlich sei man selber schuld, wenn man darüber Schaden nehme. Also, eine gewissenhafte Einstellung zu materiellen Gütern muß her:

„Wir müssen unsere Ohren öffnen für den Sinn des Wortes: »Ihr sollt Euch nicht Schätze sammeln auf Erden!«“

Wenn Bahro mit dieser Verzichtspropaganda in Deutschland (Ost) auf taube SED-Ohren stieß, dann lag das daran, daß dort schon des längeren feste am realen Verzicht der Massen gearbeitet wird, was Rudi dem Staat so engagiert hinterherträgt. In Deutschland (West) steht’s prinzipiell nicht anders, aber wenn ein selbständiger Denker sich um die geistige Aufrüstung der Massen verdient machen will, so soll er nur zeigen, wie frei es bei uns zugeht!

So tingelt der Ein-Mann-Zirkus Bahro nun schon seit Monaten durch den schönsten, den westdeutschen Teil unseres weiß Gott gelobten Abendlandes und versteht es, sein Publikum mit stets neuen schönen vaterländischen Ausblicken zu überraschen. Wir wollten dem Geheimnis dieses Achtungserfolgs nachgehen und haben Rudis Tournee-Theater begleitet.


Zirkus Bahro gastiert ...

Eben rief er noch auf dem Programm-Kongreß der Grünen in Offenbach:

„alle guten Geister, die an den Grundlagen unserer Zivilisation Anteil haben und ihre Werte bewahren und weitertragen möchten.“

und alle, alle kamen sie, um sich von Entertainer-Rudi am laufenden Band für die Sorge um „unser immer noch schönes Land“ einspannen zu lassen, daß sich ob so viel liebender Anteilnahme jetzt auch zu strahlender Schönheit „von innen heraus umgestalten kann“: Jesus Christus, von Geburt her Jude, kam schlauerweise in Begleitung von Rosa Luxemburg, „die unter uns Deutschen gelebt hat“, Friedrich Engels, mit dem Vorzug „hier geboren worden“ zu sein, hatte Freund Marx mitgebracht, der als „deutscher und westeuropäischer“ doppelt erschien und damit auch das befreundete Ausland mit seinem besonders „breiten Spektrum der utopischen Sozialisten und Kommunisten des 18. und 19. Jahrhunderts, die größtenteils aus der bürgerlichen Klasse hervorgegangen waren“, nebst deren „Erbe der Renaissance und der Aufklärung“ mit sich zog. Ferner gesehen wurden der Dichter Homer, wie er „mit den zwei-, dreitausend Jahren westeuropäischer Zivilisation seit den Griechen, seit der Ilias hinter uns“ (Alleinunterhalter Rudi im pluralis maiestatis) stand, ein gewisser Genosse Lenin, „wenn es erlaubt ist, ihn zu erwähnen“, schließlich die „volle Breite der sensibilisierbaren Kräfte, als Keil (?) ...“ sowie ein „Mops, der zwischen den Beinen des Elefanten herum springt“, wobei nicht ganz klar wurde, ob damit Rudi Dutschke gemeint war.


... in Tübingen

Unmittelbar nach dieser Bravourleistung auf dem weitgespannten Hochseil national-kultureller Identitätssicherung stieg Rudi gelassen in die provinziellen Niederungen der Tübinger Universitätsmanege, um dort leibhaftig als „Retter des Abendlands“ zu figurieren. Der Nachweis, daß dieses älter sei als Konrad Adenauers auch schon ziemlich alte Berufung darauf, gelang dem dialektisch versierten Redner ebenso locker wie der gegenteilige Beweis, daß es keine taufrischere Idee als die „Bewahrung alter Werte wie Leistung, Pflichterfüllung, Disziplin“ gebe. Es bedurfte lediglich Rudis persönlicher Vermittlung:

„Das Glück für einen Deutschen (Deutschland lebt!), der aus dem Osten kommt, ... (er) kommt in den anderen Teil des Vaterlandes :.. Warum ich mich in Tübingen heimisch fühle: geographisch Bad Flinsberg im Isergebirge (wo der Rübezahl mit seinen Zwergen), wo ich herkomme, die Gegend hat schon manche Ähnlichkeit (oh Glück, laß nach!) ... Aber vor allem: Hölderlin, mein Hölderlin! Ich empfinde das so stark. Ich könnte vor 210 Jahren in Nürtingen geboren sein, vor 180 Jahren zwischen Hölderlin und Hegel auf der Bank des Stiftes gesessen haben und mit ihnen evangelische Theologie studiert haben. Damals saßen solche Menschen wie ich im Stift.“

Und da steht er nun, q.e.d.!

3000 Jungakademiker brachen in Jubel aus, weil sie begriffen hatten, was Klein-Rudi da gerade seinem Buch gemäß als „so eine Theorie entwickelt“ hatte, daß nämlich alle Wege letztlich doch ins deutsche Reich gemütlicher Hoffnung auf bessere Zeiten führen. Oder mit Bahros aus berufenerem Munde geliehenen Worten:

„Herrschet im schiefesten Orkus
Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?
Dies erfuhr ich ...
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für alles lern,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.“
(Hölderlin, Lebenslauf, Aus der Zeit vor der Umnachtung)


... beim Dortmunder Biermann

Nachdem der geflügelte Rudi dies freie Bündnis eines dankbaren Jungvolks zum allgemeinen Aufbruch getrieben hatte, schwang er sich über deutsche Lande direkt auf das Podium der Dortmunder PH, um sich mit Wolf Biermann darüber zu verständigen, daß „wir Optimismus (brauchen)“, was dem Freund mit dem Hundeblick willkommene Gelegenheit zu folgender solidarischen Kritik gab:

