Neues vom Schnüffelstaat: Ein Mann räumt auf
Genscher in der Kartei Außer einer Leiche und einigen, bereits bekannten Fingerabdrücken hat der ganze aufwendige Fahndungsapparat also auch diesmal nichts gebracht. Baum, der um seine „erste große Schlappe“ gerade noch herumkam (nicht vorzustellen, was passiert wäre, hätte man ein weiteres Mal von den „meistgesuchten Terroristen“ Fotos aus dem Hinterhalt gefertigt, um sie anschließend entwischen zu lassen), sieht sich bestätigt: Um nachhaltige Fahndungserfolge – große Fische sind gefragt – zu erzielen, fährt er in seinem Bemühen fort, sich einen Überblick über die ihm unter- und nachgeordneten Behörden und Abteilungen der Staatssicherheit zu verschaffen. Weil Baum aus den Mißerfolgen bei der Terrorismusbekämpfung gelernt hat und nicht vergessen hat, daß sein Amtsvorgänger gehen mußte, da er „keine glückliche Hand“ und ,,mangelnde Führungskraft“ bewiesen hatte (statt den ,,Primat der Politik“ bei den Verwaltungsleuten durchzusetzen und so für vorzeigbare Resultate zu sorgen, gab sich Maihofer in „stundenlangen Seancen“ dem Computerlob des „Computer-Champion“ Herold hin), bestellte er bei seinen Beamten eine „Bestandsaufnahme“ sämtlicher Tätigkeiten im Kampf gegen alle Staatsfeinde. Schließlich war Baum zweiter Mann unter Maihofer und hat aus nächster Nähe miterlebt, was es heiß, der ,,Faszination des Computers“ zu erliegen statt ihn anzuwenden. Wenn Baum also die Computerdateien des BKA ,,ausmisten“ und die Amtshilfe für BKA und Geheimdienste durch den Bundesgrenzschutz und andere „eindämmen“, mit einem Wort, ,,Wildwuchs beschneiden“ will, dann einzig und allein, weil es ihm anstelle eines „bedenkenlosen“ um einen wohlüberlegten „Einsatz staatlicher Machtmittel“ zu tun ist. Wenn in der 4., für die Öffentlichkeit ,,bereinigten“ (= man setzt also staatlicherseits nach wie vor fest, was man der Öffentlichkeit in dieser Materie mitzuteilen gedenkt) Fassung einer Liste über die Tätigkeiten des BKA eine „Organisations-Datei“ mit 31000 (vor lauter Büchertischen kommt man in keine Mensa mehr rein) verfassungsfeindlichen Organisationen in der Bundesrepublik auftaucht, wird selbst einem Bucerius in der ZEIT klar, daß das nichts bringt, weil sich die Verfassungsschützer da nur bei der Beobachtung obskurer Vereine verzetteln. Und daß es irgendwie zu weit geht, den Ostflüchtling Genscher in einer Flüchtlingsdatei samt Fingerabdruck drin zu lassen, ist eingedenk seiner Taten als Polizeiminister eine allseits belächelte ,,Übermotivation“ der Verfassungsschützer vom BKA. Wenn hier also „ein Minister aufräumt“ (STERN), so in der unumwundenen Absicht, Schluß damit zu machen, daß zu viel und zu unkoordiniertes von seinen Leuten getan wird, was die Effektivität in der Bekämpfung aller Feinde der FDGO nur behindert. „Bürokratischer Übereifer“ und „Unverhältnismäßigkeit der Mittel“ untergraben selbst in den Augen der CDU den Verfassungsauftrag, Verfassungsfeinde an den Universitäten aktenkundig zu machen – dies angesichts der Tatsache, daß der badenwürttembergische Verfassungsschutz erst einmal alle Studenten an einigen seiner Unis erfassen läßt, um dann hinterher die weißen von den schwarzen und grauen (5 mal umgezogen in den letzten 2 Jahren) Schafen auszusondern. „Massenhaft und undifferenziert Studentenpersonalien zu sammeln“ (SZ) ist ein unergiebiges Verfahren: Mit dieser Kritik stellt unsere aufmerksame, um jeden Schwachpunkt des Staates besorgte Presse klar, daß Verfassungsfeinde differenziert und gezielt aus der Masse rauszupicken sind. Die Kritik an den Uni Verwaltungen, daß sie „solchen (!) Begehren des Verfassungsschutzes“ nachkommen, ist also ebenfalls eine um den Erfolg bemühte – es ist eine ausgemachte Sache, daß Verfassungsschützer – mit und ohne Uniform – an den Unis vertreten sind.
