Vorsicht Sozialdemokraten! Porträt des einflußreichsten Studentenverbandes der BRD
Der SHB als „eigenständiger Hochschulverband“ macht – wie der MSB – an den Universitäten eine Politik, die gegen „die studentenfeindlichen Zustände“ gerichtet ist. Er kämpft daher gegen die „Formierung und Indienstnahme von Wissenschaft und Ausbildung durchs Monopolkapital“, gegen „die Verstümmelung des Bildungsgesamtplans“, gegen die „Streichung der Bezuschussung der psychotherapeutischen Beratungsstelle“, gegen „die Miet- und Fahrpreiserhöhung“, gegen „die Verschlechterung der sozialem Lage der Studenten“ und die „antidemokratische, militaristische und gewerkschaftsfeindliche Wissenschaft“. Er „schlägt den Gesetzen des Kapitals in der Mensafrage ein Schnippchen“. Er setzt sich ein für eine Ausbildung, die den Wünschen der Studenten entspricht – „sinnvoll und demokratisch, frei von Konkurrenz und Reglementierung, sozial gesichert“ und ist deshalb für „kostendeckendes BAFÖG“, Interdisziplinarität, Projektstudium, ein integriertes Hochschulsystem und demokratische Hausordnungen. In den Kämpfen für ihre „momentanen Ausbildungsinteressen“ sollen die Studenten „das Bewußtsein ihrer späteren formalen wie inhaltlichen Lohnabhängigkeit“ erlangen; der Kampf ist also gewerkschaftlich orientiert. Als „konsequenter Interessenvertreter“ erblickt der SHB im „materiellen Interessenkampf“ eine über diesen hinausweisende Perspektive: „Erst durch die sozialistische Praxis und Politik des SHB bekommen die Forderungen und Aktionen des demokratischen Massenkampfes jene politische Qualität, die die Durchsetzung von Forderungen als Kampfpositionen auf dem Weg zum Sozialismus sieht.“ Er führt den „Sozialkampf als Kampf für den Sozialismus“ und betont daher stets, daß er „keine ständische Vertretung der Interessen der Studenten“ betreibt (obgleich sie den „inhaltlichen Schwerpunkt“ seiner Politik bildet): „Der Sozialkampf als der materielle Interessenkampf (ist) nach wie vor inhaltlicher Schwerpunkt ..., da Bafög-Novellierung, Krankenversicherungs- und Wohnfragen, sowie die materiellen Studienbedingungen Probleme sind, denen die Masse der Studenten einheitlich unterworfen ist.“ Auf eine Kritik des gewerkschaftlich orientierten Sozialkampfes, der „stets als Einheit von materiellem, ideologischem und politischem Kampf“ geführt wird, verzichten wir hier, da sie in früheren Ausgaben der MSZ nachzulesen ist: „Die Monopole waren verbittert“ (MSZ 3/73) – „Kohlen von den Monopolen“ (MSZ 2/Feb. 74) – „Sozialkampf und kein Ende“ (MSZ 2/Dez. 74 – ”Wenn Lehrer Perspektive haben“ (MSZ 4/75).
Der SHB zählt sich zu den „Demokraten, die unsere gesellschaftliche Ordnung mit verfassungsgemäßen Mitteln zu einer aus ihrer Sicht gerechteren machen wollen“, indem er sich um die Verbesserung der Lage der Studenten bemüht. Er findet sein unermüdlicheres Selbst im MSB Spartakus, der ebenso wie er nicht locker läßt und nie zurücksteckt, wenn es darum geht, die Benachteiligung der Studenten und anderer „Opfer der Inflation“ wenn nicht zu beseitigen, so doch zu mildern. Die beiden bilden eine Aktionseinheit und stellen sich „auf die Grundlage einer gemeinsamen Programmatik“: „Unser AStA-Programm, das uns alte verpflichtet, ist auf der Grundlage der gewerkschaftlichen Orientierung erstellt worden. Die Zusammenarbeit mit dem MSB Spartakus verspricht deshalb, ein Erfolg zu werden, so wie unsere Zusammenarbeit bisher immer recht gut geklappt hat. Es gibt kein aktuelles hochschulpolitisches Problem, das von uns in gravierender Weise anders eingeschätzt wird.