Saubermanns Lust:
Auf den Flügeln des Zeitgeists zur Endstation Sehnsucht
Reise mit den Magazinen PLAYBOY, STERN und DER SPIEGEL

Aufmerksame Leser des Herrenmagazins PLAYBOY erinnern sich vermutlich: Seit der Novembernummer letzten Jahres weiß man, daß neben St. Tropez auch das kritische Engagement „out“ ist. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?

Unlängst sahen sich nicht nur Bayerns Abiturienten mit dieser Frage („Das Thema lag ja heuer in der Luft“) im deutschen Aufsatz konfrontiert, auch die Presse mochte dazu nicht schweigen. Sie ging auf die Straße und fragte „nach den Ursachen dieser Zeiterscheinung“ (AZ Pfingsten 75). Man war sich einig: zur Absage an den „Glauben, daß die Wissenschaft alle Probleme lösen kann“, ist es gekommen „weil die Leute in der Gegenwart unsicher sind.“
Der Staat und seine Bürger haben andere Probleme, als das kritische Geseich der Reformer über sich ergehen zu lassen, das sie nur Geld kostet. In Zeiten, in denen die Geschäfte schlecht gehen, sucht man eben den Sack zuzuhalten. Um das Wohl aller nicht minder besorgt als um das eigene, fragt sich also der gute Bürger, wie am besten wieder solide Verhältnisse zu schaffen sind.

Die bürgerliche Presse als berufene Hüterin der öffentlichen Vernunft hat sich derlei Überlegungen längst auch gemacht und fühlt sich nun legitimiert, im öffentlichen Bewußtsein eine „Tendenzwende“ zu beschwören: In Besinnung auf die Tugenden jener schönen Tage des nationalen Wiederaufbaus, in denen es uns noch „besser“ ging, sollen Bürgerfleiß und politischer Bürgersinn wieder etwas gelten. Fraglos zwar, daß solche heroischen Appelle an die öffentliche Moral denen nichts nützen, die die wirtschaftliche Krise von der Arbeit weg auf die Straße gesetzt hat, erstens aber können diese wenigstens ihren schönen staatsbürgerlichen Sinn für Recht und Ordnung beweisen – wenn sie sich sonst schon nichts mehr leisten können! zweitens dürfen jedoch auch diese armen Mitbürger vollständig beruhigt sein: St. Tropez wäre zum Geldausgeben eh längst out gewesen, wie die Presse gerade ihnen glaubhaft mitteilte.

So säßen denn alle in einem Boot, und nur allgemeiner Tugendsinn könnte noch helfen? Aber so will es nun einmal die herrschende Meinung der Öffentlichkeit. So unerquicklich diese Aussichten nun auch scheinen mögen – für Gutes haben sie für die Apostel des öffentlichen Anstands längst unter Beweis gestellt: zu loben ist da nicht allein der Minister, der seine Staatskarosse nicht gar so bald zugunsten einer neuen abstößt, nein, auch dem Bürger, der – von finanzieller Unsicherheit bedroht – sein Bier lieber zuhause trinkt, werden Kränze geflochten: Sein Hang zur Häuslichkeit ist es, der ihn auszeichnet, sein Sinn fürs Private, seine Neigung zum Schlichten. Die öffentliche Moral fragt nicht nur nicht danach, wieviel Geld jemand hat, wenn er sie sich leistet, sie weiß sich vielmehr souverän über eventuellen materiellen Nöten als die allgemeine Haltung, die jedermann seinen Bürgerfrieden garantiert.


