Unternehmerverbände in der BRD Eine klassenbewußte Minderheit
Marx, der bekanntlich die Kapitalisten keineswegs im rosigen Licht gezeichnet hat, hat ihnen und dem demokratischen Staat solche Verharmlosung nicht zuteil werden lassen, wie er auch nicht in den komplementären Fehler verfallen ist, sie mit der Zwangsgesetzlichkeit ihres Wirkens zu entschuldigen. Weil er deshalb auch die Prinzipien des gar nicht freundlichen Umgangs von Unternehmern, Staat und Gewerkschaften miteinander erklärt hat, braucht, wer will, die im Treiben der Unternehmerverbände gegenüber Staat und Gewerkschaften nur wiederzuentdecken, um die Lüge der Revisionisten zu entlarven, der Staat diene den Unternehmern nicht durch die Verfolgung des Allgemeinwohls und durch die Grundsätze der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Sozialpolitik, denen er alle gegensätzlichen Interessengruppen unterwirft, sondern dadurch, daß er sich von den Unternehmern gegen den Willen des Volkes regieren lasse.
„Die traditionelle Definition des Unternehmerzwecks, nämlich jener der Gewinnmaximierung, reicht nicht mehr aus. Gewinn ist der Maßstab für den Erfolg unternehmerischen Handelns, nicht aber Ziel. Auch wird es nicht genügend sein zu erklären, ein Unternehmen solle für die Gesellschaft einen Beitrag in Form von Produkten und Dienstleistungen bringen. Unternehmen müssen heute noch mehr: sie haben eine politische Aufgabe zu erfüllen. Dieser Auftrag besteht in erster Linie darin, für den einzelnen im Unternehmen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu schaffen.“ (Der Arbeitgeber, Juli 76) Wie alle anderen Interessenverbände verzichten auch die Unternehmerverbände nicht darauf, ihre Absichten und Interessen mit dem Glorienschein eines höheren Auftrags zu versehen. Nur tun sie sich dabei sehr viel leichter als ihre Sozialpartner Von den Gewerkschaften, denen es nach eigenen Aussagen inzwischen auch nicht mehr „bloß“ um den Lohn, sondern um die „Selbstverwirklichung der Arbeitnehmer“ geht; denn die Unternehmer können darauf verweisen, daß Gewinne eben der Maßstab für die Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Aufgabe sind, weswegen die Selbstverwirklichungsmöglichkeiten sich auch peinlichst nach den betrieblichen Notwendigkeiten der Kalkulation zu richten haben und in Arbeitshetze, niedrigem Lohn, Entlassungen, Frühinvalidität usw. bestehen. Wenn die Kapitalisten die „traditionelle Definition des Unternehmerzwecks“ in das moderne Gewand „Selbstverwirklichung der Arbeiter durch Unternehmergewinne“ kleiden, können sie sich der prinzipiellen Unterstützung des Staates gewiß sein, der dieses kapitalistische Grunddogma in seine Formel „Selbstverwirklichung der Bürger durch nationales Wirtschaftswachstum“ übersetzt und durch Konjunkturspritzen, Steuererleichterungen usw. für den Gewinnaufschwung sorgt. Durch diese Modifikation des unternehmerischen Gewinnlobs zum Grundsatz gleichmäßigen Wachstums bei Vollbeschäftigung, Preisstabilität und Zahlungsbilanzausgleich schlägt der Staat die Brücke zum „kritischen“ Bekenntnis der Gewerkschaften zum „Gewinnprinzip“, an dem sie nicht rütteln wollen, weil sie inzwischen nicht ihre eigene Interessenvertretung sondern Wirtschaftsförderung und Lohnzurückhaltung für die Grundlage der Vollbeschäftigung halten und den Staat nur wegen des „ungezielten“ Charakters seiner Investitionen und die Unternehmer wegen des mangelnden „Verantwortungsgefühls“ beim Gewinnemachen bekritteln. Weil die Förderung der Wirtschaft Inhalt jeder Staatsmaßnahme ist und die Gewerkschaften die Abhängigkeit von der Wirtschaftsentwicklung zur positiven Grundlage ihrer Forderungen gemacht haben, fällt es den Unternehmern leicht, die Rücksichtslosigkeit ihrer Profitmacherei kritisch gegen den Staat, der sie um ihrer elementaren Voraussetzung, des sozialen Friedens willen relativiert, und gegen die Gewerkschaften, die Rücksichtnahme auf die Arbeiter zur Grundlage der Gewinne erklären, ins Feld zu führen und unzufrieden auf die Gesetze der Wirtschaft zu pochen: „Gerade weil die Unternehmer im Gegensatz zu den Gewerkschaften als Stimmen- und Stimmungsmobilisator für die Parteien vergleichsweise uninteressant sind, sind wir darauf angewiesen, durch Sachargumente zu überzeugen. Dies aber bedeutet: Die Wirtschaft ist in besonderem Maße angewiesen auf die Bereitschaft der Politik, sich durch Sachargumente überzeugen zu lassen. Diese Bereitschaft setzt zunächst einmal Verständnis voraus. Wer der Wirtschaft fremd ist, erst recht wer ihr innerlich ablehnend gegenübersteht, wird dieses Verständnis für Sachargumente aus der Sicht, dem Wissen und der Erfahrung der Wirtschaft nicht aufbringen können.“ (Der Arbeitgeber, August 75)
