Die Linke stellt die Frage: Alle Umwege führen zu Schmidt
Die westdeutschen Linken wären die allerletzten, die auf diese Frage kämen. Sie wälzen nämlich die „Wahlfrage“. Die Frage, wen man – als Linker – wählen sollte, ist bereits ein Jahr vor dem Wahltermin zu ihrem politischen Hauptproblem avanciert. Die frühere außerparlamentarische Opposition, die, wie die Bezeichnung schon aussagt, aus lauter Demokratie-Begeisterung sich in einen Gegensatz zu den Institutionen der Demokratie begeben hatte, hat somit eine zeitgemäße politische Fortsetzung gefunden, die Elmar ALTVATER jüngst folgendermaßen vorgestellt hat: „Zwar sind die Wahlen Zirkus, aber nicht im Parlament vertreten zu sein, ist ein Zeichen der Schwäche der Linken. Außerparlamentarische Aktionen waren wichtig, aber der Polizeiknüppel hat fast immer gewonnen, daher bedarf die außerparlamentarische Aktion der parlamentarischen Ergänzung.“ Aus den Niederlagen „der Linken“ gegen die Staatsgewalt wird hier ohne große Umstände die Folgerung gezogen, daß sie nach demokratischer Machtausübung drängen muß! Da mit diesem Schluß freilich das Problem der „Schwäche der Linken“ noch nicht aus der Welt geschafft ist, ergibt sich dieser Logik gemäß als nächster Schritt das Problem, Schwäche in Stärke umzuwandeln. Dabei kommt der linken Bewegung der Kanzlerkandidat Strauß gerade recht. Das ergibt nämlich das letzte und Hauptproblem der linken „Wahlfrage“: Wie drückt man sein linkes Interesse am Modell auf dem Stimmzettel am besten aus? Soll man SPD wählen oder grün? Und wenn einem diese Entscheidung gar zu schwer wird, dann sollte man den Rat des politologischen Altvaters O.K. FLECHTHEIM befolgen und „wie die alten Griechen das Los entscheiden lassen ... !“ Also steht ein am politischen Geschäft anteilnehmender Linker vor der furchtbaren und doch so einheitsdiskussionsstiftenden Alternative: Erfolg ohne Partizipation oder Partizipation ohne Erfolg. Auf jeden Fall aber wählt ein anständiger Linker, und zwar nicht einfach so, sondern nach ausgiebiger Produktion deutscher Wahljahrideologien. Die Einheit steht unerschütterlich, denn die Debatte hat ihr festes ideologisches Fundament in der Gewißheit, daß ein Wahlkreuz etwas ganz anderes ist als ein Kreuz neben dem Namen alternativer Parteien, mit dem diesen der gänzlich alternativlose Auftrag zu sachgerechter Verwaltung der Staatsgewalt erteilt wird. Von solcher „Leibeigenschaft der Stimmen“ emanzipiert sich ein Linker, der sich für alles verantwortlich weiß, auch wenn er es gar nicht ist, gerade mit dem festen Glauben, seinem Wahlkreuz zumindest wäre anzusehen, wes tiefen Geistes Kind es ist. Er gibt also nicht einfach für den Fortbestand demokratischer Gewalt seine Stimme ab: bei seinem Urnengang schreitet eine Weltanschauung zur Tat. Und eine Weltanschauung, die wählen geht, stimmt nicht einfach über den obersten Führer, Strauß oder Schmidt, ab, sondern befindet mindestens über die historische Alternative Undemokratie / Demokratie, wenn nicht gleich über Zerstörung / Rettung des Globus. Der Überbau betätigte sich also wirklich als Über-bau, weil das, was getan wird, gar nicht zur Debatte steht. Er erfindet eben seine Weltanschauungen zum Gang der Dinge hinzu. Deswegen machen die diversen Linken schon im Vorwahljahr einen Zirkus auf, der ihrem intellektuellen Staatsbürgeraktivismus entspricht. Eine Diskussion jagt die andere; mal ALTVATER, RABEHL, HIRSCH, FLECHTHEIM, Juso-SCHRÖDER, Juso-STRASSER in Frankfurt, mal BAHRO, DUTSCHKE in Tübingen, mal HAUG, SEMLER, DUTSCHKE und SCHRÖDER u.a. in Berlin; und einige neue und alte Größen erreichen zumindest kilometermäßig fast das Wahlkampfniveau des Machers, an dessen modellhafter nationaler Realität niemand vorbeikommt.