Ach wäre nur ein Zaubermantel mein, und trüg' er mich in fremde Länder...
Allerdings wird sich der besonnene Leser derartig ums Allgemeinwohl bemühter Presseorgane doch nach anderen probateren Empfehlungen umschauen müssen, um auf der Höhe des gesellschaftlichen Selbstverständnisses zu bleiben. Rat ist schnell gefunden; denn da der momentan dominierende, wie jeder „Geist der Zeit“ zuvor – immateriell wie er ist – noch in der kleinsten Hütte wehen und noch in Sack und Asche grandios auftreten kann, er also frei ist, sich bald hier bald da an allem und jedem unter Beweis zu stellen, darum steht dem zeitgemäßen Wunsch des Bürgers prinzipiell nichts mehr im Weg. Auf den Flügeln, die der Trend der Zeit ihm hat wachsen lassen, wäre er wohl auch längst unterwegs: Aber den meisten Lesern hiesiger Magazine geht dabei wohl doch das bißchen Souveränität ab, diesen Flug selbständig anzutreten. Darum lassen sie sich für ein paar Mark willig von den berufsmäßigen Teppichfliegern der Zeitungsbranche auf den Trip ins Reich des Zeitgeistes mitnehmen.


Ein Flug zum Stern der ungeheuerlichsten Einsichten
Größter Beliebtheit erfreuen sich zur Zeit Abstecher in solche Regionen, die gewissermaßen in Reichweite liegen und leichter zugänglich sind. Ein jeder trägt sie mit sich herum: Seine Erinnerungen. Auf der Reise in die Vergangenheit wird also hervorgekramt, was sich im Licht der neuen Zeit besonders passend ausnimmt: die Krisenjahre von Weimar und die berühmte Stunde Null kontrastieren da zum Beispiel recht schön mit Adolf Hitlers Verdiensten um Zucht und Ordnung sowie der stabilen Ära Adenauer. Freilich, das sind billigste Massenvergnügungen, denen das eigentlich Prickelnde fehlt. Was soll sich das Krisenbewußtsein hier und heute immer wieder vollsaugen mit Bildern des „Schwarzen Freitags“ oder der Ruinenstädte von 1945? Man kennt das zur Genüge; und gegenüber lebensnah inszenierten Katastrophen wie „Flammendes Inferno“ nimmt sich ein solches Vergnügen irgendwie matt aus. Und was bringt schließlich die Erinnerung ans heile Dritte Reich? Journale wie der STERN warten wohl hin und wieder mit zackigen Bildern aus großdeutschen Tagen auf, aber das Herz will einem dabei nicht mehr so recht übergehen. Zu unrealistisch sind solche Träume, als daß sich nicht ein seriöses Magazin betont von ihnen absetzen mußte.

„Neben dem Hinweis, daß nahezu 40 Prozent der Deutschen Hitler für „einen der größten Staatsmänner“ (mit Abstrichen versteht sich) und den Nazistaat für „gar nicht so schlecht“ halten, rückt der STERN daher das ungemein beruhigende Umfrageergebnis, daß 60 Prozent gleichwohl nicht glauben, „daß ein Mann wie Hitler mit den Problemen besser fertig würde als unsere Politiker.“ (STERN Nr. 21 1975)

Da soll also niemand kommen und sich beklagen, solche Vergangenheitsbewältigung sei realitätsfremd. Im Gegenteil: Daß Realitätsbewußtsein gerade die Spitze der Pikanterie solch geistiger Lustbarkeiten ausmacht, bewies gleich zu Anfang schon die genüßliche Absage an linkes Engagement, das gestern noch als schick gelten durfte.

Das zeitgemäße Bewußtsein kommt dabei erst so richtig in sein Element-, denn nicht so sehr an Vergangenem, das es oft genug schon wiedergekäut hat, will es seinen Sinn fürs Reale bewähren dürfen, sondern an etwas Frischerem, das es dann auch prompt an seiner aktuellen Ansicht von gestern findet. Hier ist das eigentliche Reich des allzeit mit sich selbst befaßten gesellschaftlichen Gewissens, in das die Leser weniger seriöser Magazine nicht, so ohne weiteres Eingang finden werden. Was tut also der Zeitgenosse, dessen bisheriges Interesse, mittels linker Literatur ketzerische Gedanken in gesellschaftlichen Umlauf zu setzen, nicht mehr up to date ist, der aber auf seine geistige Erbauung nicht verzichten will? Er kauft sich ein Journal, in dem die bestallten Vorreiter einer beständig sich übertrumpfenden Bewußtseinsbildung das große Wort führen, eine „kritische“ Zeitschrift, kurz: den STERN; oder besser gleich dessen (seit der Frühjahrsnummer 9 erschienenen) 10 Folgen zur Entlarvung eines unzeitgemäßen Engagements am linken Saum der politischen Szenerie dieses Landes. Ein Abgrund hat sich hier über Nacht aufgetan, wo bislang das kritische Auge heiter verweilte. Nun aber erstarrt es:

Es nähern sich des Höllenkönigs Fahnen auf uns zu, sprach mein Meister; doch zuvor schau hin genau, ob du ihn wohl erkennst. (Dante, Inferno)

Tief unten im Sumpf übler Umtriebe enthüllt sich etwas Entsetzliches. Drohend hat dort der Stammvater aller Linken sein Haupt erhoben, Karl Marx, der Finsterling. Wild schüttelt er seine Löwenmähne und brüllt herauf – ein schreckliches Schauspiel bietet sich dar.
Was niemand je ahnte: er ist der Ahnherr dieses höllischen Pfuhls, er und kein anderer. Grund genug, über „das unbekannte Leben des Karl Marx“ zu berichten.


Janus Marx
Wer hätte das gedacht: „Karl Marx gibt es zweimal. Es gibt den durch 10 Millionen Buchbände ausgewiesenen Denkgiganten, den Makellosen … und dann gibt es noch das Genie mit Fehlern, den Menschen Karl Marx.“ (Nr. 9, S. 60) Diese Entdeckung eines zweiten Marx wird nicht nur die Gelehrten beunruhigen, die sich bislang im Besitz des leibhaftig ersten wähnten, sie wirft doch alles über den Haufen, was man dem bisherigen Menschen Marx (falls es sich um denselben handelt) zugetraut hätte. Die Impertinenz dieses Mannes wäre also so weit gegangen, daß er selbst als Mensch noch Fehler auf sich vereinigte, die ihn, den man politisch sowieso nicht mehr (oder noch nie) über den Weg traute, vollends zum Inbegriff des bösen Buben stempelt.


Häßlich zu den Freunden
Was hat sich dieser Marx nicht alles zuschulden kommen lassen. Man denke nur! Dieser Unhold hatte nicht nur seine kleine Freude an Pornos, nein! Sogar ein Kind hat er ehebrecherisch gezeugt und sich dann auch noch geweigert, deswegen seine erste Ehe zu lösen. Aber so war er, unmoralisch bis auf die Knochen! Nicht jedoch nur seine Frau soll so sehr unter ihm gelitten haben. Seine liebsten Freunde hat er vergrault. Selbst der brave Engels war vor ihm nicht sicher. Er, der treueste Geldgeber, der Marxens Leben fast vollständig finanzierte, bekam nicht unentwegt Dankesworte zu hören, schlimmer noch: als ihm seine langjährige Freundin starb, hat Marx nicht einmal ordentlich kondoliert. Aber damit war er noch recht glimpflich weggekommen; denn anderen Freunden hat Marx weit übler mitgespielt. Vom Dichter Freiligrath hat er z. B. wohl ein Darlehen genommen, es aber nicht unterlassen können, sich insgeheim über dessen „bepißtes Pudelbewußtsein“ zu mokieren. So manchem, der ihm (wie Lassalle) behilflich war, Verleger für seine Bücher zu finden, blieb es gleichwohl nicht erspart, in heftigster Weise politisch attackiert zu werden. Wie sehr man sich auch um den undankbaren Mann bemühte, man konnte sich eben nie sicher sein, damit in den garantierten Genuß von dessen Wohlverhalten zu gelangen. Was für ein entsetzlicher Mensch war doch dieser Marx.