“ (Peter Schall(!)moser, SHB München) Da die Bündnispartner, die sich beide „als die einigende Kraft der demokratischen Studentenbewegung“ anpreisen, dieselbe Politik betreiben, geraten sie in Abgrenzungsschwierigkeiten. Bei der Antwort auf die Frage, warum die Erfolgreichen nicht fusionieren, läßt der SHB seinem wortgewandteren Partner den Vortritt, der „die spezifischen Positionen des Spartakus, die ihn von den Auffassungen des SHB unterscheiden, aufzeigt“: Wir „arbeiten für die Stärkung des Spartakus, weil wir in ihm das wesentlichste Moment an der Höherentwicklung dieser Bewegung sehen, sonst hätten wir diesen Verband ja nicht gegründet, so wie Ihr Euch nicht im SHB zusammengeschlossen hättet, wenn Ihr nicht überzeugt wärt, daß die wesentlichste Frage für die Studentenbewegung die Stärkung Eurer Organisation sei. D. h. es kann in dieser Frage und gerade in dieser Frage theoretisch keine Übereinstimmung zwischen uns geben, weil es sie praktisch nicht gibt, d. h. weil es zwei eigenständige Verbände SHB und Spartakus gibt. Alles andere sind sophistische Spitzfindigkeiten. Aktionseinheit heißt eben, daß es Meinungsunterschiede gibt und dennoch Einheit in der Aktion.“ (Christoph Strawe, MSB Spartakus) Strawe ist kein Sophist, sondern Mann der politischen Praxis, dem Unterschiede egal sind, solange das Bündnis floriert. Und damit der Vorteil seiner Organisation garantiert ist, wird den Studenten die Identität der beiden Verbände präsentiert. Wer immer noch der Meinung ist, es gebe Unterschiede, der möge sich gefälligst beim SHB erkundigen, hält dieser doch die Stärkung seines Verbandes für wesentlicher als die des Spartakus.
Der SHB, der den Spartakus nicht desavouieren möchte, rückt ebenfalls nur ungern mit der Sprache heraus. Stattdessen läßt er ein Beispiel seiner Agitation für sich sprechen. Der SHB erteilt den Studenten Nachhilfeunterricht in Sozialkunde und möchte sie endlich dazu bringen, „selbständig politisch denken zu lernen“. Deshalb treibt er ihnen ihre Vorurteile aus: „Die Linken sind dogmatisch, weil sie sich auf Marx, Engels und Lenin berufen.“ – indem er sie bekräftigt: „Wenn man auf drängende Fragen der Zukunft befriedigende Antwort finden will, ist wissensdienlicher Sozialismus schlechterdings unentbehrlich. Wer sich überzeugen möchte, wie herrlich undogmatisch, voller Witz und Ironie die drei obengenannten sind, den laden wir in unsere Arbeitskreise ein, um (?) den wirklich schlimmen Dogmatismus zu erleben, den der Antikommunismus, die Kirche …“ Wo der Spartakist mit dem „Marxismus-Leninismus“ hausieren geht und die Richtigkeit seines Standpunkts behauptet, löst der SHB-ler mit seiner undogmatischen Perspektive „Das Kapital“ in einen gelungenen Scherz auf. Weil der SHB und die Studenten keine Kommunisten sind, werden aus den Dogmatikern fortschrittliche Menschen mit Sinn für Humor. Von Lenin, der die russische Revolution organisiert hat, was so witzig nicht war, distanziert, man sich besser und versteht sich als die „nicht-leninistische und nicht-reformistische Komponente in der Sozialdemokratie“: Miträt, Engels, Bebet! Weil aber heute in Rußland. wieder andere Zustände herrschen, werden die Vorteile des russischen Systems den Studenten nahegebracht und der „Vorsitzende der KPdSU“ als der „entschiedene Vorkämpfer für Frieden und Demokratie“ gefeiert. Was dem SHB an der SU nicht so gut gefällt, behält er für sich, denn daß sich der Prager Einmarsch nicht gehört, braucht man den Studenten nicht extra zu sagen. Von seinem Bündnispartner, zu dem er „freundschaftliche Beziehungen unterhält'', grenzt sich der SHB also ab „hinsichtlich seiner Haltung zu den sozialistischen Staaten“ (er verteidigt sie nicht vorbehaltlos, sondern nur an den Punkten, die ihm positiv und opportun erscheinen). Doch der wichtigste „inhaltliche Unterschied“ liegt „in der Tatsache, daß er (der SHB) den Führungsanspruch einer kommunistischen Organisation ablehnt“, d. h. den Führungsanspruch der Sozialdemokraten anerkennt. Der SHB „versteht sich als Bestandteil der sozialdemokratischen Bewegung, freilich als ihr linkster …“