In Frankfurt traf man sich im Namen einer ,,Zeitschrift für sozialistische Diskussion“ namens „Kritik“, die auch gleich mit besagter Frage als Titel ein ganzes Buch auf den Markt der sozialistischen Diskussion geschmissen hat, auf dessen Einbanddeckel wie auf dem Ankündigungsplakat zum besseren Verständnis der gemeinsamen Grundlage der „Wahlfrage“ ein Telefon abgebildet ist: Wahl und Parlament als Einrichtungen einer gemeinschaftsstiftenden Kommunikation (Ruf doch mal an!), durch die man bestens bedient ist, sofern man nur die richtige Nummer wählt. Und daß Helmut bessere Bedingung für linke Politik sein soll als Strauß; Schmidt die richtige (Notruf-)Nummer ist, auch wenn man sie nur in äußerst kritischer Situation wählen mag, das halten die soziopolitologischen Geistesriesen aus der Umgebung des Sozialistischen Büros für eine ausgemachte Sache – weshalb sie sich auch nur unterscheiden durch den mehr oder weniger großen Umfang der Umwege, die sie für die Erreichung ihres vorab feststehenden Urteils für nötig erachten. Die plumpsten Methoden sind natürlich der Hinweis darauf, daß die SPD die Macht hat, vorgetragen als Warnung vor „illusionärer Politik“, sowie der Wink, daß ein Kanzler Strauß für jeden aufrechten linken Deutschen doch ein unerträgliches Schandmal für die Nation darstellen würde. Letzteres spricht der in Fragen der Dollarvagabundiererei bewanderte ALTVATER ganz unverfroren aus: „Gleichgültig (!), wie die schließliche Antwort auf die Wahlfrage lautet, sollte über eines Klarheit bestehen: zwischen der CDU/CSU, gerade wenn sie von Strauß repräsentiert wird, und der SPD, gerade wenn sie von Schmidt repräsentiert wird, sind die Differenzen groß genug, um in jedem Fall der SPD den Vorzug zu geben, wenn es nur um diese beiden Parteien ginge.“ Dieser Mann ist selbst über jeden Anflug eines schlechten Gewissens (von wegen des – angeblich – kleineren Übels) längst erhaben. Wer noch nicht so abgebrüht ist, kann über solche linksbewegten Möchtegern-Polit-Geistesriesen nur den Kopf schütteln ; denn 1. ist es Unfug, aus einem weniger großen Übel einen relativen Vorzug zu basteln; 2. ist es eine faustdicke Lüge, daß Schmidt eine weniger schlechte weil 3. die mit politischen Spinnereien garnierte Beteiligung an der Besetzung der Herrschaftsposten auch nicht dadurch etwas anderes wird, daß man in staatlichen Macherfiguren, die unter anderem mit der Niederhaltung jedes kritischen Geistes konkurrieren, eine Bedingung für die Erhaltung ,,linker Positionen“ sieht. Es ist aber ganz klar: Wer als oberstes politisches Ziel bei der Bundestagswahl die Verhinderung eines Erfolgs von Strauß angibt („Rock gegen Rechts“ soll das bisher breiteste Bündnis überhaupt sein) und zugleich nicht so ,,illusionär“ sein will, Udo Lindenberg oder Elmar Altvater oder auch Herbert Mies echte Chancen auf den Kanzlerjob zu prophezeien, der muß halt für Helmut Schmidt sein.
