Das alternative Leben:

Fröhlicher Verzicht – einmal anders


„Sollten wir eine Karikatur der Aktivitäten anfertigen, die charakteristisch für die Lebensgewohnheiten dieser Gruppe sind, würden folgende Details in die Zeichnung eingehen: Organischer Gartenbau, Recycling, natürliche Lebensmittel, einfache Kleidung, Radfahren zur Arbeit, Familiensinn, die Beschäftigung mit Meditation oder anderen inneren Prozessen.“ (I, 22)

„Für’n Bioappel und n’ Freilandei oder DM 1,00“ ist ein Heft der „Alternativen“ erhältlich, einer „Zeitschrift für alternative Technik, Dezentralisierung und Ökologie“. Und nicht nur solche Blättchen (kleine Auswahl weiterer Titel: „Graswurzelrevolution“, „hier & jetzt“, „Dicke Luft“), die mit Alternativen schon bei der Zahlungsweise aufwarten, haben derzeit Konjunktur. Ganze Taschenbuchreihen, die ausschließlich mit harter Währung kalkulieren, haben sich den „Alternativen“ verschrieben, die Illustrierten (und nicht etwa nur die Linken) und auch das Fernsehen beschäftigen sich verdächtig oft mit dem „Alternativen Leben“.

Wer dem, was er tut, den Titel „Alternatives Leben“ beilegt, hat schon mit dieser Namensgebung ein Programm ausgesprochen, das sich folgendermaßen fixieren läßt:

1. will er einfach etwas praktizieren; mit theoretischen Begründungen seiner Tätigkeit hält er sich nicht lange auf, sondern steht ihnen eher mißtrauisch gegenüber. Und wirken will er mit der Propaganda der Tat.

2. will er anders leben als bisher, tritt also in Gegnerschaft zu den jetzigen gesellschaftlichen Zuständen und nennt seine Praxis „die tägliche Revolution“.

3. will er aber mit der Revolution bei sich anfangen und hier und heute anders leben; er sucht nach „Möglichkeiten des alternativen Lebens in unserem Alltag“, will also dasselbe wie bisher auf unterschiedene Weise tun (womit er nebenbei auch sich selber die Schuld daran gibt, daß das „Leben“ bislang unalternativ gewesen ist).

4. schließlich kennt er kein Prinzip für die neue Sorte von Lebensgestaltung, außer daß sie eben anders sein soll; kein Wunder, daß unter die Abstraktion „Alternative“ alles mögliche paßt und sich schon von daher jede Kritik an bestimmten Alternativen verbieten läßt.

Freilich ist die Palette von unbegrenzten „Möglichkeiten“, verfolgt man die öffentliche Anteilnahme am alternativen Treiben, doch ziemlich begrenzt: öffentliches Interesse genießen die Alternativler vor allem dann, wenn sie sich zur „Einfachheit als Lebensprinzip“ bekennen. Und zu dieser Alternative bekennen sie sich bevorzugt. Ihr Slogan, „Anders leben – überleben“, der die „Grenzen des Wachstums als Chance zur Befreiung“ begrüßt, verrät die Grundlage des Booms, in dem sie sich sonnen: Er ist die Feier der freiwilligen Beschränkung, die ihnen eine gewisse Aufgeschlossenheit sichert in Zeiten der Krise und ihrer modellmäßigen Bewältigung.


Alternatives Landleben

„Es reicht nicht, formale Proteste gegen die Industrie zu artikulieren oder mit moralischer Entrüstung auf die profitable Vergiftung der Bevölkerung hinzuweisen. Man muß anfangen, Nahrungsmittel selber und anders zu produzieren.“ (III, 31)

„Auf die Haushalte bezogen würde das bedeuten, die schädlichste aller technischen Erfindungen, das Wasserklosett, durch einen Kompost-Abort zu ersetzen. Auf diese Weise würde sich der private Wasserverbrauch verringern, Dünger für landwirtschaftliche Zwecke bereitgestellt und die Verseuchung unseres Wassersystems verhindert.“ (I, 100)

Die Alternativler sind praktische Leute, die sich in ihrem „Protest gegen die Industrie“ nicht durch theoretische Überlegungen, was es mit dem Gegner auf sich hat und wie man ihn am besten bekämpft, behindern lassen. Ihre Praxis besteht nun nicht darin, daß sie Maschinen stürmen oder in den Industriezentren um Schonung der Natur nachsuchen; Schließlich wollen sie ja „alternativ leben“, also nicht etwa sich mit den das Leben „vergiftenden“ Institutionen anlegen, was ihnen allerdings für die lebendige Ausgestaltung ihres phantasievollen Gegenlebens einige Schranken beschert. Da diese Institutionen die äußeren Lebensbedingungen weithin auf ihre Bedürfnisse hin eingerichtet haben, ziehen sich die Alternativler zurück von den Orten, an denen das Kapital Mensch und Natur ausbeutet, gehen aufs Land oder mieten verlassene Werkstätten, kurz, suchen solche Orte auf, an denen es sich nicht mehr lohnt, wirtschaftlich zu produzieren.

Da der demonstrative Rückzug aus einer verdorbenen Zivilisation natürlich auch den Verzicht auf deren technische Mittel einschließt, haben sie bei ihren Unternehmungen einige originelle, selbstauferlegte Härten einzustecken:

„Sie bestellen das Land, wie es die Bauern vor 500 Jahren bereits getan haben. Statt mit Traktoren und Mähmaschinen arbeiten sie mit der Hand.“

So berichtet die Illustrierte „Freundin“ über das holländische Projekt „Die Kleine Erde“. Dabei haben es dessen Angehörige noch recht gut, denn der holländische Staat hat wegen der Experimente mit Wind- und Sonnenenergie, die dort betrieben werden und in einem „autonomen Haus“ resultierten, einen gewissen Gefallen daran gefunden und hat einige der Leute von der „Kleinen Erde“ bei sich angestellt. Daneben müssen sie ihre Produkte verkaufen, und so hält sich „die Kleine Erde so, daß es weder Gewinne noch Verluste gibt.“ Sehr viel schwerer haben es da die „Älpler“ im Berner Oberland.