„Ich beobachte bei dir wieder dieselben Bocksprünge, die ich damals machte, mit dieser sonnigen Überschwenglichkeit (Beifall), die ein bißchen wirklichkeitsfremd ist.“

Rudi: „Aber der Marxismus ist Westkommunismus!“

Wolf: „Tja, tja ... (Beifall) ... Ich meine, warum kriegen wir denn keinen Fuß auf den Boden in dieser Gesellschaft? ... Weil ... das halbe Vaterland als abschreckendes Beispiel vor der Nase (ist) ...“

Rudi: „Ich glaube, der Wolf macht einen ungeheuren Fehler in der Orientierung jetzt ... Wir können doch von hier aus die DDR nicht ändern. Wenn dann doch (!) dadurch, daß wir eine sozialistische Bewegung schaffen. Und du sagst, wir können keine sozialistische Bewegung schaffen, weil uns die DDR im Wege ist. Daher (soso!) ist das falsch.“ (Publikum aufgewühlt)

Frau aus dem Publikum (zu Bahro): „ ... du verstehst dich ja auch so, als Integrationsfigur – dann stürzen sich natürlich viele mit großen Hoffnungen auf dich ... Ich hoffe, daß du den Boden unter den Füßen nicht verlierst ...“

Rudi: „Ich versteh dich, aber ...“ (wird von Beifall unterbrochen)

Um nun aber den „ein bißchen wirklichkeitsfremden“ Erfolg der auf die ganze „Bewegung“ gerichteten Festivität nicht den linken Bach runtergehen zu lassen, holte der Biermann flugs seinen Zupfgeigi heraus (was anwesenden Feministinnen mißfiel), wozu er etwa 3 1/2 Stunden lang sein „Wintermärchen“ intonierte.

Rudi merkte natürlich gleich, was los war; und um das ihm bereits vom CDU-Chef Helmut Kohl streitig gemachte Etikett, Generalist mit der schönen Fähigkeit zu sein, „aus dem heute globalen Gesamtzusammenhang heraus zu denken“, nicht auch noch von einem Liederheini ankratzen zu lassen, setzte er unverzüglich zu einem Rundflug über die westdeutschen Hochburgen kritischer Staatsbegeisterung an, bei dem ihm unser Korrespondent kaum noch folgen konnte.


... an Main und Weser

Aus Frankfurt lief die Nachricht ein:

„Bahro live in Hörsaal VI. Bahros genialer Vorschlag eines »Bundes der Kommunisten«, der »gemeinsam mit der Gesellschaft den Staat in die Mitte nehmen« solle (von allen verlassen, wird er sich da am wohlsten fühlen!), kam nicht sehr gut an (vermutlich, weil einige im Publikum den Staat nicht gar so radikal in die Mangel nehmen lassen wollten), wobei natürlich grundsätzlich Einigkeit darüber herrschte, daß es der Menschen »unmittelbare Bedürfnisse« sind, die für die gesellschaftlichen »Antagonismen« verantwortlich sind, also dem »wirklichen Gesamtinteresse« im Wege stehen, und daher auch klar war, was sich zum Wohl des gesellschaftlichen Ganzen zu ändern hat – der Mensch (oder was?).“

Fast gleichzeitig meldete Bremen:

„Bahro live in GW II. Er warnte davor, die Welt »ökonomistisch (zu) sehen«, weil man sie damit einem Zwang zur »Industrialisierung« ausliefere, der dann auch die »kapitalistische Zivilisation« zur »akkumulierten Mehrarbeit« verdamme (was ja bekanntlich das Kapital von sich aus zuallererst will). »Materielle Unersättlichkeit« sei eine Betrachtungsweise, die uns (?) (vor allem sicher die, die offenbar nichts so sehr wie ihr eigenes »Anspruchsdenken« ruiniert hat) »die Freiheit der höheren Entwicklung (koste)«.“


In den Tunnel gerufen

Pausenlos tickerten neue Bahro-Wahrheiten über unseren Fernschreiber. Einladungen nach München und Bonn scheinen unmittelbar bevorzustehen. Doch scheint der Höhepunkt überschritten. Dem Vernehmen nach plant Rudi Bahro in der Bundeshauptstadt seinen vorläufig letzten Auftritt zu dem Thema „Beethovens Kampf mit dem Engel und der Gang der Geschichte“, der unter dem Motto stehen soll: „Das Reich der Bourgeoisie schickt seine Widersacher in einen langen Tunnel.“ (Bahro, ... die nicht mit den Wölfen heulen, 64). Da „1815 auch Beethoven in den Tunnel (mußte)“, in dessen „unterirdischem Strom“ „auch in jener Zeit eine reale Weltbewegung (existierte)“, steht zu befürchten, daß bald auch Rudolf Bahro mitsamt seiner verrückten Gedankenwelt untertaucht und die „Geister“, die er zu einer „Bewegung“ rief, auf dem trockenen Sand ihrer herzigen Solidarität sitzen bleiben, sofern sie es nicht vorziehen, sich darin die üblichen weinerlichen Grabenkämpfe zu liefern.

Wir würden selbstverständlich eine solche Entwicklung nicht ernsthaft bedauern und möchten diesen Artikel darum auch schon gleich als ersten Nachruf auf Rudolf Bahro und Konsorten verstanden wissen.

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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