„Europa und die Diktatoren“ (SZ-Kommentar)

Die Presse wünscht mehr Mut zur Offenheit

Die Süddeutsche registriert (Kommentar vom 25.1.2011), dass die EU dem gerade wiedergewählten weißrussischen „Diktator“ Lukaschenko dessen „Knuteneinsatz nach der Wahl“ offensiv vorhält, sehr antidiplomatisch „aufgeregte Appelle und Drohungen“ vom Stapel lässt. Dagegen empfängt sie einen anderen Schurkenstaatler, den „Autokraten“ (das ist offenbar der Kosename für Diktator!) Karimow aus Taschkent, der schon jede Menge Demonstranten zu Tode kommen ließ, „geräuschlos in Brüssel“.

Könnte das ein Problem sein, wo doch alle immer gerne den Eindruck erwecken, die Menschenrechte seien so etwas wie eine moralisch unabdingbare Messlatte für die Qualität aller Politik? Nein, no problem, erklärt uns das liberale „Weltblatt mit Herz“ aus München. Denn:

„Usbekistan ist wichtiger als Weißrussland (...) wirtschaftlich wegen seiner Energievorräte, politisch wegen seiner Nähe zu Afghanistan.“

Alles klar, danke für die Auskunft. Sie ist zwar nicht im geringsten eine Erklärung des Verhältnisses von Politik und Moral, weil sie so tut, als hätten die herrschenden Demokraten in den „Menschenrechten“ einen ernsthaften Einwand aus Sicht der „Menschen“ gegen bestimmte Formen von Machtausübung, einen Einwand, den sie dann aber an staatlichen Interessen im Ausland relativieren würden. Immerhin aber ist die Klarlegung, dass Moral so zum Zuge kommt und zwar zu Recht, wie es zu den Interessen an der Benutzung fremder Herrschaft passt - Diktatur hin oder her! –, ein Hinweis, der sich gedanklich verwerten ließe: Wenn nämlich Moral etwas ist, was Staaten berechnend, also auch dosiert einsetzen, dann ist Moral als staatliches Beurteilungskriterium von Regierungen selber nur ein Signum für ein Staatsinteresse, nämlich das an Stabilität und Verlässlichkeit einer fremden Macht, egal wie die im Einzelnen mit ihrem Menschenmaterial umgeht. Dann wird aber auch nicht die Moral unter nackte Staatsinteressen gebeugt, wenn die „Menschenrechtswaffe“ einmal im Köcher bleibt und nicht offensiv zum Einsatz kommt, sondern zwei staatliche Interessen in Hinblick auf andere Mächte werden in ein opportun erscheinendes Verhältnis zueinander gesetzt. Das fällt dann bei Lukaschenko anders aus als bei Karimow und in anderen Fällen wieder anders, aber immer werden beide Gesichtspunkte, das Benutzungs- und das Kontrollinteresse von Staaten in Hinblick auf andere Staaten, in Anschlag gebracht ...

Die von uns nahegelegten Schlussfolgerungen sind natürlich das Letzte, was eine liberale Zeitung im Sinn hat. Die will all ihren Lesern nur mitteilen, dass sie sich nicht wundern, aber auch nicht allzu sehr grämen sollen, wenn Politik etwas anderes ist als praktizierte Moral. Umgekehrt: Wenn etwas kritikabel ist an solch einer Politik dann der mangelnde Mut zur Offenheit: Sie sollte

„wenigstens den Schneid haben, Interessen und Ziele auch deutlich zu benennen. Derart verdruckst mit dem umstrittenen Herrscher umzugehen und zu hoffen, dass seine Anwesenheit keiner bemerkt (wie im aktuellen Fall des usbekischen Staatsbesuchs in Brüssel) – das schadet der Glaubwürdigkeit.“

Klartext: Wenn man schon zugunsten bestimmter Benutzungsinteressen, die doch wohl höchst legitim sind, auf Vorwürfe gegen einen Staatsgast verzichten will, der sein Volk schikaniert, dann soll man sich offen dazu bekennen! Klammheimliche Freundschaften mit bösen Herrschern erwecken doch den Eindruck, man müsse ein schlechtes Gewissen haben – und das ist falsch und macht unglaubwürdig! Nicht nur geheuchelte Moral legitimiert demokratische Regierungen wie die der EU, sondern ganz genauso das, was sie sonst noch an wirtschaftlichen oder kriegstechnischen Zielen verfolgen. Diese nackten Interessen zu verleugnen, das ist unmoralische Politik!
Das ist die Botschaft der SZ, die dann bei anderer Gelegenheit beklagen wird, dass man nicht frühzeitig auf Distanz gegangen ist zu dem gerade gestürzten „Tyrannen“ aus Taschkent.

So geht Gegenaufklärung heute.

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„Experten“ nach dem Geschmack der FAZ:

„Good  governance“ für Ungarn

„In Ungarn ist eben das letzte Aufgebot bestellt worden. Das Expertenkabinett des parteilosen Gordon Bajnai soll das Land aus der selbstverschuldeten Misere führen.“ (FAZ, 18.04.09)