Und schließlich all die schweren menschlichen Untugenden, die er sonst noch an sich hatte. Obwohl er ein lebenslanger Ökonomiestudent war, konnte er seinen eigenen Haushalt nicht, in Ordnung halten. Obwohl er kaum Geld hatte, machte er – Schulden! Und obwohl er Schulden hatte, leistete er sich ständig Extravaganzen: bevorzugte feinere Kurorte, wohnte gerne in guten Hotels, liebte Essen, Trinken und Rauchen. Um das Maß des Erträglichen voll zu machen: dieser Mann trug Gehrock, Hut und Monokel, und sonntags hatte er gar die Stirn, mit Frau, Kindern (und Hund!) zum Picknick zu gehen. Welch eine monströse welch eine verruchte Natur tritt hier zutage. Empört bringt es der STERN-Chronist vor die Ohren seiner erschütterten Leserschaft: Marx habe eben „doch nie gelernt, was menschlicher Anstand ist!“ (Nr. 17, S. 137)


Schlimmer noch als Adenauer
Aber der Enthüllungen noch nicht genug! Die Marxschen Untugenden waren eine furchtbare Saat, die allüberall ihre verheerenden Wirkungen zeitigen mußten und insbesondere das politische Geschäft, das dieser Unhold bekanntlich bevorzugte, verhängnisvoll infizierte. Wäre es überspitzt zu behaupten, daß Marx es war, der die heere Lauterkeit, wie sie in der Politik von jeher vorherrschte, ein für allemal entweihte und so das Böse in die Politik brachte? Wie abgrundtief dieser luziferische Sündenfall des Karl Marx war, macht sich der entsetzte Berichterstatter am Ausmaß des Schadens klar, der seither in der Welt vorzufinden ist:

„Er (Marx) war schlimmer als 100 Jahre später Konrad Adenauer, der nichts gegen andere Meinungen hatte, sie aber nicht hören wollte. Marx duldete überhaupt keine anderen Meinungen.“ (16/129)

So extrem intolerant war Marx, daß er aus der bloßen Gleichgültigkeit gegenüber anderen Meinungen nicht einmal einen Hehl machen wollte. Und er ging noch weiter: in seinen eigenen Ansichten ließ er sich durch ihm gleichgültige sogar überhaupt nicht irritieren. Er bestand auf ihnen. Fürwahr, eine bodenlose Rechthaberei, die das, was ihr wurscht ist, auch entsprechend behandelt.

Für die politischen Kombattanten eines Mannes, der so brutal die elementarsten Spielregeln eines unverbindlichen Meinungsaustauschs verletzte, hatte dies alles höchst unangenehme Folgen: sie mußten sich zur Verbindlichkeit herausgefordert fühlen. Aber so hatten sie nicht gewettet! Unversehens diese unerquickliche Alternative, sich entweder demütig zu unterwerfen oder Streit mit dem „Wadenbeißer“ Marx anzufangen. Wer mochte sich das zutrauen. Selbst der kongeniale Friedrich Engels („klaglos, willig“) durfte letzten Endes

„froh (sein), den Konzertmeister seines Lebens gefunden zu haben. Gesucht hatte er ihn immer.“ (17/129)

Von den anderen gar nicht zu reden! Sie duckten so gut sie konnten, wenn ihr Meister die Peitsche über sie schwang: Heß, Weitling, Ruge, der „Zentralhanswurst“, der „Lumpenhund“ Willich und der getreueste der Treuen „Wilhelmchen“ Liebknecht, „das dumme Vieh“. (16/131) Hei, war das ein Teufelsreigen! Und wie sie quietschten, wenn der große Meister zuschlug, weil wieder einmal einer mit irgendeiner Meinung aus der Schweineherde auszubrechen suchte …

Immer wieder passierte es, daß einer von ihnen für sein Aufmüpfen Prügel bekam und sich wie ein armer ertappter Sünder fragte, „was er eigentlich verbrochen hatte“. (16, 131) So ganz ohne höhere Einsicht, (die besaß ja Marx) und ohne Vertrauen auf die eigene (das hatte Marx einem genommen) blieb ihm nur noch der zaghafte Appell an den „rechthaberischen Fanatiker“ persönlich, wenigstens nicht gar so arg zuzuhauen, oder (wie Ruge das nannte) „mit Anstand zu diskutieren“. Aber da kam er schön an! Denn schließlich lagen schon überall „am Wege … heimtückisch verletzte Kampfgenossen und rieben sich die Wunden“ (16 ib.). Aber wen konnte das noch wundern? Wer sich mit dem Teufel verbündet, der ist eben dran. Das hätten die Leute damals wissen sollen. So manche Qual wäre ihnen im Umgang mit dem personifizierten Bösen erspart geblieben.