„Zum Praktischen ist zu sagen, daß wir diesen Sommer/Herbst immer noch einige Leute brauchen können. Da die finanzielle Situation je länger desto angespannter wird, setzen wir sogar die Idee in die Luft, daß verdienende Helfer trotz Mitarbeit ein bißchen zu ihrem Lebensunterhalt beitragen …
Womit wir zum finanziellen Appell um Geldspenden kämen.“ (III, 32)

Das sind Alternativen! Während ein hungerleidender Alpbauer noch eine Brotzeit für den bereithält, der ihm mal aushilft, muß man sich diese auf die Alp selbst mitbringen. Die Alternativler sind auf die Unterstützung von Leuten angewiesen, die die Zwänge des bürgerlichen Lebens auf sich nehmen, deren Alternative sie sein wollen.

Das alternative Leben, das die Tatsache, daß das normale anderen Gesetzen gehorcht, nicht antasten will, kann Berührungspunkte mit diesem Leben schwerlich vermeiden. Stellt man sich nicht völlig auf Selbstversorgung dank der eigenen Hände Arbeit um, was einige Schwierigkeiten mit sich bringt, man denke nur an die Herstellung geländegängigen Schuhwerks, müssen sich die Älpler und sonstigen Naturburschen schon dazu bequemen, sich soweit auf die normalen Spielregeln einzulassen, daß sie zumindest verkaufsfähige Gegenstände produzieren. Ihr verrückter Angriff auf die Ungemütlichkeit des modernen Lebens aber, der anstelle des Kapitals die Industrie zur Ursache allen Übels erklärt, verbietet ihnen die Verwendung von deren – ebenso anrüchigen – Mitteln und nötigt sie zu den verschiedensten Formen origineller, mühsamer Handwerkelei. Diejenigen, die ohne Bettelei auskommen, stellen Produkte auf gekünstelt-mittelalterliche Weise her (ab und an ist natürlich die Verwendung eines noch nicht so naturfeindlichen Elektromotörchens gestattet), für die sie eine Marktlücke entdeckt haben, und arbeiten von früh bis spät. Also erhält der Stadtmensch für sein Geld – verdient mit wenig alternativen, sondern sehr bürgerlichen Tätigkeiten – viel Holzgeschnitztes, Gewebtes, Salat ohne Kunstdünger etc. nebst praktischen Ratschlägen, wie auch er in seinem in den städtischen Wüsteneien vegetierenden Leben alternativ sein kann.

Die meisten Anhänger dieser Bewegung hüten sich nämlich wohlweislich, die gleiche Konsequenz wie die Kollegen Stadtflüchter zu ziehen. Der Vergleich ihres inmitten der Zivilisation sich abspielenden und auch deren Vorzüge genießenden Lebens mit der selbstgewählten Einödbauernschaft samt deren selbstgeschaffenen Drangsalen, läßt die Alternativen zumeist nicht gar so alternativ ausfallen.


Alternativen in der Zivilisation

Bei allen alternativen Schwärmereien stellt nämlich ein Großteil der Bewegung einen ziemlich realistischen Vergleich an zwischen den Sicherheiten, eventuellen Karrieremöglichkeiten (immerhin stammen viele aus der studierenden Jugend) und Annehmlichkeiten, die ein bürgerlicher Beruf der mittleren und höheren Ränge doch immerhin garantieren kann, und dem, was der Sprung hinaus aus der bürgerlichen Existenz an Beschwernissen und Risiken mit sich bringt. Interessierte Sommerausflüge in Landkommunen und Wochenendkleinbauerntum ist das eine – die Aufgabe der Vorteile, die eine Eingliederung ins Berufsleben verspricht, das andere. Und sind es auch nur zwei Jahre – Befürchtungen, im Studium oder Beruf den Anschluß und die dort erreichbaren Möglichkeiten von Wohlstand zu verlieren, lassen der Mehrzahl doch ein gemäßigtes alternatives Leben geraten erscheinen. Können doch auch Stadtbewohner im Bereich von Wohnung, Ernährung und Kleidung durch allerhand Zusatzveranstaltungen ziemlich alternativ sein. An Vorschlägen

„Wie man sich im Stadtquartier einrichten könnte, damit ein städtisches Leben noch akzeptabel wäre“ (III, 11)

fehlt es nicht:

„Ich ermutige ausdrücklich die Bewirtschaftung von Rasenflächen von Parterrewohnungen ...“

Der Möbelindustrie eins auswischen, wenn man seine Möbel selbst bastelt (Autonomie!):

„Aus Kistenholz (zu dem man auch einmal ein Brett oder ein Bälkchen kaufen kann) lassen sich sehr viele Gegenstände für die Wohnung selber auf dem Küchentisch machen.“

Gegen die Textilindustrie, indem man die Hosen solange flickt, bis sie nur noch zur Flickenteppichherstellung taugen:

„Wer mit so einer Hose herumläuft, packt erfahrungsgemäß viel eher etwas an, als wenn er dauernd wie eine Mary-Long*(1)-Reklame gekleidet ist.“

Den Konsumterror brechen, indem man nur die natürlichen Bedürfnisse verfolgt:

„Man kann Kefir und sogar Quark, gesünder als Hartkäse, selber herstellen, vielleicht Selbstgepflanztes, natürlich gedüngt durch den Smog der Großstadt, einmachen. Auf Müllhalden findet man viel Brauchbares der Wegwerfgesellschaft.“