Die ganze Kunst des linken Herangehens an die „ Wahlfrage“ besteht darin, so zu tun, als ob nicht schon längst alles klar wäre. So ist die linke Intelligenz in unserem Lande auch die einzige „politische Kraft“, die ernsthaft daran glaubt und ständig daran bastelt, Helmut Schmidt einen wirklichen Unterschied gegenüber F.J. Strauß als Heiligenschein umzuhängen (was Schmidt ihr damit dankt, daß er Strauß als Staatsmann, ja sogar als seinen „Wunschgegner“ ansieht und die hin und wieder aufgezogenen Spektakel der Linken gegen Strauß ganz staatsmännisch in die Pfanne haut). In der linken Wahldiskussion verdient sich derjenige einen Preis, der den schönsten Umweg ausfindig macht, auf dem ein gestandener Radikaler mit kritischer Distanz zur Unterstützung des Machers des Modells Deutschlands fortschreiten kann. Wer möchte da W.F. HAUGs stringentem Berliner Argument widersprechen, daß er zwar noch nicht weiß – sagt er –, wen er wählen soll, daß es aber diesmal auf jeden Fall um das Ganze geht: ,,Die Zeichen stehen auf Sturm!“ ,,Das Haus brennt!“, weswegen nur der Feuerwehrmann mit der blauen Lotsenmütze in Frage kommt: „Die ökologische Weltkatastrophe ist nur zu verhindern, wenn Strauß verhindert wird!“ Wer kann sich dieser historischen Verantwortung entziehen, wenn er noch die messerscharfe Frankfurter Analyse von RABEHL dazudenkt, daß die „numerisch starken Linken, Schätzungen belaufen sich auf 8 - 15 % quer durch alle Parteien“ ihre „Zersplitterung“ nur durch die nationale Einheit gegen den christlichen Reserveführer einen lassen müßte, um mit geballter Stimmzettelmacht den unvermeidlichen Kanzler unter Druck setzen zu können. Fürwahr, ein echter Trumpf! Schmidt wird sicher großartige Zugeständnisse an sein kritisches Wählerpotential machen müssen, das ihm damit droht, ihn zu wählen! Freilich wäre es schöner, die „parlamentarische Repräsentation der Linken“ selbst zu besorgen – mittels einer eigenen Partei „links von der SPD“ (Altvater, Bahro, Dutschke als Fraktionschef!). Ein Vorbild besitzt man in der italienischen Radikalen Partei, die ja sogar ins Europaparlament eingezogen ist, wo Signore Panella den Klassenkampf mittels geschäftsordnungsmässiger Obstruktion bereits ungeheuer vorangebracht hat. Doch gibt es in Italien keine 5 %- Klausel – womit die hiesige Linke sich ein neues Etappenziel eröffnet hat. ALTVATER, der schließlich Politologe von Profession ist, sieht in der »Bekämpfung dieser Klausel, die – wie die Mauer für die DDR – „ein Schandmal für eine echte Demokratie darstellt“, einen Minimalkonsens für die Einheit der Linkskräfte, und FLECHTHEIM sieht darin eine Chance, sogar die FDP in diese Einheit einzubeziehen. Ins Parlament möchten schließlich beide. Und wie er in Frankfurt hineinrief, so schallte es ihm aus Berlin durch die grüne Ex-SPDlerin KELLY zurück: Nieder mit der 5 %-Klausel, auf daß Grün eine parlamentarisch legitimierte Ideologie werden kann! Und – Linke wählt grün – gemeinsam sind wir stark! Aber gerade von wegen Stärke gesellt sich zu einer „historischen Chance“ eine – die holde Qual der Wahl schaffende – ,,Verantwortung“, die mindestens ebenso historisch ist. Was ist nämlich, wenn die Sache in die Hose geht? Dann steht man doch glatt als „Steigbügelhalter von Strauß“ da und muß sich selber die Schuld geben, wenn unsere schöne Demokratie dem Monstrum aus Bauern anheimfällt. Vorsicht bei allen Umwegen, lautet also die erste linke Bürgerpflicht, und gewichtig tragen die linken Noelle-Neumänner das Ergebnis ihrer Hochrechnungen vor: Wenn man nur schon vorher wüßte, was hinterher herauskommt! „Wenn es gelingen sollte, eine perspektivische linke Organisation zu schaffen, als Ausdruck der sozialen Bewegung, mit einem glaubwürdigen Projekt, mit überzeugender politischer Praxis, dann ist die Wahlfrage weitgehend beantwortet. Wenn..., dann...