Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main: Die Kritische Universität
daß das Studieren in Frankfurt eine gewisse Originalität innerhalb der bundesdeutschen Hochschullandschaft für sich beanspruchen kann. Diejenigen Abiturienten, welche die Klippen des NC überwunden haben und in Frankfurt ihr Studium beginnen, werden sogleich in liebevoller Weise an den Busen der Alma mater gedrückt und schließen aus dem herzlichen Empfang, daß es zumindest in Frankfurt so schlimm nicht werden wird. Denn ihnen wird versprochen, daß sich alles an der Uni um sie dreht, und daß dies Ausfluß einer Einstellung sei, die man hier anstatt Farben trägt: In Frankfurt hat man kritisch zu sein, woraufhin sich sogar der RCDS bemüßigt sieht, sich „Kritische Union“ (KU) zu nennen.
Was es heißt, kritisch zu sein, bringen dem Neuling in Frankfurt Professoren bei, die bereits durch ihr Äußeres – bärtige Gestalten, hemdsärmelig, salopp, im Afro-Look – ihre Einstellung demonstrieren und deshalb den Jungstudenten nicht gleich verprellen, wenn sie ihm die erste Lektion der extra für ihn und seinesgleichen eingerichteten „Orientierungsphase“ verabreichen: sie lautet, daß ein erfolgreiches Studium auch in Frankfurt wie an jeder anderen Uni nun mal (leider) die Unterwerfung unter deren Anforderungen verlangt: „Die Universität (ein Professor gehört bekanntlich nicht zur Universität) konfrontiert den Studenten mit einer Reihe von Anforderungen und Maßstäben, die diese kennen und akzeptieren müssen, wenn sie ein im Sinne der Uni erfolgreiches Studium absolvieren wollen.“ – während die zweite Lektion die Studenten zur Übernahme der besonderen Maßstäbe, die in Frankfurt angelegt werden, verpflichtet. Die Agitation für eine entsprechende Einstellungsänderung läuft über die Versicherung, es gehe um die Möglichkeit, „die Studienzeit erträglicher und für Sie selbst nützlicher“ zu gestalten: „Lernen heißt hier (in der O-Phase, womit gleich klargestellt ist, wofür diese gut ist) übrigens nicht »Fakten büffeln«, sondern neben dem Erhalt wichtiger Informationen vor allem Einstellungen und Verhaltensweisen kennenzulernen und zu erproben, die Ihnen das Leben und Arbeiten an der Universität erleichtern.“ (1) An der Frankfurter Universität – vor allem in deren geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Abteilungen – genügt es nämlich bei weitem nicht, sich den in der verschiedenen Fächern gängigen Stoff anzueignen, um sich mit ihm in den Prüfungen zu bewähren und so die Konkurrenz mit der Vielzahl der Mitbewerber für die begrenzte Zahl gutdotierter Posten bei Wirtschaft und Staat auszutragen. In Frankfurt ist – wiewohl die Zeichen der Zeit in diesem unserem Lande in andere Richtung weisen – nach wie vor mehr gefordert als „blinde Unterwerfung“: der Student muß sich eine kritische Haltung zulegen. Was in München und anderswo exotische Randerscheinung, in Frankfurt ist es die Norm – der hiesige Normalstudent ist der kritische Student.
Die Väter der Frankfurter Schule, Th. W. Adorno (im Sponti-Jargon Abnormo!) und Max Horkheimer (alias Sorgleimer), könnten – so sie noch lebten – stolz sein auf Wissenschaft und Ausbildung an ihrer Universität, die vom Geist der kritischen Theorie durchdrungen sind. Hatte doch schon Adorno von den Studenten mehr als bloßes Wissen um die Fakten abverlangt: „Im Begriff der Tatsachen, an die man sich zu halten habe, von denen man sich nicht ... entfernen dürfe, wird Erkenntnis zur bloßen (!) Reproduktion dessen verhalten (?), was ohnehin vorhanden (!) ist.“ (Einleitung zu „Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“) Die Absurdität eines solchen Angriffs auf die „empirische Wissenschaft“ – ihr wird vorgeworfen, sie begreife bloß das Vorhandene – macht dabei nicht allein den wissenschaftsfeindlichen Charakter der von Adorno und anderen etablierten „kritischen Dialektik“ deutlich, sondern entlarvt auch das praktische Interesse, dem sie sich verdankt: der Mensch, für den sich die Kritische Theorie stark macht, soll sich nicht als bloßes „Objekt“ der vorhandenen sozialen Tatsachen begreifen. Diese sollen als Ausdruck und Leistung seiner Subjektivität betrachtet werden, wodurch er seine „Ohnmacht“ – die Resultat „verdinglichten Bewußtseins“ (!) sein soll – gegenüber der Welt der Tatsachen verliert, die er nicht erkennen, sondern utopisch überschreiten soll. So soll er sich zum mündigen Bürger mausern und „überflüssige (!) Herrschaft“ überflüssig machen. „Menschenwürdige (!) Erkenntnis“, die solche „Wendung aufs Subjekt“ vollführt, ist eine moralische Veranstaltung, die die kritische Anteilnahme der Bürger an den gesellschaftlichen Verhältnissen propagiert. Was die Väter der kritischen Soziologie aus dem USA-Exil mitgebracht hatten, führte mittlerweile zu einer Soziologisierung der Wissenschaften und in Frankfurt zu einer kritischen Ausbildung, deren Programm Horkheimer unter dem Titel „Verantwortung und Studium“ formuliert hat: „Der Widerstand gegen den unheilvollen Zug der Zeit erfordert die Ausbildung anderer intellektueller Kräfte als die, die am bloßen Unterscheiden, Feststellen, Klassifizieren und Kalkulieren ach entfalten. Nicht weil man die Tatsachen im Denken ignorieren oder gar verfälschen dürfte, sondern weil die Jugend in ihrem Studium sich daran gewöhnen muß, wie man das Gegebene auf eigene menschlich lebenswerte Ziele hin strukturiert, wie man es unter individuellen Aspekten ansieht und zum Sprechen bringt. Es gibt überhaupt keine Tatsachen an sich ...“ Entsprechend haben in der Wissenschaft Willkür und Phantasie der Persönlichkeit zu triumphieren und nicht etwa der Gedanke: „An seiner eigenen Wissenschaft soll der Student lernen, daß es in ihr ohne einen Überschuß an innerer Freiheit, ohne ein Spiel des Geistes, ohne jene Kraft des Subjekts, die über das Objekt hinausschießt, Erkenntnis des Objektiven überhaupt nicht gibt, sondern bloß Sterilität.“ (Horkheimer, ebda.) Darum der Appell an den akademischen Nachwuchs, selbst für die Bedingungen an den Hochschulen zu sorgen, die jene Atmosphäre innerer Freiheit auch zuläßt: „So sind die Studenten und vor allem ihre gewählten Vertreter berufen (bereits Horkheimer kannte also den wahren Sinn verfaßter Studentenschaft), selbst an der Verwirklichung teilzunehmen. Ich denke nicht zuerst an die Mitwirkung in der Verwaltung des Gemeinschaftslebens, an die Universitätsfeste und Studentenhäuser, im Grunde ist auch das noch äußerlich. Wichtiger schon ist die zeitgemäße (!) Ausgestaltung des Lehrplans, die Verringerung (!) des geisttötenden Zwangs, die furchtbaren Stoffmassen aufzunehmen, auch wo sie gar nicht nötig sind (!), die Erleichterung des Studierens außerhalb der eigenen Fakultät, die Stärkung solcher Fächer, die zur Urteilsbildung über menschliche Probleme beitragen ...“ (Horkheimer, ebda.)
