Strauß im Norden
Neu auch nicht die alten Fehler, die in Gestalt der aufkommenden ,,Stoppt-Strauß-Bewegung“ landauf, landab für Aufsehen sorgen. Man ist gegen Strauß, aber a) indem dieser Protest so tut, als ob’s am Abblocken des Strauß läg, setzt er noch jedesmal auf das kleinere Übel, das seine Fischermütze fest in die Stirn zieht und ein kleines Grinsen nicht unterdrückt, denn so eine Anti-Strauß-Kampagne will den einzigen Schluß – der sich mit der eigenen Schwäche und der unverhüllten Drohung = Macht des Politikers geradezu aufdrängt – nicht ziehen, nämlich daß b) Strauß also mit all seinen Ornamenten auftreten kann, weil seine Basis an ihm die Eigenschaften schätzt, die noch jeden erfolgreichen demokratischen Politiker ausmachen. Dieser nicht unbeträchtliche Teil erweitert sich noch um diejenigen auf ca. 90 %, die Strauß zwar nicht wählen würden, ihm aber ansonsten ein grundsätzlich politiktreues und dementsprechend menschliches Verhalten attestieren: SPD-Scherff in Bremen: „Ein Gangsterboß!“ Der begeisterte Beifall, den ihnen ihre jeweiligen Anhänger spenden, klingt ihnen angenehm in den Ohren und beruhigt sie dahingehend, daß die erregten Massen ihr Spiel mitspielen.
Umgekehrt ist der Streit natürlich keine Auseinandersetzung dieser Politiker untereinander, sondern zielt offen und unverschämt darauf ab, dadurch möglichst viel Stimmen für die eigene Seite abzusahnen. Ihre ganze Sorge ist also, wie sie einerseits heftiges Kampfgetümmel und entschieden konträre Positionen wegen des Stimmenfangs glaubhaft machen können, andererseits aber nicht die Gemeinsamkeit der Repräsentanten, die ja schließlich über dem Volk stehen und allerhand mit ihm anstellen wollen, leichtfertig dadurch aufs Spiel zu setzen, daß sie es zu mangelnder Ehrfurcht vor den Politikern animieren. Der beruhigende Hinweis des CDU-Neumann an die SPD, „das Klima zwischen den Spitzenpolitikern braucht keineswegs zu leiden“, und das gemeinsame Streben nach einem Wahlfairnessabkommen ist also genausowenig ein Widerspruch zu ihren diffamierenden Äußerungen über den jeweils anderen, wie die Tatsache, daß sie sich nach ihren Wahlkampfreden einträchtig in irgendeinem Bierkeller treffen und ihre Urlaubspläne besprechen (so berichtet von den drei Bremer Spitzenkandidaten zur Landtagswahl).
An den Manövern der SPD war genau zu studieren, wie man so was macht. Zur Empörung über die Äußerungen des „Herrn Strauß“ gehört selbstverständlich der Angriff auf die Strauß-Gegner: „Wer sich von undemokratischen Krawallmachern provozieren läßt, zeigt einen bedenklichen Mangel an Selbstkontrolle, spitzt die Auseinandersetzung unnötig zu.“ Demokratisch ist nur, wer seine Gegnerschaft auf den politischen Opponenten des Herrn Strauß überträgt, sich eben stell vertreten läßt; unbeherrscht ist derjenige, der durch unnötiges Anheizen die Übertragung gefährdet, statt den Leuten die Gewißheit zu geben, daß sie im Schoß ihrer Repräsentanten bestens aufgehoben ist. In der Wahl darf man dann zeigen, ob's gefallen hat, sich ansonsten aber nicht einmischen. Dem Bemühen, die ,,Strauß- Krawalle“ in Stimmen für sich umzumünzen, also das Doppelanliegen – Bestätigung, daß die Politik eine abgehobene Sphäre ist, in der nur Repräsentanten was zu sagen haben, und die Bürger sich höchstens eine respektvolle Meinung dazu halten dürfen, sowie eigene Wiederwahl – in einem Aufwasch zu verfolgen, diente denn auch das Abhalten einer Parallelveranstaltung zur Strauß-Veranstaltung durch die SPD-Bremen: den versammelten Massen wurde ausgiebig Gelegenheit gegeben, ihr nutzloses Herumstehen