“, sagt ALTVATER wortwörtlich. Wenn es gilt, die Linke selbst als Bedingung ihres Fortschritts zur Wahlalternative zu begutachten, dann fühlt sich J. HIRSCH, der Champion in dieser Disziplin, aufgerufen. Vielleicht ist die „Frage nach der Wahl zu früh gestellt und falsch akzentuiert“. Es könnte nämlich leicht sein, daß die Debatte um eine Wahlbeteiligung, die jetzt schon stattfinden soll, dagegen verstößt, daß doch in jedem Fall die ,,Dezentralisierung der Linken authentischer Ausdruck und Reflex des Spätkapitalismus und seines Krisenzusammenhangs“ ist und sonst nichts. Womöglich muß man als linker „Reflex“ doch noch ein paar Jährchen länger warten, bis man als Wahlprogramm und Einheitsfront gegen die 5 %-Klausel die kapitalistische Spätkrise widerspiegeln darf ... Doch halt! Gibt es denn nicht wirklich jetzt schon eine gewichtige Oppositions-Bewegung, die der Linken endlich eine Heimat bieten könnte? Und so geht die „sozialistische Diskussion“ über in die II. Abteilung: Grün/ Bunt/Alternativ wählen!, die sich schnell zur Frage verdichtet:
Denn die „grüne Bewegung“, die zwar unter tätiger Geburtshilfe der Linken entstand, aber ihrem Helferlein, eben weil es links ist, sehr distanziert gegenübersteht und von den linken Einheitsgeistern mit brillanten Debatten über die einheitsstiftenden Möglichkeiten dieser Bewegung in ihrer „Abgrenzung“ gegen Kommunisten begleitet wird, hat ja ihrerseits inzwischen beschlossen, endlich ihrer parlamentarischen Orientierung die Krone aufzusetzen: Im Januar 1980 soll auf Bundesebene die Partei „Die Grünen“ aufgemacht werden, um endlich aus dem bürgerinitiativ bewegten Zwielicht herauszukommen. Also beschloß jüngst auf einem Offenbacher ,,Programmkongreß“ die breite Bewegung von der rechten Hausleitner-Truppe (AUD) über die auch nicht gerade linksgestrickte Gruhl-Mannschaft (GAZ) bis zur mehr der sozialdemokratischen Umwelt entsprungenen GLU ihre Verschmelzung und legten auch gleich – wie es sich für eine anständige Einheit gehört – die Konditionen fest, unter welchen sie eine Mitwirkung der diversen Bunten und Alternativen Listen gewähren wollen. Wer sich am parlamentarischen Geschäft beteiligen will, muß schließlich zur Einheit auch die Klarheit stiften, daß er für das Volk eine wählbare Alternative darstellt. Allerdings kann man als Partei, die Erfolgswillen zu demonstrieren hat, das Programm nicht gleich so taktisch formulieren, wie der bekannte Tierschutzveteran Prof. Grzimek, der in Offenbach ein Flugblatt unter der Überschrift „Tiger sind weniger gefährlich als Politiker“ (sehr wahr!) verteilen ließ: „Seit 25 Jahren versuchen ich selbst und andere, die Politiker zu bereden, sich für unsere Heimat, unsere Tierwelt, die Zukunft unserer Kinder einzusetzen. Alle Politiker, ob CSU, SPD oder FDP, versichern treuherzig vor jeder Wahl, daß sie das selbstverständlich tun werden. Stattdessen geht es mit der Natur und uns immer schneller bergab. Deswegen hoffe ich, daß auch in den demnächst wählenden Bundesländern eine vernünftige Grüne Partei entsteht. Ich werde sie wählen. Sicher wird sie nicht so stark werden, daß sie statt der CDU oder SPD regiert. Aber wenn die CDU oder die SPD ein paar grüne Abgeordnete zur Mehrheit brauchte, um eine Regierung zu bilden, dann wäre das ideal. Dann könnten sich natürlich auch in der CDU oder SPD diejenigen Politiker durchsetzen, die sich für die Umwelt und unsere Zukunft ernstlich interessieren. Die gibt es nämlich in den alten Parteien auch, allerdings nur wenige ... Politiker haben nur vor einem wirklich Furcht: vor unserem Stimmzettel!“
