Der Stahlstreik Arbeitskampf als sozialpolitisches Manöver
„Wir lassen uns bei allen Überlegungen von der Erhaltung des sozialen Friedens in unserem Lande leiten. Dafür haben unsere Mitglieder bewiesen, daß sie bereit sind, Opfer zu erbringen.“ Eugen Loderer, Vorsitzender der IG Metall Nach 50 Jahren ist in der Stahlindustrie erstmals wieder gestreikt worden. Kein Grund zur Panik, meinte der Kanzler in seiner Neujahrsansprache, keine Arbeitskämpfe gäb's nur in totalitären Staaten, womit er – leicht säuerlich – ausdrucken wollte, daß hierzulande totalitäre Maßnahmen gegen den Klassenkampf unangebracht sind, solange die Gewerkschaften verantwortungsbewußt nicht gegen das Kapital kämpfen, sondern für den sozialen Frieden, was man schon an den Forderungen merken kann und erst recht am Ergebnis. Das geben sogar die Stahlkapitalisten zu, die von einem Resultat sprechen, das an der Grenze des Erträglichen liege, was wohl nur heißen kann, den Profit nicht ankratzt. In der Öffentlichkeit, zumindest soweit sie sich in den Medien artikuliert, war der Streik trotz allem unpopulär. Der Witz an der Arbeitskampfschelte liegt nun darin, daß sie einfach das Ergebnis mit der Ausgangslage vergleicht und fragt: Wozu das Ganze. Darin liegt nun keine Sympathie für die Stahlwerker, denen der Ausstand außer kalten Füßen und weniger Geld nichts eingebracht hat, sondern die Schelte für eine Gewerkschaft, die meinte, ihre eingeplante Kapitulation unbedingt kämpferisch abwickeln zu müssen. Nachfolgende Analyse rollt den Streik von hinten her auf, weil dadurch am deutlichsten rauskommt, was er von vornherein war und was er auf keinen Fall sein sollte.
Die IG Metall hat sich voll an ihr Versprechen gehalten, sich nicht länger mit Lappalien wie dem Lohn der Stahlarbeiter aufzuhalten. Dies hat sie offensiv begründet. „Die Gewerkschaften sind keine Lohnmaschine!“ sprach Loderer und erklärte, daß künftig Höheres Ziel gewerkschaftlicher Aktivität zu sein habe. In der ruhigen Gewißheit, daß sein Gehalt allemal stimmt, forderte er 5 %, von denen er sich gleich noch 1 % abhandeln ließ, weil es eh nicht mehr darauf ankommt, wie hoch der Reallohnverzicht ist, wenn es um anderes geht als Banalitäten wie Lohn. Durch die Verlängerung der Laufzeit des Tarifvertrags auf 15 Monate ist man dem Unternehmerangebot von 3 % auf 12 Monate nicht nur entgegengekommen, man hat ihnen zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, drei Monate länger aus der Arbeitskraft das Optimale herauszuholen, ohne daß diese sich zur Wehr setzen kann: Friedenspflicht nennt man das. Eine in der Gewerkschaftsbewegung hingegen einmalige Leistung hat die IG Metall bei der Urlaubsregelung vollbracht. Sie hat es verstanden, das ursprüngliche Unternehmerangebot von 6 Wochen für alle sofort dahingehend zu unterbieten, daß es die 6 Wochen jetzt erst ab 1982 geben wird. Die Laufzeit dieser Abmachung – 3, wahrscheinlich jedoch 4 Jahre – ermöglicht es den Unternehmern, ohne Rückseiht auf mögliche Abwehrmaßnahmen der Arbeiter mit einer eingekauften, vertraglich verpflichteten Arbeitskraftmasse zu kalkulieren. Eine weitere, in der Gewerkschaftsgeschichte wohl einmalige Leistung, kann die IG Metall für sich verbuchen: was ihre zentrale Forderung nach Arbeitszeitverkürzung betrifft, hat sie vom Resultat her nur ca. 60 % all derer erfaßt, deren Interessen sie zu vertreten beansprucht und die sie dafür zur Kasse bittet. Natürlich ist ein Stahlwerker nicht gleich einem Stahlwerker: „Bei uns“, sagt Loderer, „herrscht Pluralismus.“ und leitet daraus das unverfrorene Urteil ab, daß die Hüttenarbeiter, die nicht im mörderischsten aller Schichtsysteme, der Conti-Schicht bzw. dem Drei-Schicht-System, arbeiten oder unter 50 sind, nicht betroffen sind und getrost auf jede Arbeitszeitverkürzung verzichten können. Die jetzt ausgehandelte Regelung gilt nämlich nicht für Arbeiter, die nur (!) im Zwei-Schicht-System arbeiten und erst (!) 49 Jahre auf dem Buckel haben.
daß irgendein Arbeiter 1982 theoretisch nur 39 Stunden arbeiten muß!