Die Staaten Osteuropas, allen voran Ungarn, stehen infolge der Finanzkrise vor dem Staatsbankrott. Die ungarische Währung, der Forint, befindet sich auf einem Rekordtief und der Handel mit Staatsanleihen bricht zusammen. Ein 25 Milliarden-Dollar-Kredit des IWF verhindert vorerst den Bankrott. Jahrelang galt Ungarn im Westen als „Vorzeigeland Osteuropas“, weil es sich mit aller Macht den Ansprüchen westlicher Kapitale zurechtgemacht hat.
Jetzt, in Zeiten des Misserfolgs, entdecken die Redakteure der FAZ nur noch Verfehlungen, wo sie gestern Reformwillen gefeiert haben. Die Abhängigkeit Ungarns von westlichen Krediten, die seit Beginn der Finanzkrise ausbleiben, wird vergessen. Wo sie sonst begriffslos bebildern, wie die ganze Welt von den Bankencrashs in den Metropolen des Kapitalismus betroffen ist, wollen sie den Fall hier einmal anders sehen: Die Haushaltskrise in Ungarn sei eine „selbstverschuldete Misere“, weil die Regierung es versäumt habe, die „notwendig gewordenen Kürzungen im Sozialbereich“ durchzusetzen. Woran das liegt, das weiß die FAZ auch: „Politiker neigen dazu, die Stimmen der Bürger mit praktisch unfinanzierbaren Geschenken zu kaufen“. Ein klarer Fall von Populismus!
Man erfährt zwar nichts über ökonomische Gründe für den Bankrott, aber man kann etwas über die Zeitung für Deutschland lernen: Wenn ein Land Probleme mit seinem Haushalt hat, sabbert die FAZ wie der Pawlowsche Hund: Dem Volk wurden Geschenke gemacht! Es wurde nicht genug am Sozialen gespart! Woher sie das weiß? Weil der drohende Bankrott offenbart, dass der Haushalt unfinanzierbar ist. Logisch! Die Reflexe der freien Presse funktionieren!

Die Ansprüche der FAZ an eine verantwortungsvolle Führung sagen zudem einiges darüber aus, was die Meinungsmacher an der Demokratie schätzen. Sie wünschen sich eine verantwortungsbewusste Regierung, die dem ungarischen Volk mögliche Hoffnungen auf materielle Rücksichtnahme austreibt. Gelingt das der gewählten Regierung nicht, begrüßt die FAZ ein „Expertenkabinett“, das nicht „derart anfällig für solche Verhaltensmuster“ sei – gemeint sind sog. Wahlgeschenke –, weil es „nicht um die Wiederwahl bangen“ müsse. Was anderswo als Diktatur beschimpft wird, wird hier als Ideallösung präsentiert, um ein Land in stürmischen Zeiten zu führen: Sich einfach mal nicht zur Wahl stellen, natürlich nur übergangsweise. Dann geht eins besonders gut, glaubt jedenfalls die FAZ: Das Volk verarmen, ohne dass es einem das übel nehmen kann.

Und das Verarmen muss ja ohnehin sein, erst recht in der Krise.

Sachzwang.

So funktioniert gutes Regieren nach dem Geschmack der FAZ: Das Volk hat nichts zu melden, die Führung greift rücksichtslos durch – und keiner beschwert sich. Echte Experten und keine billigen Populisten am Werk. Ein Glück, die FAZ wird nicht enttäuscht: Die neue Regierung kürzt „bei der Familienhilfe, beim Karenz- und Krankengeld, bei den Wohnungsförderungen und bei den staatlichen Kompensationszahlungen für Gas und Fernwärme.“

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Die Weiterentwicklung der aktuellen Finanzkrise zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise

Als die Finanzkrise im August 2007 so richtig ins Laufen kam, war die allgemeine Wirtschaftslage weltweit in „robuster Verfassung“, wie es allenthalben hieß. Noch im 1. Quartal des Jahres 2008 wurde in Deutschland eine starkes Wirtschaftswachstum gemessen, viele große DAX-Konzerne legten Rekordzahlen bei Umsätzen, Gewinnen und Auftragseingängen vor; gleichzeitig wurden bereits deutliche Probleme bei großen Banken verzeichnet, die auf Wertpapierbestände Milliardenabschreibungen vornehmen mussten und starke Gewinnrückgänge auswiesen.

Es gab also derzeit noch keine direkt sichtbaren Hinweise auf eine Rückwirkung der Finanzkrise auf den „realwirtschaftlichen Sektor“. Aber doch dunkle Ahnungen und entsprechende Beschwichtigungen. Mochten auch Milliardenverluste im Geschäft mit Wertpapieren und Finanzkrediten unter Finanzinstituten ihre Wirkung tun, es gab regierungsamtlich und in der Presse jede Menge gezielte Entwarnungen: Nein, ein Übergreifen auf das Geschäft mit Waren, mit Sachgütern und handfesten Dienstleistungen, sei nur in geringem Maße zu erwarten; vielleicht müsste man mit einem vorübergehenden Rückgang des Wachstums rechnen, keinesfalls aber mit einem starken und am Ende lang andauernden Einbrechen der gut laufenden weltweiten Warengeschäfte.

Inwieweit solche verhalten optimistische Stellungnahmen bzgl. der Eingrenzbarkeit der Finanzkrise dem tatsächlichen Glauben der Verantwortlichen zum damaligen Zeitpunkt entsprachen oder schon damals bewusst abgegeben wurden, um Besorgnisse bei Unternehmen wie kleinen Leuten einzudämmen und die Ausbreitung eine pessimistischen Stimmung und daraus resultierender wachstumsschädlicher Verhaltensweisen im Keim zu ersticken, wird man wohl nie erfahren. Ist aber auch egal.

Spätestens im September 2008 war es dann schlagartig vorbei mit allen Hoffnungen und Verheißungen, die „Realwirtschaft“ könnte vom Krisenprozess in der Finanzsphäre abgekoppelt werden bzw. bleiben. Als geschah, was niemand für denkbar hielt - das Zusammenkrachen mehrerer Großbanken und Versicherungsriesen -, und sogar ein Kollaps des gesamten weltweiten Finanzsystems eine realistische Möglichkeit wurde, war dem letzten Hoffnungsträger klar: Das kann nicht ohne vehemente Auswirkungen auf die ganze Wirtschaft abgehen ... Und zwar auch dann nicht, wenn die gewaltigen Anstrengungen des Staates, diesen Kollaps des Finanzsystems abzuwenden, vom Erfolg gekrönt sein würden.

