Welthandel und Staatshändel


Versicherungen der „Priorität der traditionell engen Partnerschaft“ und die ständig wiederholte Rede davon, es handele sich „nicht um wirkliche Differenzen“, sondern „lediglich um Kommunikationsschwierigkeiten“, sowie die wechselseitigen und gemeinsamen Beschwörungen der „gemeinsamen Verantwortung für die Weltwirtschaft“ sind untrügliche Zeichen für die derzeitigen „Turbulenzen“ im westlichen Bündnis: Mit dem Erstarken der EG – voran der BRD – und Japans gegenüber dem „großen Bruder“ sind im West-Block Risse zutage getreten. Alle Beteiligten „ringen um die Gemeinsamkeit“ – die sich freilich für jeden so darstellt, daß man selber in der Oberlage ist.


Der weiche Dollar

In Sachen „weicher Dollar“ suchen Japaner und Westdeutsche der Führungsmacht nachdrücklich klarzumachen, daß sie es nicht dulden wollen, sich ihre verbesserte Stellung im Konkurrenzkampf durch einen „in den Keller rasselnden Dollar“ kaputtmachen zu lassen: die Schädigung ihres Exports durch diese von ihnen nicht beabsichtigte Aufwertung ihrer Währungen ruft „harte Kritik des Bundeskanzlers“ und „Empörung in Tokio“ hervor; man warte auf „mehr als leere Worte der Amerikaner zur Verteidigung ihrer Währung“. Kurzum:

„Die Wechselkursentwicklung zwischen dem US-Dollar und der Deutschen Mark, hat eine Schwelle erreicht, von der ab die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen in eine akute Gefahrenzone geraten“!

Kein deutscher Politiker und kein deutscher Pressekommentar versäumen es, die Gefahren für das Bündnis zu besprechen, die darin liegen, daß die amerikanische Währungspolitik dem deutschen Export schadet. Damit benennen sie den Konkurrenzvorteil, den sich die USA mit dem niedrigen Dollar-Kurs verschaffen. Dennoch wird in solchen Stellungnahmen von „Nachlässigkeit“ bis „Inkompetenz“ alles mögliche und nur nicht das amerikanische Interesse als Grundlage der US-Währungspolitik angegeben:

„Ein Partner auch im politischen Bereich sollte es jedenfalls nicht darauf ankommen lassen, durch eigene Untätigkeit (!) die Verbündeten in eine Krise stürzen (!) zu lassen.“

Läßt dieser Wirtschafts-Kommentar noch durchblicken, daß, wenn es sich auch nur um „Untätigkeit“ handeln soll, diese zumindest nicht von ungefähr kommt – warum sollten es die Amis „darauf ankommen lassen wenn sie damit nichts im Sinn hätten –, so reden die Politiker von nichts als von „Verständigungsproblemen in Auffassungsunterschieden“ bezüglich der Weltwährungsordnung.


Energisches Zusammenwirken gegeneinander

Während die deutsche Öffentlichkeit wettert, man solle „endlich etwas unternehmen“, befleißigen sich die Politiker einer vorsichtigen Sprache und freuen sich im Fernsehen, daß „Fehleinschätzungen währungs- und wirtschaftspolitischer Erfordernisse“ bei gemeinsamen Treffen wechselweise „korrigiert“ worden seien. Sie wissen nämlich – und es liegt auch an ihrer Verhandlungsführung –, daß vor allen diesen Worten die „Vermeidung eines Eklats“ steht, denn wie ein solcher ausgeht, weiß so genau keiner, während die jetzige Situation allerdings noch einige Möglichkeiten offenläßt, Vorteil aus den anderen zu ziehen, wenn man mit ihnen gemeinsam handelt. Dies insbesondere deswegen, weil sich die wechselseitige Abhängigkeit sehr deutlich bemerkbar macht. Die Schwierigkeiten, die sich jetzt auftun, sind schließlich ihrer aller ureigenstes Produkt – weswegen man jetzt am besten erst mal so tut, als kämen sie von irgendwo her, womit auch nicht länger die Verdächtigung entstehen kann, man hätte die Zustände deswegen geschaffen, weil sie einem nützten und noch nützen:

„Beide Seiten bekräftigen ihren Willen, ungeordneten Verhältnissen (»disorderly conditions«) auf den Devisenmärkten energisch entgegenzuwirken; zu diesem Zweck werden sie weiterhin eng zusammenarbeiten.“