Es ist erstaunlich, über welch taktische Genies die „größte Einzelgewerkschaft der freien Welt“ in ihren Chefetagen verfügt: da muß man schon draufkommen, kurz vor Weihnachten in den Ausstand zu treten, also in einem Zeitraum, wo der Blick auf den Kalender zeigt, daß da eine ganze Reihe von Tagen anfallen, die arbeitsfrei sind, bzw. die Kapitalisten einiges an Zuschlägen kosten, wenn sie trotzdem den Ofen dampfen lassen wollen. War es eine Spende der IG Metall an die notleidende Industrie, die Feiertage aus der Gewerkschaftskasse bezahlen zu lassen? Man ist fast geneigt, es zu glauben, wenn man bedenkt, daß in den montanmitbestimmten Stahlkontoren 50 % Arbeitnehmervertreter sitzen und sogar ein Drittel der Verhandlungsdelegation von „Eisen & Stahl“ von Arbeitsdirektoren gestellt wurde. In der „Bilanz“ des ZDF frohlockte IGM-Delegationsleiter Kurt Herb: „Die Härte, mit der dieser Arbeitskampf von der Unternehmerseite geführt wurde, beweist schlagend (!), daß an den Arbeitgeberargumenten gegen die Mitbestimmung nichts dran ist!“ Eine herbe Freude, in der Tat! Peinlich für die IG Metall ist lediglich der Umstand, von den Gazetten weidlich ausgeschlachtet, daß sie mitten im Arbeitskampf, normalerweise der manifeste Gipfel gewerkschaftlicher Solidarität, in Konflikt mit der Basis geriet, die sich bei aller Solidarität nicht mit einem Schlichtungsergebnis abfinden wollte, das bei näherem Hinsehen materialiter hinter das Arbeitgeberangebot, das zum Streik führte, zurückgefallen wäre. Es war einer der makabersten Scherze dieses Arbeitskampfs, daß Kurt Herb dem zerzausten Schlichter Farthmann (auch das endgültige Ergebnis trägt laut Loderer seine Handschrift) zugestimmt hatte, ehe er selbst der Großen Tarifkommission die Ablehnung des Schlichterspruchs empfahl. Herbs Gesinnungswandel kam nämlich nicht dadurch zustande, daß ihm 5 Stunden nach der Verhandlung und einer Mütze voll Schlaf der Gedanke gekommen wäre, das Ergebnis sei nun doch nicht das Gelbe vom Ei. Herb, nebenberuflich Aufsichtsratsmitglied, hatte mit seiner Zustimmung lediglich einen Versuchsballon aufsteigen lassen: war die „Basis“ schon durch die Streikdauer und den öffentlichen Druck weich genug, den Ausstand abzublasen oder mußte noch ein bißchen Kampf sein. Daneben hatte seine Konzilianz dem Schlichter gegenüber den Effekt, diesen nicht vorzeitig zu „verschleißen“, handelte es sich doch immerhin um den geschätzten Parteigenossen Arbeitsminister. Ferner wollte er auf jeden Fall ein Signal gesetzt wissen, daß es nun wirklich langsam zu Ende gehen müsse mit „der Plünderung der Gewerkschaftskasse“, durch die zahlenden Mitglieder. Deren Vertreter in der Tarifkommission gaben ihm taktisch zu bedenken, daß ein Ergebnis, von dessen Früchten 50 % aller Mitglieder nichts haben, eine sichere Garantie für eine mehrheitliche Ablehnung in der Urabstimmung darstelle. Mit diesem Resultat mochte dann schließlich doch keiner „vor die Kollegen treten“. Das Endergebnis, bei dem nur 40 % der Kollegen leer ausgehen, reflektiert auch im Nein-Stimmen-Resultat der Urabstimmung, nur meint die IGM, mit der besseren Optik einer Mehrheit für Ja besser auszusehen. Das mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Ritual, den Streik zu Beginn auf Schwerpunktbetriebe zu beschränken und dann die Reaktion der Kapitalseite – Aussperrung – herzunehmen, um unter der Hand das Streikziel in eine Abwehr der „menschenrechtswidrigen Aussperrung“ zu verkehren, wurde auch diesmal bis zum Erbrechen praktiziert. Das Saudumme an dieser ach so trickreichen Taktik zur Schonung der Gewerkschaftskasse liegt auf der Hand: zum einen schont es die Kasse überhaupt nicht, weil auch an die Ausgesperrten Streikgelder gezahlt werden müssen; zum anderen bringt es das Kapital voll in die Offensive, das selbst entscheiden kann, wo die Produktion weitergeht und wo nicht.