Man kann allerdings auch in den Städten sein Brot auf befreite Weise verdienen, indem man ganz normale Erwerbstätigkeiten ausführt, nur eben alternativ. Was sich dadurch bemerkbar macht, daß man keinen Vorgesetzten hat, stattdessen in Kollektiven freundschaftlich-familiärer Art sich zusammenschließt oder Berufe vorwiegend handwerklicher Art ergreift, wo sich industriefeindliche Naturverbundenheit in eifrigen Basteleien betätigen kann und für die kein unerschwingliches Startkapital vonnöten ist. Städte mit einer ausgedehnten linken Subkultur erfreuen sich daher neuerdings mancher alternativer Klein- und Kleinstbetriebe, angefangen von Druckereien und Autoreparaturwerkstätten über die kunstgewerblichen Töpfer- und Trödelläden bis zu alternativen Bäckereien mit garantiert naturrein verschroteten Brotsubstanzen. Daß die Vernachlässigung solcher Betriebe durch normale Geschäftsmenschen gute Gründe hat, weil sich diese Berufe aufgrund der Konkurrenz zur Industrie zumeist nur dank eines enormen Einsatzes von Arbeitskraft gewinnbringend betreiben lassen, setzt allerdings auch ihrer alternativen Praktizierung gewisse Grenzen. Die Schufterei, die für ein einigermassen zufriedenstellendes ökonomisches Ergebnis notwendig wäre, deckt sich daher auch kaum mit den Vorstellungen von nicht-entfremdetem Arbeiten und Selbstverwirklichung. Weshalb die Kooperativen und Kollektive wegen des ständigen Streits, wer warum zu wenig zur gemeinsamen  Existenzgrundlage  beiträgt, ihre alternative Solidarität bitter nötig haben. Ebenso die einer linken Szene, die bereit sein muß, die in bezug auf Qualität oder Preis kaum konkurrenzfähigen Produkte oder Dienstleistungen als Symbole eines besseren Lebens abzunehmen. Sei es, daß man die ideologisch verbundene Käuferschaft, Alternatives um etliches teurer bezahlen oder qualitative Mängel in Kauf nehmen läßt, wie bei dem alternativen Berliner Autoverleih, der zwar preislich seine Konkurrenten aus dem Feld schlägt, dessen Autos aber des öfteren unter ihren Fahrern zusammenbrechen.

So gelingt es den alternativ Lebenden zuweilen, sich des längeren über Wasser zu halten, indem sie sich mehr oder weniger offen von ihren Sympathisanten aushalten lassen, unterstützt durch den Druck der moralischen Überlegenheit der Praktizierenden gegenüber den bloß theoretisierenden Überwindern des bürgerlichen Lebens. Ganz entgegen dem großsprecherischen Gehabe einer unaufhaltsamen Revolutionierung des bürgerlichen Daseins aber leben diese Exemplare parasitenhaft von der Gutwilligkeit derjenigen, die es nicht verlassen und daher die erforderliche Zahlungsfähigkeit, wegen ihres schlechten Gewissens auch die Zahlungswilligkeit, aufbringen.

Mit ihrem solidarischen Beitrag erkaufen sich die Nicht-Praktizierenden die Zugehörigkeit zur alternativen Gemeinschaft, was für die große Mehrheit der Bewegung das einzige und auch völlig genügende Element alternativen Daseins ist. Die Verrücktheit, unter Umgehung der bürgerlichen Spielregeln, ohne diese außer Kraft zu setzen, hier und heute leben zu wollen, die als alternative Erwerbstätigkeit mit einigen Unannehmlichkeiten und Anstrengungen bezahlt werden muß, findet ihre adäquate Verlaufsform als reine Freizeitgestaltung. In eigenen Kneipen unter sich sein, dort anders als die anderen und daher so enorm gemeinschaftlich und unentfremdet sein zu können, am alternativen Stammtisch herumzuräsonnieren, Ansätze und Modelle des befreiten Lebens zu bequatschen, sich über die spießbürgerlichen, in Konsumzwängen dahinvegetierenden Normalmenschen zu erheben und mit diesem Selbstbewußtsein sich im Rahmen eines bürgerlichen Berufslebens ganz gemütlich einzurichten – das ist das alternative Leben, wie es sich im Einzugsbereich linker Universitäten vornehmlich eingebürgert hat. Im Angebot eines gemütlichen Basisgruppenfreizeitlebens steht die linke Szene der alten Burschenherrlichkeit inzwischen in nichts mehr nach.


Über den Wolken sind die Alternativen erst recht grenzenlos ...

Den Beschränkungen des bürgerlichen Lebens dadurch entgehen zu wollen, daß man bei sich selbst anfängt und einfach „anders zu leben“ beginnt, bedeutet nun einmal nichts anderes, als sich in den damit akzeptierten Beschränkungen anders einzurichten, wodurch sich diese auf einmal zu positiven Bedingungen eines besseren Lebens verdrehen, die der demgemäß Lebende durch freiwillig geschaffene neue Beschränkungen wie zeitraubende Zusatzbeschäftigungen noch vermehrt. Die eine Revolutionierung des alltäglichen Lebens bezweckenden – alternativen Vorschläge besitzen zumeist einen außerordentlich unpraktischen Charakter: denn da die Organisation des angegriffenen Alltagslebens durch und durch von der Zweckmäßigkeit bestimmt ist, mit Berufsleben und begrenztem Einkommen zurechtzukommen, bedeutet die revolutionäre Umstülpung dieser Zweckmäßigkeit schlicht und einfach lauter Zusatzanstrengungen, die in keinem rechten Verhältnis zu dem damit angeblich verknüpften Lustgewinn mehr stehen. Woraus sich erklärt, daß die Ratschläge zumeist solche bleiben und das gesamte alternative Leben sich vorwiegend bloß als ein von tausend Tips propagiertes vollzieht.

„Die Ideen für eine nichtindustrielle Lebensweise, die wir hier zu Papier bringen, sollen also im Sinne einer Anregung zum Weiterentwickeln aufgefaßt werden und nicht als wörtlich gemeinte Pläne.“ (III, 31)

Ein Alternativler hat ja nicht die Pflicht, dem, was es gibt, auf den Grund zu gehen, ihm genügt es durchaus, sich einmal alles anders vorzustellen. Daher kennt die Phantasie keine Grenzen und jede Verrücktheit ist gern gesehen, geschätzt ist ja gerade das Unrealistische, weil es ins Utopische weist:

„Klammheimlich das Auto abschaffen ...“

„Nach weiteren 6 Jahren ist es soweit. Die letzten Privatautofahrer fahren Seite an Seite mit Motorradfahrern, Velos oder Fuhrwerken oder gemütlichen Lastwagen.“ (III, 13)


Die Nachkriegszeit – Vorbild fürs alternative Leben?