Bleibt die Frage, wie er sich abspielt, der Verallgemeinerungsprozess der Krise. Wie greift sie über vom Finanzgeschäft, das kracht, auf die Sphäre der Produktion von und des Handels mit realen Waren, so dass auch hier alles den Bach runter geht?

Unterstellt ist hier: Innerhalb des Finanzgewerbes hat sich die Krise, die im Bereich der Wertpapiere ihren Ausgangspunkt hatte, die über den Weiterverkauf amerikanischer Immobilienkreditforderungen in die Welt gesetzt wurden, bereits verallgemeinert (vgl. Artikel „Die Finanzkrise: Ein notwendiges Produkt des normalen Finanzgewerbes“). Alle Banken und sonstige Finanzinstitute dieser globalisierten Welt sind mehr oder weniger betroffen: Alle haben Verluste erlitten, einige stehen vor der Insolvenz. Tendenziell legt niemand von diesen Profis der Geldmacherei sein Geld mehr bei anderen an oder gibt Kredit, umgekehrt wollen alle ihr angelegtes bzw. verliehenes Geld zurück haben. Kredit ist out, Geld ist in. Auf die Verzinsung oder sonstige Vermehrung des eigenen Geldvermögens wird verzichtet: Geld wird festgehalten, gehortet, um seinen Verlust zu verhindern. 
Was heißt das für die „Realwirtschaft“?

Erstmal unmittelbar: All diejenigen, die als Private oder Unternehmen bei Finanzanlagen Vermögen verloren haben oder bedroht sehen, überdenken eventuell geplante Anschaffungen. Das bringt bestimmten Zweigen des Warengeschäfts schon mal erste Ladenhüter ein. Wenn dann noch viele Tausend gut oder weniger gut verdienende Angestellte bei Banken oder anderen Verlierern des Finanzgeschäfts auf die Straße fliegen, kommt die nächste Runde vergeigter Kaufabschlüsse dazu.

Prinzipiell aber führen drei Wege von der Finanzkrise zu einer allgemeinen Krise der Realwirtschaft. 

E r s t e n s. Banken sind selber wegen ihrer eigenen Geschäftsmisserfolge in Zahlungsnöten, können sich weitere Risiken nicht leisten. Sie warten auf Geldrückflüsse, die ausbleiben, und zögern, ihr Geld weiter zu verleihen. Auch wenn sie damit ihr eigenes Geschäft erst recht gefährden. Die Bankkunden, denen früher das Geld hinterhergetragen wurde, erhalten keine Kredite mehr oder müssen sich strengere Überprüfungen und höhere Zinskosten gefallen lassen. Diese Kreditverteuerung oder gar -blockade verzögert oder verhindert den Fluss der Geschäfte in Industrie und Handel und bei sonstigen Dienstleistern. Im Prinzip überall. Weil überall im kapitalistischen Geschäftsleben der Kredit der Banken längst als selbstverständliche Voraussetzung des eigenen unternehmerischen Treibens eingeplant ist. Fällt er aus oder wird seine Nutzung erschwert, geht einiges an Warenverkehr über den Jordan.

Hinzu kommt, dass auch die Kapitalmärkte „ausgetrocknet“ sind. Die Börsen sind weltweit abgestürzt und Aktien wie verzinsliche Wertpapiere sind entwertet. Große Unternehmen, die sich hier normalerweise in jeder Größenordnung mit frischem Geld versorgen können, indem sie neue Aktien oder Schuldverschreibungen emittieren, brauchen dies gar nicht erst zu versuchen: Kein Anleger, schon gar nicht die Profis, greift mehr zu, alle sitzen auf ihrem Geld. 

Die Krise breitet sich wie ein Flächenbrand aus. Die Unternehmen der Realwirtschaft hängen einerseits alle von der Finanzierung durch den Bankensektor und die Börsen ab: Schon so sind sie allesamt und im Prinzip gleichermaßen betroffen. Andererseits schlägt sich jeder ausbleibende Umsatz, jede unterlassene Investition, aber auch schon jeder wegen steigender Kreditkosten angehobene Verkaufspreis des einen Unternehmens bei dessen Geschäftspartnern als deren Notlage nieder: Auch die müssen die Produktion mangels Aufträgen herunterfahren, haben Verluste zu verbuchen, müssen ihre eigenen Zukäufe reduzieren. Usw. usf.

Z w e i t e n s. Bevor die zuerst beschriebene Schiene der Krisenübertragung vom Finanz- auf den Realsektor so richtig zum Zug kommt, fahren Unternehmen und Private - in Antizipation der Krise - ihre Aktivitäten zurück (Investieren und Konsumieren). Ob sie schon Probleme mit der Fremdfinanzierung ihrer Ausgaben gekriegt haben oder nicht: Sie nehmen es vorweg oder gehen gleich davon aus, dass mit den Banken und Börsen auch alles andere den Bach runtergehen wird. Die Autoindustrie kriegt das als erstes zu spüren. Welcher Privatmann, mit Ausnahme der echt begüterten Abteilung, kauft sich einen Neuwagen, wenn er mit verstärkter Arbeitsplatzgefährdung oder sinkenden Einkommen rechnen muss? Welche Firma ordert neue Karossen, wenn sie ihre künftigen Umsätze nicht mehr kalkulieren kann und mit verschärften Finanzierungsproblemen rechnen muss? Und welches Leasingunternehmen erneuert bzw. vergrößert seinen Wagenpark, wenn das Kundengeschäft einzubrechen droht? Also sind auf einen Schlag Tausende nagelneuer PKWs unverkäuflich, wird die Produktion bei Daimler und VW heruntergefahren, wird den Beschäftigten Arbeitszeitverkürzung verordnet (die in normalen Tagen Hassobjekt aller Unternehmer ist!) und Entlassung in Aussicht gestellt.