Daß die praktischen Folgen der Sachargumente auf Kosten des Stimmviehs gehen, ist den Unternehmern eine Selbstverständlichkeit. Sie bekennen, daß ihnen nicht an der Demokratie, sondern am Staat gelegen ist, der sich an ihren Notwendigkeiten orientieren muß, und sie drohen mit der Verwandlung ihres Vorteils – sie müssen nicht ihre Interessen durch Wahlen geltend zu machen versuchen und damit aufgeben, denn „die Marktwirtschaft steht nicht zur Disposition“ – in einen Nachteil – sie haben keine Macht über den Staat, der sich so leicht den Wählern anbequemt, sondern nur „Sachargumente“ – dem Staat mit dem Entzug der Bereitschaft zur Erfüllung ihrer „politischen Aufgabe“. Eindringlich werden die Politiker daran erinnert, daß der demokratische Zirkus, die Rücksichtnahme auf die wenig geschätzte Volksmehrheit, sich den Gesetzen der Wirtschaft unterzuordnen hat. Sie sind sich des staatlichen Interesses an ihren Aufschwungsbemühungen so sicher, daß sie deren bedingungslose Unterstützung fordern und dem Staat die Aktivitäten zum Vorwurf machen, mit denen er ihr Ausbeutungsmaterial verfügbar und gefügig erhält. In vielfältigen Variationen klagen die Unternehmer immer über das eine, daß der soziale Friede zu kostspielig ist und fordern, daß die demokratische Berücksichtigung der Arbeiterinteressen nicht den Wirtschaftsmaßnahmen untergeordnet, sondern ihnen geopfert werden soll. Die Kapitalisten sind also nicht bereit, die Arbeitskräfte, die für sie schaffen, anders zu behandeln denn als lästige Kosten, und sie können es sich leisten, mit dem Staat, der ihnen Rücksichtnahme im Interesse ihrer Klasse aufherrscht und abnimmt, unzufrieden zu sein. So müssen es sich die Politiker gefallen lassen, für die Krise verantwortlich gemacht zu werden, weil sie in den Augen der Unternehmer in sträflicher Weise die Proleten bevorzugt haben, statt sie zur nötigen Bescheidenheit zu zwingen, und die Politiker begreifen dies keineswegs als Anmaßung, sondern als Signal für den bedenklichen Stand der Wirtschaft, der Unternehmerunterstützungen notwendig macht: „Im Inland sind die Wachstumsbedingungen insbesondere durch eine jahrelange Umverteilungspolitik zu Lasten der Gewinne geprägt worden. Die mehrjährige Überforderung der Wirtschaft durch die Lohn-, Steuer- und Sozialpolitik erweist sich heute, nachdem die Konsequenzen dieser Politik in Form der Investitionslücke, der fehlenden Arbeitsplätze und des geringen Potentialwachstums offenkundig wurden, als ein Strukturproblem unserer Volkswirtschaft ersten Ranges.“ (Schleyer, in Der Arbeitgeber, Nov. 76) Dabei dreht Schleyer nicht nur die bekannte Entschuldigung der Politiker, sie seien ohnmächtig gegenüber dem Verlauf der Wirtschaft (womit sie regelmäßig die Machtausübung gegen die Arbeiter rechtfertigen) um, und schiebt der Allmacht der Politiker die Krisenschuld in die Schuhe – „Wenn die Politik die Weichen falsch stellt, kann die Wirtschaft den Zug auch nicht auf den richtigen Kurs zurückbringen.