Spionageaffären in der BRD: Wozu die DKP schweigt!
Peinliches Einverständnis Nichts von alledem, die DKP schweigt beharrlich, obwohl sie sonst mit solchen Verwandlungskunststücken keinerlei Schwierigkeiten hat. Sollte sie etwa schlicht gutheißen, daß die DDR ihre frühere Spionagephase, die wenigstens noch hauptsächlich der Entlarvung ehemaliger Nazis in mittleren und höheren Positionen der BRD diente, aufgegeben hat und nun wie jeder anständige Staat seinen Diplomaten gleich ein paar Agenten zugesellt? Sollte sie etwa einfach zufrieden sein, daß die DDR, die früher wenigstens noch gegen „Nato-Revanchisten und -Militaristen“ gehetzt hat, inzwischen per Spionage „sich jeweils rechtzeitig auf die anstehenden Gesprächsrunden“ einzustellen versucht und „im deutschen Dialog häufig vorab im Bilde war über die westliche Verhandlungsstrategie“ und dafür einen Teil ihres ohnehin spärlichen Reichtums opfert, über den ja sie und nicht die Arbeiterschaft verfügt. Sollte sie einfach rundum glücklich sein darüber, daß ihr Paradestaat endlich die letzten Reste der offen ausgetragenen Feindschaft zum Imperialismus aufgegeben hat, anständig mit ihm zu konkurrieren versucht und die Öffnung nach dem. Westen um die Anstrengung ergänzt, bei dem wechselseitigen diplomatischen Ringen der Systemkonkurrenten um Vorteile bei der Ausnutzung des Gegners durch ein paar Geheiminformationen den Übergang zum anerkannt existierenden Staat etwas günstiger zu gestalten? Sollte sie etwa nur freudig den Standpunkt der DDR teilen, daß man nicht die kapitalistischen Staaten bekämpfen, sondern sich der diplomatischen Gepflogenheiten konkurrierender Staatsgegner bedienen und sie bespitzeln muß, daß man den Stand der innerwestdeutschen politischen Landschaft erkunden muß, ob nicht für die DDR-Staatsinteressen günstige politische Entwicklungen stattfinden (weil ja an eigenen Staatsvorteilen interessierte Revisionisten wie kapitalistische Politiker Personal- und sonstige Interna für das wichtigste halten, und ihnen die freie Presse des Westens für ihre Einschätzung nicht genügt, da sie – erpicht auf Ausnutzung – zu Schlüssen über die Absichten des Gegners nicht fähig sind)? Wenn es nur das Einverständnis wäre, was die DKP auszeichnet, könnte sie ja, wie das dem Bürger geläufig ist, die Spionage des eigenen Lagers mit der des Gegners rechtfertigen. Doch es steht schlimmer um die DKP, weswegen sie trotz der Billigung all dieser Sauereien schweigt. Ihr sind sie im höchsten Grade peinlich, was mieser ist als die umstandslose Zustimmung zu solchen Praktiken, die der arbeitende Mensch seinem eigenen Staat gibt. Eben dieser Staatsidealismus des einfachen Mannes ist es gerade, den die DKP mit nichts als besserer Staatsmoral auf ihr DDR-Ideal einschwören möchte. Und gegen diesen Staatsidealismus, den sie anspricht und der sich doch zugleich gegen sie wendet, ist sie an diesem heiklen Punkt völlig machtlos. Nicht allein deswegen, weil das Volk sich ohne Umschweife durch die Spione, die aus der Kälte kommen, seinen Antikommunismus bestätigen läßt, sondern weil die für den Bürger unleugbare Tatsache östlicher Spionage den am Ideal DDR vorgeführten Friedens- und bessere-Demokratie-Moralismus der unzufriedenen Revi-Staatsbürger hier direkt mit der Staatswirklichkeit dieser Moral konfrontiert, vor der alle Friedensbeteuerungen für westdeutsche Staatsbürger als pure Heuchelei erscheinen und selbst für DKP-Sympathisanten zweifelhaft werden. Deswegen ist Totschweigen das beste – was leider deshalb