D r i t t e n s. Die letzte und harscheste Variante der Krisenverallgemeinerung hat der Staat durch seine gewaltigen Schutzmaßnahmen bisher verhindert. Die „Kernschmelze“ des Finanzsystems ist durch die Milliardenstützungsaktionen der Notenbanken und der Staatshaushalte erst einmal unterblieben. Eine Zahlungsunfähigkeit oder Insovenz von Banken hätte die Folge, dass alle Kreditvergabe, aber auch jeder Zahlungsverkehr der kapitalistischen Wirtschaft zu Ende wäre. Wenn kein Bankkunde mehr über sein Geld verfügen kann, weil er es einer Bank anvertraut hat, die pleite ist, bricht der übers Geld vermittelte Reproduktionsprozess der Marktwirtschaft zusammen. Dass alle materiellen Ressourcen der Wirtschaft, Produktionsanlagen wie Arbeitskräfte, noch vorhanden und intakt sind, nützt dann gar nichts mehr. Dann zeigt sich im Zusammenbruch die Wahrheit des kapitalistischen Wirtschaftens: Nicht das Geld ist für den Güterverkehr da, sondern alle Produktion von Gütern, aller Handel mit Gütern dient nur der Vermehrung des Geldes.
Und wenn diese Vermehrung nicht mehr klappt, wenn jeder unbedingt Geld benötigt, aber nur um Schulden zu bezahlen, dann ist das Geld selbst in Gefahr. Dann tritt ein, was Karl Marx vor 150 Jahren als notwendigen Irrsinn des kapitalistischen Systems verbuchte:

„In Zeiten der Klemme, wo der Kredit einschrumpft oder ganz aufhört, tritt plötzlich Geld als einziges Zahlungsmittel und wahres Dasein des Werts absolut den Waren gegenüber. (...) Eine Entwertung des Kreditgeldes (gar nicht zu sprechen von einer übrigens nur imaginären Entgeldung desselben) würde alle bestehenden Verhältnisse erschüttern. Der Wert der Waren wird daher geopfert, um das phantastische und selbständige Dasein dieses Werts im Geld zu sichern. Als Geldwert ist er überhaupt nur gesichert, solange das Geld gesichert ist. Für ein paar Millionen Geld müssen daher viele Millionen Waren zum Opfer gebracht werden. Dies ist unvermeidlich in der kapitalistischen Produktion und bildet eine ihrer Schönheiten.“ (Marx. Das Kapital, 3. Band, MEW Nr. 25, S. 532)

Im Augenblick tun die Staaten mit ihren Rettungsaktionen für das Bankwesen alles mit Staatsknete Mögliche, um den Kredit und damit das Geld zu sichern. Sie verhindern den Zusammenbruch des Systems, so gut sie können – und setzen damit die allgemeine Krise mitsamt ihrer Entwertung realen Reichtums in all seinen Formen durch.

„»Sehr restriktive Kreditvergabe und langsameres Gewinnwachstum dürften die Zahlungsausfälle bei Firmen rascher steigen lassen, als Investoren glauben«, sagte Willem Sels, Kreditmarktanalyst der Dresdner Kleinwort. Er glaubt, dass Firmen deutlich mehr Anleihen auf den Markt bringen müssen, weil sie von den Banken nicht genügend Kredite bekommen. Zwar sinke auch der Investitionsbedarf der Unternehmen, noch schneller brächen aber Gewinne und Mittelzuflüsse weg. Die Firmen müssten sich aber auf deutlich höhere Finanzierungskosten einstellen, weil die Nachfrage nach Firmenanleihen durch Hedgefonds und Banken sich erst allmählich erholen werde.“ (SZ, 19.11.08)

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250 Bootsflüchtlinge aus Somalia und Eritrea sind an einem Tag im April 2011 gestorben,

• weil die EU mit ihren global überlegenen Unternehmen und subventionierten Waren die afrikanischen und arabischen Ökonomien erfolgreich kaputt konkurriert und den betroffenen Menschen damit ihre Lebensgrundlage nimmt,

• weil die Lebensmittel, die Fischfanggebiete, die Rohstoffvorkommen ihrer Heimat exklusiv der Verwertung westlicher Kapitale dienen und dafür kaum Neger gebraucht werden,

• weil mit ihnen im Normalfall schlicht überhaupt kein Geschäft zu machen ist, sie also schlicht überflüssig, d.h. Überbevölkerung sind, die stört, wo immer sie rumvegetiert,

• weil die den ehemaligen Kolonisierten gewährte Freiheit, sich selbstverantwortlich um den eigenen Gelderwerb zu kümmern, nicht das Recht einschließt, die eigene Arbeitskraft auswärts, in den Metropolen des Kapitalismus, anzubieten zu dürfen, nur weil man daheim nicht leben kann,

• weil Weltbank und IWF darauf bestehen, dass die afrikanischen Staaten die Ernährung ihrer Völker nicht subventionieren dürfen, wenn sie weiterhin vom Westen Kredit wollen,

• weil nicht geduldet wird, wenn sich die Überflüssigen in ihrer Not gegen ihre politische Herrschaft auf- oder anderen politischen Mächten zuwenden, sofern dies den Ordnungsvorstellungen europäischer und amerikanischer Mächte widerspricht,

• weil die in Nordafrika herrschenden, und von EU und USA unterstützten Diktatoren nun vom eigenen Volk bereits davon gejagt oder aber im Falle eines etwas antiwestlicheren Führers mit Nato-Bomben ausdauernd bekämpft werden, in jedem Fall aber ihre Gewalt momentan nicht mehr im Dienste und Auftrag der EU dazu einsetzen können, um eigene und fremde Afrikaner an der Flucht nach Europa zu hindern, zu kasernieren, massakrieren und zu deportieren,

