„Manche Leute haben erwartet, die Volksrepublik China würde dem reaktionären Christdemokraten Strauß die kalte Schulter zeigen und den reaktionären Sozialdemokraten Schmidt später richtig an die Brust nehmen.“ (Kommunistische Volkszeitung, Nr. 3/ 1975) Das Gegenteil trat jedoch ein: „Neid frißt in des Kanzlers Brust ... Es mag diesen Regierungspolitikern – und Bundeskanzler Schmidt gehört dazu – nicht in den Kopf, welchen Rang das politische China Person und Besuch von Strauß zumißt.“ (Bayernkurier, Nr. 4/1975) Die übereinstimmende Einschätzung des Gipfeltreffens Mao-Strauß in zwei führenden Blättern der Opposition gegen die Schmidt-Regierung ist nicht zufällig: ihr voraus ging eine gemeinsame Redaktionskonferenz der Zentralorgane von CSU, KBW und KPD. Wie wir erfahren haben, wurden auf einer Klausurtagung von Redakteuren des Bayernkurier, der Kommunistischen Volkszeitung und der Roten Fahne die innen- und außenpolitischen Lehren der Strauß-Visite ausgewertet. Als Ergebnis wurde die Veröffentlichung eines gemeinsamen Communiques der Blätter vereinbart. Obwohl in der Bewertung des Besuchs, der Frontstellung gegen die „Kremlzaren“ und gegen die Bundesregierung weitgehende Übereinstimmung über „alle ideologischen Differenzen“ hinweg festgestellt wurde, gab man den Gedanken auf, W. Horlacher, J. Schmierer und C. Semler mit der Formulierung zu beauftragen. Stattdessen wurde ein gemeinsamer Stab eingesetzt, der aus den Artikeln im Bayernkurier Nr. 3 und 4/1975, in der KVZ Nr. 2 und 3/1975 und in der Roten Fahne Nr. 3/1975 einen gemeinsam vertretbaren Text zusammenstellen sollte. Die MSZ ist stolz, als erste Zeitung in der BRD und Westberlin das Ergebnis dieser Arbeit veröffentlichen zu dürfen.

(Der gesamte Text nachfolgenden Artikels besteht Satz für Satz, inklusive der Überschriften – aus Stücken der Artikel der angeführten Nummern der Parteiorgane. Der gemeinsame Redaktionsstab hat darauf verzichtet, die jeweilige Quelle zu kennzeichnen. Für den Rätselfreund: siehe Auflösung unten)

 

STRAUSS IN PEKING


VR China unterstützt legitime Interessen der deutschen Nation

Die Einladung an Strauß ist Ausdruck dieser Politik

Eine Reise wie jede andere? Wer in diesen Tagen Franz Josef Strauß durch China begleitet, weiß, daß dem nicht so ist. Wer erlebt hat, wie diese beiden Männer aufeinander zugingen und sich die Hand reichten, der wird diesen Augenblick nicht vergessen. Die VR China lädt Strauß vor allem ein, um ihn kennen zu lernen, weil er der Vertreter einer wichtigen Strömung der westdeutschen Bourgeoisie ist und als einer der Führer der parlamentarischen Opposition großen politischen Einfluß besitzt und unter Umständen Kanzler werden kann.

Kein deutscher Besucher bisher und kein Echo darauf lassen sich, soweit man den Gang der Dinge bisher verfolgen kann, mit der Reise von Strauß nach Peking vergleichen. Das begann schon mit der von Moskau gesteuerten Propagandakampagne: „Wer der Illusion nachjagt, er könne die »chinesische Karte ausspielen«, kann sich sehr leicht verrechnen.“ So schreibt der sowjetrussische Kommentator Sergej Guh in einem Kommentar zu dem Strauß-Besuch in der Volksrepublik China. Dies ist an die Adresse von Strauß gerichtet.

Weshalb die sowjetische Erregung? Die Erregung ist einfach Weil das kommunistische China sich nicht mehr dem Diktat des Kreml beugen will. Weil es nicht bereit ist, die Rolle eines asiatischen Prag zu spielen. Weshalb darf ein führender deutscher Politiker nicht China besuchen? Muß er zuvor erst im Kreml um Bewilligung nachfragen?

Über die Motive dieses Herrn herrscht aber weder bei den chinesischen Genossen noch bei der Arbeiterklasse unseres Landes Zweifel: Strauß ist alles andere als ein Kommunist. Daraus hat er auch in China kein Hehl gemacht. Dies immer besser zu lernen, ist die Absicht der VR China bei jeder Einladung an einen bürgerlichen Politiker. Gleichzeitig lernen durch eine solche Einladung auch die bürgerlichen Politiker die VR China kennen. Auch das ist gut. Sie lernen, daß die VR China ein Land ist, das sich vollkommen von ihrem eigenen Land unterscheidet. Aber zwei Dinge müssen ihn (Strauß) am meisten bewegen:

die Entschlossenheit Chinas das Errungene zu verteidigen und damit verbunden, das chinesische Unverständnis für die Feigheit Westeuropas, sich seinem Schicksal zu stellen. Strauß hat in diesen Tagen viel gesehen, was ihn sehr beeindruckte: Industrielle Leistung, nicht selten aus dem Nichts.