Rückkehr aus der Unterwelt
Der Marx-Chronist hält inne – Tränen sind ihm in die Augen getreten bei seinem gelungenen Versuch, selbst in der Hölle noch die Waage der Gerechtigkeit hochzuhalten und den nur ein ganz klein wenig schuldigen, da verführten Opfern des Erzfeindes Trost zukommen zu lassen. Doch auch Krokodilstränen trocknen rasch in der hell lodernden Empörung über das Ungeheuer in Menschengestalt, das all dies zu verantworten hat. Schnell wird es in Acht und Bann getan: das Handwerk gehört ihm gelegt! Und gottlob, der wackere Stern-Kolporteur hat das Untier ja nicht von der Kette gelassen. So muß man nicht befürchten, daß es aus seinen Tiefen ans Tageslicht steigt und dort wütet wie weiland „seine russischen (das meint bolschewistischen) Enkel.“ (12, 52)

Kein Erbarmen mehr mit dem „endlich enttarnten“ Bösewicht! Soll er doch toben in seiner düsteren Höhle. Gut aufgehoben ist er dort, der sogar seinen politischen Gegner (und nicht nur seinen Freunden) mit terroristischem Fanatismus zu drohen wagte. – Ein befreiendes Gefühl hat den Leser ergriffen; er darf dem Mentor, der ihn an sicherer Hand durch die Unterwelt geführt und dort alles zum besten gewendet hat, für seine illustrative Belehrung danken. Seine Gewissensnot, den linken Gefahren zu entrinnen, die ihn vor kurzem noch bedrohten, ist in angenehmster Weise beseitigt.

Zufrieden legt er den STERN beiseite und läßt sich noch einmal von dem wohligen Schauer nachhallender Schrecknisse umfangen; was hatte doch der böse Mann zum Abschied noch an wüsten Verwünschungen ausgestoßen?

„Wenn die Reihe an uns kommt, wir werden den Terror nicht beschönigen!“ (12/52)

Daß die, die ausgezogen waren, an Marx ein vergnügliches Schlachtfest zu veranstalten, an dieser Äußerung allenfalls einen dumpf grollenden Unterton wahrnehmen werden, steht außer Zweifel: auf nichts anderes hatte der moralisierende Spaß schließlich abgezielt. Der Kitzel des Ganzen bestand ja darin, sich selbst den gehobenen Standard jetziger Einsichten an einem Gegenstand vorzuführen, der sich darum so leichthin abservieren läßt, weil das Licht moralischer Wertschätzung mehr und mehr von ihm gewichen ist. Wenn also Marx samt seiner politischen Theorie als Gegenstand eines verblichenen Interesses dabei so furchtbar unter die Räder gerät, dann war das kein Schlag, den das herrschende gesellschaftliche Moralempfinden gezielt dem Marxismus glaubte versetzen zu müssen (MSZ-Erkundingungen zufolge scheint auch der Marxismus ohne nennenswerten Schaden aus dem Spuk hervorgegangen zu sein), sondern ein kokett gemeinter Streich, den es seinen abgehalfterten linken Sympathien und damit sich selbst einen neckischen Widerspruch einzugehen: Sich zur selben Zeit über sich selbst ins Recht und sich damit ins Unrecht zu setzen. Bei einem solchen Triumph ist es allemal fein heraus, ist es doch stets obenauf. –


Moral der Niedertracht
Über einen Gegner, dessen Niederlage bereits damit besiegelt ist, daß ihm die Sympathien entzogen werden, muß der moralische Sieg zwar vollständig ausfallen, doch so unbeschwert er auch errungen worden ist, eine reine Freude ist er nicht. Allzu selbstgenügsam ist die Lust, am eigenen Versagen sich zu delektieren, ja sie ist nicht ohne Frivolität! Das zweifelhafte Vergnügen, nur mit sich selbst im Widerspruch zu bleiben, könnte schließlich sogar dem moralischen Gewissen peinlich werden. Die Herabsetzung seiner selbst, mit der es zu seinem tristen Erfolgserlebnis kam, macht die eigene Seriosität anrüchig. Ihr sieghaftes Auftreten verdankt sich dem Entsetzen, im eigenen Haus in einen Abgrund von Unmoral geblickt zu haben.