• weil jede Hoffnung, auf legale und sichere Weise mit europäischen Fähren oder Fluglinien diesem Horror zu entgehen, um in den segensreichen Moloch deutscher, französischer oder britischer Slums zu gelangen, dort die Klos von Mc Donalds oder die Flure deutscher Ämter und Behörden zu putzen, auf den Strich zu gehen oder im Puff für die verkorksten Seelen des freien Westens zur Verfügung zu stehen oder auf den Plantagen spanischer Agrarkonzerne Pestizide zu inhalieren, durch ein hermetisches Grenzregime zunichte gemacht wird,

Der Tod von 250 Afrikanern an einem einzigen Tag kann in den Staaten der freien Welt jedoch nichts und niemand ernstlich erschüttern. Wenn durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit ihren Booten, Hubschraubern, Satelliten und Nachtsichtgeräten das Mittelmeer überwacht wird, ist der jährlich tausendfache Tod im Mittelmeer als abschreckendes Risiko gleich mit einkalkuliert.

Ganz etwas anderes liegt für europäische Nationalisten selbstverständlich vor, wenn in 30 Jahren Berliner Mauer 98 Tote gezählt werden. Obgleich es den Toten herzlich egal sein kann, ob sie bei der Ein- oder bei der Ausreise gestorben sind, zählen die Maueropfer mit Sicherheit zu den am meisten zitierten und beweinten Toten der Weltgeschichte – schließlich standen und stehen sie für die Menschenfeindlichkeit des kommunistischen Regimes. Das gibt es ja Gott sei Dank nicht mehr.

Die tunesischen Flüchtlinge dagegen haben eine andere Lektion zu lernen:

„Niemand will sie haben“ (Anne Will);

„sie sollen zu Hause bleiben und dort beim Aufbau helfen“ (der bayerische Innenminister Hermann bei Anne Will).

Die erste Pflicht der „jungen Demokratien“ in Nordafrika, über die „wir uns sehr freuen“, ist es also, ihr Volk wieder zuverlässig zu kasernieren – wer sich erinnern will: Das war einmal der zentrale Vorwurf an den kommunistischen Unstaat auf deutschem Boden. Und dieses Volk muss lernen, Demokratie weder mit Reisefreiheit noch mit einem Versprechen auf materiellen Wohlstand zu verwechseln. Es soll daheim bleiben und beim „Aufbau helfen“ – was immer man sich auch darunter vorstellen soll in einem Land, das ökonomisch zugerichtet ist auf die paar wenigen geschäftsträchtigen Interessen der EU an ihm.

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G 20-Gipfel in Seoul

Ein interessantes Zwischenfazit im Streit der Nationen um die weitere Krisenbewältigung

Seit Längerem konkurrieren die Nationen darum, wer besser als andere aus der Krise herauskommt. Das ergibt auf dem turnusgemäß einberufenen Gipfel in Seoul, wo die G 20-Länder auch für den Rest der Welt „Probleme lösen“, hinreichend Stoff für diplomatische Entzweiung oder deren Vermeidung: „Dollarschwemme“, „Exportüberschüsse“, „Abwertungswettlauf" sind nur einige Schlagworte, mit denen die großen Industriestaaten sich im Vorfeld bombardieren und ihre gegensätzlichen Ansprüche anmelden.

In der interessierten Öffentlichkeit werden Befürchtungen laut, der Gipfel werde „erhebliche Verwerfungen in der Weltwirtschaft“ offenbaren; manche Kommentatoren fühlen sich „fatal an die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts“ erinnert (Spiegel, 8.11.) – eine Zeit, in der der Welthandel einen schweren Niedergang erlebte, und immerhin eine Vorkriegssituation. Zum Ende des Gipfels wird dann zwar Entwarnung gegeben: Der befürchtete Eklat ist ausgeblieben. Allerdings ist auch von den nach wie vor ungelösten, also weiter schwelenden Konflikten, von verpassten Chancen usw. die Rede. Die professionellen Begutachter des diplomatischen Geschachers und seiner Ergebnisse geben sich einerseits betrübt über das Fehlen der Sorte Einigkeit, die sie fürs Bewältigen der jetzigen und das Vorbeugen gegen jede künftige Krise für notwendig halten; andererseits sehen sie sich bestätigt in ihrer abgebrühten Weltsicht, wonach logischerweise jeder Staat, wie jeder Normalmensch ja auch, erst mal an sich denkt und nicht ans große Ganze.

Diese Idee einer Bändigung der Konkurrenz durch den Zwang zur Gemeinschaftlichkeit ignoriert allerdings, dass die zwischenstaatlichen Regelungen auf dem Weltmarkt nur deshalb angestrebt, vereinbart und dann folgerichtig auch wieder in Frage gestellt werden, weil die Nationen eine Stärkung der jeweils eigenen ökonomischen (und dann auch politischen) Macht im Sinn haben. Sie konkurrieren schließlich darum, den gesamten Globus möglichst zu ihrem Vorteil mit Waren- und Kapitalgeschäften zu überziehen. Bei diesem Welthandel geht es nicht um eine irgendwie verabredete internationale Teilung der Arbeit; und die Ergebnisse addieren sich auch nicht zu einem gemeinsamen Vorteil, sondern die Nationen erwirtschaften ihren Vorteil auf Kosten der anderen – was sich in ihren Bilanzen und der Existenz von Gewinnern und Verlierern dann auch sichtbar niederschlägt.

Und gerade, weil das so ist, weil sich die Staaten in ihrer globalisierten Konkurrenz gegenseitig benutzen und schädigen, braucht es neben der ökonomischen Sphäre ganz dringend eine politische, in der sie sich höflich anerkennen und über nichts anderes verhandeln (und sich gegebenenfalls auch „einig“ werden) als über die ständig wechselnden Bedingungen ihrer Konkurrenz.