„Unsere Räume sind oft überheizt. Durch Einstellung der Heizung auf eine geringere Temperatur und das Tragen von wärmerer Kleidung können bereits Ersparnisse erzielt werden. Man kann auch feststellen, daß wir bei kühleren Temperaturen aktiver bleiben, sogar beim Denken.“ (I, 170)

„Die einfachste Methode, Energie zu sparen, ist das Ausschalten der Beleuchtung, wenn sie nicht benötigt wird.“ (I, 171)

Soweit die alternativen Lebensverbesserungsvorschläge die Kunst lehren wollen, aus der Not leine Tugend zu machen, besitzen sie eine fatale Ähnlichkeit zu gewissen staatlicherseits betriebenen Moralkampagnen.

Die armseligen und illusionären Autarkie-Bemühungen von Landkommunen und Selbstversorger-Kollektiven –

„Die vollständige Abwesenheit von Naturselbstversorgung (?) in Urbanisierungszentren, die totale Abhängigkeit von Nahrungsmittelzufuhr kann unter Krisenbedingungen aus der Latenz rasch in eine offene Hungersnot umschlagen. Die belächelte Landkommunenbewegung, die Versuche mit Selbstversorgungstechnologie usw. gewinnen in solcher Perspektive eine grundsätzlich andere Bedeutung.“ (II, 22) –

haben dem überwiegenden Teil der Gesellschaft, welcher dem Stadtleben nicht entfliehen kann, wesentlich als Beispiel zu dienen: wie man aus Armut Reichtum macht durch die Rückgewinnung von „Spielräumen und Kompetenzen“. Und nicht von ungefähr erinnern die beispielgebenden Vorschläge an die Kriegs- und Nachkriegszeit. Wer hätte das gedacht, daß er damals alternativ gelebt hat, voller Verantwortungsgefühl gegenüber seinem Gemeinwesen, eingedenk allgemeiner Knappheit? Das wahre Glück solchen Daseins wird erst recht deutlich in der Konfrontation mit den Entartungen der Wohlstandsgesellschaft:

„Man darf auch nicht vergessen, daß sich der vierzigjährige Dicke sein Fett über 20 Jahre lang angemästet hat. Wäre er in dieser Zeit Fahrrad gefahren, so hätte er anstatt 1.440 Litern Benzin, das er bezahlt, 21,6 Kilogramm Fett, das ihn verunstaltet, verbrennen können.“ (I, 173)

Daß jemand aufgrund seiner Umwelt, die ihn zwingt, die kostbaren Stunden seiner Freizeit anders auszufüllen als per Fahrrad vom und zum Fließband sich zu bewegen seinen Grund hatte, dem alternativen Ratschlag nicht Folge zu leisten, läßt den Alltagsrevolutionär – nicht anders als die staatlichen Trimm-Dich-Propagandisten – völlig kalt. Er ist hingegen der Meinung, daß einer, der sich weiterhin der „technischen Verbesserung des Gehens“ verschließt, nicht nur dick, sondern auch doof sein muß:

„Die Torheit des transportmäßigen Verkehrs sieht der gewohnheitsmäßige Passagier nicht ein. Seine Raum-Zeit-Beziehung ist industriell verzerrt. Er kann sich nur in der Passagierrolle vorstellen. Er ist in der Illusion konditioniert worden, daß Freiheit in der Bewegung abhängig vom Herumgetragenwerden ist. Demzufolge verlangt er nicht mehr Freiheit als Mensch, sondern besseren Service als fahrender Klient.“ (I/172)

Einem Alternativler ist offenbar keine Verrücktheit zu groß, die sich erfinden läßt, um sie den Leuten für die Inanspruchnahme technischer Erleichterungen anzuhängen – und sie gar noch als Feinde der Freiheit dingfest zu machen.

Soweit sich die Alternativler vorwiegend durch die Erfindung solch moralisch-schwachsinniger Vorschläge bemerkbar machen, laufend das Licht an- und auszuknipsen, das Badewasser möglichst kollektiv zu nutzen, dank schafwollener Unterwäsche die Heizung überhaupt zu sparen und sich durch die zahllosen energiesparenden Tätigkeiten zusätzlich körperlich fit zu halten, werden sie im Rahmen der bürgerlichen Öffentlichkeit – wenn auch ab und an belächelt – geduldet. Daß ihren weitergehenden, wachstumsfeindlichen Revolutionierungen, den Aufforderungen zu generellem Verzicht auf Dosennahrung, Kühlschränke und Autos die Massen ohnehin nicht Folge leisten, weil sie nicht können, da sie auf eine einigermaßen rationelle Lebensführung angewiesen sind, garantiert den Reformhausrevolutionären das öffentliche Ansehen einer harmlos-originellen Fraktion der Linken. Die Mitgliedschaft in solchen Vereinen trägt kein Berufsverbot, allenfalls ein nicht recht Ernst-genommen-werden ein. Nur dort, wo die Alternativler anfangen, auf ihre Tour dem Staat lästig zu fallen, wo sie zur Verteidigung der Natur gegen seine AKW-Bauplätze vorrücken, dort tritt man ihnen mit aller gebotenen Härte entgegen. Wenn sie für ihre Projekte Gelder fordern oder als konkurrierende Wahllisten auftreten, um woanders gebrauchte Stimmen zu „mißbrauchen“, werden sie auf die kühle Tour abgewimmelt bzw. als unterwanderungsverdächtige Weltverbesserer diffamiert. Und wenn der demokratische Staat ihnen ihre Grenzen zeigt, kann er dem gemeinen Volk gegenüber noch auftreten als Anwalt von dessen ohnehin bescheidenen materiellen Ansprüchen. Holger Börner konnte z.B. im letzten hessischen Landtagswahlkampf gegenüber der Grünen Liste mit einer Anzeigenserie auftreten, in der er um Stimmen warb mit dem Bau neuer Autobahnen in „strukturschwache Gebiete“, die dort angeblich neue Arbeitsplätze und besseren Lebensstandard erzeugen sollen. So rückt der Staat, wenn es drauf ankommt, die linken Alternativler noch immer in die reaktionäre Ecke.