Aktives Gegeneinander bei der Schaffung unordentlicher Devisenmärkte und „energisches Zusammenwirken“ ergänzen sich also ausgezeichnet. Erst recht ist diese Solidarität gefragt, wenn es um den größeren Zusammenhang der Welthandelsordnung geht: die Handelsschran ken, die man sich gegenseitig errichtet, werden in den Kommuniques des guten Willens zu einem dubiosen „Druck“, der zugleich alle drückt und deshalb von niemand ausgeübt wird:

„Beide Seiten stimmen darin überein, daß einem protektionistischen Druck unter allen Umständen weltweit Widerstand geleistet werden muß“.

„Widerstand“ leistet man diesem Druck am besten, indem man ihn ausübt. Etwa können die USA und Japan in ihrem gemeinsam proklamierten Ziel für die Gatt-Verhandlungen –

„in ihren Handelsbeziehungen grundsätzlich Ausgewogenheit herzustellen, indem den großen Handelsnationen gleichwertige Wettbewerbschancen auf Gegenseitigkeit eingeräumt werden“ –

von einer idealen Konkurrenz, aus der jeder nur Vorteile zieht, reden, und davon, wie man sie gemeinsam herstellt, wobei aber klargestellt ist, daß vor aller Idealität es aufzuhören hat, daß die Japaner mit ihren billigeren Waren den amerikanischen Markt überschwemmen. Also erfordert die Sorge um den ausgewogenen Welthandel ein „kaum verhülltes Ultimatum Washingtons“:

„Offiziell verneint zwar der amerikanische Regierungssprecher, daß Rivers die »Ratschläge« mit Drohungen verbunden habe ...“ – ,

das die Japaner nötigt, ihre „Wettbewerbschancen“ zu beschränken, wenn ihnen etwas am freien Wettbewerb liegt:

„Rivers gab Fukuda den dringenden »Ratschlag« innerhalb drei Wochen bekannt zu geben, daß Japan seine Handelsüberschüsse drastisch zu senken gedenkt, daß es bei der Förderung der Exporte Zurückhaltung üben und eine Liste kurz- und langfristiger ...“


Stählerne Vergeltungszölle

Die Japaner nahmen Washingtons „Ratschläge“ fürs erste mit einer „Absichtserklärung“ zu Herzen, die „ungläubig“ entgegengenommen wurde. Weitere „Ratschläge“ werden also folgen. Derweil macht Tokio das „Angebot“ , Handelsbeschränkungen für Ami-Computer etc. zu „überprüfen“, um die USA zu einer Überprüfung ihrer „Ratschläge“ zu bewegen. Ansonsten wird der „Stahlkrieg“ auf dem US-Markt fortgesetzt, für den die Amerikaner eigens ihren trade act novelliert haben:

„Im trade act von 1974 haben die amerikanischen Gesetzemacher eine weitere äußerst flexible Dumping-Definition eingeführt.“

Danach ist „im Sinne des trade act“ die Überlegenheit der japanischen Konkurrenz auf dem US-Stahlmarkt „ein klarer Fall von Dumping“ – und Dumping erfordert Ahndung durch „drastische Strafzölle“.

Die Europäer konstatieren das entschlossene amerikanische Vorgehen

– erstens als Triumph des freien Welthandels, wurde doch „Widerstand gegen den skrupellosen Vormarsch der Japaner auf dem Markt der Vereinigten Staaten geleistet“, und das kann dem eigenen Vormarsch nur nützen, u.a. „dem ebenfalls auf den US-Markt angewiesenen europäsichen Stahl“;

– zweitens als unzulässige Beschränkung der EG-(Stahl-)Exporte, sprich: als Hohn auf den freien Weltmarkt: „US-Konzerne rufen nach Protektionismus – worauf „Europa notgedrungen mit Vergeltungszöllen reagieren“ müsse;

– drittens als Hinweis darauf, daß die EG den USA zu leichtes Spiel gemacht hat, indem sie u.a. den Japanern mit den bisherigen Schutzzöllen und Kontingentierungen noch nicht genug in die Parade gefahren ist:

„Es war ein Fehler der Gemeinschaft, sich lange Zeit mehr um die Beziehungen zu den USA zu kümmern als zu den übrigen großen nicht kommunistischen Industriemächten. Washington hat bisher auf Tokio bedeutend stärkeren Druck ausgeübt. Die größte Welthandelsmacht – eben die EG – leidet jetzt an den Folgen der eigenen Nachlässigkeit.“

Fürs Ausbügeln von Nachlässigkeiten kommt ein Staatspräsident gerade zupaß – also schickt die BRD ihren Scheel samt Mildred zum fernöstlichen Kaiser, den die Tatsache, daß jene auf ihn runterschaut, zwar nicht beeindruckt, der aber immerhin drei Tatsachen zur Kenntnis nimmt:

1. muß man Verständnis für die Amerikaner haben, und etwas gegen sie zu sagen, wäre geradezu perfid, sind sie doch die engsten Bündnisfreunde;

2. hat die EG natürlich ihre eigenen Interessen gegen die USA, weil am Stahl so manche Sentimentalität zerschellt;

3. darf man japanischerseits die Drohgebärde der EG so ernst nicht nehmen, wenn man sich mit einer – nicht unbedeutenden – Macht in der EG zusammentut: jenseits aller protektionistischen Schranken laßt sich das Wiederaufleben einer altbekannten Achse (Preuß occidental – Preuß oriental) gegen den Rest der Welt durchaus vorstellen. Oh, fernöstliche Anmut ...?


Drohungen in aller Freundschaft

Die Hetze, die dazu mit den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten betrieben wird, befleissigt sich momentan sublimer Formen. Daß die Welt (Wirtschaft) am deutschen Wesen genesen soll, wird so z.B. wie folgt zum Ausdruck gebracht:

„Deutsche und japanische Tüchtigkeit rufen Erschrecken in der restlichen Welt hervor“, – was ein bezeichnendes Licht auf die Qualitäten der restlichen Welt, voran deren Führungsmacht wirft;
Die Japaner wiederum kaschieren „knallharte Geschäftspraktiken“ (auf was sonst käme es im Geschäftsleben denn an!) mit „sanfter Art“, – die „Tüchtigkeit“ der Schlitzaugen besteht halt hauptsächlich darin, falsche Hunde zu sein.

Solche Charakterbilder belegen, wie verdient die Erfolge der eigenen Geschäftstüchigkeit auf dem ganzen Globus sind, – hat sie es doch vor allem geschafft, den einheimischen Arbeiter so niederzuhalten, daß man ihn überall stolz vorzeigen kann, weswegen er auch an dieser Stelle ganz unverschämt sein Lob abkriegt. Ist aber der eigene Erfolg nur gerecht, so ist jedes Hindernis, auf das er in Gestalt des Bemühens der Partner um den ihren stößt, eine Gemeinheit, die es um so mehr rechtfertigt, ihn fertig zu machen.

In diesem Bewußtsein verfolgt das Volk die Bemühungen der Staatsmänner, deren diplomatischen Charakter es zwar als unumgänglich billigt, aber nicht eben begrüßt.

„Den freundschaftlich-kritischen Hinweis darauf, daß der japanische Markt einer der geschlossensten der Welt ist“,

beispielsweise, der im Rahmen der jüngsten Japan-Visite des Bundespräsidenten gegeben wurde, wußten die deutschen Pressekommentare als dem „kritisch gespannten Verhältnis“ entsprechende „demonstrative Freundlichkeit“ unters Volk zu bringen, das weiß, was es von den Japsen zu halten hat. Die verantwortungsbewußte Öffentlichkeit weiß die nötigen Drohungen in den Bekundungen „unverbrüchlicher Verbundenheit“ untergebracht, deren Ausnutzung es verbietet, sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Wenn von Gemütlichkeit bei den „freundschaftlichen Beziehungen“ auch keine Rede sein kann, heißt das noch nicht, daß man sein Heil gleich in offener Feindschaft suchen muß. Wenn man dem Partner die „Risiken“ seiner Kurzsichtigkeit vor Augen führt, läßt sich durch sein Einlenken der eigene Vorteil am optimalsten sichern. Niemand will dem anderen Böses, deshalb muß man sich vorsehen:

„Wenn sich Washington, Tokio und Brüssel nicht vorsehen, schliddern die drei großen Wirtschaftsblöcke der freien Welt – die USA, die EG und Japan – in einen Handelskrieg.“

Die schiefe Bahn, auf die die Wirtschaftsmächte hier dummerweise geraten sind, führt zwar in eine sehr ungemütliche Grube, zugleich ist aber tröstlich zu wissen, daß niemand was dafür kann, wenn es mal wieder zu staatlich veranstaltetem Mord und Totschlag kommt, was außerdem gar nicht zu sein braucht, wenn man sich jetzt nur ein wenig vorsieht. Dies die allgemeine, in diesem Kommentar ausgedrückte Ideologie.