Modernisierung hielten seinerzeit auch die Studenten für dringend erforderlich. Frankfurt wurde nicht von ungefähr zu einem zentralen Ort des Wirkens der Studentenbewegung. Deren Teilnehmer erwiesen sich als kritisch-gelehrige Schüler der professoralen Verfechter emanzipatorischer Wissenschaft und Ausbildung: zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht genügt, die überkommenen autoritären und hierarchischen Strukturen der Ordinarienuniversität bloß kritisch zu interpretieren, machten sie sich ans Werk, sie zu verändern. Gegen Leistungsdruck, Fachidiotentum und Ordinarienherrschaft, lauteten die einschlägigen Kampfparolen. Ein Resultat von Protest und Widerstand war die Erkämpfung sog. Freiräume innerhalb der Alma mater, so daß fortan die Ausbildung, insbesondere im sozialwissenschaftlichen Bereich, unter relativ günstigen Bedingungen stattfand.
Das so entstandene kritische Potential in Schulen und Hochschulen nahm die SPD her, um unter Ausnutzung desselben ihre Reformvorstellungen in die Tat umzusetzen. Die vom Standpunkt des Demokratieideals vorgebrachte Kritik an der herkömmlichen Universität, deren Praxisferne, also mangelnde Nützlichkeit der in ihr betriebenen Wissenschaft und Ausbildung, wurde unter Berufung auf das eigene Reformideal begrüßt, insofern sie nämlich auf die Notwendigkeit von Veränderungen im Ausbildungsbereich zugunsten größerer Effektivität aufmerksam machte. Im Zuge der Reform gelangte auch mancher kritische Mensch in den Lehrkörper staatlicher Bildungsanstalten – in Gestalt Ludwig von Friedeburgs übernahm die Kritische Theorie vorübergehend das Kultusministerium. Angesichts der Proteste gegen dessen Lebenswerk, die Hessischen Rahmenrichtlinien, kamen der SPD erstmals ernste Bedenken über die Zweckmäßigkeit dieser konfliktbewußten Variante der Unterwerfung junger Bürger unter die Zwecke staatlicher Ausbildung. Wirtschaftskrise und Erfordernisse des Aufschwungs machten die kritische Anteilnahme an Staatsgeschäften endgültig zu einem gefährlichen Luxus und die den härteren Zeiten entsprechende Anpassung der Hochschulen konnte auch vor Frankfurt nicht mehr haltmachen: – Entscheidende Reduzierung der Lehrkapazitäten durch Stellenstreichungen, wobei vor allem die Domänen der Kritischen Federn lassen mußten (die sozialwissenschaftlichen Fachbereiche) und mancher linke Dozent ohne Berufsverbotsverfahren einfach eingespart werden konnte;
In dem neuen Universitätspräsidenten Krupp, ein junges, dynamisches SPD-Mitglied, von Verantwortungsbewußtsein für das gesamtgesellschaftlich Notwendige durchdrungen (gewerkschaftsfreundlich), Ökonom, wurde der geeignete Mann für die Durchsetzung der Staatsgeschäfte an der Uni gefunden. Kritisches Verständnis für die Opfer vorzeigend, aber knallhart in der Sache, kommt er als Hochschulmanager seinem Idol Helmut Schmidt in seinem Bereich gefährlich nahe. Die Hilflosigkeit, mit der seine studentischen Kritiker auf den so überzeugend Demokratie praktizierenden Krupp reagieren, zeigt, daß der smarte Präsident der richtige Mann für den Job ist, dem der Vorwurf der AStA-Vorsitzenden Felicitas von Schneck, Krupp sei ein „Weihnachtsmann“, der den Studenten ständig neue Geschenke in autoritärer Manier beschere, noch ein verständnisvolles Grinsen entlockt, während er auf Anwürfe spartakistischer Edeldemokraten, er sei ein „Büttel der Monopole“ nur achselzuckend auf seinen Auftraggeber zu verweisen braucht.
Die Durchsetzung der Hochschulreform hat die Funktionäre der kritischen Ausbildung in arge Bedrängnis gebracht. Ihre Antwort auf die Bedrohung der Fortführung ihres Treibens präsentieren sie überall. So stimmen sie seitenweise herzzerreißende Klagelieder darüber an, daß zu wenig Geld, zu wenig Personal und zu wenig Sachmittel vorhanden sind; daß Bund und Länder sie zwingen, das Studium zu reglementieren, und wie schlimm sich das alles auf die Studenten und ihre Ausbildung auswirken muß. Mit ihrem kritischen Gejammer geben sie zu erkennen, daß sie – da sie leider nicht anders könnten – pflichtgetreu alle staatlichen Aufgaben erfüllen wollen. Was nicht heißt, daß dies nicht auf eigentümliche, nämlich kritische Weise geschieht. In der Regel haben sie sich, um den staatlich verordneten Zwängen nicht „hilflos ausgeliefert zu sein“, die Anliegen des Staats flugs zueigen gemacht und sind so diesen „zuvorgekommen“, indem sie selber Studiengänge einrichten, die an Verbindlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen und dennoch die Studenten trösten, weil sie immerhin kritisch darüber diskutieren dürfen und sollen. Die Studenten sind aufgefordert, ihre Unschuld und Ohnmacht zu erkennen und sich auf die veränderte Situation einzustellen. Dies ist die Manier, in der das kritische Dozentenvolk die von der Ausbildungsreform Betroffenen zur geduldigen Hinnahme all dessen bewegen will, was es selbst ihnen zuzumuten gedenkt. Dokumentieren die Anwälte kritischen Theoretisierens so, daß dies durchaus keinen Gegensatz bildet zur getreuen Beherzigung noch aller Gebote des Staates, so heißt das keineswegs, daß sie so ohne weiteres auf die Durchführung ihres Programms im Studium verzichten. Die Wirtschaftswissenschaftler beispielsweise beharren auf ihrer Vorstellung, daß ein guter Ökonom ein kritischer Ökonom sei. Bezeichnend für Frankfurter Verhältnisse ist es, daß ausgerechnet die Ökonomen, die gewöhnlich aufgrund ihres praktischen Interesses am Funktionieren von Staat und Kapital reaktionäre Säue sind und aus ihrer Arbeiterfeindlichkeit nie ein Hehl machen, hier die kritische Tour am weitesten perfektioniert haben. Sie agitieren den künftigen Ökonomen für ihr Ansinnen, „das wirtschaftswissenschaftliche Studium über den Verwertungsaspekt (...) hinauszutreiben und dem Studenten eine Einsicht in die gesellschaftliche Bedingtheit ökonomischer Aussagen und in seine eigene Rolle zu vermitteln (»Emanzipationsaspekt«).