so wenig nützt, weil für die bürgerliche Presse, die der Arbeitsmann statt und in wenigen Fällen neben der UZ liest, Spionagefälle ein gefundenes Fressen sind. Aus lauter Angst, daß die Anhänger ihrer lichten Staatsgemälde durch die rauhe Wirklichkeit des normal ausgetragenen Staatengegensatzes an der schönen Moral zweifeln und der Moralismus der DKP insgesamt unglaubwürdig wird, schweigt die DKP dennoch und nährt damit die Zweifel erst recht. Zwar nimmt sie sich damit die Chance, die westdeutsche Entspannungstätigkeit am Beispiel westlicher Spionage als Betrug zu entlarven, wie sie es sonst gern tut. Doch erspart sie sich in der schweigenden Rücksichtnahme auf die Ressentiments ihrer wirklichen und vermeintlichen Adressaten, die leider ausgerechnet die Spionage von drüben nicht billigen, das Zugeständnis, daß ein Arbeiter- und Bauernstaat, der sich als Staat erhalten und mit dem Westen Geschäfte machen will, auch spionieren muß. Wenn sie aber nur durch Lüge ihre aufrichtige Moral gegen die dazugehörige Gewalt retten kann, zieht sie im Vergleich mit den Bürgerlichen wie üblich den Kürzeren. Denn wo diese nur die normale Heuchelei offen auszusprechen brauchen, daß der Friede durch Spione geschützt werden muß, können sich die Staatssaubermänner der DKP das nicht leisten, weil an ihnen der bürgerliche Staatsverstand die Umkehrung ausläßt, daß feindliche Spionage nicht dem Frieden dient. Die Ostagenten zwingen sie also, ihre Friedens- und Fortschrittspropaganda selbst durch Verschweigen aller Schattenseiten zu entlarven und sich – vom bürgerlichen Staatsglauben ihrer Adressaten in die Enge getrieben – durch die zusätzliche Anstrengung der Unterdrückung offensichtlicher Tatsachen zu desavouieren. Weil die Zusammengehörigkeit von Staatsmoral und Gewalt ihren Adressaten selbstverständlich ist, kann sich die DKP, die hier die Moral der Gewalt von drüben predigt, zu ihr nicht offen bekennen.
Was machen also DKP-ler, wenn das „Handelsblatt“ einen Sicherheitsfachmann zitiert, der die liebsten Kinder der UZ, die Volks- und Betriebskorrespondenten der Betriebsspionage verdächtigt? Sie schreibt einen bösen Brief an das „Handelsblatt“, protestiert gegen „den verleumderischen Artikel über die Arbeiter- und Volkskorrespondentenbewegung“, die im „öffentlichen Interesse tätig ist und in Wahrnehmung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit eine demokratische Aufgabe erfüllt“, und verschweigt ihren Lesern nicht nur dies, sondern auch den Folgeangriff des „Handelsblattes“, das ihr hämisch vorrechnet, daß schon bei Stalin, bei der deutschen KPD und bei der französischen KP die Volkskorrespondenten wissent- und unwissentlich Spionage trieben. Denn wer möchte denn – seiner Leser wegen der beständigen Bestätigung ihres andersgerichteten Staatsglaubens nie sicher – schon diesen Verdacht veröffentlichen, wenn die öffentlich bekannte DDR-Spionage den eigenen Beteuerungen beständig in den Rücken fällt. Wer beim Gegner immer nur den Verrat der gemeinsamen Ideale entlarvt und seinen eigenen Idealstaat anpreist, bei dem entlarvt eben auch der Gegner, der die Staatsbürger auf seiner Seite weiß, daß sich hinter diesen Idealen ein gegnerischer Staat verbirgt. Und das genügt, um die DKP in Verlegenheit zu bringen, weil die Volkskorrespondenten mehr als DDR-Moral nicht zu bieten haben, falls die Spionage wirklich nur von der DDR betrieben werden sollte. Was im übrigen auch scheißegal ist; denn zusammengehören tun sie auf jeden Fall.
aus: MSZ 18 – Juli 1977 |