“ (Schleyer, in Der Arbeitgeber, Aug. 75) –, er verwandelt auch die staatliche Unterwerfung unter die Konjunkturgesetze, denen die staatliche Wirtschaftspolitik zur Durchsetzung verhilft, in ein gesellschaftliches Umverteilungsprogramm auf Kosten der Unternehmer. Schleyer und Co. reicht es also keineswegs, daß noch kein Arbeiter zum Kapitalisten geworden ist, der Staat also auch mit seiner Sozialpolitik dafür Sorge trägt, die Wirtschaftsgesetze durch die Arbeiter bewältigen zu lassen; die Männer der Wirtschaft wollen den Nutzen dieser Staatsmaßnahmen ohne die Einschränkungen, die ihnen daraus entspringen, und sähen es am liebsten, wenn alles Geld der Gesellschaft ihnen umstandslos zugute käme und die Schranken, die ihr Umgang mit dem Reichtum der Gesellschaft schafft, vom Staat in nichts aufgelöst würden. Deshalb ist ihnen der Lohn immer zu hoch, Gewerkschaftsmacht immer zu groß und einflußreich. Sozialpolitik immer überflüssig und verschwenderisch, Wirtschaftspolitik aber immer zu wenig effektiv, kurz, der Staat soll sich gefälligst mehr um die Unternehmer kümmern oder sich gefälligst aus der Wirtschaft „heraushalten“, was beides dasselbe bedeutet – bei den Arbeitern sparen, die Gewerkschaften unterbuttern, für Lohnsenkungen sorgen und seine Sozialausgaben auf die eigentlichen Sozialgeschädigten umverteilen – auf die Unternehmer, von denen eine „Verhaltensänderung“ nicht erwartet werden kann: „Wenn in den vergangenen Jahren das rückläufige Volumen der Neuinvestitionen immer weniger ausreichte, um das Arbeitskräfteangebot aufzunehmen, dann liegt dies nicht an veränderten Verhaltensweisen der Unternehmer, sondern an veränderten ökonomischen verteilungspolitischen Parametern, die entsprechende Rückwirkungen auf die Investitionspolitik der Unternehmer hatten. Die entscheidenden Bedingungsänderungen lagen darin, daß sich die Investitionsrisiken kontinuierlich erhöhten, während umgekehrt die Rendite des eingesetzten Kapitals laufend sank.“ (Schleyer, in: Der Arbeitgeber, Nov. 76)
Sicher, daß Renditen das Glaubensbekenntnis aller an der freien Marktwirtschaft Beteiligten sind, tut Schleyer den eigentlichen politischen Auftrag der Unternehmer kund, die Sorge um die eigenen Entfaltungsmöglichkeiten durch organisierten Druck auf den Staat: „Wenn sich also die gesellschaftspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft, soweit sie über den engen Bereich des Unternehmens hinausgehen, im wesentlichen nur in dem durch die offizielle Politik gesetzten Rahmen entfalten können, so besteht doch die Möglichkeit und die Notwendigkeit, auf gesetzgeberische Maßnahmen von gesellschaftspolitischer Bedeutung Einfluß zu nehmen. Dies ist legitim und es geschieht. Doch es geschieht zwangsläufig aus einer Minderheitsposition heraus.“ (Schleyer, in: Der Arbeitgeber, August 1975) Indem Schleyer sich demokratisch gibt, und die Kapitalverbände mit mitgliederschwachen Kaninchenzüchter- und sonstigen Interessenverbänden auf eine Stufe stellt, verrät er die Stärke der Unternehmerverbände. Ihr Einfluß braucht nicht die Öffentlichkeit oder viele Mitglieder, denn ihr Interesse gilt etwas in diesem Staat Deshalb kann sich diese kleine Minderheit – „Etwa 5000 Verbände, fachlich wie regional gegliedert, vertreten Unternehmerinteressen“ (Spiegel 47/76) (Warum wohl gibt es nur einen Interessenverband der Arbeitnehmer?) – auch radikal gebärden: „Zunehmend sind im politischen Bereich Versuche zu erkennen, die als unangenehm und störend empfundene Stimme der Wirtschaft als Ausdruck engstirniger Interessenverfolgung oder gar als bewußt, politisch motivierte Manipulation abzutun.“ (Schleyer, in Der Arbeitgeber, Aug. 75) Wenn sie das Allgemeinwohl ins Feld führen, dann mahnen sie als klassenbewußte Vertreter des Gewinns den Staat, den demokratischen Interessenpluralismus nicht an seinen ökonomischen Grundlagen rütteln zu lassen, die sie vertreten. Beharren auf den eigenen Forderungen und Drohungen sind das Prinzip ihrer Agitation, deren Moral im Unterschied zu der der Gewerkschaften nicht die Einwilligung zum Verzicht ist, sondern die dogmatische und gar nicht relativistische Propagierung ihres Vorteils im Gewande der allgemeinen Ideale, auf die sie für sich nicht angewiesen sind, mit denen sie aber dem Staat und ihrem Klassengegner die Abhängigkeit von den Kapitalisten in Erinnerung rufen können. Wie genau der Staat weiß, welches Gewicht diese eine Stimme hat, und wie sehr er sich bemüht, seine Maßnahmen für die Wirtschaft, die den Kapitalisten gleichwohl nicht genehm sind, durch ihre Vertreter korrigieren und mitgestalten zu lassen, zeigt die Rolle der Wirtschaftsverbände.