“ Also das normale Ökonomiestudium um das zu ergänzen, was sie politische Ökonomie nennen. Was sie mit ihrer Ergänzungsforderung, „verstärkt eine »politische Ökonomie« in die Wirtschaftswissenschaften einzubeziehen“, schon deutlich machen, daß sie nämlich nichts gegen eine Wissenschaft haben, die sämtliche ökonomischen Phänomene unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit für das Kapital betrachtet, ein „vernünftiges Handeln“ nach dessen Gesetzen propagiert und sich so zum Mittel der Ausbeutung der Arbeiter macht, sprechen sie – Ökonomen, die sie sind – als eine Selbstverständlichkeit aus: „Die Nützlichkeit derartiger Entscheidungskalküle kann nicht bestritten werden.“ Die kritischen Frankfurter Soziologen dagegen wollen es besser machen und ihre Ausbildungsveranstaltungen sind ein einziger Beleg für ihr Bemühen, ihre kritische Tätigkeit als besonders effektiv für die Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte darzustellen. Die wissenschaftliche Betriebseinheit im Fachbereich Gesellschaftslehre, die sich der „Sozialisation/Sozialpsychologie“ angenommen hat, leitet die Ankündigung für ein Proseminar mit dem irreführenden Titel „Die Lebenswelt der Hauptschüler“ folgendermaßen ein: „Die Handlungsprobleme von Lehrern an Hauptschulen massieren sich, und nicht selten »brechen« gerade fortschrittliche Lehrer an Hauptschulen ein. »Erfolgreiche« (man beachte die Anführungszeichen!) entwickeln in typischer Weise ein instrumentelles Berufsverständnis oder übernehmen fragwürdige (!) verhaltenstechnologische Konzepte aus der pädagogischen Trickkiste, lernpsychologische Programme etc. ...“ Nachdem ausgerechnet dem „Erfolgreichen“ der Vorwurf gemacht wird, sein Pragmatismus – mit dem er zeigt, daß er seinen Auftrag als Lehrer begriffen hat – habe jeden politischen Anspruch aufgegeben – „Die Frage wird sein, welche Handlungsperspektiven, Qualifikationsnotwendigkeiten, Qualifikationsinteressen und Formen der Lernorganisation sich für denjenigen Lehrer formulieren und praktizieren lassen, der nicht geneigt ist, alle (!) politischen Ansprüche über Bord zu werfen.“ – stellt der Seminarleiter klar, welche Vorzüge er seinen „politischen Ansprüchen“ zuspricht. Der „technokratische Lehrer“ ist nämlich nur scheinbar erfolgreich (daher die Anführungszeichen), gelingt es ihm doch nicht, bei seinen Schülern mehr als eine bloße Anpassung an äußere Zwänge zu erreichen. Das Interesse des kritischen Soziologen an der „Lebenswelt der Hauptschüler“ entlarvt sich somit: deren Berücksichtigung ist nämlich auch eine Bedingung dafür, daß der Hauptschüler an seiner Zurichtung auf eine beschränkte gesellschaftliche Funktion mitwirkt. Analog dazu ist auch die Juristenausbildung, deren Teilnehmer anderswo keinen Zweifel daran lassen, daß sie offene Parteigänger der mittels des Rechts vom Staat ausgeübten Gewalt sind und bleiben wollen, in Frankfurt an allen Ecken und Enden durchsetzt von Veranstaltungen, die die „Grundlagen des Rechts“„sozialwissenschaftlich methodologisch“ „rechtssoziologisch“ und „wissenschaftstheoretisch“ problematisieren, um neben der Ausbildung in der Durchsetzung des geltenden Rechts ihr Plädoyer für ein gerechteres Recht loszuwerden.
Die Frankfurter Studenten sind also einer doppelten Anforderung ausgesetzt: neben der normalen Ausbildung für den Beruf müssen sie noch die Gesellschaftsbezogenheit ihrer Tätigkeit „kritisch reflektieren“, um sich somit nicht nur brauchbar für die Anforderungen von Staat und Kapital zu machen, sondern auch noch ihre Unterwerfung unter deren Anforderungen als kritische Staatsbürger konstruktiv zu gestalten. Dies darf nicht als „äußerer Maßstab“ mißverstanden werden, sondern vom „kritisch-selbstkritischen“ Menschen wird verlangt, daß er nicht einfach an sich, an sein Fortkommen und Wohl denkt, sondern stets das eigene Handeln im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang“ problematisiert und sich dessen Fortentwicklung im Rahmen seiner berufsmäßig betriebenen gesellschaftlichen Verantwortung zu eigen macht. Solches will schon in der Ausbildung eingeübt werden: „Er (der Student) muß weiterhin (!), will (!) er sich den universitären Anforderungen nicht blindlings (!) unterwerfen, diese selbst (!) kritisch unter die Lupe nehmen und sie gegebenenfalls angreifen (!).“ Daß kritisches Studieren, welches immer und überall „auch“ nach der Berechtigung fragt, sich so allenthalben um ein besseres Funktionieren des Getriebes der bürgerlichen Welt kümmert, erstens eine besonders anstrengende Sache ist und zweitens keinen lukrativen Perspektiven entgegensehen kann – sehen doch Staat und Wirtschaft in Leuten, denen es an der Bereitschaft zur bedingungslosen Unterwerfung mangelt, eine Gefahr für den störungsfreien Ablauf ihrer Geschäfte – bemerken auch die Anwälte der Frankfurter Ausbildung: „Hier kann es immer wieder zu Gegensätzen zwischen ihren eigenen Wert- und Zielvorstellungen und den Anforderungen des Arbeitsplatzes kommen“, was aber nur bedeuten kann, was das Motiv kritischen Studierens ist, nämlich wahre Charakterstärke zu beweisen: jedem, der darauf hinweist, daß Frankfurter „Kritikfreunde“ noch den aufgeschlossensten Arbeitgeber zum Verzicht auf die Anstellung des Kritikfreundes motiviert, halten sie voller Abscheu ihr Prinzip entgegen. Es sei eine „zynische Verkürzung“ des Problems, sich „an den Anforderungen des Arbeitsplatzes“ statt an „eigenen Wert- und Zielvorstellungen“ zu orientieren.
