Ein Staatsbesuch I „Tonga (Ozeanien), Königreich Tonga; Kingdom of Tonga; »Freundschaftsinseln«
„Man empfing ihn (Cook) mit offenen Armen. Finau und Fersi, zween Könige, der eine von Tongatabu, der andere von einer benachbarten, noch nicht zuvor entdeckten Insel, gewannen ihre neuen Gäste so lieb, daß sie sichs angelegen sein ließen, ihnen den dortigen Aufenthalt auf alle mögliche Art zu versüßen. Sie konnten zwar ihre Untertanen nicht völlig umschaffen, und man hatte sich daher mehr als jemals vor ihren Diebereien zu hüten; ja, diese zogen eines Tages den Bedienten des Kapitäns, der ohne Begleitung spazierengegangen, nackend aus und ließen ihn in diesem Aufzuge zu seinen Kameraden laufen. Allein die Leutseligkeit, der gesellige und vertrauliche Charakter der meisten Einwohner machten diese kleinen Fehler wieder gut, und man wärmte sich an der Sonne, ohne über ihre Flecken zu klagen. Eine rühmliche Wißbegierde beseelte die beiden Könige. Sie erkundigten sich öfters sorgfältig nach den Sitten und nach der Religion der Fremden, und um ihnen diese Belehrung abzulocken, zeigten sie ihnen ihr ganzes Kriegsmanoeuvre sowohl als auch ihre gottesdienstlichen Gebräuche. Cock seinerseits befriedigte ihr Verlangen mit so umständlichen Erzählungen, als es seine Sprachkenntnis vergönnte; auch ließ er die sämtlichen Seesoldaten beider Schiffe, welche sich auf etwa dreißig Mann belaufen mochten, an einem schönen Tage mit fliegenden Fahnen durch alle Evolutionen gehen, einander angreifen, sich verteidigen und die Würkung des kleinen Schießgewehrs und des groben Geschützes zeigen. – Endlich beschenkte er diese königlichen Personen mit einem Stier, einer Kuh, einem Hengst und einer Stute. Diese Freigebigkeit schien sie außerordentlich gerührt und ihr ganzes Dankgefühl aufgefodert zu haben.“
Die Lektion hat gesessen, und eine immerwährende Freundschaft zu den Herren dieser Welt (sogar zu ihren überirdischen) ist zurückgeblieben. Der Tagespresse entnehmen wir: „Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Tonga standen im Mittelpunkt der Gespräche, die der König mit Carstens führte. Dabei erwies sich der Monarch (Frucht einer frühzeitigen Zivilisierung!) als profunder Kenner der älteren und jüngsten deutschen Geschichte, so daß Carstens dem Staatsgast vorschlug, »als Lehrer für deutsche Geschichte bei uns zu unterrichten«.“ (Süddeutsche Zeitung, 20.11.1979) Wie verlautet, soll der König dies nicht als Beleidigung aufgefaßt haben: „Auch die Besichtigungsführungen des Staatsgastes decken gelegentlich peinliche Mängel auf. Denn der Herrscher aus dem Süd-Pazifik kennt sich in der Bundesrepublik oft besser aus als seine Führer. So korrigierte er charmant lächelnd sogar Inge Schoeller, die Frau des Protokollchefs vom Auswärtigen Amt in Bonn: »Nein, Otto der Große, das muß der da drüben sein, nicht die Figur hier!«“ (Abendzeitung, 24./25.11.1979)
Von dem ,,früheren Interesse“ muß irgendwie was zurückgeblieben sein, hat sich doch die Art der Geschenke in den letzten 200 Jahren überhaupt nicht geändert: „Die Deutsch-Pazifische Gesellschaft, die von ihrem Hauptsitz München aus den Kontakt zu Tonga pflegt, machte sich erst kürzlich durch die Stiftung einer Schreibmaschine drüben beliebt.“ (Abendzeitung)
Wo solche Geschenke – i. e. die Kreditierung dieser paar Inseln, die sich der Westen leistet – (nicht) landen, ist auch heutzutage überhaupt kein Geheimnis: „Zwischen Im- und Exporten klafft eine millionenschwere Lücke, obwohl (?) das wachsende Volk (zehn bis zwölf Kinder pro Familie sind keine Seltenheit) höchst bescheiden lebt.“ (Abendzeitung)
Bleibt ein Rätsel: Der Fortschritt, was ist mit dem? Die Antwort: Abhängige Länder hält man sich heute eben auf moderne Art. Man muß keine Entdecker oder Korvetten mehr vorbeischicken, die Oberhäuptlinge kommen von selber zu uns, werden ihrerseits von den „zween Königen“ Carstens und Schmidt empfangen, die sie nicht etwa nackend ausziehen, sondern ihnen dicke Wintermäntel und einiges mehr schenken (der Landesfürst Franz-Josef ,,überreichte dem König ein Tenorhorn zum Aufbau einer Blaskapelle in Tonga“), nicht weil sie die notleidende deutsche Schreibmaschinenindustrie hilfreich unterstützen wollten – anno 1979 genießt die deutsche Weltmacht sich, wenn sie sich über solche exotischen Staatsgäste öffentlich lustig macht (der aufgeklärte deutsche Staatsmann beweist sich ja auch darin, daß er schon längst keinen „braunen Nadelstreifenanzug mit deutlich zu kurzen Hosenbeinen“ mehr trägt.) Man hat es wieder so weit gebracht in den internationalen Beziehungen, daß noch der hinterletzte Souverän sich hierzulande als Souverän bescheiden feiern lassen möchte und diese Anerkennung von allen Repräsentanten mit „großem Bahnhof“ erhält. Während er sich schmeicheln kann, sich in der Welt der großen Mächte auf einem eigens für ihn gefertigten Stuhl niederlassen zu dürfen, führt die gastgebende politische Nation an der Lächerlichkeit dieses Besuchs vor, daß sie wieder die ganze Welt zum Gegenstand des Interesses gemacht hat und differenziert mit sachverständiger Ironie zugleich zwischen exotischen kleinen Königen, großen Staatsmännern, die den Westen mit staunenden Augen entdecken und westlichen Regierungschefs, wo man ganz unter seinesgleichen ist. Wo Exoten von sich aus ihren Kotau vor der aufstrebenden Weltmacht machen, erübrigt sich wahrlich jedes kleine und grobe Geschütz wie noch zu Cooks Zeiten. Wenn das kein Fortschritt ist!
aus: MSZ 32 – Dezember 1979 |