„So gibt es für das Beurteilen keine Handlung, in welcher er nicht . . . gegen den Handelnden den Kammerdiener der Moralität machen könnte.“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S 489 f.) –

Das ganze angewiderte Theater beim Befühlen der Präputien des Lasters, über das die Sittsamkeit sich vornehm beugt, offenbart die eigene Miserabilität. Das Verwerfliche mußte „enthüllt“ werden, um besserwisserisch von ihm zehren zu können. In den stillen Winkeln des Klowitzes hat sich die öffentliche Moral ein Bewußtsein der Hinterhältigkeit bewahrt, mit der sie beim Anpinkeln eines Denkmals leise vor sich hin furzt und hernach mit naserümpfenden Vorwurf um sich schaut. Der mit solchen Späßen durchaus vertraute Hegel befand etwas vornehmer, so eine Heuchelei könne wohl auch „für eine andere Manier, böse zu sein“ (ibid.) gehalten werden.
Daß die Niedertracht der Moral ihr solche elysischen Wonnen bereitet, mag vielleicht den einen oder anderen empfindlichen Menschen degoutieren, gehört jedoch durchaus zu deren gesundem Selbstbewußtsein. Die geheime Lust am Verbotenen ist nicht die perverse Seite eines längst dahingegangenen Puritanismus; – geknüpft an die Moral der heutigen Gesellschaft, ist sie in dieser auch käuflich zu haben. überall hat sie Konjunktur und kann (als die Kehrseite der Moral) prinzipiell nicht auf einige besonders übelwollende Boulevardblätter beschränkt bleiben. –
Die Gesellschaft läßt sich eben das Ganze ihrer Moral nicht nehmen. Sie hat darum besondere Hüter eingesetzt, die sich ausschließlich dem Geschäft ihrer Pflege gewidmet haben. Von einem professionellen Altmeister auf dem Gebiet dieser gesellschaftlich hochgeschätzten und hochdotierten Kunst stammt die wohl treffendste Charakterisierung seines Gewerbes:

„Wenn das Licht, das von den Wertideen auf die großen Probleme fällt, weiterzieht, dann rüsten sich auch die Kulturwissenschaften (eine systematischere Veranstaltung moralischen Hin und Hers) und ziehen jenen Gestirnen nach.“ (Max Weber)

Wie groß die Verlockung sein muß, mit Zugvogelinstinkt dem Zug der Zeit zu folgen, kann nichts besser belegen als die Existenz eines weiteren Presseorgans, das seine Spalten ausschließlich der augurenhaften Beobachtung diese« Treibens geöffnet hat – des SPIEGEL!


Letzte Warnung eines Kammerdieners
Moralische Riesen wie Günter Graß herrschen hier und verleihen den umtreibenden Gedanken Methode. Was andere taten, gelassen spricht Graß es als die letzte der Weisheiten aus. Ja, er wird sogar kategorisch, wo es gilt, den Anwurf zurückzuweisen, es sei vielleicht doch nicht ganz recht, wenn man „die Großperson (gemeint ist wieder Karl Marx) nur aus dem scheelen Blickwinkel des Kammerdieners belauert“ (SPIEGEL Nr. 20, 1975).