Ein Mann wie Herold vertritt da durchaus die gleichen Prinzipien. „Wir Polizisten brauchen Erfolg“, und weil sich der trotz und wegen der aufwendigen Apparaturen in Wiesbaden nicht so recht einstellen will, setzt sich diese fleischgewordene Inkarnation eines Staatsschützers, die, weil sie rund um die Uhr in ihrer Aufgabe aufgeht, auf jedes Privatleben verzichtet und sich ganz in ihre „BKA-Festung“ zurückzieht, für die Ausdehnung der Erfassung von verdächtigen Personen ein. Die „technisch führende Kriminalbehörde neben dem amerikanischen FBI“ möchte ihre „unbestreitbaren Erfolge“ im Kampf gegen die Kriminalität übertragen auf den Kampf gegen Staatsfeinde: Mit der „Gangsterjagd nach der Raster-Methode“ – „alle verfügbaren Merkmale sämtlicher Straftäter und Straftaten werden elektronisch erfaßt“ und in „Ermittlungsdateien gespeichert“ – gelang es der Polizei doppelt so viele per Haftbefehl gesuchte Personen zu verhaften wie zu Zeiten des „unaktuell“ gewordenen Fahndungsbuchs. Dieses Ideal des Polizisten, „den Computer nicht nur bei der Fahndung nach bekannten, sondern auch zur Ermittlung noch unbekannter (!) Täter einzusetzen“ und so das Verbrechen, das wegen dem „Bösen im Menschen“ eh nicht „auszurotten“ ist, noch im Moment seiner Entstehung „dingfest“ zu machen, dieses Ideal will das BKA gerade dort verwirklichen, wo die Aufklärungsquote besonders zu wünschen übrig läßt. Im Kampf gegen die Terroristen und ihr „Umfeld“, wo die Zahl der „mutmaßlichen“ vergleichsweise gering ist gegenüber den „unbekannten“ Tätern, ist den Staatschützern prinzipiell jeder verdächtig. Wo schon der angehende Lehrer oder Bundesbahnschaffner den Nachweis erbringen muß, daß er sich aktiv für diesen Staat einzusetzen gewillt ist, liegt es nahe, diesen Nachweis von jedem Staatsbürger zu fordern bzw. ihn staatlicherseits zwecks besseren Fahndungsergebnissen selbst einzuholen. Zur „Pip“ (= „polizeilich interessanten Personen“) ist also jedermann zu zählen, weshalb er auch in der einen oder anderen Datei drin ist bzw. längst reingehört. Auch wenn sie „natürlich leider nicht durchzusetzen“ ist (da braucht's noch ein, zwei Terroranschläge), ist eine „Volksdaktylographie“ (die ,,vorsorgliche Speicherung der Fingerabdrücke von allen Bürgern“) natürlich einerseits „etwas Erstrebenswertes“ (BKA), andererseits auch wieder überflüssig, existieren doch bereits genug Daten in genug Computern des „größten EDV-Verbunds in der Bundesrepublik“. Daß sich staatlicherseits die Überlegung gemacht wird, alles, was „staatsabträglich“ ist, durch eine „politische Vollkontrolle des Volkes“ zu erheben und in die Computer reinzufüttern, ist nur möglich bei einem Staatsvolk, bei dem ernstzunehmende politische Gegnerschaft nicht existiert. Durch die „massenhafte Erfassung politischer Personendaten“ (wofür sich natürlich besonders gut die demnächst anstehende Neuerfassung aller Bundesbürger eignet, wenn jeder seinen alten Ausweis gegen eine neue fälschungssichere und computerablesbare „Kennkarte“ eintauschen muß) trifft der Staat Vorsorge, daß dieser für ihn äußerst angenehme Zustand erhalten bleibt. Mit den neuen Computersystemen mit den schönen Namen „Inpol“, „Nadis“, „Pias“ etc. hat sich der Staat technisch in die Lage versetzt, sein Ideal zu verwirklichen, über jeden seiner Untertanen alles zu wissen. Wenn sich die Sicherheitsbehörden gegenwärtig mit (die verlautbaren Zahlen differieren da etwas), 2,5 oder 9 Millionen“ erfaßter