„Die Industrie- und Handelskammern nehmen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zahlreiche staatliche und halbstaatliche Aufgaben wahr, etwa die Berufsbildungs- oder die Börsenaufsicht. Die 81 bundesdeutschen Kammern haben sich zum Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) zusammengeschlossen, der auch die 35 Außenhandelskammern betreut.“ (Spiegel, 47/76) Wie bei allen Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt es sich auch bei den Industrie- und Handelskammern um Institutionen, durch die der Staat sich Arbeit abnehmen läßt, indem er die Durchführung seiner Aufgaben für bestimmte gesellschaftliche Bereiche abtritt. Während eine solche Einrichtung z.B. im Falle der „studentischen Selbstverwaltung“ der besseren Integration der Studenten in die Ausbildungszwänge dient und daher auch in ihrem Wirkungskreis eingeschränkt wurde, sobald die Studenten sie mit Institutionen ihrer kritischen Mitbestimmung und -Wirkung zu verwechseln begannen, tut der Staat im Bereich der Wirtschaft alles, die Kapitalisten in dem „von der offiziellen Politik gesetzten Rahmen“ ihr gemeinsames Interesse an geordnetem Wettbewerb und wirtschaftsgemäßer Berufsausbildung selbst verwalten und nach ihren Bedürfnissen praktisch ausgestalten zu lassen. Damit sorgt er dafür, daß die gesetzlichen Regelungen, die ja der Wirtschaft dienen sollen, auch ihr gemäß angewandt werden. Die Börse bleibt so das Betätigungsfeld derjenigen, die ihrer würdig sind, der »seriösen« – und weniger »seriösen« Börsenspekulanten. Denn wenn schon der Gesetzesrahmen die Spekulation regelt, aber das Erschwindeln von gesellschaftlichem Reichtum nicht aus der Welt schafft, sorgt die Börsenaufsicht durch die an ihr Interessierten selbst dafür, daß die Bestimmungen auch im Sinne des Gesetzes (und das heißt immer v.a. seiner nützlichen Ausnahmen) gehandhabt werden. Die Kammern haben eben für die „Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.“ (Model-Creifelds Staatsbürgerhandbuch, S. 837). Da die Ausbildung nicht für die da ist, die sie erhalten, sondern für die, die den Ausgebildeten anwenden, da also das Wissen entsprechend den Notwendigkeiten der Branchen vermittelt werden muß, ist es auch hier konsequent, die Unternehmer selbst dies Geschäft durch Vertreter überwachen zu lassen. Damit ist der Staat nicht nur den Streit los, was im Einzelfall für bestimmte Lohnarbeiten an Ausbildung erforderlich ist, sondern hat auch für die effektivste Austragung des Konflikts zwischen den Unternehmen, die mehr an Ausbeutung als an Ausbildung interessiert sind, und den durch die Kammern vertretenen Notwendigkeiten, nicht bloß für eine bestimmte Firma, sondern für einen bestimmten Beruf auszubilden, gesorgt. Die Unternehmervertreter wissen selbst am besten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den allgemeinen Berufsbildungserfordernissen und den profitlichen Verstößen der Einzelunternehmen gegen das Brancheninteresse herzustellen. Dieses interne Gerangel einer Minderheit über Belange, die die Mehrheit betreffen, ist der Gewerkschaft, die ja überall beim Schaden der Arbeiter mitreden möchte, schon lange ein Dorn im Auge. Sie fordert die Mitsprache der Fachgewerkschaften und der Betroffenen und handelt sich dafür den sachverständigen Zorn der Kammern ein: „Es kann nicht zugelassen werden, daß die Lehrlingsausbildung ideologisiert wird. Mit sachfremden Argumenten versuchen die Gewerkschaften, die bewährte Struktur zu zerstören.“ (Industrie und Handel, Nov. 75) Das meinen auch die Staatsvertreter, die sich mit den Unternehmern darin einig sind, daß die Gewerkschaften die Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stellen und daher auch den Sachverstand nicht besitzen. Deswegen betreiben sie als Reform der Berufsausbildung auch die bessere Abstimmung des staatlichen auf den betrieblichen Teil der Ausbildung. Die darüber hinausgehende Aufgabe der Kammern, die „Wahrung und Durchsetzung der Belange der gewerblichen Wirtschaft gegenüber den Interessen des Bundes und der Gesetzgebung“ (Gabler-Lexikon, S. 642) gestaltet sich dementsprechend harmonisch. Mit der Verpflichtung nach innen „die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen“, d.h. „die Gesamtinteressen der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen“, wird den Kammern auch das Recht zuteil, dem Staat offiziell bei seinem schwierigen Entscheidungsgeschäft über „die Forderungen der gewerblichen Wirtschaft zur Hand zu gehen und „durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten.“ (Staatsbürgerhandbuch, 837), d.h. den Staat vor Fehltritten gegenüber der Wirtschaft zu bewahren und . seinem guten politischen Willen den wirtschaftlichen Sachverstand in Einzelfragen beizugesellen. Kein Wunder, daß der Staat die Zwangsmitgliedschaft damit rechtfertigt, daß diese Kammern „legitime öffentliche Aufgaben zu erfüllen haben“, und die Unternehmer daran nur der Pflichtbeitrag stört.