Somit ist klar, weshalb es in Frankfurt eine so ausgedehnte Orientierungsphase für den Studentennachwuchs gibt. Ihr Zweck ist allein der, den Neulingen die Übernähme des Ausbildungszwecks der kritischen Universität abzuringen. Dies ist unumgänglich, damit die Bestrebungen der Agenten kritischer Ausbildung, die „natürlich erst einmal Postulate“ sind, nicht von der neuen Studentengeneration zunichte gemacht werden. Diese nämlich hat im Verlaufe ihrer bisherigen Ausbildung gelernt, daß der „kurze und gerade Weg zum Beruf“ der einzig erfolgversprechende ist und über die rücksichtslose Durchsetzung in der Leistungskonkurrenz führt. Wenn also die Initiatoren der O-(= Orientierungsphase-)Veranstaltungen fordern: „sie (die Postulate) müssen unter dem Aspekt der je eingebrachten Motivation überprüft und mit je persönlichem Inhalt und Sinnbestimmung angefüllt (!) werden“ (2), so geht es darum, die von den Studienanfängern je eingebrachten Motivationen zu überprüfen und in den einzigen Beweggrund zu verwandeln, der in dieser Sorte Ausbildung Anerkennung findet. Die penetrante Aufdringlichkeit, mit der die Lehrkörper die Mitglieder der um sie gescharten Kleingruppe beschwören, ihnen und den Kommilitonen doch offen und ehrlich noch jedes persönliche Bedürfnis und Problem zu beichten – „Seien Sie ehrlich und selbstkritisch, Sie werden sehen, daß, wenn man selbst offen ist, die anderen Gruppenmitglieder ebenfalls von ihren Sorgen, Problemen und Wünschen berichten,“ (1) ist alles andere als das Eingehen auf des Studenten Nöte, als das es sich präsentiert, sondern der in Mitgefühl gekleidete Vorwurf, daß es ihm noch an des rechten Einstellung zum Studium fehlt. Man läßt denn auch keinen Zweifel daran, daß Typen, die nur (!) auf baldiges Erreichen eines gutdotierten Postens scharf sind, an der Uni Frankfurt fehl am Platze sind. Motivationsaustausch und kritische Diskussion der geäußerten Ansprüche zwingen die Beteiligten zur Problematisierung von deren „Berechtigung“, wobei das gewünschte Resultat sich einstellt: da ein jeder die Interessen des andren nur in dem Maße anzuerkennen pflegt, als diese auch ihm von Nutzen sind, gelten „egoistische Neigungen“ als verpönt. Mit der freiwilligen Relativierung des eigenen Interesses zugunsten des „Gruppeninteresses“ ist der erste Schritt auf dem Wege zum kritischen Studenten gemacht, dessen Eigenart ja darin besteht, daß er sich in seinem künftigen Berufsleben „nicht nur als tüchtiger Fachmann“ betätigen, sondern darüber hinaus „auch etwas zur möglichen Lösung gesellschaftlicher Probleme“ beitragen will. (Un)zufrieden mit diesem Ergebnis gehen die Funktionäre der Ausbildung a la Frankfurt dazu über, die Neuankömmlinge für die Form der Gruppenarbeit zu begeistern. Die „Gruppe“ stellt nämlich einen ausgezeichneten Kontrollmechanismus dar, sorgt sie doch dafür, daß sich niemand der gemeinsamen Verantwortung entziehen kann und garantiert so die praktische Einübung eines Handelns, das sich durch kritische Verantwortlichkeit für „soziale Prozesse“ auszeichnet. Um die ihrer Obhut unterstellten jungen Menschen von der Notwendigkeit eines „kooperativen Lernprozesses“ zu überzeugen, predigen die Fanatiker des Kollektivs das hierfür einschlägig geeignete Ideal der Solidarität und versprechen ihnen die Lösung all ihrer Schwierigkeiten, die sie folgerichtig in das Problem von Anonymität und Isolation an einer „Massenuniversität“ umlügen, aus dem eine „künstliche (!) Konkurrenzsituation“ entstehe: „Alle Mitglieder der Gruppe sollten von Anfang an alle Notizen, Literaturauszüge und -Übersichten, die für die Gruppenarbeit oder allgemein für das Studium der anderen bedeutsam sein könnten, in der Gruppe verteilen, denn nichts spricht dafür (oder vielleicht doch einiges ?), eigene Aufzeichnungen als etwas zu betrachten, das am besten niemand anderes sehen sollte. – Sie isolieren sich nur selbst und erzeugen zu dem allgemeinen Leistungsdruck an den Hochschulen eine künstliche Konkurrenzsituation unter der Studentenschaft.“ (1) Die Drohung mit dem eigenen Schaden darf also nicht fehlen, und in der Tat: wer sich in Frankfurt angesichts der dort geltenden Maßstäbe „isoliert“, ist arm dran. Denn wer ist schon in der Lage, den doppelten Anforderungen der kritischen Ausbildung auf sich allein gestellt zu genügen, nämlich zusätzlich zur Aneignung des normalen Stoffs noch ganze Kubikmeter regenbogenfarbener Suhrkamppresse und diverser farbloser Serienfabrikationen selbigen Inhalts zur Kenntnis zu nehmen – was nötig ist, weil die in ihnen niedergelegten kritischen Versionen das Niveau der wissenschaftlichen Kommunikation bestimmen und somit als Maßstab der Qualifikation gelten. Weshalb Studenten in klugem Realismus die Mitarbeit in einer Gruppe als Grundlage erfolgreichen Konkurrierens begreifen und praktizieren! Die Anwälte der kritischen Ausbildung setzen also alles daran, die Studenten für ihr Konzept kollektiver Selbstgestaltung des Studiums zu vereinnahmen. Mit dem Hinweis darauf, daß die Gruppe „ihren Mitgliedern ein Geflecht von persönlichen Beziehungen (bietet), mithin(!) eine bestimmte(!) Individualität in einem von Anonymität geprägten Universitätsbetrieb“, (1) machen sie den Elementen des Gruppengeflechts das „solidarische Lernen“ als einzige Möglichkeit des Zurechtkommens mit den Zwängen der Ausbildung und der Entfaltung einer gewissen Individualität schmackhaft. Sie agitieren also mit der Lüge, daß Ausbildung Spaß macht, wenn man sie nur mit der richtigen Einstellung und dem nötigen persönlichen Engagement betreibt, und bereiten damit nur ihren nächsten Schlag vor, die Studenten zur Funktionalisierung auch noch ihrer Freizeit für die Zwecke des kritischen Studiums zu bewegen. Wenn das kollektive Studieren eine so schöne Sache ist, dann ist es nur konsequent, sich diesem mit Haut und Haar zu verschreiben. So stiften die Väter der Orientierungsphase einen „Kommunikationszusammenhang“, indem sie auf der Stelle Namen und Adressen der Teilnehmer der Minigruppe vervielfältigen und verteilen, verbunden mit dem Ratschlag, sich am besten abwechselnd in den verschiedenen Wohnungen zu treffen, um sich so gründlich kennenzulernen. Der Dozenten letzter Streich ist die Veranstaltung einer „Fete“ – „mit Bier & Wein & Schmalzbroten“, die „von Ihnen selbst gestaltet und organisiert wird“ – die Vorbereitung des Festes ist bekanntlich das Schönste dabei. Auf diesem selbstbestimmten Fest, das als Bestandteil der Orientierungsphase vorgeschrieben ist, kann der kritisch gewordene Universitätsneuling nicht nur die Gruppenbande knüpfen, sondern auch lernen, daß es einzig an ihm liegt, ob das ihm verabreichte Brot der Studienjahre ein Genuß ist oder nicht.