Und wie recht ihm das ist! Ganz energisch verbittet er sich derlei Einsprüche. Niemand soll kommen und ihm sagen, „die Größe ist absolut“, wie das manch hausbackener Marxianer vielleicht behaupten könnte. Im Gegenteil: Sie muß wie alles auf der Welt – moralisch unbedingt relativiert werden. Graß kennt die Gefahr: „Niemand bezweifelt, daß ihm (Marx) Millionen Schüler methodisch intolerant nacheifern“. Das darf nicht sein. Doch wo es schon um intolerante Methoden geht, da hat Graß sein eigenes todsicheres Rezept, sie schnellstens zu relativieren: das „Instrument der Ketzer und Zweifler“.

Damit kann er allen „gläubigen Marxisten“ schwere Schläge überbraten. Wer sich je noch dazu verstehen sollte, „den anderen fix und fertig zu machen“, weil er „der Manie des Karl Marx (frönt), den Gegner wie einen Feind zu vernichten“, der bekommt es mit Freund Graß zu tun. Und der versteht keinen Spaß. Freundlich zwar, aber unerbittlich wird er seinen Gegner vernichten. Daß darüber kein Zweifel aufkommt! Hier geht es um die gerechte Sache. Graß ist – so will es seine Moral – ein militanter Typ. Er ist für die Exekution des Karl Marx, wie sie vom STERN vorbereitet wurde. Der „Verriß“, der ihm zusagt, ist „fair“ (dem gerechten Zweifler ist alles gerecht!), und vor allem ist er einschneidend: hier droht die militante Dummheit. Lächelnd zeigt sie den Knüppel vor, mit dem sie im Ernstfall – bislang war es ja nur Spaß – zuschlagen wird ...

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Marx auf dem Prüfstand

Da nicht zuletzt die MSZ sich als seriöses Organ verstanden wissen will, hat ihre Redaktion dem Versuch nicht widerstehen können, die gegenwärtige Relativierung des Marxismus, wie sie aus dessen öffentlicher Bloßstellung allerorten ablesbar ist, einer wissenschaftlichen Würdigung zu unterziehen. Zur Klärung der Frage der moralischen Verwerflichkeit dieser Weltanschauung konnte ein Instrument herangezogen werden, das kritisch ist par excellence: die bürgerliche Psychologie.

Dank ihrer durch hohe Zuverlässigkeit ausgewiesenen Testverfahren kann belegt werden, daß die von der öffentlichen Meinung konstatierte Anrüchigkeit des Marxismus von dessen Ursprung her gegeben ist. Dem von Dr. Burger Heinze (Psychologisches Institut der Universität Hamburg) für den STERN (1975, Nr. 21) entwickelten Verfahren zur kontrollierten Zuweisung gesellschaftlich dominanter Charaktertypen entnehmen wir folgende Analyse des Begründers des Wissenschaftlichen Sozialismus, Karl Marx.

Für die Prüfungsmethoden bürgerlicher Wissenschaft liegt ein Problem in der Verfügung über unverfälschtes Testmaterial. Wegen der Authentizität der vom STERN über Marx jüngst enthüllten Fakten sehen wir uns verpflichtet, die Analyse des Wegbereiters politischer Radikalität anhand dieses Materials durchzuführen.

Doch nun zum Testverfahren. Folgerichtig wird die Testperson mit jeder Antwort zu einer neuen Aufgabe weitergeführt, bis am Ende ihre Charakterstruktur offenliegt.

Karl Marx legt selbst Einstieg und Fortgang der Testreihe fest: Bekanntlich hatte er eine Schwäche für bourgeoise Frauen, und er dürfte sich, so wie ihn der STERN schildert, heute für den Frauentyp Anneliese Rothenberger entscheiden. Dies um so mehr, als der Hang zum Küchenpersonal, dem Marx bekanntlich frönte, bei der erotisierenden Häuslichkeit der Rothenberger gut aufgehoben sein sollte.

Frage 2: Welches Gefährt Marx bevorzugen würde, ist leicht beantwortet: auf keinen Fall allzu schnelles und modernes, eher einen soliden englischen Wagen, den Rolls-Royce Phantom.

Das führt zur Aufgabe 9, die danach fragt, welches Haus Marx lieb wäre. Bei der ihm vom STERN bescheinigten Lebensart dürften Zweifel hinsichtlich seiner Wünsche ausgeschlossen sein: Marx würde sich einen feudalen englischen Landsitz wählen.

