Aus der Welt der Nicht-Arbeitenden:

Dieter Zlof und Richard Oetker


Die Personen

Vor den Schranken eines Münchner Schwurgerichts treffen sich in diesen Wochen zwei Männer, die sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft schon einmal getroffen haben sollen. Der Autohändler und verkrachte Student Zlof wird beschuldigt, den Sohn des Backpulver-Pudding-Brauerei- und Schifffahrts-Unternehmers Oetker entführt, in einer Kiste mit unsachgemäß eingebauter Stromschlaganlage aufbewahrt und gegen Zahlung von DM 21.000.000.- wieder freigelassen zu haben. Die Last der Indizien gegen den „fließend bayerisch sprechenden” Angeklagten ist erdrückend. Gegen ihn spricht der Besitz

  1. einer Nähmaschine und eines Wäschetrockners
  2. eines Mercedes 450 SEL
  3. eines Grundstücks im Werte von DM 430.000.--
  4. einer Putzfrau und eines Kindergartenplatzes für sein Kleinkind.

Dieter Zlof befindet sich in der schwierigen Lage, Vermögensverhältnisse zu erklären, die einem Bürger in seinen Verhältnissen nicht zukommen. Seine Erklärung, er habe in der Spielbank gewonnen, glaubt ihm die Staatsanwaltschaft nicht, weil „dies äußerst unwahrscheinlich ist”, womit sie auch wieder recht hat, trotz 15.000.000 wöchentlicher Lottospieler. Ferner hat Zlof einen Tausender aus dem Lösegeld auf sein Girokonto einbezahlt, was einerseits gegen ihn spricht, andererseits für ihn, denn wie kann ein „so gerissener Entführer” so blöd sein? Richard Oetker befindet sich ebenfalls in keiner beneidenswerten Lage:

Er geht auf Krücken und kann mit seinem Vermögen, dessen Herkunft ihm jeder glaubt, wegen „ständiger Schmerzen” nicht allzuviel anfangen. Andererseits spricht sein Freikauf für die Gesundheit des Familienunternehmens, das die 21.000.000,-- hinblättern konnte, ohne daß deswegen der Pudding teurer geworden ist.


Der Fall

Der Besitzwechsel von DM 21.000.000,-- stellt juristisch gesehen kein Geschäft dar, sondern ein Verbrechen; Richard Oetker hat der Verwertung seiner Person nicht freiwillig zugestimmt, wie das beim Arbeitsvertrag der Fall ist. An allen gesundheitlichen Schäden, die er davon trug, sind – im Unterschied zu Betriebsunfällen – die Verursacher schuld. Dieses Problem ist allerdings im konkreten Fall weniger wichtig, da der Geschädigte wenigstens nicht um Invalidenrente eingeben muß. Ferner gibt es für Entführungen keine Sicherheitsvorschriften, wie dies in jeder Fabrik der Fall ist. Solche Vorschriften verhindern zwar im Betrieb keine Unfälle, nicht einmal solche mit Todesfolge, regeln aber eindeutig die Schuldfrage, in der Regel zu Ungunsten des Beschädigten. Menschliches Versagen ist bei Entführungen gewissermaßen immer im Spiel. Eine Entführung ist in jedem Falle strafbar, die DM 21.000.000,-- somit kein Gewinn, sondern Beute. Um an soviel Geld legal heranzukommen, muß man schon eine Backpulverfabrik besitzen. Wer außer seiner Arbeit nichts besitzt, kann entweder solange arbeiten, bis er diesen Betrag zusammen hat (nach dem westdeutschen Durchschnittslohn wäre es nach ca. 1167 Jahren soweit, wenn man die Unkosten für Lebenshaltung nicht berücksichtigt), oder im Lotto spielen, woraus folgt, daß ein Arbeiter so viel Geld nie haben kann und wenn er es doch hat, ein Verbrechen vorliegen muß.


Das Urteil

ist allein Sache des Gerichts, dessen Aufgabe darin besteht, einen Schuldigen zu finden. Diese Verurteilung liegt im öffentlichen Interesse, weil das Recht wiederhergestellt werden muß. Die Unparteilichkeit des Rechts liegt darin, daß von seiner Wiederherstellung niemand was hat außer dem Recht. Der Schuldige kommt nämlich ins Gefängnis, Richard Oetker geht trotzdem auf Krücken und die erpreßten Tausender tauchen weiterhin irgendwo auf. Die Allgemeinheit hat von der Wiederherstellung des Rechts die Illusion, daß weniger entführt wird, weil man dafür ins Gefängnis kommt. Weil die meisten Leute als Entführungsobjekte ungeeignet sind, ist ihnen das ziemlich gleichgültig. Die Entführung Richard Oetkers hat das Volk nicht betroffen, folglich auch nicht betroffen gemacht. Sie war eine Nachricht in der Zeitung und die Berichte vom Prozeß sind Unterhaltung, genauso wie ein Fußballspiel, wo es ja auch nur den Unterhaltungswert steigert, wenn es kriminell zugeht.

Das Volk kann raffinierte Entführer sehr gut verstehen, ihre Tat aber nicht billigen, weil es selbst zum Arbeiten geht und ohne Befehl keine Taten begeht. Das Volk hat keine Sympathien für Richard Oetker als Unternehmersohn, weil es Unternehmer nur als Arbeitgeber kennt und an ihrem Leben nur über die Illustrierten gelegentlich Anteil hat. Anteilnahme hat es allerdings für die Krücken Richard Oetkers, denn das mit der Ruinierung der Gesundheit ist eine böse Sache, wie jeder weiß.


Der Kommentar

Die Entführung und der Prozeß sind eine Sensation. Nichts ist gewöhnlich an dem ganzen Zirkus: weder die Art der Bereicherung, die sich die Kidnapper ausgedacht haben, noch das Opfer –  und schon gleich gar nicht die Bewältigung der ganzen Affäre durch die Justiz. Weil es eine Sensation ist, taugt sie zur Unterhaltung.

Und so ist eben auch ein Verbrechen nicht ganz unnütz: Die gewöhnlichen Formen der Bereicherung und ihre ganz gewöhnlichen Opfer, zu denen man selber zählt, werden vor dieser Story eine ganz matte Sache. Vielleicht liegt der Erfolg der Zeitungen, die so gern zur Brotzeit gelesen werden (AZ, tz, BILD), daran, daß sie die alltäglichen Begebenheiten nicht so sehr in den Vordergrund rücken, dafür alle Sensationen vermelden, die sie aufstöbern – und neben Mitteilungen über alle politischen Notwendigkeiten eben ihre Leser unterhalten.

Der geringe Marktanteil der MAZ wäre so auch verständlich: seit 20 Nummern verzichten wir auf Sympathien mit Verbrechern, Unternehmern und ihre Opfern, schreiben immer nur, daß letztere allen Grund haben, der ganz gewöhnlichen und einzig legitimen Bereicherung, dem Kapital, ihren Dienst aufzukündigen.

Das wäre einmal eine echte Sensation!

 

aus: MSZ 33 – Januar 1980

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