Doch begnügen sich die Unternehmer nicht mit solcher, in die Grenzen allgemeiner Wirtschafts- und Staatsnotwendigkeiten eingezwängten Einflußnahme, sondern benutzen das demokratische Recht zum Zusammenschluß, um durch „freiwillige Fachverbände“ „die Belange der Wirtschaft in ihrem Bereich“ als Anforderungen an den Staat zur Geltung zu bringen. Auch hier erweisen sich die Unternehmer als der harte Kern der Volkswirtschaft, stellen in diesen Verbänden ihre Konkurrenzinteressen hinter das gemeinsame Interesse am Staat als Mittel ihrer Beförderung zurück und begleiten das staatliche Treiben für die Wirtschaft mit beständiger Kritik, Drohung und praktischer Beeinflussung. Wichtigster Kontrahent und Partner des Staates auf dem Felde der Wirtschaftspolitik ist dabei der BDI: „Die Wirtschaftsverbände kämpfen für gemeinsame wirtschaftspolitische Interessen, etwa für ein unternehmerfreundliches Steuerrecht. Einflußreichster Wirtschaftsverband ist der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem die 39 industriellen Spitzenverbände angehören, die ihrerseits 370 Fachverbände und 188 Landesverbände repräsentieren.“ (Spiegel 47/76) Als Dachverband konkurrierender Unternehmerverbände muß der BDI die unterschiedlichen Forderungen an den Staat ausgleichen, die keineswegs mit der Branchenzugehörigkeit („reaktionäre Stahlbonzen“ usw.) zusammenfallen, sondern ebensogut VW und Rosi: Fritzmeier Ski zu einer Kapitalfraktion zusammenschweißen können. Hier hat der BDI das gemeinsame Klasseninteresse zu vertreten und das heißt im eigenen Verband die stärksten Mitglieder sich so durchsetzen zu lassen, daß die Schwächeren nicht einfach unter den Tisch gebügelt werden: praktisch sieht das so aus, daß beim Staat die allen Fraktionen gemeinsamen Erwartungen angemeldet werden und bei Differenzen dafür Sorge getragen wird, daß möglichst die Staatsmaßnahmen so ausfallen, daß nicht nur bestimmte Fraktionen davon Nutzen haben, sondern der Staat die übrigen zumindest entschädigt. Klassisches Beispiel dafür: die Regelung der DM-Aufwertung. Da zwar die Importindustrie davon profitierte, die Exportindustrie aber beeinträchtigt wurde, setzte sich der BDI erfolgreich dafür ein, daß die Korrektur der internationalen Konkurrenz durch die Aufwertung um Ausgleichszahlungen bzw. Erleichterungen für die Exportindustrie ergänzt wurde, und so der Staat die Kosten trug. Der BDI tut also sein Bestes, den Staat als Mittel aller Industrieinteressen zu benützen und die interne Konkurrenz zu seinen Lasten zu regeln. So fällt das erzwungene Zurückstecken einer „Kapitalfraktion“ noch lange nicht mit einem Nachteil zusammen. Wie gut die „feindlichen Brüder“ das wissen, zeigte sich in der gelaufenen Krise: einerseits schärfste Konkurrenz untereinander um die Abwälzung des Verlusts, bei der auch eine ganze Reihe auf der Strecke blieben, andererseits einheitliches Auftreten gegenüber dem Staat, bei dem diese Brüder nie auf taube Ohren stoßen, weil dem Staat das Wohl der Volkswirtschaft höchstes Anliegen ist. Von wem dieses Wohl und damit die Höhe der Staat liehen Steuereinnahmen abhängt, ist den Staatsagenten dabei klar, weswegen es kein Beleg für die Verschmelzung von Staat und Monopolen ist, wenn für die Unternehmer die Steuern und der Steuerbetrug erleichtert wird und wenn Schleyer schreibt: „Die Kontakte zwischen Staat und Verbänden gehen häufig auf den Informations- und Beratungsbedarf des Staates zurück.“ (Spiegel 47/76)