Menschliche Wärme statt Energieverschwendung

„Es ist unserer Meinung nach nahezu unmöglich, Menschen für eine materiell einfache Lebensweise zu gewinnen, wenn es nicht gelingt, sie von der Notwendigkeit der Erforschung ihrer inneren Fähigkeiten zu überzeugen.“ (I, 15)

„Wenn den Menschen als Gegenleistung für ihre Arbeit nicht der Zugang zu Konsumgütern offensteht, muß der Ausgleich auf nicht-materielle Weise hergestellt werden. Dabei müssen soziale Bedürfnisse befriedigt werden. Die Befriedigung, die Menschen durch die Erfüllung ihrer Aufgaben als Mitglieder einer wirklichen Familie oder Gemeinde erfahren.“ (I, 80)

Als die Ideologie des wesentlich immateriellen Glücks hat das „alternative Leben“ aber ein geachtetes Plätzchen gefunden. Dehn materielle Beschränkung eröffnet das weite Feld jener moralischen Agitation, die die Alternativen zwar nicht mehr erfinden mußten, jedoch beträchtlich zu bereichern wissen: daß Reichtum nicht nur nicht immer, sondern niemals glücklich macht. Und dieser fängt bereits bei frischen Lebensmitteln an:

„Der Kühlschrank in der Küche hält die Eßwaren frisch, erspart aber nicht die Frage nach der mitmenschlichen Wärme“ (Je kühler das Bier, desto kälter der Mitmensch) ... „Wir haben es weit gebracht, doch sind wir höchstens zufrieden, selten aber glücklich.“ (I/5)

Wer meint, „glücklich und zufrieden“ wäre eins, der täuscht sich! Indem dem Alternativler die Entgegensetzung von materiellem Wohlstand und Glück so leicht von den Lippen geht, macht er klar, daß seine frustrierte Feststellung, die Leute hielten nichts von der „Einfachheit als Lebensprinzip“, weil sie sie praktizieren müssen, ihm nur dazu dient, ihnen einzureden, ihre unglückliche Situation komme allein daher, daß sie jenen Zwang zur Einfachheit nicht mit Freuden und Freunden auf sich nähmen. So besteht für einen Propagandisten „alternative“ Moral das Elend der Familie eines Arbeitslosen nicht etwa darin, außer Brot gesetzt zu sein – ganz im Gegenteil:

„Das Elend der Kerschbaums beginnt nicht erst mit der Kündigung ... Das Elend steckte in der ganzen geborgten Identität, die aus der Quantität des Habens bezogen werden mußte, wobei dann notwendig die Qualität des Menschsein-Könnens auf der Strecke bleibt. Die Konsumidentität ist eben nur zu haben um den Preis des Verlustes von Solidarität, von Vertrauen, von »Freundlichkeit und Verlaß«, von Kommunizieren Können.“ (II, 121)

Wo Übereinstimmung darin besteht, daß es der „Konsum von Dingen“ ist, der die Menschen daran hindere, ihrem „fundamentalen Bedürfnis, anderen etwas zu bedeuten“, ihrem „Wunsch, in Beziehungen unendlich viel wert (!) zu sein“, nachzukommen, da haben natürlich auch die Pfaffen Konjunktur (in diesem Falle Dorothee Sölle; auch H.-E. Bahr, Professor für Theologie, mischt als Leiter der „Friedens- und Partizipationsforschung“ an der Ruhr-Universität Bochum kräftig mit):

„So verzichtet ein großer Teil der Menschen in solchen Gruppen sehr bewußt auf feste Anstellung und volle Bezahlung, um frei zu sein für andere Dinge, die ihm oder der Gruppe wichtig erscheinen. Es entsteht ein neues Verständnis von dem, was die Christliche Tradition unter dem Stichwort der Armut in verschiedenen Zeiten gelebt hat, daß das Reich Gottes bei den Armen anfängt, und daß Reichtum ein elementares Hindernis darstellt, um zu einem menschlichen erfüllten Leben zu kommen.“ (II, 161)


Soziale Netze geknüpft nach Heimwerkerart

Wenn Armut also zur Bedingung für ein erfülltes Leben wird, besteht das Elend der von den Maßnahmen des Sozialstaates Abhängigen nicht in ihrem Elend, sondern in ihrer „Entmündigung“ dadurch, daß der Staat ihnen die Existenzangst abgenommen hat:

„Es besteht die Gefahr, daß sich der riesige, undurchschaubare Apparat der in höchstem Maße voneinander abhängigen Bürokratien sowohl im öffentlichen als auch persönlichen Bereich immer weiter verdichtet und die Menschen schließlich in einem undurchlässigen Netz von sozialen Institutionen und Verordnungen gefangenhält. Auf diese Weise könnte aus der unaufhaltsamen Logik wohlmeinender bürokratischer Verordnungen, die sich in fast alle Teilbereiche des menschlichen Lebens erstrecken, ein autoritärer Wohlfahrtsstaat entstehen.“ (I, 29)

Um dieses wohlmeinende Monstrum, dessen autoritärer Charakter in seiner Wohltätigkeit liegen soll, durch Zurücknahme seiner „Versorgungsansprüche“ zu unterlaufen, haben die Leute ihre ganze Phantasie dahingehend zu aktivieren, wie sie über die staatlich erzwungene Solidargemeinschaft Familie hinaus sich um die Selbstübernahme sozialstaatlicher Funktionen verdient machen können:

„Menschen brauchen soziale Netze, die sie auffangen, wenn sich ihre körperliche oder seelische Leistungsfähigkeit aus irgendeinem Grunde vorübergehend oder dauernd reduziert ... Der Staat, die Gemeinde sind solche Netze, die größten, die gröbsten und zugleich unpersönlichsten. Sie zahlen Renten, Stipendien, andere Sozialbeihilfen ... Die Familie ist ein anderes Netz.
Es ist aber nahezu unbestritten, daß die heute übliche Kleinfamilie sich als zunehmend schwächer erweist, um Menschen wirklich aufzufangen ... Die Familie braucht einen teilweisen Ersatz.“ (I, 109)