Ohne Zweifel hat die Entwicklung der letzten 25 Jahre in China unerträgliche Privilegien beseitigt und das Leben der bis dahin in großer Armut dahinvegetierenden Massen des Volkes sichtbar verbessert. Daß die bürgerlichen Politiker wissen, daß China, obwohl ein saftiges Stück Fleisch, für sie nicht zu ergattern ist, ist wichtig.

Zwischen der sozialistischen VR China und Franz Josef Strauß als Vertreter der westdeutschen Bourgeoise gibt es keine Gemeinschaft. Es gibt aber Übereinstimmung in engbegrenzten Punkten. Tschu En-lai selbst findet es unverständlich, daß deutsche Marxisten es wagen, unter Moskaus Druck von zwei deutschen Nationen zu reden, für ihn bleibt Königsberg noch immer Königsberg und wird nicht Kaliningrad; und das unterscheidet ihn von so manchem auch unserer sogenannten Freunde, weshalb aller Grund vorhanden ist, wie Strauß es auch tat, der chinesischen Seite für die moralische Unterstützung unseres Rechtsstandpunktes zu danken, auch wenn sich damit in absehbarer Zeit nichts an der deutschen Lage ändern wird: Das Ärgernis besteht darin, daß das westdeutsche Volk gegenwärtig noch von Ausbeutern und Unterdrückern nach außen vertreten wird, und das kann bloß im eigenen Land abgestellt werden. In unserem Lande ist die revolutionäre Bewegung schwach und manchmal kleinlich.


Denken in weltpolitischen Zusammenhängen

Verurteilen konnte den Empfang aber nur, wer die heutige Weltlage durch „Entspannung“ gekennzeichnet sieht – und verdecken will, daß in Wirklichkeit die Zusammenarbeit und das  Ringen  der beiden imperialistischen Supermächte USA und UdSSR um Weltherrschaft die Unabhängigkeit und Freiheit von Staaten und Nationen bedroht. Die VR China ist der Auffassung, daß die „Entspannung“ der Supermächte und ihre „Abrüstung“ ein großer Schwindel sind, daß sich in Wirklichkeit ihre Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Welt und vor allem über Europa verschärft, daß dem gegenüber eine große Selbständigkeit der Länder Europas zu begrüßen ist und daß diese große Selbständigkeit nur durch einen Zusammenschluß der westeuropäischen Länder erreichbar ist. Ein leidenschaftlicher Europäer konnte diesen Standpunkt nur teilen: Strauß nennt die „Entspannung“ in Europa offen einen Schwindel. Ein politisch und militärisch geeignetes Westeuropa hingegen, bände die Sowjetunion, dämpfte ihren aus der Situation ihres pervertierten Systems heraus zu erklärenden Hegemonialdrang, schwächte den Druck, der auf Chinas Westflanke lastet. Die sowjetischen Sozialimperialisten im Besitz Europas – das Ringen um die Weltherrschaft wäre zu ihren Gunsten entschieden! Als Kommunisten ebenso wie als Chinesen verurteilen die Pekinger Führer diesen Aggressionstrieb.


Neid frißt in des Kanzlers Brust

Der Kanzler Schmidt ließ sich vor Wochenfrist noch im „Spiegel“ und durch Rudolf Augstein als den kommenden Mann der Weltdiplomatie feiern. Inzwischen läßt er seinen Pressesprecher öffentlich nachdenken, welche besonderen Ehrungen für ihn, bedeutendes Diplomatenwunder, denn beim geplanten Chinabesuch noch möglich sind. Daß Schmidts Reisepläne in Richtung Peking ins Wanken gekommen sind, daß offen darüber lamentiert wird, warum denn sogar Mao habe Strauß empfangen müssen, daß festgestellt wird, auch Schmidt könne es darunter nun nicht mehr tun – all dies zeigt, wie der Wurm des Neides in der Brust des Kanzlers frißt. Jetzt weiß man, daß der Pfau aus Hamburg in verletzter Eitelkeit zu jeder Dummheit fähig ist.

„Die sich häufenden Rehabilitierungen von Parteikadern, die im Verlauf der Kulturrevolution als »Agenten der Bourgeosie« ihrer Funktionen entkleidet wurden, ist Indiz dafür, daß die schwarze Linie wieder ihre Spur in die chinesische Gesellschaft zieht.“ (MSZ Nr. 1/1974)

„Mit der Neubildung des Parlamentspräsidiums und der Regierung sind die vor fast zehn Jahren durch die Kulturrevolution entstandenen Vakanzen wieder besetzt worden. Damit findet der Rehabilitierungsprozeß, der nach den IX. Parteitag im April 1969 begonnen hatte, seinen äußeren und weithin sichtbaren Abschluß.“
(Süddeutsche Zeitung vom 10. 1. 1975)