Worum es der kritischen Ausbildung also geht, ist, die ihr ausgelieferten Studenten von ihrem engstirnigen Blickwinkel zu befreien, d.h. sie zu veranlassen, ja nicht die bloße Verfolgung ihrer Interessen zu betreiben, und ihnen stattdessen einen Blick fürs Ganze anzugewöhnen, auf daß sie sich die „Dynamik des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs“ zum ureigensten Anliegen machen. Sie sollen sich den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht „blindlings“ unterwerfen, sondern mit Willen und Problembewußtsein, weshalb man ihnen als „subjektiven Faktoren“ eine sorgfältige Betreuung angedeihen läßt. Um ihr Programm angesichts der Durchsetzung der Hochschulreform zu retten, welche keinen Zweifel daran läßt, daß es dem Staat um die Installierung einer Ausbildung des „geraden Wegs zum Beruf“ geht, und die Studenten zu verschärfter Leistungskonkurrenz zwingt, bedarf es besonderer Anstrengungen von Seiten der Kritikfreunde, die Studierenden für ihre Forderungen nach kritischem Engagement zu begeistern. Hierzu setzen die für die O-Phase Verantwortlichen das ganze Arsenal der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ein: angefangen von schleimigen Anbiederungen über Appelle an den jugendlichen Idealismus, das Versprechen materieller und sonstiger Vorteile bis zu handfesten Drohungen und erzwungener Willfährigkeit. Auf diese Weise machen sie die Studenten zum Mittel des Überlebens ihres Konzepts zur Erziehung kritischer Staatsfreunde in einem reformierten Hochschulwesen, womit sie für den doppelten Schaden sorgen: Erstens gewährleisten sie die Durchsetzung der staatlichen Auflagen gegen die Studenten, und zweitens stellen sie sicher, daß diese durch die geforderte kritische Bewältigung der staatlichen Zumutungen ihren Einsatz für das Studium erhöhen und in demselben Maße ihre Aussichten auf dem auf sie wartenden Markt für Arbeit verspielen.
Die an der Frankfurter Uni herrschende Ideologie ist die Ideologie von Menschen, die ihre Liebe zum Staat durch solidarische Kritik an ihm beweisen wollen, weshalb sie dasselbe von denen verlangen, die ihm einmal dienen sollen. Und sie haben Erfolg damit, denn die Studenten machen aus ihrer eigenen Zwecksetzung heraus – sie wollen sich mittels der akademischen Ausbildung für einen höher dotierten Beruf qualifizieren – den entsprechenden Gebrauch von der akademischen Freiheit a la Frankfurt. Sie fechten ihre Konkurrenz solidarisch aus. Jeder versucht, sich seine Lage damit zu erleichtern, daß er die Leistungen seiner Kommilitonen für sich selber .ausnützt, muß sich aber umgekehrt bereitfinden, mit seiner Leistung für die anderen einzustehen. Mit dem hierfür einschlägigen Ideal der Solidarität setzen sie sich gegenseitig zu, damit auch niemand das schafft, was doch sein Interesse an der ganzen Veranstaltung ist, nämlich sich Konkurrenzvorteile gegen seine Rivalen zu verschaffen. So erfüllen die Studenten in der Verfolgung ihrer Interessen alle Vorgaben ihrer Ausbilder.
Die staatliche Hochschulreform ruft den kritischen Ausbilder genauso zur Ordnung wie seinen gelehrigen Schüler. Letzterem macht sie praktisch klar, daß er, der Staat, vermittels der Ausbildung eine Auslese betreibt und jedes Zuviel an Solidarität dieser seiner Zwecksetzung entschieden widerspricht. Zwar ist die staatlicherseits erzwungene Leistung darin kollektiv, daß die jedes einzelnen nur zählt im Vergleich zu der seiner Konkurrenten, aber gerade dabei kommt es eben nur auf seine Leistung an, mit der er die anderen unterbügelt. Die bislang vom Staat geduldete kritische Ausbildung begegnet ihrer Bedrohung durch die Durchsetzung des Leistungsprinzips an den Hochschulen mit kritischem Gejammer über den Staat sowie mit einer Anpassung an die staatlichen Maßstäbe, die das überleben des Frankfurter Geistes in diesen schweren Zeiten den Studenten als doppelte Belastung auflädt. Ihre Schüler, die sich im Verlauf ihres Studiums die Einstellung eingebleut haben, daß nicht individualistisch, sondern solidarisch am längsten währt, begeistern sich auch jetzt noch für die Zumutungen ihrer Lehrer, kritisieren diese dann, wenn sie umfallen und die Staatsmaßnahmen umstandslos zu vollziehen trachten und sehen in ihnen gerade dann Bündnispartner gegen die Regierung, wenn sie den Idealen der Frankfurter Schule auch künftig ihr Plätzchen erhalten wollen. Aus diesem Interesse heraus nehmen die Studenten für die Ideale des Reformismus Partei und werfen der Praxis der SPD-Politik vor, daß sie den Fortschritt des Staates und damit den Nutzen für seine Bürger durch ihre Gegnerschaft gegenüber kritischen Staatsfreunden aufs schwerste behindere. Die neue Studentenbewegung, die sich derzeit überall formiert, um angesichts der Verschärfung der Leistungskonkurrenz an den Hochschulen dem Staat zu demonstrieren, daß die Ausbildung nur dann optimal funktioniert, wenn er die Bereitwilligkeit der studierenden Jugend zur Austragung der Konkurrenz in der Ausbildung durch die Beschneidung ihrer Privilegien nicht unnötig behindert, nimmt also in Frankfurt auf Grund der dort vorgefundenen Bedingungen ein ganz besonderes Aussehen an: Sie äußert sich kritisch. Ihre Teilnehmer bestreiken den Ausbildungsbetrieb, indem sie in der Verfolgung ihrer Interessen den Standpunkt des Staates so einnehmen, daß sie ihm eine selbstbestimmte und solidarische Sorte von Konkurrenz aufdrängen wollen. Bei der Durchführung ihrer Proteste kommt ihnen dabei das Lernziel „Solidarität“ zupaß, das ihre Ausbilder ihnen im Verlauf ihres Studiums aufnötigen, indem es nicht ganz ohne Effekt dazu eingesetzt wird, um abbröckelnde Streikfronten mit Durchhalteparolen zu kitten.
