UNCTAD V

Leere Hände, volle Taschen


Ratlosigkeit im Kabinett

Die Mitglieder des Kabinetts waren verzweifelt. Was war nur los mit Helmut? War ihm jedes Gespür für weltpolitische Feinheiten abhanden gekommen –

„FDP-Vohrer einen Tag später: »das war eine Lehrstunde für sozialdemokratischen Provinzialismus«.“ –

oder war er gar größenwahnsinnig geworden?:

„Er (Schmidt) könne da hinreisen (Manila), ohne eine zusätzliche Mark auszugeben; die Konferenz würde trotzdem zu einem Erfolg für ihn.“

Dabei hatte sich die Ministerrunde die größte Mühe gegeben, den Anschein ehrlichen und schweren Ringens um ein paar Märker mehr für die „Entwicklungsländer“ aufzubauen, erhoffte man sich doch davon ein positiveres Image auf der Welthandelskonferenz UNCTAD V in Manila. Die Befürchtung, diese Entwicklungsländer könnten einem – wenn man sie allzu sauer werden ließ – ein paar wirtschaftliche Schwierigkeiten machen, war zwar ein nützliches Aushängeschild, um vom Finanzminister einige Milliönchen für's eigene Ressort herauszulocken, doch ernsthaft hatte sie natürlich niemand. Das zeigte sich sehr deutlich in folgenden, die Besänftigung der Kaffern einkalkulierenden Vorschlägen:

„Wenn schon nicht für die nächsten drei Jahre ..., so könne man doch wenigstens für 1980 eine Steigerung von 18 % zusagen. Das Geld werde ohnehin (!) für notwendige Hilfen an Ägypten (!) und die Türkei (!) fällig.“

Genscher: Investitionen in die Entwicklungspolitik seien Investitionen in die eigene Sicherheit.“

Der Kanzler jedoch, weltmännisch und bescheiden wie er ist, schmetterte alle Vorschläge ab, wehrte sich „wütend gegen den Vorwurf, ihm fehle das Gefühl für die moralische Verantwortung gegenüber der Dritten Welt“ und wußte das deutsche Volk hinter sich:

„Die Deutschen, so Schmidt, müßten zunächst mal ihre eigenen Interessen vertreten. Hilfe an Länder, von denen die Bundesrepublik dann anschließend beschimpft würde, sei vor den Bürgern nicht zu verantworten. Alle anderen, außer ihm, seien zu feige, das alles offen zu sagen.“


Menschliches in Manila

Wer hätte das gedacht – der Kanzler hat recht behalten. Seine offene und ehrliche Art, sein unnachahmliches Geschick, mit ganzer Person nationale Notwendigkeiten zu verkörpern, wurde zum Leitmotiv der ganzen Veranstaltung dort drunten. Erfreulicherweise wurde sie eröffnet von einem weiteren offenen und ehrlichen Menschen, dem Staatspräsidenten Marcos, der noch nie zu der Lüge griff, er habe keine hunderttausend Kommunisten in seinem Land umgebracht, und der dementsprechend gleich eine herzliche Note hereinbrachte:

Marcos gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Delegierten »zunächst als Menschen und nicht in erster Linie als Delegierte dieses oder jenes Landes, dieser oder jener Interessengruppe, dieses oder jenes Gesellschaftssystems denken, fühlen und handeln mögen«.“

Diesem menschlich sauberen Stil konnte sich auch der amerikanische UNO-Botschafter Andrew Young nicht verschließen, der „am Freitag »hart und klar« auf die größer werdende Kluft zwischen reichen und armen Ländern hinwies“. Nachdem er „hart und klar“ klargemacht hatte, daß da die USA leider nicht viel tun könnten, wollte vor so viel Freimut auch Graf Lambsdorff nicht zurückbleiben und er hielt eine „freimütige Rede“ des Inhalts, daß die Armen schon selber schuld seien, weil sie eben nicht so viel exportieren würden wie die Reichen. Außerdem würde man ja noch jedesmal alles von ihnen kaufen, wenn sie ihre eigenen protektionistischen Schranken fallen ließen, denn Voraussetzung allen Weltfortschritts sei, daß die Geschäfte der Reichen mit dem Welthandel florierten, weil ohne sie die Armen erst recht nichts kriegen würden, im Gegenteil: wenn sie Schwierigkeiten machen, kriegen sie erst recht weniger. Und wem das zu kompliziert ist:

„Das Bundeskabinett hat sich kürzlich (damals, wo Helmut so sauer war) sehr ausführlich der Frage gewidmet, in welchem Umfange die Entwicklungshilfe meines Landes weiter erhöht werden kann ... Meine Regierung ist bemüht, einen seriösen und soliden Kurs zu steuern. Sie hält es für falsch, zu Finanzmethoden zu greifen, die unter anderem zu Inflationsschüben und zu unverantwortlicher Geldschöpfung beitragen könnten; das würde letztlich Erhöhungen an Hilfe wieder zunichte machen. Die Empfänger dieser Entwicklungshilfe legen mit Recht Wert auf Zahlungen in inflationsfreier Währung,“


Mildes Klima in Manila

Das ist zwar erstunken und erlogen, aber offen und ehrlich gesagt. Dies ist die Charakterwürde eines Mannes, der eine Phalanx wirklich guter Menschen hinter sich weiß – wer sonst hat eine solche Vielzahl unternehmungslustiger Unternehmer aufzuweisen, die bereit sind, aus Gründen ,,privater Entwicklungshilfe“ weite Reisen mit ihrem Geld in ferne Länder zu unternehmen? Da fängt doch die Entwicklungshilfe überhaupt erst an!

„Wir sehen Direktinvestitionen im Ausland nicht unter dem Gesichtspunkt »export of Jobs« und erfreulicherweise“ (dem Gott und dem Himmel sei Dank) „teilen auch die deutschen Gewerkschaften diesen Standpunkt weitgehend. Es ist dabei ein unnachahmlicher“ (= kann kein gewöhnlicher Mensch nachmachen) „Vorzug privater Investitionen, daß sich der Investor mit seinem“ (nicht drittel, nicht halben, nein) „ganzen Engagement hinter den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens stellt. Das ist eine starke Trieb(?)feder, die sich auch schon einige Entwicklungsländer zunutze gemacht haben.“

Aber Vorsicht, Achtung, aufgepaßt!

„Letztlich haben es also (also!) allem die Entwicklungsländer in der Hand, ob und in welchem Umfang ihr Land für Privatinvestitionen attraktiv“ (= anziehend, provoziert das Ausgezogenwerden) „ist.“

Dazu noch der kleine, aber wirkungsvolle Hinweis, daß die Ostler mit ihrer Entwicklungshilfe überhaupt ganz am Ende herumkrebsen, und die Herzen flogen ihm zu. Das waren Argumente, da schlackerten den Entwicklungsländern die symbolischen Ohren, und alle „bösen Anklagen“, die sie vorher auf Lager hatten, waren vergeben und vergessen:

„Schon bislang sei aber auf der UNCTAD deutlich geworden, daß das Klima zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern »nicht so aggressiv« und »nicht so spannungsgeladen« sei wie bei der letzten UNCTAD in Nairobi.“

Man muß dem Kanzler also recht geben: fährt er morgen ohne eine einzige müde Mark in den Taschen nach Manila, kommt er trotzdem reich beschenkt zurück und hat seinen persönlichen moralischen Erfolg gehabt. Denn Erfolg hat er, auch ohne dagewesen zu sein.

 

aus: MSZ 29 – Mai 1979

zurück zur Startseite