Fürs Regieren SPD oder CDU, für die natürliche Korrektur der Regierung ein paar Grüne, so mögen manche Wähler und manche grünen Politprofis kalkulieren. Nach außen muß die Partei mehr vertreten, um ins Parlament zu kommen, und ihrerseits eine passable Weltanschauung bieten, hinter die sich jeder von links nach rechts stellen kann, wenn er nur die Welt vor der Katastrophe retten will. Und an bewegten Sprüchen von grünen Führerfiguren wie z.B. GRUHL fehlt es da wahrlich nicht: „Wir sind sicher, meine Freunde! Die ökologische Bewegung entstand zwangsläufig – aufgrund der Notwendigkeiten der Weltgeschichte ... Dies ist der Gegenschlag des Lebens gegen die geistlosen Mechanismen des materialistischen Zeitalters, das jetzt an seinen Widersprüchen zugrunde geht. Darum bedarf unsere Bewegung keines konstruierten Gedankengebäudes, keiner Ideologie, keiner rechten und linken Ideologie. Wir stehen nicht rechts und nicht links, sondern vorn, wo die Zukunft liegt.“ (Gruhl, Grüne Zukunftspolitik als historische Notwendigkeit) Ganz im Stile des politischen Missionars breitet GRUHL seine Ideologie aus von den Grünen als Vollstrecker des Weltgeistes, die eine neue menschlich-natürliche Einheit jenseits überholter ideologischer Fronten stiftet. Daß ihr Kern ein dezidierter Anti-Materialismus ist, läßt GRUHL, der ein feines Gespür für die Konjunkturen des Zeitgeistes besitzt, in seiner Eigenschaft als politischer Pragmatiker hoffen, daß seine „historisch notwendige“ grüne Partei die 5 %-Hürde überspringen wird: „Liebe Freunde, wenn wir uns nicht zutrauen, über 5 % zu kommen, können wir gleich nach Hause gehen ... Mit weniger als 5 % der Stimmen läßt sich noch keine Weltwende einleiten.“ (ebda.)
Die bewegte deutsche Linke ist von solcherart Verdammung des Materialismus und von solcher staatsbegeisterten Zukunftsmusik nicht etwa abgestoßen, sondern geradezu fasziniert. Daß sich hier eine Bewegung formiert hat, die kritisch gegen bestimmte Staatsmaßnahmen auftritt und das „wirtschaftliche Wachstum“ und die „egoistischen Wertvorstellungen“ der Individuen verteufelt, veranlaßt die Linken, voller Begeisterung darin aufgehen zu wollen. Daß ein solcher Akt keine Selbstverleugnung verlangt, sondern mit linken Utopien vom neuen Menschen zu einer harmonischen Zukunftsmusik zusammenstimmt, dafür steht als Gallionsfigur der anerkannte Märtyrer für die Freiheit der Kritik Rudolf BAHRO ein, der schließlich schon seit längerem eine „Alternative“ für die „Industriegesellschaften“ in Ost und West vertritt und durch Studien über das Christentum vertieft hat, mit denen er sich in Bautzen die Zeit vertrieb. Daß Messianismus auch und gerade linksherum geht, stellte dieser – nach eigenem Bekenntnis – „heimliche Grüne“ ganz offen unter Beweis, indem er die „geistige Tradition des Sozialismus“ der ökologischen Weltanschauung als deren ideale Ergänzung offerierte und dabei zugleich für politischen Pragmatismus Partei ergriff. – „Eine Bewegung, die eine ganze Zivilisation retten will, muß fähig sein, aus dem heute globalen Gesamtzusammenhang heraus zu denken ... Die etablierten Parteien versagen tatsächlich permanent vor der Forderung des Tages, eine langfristige Politik für das Überleben der Menschheit zu entwerfen ... Wir müssen den genügend langen Atem und die genügend tiefe Konzeption haben, es zu ändern. Dann ändern wir vielleicht die SPD mit. Können wir denn hoffen, ohne das Potential, das diese Partei repräsentiert, zu irgendwelchen grundlegenden Ergebnissen zu kommen?