Souverän auf dem Weltmarkt

Wie schon so oft, stellt sich die Wahrheit nicht zufällig als das einfache Gegenteil heraus. Die schiefe Bahn ist deswegen keine, weil die gesamten neuzeitlichen Entwicklungen durch und durch aus Willen und Absicht der beteiligten Staaten entspringen, also weder schlechter Gesellschaft noch ungünstigen Umwelteinflüssen geschuldet sind. Weiterhin ist diese Schiefe absolut nichts außergewöhnliches: der zwar lange Zeit herrschende, aber völlig anomale Zustand, daß eine Macht die Bedingungen des Weltmarkts ungeschoren diktiert, wird nun allmählich abgelöst durch das Aufkommen neuer Potenzen – von den USA zur Sicherung ihrer Weltmarktstellung eingerichteten Vasallenstaaten wie die BRD und Japan haben sich unter der schützenden Hand des großen Bruders (was ihnen eine Menge budgetschmälernder Ausgaben ersparte) zu tatsächlichen, wenngleich immer noch unterlegenen Konkurrenten entwickelt. Und allmählich richtet sich die Normalität des Weltmarkts ein, die Staaten treten sich souverän gegenüber und setzen die Stärke ihrer je eigenen Wirtschaft durch – was einschließt, daß es eben auf die Stärke der jeweiligen Wirtschaft ankommt, wenn der Staat seine Souveränität herauskehrt. Eine Normalität ist dies freilich, die zugleich Ideal ist, denn die ,,schiefe Bahn“ ist, in ihr schon vorgezeichnet: das Gegenübertreten der Staaten kann kein friedliches bleiben.

Sehr schnell spitzt sich darum das Ringen um Gemeinsamkeit auf die Handelsgüter zu, die in die unmittelbare Verantwortung der Staaten fallen: der Zwang „zu fortgesetzten Konsultationen auf allen Ebenen“ verstärkt sich durch die „amerikanische Furcht vor einer unkontrollierten Weiterverbreitung spaltbaren Materials“, was die von dieser Furcht geschädigten Partner praktisch als Sorge um den Vorteil aus der Verbreitung zu werten wissen, Sie beeilen sich deshalb, den USA anzubieten, ihrem ehrenwerten Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen; dieser kann allerdings nur in der Berücksichtigung ihrer Interessen liegen. Während die USA es unternehmen, die Abhängigkeit der Verbündeten von amerikanischem Uran auszunützen, um die Oberhand bei der Weiterverbreitung von spaltbarem Material und dem dazugehörenden technischen Gerät zu behalten – und ganz nebenbei demonstrieren, daß es beim Bruch internationaler Verträge (Lieferungsvereinbarungen für Uran bis 1994) darauf ankommt, ob man ihn sich leisten kann –, zeigen ihnen die Verbündeten, daß sie sich auch „unter Mißachtung der von Washington gesetzten Frist verhandlungsbereit zeigen“ können, und signalisieren so, daß die Verhandlungen nicht leicht sein werden. Die EG-Partner tragen angesichts des Carterschen Ultimatums entschlossene Einigkeit zur Schau, wobei die Deutschen den Franzosen die Ehre ließen, mit offiziellen markanten Worten zu unterstreichen, daß ihre nationale Gloire im Bündnis mit der überlegenen BRD nicht zu kurz kommt, – wo sie sich brauchen läßt. Überhaupt erfreut sich das europäische Bündnis angesichts der Schwierigkeiten mit den USA und Japan einer „besonders herzlichen und familiären Atmosphäre“. Diese wird auch kaum dadurch getrübt, daß die BRD die Handelsschwierigkeiten mit den USA und Japan zum Anlaß nimmt, mit Hilfe eines zu schaffenden „Subventionskodex“ innereuropaische Konkurrenz zugunsten der eigenen weiter zu eliminieren, denn schließlich hat man ja auch auf dem Rüstungsund Entspannungssektor gemeinsame Anliegen gegen die Führungsmacht zu verteidigen.