Die anschließende Aufgabe 10 zielt auf die geheimen Stimuli, die Marx brauchte, um in Stimmung zu kommen. Es kann als sicher gelten, daß Marx „den Anblick schwarzer Reizwäsche“ angekreuzt hätte, was ihn zur Aufgabe 4 weiterführt.

Marx, ein Hundefreund, würde hier kaum zögern, sich einen „Basset hound“ und nicht etwa (als einen offensichtlichen Agenten des bürgerlichen Staats) einen deutschen Schäferhund auszusuchen.

Die folgende Aufgabe 14 stellt Marx vor die Frage seines Lebens: „Wie möchten Sie Ihr Geld anlegen?“ Um der Wahrheit die Ehre zu geben – Marx hätte sich sofort Aktien gekauft, um mit ihnen an der Börse herumspekulieren zu können.

Über Aufgabe 6, die nach seiner Lieblingsmusik fragt (im kunstsinnigen Hause Marx vermutlich Beethovens Klaviersonaten) gelangt man zur weiteren Fragestellung 15, welche Sendung Marx im Fernsehen bevorzugt haben würde. Trotz der Suggestion, die Robert Lemkes Ratespiel „Was bin ich?“ gerade auf den ewig berufslosen Marx sollte ausgeübt haben, dürfte dessen Entscheidung eindeutig zugunsten jedes „ARD-Ratgeber Geld“ gefallen sein, da es dem reichlich weltfremden Kapitaltheoretiker an Barem stets mangelte.


– Marx auf dem Prüfstand 2

Der darauf erforderliche Test 16 läßt sich für Marx leider nicht mit der hierzu erforderlichen Punktzahl abschließen, die ihn immerhin als gesellschaftlichen Aufsteiger (Typ A) eingestuft hätte; denn dazu ärgerte er sich offensichtlich über zu viele der Menschen, mit denen er zu tun hatte (in einer Minute würden ihm leicht über zehn Namen eingefallen sein), und außerdem fehlte ihm die nötige Akkuratesse, die er beim sauberen Durchfahren einiger Labyrinthzeichnungen zu beweisen gehabt hätte. So muß er Punkteinbußen hinnehmen.

Die damit unumgängliche Aufgabe 19 ist dann jedoch die letzte: Marx, der im Zeichnen überaus unpraktisch war, hätte etwa bei der geforderten bildlichen Darstellung des Bundeskanzlers versagt und damit ebenso wenig Punkte erzielt wie bei der Beantwortung folgender Fragen, die er allesamt verneint haben müßte: „ich bin schüchtern“, „ich habe Hemmungen, einen Vortrag zu halten“, etc.

Zum Typ C (Repräsentant), der wie geschaffen ist für Positionen, die gesellschaftliches Ansehen mit sich bringen, ist das Marxsche Punktekonto demnach zu schmal. Marx vielmehr Typ B – Playboy:

„Sie lieben das Mondäne, neigen zu Gags und Übertreibungen. Es stört Sie nicht, im Beruf und privaten Bereich als verspielt zu gelten. Im Gegenteil, oft nutzen Sie ihre Neigungen beruflich. Personen mit Ihrer Eigenschaft findet man häufig im Unterhaltungssektor, in der Werbung und verwandten Branchen.“

Der intendierte wissenschaftliche Beweis ist Punkt für Punkt erbracht: Der Marxismus muß als Gag seines Erfinders angesehen wenden, der damit den Anschein mondäner Haltung vorzutäuschen versuchte. Ein Luftikus also, der es zu ordentlichen Gedanken nie brächte. Sein gesellschaftlicher Mißerfolg ist erklärt.

Die Übertreibungen des Scharlatans sind entlarvt, und die Branche, in der er tätig war, das windige Agitatorengewerbe, steht schlecht da. (Von solchen Typen wird man sich nicht einmal Staubsauger anbieten lassen dürfen!)

aus: MSZ 5 – 1975

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