Der Demokratie die Krone aufgesetzt


Die Geburt, die das neue Blatt so detailliert und wahrheitsgetreu schildert, kann keine alltägliche Geburt sein, die ein schrumpeliges Neugeborenes zum Resultat hat. Es handelt sich, ganz im Gegenteil, um die ,,Krönung einer großen Liebe“:

„ihre königliche Hoheit Prinzessin Victoria von Schweden hat das Licht der gräßlich hellen, lauten Welt“ (Das Neue Blatt 31/77)

erblickt.

Das Ereignis ist natürlich nicht darum ein besonderes, weil ein Kind in die ,,gräßliche Welt“ gesetzt wird, sondern weil sogar eine Königin das bringt, unter anderem „unter Schmerzen“ und weil sie „auch eine Frau ist“. Das Schöne an der Geburt ist, daß sich hier – warum also nicht erst recht überall sonst – gerade durch Schmerzen und Leid das große Glück einstellt, was wiederum nur der (die) richtig genießen kann, der (die) sich von den damit einhergehenden Unannehmlichkeiten nicht beeinträchtigen läßt:


Ein Prachtkind für eine disziplinierte Mutter

„Sie trägt ein weißes Klinikhemdchen. Ein wenig kratzt das kittelähnliche Gewand, aber das stört die Königin nicht.“ (NB, 31/77)

„Alle jungen Mütter sollten sich Königin Silvia zum Vorbild nehmen“,

weiß deshalb auch Professor Borell zu berichten, und er entgegnet auch gleich möglichen Ausflüchten:

„Ich rede von Kleinigkeiten, die jede schwangere Frau beachten kann.“ (7 Tage 30/77)

Das königliche zeigt sich daran, daß Silvia allen Vorschriften mit „peinlicher Genauigkeit“ nachkommt:

„Auf Alkohol und Zigaretten, beides Gift für eine stillende (!) Frau, verzichtete Silvia ganz ohne Schwierigkeiten: Diszipliniert wie sie ist, hatte die ohnehin schwache Raucherin sofort den Nikotin-Genuß eingestellt, als sie erfuhr, daß ein Baby unterwegs war. Und aus Wein und Champagner hat sie sich nie Viel gemacht.“ (NB 32/77),

was sich jede Frau und damit werdende Mutter einmal gesagt sein lassen sollte, und endlich die Konsequenz ziehen, den unmäßigen Wein- und Champagnergenuß einzustellen, sich also verantwortungsvoll zu ihrer weiblichen Bestimmung und der in ihr schlummernden Leibesfrucht zu verhalten.

Das Kind konnte als Resultat solcher Anstrengungen nur ein Idealbaby mit wahrhaft königlichen Eigenschaften sein:

„Prinzessin Victoria hat einen kleinen Kopf mit fein geschnittenen Zügen ... Ihre Hände sind schmal, die Finger lang.“ (Bunte 33/77)

Die Freude, die ein solches Kind erzeugt, ist also auch nicht derart, daß es nach mühevoller Aufzucht sein Leben selbst verdient, und die Eltern so für die Opfer entschädigt, die diese bringen mußten. Prinzessin Victoria hat den „schwedischen Thron gerettet“ (Bunte 31/77) und einen Sieg für das Herrscherhaus dergestalt errungen, daß dieses nun schlichtweg weiter in Menschengestalt existieren wird. Dabei ist unschwer zu erraten, was aus dem kleinen Kopf mit den feingeschnittenen Gesichtszügen werden wird, nämlich die gradlinige Fortsetzung der vorbildlichen Menschlichkeit ihrer Mutter, woran gewisse Entgleisungen in jungen Jahren – die ja wohl zu dieser Sorte unbeschwerten Aufwachsens gehören – nicht rütteln können: das „Horoskop des Frau-mit-Herz-Computers“ beweist, daß die Sterne nicht lügen können, weil sie sich schon längst dem Erdumlauf unterworfen haben, und es prophezeit der Prinzessin „im Alter von 14 (!) Jahren kleine Gefühlsverwicklungen“, daß sie sich „mit dem Heiraten Zeit läßt“, der „Auserwählte“ ihr dafür „jenen inneren Halt gibt, der sie beflügelt (!)“, nämlich „in der zweiten Lebenshälfte zum wirklichen (!) Ich zu finden“ (32/77) worauf es schließlich ankommt, denn bis dahin dürfte Königin Silvia ja noch leben.