Wie die Industrie- und Handelskammern erfüllen auch die Fach- und ihre Dachverbände mit dieser staatlich erwünschten Einflußnahme nur eine demokratische Funktion, auf die der Staat angewiesen ist, weil er unabhängig von allen gesellschaftlichen Interessengruppen deren Ausgleich im Sinne seiner Ziele, also im Sinne eines möglichst reibungslosen wirtschaftlichen Wachstums betreibt. Dafür braucht er nicht nur die Informationen sondern auch die Bereitschaft der Wirtschaftsvertreter, seine Maßnahmen zu unterstützen, weswegen sich diese Maßnahmen nach den allgemeinen Bedürfnissen der Wirtschaft richten müssen. So bedarf es einerseits keiner Bestechung, weil der Staat sich nicht durch Wirtschaftsdauerkrisen gefährden will, andererseits ist es auf Grundlage der Abhängigkeit staatlicher Souveränität vom Gang der Wirtschaft selbstverständlicher demokratischer Brauch, daß Industrievertreter mit Bestechung und persönlichen Verbindungen um die Staats Vertreter konkurrieren, diese aber umgekehrt ihre Entscheidungsmacht gern dazu benutzen, sich in Unternehmensvorstände wählen oder bestechen zu lassen. Auch hier hält die Demokratie das entsprechende gesetzliche Instrumentarium bereit, diese notwendige »Verfilzung« effektiv zu regeln. Die staatlichen Entscheidungsalternativen sind eben die der besten Beförderung der Volkswirtschaft und daher hat weder die Differenz zu den Erwartungen deren konkurrierender Vertreter noch die prinzipielle Übereinstimmung etwas Verwunderliches. Neben der Registrierung der Gewerkschaftsstimme, die den Politikern den Stand des sozialen Friedens verkündet, lauschen die Staatsrepräsentanten auf die der Wirtschaftsbosse, weil das demokratische Volk nur eine ,wirtschaftlich erfolgreiche' Regierung wiederwählt. Deswegen kann Schleyer auch erfreut die Früchte unternehmerischen Wirkens konstatieren: „Ein Beispiel bietet der den Unternehmern gemachte Vorwurf der »Schwarzmalerei« bei der Beurteilung der konjunkturellen Aussichten. Nun ist das, was damals als »Schwarzmalerei« abgetan wurde, inzwischen offizielles Regierungsbulletin und ähnlich, wenn auch nicht in der gleichen Offensichtlichkeit, ist es in manchen anderen Sachfragen.“ (Der Arbeitgeber, Aug. 75) und die Drohung anschließen, daß die Unternehmer die Macht des Staates sind und ihm daher nur solange nützen, wie er ihnen als Mittel dient: „Doch so erfreulich auch solch spätere Bestätigungen sind: sie können einmal zerschlagenes Porzellan nicht mehr kitten. All solche Versuche, die Stimme der Wirtschaft als unsachlich abzutun, leisten einer Polarisierung Vorschub, die auf die Dauer gesellschaftspolitisch außerordentlich verhängnisvolle Folgen haben müßte.“ (ebenda) Wo sich die Macher aus Politik und Wirtschaft so ähneln und so gut miteinander verstehen, haben die Unternehmer auch mit den Sozialdemokraten kein ernsthaftes Problem, die wegen ihres Reformeifers die Wirtschaft befördern, Reformprogramme einstampfen und für anständige Krisenbewältigung und Aufschwünge agitieren und regieren: „Nimmt man die Alltagsarbeit der Politik, so muß man anerkennen, daß man in den Parlamenten und vor allem auch in den Ministerien auf kompetente, aufgeschlossene, selbstverständlich aber auch kritisch abwägende Gesprächspartner stößt.“ (Schleyer, ebenda) Schmidt und seine Mannschaft sind Garant dafür, daß sich daran nichts ändert. Sie kennen den Sachzwang der kapitalistischen Ökonomie so gut, daß sie auch im nächsten Boom die Mäßigung der Gewerkschaften propagieren, und den Unternehmern die Gewinne beschneiden, ohne eine „Polarisierung“ befürchten zu müssen; denn ihr erfolgreiches Bemühen, auch in schlechteren Zeiten Gewinne sicherzustellen, wird von beiden Seiten anerkannt. Schleyer und seine Kumpanen wird das nicht hindern, der Regierung die Schuld an der neuen Krise zu geben, doch wissen sie gleichwohl zu schätzen, daß die Sozialdemokraten trotz aller Juso-Debatten über Investitionslenkung, radikale Mitbestimmung, Verstaatlichung usw. die Gewerkschaften so im Griff haben, wie es sich für einen anständigen Staat gehört. Denn auch die Unternehmer wissen, daß der soziale Friede nötig ist, für den sie freilich nichts bezahlen wollen, weil sie gewohnt sind, an den Arbeitern zu verdienen.