Da unsere Gesellschaft kaputte Existenzen in Fülle hervorbringt, sind der Betätigung des Gemeinsinns als Alternative zur demokratischen Verwaltung des Elends keine Grenzen gesetzt. Denn das eigentliche Elend besteht nicht in den Zerstörungen an Leib und Leben, die diese Gesellschaft tatsächlich hervorbringt, sondern in der „sozialen Entmischung“ der Zerstörten von der „sogenannten aktiven Bevölkerung“, wodurch die ersteren das Gefühl ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit verlören –

„Wenn aber die gesellschaftliche Nützlichkeit der Arbeit nur als Illusion existiert, woher sollen dann reale Maßstäbe bezogen werden für Verhalten zum Wohle der Gemeinschaft oder gar in Verantwortung für die Weltgesellschaft in Zukunft?“ –

sowie die letzteren auf allerlei nützliche Dienste verzichten müssen, die die Kaputten durchaus noch zu leisten in der Lage wären:

„Hier wird der Grundgedanke der »Kleinen Netze« sichtbar: Durch sie lassen sich verlorene, fehlgeleitete Arbeitskraft und verschleuderte Steuergelder einfangen.“ (I, 123)

Ein Mustermodell solcher „Kleinen Netze“ besteht in dem Vorschlag, die Arbeitslosen einzufangen und sie zum Arbeitsdienst in „Wiederaufbautruppen“ zu verpflichten mit der Aufgabe,

„verwahrlostes Land zu regenerieren, Hecken zu pflanzen, Wälder aufzuforsten und Schutthalden zu säubern, deren giftige Abfallstoffe die Grundwasserreserven bedrohen“;

„Alle Arbeitslosen müßten dieser Wiederaufbautruppe automatisch (!) beitreten, die Arbeitslosenunterstützung wäre ganz abgeschafft ... Auf diese Weise könnte das Wohlfahrtssystem weiter abgebaut werden.“ (I, 104)

Nicht zuletzt aus solch eindeutigen Vorschlägen zur alternativen Existenzbewältigung wird klar, warum ein aufrechter Alternativler sich zu dem Vorwurf gegenüber dem Faschismus veranlaßt sieht, dieser habe das

„Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach aktiver Partizipation an öffentlichen Entscheidungsprozessen, das Bedürfnis nach Sinnstruktur und großem Zusammenhang“, auf das er sich selbst beruft, „bis zum letzten ausgebeutet“ (II, 11).

Schließlich bekennen sich die Propagandisten dieser Moral zu den sozialen Tugenden von Aufopferung und Verzicht fürs Ganze, welche der Faschismus seinen Bürgern abverlangt, weshalb sie sich die Gelegenheit auch nicht entgehen lassen, anhand von

„Notsituationen wie dem Zusammenleben in Kriegsgefangenschaft oder Katastrophenbedingungen“

ihren Adressaten die Notwendigkeit vor Augen zu führen,

„durch stärkeres Zusammenhalten und weit über die »normalen Zeiten« hinausreichende Akte der Nächstenliebe (!) mit den anstehenden Entbehrungen und Gefährdungen fertig zu werden“ (11/152).

Wer, um seiner Aufforderung zur Selbstaufopferung Eindringlichkeit zu verleihen, so offen mit der äußersten Gewalttätigkeit des Staats kokettiert hat mit dieser nur ein Problem:

„Dekrete, Regelungen, Verbote werden so lange als schwer erträglich und zum Widerstand herausfordernd empfunden, wie sie nicht von der Bevölkerung selbst gewünscht werden.“ (II, 151)

Deutlicher läßt sich nicht sagen, worin die „soziale Verantwortung“ der öffentlichen Propaganda alternativen Lebens besteht: mit der Feier der Freiwilligkeit des Verzichts die moralische Begleitmusik zu liefern zu den Entbehrungen, zu denen der Staat seine Bürger im nationalen Wohl zwingt. Woraus sich erklärt, daß die berufene demokratische Öffentlichkeit diese Alternative schon längst allenthalben ausgemacht hat, wo die Leute in den ihnen auferlegten beschissenen Verhältnissen die Gelegenheit zur Eigeninitiative entdecken: Das ZDF dreht eine Serie über Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets, deren Bewohner enger zusammenrücken, über Selbstbetreuungsinitiativen von Arbeitslosen, welche den Beteiligten die „Furcht nehmen, vor anderen zu sagen, daß sie Sozialhilfeempfänger sind“ über freiwillige Einsätze von rüstigen Rentnern zum Spielplatzbau – und das ohne Generationenvertrag. Ferner gibt es da Frauenhäuser, Kindergärten, Altenheime, psychiatrische Anstalten usw.

Der Sozialstaat läßt sich solche Entlastung durch selbstlosen Einsatz von Freiwilligen gefallen. Solchen Idealismus war er bisher nur von der Caritas gewohnt und die tätige Nächstenliebe, die diese Mitbürger an den Tag legen, befördert auch die Glaubwürdigkeit des ansonsten als Ideal zum Einsatz gebrachten Solidaritätsgedankens. Nichtsdestotrotz aber wacht er mit kritischen Augen über die Aktivitäten seiner unorthodoxen Helfer: in sein soziales Netz, für das er von den Arbeitern zwangsweise Arbeitslosen-, Unfall-, Kranken-, Altersversicherung etc. eintreibt, möchte er sich nicht hineinpfuschen lassen, dient es ihm doch gleichzeitig zur effektiven Kontrolle der von ihm Behüteten, die er mit der Zuteilung der ihnen selbst abgenommen Almosen auch an der Kandare hat. Die sozialen Unternehmungen der privaten Initiativen aber haben allzuleicht die Tendenz, daß sich die dort Bemutterten den normalen Pflichten eines bürgerlichen Daseins zu entziehen versuchen.