Menschen begnügen, geht es dabei vor allem nach den „rechtsstaatlichen Prinzipien“ von „Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot“ (Innenministerium) zu. Denn es bleibt da der Haken mit dem Erfolg: Während Baum dem BKA-Chef („Pannen-Horst“) öffentlich sein Vertrauen ausspricht, damit das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Sicherheitsbehörden sowie ihr Mißtrauen gegen neue Nachbarn erhalten bleibt, legt er sich halböffentlich mit diesem „nicht politischen“ und deshalb leider unkündbaren Spitzenbeamten (warum soll denn immer der Minister seinen Kopf hinhalten?) an, um „wieder Herr im Hause zu werden.“
Dies trägt dem Minister Lob und Tadel ein. Das Lob: Es müsse Schluß sein mit der uneffektiven „Sammelwut von Hamstern“ (Herolds Hamsterbacken, mit denen er aus seinem „BKA-Bau“ herausguckt, sind nicht zu übersehen). Gerade wenn man von der „kriminalpolitischen Selbstverständlichkeit“ ausgeht, daß „gegen nicht wenige der Dateien von Millionen von Bürgern nichts einzuwenden“ (SZ) ist, kann man „unseren Sicherheitsbehörden“ einen Vorwurf nicht ersparen: „Aussonderung und Löschung erfaßter Daten sind offenbar für viele Fachleute nur theoretische Möglichkeiten. Sie vernachlässigen damit nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch die Effektivität.“ (SZ) Würde diese konstruktive Kritik beachtet, wäre alles nur „halb so schlimm“ (SPIEGEL) – gerade wenn man bedenkt, daß das BKA mit den „Versuchungen der Perfektion“ zu kämpfen hat und schon öfters „vom Computer (!) verführt“ wurde (da mußte dem Herold ja die Frau davonlaufen.) Der Tadel: Die Konservativen melden ebenfalls Bedenken gegen zuviel Technik an (Strauß: da wird der „schöpferische Geist“ vertrieben), nutzen ansonsten aber die Stunde, den Innenminister wegen Verunsicherung seiner Beamten zum ,,Sicherheitsrisiko“ zu erklären, dem man schon jetzt die „Mitschuld“ am nächsten Terroranschlag zuschiebt. Und auch einigen Koalitionsfreunden von der SPD ist Baum zu „forsch“, weil sie ersten befürchten, daß sein „Ausmisten“ auf Kosten der Effektivität gehen könnte und zweitens mit Sorge beobachten, daß der erst 46jährige Baum, der „aus dem Stoff ist, aus dem unauffällige Minister gemacht sind“ (ZEIT), mit seinen Aufräumungsarbeiten sein „blasses politische Profil“ aufzupolieren versucht. Liberalität läßt sich besonders gut demonstrieren, wenn man für Rechtsstaatlichkeit eintritt, also beispielsweise die längst praktizierte und als Ausnahmeregelung durchaus zulässige Amtshilfe „rechtsstaatlich korrekt regelt“ und mit einem entsprechenden Gesetz absegnet. Die „heimliche Schnüffelpraxis“ in eine offene zu verwandeln (der Datenschutzbeauftragte Simitis fordert „die Abwehr aller Versuche, den Informationsprozeß zu verheimlichen“) ist das Gebot der Stunde: ,,Im Prinzip muß sich der Bürger darauf einstellen können, was kontrolliert und mit welchem Schutzzweck beobachtet wird.“ (Baum) Das Gerede von der Gefahr des „gläsernen Menschen“ erfährt so seinen rechten Sinn: Mit der angebrachten „Transparenz“ (der Staat entscheidet allemal, welche angelegten Listen er der Öffentlichkeit anzeigt) ist dafür gesorgt, daß der Bürger Bescheid weiß, was er an sich selber und an seinen Mitbürgern zu beobachten hat. Und an der Sicherheit, daß dieser bereit ist, der staatlichen Aufforderung nachzukommen und sich eine entsprechende Einstellung zuzulegen, gibt es keinen Zweifel. Mit „1984“ ist also nichts.
aus: MSZ 29 – Mai 1979 |