Da der Sozialstaat den Kampf der Gewerkschaften gegen die Unternehmer verrechtet hat, um sich selbst nicht zu gefährden, und ihm damit die Spitze abgebrochen hat, haben sich auch die Zusammenschlüsse der Unternehmer, mit denen sie ihr gemeinsames Interesse an der Niederhaltung der Arbeiteransprüche organisiert haben, gewandelt. Heute sorgen sie sich einerseits darum, daß die staatliche Sozialpolitik das bleibt, was sie ist, Mittel zur Erhaltung der Lohnarbeiterklasse auf deren eigenen Kosten, also Mittel der Wirtschaft, und kämpfen andererseits als Tarifpartner der Gewerkschaften in den vom Staat geduldeten Formen gegen die Lohnansprüche der Arbeiter. Die Arbeitgeberverbände, zusammengeschlossen im BDA sind „organisierte Zusammenschlüsse des Unternehmertums zur Einwirkung auf die Sozialpolitik. Entstanden als Abwehrorganisationen gegen die Bestrebungen der Gewerkschaft, sind sie heute Tarif- und Sozialpartner der Gewerkschaft. Der Aufgabenbereich erstreckt sich nicht nur auf Löhne, Arbeitszeit und sonstige Fragen des betrieblichen Arbeitsverhältnisses, sondern auch auf Fragen der Existenzsicherung der Arbeitsunfähigen, Witwen und Waisen ... (schluchz!) Die regionalen Arbeitgeberzusammenschlüsse sind in gewissem Umfang (Arbeitsgericht, Sozialgericht etc.) auch mit öffentlichen Funktionen betraut.“ (Gablers Wirtschaftslexikon, S. 2077) Das Interesse, den Lohn gering zu halten, verwandelt ihr Ideologe also in ein partnerschaftliches Verhältnis wechselseitigen Nutzens, und ihr gesicherter Einfluß auf die Sparte Politik, die nicht unmittelbar den Unternehmern zugute kommt und die deshalb die Gewerkschaftsmacht der Arbeiter dem Staat um den Preis ihrer staats- und kapitalnützlichen Ausgestaltung abgekämpft hat, nimmt sich bei den bürgerlichen Agitatoren wie ein menschenfreundliches Hilfswerk der verantwortungsbewußten Unternehmer für die Lebenssicherung ihrer ihnen anvertrauten Arbeiter aus. Dieser Zynismus bezeichnet treffend, was die Unternehmer von den Arbeitern, die sie verschleißen, und von den Gewerkschaften halten: sie sind nur dann zufrieden, wenn diese sich bescheiden, weshalb sie auch dem sozialen Frieden nie trauen, den die Gewerkschaften heute mehr propagieren als sie, und sich eine offizielle Mitentscheidung bei den Konfliktfällen des Arbeitslebens gesichert haben. Daß der DGB den Sachargumenten der Kapitalisten aufgeschlossen gegenübersteht, wissen sie zu schätzen und sie benutzen es weidlich zu Angriffen auf die Inkonsequenz der Gewerkschaften, die anerkennen, daß Löhne konjunkturgerecht zu sein haben, aber nicht einsehen wollen, daß sie dann auch die Forderungen der Unternehmer umstandslos zu akzeptieren haben. Diesem Geschäft dient der größte Teil der eingangs analysierten unternehmerischen Agitation, und die wissenschaftlichen Kader der Arbeitgeberverbände bringen täglich diesen Standpunkt der Unternehmer als unumstößliche Wahrheit auf den Markt. Die Gewerkschaften aber, die nichts besseres zu tun haben, als den Auslassungen der Unternehmer vorzuwerfen, sie würden ihren eigenen Wahrheiten nicht gerecht, sorgen dafür, daß sich die unternehmerischen Notwendigkeiten ohne großen Widerstand als Wirtschaftsgesetze durchsetzen. Weil die Gewerkschaften als Sachwalter wirtschaftlicher Vernunft die Arbeiterbelange vertreten und kein Problem damit haben, daß dabei die Arbeiter auf der Strecke bleiben, können die Kapitalisten den Klassenkampf im Gewand der Sozialpartnerschaft offensiv und effektiv führen, und brauchen sich nur darum zu sorgen, daß es auch so bleibt: „Eine pluralistische Gesellschaft kann nur so lange eine freiheitliche Gesellschaft sein, wie die verschiedenen Gruppen sich gegenseitig – unbeschadet aller Interessensunterschiede (!) – respektieren. Aber Diffamieren und Respektieren schließen sich aus. überflüssige Konfrontation und damit Schaden für alle wäre die Folge. Dies zu vermeiden, sollten alle bemüht sein.