Der kritische Standpunkt bewährt sich im Bestreben aufmüpfiger Nachwuchsakademiker, sich ihre Unabhängigkeit nicht durch eine Bevormundung durch bestehende Parteien wegnehmen zu lassen, wollen sie sich doch nicht ins Fahrwasser bereits festgelegter besonderer Stellungen dem Staat gegenüber hineinschleppen lassen. Von dieser Unabhängigkeit versprechen sie sich größere Chancen bei dem Geschäft, alle Studenten auf solidarische staatskritische Kommunikation einzuschwören. Die im KIZ (Kommunikations- und Informationszentrum) zusammengeschlossenen Pädagogen betonen deshalb in der 0-Nummer ihres Infos: Das KIZ „muß ideologisch offen sein“, alle sind willkommen, „ausgenommen Parteien“. Sie bereichern ihren Studienplan um studentische Initiativen, die sich der zusätzlichen Aufgabe widmen herauszufinden, wie man mit den Bedingungen der Ausbildung umgehen muß, um sie erfolgreich durchzustehen, weshalb sie mit Begeisterung eine Meta-Gruppe bilden, um über die Probleme der Lerngruppen zu räsonieren. Schließlich vergessen sie auch nicht die „gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge“: Die Ausbildung ist deshalb so beschissen, weil diese „Institution nicht unmittelbar Profit abwirft“ und „deshalb stets mit Mängeln behaftet ist“ (wie sich ja der ganze Staat deswegen in einem sehr desolaten Zustand befindet). Freilich labern sie nicht deshalb ewig über Kapital und Staat, um ihre „politische und ökonomische Lage“ zu verändern, vielmehr beschwören sie diese Gespenster, um sich und ihre Kommilitonen anzustacheln, nur ja nicht locker zu lassen in ihren Anstrengungen, unter Anerkennung der Notwendigkeit ihrer Lage sich zu verändern, wovon sie sich versprechen, daß ihre miese Situation erträglicher wird. Deshalb betrachten sie interessiert die Reaktionen ihrer Kommilitonen auf die Schläge, die diese erhalten, und erhoffen sich weiteren Zulauf: „Die Reaktionen des Studenten reichen von ständigem Kampf (ungesund!) über spontanen Widerstand (zu ineffektiv!), ab-und-zu-mal-mitmachen (launisch!), Seminar-Marxismus (klugscheißender Feigling!), Scheuklappenstudium (widerlicher Konkurrenzgeier!), Rückzug ins Private (dämlicher Kapitulant!), völliger Anpassung und Apathie (schlappe Sau!) bis zum psychischen Knock-Out (Selbstmord verboten! – weil ein Mitstreiter weniger) aufgrund der unmittelbar erfahrenen(!) Folgen der oben beschriebenen Faktoren, als da sind: Isolation in der Masse, minimale Möglichkeiten, Lehrinhalte zu diskutieren, durch Überfüllung der Seminare erzeugtes Konsumverhalten, durch Pflichtveranstaltungen erzeugte Interessenlosigkeit, Geldsorgen, Streß.“ (KIZ-Info) Je schlimmer die Zwänge, um so größer die Chance, daß noch mehr Studenten wie ihre Vorbilder im KIZ ihre Interessen solidarisch dem Staat unterwerfen: „Kommunikation und Information herzustellen, ist in dieser Situation eine dringende Aufgabe. Es geht jedoch nicht um Kommunikation überhaupt, um ein simples Gegengewicht zur pathologischen Uni-Situation, auch nicht um eine Art Gegenuni, sondern allein die politische Auseinandersetzung mit den betreffenden staatlichen Stellen kann die Lage der Studenten verändern.“ (KIZ-Info) Und obwohl der Staat bei Pädagogen auch nicht mehr die geringste Rücksichtnahme kennt – er will sie nicht brauchen („von 70 Diplom-Pädagogen bekommen in Frankfurt nur 2 eine Stelle“) – wollen die aktiven Studenten dieses Fachbereichs zuletzt nur einsehen, daß es sich nicht länger lohnt, für diese Ausbildung sich einzusetzen: „Die Universität hat speziell für den Fb 4 nur noch die Funktion einer Aufbewahrungsanstalt für Arbeitslose. ... Wir haben heute morgen, am Mittwoch (4. Mai! 77) den Eingang des Instituts des Fb 4 zugemauert.“ Das Pädagogenflugblatt, das diesen außergewöhnlichen studentischen Kraftakt der Öffentlichkeit bekannt gibt, beweist nicht nur in seinem Titel – „Mauert die Sachzwänge ein“ – daß diese Pädagogen keineswegs ihren Idealismus aufgeben wollen, „... uns geht es nicht mehr darum, die Uni besser zu machen, auch nicht individuell aus der Uni rauszugehen (das würde bedeuten, Hilfsarbeiter zu werden !), sondern neue soziale Zusammenhänge, andere Verkehrsformen, ein neues Wissenschaftsverständnis zu entwickeln.“ Mit ihrem Vorhaben, sich für die Runderneuerung der Pädagogik einzusetzen, zeigen sie in aller Welt, daß sie ungebrochen selbst dann ihre Hoffnungen noch auf ihre wissenschaftliche Qualifikation verschwenden, wenn es sicher ist, daß dieser Einsatz ihnen nichts bringt. Auch diese Aktivisten wollen also den Fehler nicht vermeiden, die Misere ihrer Ausbildung auf sich zu nehmen, aus sich heraus die Wissenschaft zu erneuern, nur um alles beim alten zu belassen! Sie nehmen ihre hoffnungslose, aber kritische Wissenschaft dergestalt auf sich, daß sie ihre „Verkehrsformen“ und „sozialen Zusammenhänge“, also ihr tägliches Leben in eine kritische Veranstaltung verwandeln, um so trotz allem zu beweisen, daß sie nützlich sind. Sehr nuancenreich gehen also Frankfurts Studenten mit den Idealen ihrer kritischen Ausbildung um und versäumen dabei niemals, sich in ihr zu verwirklichen. Verständlich, daß sie sich angesichts der Anstrengungen, die diese Leistung ihnen abverlangt, nach Beistand umsehen. Und an einschlägigen Offerten mangelt es wahrhaftig nicht. Vom RCDS bis hin zu den Spontis überschlagen sich alle Hochschulgruppen in ihren Bemühungen, den Aktivitäten der neuen Studentenbewegung ihre Förderung angedeihen zu lassen. Die Spontis haben dabei den Vorzug, daß sie den ASTA-Apparat kontrollieren, und sie lassen sich nicht lumpen, stellen bereitwillig Druckkapazität, Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und presserechtliche Verantwortung zur Verfügung: „Kein ASTA kann Dinge zuwege bringen, die nicht als artikulierte Bedürfnisse der Studenten sichtbar wer den. Alle Bedürfnisse nach Beseitigung von Herrschaft werden, wir unterstützen, wenn sie nicht den Aufbau neuer Machtstrukturen beinhalten.“ (Presseerklärung des Frauen-ASTA) Den Spontis gefällt an der neuen Studentenbewegung zuallererst, daß sie es aus sich heraus und ohne parteipolitische Nachhilfe bis zum Streiken gebracht hat. Das Streiken unterstützen sie vorbehaltlos, nur – sie haben andere Gründe für einen Streik: „Wir wollen, wir müssen STREIKEN, STREIKEN, wenn wir nicht untergehen wollen !“ (ASTA-Flugblatt, Mai 77).