„Tips für die Praxis eines einfacheren Lebensstils“:

Die „Arbeitsgruppe »Angepaßte Technologie«“ an der Gesamthochschule Kassel empfiehlt:

„Die Herstellung von eigenem Kompost eröffnet die Möglichkeit, sich aktiv in einen einfachen Nährstoffkreislauf zu integrieren ... Ein solcher Humus eignet sich eventuell auch für eine kleine Pilzzucht im Keller. Sollen auch die eigenen Fäkalien zu Humus verarbeitet werden, wird eine Kompost-Toilette eingerichtet ... Eine Erweiterung und Bereicherung dieses einfachen Nahrungskreislaufes ist durch die Einbeziehung einer kleinen Fischzuchtanlage sinnvoll und möglich. Der Fischbehälter kann etwa aus einem ausgedienten Eisschrank oder einer Tiefkühltruhe bestehen ... Es wäre also möglich, die Fischhaltung mit einer Algenproduktion zu verbinden ...“ (I, 161 f.)

John Cartwright, Sekretär einer „Stiftung für die Humanisierung und Integration der Sozialwissenschaften“, hat folgende Tips auf Lager:

„Es lohnt sich das Wissen, daß viele Nahrungsmittel roh nicht nur gut schmecken, sondern auch einen höheren Nährwert aufweisen.“ -

„Kerzen beim Abendessen sind nicht nur romantisch, sie sparen auch Energie.“

„Inneneinrichtungen und Wände auf helle Farben konzentrieren, um mehr Licht zu reflektieren und somit das benötigte Licht zu reduzieren.“

„Kurz duschen, statt baden, zu zweit baden, das Wasser abstellen beim Zähneputzen ... Es sind Dinge, die den Druck auf unsere Umwelt reduzieren.“

„Das Fahrrad ist im Vergleich zum Automobil in der Anschaffung viel billiger. Auch die sozialen Investitionen für Straßen, Verkehrspolizei usw. sind erheblich geringer.“

„Zu Hause gemeinsam vorbereitetes Essen, mit Liebe und Kreativität angereichert, ist für Körper und Geist besser.“

„Wer selbst backt mit Vollmehl, Körnern und Getreideschrot, hat nicht nur bessere Kontrolle über das, was er ißt, sondern es macht auch Spaß! Dieser vergrößert sich noch, wenn er das Mehl selbst mahlt.“

„Wenn Sie keinen Garten haben, können Sie vielleicht bei Nachbarn, besonders bei älteren Leuten, mithelfen. Oder mit anderen zusammen versuchen, brachliegendes Land wieder nutzbar zu machen und die Behörden anzugehen, solche Projekte zu unterstützen.“ (I, 171 ff.)


Wer sich alternatives Leben leisten kann

„Meiner Meinung nach gehören einige der kreativsten und fähigsten Intellektuellen, Künstler und humanen Kapitalisten in den USA zu den Anhängern einer einfachen Lebensweise. Die meisten Vertreter dieser neuen Lebensauffassung entstammen dem Bildungsbürgertum, so daß ihr genügend gut ausgebildete Talente zur Verfügung stehen.“ (I, 18)

„Industrielle Warenproduktion, Geld und Lohnarbeit werden nicht gänzlich abgelöst, verlieren aber ihre beherrschende Stellung, wenn kulturelle Betätigung als alternative Produktionsform den Alltag verändert.“ (I, 56)

Was die Quintessenz des „Alternativen Lebens“ betrifft – ein Dasein in freiwilliger Beschränkung der materiellen Bedürfnisse zugunsten des sozialen Ganzen soll es sein –, so lebt ein Großteil der Bevölkerung derzeit nach solchen Maximen. Die Freiwilligkeit dieser Veranstaltung wird für solche Leute freilich höchst wirkungsvoll ergänzt durch den ökonomischen und politischen Zwang, der das Kennzeichen ihrer Existenz ist. Sie kommen daher äußerst selten auf die Idee, ihren Alltag als alternatives Leben aufzufassen. Wer sich also wirklich freiwillig als dessen Propagandist – praktisch oder theoretisch – betätigt, der hat dazu Alternativen und kann seine privilegierte Stellung dazu nutzen, reaktionäre Staatsideale als Revolutionierung des Staates, so wie er ist, lautstark in die Welt zu setzen. Die Protagonisten des „alternativen Lebens“ sind also nicht nur ihrer Herkunft nach Intellektuelle; sie sind sich ganz und gar treu geblieben. Wer von ihnen die Praxis dieser Lebensweise satt hat (und das sind meisten, die nur mal in ländliche Idyllen hineinschnuppern wollten), findet bei seiner Rückkehr ins bürgerliche Dasein aufgrund seiner Qualifikation bald wieder einen Kopfarbeiterposten, und die meisten Anhänger der Bewegung halten sich das Alternative aufgrund einer durchaus realistischen Kosten-Nutzen-Rechnung eh nur als Freizeitgestaltung, als alternatives und daher per definitionem nicht spießbürgerliches Kneipenleben, in dem man sich zusätzlich zum einträglichen Intellektuellenleben eine linke Gemütlichkeit verschafft.

Die vielen theoretischen Propagandisten schließlich, die soziologisch und psychologisch den Nutzen des „anderen Lebens“ für den Staat verkünden, füllen ohnedies nur den Platz aus, an den die bürgerliche Berufshierarchie sie gestellt hat. Ganz jenseits ihrer linken Attitüde ist die „alternative Daseinsform“ also darin für die kapitalistische Gesellschaft funktionalisierbar, daß sie auf eine Einstellung zielt, die deren Zwänge fröhlich auszuhalten gewillt ist:

„ ... nachsinnen über eigenes Verhalten, eigene Rollen;
Formen und Farben im Lichtwechsel des Tages sehen und sich die Welt ausmalen, wenn grün rot und weiß schwarz wäre. Dies vor allem: Wahrgenommenes Erlebtes, Gelesenes sich ganz anders vorstellen; Phantasie.“ (I, 59)

Diese Domäne der Intelligenz: die Wirklichkeit zu verfälschen, um Angriffe auf sie zu verhindern, will die alternative Intelligenz partout den Arbeitern aufdrängen und verspricht diesen daher phantasievolle „Humanisierung der Arbeitswelt“, die sich überdies auch noch in die freie Zeit der Proleten einzumengen gedenkt, um ihnen zusätzliche Verantwortung für Umwelt, Stadtteil etc. aufzuhalsen. Worum es bei dieser Sorte von Selbstverwirklichung nicht geht, wird unmißverständlich klargestellt:

„Selbstverständlich ist mit dieser Diversifikation sozialer Formen keiner Auswucherung des Lustprinzips das Wort geredet: Spaß und Einsicht in die Notwendigkeiten, Solidarität und Verantwortung gehören zur selben Medaille. Der einsichtige Verzicht ist ebenso persönlichkeitsbildend wie bestätigte Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Dritten.“ (I, 63)

Einsicht in die Notwendigkeit des Verzichts zu predigen, ist die Berufsgrundlage auch der alternativen Intelligenzler.