vor dem christlichen Wahllokal in produktives staatsbürgerliches Argumentieren im SPD-Lokal zu überführen. Woraufhin sich alle besser fühlten – insbesondere die zahlreich versammelte Polizei, in deren Reihen „Gewerkschaftler ihren Dienst tun, die Strauß nicht nach Bremen geholt haben“ (SPD-Aufruf). Das gleich noch mit dem laufenden Wahlkampf zu verknüpfen und den politischen Gegner als eigentlichen Krawallmacher anzuprangern, leistet der nächste Satz: „Dieser (Sieg!) zweifelhafte Verdienst gebührt vielmehr dem CDU-»Spitzen«kandidaten Neumann.“
Kongenial den Anstrengungen der Politiker ist die Einstellung der Strauß-Gegner. Sie lachen nicht laut, wenn ihnen die „mangelnde Selbstkontrolle“ ihres Protests mit dem Argument „Eier sind keine Argumente!“ vorgehalten wird, weisen nicht lässig darauf hin, daß sie jene auch nicht als solche aufgefaßt hatten bzw. noch niemand ein sprechendes Ei gesehen hat – sondern lassen sich nachdenklich stimmen. Tatsächlich gehen sie sofort auf die Überlegung ein, ob man denn so einem deutschen Politiker – egal, was man gegen ihn hat – entgegentreten darf, ob man denn damit nicht die Bahnen der gesitteten politischen Auseinandersetzung verläßt, ob man denn damit nicht eigentlich überhaupt den demokratischen Konsens, also unser demokratisches Gemeinwesen gefährde. Und um dieses war es ihnen doch gegangen, oder? Prompt geben die Strauß-Gegner zu erkennen, daß sie natürlich nicht im Traum daran dachten, in ihrem Protest so weit gehen zu wollen, in Strauß den Politiker anzugreifen. Jedermann ist klar, auch weil sich die Repräsentanten so offen zueinander bekennen, daß Strauß und Schmidt natürlich dasselbe wollen, doch den kritischen Demokraten pocht laut ihr politisches Gewissen, ob der Bayer der richtige Repräsentant für unseren Staat ist. Nationalistisch ist die Argumentation, die bei einer Wahl Strauß eine „Schädigung deutschen Ansehens in der Welt“ befürchtet – wofür man ansonsten den rüden Umgangston der Politiker sehr wohl zu würdigen weiß. Beispielhaft hierfür die Beschwerde des (demokratisch gewählten?) „Leiters des Deutschen Pool Billard-Archivs“, der von Strauß Ungeschicklichkeit im internationalen Karambolage befürchtet und ihm den erschütternden Vorwurf macht, die internationalen Kugeln statt in die Löcher in die Luft jagen zu wollen:
Nicht nur aus der Sicht des nationalen Lochsports ist für Pfeffer in der nächsten Wahl gesorgt. Die allgemeine Lahmheit, die die Nation angesichts der Alternative Schmidt-Kohl beschlichen hat, wird so richtig beiseite gefegt, durch die Aussicht, sich wieder ordentlich um die persönlichen Vor- und Nachteile der Kandidaten aufregen zu können. Daß der Kohl dasselbe wie der Schmidt will, und der Schmidt dasselbe wie der Strauß, und der Strauß dasselbe wie der Kohl, ist doch dabei wirklich eine Frage von zweitrangiger Bedeutung. Die Gemeinsamkeit der Staatsmänner dem Volk als Unterschiede hinzustellen, an denen es sich abarbeiten kann, ist eben eine Kunst, die nur gelingen will, wenn das Volk scharf auf solche Unterschiede ist.
„Ähnlich wie Strauß wird sich zunächst (!) auch Heinz-Oskar Vetter aus den eigenen Reihen den Vorwurf des Opportunismus anhören müssen. Viele werden seine Freundlichkeiten (!) von München als unverzeihliche Anbiederung empfinden. – Mit Abstand betrachtet kann man an diesem Vorgang jedoch erkennen, daß nicht nur das vordergründige Freund-Feind-Raster, sondern auch eine beträchtliche Fähigkeit zum politischen (!) Arrangement (!) die Realität dieses Landes ausmachen.“ (Süddeutsche Zeitung)
aus: MSZ 31 – Oktober 1979 |