Die IGM ging zu keinem Zeitpunkt mit dem Ziel in die Tarifrunde, irgend eine müde Mark oder real weniger Arbeitszeit für ihre Mitglieder herauszuholen. Vielmehr wollte sie mit einem eigenen Beitrag in der sozial- und wirtschaftspolitischen Diskussion am Ball bleiben. Weil ihr Programm gegen „die Ausuferung der Arbeitslosigkeit“ konstruktiv sein sollte, war sein erstes Prinzip: Nur keine Gefährdung der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Die 35-Stunden-Woche wurde als „Jahrhundert-Forderung“ propagiert, wobei der Appell ans Säkulare keineswegs als Großsprecherei angelegt war, vielmehr in bescheidenem Realismus die Marge bis zur Realisierung der Forderung absteckte: der 31.12.2000! Des weiteren fügte die IGM noch hinzu, daß der „Einstieg in die 35-Stunden-Woche“ keineswegs einen Eingriff in die 8-Stunden-Schicht impliziere, weil keineswegs beabsichtigt sei, den „technischen Notwendigkeiten“ der Hochöfen in die Quere zu kommen. (Während jede Hausfrau weiß, daß das Ausgehenlassen des Ofens lediglich eine Kostenfrage ist, akzeptiert die IGM das Unternehmerargument, der Ofen dürfe nie ausgehen!) Die Einstiegsforderung war also bestenfalls eine ins 1750-Stunden-Jahr, wie unser Rechenschieber herausgefunden hat.
Weil die IGM also ihre nationale Pflicht ernst genommen hat, sind auch alle Kommentare, sie hätte mit dem Einstieg in die 35-Stundenwoche den Bogen mit ihren Prinzipienreitereien überspannt, billige Polemik. Alles, was die IGM tatsächlich „durchsetzt“ (d.h. ihren Mitgliedern zumutet), findet nämlich längst den ungeteilten Beifall aller Interessierten. „Pfui“ wird nur aus einem Grund geschrieen: es stört, daß selbst eine Tarifrunde, bei der für die Arbeiter nichts herausspringt, noch mit Kampf verbunden ist. Man empört sich darüber, daß eine im Grunde so vernünftige Gewerkschaft immer noch „sozialpolitische Illusionen“ verbreitet, um mit ihren Leuten fertigzuwerden. Man schimpft auf die IG Metall, weil sie um ihres eigenen politischen Gewichts willen noch so tut, als ob sie für die Arbeiter und gegen die Wirtschaft wäre! Auch der Vorwurf der „Konzeptionslosigkeit“ erweist sich als gegenstandslos angesichts der Tatsache, daß die IGM es 1. geschafft hat, die Stahlarbeiter vor ihr Jahrhundertprogramm der 35-Stundenwoche zu spannen, 2. den damit bezweckten „Denkprozeß“ ohne größere Ausfälle über 6 Wochen in Gang halten konnte und 3. am Schluß ein Ergebnis präsentieren kann, mit dem sie mehr oder weniger glaubhaft – aber auf jeden Fall noch als Garant des sozialen Friedens – behaupten kann, ein „Traumziel“ erreicht zu haben. Soweit zur öffentlichen Kritik an der „Prinzipienreiterei“ der IGM, die kein Verständnis dafür zu zeigen bereit ist, vor welche Schwierigkeiten das Wachstum der Wirtschaft gerade die IGM gestellt hat, und ihr schadenfroh den schwarzen Peter zuschiebt.
Stellvertretend für die deutsche Wirtschaft hat eine Branche mit allen in ihr wirkenden „Sozialpartnern“ einen Arbeitskampf erfolgreich absolviert: die IGM hat durch die bloße Tatsache, daß gestreikt worden ist und noch dazu so lange, bewiesen, wie stark sie ist, und durch das Ergebnis, zu dem sie abschloß, unter Beweis gestellt, daß sie zuallererst eine deutsche Gewerkschaft ist, d.h. für Demokratie, sozialen Frieden und wirtschaftliche Vernunft zu jedem Opfer ihrer Mitglieder bereit. Die Gewerkschaftsbücher, die in diesen Tagen bei der Zentrale eingehen, schluckt ungerührt der Reißwolf, während der Kassier längst den Druckauftrag für die Mahnungen zu erhöhter Beitragsmoral erteilt hat. (Im Gegensatz zum Lohn, steigt wenigstens der Gewerkschaftsbeitrag konjunkturgerecht!) Die Unternehmer haben ihren militanten Beitrag zur Nichtgefährdung des nun schon knapp zwei Jahre stets gefährdeten Booms geleistet und am glaubhaftesten versichern können, daß es ihnen immer nur darum geht, daß möglichst viel gearbeitet wird. Und der Kanzler, der laut Loderer sich genau dadurch „richtig verhielt“, daß er sich „konsequent raushielt“, kann im Abschluß den Beweis dafür feiern, daß er in seiner Neujahrsansprache goldrichtig lag.
Die Stahlarbeiter sind am 11. Januar wieder geschlossen zur Frühschicht erschienen. Die Hochöfen qualmen wieder rund um die Uhr. Die Nachtschichtler überlegen sich, wie sie den Verdienstausfall der 7 Streikwochen in den 4 zusätzlichen Freischichten 1979 hereinholen können. Nach kurzem Rechnen gelangen sie zum gleichen Ergebnis wie ihre 2 -Schicht-Kollegen: für die nächsten 15 Monate heißt es noch kürzer treten. Ein Hoch auf die gewerkschaftliche Solidarität, den Aufschwung und die sicheren Arbeitsplätze. Aber Vorsicht mit dem Bier: Krebsverdacht!
aus: MSZ 27 – Januar 1979 |