ARGUMENTE für Tomberg

Eine materialistische Affäre


Die Übersiedlung des Professors Friedrich Tomberg von Westberlin nach Berlin (Hauptstadt der DDR) hat durch den Umstand für öffentliche Aufregung gesorgt, daß kurz vorher ein Major des Staatssicherheitsdienstes der DDR von Ostberlin in den „freien Teil“ der Stadt umgezogen war. Beiden Wechselgängern ist gemeinsam, daß sie ihre Möbel nicht mitnahmen. Während die Motive des Offiziers eindeutig geklärt sind, lassen sich im Fall Tomberg nur Vermutungen anstellen. Vielleicht ging er rüber, „weil die bürgerlichen Instanzen dem Marxisten im Namen der Freiheit die Institutionen und materiellen Mittel verwehren, die er zu einer gründlichen wissenschaftlichen Arbeit bedarf“ (Tomberg, Bürgerliche Wissenschaft, Ffm. 1973), vielleicht wollte er tatsächlich dem realen Sozialismus jene ,,detaillierte Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge und ihrer Gesetzlichkeit“ (a.a.O.) zuführen, die er in seiner „wissenschaftlichen Praxis“ gesammelt hatte. Stocksauer sind jedenfalls Tombergs Redaktionskollegen vom ARGUMENT, die zwar auch dem „realen Sozialismus in kritischer Solidarität“ gegenüberstehen, bei aller Kritik jedoch die Solidarität mit unserem Gemeinwesen nicht vergessen:

„Wir erklären, daß wir auch keinerlei Verständnis dafür hätten, marxistische Forschung und Lehre mit Spionagetätigkeit zu verbinden; wir hielten dies für dumm und falsch“ (ARGUMENT März/April 1979).

Weswegen sie sicherheitshalber gleich diese Erklärung zum Fall Tomberg abgeben und gleichzeitig treuherzig-solidarisch versichern:

„Solange keine handfesten Beweise vorgelegt werden, halten wir die Verdächtigung, Tomberg habe für den Staatssicherheitsdienst der DDR spioniert, für absolut unglaubwürdig.“


Heim ins Reich der Materie

Geschwant allerdings hatte ihnen schon seit geraumer Zeit etwas, weil sich Tomberg zumindest seit 1973 reichlich komisch verhielt:

„Seit Ende 1973 nahm Tomberg nur noch unregelmäßig, später überhaupt nicht mehr an den Redaktionssitzungen teil.“

Seine Begründung dafür ist die in solchen Fällen übliche: „Er begründete dies mit seinem schlechten Gesundheitszustand“ (der wohl auch dafür die Verantwortung trägt, daß er seine zurückgelassene Ehefrau mit dem Möbeltransport belasten wollte). Wenigstens besaß Tomberg noch den menschlichen Anstand, am „10.1.1979“ rechtzeitig „seinen Austritt aus der Redaktion“ zu erklären. In dieser hat er sich aber ohne Zweifel Verdienste erworben, indem er mit Herausgeber W.F. Haug eine ,,Haug-Tomberg-Debatte“ in die Geschichte der Arbeiterbewegung einbrachte („bekannt geworden und von anderen Autoren aufgegriffen“), die Haug Gelegenheit verschaffte, sich als demokratischer Sozialist zu profilieren („Das sozialistische Kollektiv“ – im Gegensatz wohl zum kollektivistischen Sozialismus – „braucht denkende Individuen und eine durch Einsicht vermittelte Verbindlichkeit“ statt jener verbindlichen Vermittlung, die Tomberg wohl schon damals vorgeschwebt sein muß.)

Auf jeden Fall:

„Soweit wir Friedrich Tomberg und seine Schriften kennen“ (das „soweit“ ist gut!), ,,schätzen wir ihn außerordentlich als Denker und engagierten Demokraten“.

Wie „engagiert“ Tomberg wirklich war, beginnt sich allerdings erst jetzt herauszustellen.

P.S.: Zur Aufhellung des Rätsels Tomberg hier unser Beitrag, den wir am Schluß seines zitierten Hauptwerks gefunden haben:

„Die Materie, der die Individuen nach einer gewissen Zeit ihres Lebens wieder anheimfallen, ist kein toter, plumper Stoff, sie ist vielmehr die Realität selbst, die als ganzes einen absoluten Vorrang vor allen ihren einzelnen Momenten innehat ... Wenn so der Staub beschaffen ist, aus dem die Menschen – nach einem geheiligten Wort – geworden sind und zu dem sie wieder werden sollen, so brauchen sie um ihrer Endlichkeit willen mit dem Schicksal nicht zu hadern.“

Kein Hader um Tombergs Schicksal also: er hat sich halt aus dem Staub gemacht.

 

aus: MSZ 29 – Mai 1979

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