“ – „Denn wir werden keinen einzigen ökologischen Engpaß zwingen, wir werden das sog. Wachstum nicht zum Stillstand bringen, wenn es nicht gelingt, den ökonomischen Mechanismus der Monopolkonkurrenz um Höchstprofite, Umsatzsteigerung, Marktanteile ... zunächst unter rigorose Kontrolle zu bringen und dann als Regulator völlig zu ersetzen. Und ist die entfremdete Bedürfnisstruktur der Massen, an deren Überwindung uns auch als Grüne so viel, subjektiv vielleicht sogar am meisten gelegen ist, etwa nicht hauptsächlich die Kehrseite jenes ökonomischen Prinzips? Die psychologische Revolution, die wir alle für dringend halten, geht eben gegen die vom Kapitalismus erzeugte Art, zu konsumieren. Sie kann nicht durchschlagen, wenn wir den ökonomischen Antriebsmechanismus unangetastet lassen. Alle konkreten Maßnahmen, die das grüne Konzept vorschlägt, rechnen de facto auf Umsetzung über den Staat. ... Man muß eine Politik entfalten, wie man langfristig die Staatsmaschine in das Instrument der sozialen Kontrolle über alle monopolistischen Sonderinteressen verwandeln könnte.“ Wenn der Prediger, der aus dem Osten kam, für hiesigen grünen Geschmack die Ziele der Bewegung auch ein bißchen hölzern ökonomisch durchwirkt, weil er sich als Revi-Idealist treu geblieben ist – seine Botschaft ist unüberhörbar von der Art, wie die Bewegung sie hören mag und wie sie manch zweifelndem linken Menschen auf die Wahlsprünge helfen kann: Umdenken ist erforderlich, Absage an den Konsum – bekanntlich leben wir ja in einer Überflußgesellschaft, in der die Massen vor Sattheit und Langeweile nichts mehr mit sich anzufangen wissen, als sich laufend für ein sogenanntes Wachstum abzuarbeiten –; Selbstfindung – bekanntlich ist jeder völlig außer sich –, indem man die Staatsgewalt endlich zur Befreiung von Bedürfnissen benutzt, die das Kapital den Leuten bekanntlich nur aufschwatzt, um sie verschwenderisch und monopolistisch zu befriedigen. Wem fällt da nicht die Weltanschauung ein, die den alten Spruch von Johannes d.T.: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe! (Matthäus 3,2)“ immer wieder modern auslegt. Dem Rudi auf jeden Fall! – „Wir Sozialisten brauchen die Christen. Infolge unserer bisherigen Aufgaben, die unterprivilegierten Massen zu vertreten, haben wir es schwer mit uns, das Ansammeln von materiellem Wohlstand, das Loslassen zugunsten anderer, subjektiverer Werte zu lernen. Wir müssen die Ohren öffnen für den Sinn des Wortes »Ihr sollt Euch nicht Schätze sammeln auf Erden« ... Und unstrittig war Christus in dieser Zivilisation der erste Lehrer unseres letzten (!) Ziels, der allgemeinen Emanzipation des Menschen.“ Dem Idealismus eines zeitgenössischen linken Intellektuellen, der die Sinnfrage für den Angelpunkt der Welt hält, ist der ökologische Idealismus allein noch nicht genug, deshalb will er ihn noch einmal überhöhen und liebäugelt mit der Religion, die er gar zur „menschennatürlichen, innerweltlichen Angelegenheit“ erklärt, weil das „Sinn“-erfüllte Individuum sein höchstes Anliegen ist. Kein Wunder, daß GRUHL in Offenbach BAHRO um den Hals fiel und ihn seiner tiefempfundenen Übereinstimmung versicherte, hat er doch der neuen Partei die erforderliche weltanschauliche Synthese von sozial-christlichdemokratisch für ihr Programm zukunftsweisend vorformuliert.