Daß die USA trotz früherer Versprechungen keine deutschen Panzer kaufen wollen, heißt beispielsweise noch lange, nicht, daß die Europäer dann lockend den Amis ihre AWACS abnehmen, und während Lockheed heute auch für Schmiergeld keinen Starfighter in Europa landen könnte, ist der Airbus (ein ziviles Paradestück der aufblühenden europäischen Rüstungsindustrie) erst einmal auf dem US-Markt eingebrochen, was die Amis nicht ohne weiteres hinnehmen werden.

Wenn es um die Eroberung von industriellem Lebensraum für die BRD geht, haben die überseeischen Freunde ein Wörtchen mitzureden, und wenn man hierzulande der Menschenrechtswaffe skeptisch gegenübersteht, weil's im Osten den eigenen Interessen eher schadet, dann muß man sich von den Amis klarmachen lassen, daß, wer die Neutronenbombe haben will, aber nicht bei sich, sie nicht verdient hat, weil er bei der Aufrüstung mehr Rücksicht auf seine Interessen nimmt, als auf die der Welt-Friedensmacht Nr. 1:

„Ein Stück Bonner »Selbstfinnlandisierung« hat ein enger Vertrauter Carters diese Haltung in der Hitze des Gefechts genannt: »Immer erst fragen, was wohl Breschnew sagt«.“

Und der coolere Kissinger hat auf dem Hamburger Wirtschaftstag vermerkt:

„Entspannung sei notwendig, dürfe aber nicht eine »Politik um jeden Preis« sein. Andernfalls würde es zu einer Aufgabe eigener Positionen kommen.“

– und bestätigte so aufs neue sein Friedensnobelpreisträgerformat, das ihm seinerzeit zuerkannt wurde, weil ihm die Wahrung amerikanischer Positionen in Asien und der übrigen Welt so sehr durch den Eier-Kopf ging, daß er den Vietnamkrieg, dessen Preis den Amis zu hoch wurde, durch Verhandlungen zu verbilligen strebte. Einem amerikanischen Entspannungsexperten gilt nämlich der Entspannungs-Geschäfts-Erfolg des BRD-Imperialismus gegenüber dem Osten zurecht als eine „Gefährdung eigener Positionen“, weil das bundesdeutsche Engagement auf östlichen Märkten zum einen die Manövrierwilligkeit der Westdeutschen für US-Interessen einschränkt und zum anderen der BRD zu nicht von den USA kontrollierten Positionen verhilft: Gerade die BRD, die von den Amerikanern als starker Frontstaat ihrer Einflußsphäre aufgebaut wurde, hat sich nicht nur zum imperialistischen Kontrahenten im West-Block gemausert, sondern ausgerechnet zu einem, der eigenständig die friedliche Ausplünderung der kommunistischen Staaten vorantreibt. So sind die Menschenrechtsoffensive und der Neutronenbombenpoker Mittel der US-Entspannungspolitik, die zugleich als Druckmittel gegen den imperialistischen Emporkömmling verwandt werden, um dessen Entspannungsgeschäft nachhaltig an den Geschäftsgang der „Schutzmacht“ zu erinnern.

Allerdings spielen für sie nicht die schönen Geschäftsbeziehungen die erste Rolle, sondern die möglichst billige Erhaltung ihrer Weltvormachtstellung, von der sie sich aus Erfahrung massive und langfristige wirtschaftliche Vorteile verspricht. Die politischen Interessen der USA konfligieren hier mit den unmittelbar ökonomischen der BRD, worauf unsereins sofort einfällt, daß man die Amis doch politisch machen lassen könnte. Haben sie doch auf diese Tour den Osten schon so schön weichgekocht, daß man jetzt erfreut absahnen kann, ohne die lästigen Ausgaben, die die Amerikaner sich einfach leisten mußten. Es wird der Ruf laut, daß die „Führungsmacht“ endlich wieder ordentlich führen, also ganz uneigennützig die Russen niederhalten soll, damit man selbst ... Leider gefährdet dies wiederum die Entspannung, welche Voraussetzung dafür, daß die Amis zwar „führen“ man selbst jedoch unbehelligt seine Geschäfte macht.