Dem Sponti ist es bei der anstehenden Verschärfung der Ausbildung durch den Staat keineswegs darum zu tun, daß ihm dadurch vergrößerte Anstrengungen bei der Aneignung nützlichen Wissens für die Konkurrenz im Beruf entstehen. Sein Problem dabei ist, daß ihm mit den akademischen Privilegien das Mittel – die Freizeit – flöten geht, mit dem er seine „Selbst-Befreiung“ betreibt, d.h. höchst angestrengt Dinge unternimmt, von denen er es für möglich hält, daß sie ihm Spaß machen. Und Freizeit, möglichst viel davon braucht er für seine Träume von einem besseren Leben (nicht einmal träumen kann man bei der Arbeit!). Deshalb ist dem Sponti die Ausbeutung der Lohnarbeiter durch das Kapital und die Zerstörung des Arbeiters im kapitalistischen Arbeitsprozeß gleichgültig, weil er alles übel auf der Welt auf die Arbeit zurückführt, die ihn in seiner Freiheit einschränkt, in der er nichts dabei findet, die Früchte der Arbeit zu genießen. Gegen Wissenschaft hat er nicht nur deshalb etwas, weil sie mit Kopfarbeit verbunden ist: Sein Ideal, seine Utopie vom besseren Leben, verträgt sich nicht mit der Erklärung der Ursachen für das miese Leben, die ihn abrupt aus den Träumen vom „alternativen Leben“ mit diesen Ursachen reißen könnten. Weil ihm also Arbeit und Wissenschaft zuwider sind, schreibt er: „Wir wollen Kopf- und Handarbeit zusammenbringen, indem wir Umwelt anders, sinnlich, nichtintellektuell (!) begreifen lernen. Unsere Subversivität liegt nicht in der BESSEREN ANALYSE, sondern im befreiten Verhalten. Das ist das, was wir der traditionellen Politik entgegensetzen wollen: Wir brauchen mehr Theorie ... Dazu müssen wir wieder Inhalte entdecken, die GEGEN die Theorie gerichtet sind. Unsere Wut bleibt bis jetzt immer in Wortgefechten stecken.“ (Fuzzy 10, S. 4/5)
So hat sich der harte Kern der Spontibewegung wieder in der Universität und den Exerzierplätzen des „alternativen Lebens“, den Wohnkommunen, eingeigelt. Machen sie sich in diesen selber fertig, so finden sie neuerdings auch in jener Angriffsflächen für die spontane Widerstandsaktion.
Und was den kritischen Theoretikern, die die hiesige Ausbildung dominieren und bis zur Durchsetzung der Hochschulreform den Spontis günstige Bedingungen für ihr Treiben verschafften, dann blüht, wenn ihre Sponti-Freunde sich mit Theorie auseinandersetzen, das demonstriert uns jene „Rote Maus“, die in ein linkes Seminar über die Studentenbewegung ging. Als sie feststellen mußte, daß es selbst dort noch theoretisch zuging, kam sie sich „entfremdet und abstrakt“ vor. Danach stank ihr die Uni ganz gewaltig und sie beschloß, mit ein paar Gleichgesinnten mit der Uni-Repression auch gleich die Wissenschaft abzuschaffen: „Na und dann haben wir das Seminar gesprengt. Wir haben eine Anlage aufgestellt (ein schwerer Rückfall gegenüber selber singen!), Musik gemacht, getanzt und den Raum einschließlich uns selbst (Ganzheit !) angemalt, dann unten im Foyer weitergefeiert und das zweite Seminar, das hinterher im selben Raum stattfand, auch noch gesprengt.“ (Fuzzy) Die Rote Maus hat sich mit ihrer Aktion nun aber nicht einfach mal einen Spaß verschafft, sondern mittels dieser Lustbarkeit sich und ihresgleichen durch die Propaganda der Tat zweierlei bewiesen (wobei sie durch ihre Tour, mit der Wissenschaft umzugehen, deutlich gemacht hat, daß diese in gleicher Weise für alle „sozialen Felder“ gilt, auf denen sie sich betätigt). Zweierlei zeigt die Maus: 1. folgt sie ihrem Gefühl und macht kaputt, was ihr nicht gefällt, und 2. macht sie daraus auch noch eine Politik, wobei dann allerdings das Gefühl notwendig auf der Strecke bleiben muß, weswegen Mäuse auch keine Politik machen. „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ und: „Widerstand ist möglich!“ Folglich gibt der Sponti die Schuld daran, daß er nicht hat, was er möchte, sich selbst und seiner furchtsamen Psyche, macht sich und anderen mit dem Spruch „Wir wollen alles !“ Mut, und demonstriert mit seinem Widerstand die Möglichkeit des Widerstandes. Dabei verfällt der Sponti auf die eigenwillige Dialektik, daß der Polizeieinsatz umso erfolgversprechender für ihn ist, je brutaler er vor sich geht, ist ihm doch der praktische Beweis dafür, daß sein Widerstand keinen Erfolg hat, Anlaß zur Freude darüber, daß sich bald niemand mehr darüber täuschen kann, daß Widerstand nötig ist. Da seine Agitation im .Reagieren auf die Schläge besteht, die der Staat ihm versetzt, sorgt sich der Sponti auch überall darum, daß der Frust nicht vergeht, der Motor seines Handelns ist: „Bevor ich aus den Seminaren gehe, will ich erst noch ein paar schlechte Erfahrungen machen“, schreibt Peter an Inge, Karli usw ...