Das gegenwärtige Hickhack vor dem Gipfel in Seoul zeigt: Gegenüber dem „normalen“ Gerangel und Geschacher ist eine neue Schärfe in die Verhandlungen gekommen. Die auffällig undiplomatischen Äußerungen, mit denen eigene Forderungen begründet und Forderungen anderer als „absurd“ zurückgewiesen werden, machen deutlich, dass die mächtigen Nationen, insbesondere die, die sich nicht als Krisengewinnler, sondern als besonders betroffen betrachten, ihre Ansprüche an das Weltgeschäft im Status Quo nicht mehr aufgehoben sehen. Sie tischen den anderen ihr Interesse an Wiederherstellung dieses Nutzens als unbedingtes Recht auf Korrektur bisheriger Gepflogenheiten und entsprechend ultimativ auf. Warum?

Kurzer Rückblick: Von der Finanz- zur Währungskrise

Die führenden Wirtschaftsnationen sind mit einer nie da gewesenen Situation konfrontiert: Ihre eigene Kreditwürdigkeit ist unmittelbar angegriffen. Es handelt sich nicht, wie bei früheren Finanzkrisen, um Schwellenländer wie Mexiko oder Thailand, deren drohender Kollaps auf das Weltfinanzsystem überzuspringen drohte und daher durch den Internationalen Währungsfonds betreut wurde. Am Verfall der eigenen Währung oder jedenfalls an der zunehmenden Unberechenbarkeit der auf den Devisenmärkten vorgenommenen Bewertung des nationalen Geldes bemerken die politisch Verantwortlichen, dass ihrer nationalen Wirtschaftskraft insgesamt und auch ihnen als staatlichen Garanten des nationalen Wachstums „das Vertrauen entzogen“ wird. Die Profis des Geld- und Kreditgeschäfts, die Charaktermasken des international agierenden Finanzkapitals, tun, wozu sie von allen Staaten ausersehen und berechtigt sind: Sie stellen den Währungen, in denen künftige Gewinnemacherei fraglich erscheint, ein negatives Zeugnis aus, lassen sie links liegen oder spekulieren gegen sie. Im Moment „stehen“ die wichtigsten Währungen selbst „im Feuer“; auch das Vertrauen in den Dollar als Leitwährung ist deutlich angekratzt.

Ausgangspunkt für diese Etappe der Krisenentwicklung ist, dass die Heimatländer dieser Währungen über die Nationalbank und den Staatshaushalt irrwitzige Summen für die Rettung des Kreditsystems mobilisieren mussten, also Geld in die Welt gesetzt haben, das nicht wie im kapitalistischen Normalfall der Förderung, also der staatsspekulativen Vorwegnahme zukünftigen Wachstums, sondern „bloß“ der Vermeidung des kapitalistischen Super-GAUs diente, des Zusammenbruchs des Kreditsystems und damit des ganzen ökonomischen Lebens der Nation.

Die Finanzkapitalisten reichen den Widerspruch des für die Rettung des Kreditsystems aufgeblähten Staatskredits, der weggefallene Kreditgeschäfte ersetzen und dem Ideal nach so wieder ankurbeln sollte, an die Staaten zurück und läuten damit die nächste Etappe der Krise ein: die Währungskrise. (Vgl. dazu –> Wieder drücken die Völker die Daumen: Der Euro wackelt ...) Sie zweifeln daran, dass das Wirtschaftswachstum einer Nation die Summen überhaupt rechtfertigt, die für die Rettung des Kreditsystems ausgegeben wurden. Umgekehrt fragen sie, was ein in seiner eigenen Kreditwürdigkeit (von ihnen!) angegriffener Staat – sei´s als überschuldeter Fiskus, sei´s als in der „Geldfalle“ steckende Zentralbank, die die Leitzinsen nahe Null gar nicht mehr wirtschaftsförderlich senken kann – überhaupt noch leisten kann, um seine stagnierende Ökonomie zu „pushen“ und mit neuen Gewinnaussichten auszustaffieren. Reihum werden die Staaten und ihre Wirtschaftsstandorte verglichen und allesamt für zweifelhaft befunden. Die für diesen Vergleich herangezogenen üblichen volkswirtschaftlichen Parameter, (Handelsbilanz, Verhältnis Schulden/BIP, Arbeitslosenzahlen usw.) fungieren jetzt als Index der grundsätzlichen Kredit(un)würdigkeit der Nationen.

Damit geht die Krise in ihre nächste Etappe: Erst verlieren die Banken ihren Kredit (der wird dann auch der restlichen Wirtschaft entzogen), dann die Staaten als Finanziers der Krisenbekämpfung, und nun büßen die Währungen der Nationen, in denen Rettung aus der Krise Stagnation der Wirtschaft nach sich zieht, ihren Kredit ein.

Dabei bleibt es aber nicht. Die staatlichen Hüter der Standorte, denen der Kredit aufgekündigt wird, tun selbstverständlich  alles ihnen Mögliche, um ihn sich wieder zu verdienen. Das verschärft ihre Konkurrenz untereinander nicht unerheblich.

Die Nationen konkurrieren um die Wiederherstellung ihrer nationalen Kreditwürdigkeit

Die Staaten setzen in dieser Situation darauf, ihren Standort so oder so aufzumöbeln, um dem Urteil der Finanzprofis standzuhalten, das ganz praktisch, übers Kaufen und Abstoßen von Staatspapieren und nationalen Geldern, exekutiert wird. Ziel ihrer Maßnahmen ist der Nachweis, dass der Finanzsektor – bis zur Krise noch unangefochtener und scheinbar auf sich selbst beruhender Wachstumsmotor – eine Grundlage besitzt, auf die es sich zu spekulieren lohnt. Deswegen konkurrieren sie verschärft als Standorte „realer“ Reichtumsproduktion, also als Produktions- und Handelsnationen. Nicht um die Bedeutung von Finanzgeschäften zu reduzieren, sondern um diesen wieder eine „solide“ Basis zu verschaffen und damit dann auch den Kredit der Nation insgesamt zu restituieren. So gelangen Niedriglöhne, Binnenkonjunktur und Exportquoten als Unterfütterung eines Finanzüberbaus und damit einer werthaltigen Währung zu neuen Ehren.