Solche Umarmung durch einen GRUHL freilich blieb das Vorrecht BAHROs, den die Kommunisten von drüben eingesperrt haben. Und nur für Personen, die dieses Verdienst vorzuweisen haben, gilt BAHROs Anbiederung: „Rot und grün, grün und rot gehen also jedenfalls sehr gut zusammen“. Die normalen bundesdeutschen Linken, soweit sie die Umwelt noch programmatisch mitgestalten wollen, bekommen ansonsten den geballten Antikommunismus der grünen Naturschützer zu spüren, bei denen an diesem Punkt innerste Neigung und wahltaktische Überlegung aufs Schönste übereinkommen. Die Linken bringen zwar im Gewande von „Bunten“ und „Alternativen“ den „Grünen“ ihre ganze idealistische Einsatzbereitschaft dar, die die Dreck- (alias „Basis“-)arbeit des Wahlkampfs ohne weiteres mit einschließt. Bei aller Unterwürfigkeit kommen sie dennoch (resp. deswegen) über die Rolle des nützlichen Idioten nicht hinaus, der sie sich, als „Rote“ unter „Grünen“, wie Christian SEMLER in Berlin, mit der berechnend-selbstlosen Kunst des JA-Sagens zur großen Einheit ohne Wenn und Aber willig anbequemen: In sieben Minuten entschuldigte er sich viermal für frühere Illusionen über die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, verzichtete einmal, nämlich andauernd, auf jeden Anspruch, bei den Grünen etwas anderes zu wollen als sich unterzuordnen, forderte stattdessen die Erweiterung der Grünen um die Homos und die Feministen zur Bunten, wünschte sich dafür l/2mal bescheiden ein wenig Gegenliebe, ertrug gelassen das Geschrei des Publikums, als ihm einmal das Wort „Arbeiterklasse“ unterlief, brachte immer an der passenden Stelle die AKWs im Osten in die Debatte und freute sich von Herzen für das Kompliment, ein Grüner könnte mit der KPD immer noch weit besser zusammenarbeiten als mit der SPD. Der Lohn: er durfte mit aufs Podium und bekam vom linken Weltgeist in Gestalt des Rudi DUTSCHKE bescheinigt, seine Partei hätte in puncto Selbstkritik immerhin schon einen bedeutenden Fortschritt zu verzeichnen: von der Absage an Stalin zur Preisgabe Lenins, was selbstverständlich noch keineswegs reicht ...
Denn Rudi hat als methodologischer Einheitsinterpret BAHROscher Weltgedanken gegenwärtig Hochkonjunktur und läuft in der Übersetzung der Maximen seines Namensvetters auf die hiesigen praktischen Erfordernisse zu grosser Form auf. Seine Vergangenheit als „APO-Führer“ von einst dient ihm heute als Glaubwürdigkeitsbeweis für die zeitgenössisch seichte Wahrheit, daß man immer solidarisch sein müsse, grün, auch parlamentarisch und ruhig auch ein wenig fromm, auf keinen Fall aber dogmatischsektiererisch; drei Wochen mit BAHRO zusammen haben genügt, und der Rudi hat neben den ,,sozialistischen“ und „ökologischen Kräften“ auch die Christen als Protestpotential entdeckt. Der Dank der Grünen für seine Abgrenzungshilfen hat ihm ein frischgrünendes Bremer Bürgerschaftsmitglied stellvertretend ausgesprochen : „Das hat die Funktion gehabt, daß für unsere Strategie außerordentlich wichtig war, von möglichst (!) weit links bis Mitte und auch meinetwegen (!) bis ganz Rechts eine breite Front anzulegen, weil wir von vornherein der Meinung waren, daß nur so (!) die Sache eine Chance hat, und die Funktion, die nun diese linke Unterstützergruppe hatte, und die auch der Rudi und alle bewußt übernommen haben, war, auch tatsächlich (!) nach links abzugrenzen, weil der KB über die Alternative Liste ja immer argumentiert hat, die Linken seien sie...