Am schönsten lassen sich solche Erfahrungen dort machen, wo die Privatperson noch in ihrem ureigensten Bereich den Einschränkungen ausgesetzt ist, die ihr praktisch beweisen, daß sie nur anerkannt ist um als Mittel für Kapital und Staat sich immer neu verfügbar zu machen: die eigenen vier Wände. Der Sponti wendet sich mit Vorliebe gegen Eingriffe von Privateigentum und Staat in die Sphäre, in der die Besonderheit der Person ihr Hauptbetätigungsfeld hat (schließlich will er sich diese Sphäre ganz alleine kaputt machen, z.B. mittels unausgesetzter Wohngemeinschaftsdebatten), und findet so im Häuserkampf sein eigentliches Schlachtfeld, auf dem er die Einheit von Widerstand und Leben praktiziert. Angesichts dieses brutalen Geschäfts, das die Leute für einen Widerstand verheizt, der einzig dazu gut ist, zu zeigen, daß er möglich ist, nimmt es nicht wunder, wenn diese Leute ständig der Versuchung ausgesetzt sind, den Widerstand bleiben zu lassen, um vom Leben wenigstens noch die schalen Vergnügungen zu gewinnen, die die Anpassung ans bürgerliche Berufsleben einbringt; die Abwanderung dorthin, die der knallharte Sponti als „Resignation“ verurteilt, setzt umso stärker ein, je mehr der Staat zuschlägt. Eine Minderheit aus der Sponti-Szene nimmt demgegenüber die Kette von Niederlagen, die diese für den Weg zum Sieg hält, zum Anlaß, um auf die andere Seite der Sponti-Einheit zu setzen und den Absprung in die Anarcho-Szene zu vollziehen. An solchen Leuten kritisiert der Sponti nichts anderes als daß sie eben das Leben zugunsten des Widerstands aufgegeben hätten; deshalb ist er mit seiner Solidarität den Anarchisten gegenüber immer erst dann zur Stelle, wenn diese im Hungerstreik im Knast ihr Überleben aufs Spiel setzen: „Aber Widerstand und Leben stehen bei uns in einem sehr prekären Verhältnis zueinander. Sobald sich das eine vom anderen isoliert, geben wir entweder auf oder gehen in den Untergrund. Und je stärker der Druck der Verhältnisse auf uns lastet, um so mehr streben Widerstand und Leben auseinander. Die einen denken nur an überleben und versteinern dabei ... Die anderen denken nur an Widerstand und haben sich ein anderes Leben aus dem Kopf geschlagen ... Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört, weil wir uns mit ihnen so eng verbunden fühlen, fordern wie sie auf, Schluß zu machen mit diesem Todestrip ...“ (Fuzzy 10, S. 20/21) Und so findet der Niedergang der Spontibewegung derzeit seinen Ausdruck darin, daß sie heutzutage nicht mehr, wie noch zu Häuserkampf-Zeiten, sich an von ihnen selber erzeugten Konflikten aufgeilen, sondern sich an „Bewegungen“ anhängen, die unabhängig von ihnen entstanden sind (auch wenn sie starke Affinitäten zu bestimmten Seiten der Spontiideologie aufweisen): „Von den Ansätzen von Widerstand und bestehenden Gruppen an der Uni können sich allein die Frauen- und die Ökologengruppen auf eine gesellschaftlich relevante, reale Bewegung beziehen.“ (SHI-Papier „Zur Uni-Situation“, Diskus 27/1)
Die Spontis haben in Frankfurt der Frauenbewegung den ASTA zur Verfügung gestellt – den ersten Frauen-ASTA in ganz Europa, wie die EMMA begeistert zu berichten wußte. Folgendermaßen gedenkt der Frauen-ASTA für die Uni-Frauen zu sorgen: „Inhalt dieser ersten (Frauen-)VV war im wesentlichen ein Informationsaustausch zwischen den einzelnen Initiativen. An welchen Fachbereichen sind Frauen-Gruppen entstanden, was wollen sie perspektivisch machen, Probleme aus den Frauen-Seminaren und die Forderung nach mehr Frauenlehrstühlen wurde artikuliert. Prof.-Karteien, ... die frauenfeindliche Äußerungen sammeln und für ein großes Prof.-Tribunal auswerten, war ein Vorschlag, der begeistert aufgenommen wurde.“ (Frauen-Info zum Semestereingang) Das einzige Problem, das diese Frauen mit der Wissenschaft und mit allem anderen auf der Welt haben, ist, ob „man(n)“ oder „frau“ (so die vorläufige Sprachregelung der alternativen Sprachschöpfer) es getan hat. Die Verwandlung der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau in einen natürlichen Gegensatz zwischen den Geschlechtern, die somit auch ein sicherer Weg zur Verhinderung der Lösung der Frauenfrage ist, fasziniert den Sponti deshalb, weil ihm als begeistertem Verherrlicher der natürlichen Bedürftigkeit ein bewußtloses Aufgehen in der Natur als Ideal vorschwebt. Deshalb setzt dieser Freund von Drogen sein Bewußtsein dafür ein, um sich auf „Sinnlichkeit“ und „unmittelbare Erfahrung“ zu reduzieren, weshalb er gelegentlich in Landkommunen oder nach Kaschmir abwandert (neuerdings tagträumen sie vom Stammesleben der Indianer, in welchem sie die Verwirklichung der kommunistischen Gemeinde entdeckt haben, und unterschreiben ihre Pamphlete mit „Ein Göttinger Mescalero“!). Im Umgang von Sponti-Mann und Sponti-Frau (sofern sie noch miteinander umgehen, was natürlich schon ein Problem ist) wird denn auch am sinnfälligsten deutlich, daß der Spontaneismus, dessen Anhänger zuerst sich und ihre mangelnde Emanzipationsbereitschaft für den Zustand der Welt verantwortlich machen und Abhilfe davon erwarten, daß sie spontan sein wollen, die allerunspontansten Leute hervorbringt, die nicht einmal mehr das mickrigste Bedürfnis befriedigen können, weil sie es beständig prolematisieren müssen. Die Sponti-Weiber fordern
offen die Unterwerfung der Männer unter ihre Barbarei mit demselben Argument, mit dem der harte Kern der § 218-Bewegung, die als Bewegung gegen das Kinderkriegen stark wurde, mittlerweile für das Kinderkriegen agitiert, als dem Mittel, um seine Bestimmung als Frau zu realisieren: Als Heilmittel für die Genesung der Welt lügen sie sich die Merkmale der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau im Kapitalismus als die natürlichen Vorzüge des weiblichen Geschlechts vor (die „frau“ mit dem Vorhandensein von einer Genschleife mehr im weiblichen Erbmaterial begründet), wobei sie sich auf Marcuse als geistige Ziehmutter berufen können, der die Passivität, Rezeptivität und erotische Energie des Weibes feiert und der Natur die nämlichen Eigenschaften andichtet. Wenn die Natur also weiblich ist, die Weit somit an der weiblichen Rasse gesunden muß, dann erklärt sich auch die spezifische Sorte Sponti- Faschismus in dem Poem einer Eva-Maria Stark, die folgenden Dialog mit ihrem Foetus hält: „Ich höre Pink Floyd
aus: MSZ 17 – Mai 1977 |