Wie die Jusos sieht der SHB „trotz aller Kritik größtenteils keine Alternative zur SPD“, weshalb er „nicht an einer Spaltung der SPD interessiert“ ist und auf seiner 15. Bundesdelegiertenversammlung „die Frage der Veränderbarkeit der SPD positiv entschieden“ hat. Die Kritik an der SPD besteht darin, daß sie nicht die Politik des SHB macht, nicht, gemäß ihren eigenen fortschrittlichen Idealen handelt, so daß „Bebel heute ausgeschlossen würde“. (Bebel: „Willy, gib die Uhr zurück!“) Da diese Kritik keine ist – der SPD wird vorgehalten, wie sie zu sein hätte (so wie früher) – , „geht der SHB im Gegensatz zum MSB nicht davon aus, daß die sozialdemokratische Partei oder auch nur die Parteiführung insgesamt als Bestandteil des monopolkapitalistischen Herrschaftssystems der BRD gesehen werden kann“ (der MSB kann). Folglich „muß die Partei differenziert betrachtet werden“ und sind „Rechtssozialdemokraten“ wie der „Genosse Leber“ entschieden zu verurteilen. Der SHB beteiligt sich an der „innerparteilichen Diskussion“, indem er sie um seine differenzierte Betrachtungsweise bereichert. Der SHB mißt also der SPD „die entscheidende Rolle“ in der Arbeiterbewegung, d. h. „im Kampf um Demokratie und Sozialismus“ zu. Im Streit mit dem Spartakus legitimiert er seine Entscheidung, indem er auf die Größe seiner Mutterpartei verweist, ohne dabei gegen die Theorie des Stamokap zu verstoßen: der Widerspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit „verallgemeinert“ sich durch die „Ausdehnung“ der Prozentzahl der Lohnabhängen auf 70-90 Prozent, womit die Partei, in der diese 70-90 Prozent „mehrheitlich organisiert“ sind, im Gegensatz zum Kapital steht. Zwar betreibt die Parteispitze eine gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtete Politik und versucht ihre Maßnahmen „mit Hilfe der Partnerschaftsideologie zu verschleiern“. Jedoch: „Der Integrationskurs findet seine Grenze an dem Bewußtseinsgrad der Arbeiterklasse.“ Und auch wenn den Arbeitern das Bewußtsein noch mangeln sollte, ruft die SPD „mit ihrer systemstabilisierenden Integrationspolitik immer wieder den Widerstand der Arbeiter hervor.“ q.e.d. Während der SHB – wie die Jusos – mit den unzufriedenen Lohnabhängigen bloß spekulativ in der SPD eine seinen Vorstellungen entsprechende gerechtere Politik gegen die Parteiführung verwirklicht, meint er es an den Hochschulen so ernst mit dem SPD-Programm, daß ihn die Unzufriedenheit der Studenten nicht ruhen läßt. Mit seinen Aktionen gerät er nur zu oft in Gegensatz zur Regierungspolitik, denn er gibt sich mit den reformierten Mängeln nie zufrieden, akzeptiert in der Interessenvertretung den Ausgleich nur, um einen neuen zu fordern. Der SHB schadet der SPD, weil er mit ihrem Ideal – die Erfüllung aller benachteiligten Interessen – an den Hochschulen gegen sie kämpft. Aber wie! Der SHB agitiert Studenten, die „aus Enttäuschung über die Regierungspolitik der sozialliberalen Koalition resignieren und die Hände in den Schoß legen wollen“, indem er „ausdrücklich versichert, daß der Platz sozialdemokratischer Studenten im SHB ist“, der Platz der SHB-ler wiederum in der SPD ist. Nachdem er den Studenten gesagt hat, daß ihre Benachteiligung wesentlich von der SPD als Regierungspartei verschuldet wurde, fordert er sie auf, zum Zweck der Beseitigung ihrer Benachteiligung in der SPD zu arbeiten. Vor neuerlichen Enttäuschungen bewahrt er sie, indem er ihnen die Perspektive des SHB an die Hand gibt, womit sie sich vor der SPD wappnen können: sie nennt sich sozialistische Demokratie und unterscheidet sich vom demokratischen Sozialismus durch ihren nicht-integrativen Charakter.