“ (TAZ Nr. 137) Im übrigen lassen sich die „Grünen“ von der konstruktiven Doppelstrategie der Hamburger „Radikaldemokraten“ vom KB nicht erschüttern, die ihr Gejammer über die „Intoleranz“, „Basisferne“ grüner „Parteibonzen“ damit krönen, daß sie versprechen, ,,unsere Unterstützung bzw. Mitarbeit von kritischer Auseinandersetzung begleiten zu lassen“. Ihnen wird bedeutet, daß sie die Grünen zwar wählen, aber bei ihnen nicht die Rolle der Jusos in der SPD übernehmen dürfen: „Je breiter das Bündnis den Extremen zu ist, desto weniger wählbar werden wir für bürgerliche Wähler. Denn deren Stimmen brauchen wir, wenn wir ins Parlament wollen, nicht die Zehntelprozente der K-Parteien... Der Wähler will genau wissen, wen und was er wählt, damit er die Einhaltung der Versprechen kontrollieren kann. Das ist Basisdemokratie! („Richtigstellungen zur Diskussion über den weiteren Weg der Grünen“ von den Grünen aus Würzburg) Und wenn die Bunten mit denselben Wahlerfolgsargumenten um ein Plätzchen für revisionistische Ideals im Spektrum der grünen Parlamentsalternative bitten –, „Man darf nicht den wichtigen Gedanken der Ökologie gerade in den Teilen der Bevölkerung diskreditieren helfen, ohne die die geforderte Umkehr von der umwelt- und lebenszerstörenden Politik gar nicht durchzusetzen ist.“ (J. Reents, für die Bunte Liste Hamburg Mitglied in der gemeinsamen Programmkommission einer grün/bunten Partei, in seiner Stellungnahme zum Entwurf einer Präambel) –, wird ihnen die reaktionäre Einheit der Grünen Bewegung um die Ohren geschlagen: „Und je mehr wir den Primat der Ökologie (= Überleben der Menschheit auf Dauer) zu einer Klassenfrage verniedlichen, desto weniger unterscheiden wir uns von den etablierten Parteien.“ (Die Grünen Würzburg)
Bei allem Getöse, das die in der Wahlfrage vereinheitlichte bundesdeutsche Linke, ob sie sich nun direkt für die SPD oder für die Grünen stark macht, um die ,,Wahlfrage“ veranstaltet, ist auch klar, daß ein (besonders) geachteter Bestandteil der ,,Linkskräfte“ in jedem Falle der Gewinner ist: die Jusos. Nicht nur, daß die Jusos im Wahljahr dank Strauß ohne die mindesten Gewissensbisse für Helmut Schmidt Wahlkampf machen können. Auch ihr Gewicht innerhalb der ,,sozialistischen Diskussion“ nimmt immer mehr zu. So konnte sich der Juso-Chef Gerhard SCHRÖDER (wir können nicht mehr glauben, daß die Identität seines Namens mit dem eines ehemaligen Innen- und Außenministers reiner Zufall sein soll) auf den Diskussionen in Frankfurt und Berlin beruhigt zurücklehnen („Mir werden immer die Bündnisse angetragen! ) und ganz im Stile des Machers der 90er Jahre den um ihre Identität ringenden Linken sein einziges Argument vorhalten: Daß der politische Idealismus des erlauchten Publikums sich an der praktischen Gewaltausübung und der ihr zugehörigen Arroganz des Machers Schmidt nicht laben kann, sollte keinen davon abhalten, SPD zu wählen, kann er doch bei den Jusos eine geistige Heimstatt finden. Im Gegensatz zu außerhalb ist man hier ganz drin in der Regierungspartei, so daß die Niederbügelung des Protests gegen das Atomprogramm in der SPD überhaupt nicht lächerlich ist im Unterschied zum Protest bei den Grünen, die mit ihren 5 %, so wie sie sie bekämen, niemals auch nur eines aufstellen könnten. Ganz nah bei der Macht und ganz links dabei – wenn das kein Angebot ist! Elmar ALTVATER konnte in Frankfurt stellvertretend für seine Genossen diesem Statement seine Achtung nicht versagen: er sei ,,beeindruckt von dieser kühlen und klaren Analyse“. Wenn alle Welt nach rechts rückt, können die Linken doch nicht in der linken Ecke hocken bleiben!
aus: MSZ 32 – Dezember 1979 |