Mit Tunix is nix!

„Die Flucht aus der Wirklichkeit ändert nichts an der Wirklichkeit. Die Alternativ-Bürger ziehen zu lassen, hilft nicht weiter. Wir haben es mit einer ernstzunehmenden Bewegung bislang kritisch engagierter Mitbürger zu tun, die sich nun vom System verabschieden.“ (STERN-Redakteur Michael Jürgs, „Alternativen oder Die Flucht aus der Verantwortung“)

„Nimmt es Wunder, daß heranwachsende Menschen zu Gurus und Drogen fliehen oder der Irrationalität der Gewalt verfallen ...?“ (I, 42)

Die ideologische Brauchbarkeit der alternativen Verzichtsmoral begründet die partielle Anerkennung, die sie in der bürgerlichen Öffentlichkeit findet. Dies verleitet dann und wann gewisse Leute dazu, im kleinen Aufschwung, den diese funktionalisierte Form des Spontaneismus derzeit findet, einen Boom des Spontitums überhaupt zu wittern, womit auch schon alles über die Erfolgsaussichten der Sorte von Politik gesagt ist, die sich in Tunix-Treffen wie zu Beginn des letzten Jahres in Berlin artikuliert. Die „große Verweigerung“ als revolutionäre Perspektive, die die Libertinage, die dem Intellektuellenstand vom Staat gewährt ist, ohne die dazugehörigen Beschränkungen genießen will und dies als Aufstand der Subjektivität deklariert, muß sich von einem, der arriviert ist, mit versteckter Drohung zur Verantwortung rufen lassen:

„Gerade seine mündigen Bürger sagen dem ungeliebten Vater Staat ein müdes Tschüs und retten sich zur Mutter Erde. Sie werden uns fehlen ... Die neudeutsche Ohnemichel-Bewegung ist für die Republik gefährlicher als Terrorismus und Umweltschmutz. Wer schon die Anfänge (eines neuen Faschismus) flieht, statt ihnen zu wehren, macht sich mitschuldig am Desaster, das den Nachgeborenen droht.“ (Michael Jürgs)

Obschon die überwiegende Mehrzahl der Anhänger des „alternativen Lebens“ sich ganz ungefährlich gibt – sich in abgelegene Gegenden verzieht, ganz normale Erwerbstätigkeiten friedlich aber alternativ betreibt, oder ihr Anderssein ausschließlich am – allerdings darin ganz exklusiven – Stammtisch betätigt –, obschon sie also von sich aus das bürgerliche Leben gar nicht zu stören beabsichtigt, sondern sich ihm ausschließlich zu entziehen versucht und dies zum großen Teil auch nur mental, kommentarlos kann so etwas bei uns nicht geduldet werden: bietet doch die Abseilerei eines Teils der jugendlichen Intelligenz Anlaß zum Verdacht, daß sie es mit ihren Pflichten Gesellschaft und Staat gegenüber nicht ernst zu nehmen gewillt ist. Ist es auch insgesamt nur eine quantite negligeable, in Zeiten, wo man das Volk voll und ganz hinter sich haben will, ist solches Drückebergertum nicht gefragt. Und gerade diejenigen, die eine Ausbildung für die Führungspositionen genossen haben, sollten den Geführten gegenüber doch mehr Pflichtbewußtsein und staatstreuen Einsatz an den Tag legen.


Ist die alternative Bewegung eine Chance für die Linke in der BRD?

„Die Alternativbewegung ist die einzige mögliche Gegenmacht zu Schmidt/Genschers Politik.“ (Jochen Steffen über „Die Alternative“, in Avanti Nr. 10)

Steffen sagt voraus, daß „die Sanftmütigen die Erde beherrschen“ werden, wenn sie auch zuvor noch „viel arbeiten und kämpfen müssen“ {wofür er ihnen seine (partei-)politischen Erfahrungen anbietet}. Das „alternative Leben“ weckt natürlich auch das Interesse derer, die für sich beanspruchen, die beste aller möglichen Alternativen längst organisiert zu haben, wenngleich diese bislang in der Welt unter 1 % nicht stattfindet. Gerade dieser mißliche Umstand veranlaßt jedoch die diversen Gruppierungen der traditionellen Linken, auch noch dem letzten reaktionären Furz der Alternativszene die „fortschrittliche Perspektive“ abzugewinnen, um sie als Bündnispartner für ihre Reihen zu vereinnahmen. Und das „Sozialistische Büro“ hat den Alternativlern längst etliche „Arbeitsfelder“ bestellt: In ausgesprochen unkritischer Solidarität liefert es den Körnchenbeißern die passende reaktionäre Philosophie für ein Treiben, das die Anhänger dieser Sammelbewegung kritischer Berufsintellektueller für sich selber als zu niveaulos von sich weisen würden.

In welchem Zustand muß „die Linke“ in der BRD wohl sein, wenn sie ihre Hoffnungen setzt auf eine Bewegung, die den Materialismus fürchtet wie der Teufel das Weihwasser?

Nachweis der Zitate:

I: Die tägliche Revolution. Möglichkeiten des alternativen Lebens in unserem Alltag. Reihe „fischer alternativ“

II: Anders leben – überleben. Die Grenzen des Wachstums als Chance zur Befreiung

III: Öko-Journal. Ökologie, Alternativen, Bewußtsein, Nr. 4 + 5, Juni/Aug. 78


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*(1) Eine in der Schweiz vertriebene Zigarettenmarke.

 

aus: MSZ 27 – Januar 1979

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