Der glückliche Vater: Hin- und hergerissen

Daß der König bei der ganzen Veranstaltung etwas am Rande steht, ist kein Zufall. Es geht um die Frau, die mit „soviel natürlicher Würde“ ihren mütterlichen und Hausfrauenpflichten nachkommt, während der Mann dafür sorgt, daß genug Geld da ist, indem er sich von seinem Volk aushalten läßt:

„Seine Pflichten rufen ihn zurück nach Stockholm“ (AZ 3.8. 77)

Er kann sich nicht dadurch unglaubwürdig machen, daß er ständig das Baby badet, auch wenn er, fortschrittlich wie er ist – „wir sind moderne junge Menschen“ (Frau im Spiegel 31/77) – extra einen Lehrgang in Babypflege gemacht hat. Andererseits ist das jedoch für einen König, der voll in seinen Pflichten aufgeht, eben eine auch zu erlernende Fertigkeit: er muß in allem, was seine Daseinsberechtigung angeht, perfekt sein.

Dies wiederum verlangt ein gehöriges Maß an Verblödung, will man mit ganzer Person dahinter stehen können, was das schwedische Volk (und nicht nur dieses) denn auch anerkennt, wenn es sich liebevoll über die Lese-und andere Schwächen mokiert, die den jungen König so unverwechselbar charakterisieren und somit zu einer wirklichen Person aus Fleisch und Blut machen, wenngleich ihr eine Krone schwer auf's Haupt drückt. So schafft es der Regent und „gibt sogar einen Kommentar zur Geburt ab“, dem natürlich alle häßlichen Untertöne abgehen, die der von gemischten Gefühlen erfüllte Normalvater sonst von sich gibt, wenn er das erste Mal mit dem künftigen Mitesser konfrontiert wird:

„Das erste Kind gibt den Eltern ein besonders glückliches Gefühl und man kommt sich hin- und hergerissen vor, wenn es rundherum viel Aufregung gibt. Gerade der erste Kontakt zwischen Kind und Eltern ist ja so wichtig.“ (AZ 3.8.77)

Die Glaubwürdigkeit des schwedischen Königs bei seiner Agitation für Familienglück und private Erfüllung ist unübertrefflich: er selbst ist ja entgegen aller königlichen Tradition der „Stimme seines Herzens gefolgt“ und hat eine Heidelberger Bürgertochter gefreit. Er stellte so sein feines Gespür dafür unter Beweis, daß er als demokratischer König das bürgerliche Liebesideal zu leben hat, wenn er von seinem Volk weiterhin gehalten sein will. Der Erfolg:

„Noch nie war der König so beliebt. 92 % aller Schweden sind heute für die Monarchie. 1975 waren es nur 26 %!“ (7 Tage 30/77)


Die Heilige Familie von Stockholm

Solche Anstrengungen dankt dem Königspaar neben dem Volk auch die Wissenschaft: „Wir alle brauchen Silvia!“ behauptet der Münchner Psychologe Dr. Reinhart Halmann im Stern:

„Die Bürger- oder Bauerntochter, die vom Königssohn auf sein Schloß geführt wird, dieses Cinderella-Motiv ... Silvia hat es wahr gemacht, hier und heute“, „für Ingrid aus Dortmund oder Gabriele aus Reinbek“.