Die Kampagne mit den Menschenrechten, die hierzulande also verständlicherweise als Irrationalität mißverstanden wurde, weil sie der Rationalität des eigenen Imperialismus zuwiderläuft, ist jedoch nicht nur eine kostengünstige Waffe gegen den Osten: Carter brachte sie auch in Anschlag, wo es galt, Kosten für ineffizient gewordene Gorilla-Regimes zu mindern. Diese „Erneuerungsbewegung“ der Ideale der imperialistischen Führungsmacht trägt also dem Umstand Rechnung, daß die gewaltsame Offenhaltung der Welt als Rohstoffquelle und Markt des US-Kapitals auch für die USA ihre Schattenseite hat: der bedingungslose Einsatz des staatlichen Gewaltapparats für die schrankenlose Akkumulation des US-Kapitals, stellt eben einen unproduktiven Kostenfaktor für diese Akkumulation dar, was den Amerikanern durch das relative Erstarken der europäischen und japanischen Konkurrenz drastisch vor Augen geführt wurde.


Autos statt Panzer

Im Rahmen der hiesigen Kampagne gegen die US-Außen- und Wirtschaftspolitik, die deren für die BRD unliebsame Züge in eine Frage der Berechenbarkeit der Person des Jimmy Carter verwandelte, wurde es nicht versäumt, nicht unbefriedigt festzustellen, die USA erweise sich auch im Einsatz ihres Gewaltapparats in aller Welt nicht mehr als das Land der gänzlich unbegrenzten Möglichkeiten: Unter der schmalen Rubrik Carterscher Erfolge wurde der Panama-Vertrag verbucht, mit dem die USA versprechen, in absehbarer Zukunft (31.12.1999) ihre Militärmacht dort nur noch walten zu lassen, wenn die gewährte Souveränität nicht als Verzicht auf die Wahrung imperialistischer Interessen mißverstanden wird. So sehr man auf deutscher Seite diese „Bewältigung imperialistischer Vergangenheit der USA“ mit Blick auf den eigenen Imperialismus begrüßt, so sehr mußte auch anerkannt werden, daß dieses „disengagement“ der imperialistischen Vormacht würdig ist, – wer kann es sich schon leisten, es dem Vertragspartner schriftlich zu geben, daß er bei ihm einmarschiert, wann es ihm paßt.

Die neugewonnene Normalität des Weltmarkts verbietet also, den Bruch mit den Amis auch nur anzudeuten. Vielmehr steht eine Reihe Welt- und sonstiger Gipfelkonferenzen auf der Tagesordnung, bei denen der eigene Vorteil voranbewegt werden soll:

„Jimmy Carter hat in der Innen- und Außenpolitik erkennen müssen, wo seine Grenzen und Möglichkeiten liegen. Er hat ein Stück Selbstgerechtigkeit eingebüßt und ein Stück Manövrierfähigkeit gewonnen.“

Sollte sich in der „neuen Versöhnlichkeit“ der deutsche Vorteil nicht nach vorn bewegen lassen, – für den Fall kann man schon mal laut darüber nachsinnen, daß das Schöne am Frieden der Vormarsch deutscher Interessen war, und Krieg und Frieden keine Frage des Prinzips ist, sondern eben dieses Vormarsches:

„Der Aufschwung nach dem Kriege war eine Fortsetzung der Expansion mit anderen Mitteln: mit Autos statt Panzern, Tankern statt Schlachtschiffen, Drehbänken statt Kanonen. Nie war Indonesien so fest unter der Kontrolle japanischer Soldaten, wie heute in der Hand japanischer Kaufleute; nie war Frankreich so abhängig von deutschen Erzeugnissen und vom deutschen Markt wie heute. Der verspätete Imperialismus Deutschlands und Japans mit dem erklärten Ziel der Landeroberung als Voraussetzung wirtschaftlicher Macht und Lebensfähigkeit hatte sich als ein kostspieliger und blutiger Irrweg erwiesen. Was mächtigen Armeen nicht gelang, hat der freie Handel spielend geschafft: Wohlstand und Überleben zu sichern.“ (Süddeutsche Zeitung)

 

aus: MSZ 23 – Mai 1978

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