“ (Schleyer, Der Arbeitgeber, Aug. 75) Weil die Gewerkschaft so heruntergekommen ist, daß sie nichts lieber als gewerkschaftliche Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben möchte, sich in konzertierten Aktionen an die Konjunkturnotwendigkeiten erinnern läßt, in staatlichen Wirtschaftsgutachterkommissionen kritische Minderheitenvoten anhängt, sich im übrigen von den Unternehmern „nicht provozieren lassen“ will und sich mit all dem den in anderen Ländern üblichen Vorwurf, sie wolle den Staat ruinieren, erspart, kann Schleyer ihr kaltlächelnd demonstrieren, daß wer Demokratie sagt, auch Sozialpartnerschaft, also Ausbeutung sagen muß. Er weiß, daß er damit die Gewerkschaft in der Defensive hält, in die sie sich selbst begeben hat. (vgl. MSZ Nr. 10/ 1976 „Was feiert der DGB am 1. Mai“)
Wenn Schleyer alle Register zieht, damit sich die Arbeiter ihren Schaden noch mehr gefallen lassen, für den auch der DGB agitiert, und regelmäßig mit wirtschaftlichen Maßnahmen droht, falls die Gewerkschaften nicht kuschen (z.B. Kapitalverlagerung in „Billiglohnländer“) wo die Arbeiter bekanntlich glücklich sind, überhaupt arbeiten zu dürfen), oder wenn die sozialpolitische Aktivität des BDA in punkto Arbeitslosigkeit in friedlicher Eintracht mit dem BDI (und den Gewerkschaften) in der Forderung nach Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen und nach Senkung der Löhne besteht, dann löst sich die Drei-Gliederung der Unternehmerverbände offen in die eine auf: Den Staat als Mittel ihres Klasseninteresses zu benutzen und den Klassengegner in die Schranken zu weisen, die die Ausbeutung gebietet. Und das geht solange ohne grundsätzliche Schwierigkeiten, wie dieser Gegner nicht gewillt ist, seine Macht einzusetzen, sondern seine Organisation am liebsten dreiteilen möchte, um bei allen Fragen der Ausbeutung entsprechend den Unternehmern mitzuwirken. Deshalb demonstrieren unsere Gewerkschaften zuguterletzt auch, daß die Stamokap-Theorie, die den Klassencharakter des Staates aus der Verfügung der falschen Leute über ihn erklärt statt im Hin und Her von staatlicher Politik, rechtlicher Regelung der Interessenvertretung von Unternehmern und Gewerkschaften, ihrer Auseinandersetzung miteinander und ihrer jeweiligen gestatteten Einflußnahme auf die politischen Entscheidungen die staatliche Durchsetzung der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, sich einem positiven Interesse am Staat verdankt, das die Belange der Arbeiter aufgibt. Denn denselben theoretischen Unfug, mit dem die Revisionisten ihren Wunsch nach einer besseren Staatsgewalt gegen die bestehende Demokratie rechtfertigen, verkünden die Gewerkschaften als Moral ihres demokratischen Verzichts auf den Kampf gegen Unternehmer und Staat. Statt den Staat als „verlängerten Arm der Bourgoisie“ anzugreifen, weil alle seine Maßnahmen auf die Stärkung der Wirtschaft zielen, läßt der DGB die Unterwanderer der Unternehmerverbände zählen – und gibt den Vorwurf zurück: „Auf den Geisterbahnen der politischen Kirmesplätze unserer Tage wird immer stärker ein Gespenst herausgeputzt: das Gespenst des drohenden Gewerkschaftsstaates.“ (Spiegel 37/76) Für Vetter gibt es nichts schlimmeres als Macht für die Arbeiter. Gottseidank hat das sozialwissenschaftliche Institut des DGB (WSI) längst herausgefunden, daß andere den Staat usurpiert haben: „Statt von einem Marsch in den Gewerkschaftsstaat muß eher von der Existenz des Unternehmerstaates gesprochen werden!“ (Spiegel 47/76) Das Material dazu ist dasselbe wie das der Revisionisten: So ist allerseits dafür gesorgt, daß der Bundeskanzler vom ersten Vorsitzenden des DGB die Verzichterklärung für 1977 einholen konnte, Schleyer weiter über den Gewerkschaftsstaat wettern kann und von den Kritikern auf der Linken den Arbeitern Staatsillusionen angeboten werden, die diese am bestehenden Staat natürlich nicht irre werden lassen. aus: MSZ 15 – Jänner 1977 |