Schließlich ist für diesen besonderen Glücksfall „nicht einmal Jungfräulichkeit gefordert“, nur(!) erlernbare Dinge, abgesehen (?) von dem dazugehörigen Glück“ (Stern 31/77) Der Psychologe hat sicherlich etwas Kritisches im Sinn, was sich aber dadurch erledigt, daß er die Funktion, die die Königsfamilie für die graue Alltagsfamilie und damit für den Bewahrer des familiären Glücks, den Staat, ausübt, arrogant umlügt, in die „heimlichen Sehnsüchte“ der Frau, also in einen interindividuellen Vergleich, den die Frauen als privates Spaßvergnügen in ihrem Herzen anstellen.

Die moderne Königsfamilie lebt für ihr Volk unter dem Motto: so fern und doch so nah!

„Gott sei Dank ist die schwedische Herrscherin nicht eine unnahbare Regentin, sondern eine volksnahe Königin!“ (Frau mit Herz 32/77),

oder auch: Könige sind Menschen wie du und ich! So hat auch sie ihre „Bürden“, nämlich die „des öffentlichen Lebens“, die darin bestehen, daß „beim Lachsangeln immer ein Sicherheitsbeamter dabei ist“, oder darin, auf „Schleichwegen in einem schwarzen Mercedes 450 SL“ (Bunte 33/77) reisen zu müssen, „ein schwarzer Volvo folgte ihnen mit Sicherheitsbeamten und sechzehn Koffern“, um nicht der Zudringlichkeit von „Millionen Schweden“ zum Opfer zu fallen. Diese tun ebenfalls das, was das Ideal von ihnen als seiner Realität erwartet: sie „brechen in kaum zu beschreibenden Jubel aus“, sie, „die sonst tagaus, tagein aneinander vorbeihasten, lächeln sich an. Ein Baby (!) ist geboren!“ (NB 31/77) Die Frauen, die genug damit zu tun haben, die eigene caritative Organisation innerhalb ihrer vier Wände auch ohne Schreibtischarbeit so zu managen, daß der Alte sich weiterhin von ihnen verwöhnen läßt, und die mit ihren Kindern andere Sorgen haben und mehr von ihnen verlangen, als nur dem Namen, der an der Wohnungstür steht, leibliches Fortdauern zu bescheren, feiern die Plackerei für die Lieben und das bornierte Hausfrauen-und-Mutter Dasein über die wahre Größe, die eine Königin solchem Tun verleiht, als ihre Erfüllung. „Begeisterte deutsche Frauen ... stricken, häkeln oder nähen für das königliche Baby!“ (Frau mit Herz) und sie verschließen sich auch nicht vor königlichen Befürchtungen, wenn sie sie mit den eigenen angesichts. der Anstrengungen von Haushalt und Beruf vergleichen:

„Silvia will vor allem einen Fehler nicht machen: vor lauter Repräsentationspflichten ihr Kind vernachlässigen. Sicher, bei der Erziehung stehen ihr Kinderfrauen zur Seite ... Aber die intensive Mutter-Kind-Beziehung ist für die Entwicklung eines Menschen unendlich wichtig, meinte die Königin.“ (Freizeit-Revue 29/77)

in Übereinstimmung mit Carl Gustav und auf Anraten des schwedischen Hofpsychologen Bo Seel-Seelson. Solches sind ernstzunehmende Gefahren, da Silvia

„20 Wohltätigkeitsorganisationen leitet, das bedeutet fünf Stunden Schreibtischarbeit täglich!“ (Bunte 31/77)

So erklärt sich auch, warum Silvia und Carl Gustav „in erstaunlich kurzer Zeit“ alle gekrönten und ungekrönten Konkurrenten an Beliebtheit geschlagen haben. Sie betreiben das Geschäft, als die öffentliche Familie für die bürgerlichen Familien zu leben und diese so von den alltäglichen Notwendigkeiten zu überzeugen, mit unübertroffener Perfektion, mit demokratischer Begeisterung und deutscher Gründlichkeit.