Warum Mao mit Strauß gesprochen hat

Wenn die VR China Strauß einlädt und Strauß dieser Einladung folgt dann haben beide Seiten verschiedene Absichten und Interessen. Die Hofsänger der CDU-Presse, SPD-Schreiberlinge und die DKP-Revisionisten machen daraus eine gemeinsame politische Grundhaltung zwischen Herrn Strauß und den chinesischen Genossen. Wie lächerlich! Strauß, der als Kommunistenfresser und offener Reaktionär klar gekennzeichnet ist, gibt sich froh und glücklich, daß er von einer revolutionären Macht überhaupt wahrgenommen wird. Das spiegelt eine Veränderung des Kräfteverhältniss wieder. Er hat sich nicht angebiedert, wie andere es anderswo für ein paar Tage allzugerne tun. Er hat nichts gesagt, was nicht aus seiner Politik der Alternative hervorginge, die er stets kompromißlos vertreten hat und vertritt, im Bundestag, wie im letzten Wahlkampf, in Interviews zuhause ebenso wie im großen Gespräch draußen. China hat diesen deutschen Politiker aufmerksam verfolgt. Manche Leute haben erwartet, die Volksrepublik China würde dem reaktionären Christdemokraten die kalte Schulter zeigen. Wer so denkt, erwartet von der Volksrepublik China etwas Merkwürdiges. Nicht erstaunlich, daß bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologen darob aufheulen und überall versuchen, Verwirrung zu stiften. Heftige Auswirkungen auch unter den „Linken“.


Fataler Gleichklang bei den Unzufriedenen

Der Gleichklang der Seelen ist ebenso auffällig wie fatal: Die Chinesischen Führer und Strauß: das Denken in geschichtlichen Kategorien verbände sie – wenn alles andere sie auch trennen würde – wie das Schicksal ihrer Völker. Die VR China macht Politik, aber sie wird nicht zum Spielball der Politik fremder Mächte und läßt sich dazu nicht machen. Deshalb ist Strauß auch der Mann, der für diesen freien Teil des gespaltenen, gewaltsamen von Moskau geteilten Deutschlands zur Symbolfigur des Widerstands gegen eine geschichtslose, leichtfertige und gedankenlose Politik des Nachgebens von Jahr zu Jahr mehr und mit wachsendem Erfolg geworden ist. Weil er nicht bereit ist, den Begriff der Nation schäbig zu opfern. Für diese Haltung haben die Chinesen volles Verständnis. Die begrenzte Übereinstimmung mit den europäischen imperialistischen Ländern auszunutzen, um den Imperialismus insgesamt und vor allem die beiden Supermächte zu schwächen, das ist die Außenpolitik der VR China gegenüber Europa. In einem aber sind sich die chinesischen Führer und Strauß einig: daß die Sicherung des Friedens, die Notwendigkeit seiner Erhaltung – dies ging aus allen Gesprächen hervor – keinesfalls zu Lasten ihrer Unabhängigkeit erfolgen dürfe. Das ist auch der Sinn der Einladung an Strauß und andere westdeutsche Politiker.


Reise mit Hintergrund

Wie ein roter Faden zog sich durch alle Gespräche zwischen Strauß und den chinesischen Führern die gemeinsame Erkenntnis, daß das letzte Viertel unseres Jahrhunderts unruhiger sein wird, als die vorhergehenden 25 Jahre. Was gestern noch galt hat heute keine Gültigkeit mehr, über die Stufen der Pekinger Treppe führte so der Weg von Strauß bis dorthin, wo Mao und Tschu-En-lai standen.
Diese Änderung ist unerfreulich für alle Reaktionäre und erfreulich für alle Revolutionäre.

Copyright für BRD und Westberlin by MSZ, München
Internationale Rechte by Guozi Shudian, Peking

Auflösung:

Rote Fahne (RF)
Bayernkurier (BK)
Kommunistische Volkszeitung (KVZ)

Von „eine“ bis „vergessen“: BK. Die-kann: KVZ. Kein-Propagandakampagne: BK. Wer-gerichtet: KVZ. Die-nachfragen: BK. Über-Zweifel: RF. Strauß-gemacht: BK. Dies-unterschei-det: KVZ. Aber-verbessert: BK. Daß-wichtig: KVZ. Zwischen-Punkten: KVZ. Tschu-wird: BK. Das-kleinlich: KVZ. Zwischentitel: BK. Verurteilen-bedroht; RR Die-ist: KVZ. Ein-teilen: BK. Strauß-Schwindel: RF. Ein-lastet: BK. Die-entschieden: RF. Als-Agressionstrieb: BK. Zwischentitel: EK. Der-sind: KVZ. Daß-frißt: BK. Jetzt-ist: KVZ. Zwischentitel: BK. Wenn-Interessen: KVZ. Die-lächerlich: RF. Strauß-wieder: KVZ. Er-verfolgt: BK. Manche-„Linken“: KVZ. Zwischentitel: BK. Der-Völker: BK. Die-machen: KVZ. Deshalb-Verständnis: BK. Die-Europa: KVZ. In-dürfe: BK. Das-Politiker: KVZ. Zwischentitel: BK. Wie-standen: BK. Diese-Revolutionäre: KVZ.

 

aus: MSZ 3 – Februar 1975

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