Auf eine Politik, die der SPD nur nützt, indem sie ihr schadet, kann die Partei nicht mit Gleichgültigkeit reagieren. Sie stellt fest, daß der SHB keine SPD-Politik betreibt, wobei sie keine Rücksicht darauf nehmen kann daß der SHB nur ihr zuliebe gegen sie antritt. ,,Die schweren Nachteile, die die Klägerin erleidet, wenn sich der SHB weiterhin ,sozialdemokratisch‘ nennt, liegen auf der Hand: es gelingt der Klägerin in der Öffentlichkeit ohnedies nur schwer, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie grenze sich nicht ausreichend gegen linksextremistische Gruppen ab.“ (Urteil des OLG Köln) Der SHB-ler ist zum Märtyrer geworden, weil er außerhalb der SPD ihr ein leuchtendes Beispiel gab, wie ihr Ideal zu verwirklichen ist. Deshalb verachtet er die Jusos und fordert sie auf, ihre Kritik endlich praktisch werden zu lassen, Der Streit dieser beiden Gruppen hat seine Grundlage in dem hartnäckigen Bemühen, die kritisierte SPD zu verbessern. Und weil die Politik der Jusos darin besteht, die SPD an ihr eigentliches Wesen zu erinnern, die Politik des SHB aber darin, die SPD an der Hochschule zu bekämpfen und damit für die SPD aus ihr rauszufliegen, können sich die beiden ihren mangelnden Erfolg vorrechnen: der Juso bleibt in der Partei. doch die moralischen Appelle. zu denen er sich aufschwingt. lassen in der SPD alles beim alten; der SHB-ler handelt nach dieser Moral, wird dafür ausgeschlossen und kann schauen, wer die Partei auf den Kurs konsequenter Interessenpolitik bringt.
Das Ergebnis der SHB-Agitation kann nun nicht mehr verwundern Die Studenten wählen den SHB, er ist Favorit unter den Interessenvertretern. Aber sie organisieren sich nicht im SHB, denn er besorgt das mühsame Geschäft der Interessenvertretung ja für sie. (In seinem „Verbandsorgan frontal“ veröffentlicht der SHB unter dem Titel „Warum bin ich Mitglied im SHB geworden?“ Bekenntnisse seiner Mitglieder, die als einzigen Grund für deren Beitritt die Diskriminierung des SHB angeben und somit erkennen lassen, daß mittlerweile zum Zweck der Organisation deren bloßer Fortbestand geworden ist.) Als politisch interessierte Staatsbürger sind die Studenten für die SPD. Schließlich hat sie der SHB dazu aufgefordert und ihnen mit seiner Politik demonstriert, daß es auf seine Perspektive nicht ankommt. Die wenigen aber, denen die SHB-Parole „Kampflos geben wir nichts her!“ zu Kopf gestiegen ist. gehen zum MSB (dorthin ging Steffen Lehndorff und wurde Bundes vorsitzender des MSB, weil er zuvor denselben Posten beim SHB bekleidet hatte) und in die DKP, denn warum sollen sie die Sisyphusarbeit einer Veränderung der SPD auf sich nehmen, wenn es bereits eine Partei gibt, die es sich zum Programm gemacht hat, den optimalen Nutzen für alle Benachteiligten herauszuschlagen? So scheint der MSB als Sieger aus diesem Bündnis hervorzugehen, als derjenige, der es verstand, aus dieser Koalition seinen Vorteil zu ziehen. Das Bündnis mit dem SHB, der dieselbe praktische Politik wie er betreibt, ohne mit dem Makel des kommunistischen Dogmas behaftet zu sein, ermöglicht es ihm, Positionen an den Hochschulen zu ergattern und dadurch seine Politik und sich als Organisation zu stärken. Obwohl ihn kaum jemand wählt, besetzen seine Funktionäre wichtige Hochschulposten (denn der SHB hat nicht nur wenig Mitglieder), woraus sich der Eindruck erklärt, der SHB sei eine Tarnorganisation des MSB. Freilich machen sich die Spartakisten damit vom SHB abhängig: Eine Kritik an der Perspektive ihres Bündnispartners können sie sich nicht leisten, ohne die „erfolgreiche Aktionseinheit“ und somit sich selbst zu gefährden. Der MSB fungiert daher für den SHB an den Hochschulen, ohne dessen Tarnorganisation zu sein. Das vorteilhafte Bündnis kostet ihn potentielle Freunde, weil er seine Perspektive und die Unterschiede zwischen DKP und SPD mit seiner Politik für bedeutungslos erklärt hat. Die Studenten aber kennen den Unterschied: sie sind Sozialdemokraten, die nur auf hochschulpolitischer Ebene mit revisionistischen Aktionen einverstanden sind. aus: MSZ 7 – 1975 |