Daß dies die Funktion ist, die der Weltgeist den Monarchen in der modernen Gesellschaft zugewiesen hat, und daß der demokratische Bürger sie genau so braucht, wie sie ihm heute vorleben, beweisen die Königskinder mit ihren Eskapaden: wenn die Prinzessinnen Margret (Hippies) und Caroline (nackt) sich unmöglich aufführen, dann kommt ausnahmsweise kein Mensch auf die Idee, von schlechter Erbanlage oder falscher Erziehung zu sprechen. Im Gegenteil – diese Sorte von schwarzen Schafen erhöht nur den Glanz der „eigentlichen“ Herrscherfamilie und deren untadeligen Lebensvorvollzug. In dieser Funktion also bedient sich der Staat der Blaublüter, sofern sie nicht in den Wirren seiner Entstehung verschütt gehen, und zahlt ihnen dafür ein – gemessen an seinen sonstigen Ausgaben für wirtschaftliche und moralische Belange – läppisches Gehalt. Womit, wie für jeden anderen Lohnempfänger auch, für die Könige der Zwang gegeben ist, ihre Aufgabe gewissenhaft, d.h. mit ganzer Identifikation und Überzeugung zu erfüllen, soll die Reproduktion gewährleistet sein.

Allerdings brauchen sie sich kaum Sorgen um ihre Abschaffung zu machen, denn da sie an ihr Blaublütertum glauben und dessen Anforderungen voll nachkommen, leisten sie allemal mehr als ein demokratisch ernannter Idealverkörperer: ein (Bundes )Präsident hat nun mal den entscheidenden Mangel, daß ihm seine Stellung als verliehene sofort anzusehen ist, daß er eben nicht ganz selbstverständlich als Person und in einer langen Ahnenreihe stehend den Staat in diesem Bereich repräsentiert, weswegen ihm dann menschliche Schwächen a la Lübke auch mitleidslos angekreidet werden; was mittlerweile auch die Sozialdemokraten aller Schattierungen und Länder eingesehen haben. Die einzigen, die sich da sperren, sind die Faschisten, kann es für sie doch nur eine Person geben, in der der ganze Staat aufgehoben ist; ihnen ist diese Verdopplung ein Dorn im Auge, und wo es geht, räumen sie die Könige weg (und Adolf war so vollkommen, daß er an sich auch die Familie abschaffte, da er ja sein Volk hatte).


Braucht's den König?

In dieser umstandslosen Identifikation mit gekrönten Häuptern steckt also auch ein Mangel und der aufgeklärt-kritische Staatsbürger hat so seine Zweifel, ob in der Verehrung der Könige auch die vollständige Bindung an den Staat geglückt ist. Geben sich nicht gerade die Frauen allzu leicht zufrieden mit ihrem Leben, sollten sie nicht mehr nach persönlicher Identifikation mit sich selbst streben, d.h. ihren Interessen- und Tätigkeitsbereich über den engen Rahmen der Familie hinaus erweitern? Stellt nicht so erst wirkliche Begeisterung für das demokratische Staatswesen sich ein, indem man nämlich aktiv und kritisch daran sich beteiligt? So mäkelt also der „Spiegel“ hartnäckig an den Königen herum, und wird nicht müde, darauf hinzuweisen, daß sie nur Menschen sind, die der demokratische Staat dazu gemacht hat und daß es jeder gewöhnliche Bürger heutzutage von sich aus zu mehr bringen kann:

„Das königsliebende Volk überließ seinem König nur noch die Befugnis der Erstellung seines eigenen erlauchten Küchenzettels“ (30/77)

Und noch jedesmal folgt die Aufforderung an den Staat, er solle sich auf den Familienzirkus nicht so einlassen, sei diese doch schließlich seine eigene Veranstaltung, die von Personen vergangener Jahrhunderte repräsentieren zu lassen, er nicht nötig habe. Falls die Leute mit ihren Familien nicht mehr das Ordentliche anstellen, wird das demokratische Gemeinwesen auch ohne Könige Mittel und Wege finden.

 

aus: MSZ 19 – Oktober 1977