Die Strategien, die beim Aufmöbeln des eigenen Standorts und damit für die Verbesserung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit zur Anwendung kommen, sind nicht ganz identisch und unterscheiden sich danach, wo die Staaten ihre größte Schwäche (oder Stärke) sehen:

– Die führenden Finanzplätze (USA, Großbritannien) wollen  Größe und Konkurrenzfähigkeit ihrer industriellen Basis wiederherstellen. Dafür soll weitere staatliche Kreditexpansion in gigantischen Dimensionen hinreichend billige Wachstumsmittel bereitstellen, um alle Geschäftsgelegenheiten in tatsächliches Geschäft verwandeln zu können (die US-Notenbank kauft am Sekundärmarkt Staatsanleihen in Höhe von vorläufig 600 Milliarden Dollar). Der radikale Umbau der Gesellschaft soll Nationen wieder ein realwirtschaftliches Standbein verschaffen, die vor der Krise als Finanzplätze reüssiert haben und ihre „Deindustrialisierung“ eher achselzuckend abgehakt hatten – interessanterweise also gerade diejenigen, die schon dabei waren, die Handelsbilanz für weniger wichtig, einen florierenden Kapitalmarkt dagegen für die entscheidende Abteilung der nationalen Reichtumsakkumulation zu erachten.  

– Die führenden Exportnationen (Deutschland, China) wollen dagegen ihren „mit harten Anstrengungen erkämpften“ Status ausbauen. Sie sind entschlossen, ihn gegen den angelsächsischen Korrekturwillen zu verteidigen. Mit der Demonstration eines eisernen Sparwillens will Deutschland außerdem zeigen, dass sein Staatshaushalt ausschließlich Ausgaben enthält, die für weiteres Wirtschaftswachstum unbedingt notwendig sind.

Mit ihren wirtschaftspolitischen Weichenstellungen wollen die Staaten die Krise endgültig hinter sich lassen: Unter ihrer jeweiligen Regie sollen neue Geschäfte lohnend werden, die den Heimatmarkt beleben und die Wettbewerbsfähigkeit auf Auslandsmärkten verbessern. Einige Länder haben in diesem Zusammenhang auch den Wechselkurs als „Waffe“ entdeckt. Zum Beispiel die USA: Was zunächst ein missliches Resultat der momentanen Lage ist (der Dollar wertet ab, weil Investoren die Gewinnaussichten in den USA negativ einschätzen, billige Dollarkredite nutzen, um das Geld in andere Währungsräume mit besserer Rendite zu transferieren), wollen sie mit Blick auf ihr Ziel vermehrter Warenexporte in einen handelsstrategischen Vorteil ummünzen. Die Flutung der Märkte mit Dollars durch Anleihekäufe der US-Notenbank, die sich aus der Not ergibt, dass die amerikanischen Staatspapiere zur Zeit wenig Abnehmer finden, ihre Verzinsung aber nicht ansteigen, sondern der amerikanischen Konjunktur auf die Beine helfen soll, soll so gleichzeitig außenwirtschaftlich wirken: Ein niedriger Dollarkurs soll dem amerikanischen Export auf die Beine helfen. Das geht, weil ein gesunkener Wechselkurs für exportierende Kapitalisten genauso wirkt, als ob sie den Lohn der Arbeiter gesenkt oder eine Steigerung der Produktivität hinbekommen hätten. Diese eine Funktion des Wechselkurses setzen Staaten wie die USA in ihrer jetzigen Konkurrenz absolut. Dass gleichzeitig Importe teurer werden und damit das Geschäft der auf Import angewiesenen Kapitalisten schlechter läuft, wird in Kauf genommen. Ebenso die durchaus zwiespältigen Wirkungen des Tauschwerts der Währung auf die reinen Finanztransaktionen z. B. am Kapitalmarkt. Auch die Aussicht auf einen veritablen „Währungskrieg“ schreckt offenbar nicht ab: Eine Abwertung der einen ist automatisch eine Aufwertung der anderen Währung, so dass der billig gemachte Dollar den Warenexport anderer Handelsnationen verteuert, diese also direkt schädigt und zu Gegenmaßnahmen aufstachelt, sofern sie sich das gegen die Amis trauen (z. B. Devisenmarktintervention in Japan oder Protektionismus in Brasilien).

Diplomatie auch auf dem Gipfel: Keine Überwindung, sondern die Fortsetzung der Konkurrenz

Die von den Staaten mit unterschiedlichen Schwerpunkten ergriffenen Maßnahmen zielen also einerseits darauf, das eigene Wachstum anzustacheln und damit auch im Welthandel andere Nationen auszustechen, ihren Geschäftsleuten Marktanteile bei sich und auf Drittmärkten abzujagen. Eine Schädigung anderer Nationen und insofern auch eine Behinderung von deren Krisenbewältigung ist ganz klar mit im Programm. Gleichzeitig wollen alle Nationen aber auch an auswärtigem Wachstum partizipieren, indem sie dort billige Einfuhrgüter erwerben oder im Export fremde Zahlungsfähigkeit auf sich ziehen. Insofern ist man auf Wachstum und erfolgreiche Krisenbewältigung anderswo durchaus angewiesen.

Dieser Widerspruch – andere gleichzeitig als Konkurrenten, deren Vorteil man ausschließen möchte, und als Partner, von deren Vorankommen man profitieren möchte, ins Visier zu nehmen – ist für die Nationen kein Grund, irgendwie aufeinander Rücksicht zu nehmen. Die harten Gegensätze spiegeln sich im diplomatischen Verkehr der Nationen und waren der „Stoff“ des G 20-Gipfels in Seoul.

„Die Beschlüsse der US-Notenbank erhöhen die Unsicherheit in der Weltwirtschaft“ (Schäuble)

„Deutschland exportiert zu viel!“ (Geithner)

Die USA attackieren neben Deutschland vor allem China: Das Land der Mitte verschaffe sich besonders durch künstliche Unterbewertung des Yuan ungerechtfertigte Vorteile im Export, mache so den US-Binnenhandel und Arbeitsplätze, die den USA zustehen, kaputt. Von den Export(vize)weltmeistern China und Deutschland fordern die USA, anzuerkennen, dass ein Exportüberschuss, der 4 % übersteigt, „ungesund“ sei und daher auf ein „gesundes Maß“ zurückgefahren werden müsse. Es ist schon sehr bemerkenswert, wie die amerikanische Weltmacht auf ihre ökonomischen Konkurrenzniederlagen reagiert, die sie neuerdings am Außenhandel festmacht. Sie agiert nämlich ganz aus dem Bewusstsein heraus, dass ihr selbstverständlich  trotzdem zukünftig auf ihrem Nutzen aus dem (schließlich von ihr und dafür eingerichteten) globalen Geschäft zustehen. Und für diesen Anspruch fängt sie gar nicht erst an, um diese oder jene Zollbestimmung als Bedingung zu rechten, sondern formuliert gleich ein Diktat für das Gesamt-Ergebnis: Das muss für Amerika stimmen – und es ist das gute Recht der Vereinigten Staaten, dass die anderen Nationen sich überlegen, wie sie dieser Forderung  nachkommen.  Deutschlands „eiserne Lady“ und ihr Minister halten dagegen. Mit ihrer Replik, dass „eine solche zahlenmäßige Festlegung“ im Namen des doch von allen anerkannten „Freihandels“ als „verfehlte Planwirtschaft“  (!) abzulehnen sei, machen sie deutlich, dass sie das  Prinzipielle und Unversöhnliche des amerikanischen Anspruchs heraushören, der sich mit mit den eigenen Konkurrenzinteressen nicht mehr verträgt – und dass sie nicht gewillt sind, sich dem unterzuordnen.

So prallen auf der Ebene der politischen Willensbekundungen unter Souveränen  die Interessen, die die Staaten gegeneinander ins Feld führen, als Rechtsansprüche gegeneinander, die vom jeweiligen Kontrahenten zu respektieren sind. Die großen Staaten, die auch noch die Leitlinien und Spielregeln des weltweiten Wirtschaftsverkehrs untereinander (mit)bestimmen wollen, formulieren ihre Ansprüche gleich so, dass das Wohl „der Weltwirtschaft“ als Erfolgsmaßstab darin enthalten ist. Wo man einen Schaden von sich abwenden möchte, der von der Strategie des Rivalen ausgeht, benennt man einen Nachteil für „die Welt“; wo man die andere Nation für den eigenen Nutzen einspannen möchte, beklagt man ein „Ungleichgewicht“, das von der bisherigen Praxis der „Partners“ hervorgebracht worden sei. Alle meinen also den jeweils eigenen Nutzen und berufen sich dafür auf ein „höheres Allgemeines“, an dem sich andere versündigen.

Sämtliche  Gipfelteilnehmer befleißigen sich also des Verfahrens, Interessen in Prinzipienfragen der richtigen Weltwirtschaftspolitik zu übersetzen. Daran, wie unversöhnlich derzeit solche Prinzipienfragen aufeinanderprallen, ist abzulesen, wie gegensätzlich die Beteiligten die Lage der Weltwirtschaft, sprich: die Möglichkeiten für die  Durchsetzung ihrer Interessen in dieser einschätzen.

Das Ergebnis des Gipfels: Die Konkurrenz geht weiter

Dieser offene Streit zwischen den wichtigsten Nationen – wie versteinert sitzen Merkel und Obama am Tisch – soll allerdings nicht als Hauptresultat des Gipfels rüberkommen; einen solchen Eindruck will man einfach nicht aufkommen lassen – vor allem nicht bei den sowieso „volatilen Finanzmärkten“. Deshalb werden der Weltöffentlichkeit Einigungspunkte präsentiert, die schon 2 Wochen vorher, auf dem kleinen Gipfel der Finanzminister, festgeklopft worden waren: Basel III, Transparenz für Spekulationsgeschäfte, IWF-Reform. Die US-Forderung nach „Abbau von Ungleichgewichten“, die zuvor abgelehnt wurde, wird am Ende doch anerkannt, allerdings ohne dem Antrag der USA, die Handelsbilanzsalden prozentual zu begrenzen, Recht zu geben. Die stärkste kapitalistische Macht bekommt insofern die längst von allen beanspruchte Definitionshoheit bezüglich der drängendsten Weltprobleme (noch einmal) zugestanden, viel mehr aber auch nicht. Das Problem wird vertagt: Es wird ein Ausschuss eingerichtet, der Kriterien zusammenstellen soll, anhand derer man im Sinne eines Frühwarnsystems das Verfehlen einer „gesunden“ Handelsbilanz und damit Handlungsbedarf feststellen könnte.

Diplomatisch ist das die Art und Weise, die Unvereinbarkeit der konkurrierenden Standpunkte zu registrieren – und für vorläufig unerheblich  zu befinden. Oder anders: Man weiß und akzeptiert, dass die verschärfte Konkurrenz der Teilnehmernationen weitergeht, will aber fürs Erste keinen diplomatischen Bruch der Beziehungen.
Man trifft sich demnächst wieder und bleibt bis dahin im Gespräch. Wenn das nichts ist!

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