Das Recht auf Arbeit

Wie der Staat den Arbeitslosen dazu verhilft

 

Die Zahl der Arbeitslosen in der BRD hat in den letzten Monaten weiter zugenommen, und mehr als ein Drittel von ihnen muß schon länger als ein halbes Jahr von staatlicher Unterstützung leben. Der Vorsitzende der Partei, die sich auf ihre „Arbeitnehmerfreundlichkeit“ etwas zugute hält, will darin aber keine außergewöhnliche Problematik entdecken, vielmehr den Beweis, daß die Funktionstüchtigkeit des Staats auch in widrigen Zeitläufen gewahrt ist:

„Man soll die Lage der Arbeitslosen nicht schwärzer machen als sie ist – dies ist keine soziale Not, erweist sich ja gerade hier die Tragfähigkeit des sozialen Netzes.“


Arbeitsförderung im Sinne des Kapitals

Die gesetzliche Fixierung dieses „sozialen Netzes“, das die Not der Arbeiter nicht zu einer „sozialen“ werden lassen soll, das Arbeitsförderungsgesetz gibt Aufschluß über die Absichten und Gründe, weswegen sich der Staat mit den Arbeitern und ihren Problemen befaßt er hat seine eigenen Probleme:

„Die Maßnahmen nach diesem Gesetz sind im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung darauf auszurichten, daß ein hoher Beschäftigungsstand erzielt und aufrechterhalten, die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert und damit das Wachstum der Wirtschaft gefördert wird“ (§ 1).

Welcher Art die Sorge ist, die der Staat wegen seiner Bemühungen um das Wirtschaftswachstum den Arbeitern angedeihen läßt, dokumentieren nicht nur die Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitslose, die dieses „Gesetz für alle Zeiten“ vorsieht, sondern auch die Vorkehrungen, die in „Normalzeiten“ im Vordergrund stehen.

Dem „Beschäftigungsstand“ dient zunächst die Vermittlung zwischen „Beschäftigung und Arbeitsmarkt“, durch die der Staat dafür sorgt, daß „Arbeitssuchende Arbeit und Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitskräfte erhalten“ unter Berücksichtigung der „besonderen Verhältnisse der freien Arbeitsplätze, der Eignung der Arbeitsuchenden“(§ 14). Der Staat vermittelt hier also zwischen zwei sehr ungleichen Interessen: während die eine Seite Arbeit gibt, weil sie den Arbeiter als nützliche Arbeitskraft einsetzen will, muß die andere Seite Arbeit leisten, um sich zu reproduzieren. Die Arbeitsvermittlung ist also ein recht einseitiges Geschäft, da es auf der Anerkennung der Tatsache beruht, daß die Arbeiter gemäß den Interessen der Kapitalisten ihre Arbeitskraft verkaufen müssen und daß es sich daher nach denen richten muß, die die Arbeit „geben“: Der Staat erspart den Kapitalisten die Mühe, sich ihre Arbeitskräfte selbst suchen zu müssen, eben durch das „Prinzip der unparteilichen Vermittlung“ (§ 20).

Durch Berufsberatung, die die „Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes“ berücksichtigen soll, und durch „Förderung der beruflichen Bildung“ ergänzt der Staat seinen Einsatz für die „Arbeitgeber“, von denen die Arbeiter abhängig sind. Er bemüht sich um die „Anpassung der Kenntnisse und Fähigkeiten an die beruflichen Anforderungen“ (§ 42) und die „berufliche Beweglichkeit“ (§ 47) und erklärt selbst, was die Quintessenz dieser Maßnahmen ist: wollen sich die Arbeiter reproduzieren, müssen sie sich den wechselnden Bedingungen der Ausbeutung gemäß machen:

„Der Einzelne muß, will er in der modernen Arbeits- und Berufswelt bestehen und weiterkommen, diese Veränderung erkennen und sich in seinem Berufsverhalten darauf einstellen, um nicht zum Objekt der Entwicklung zu werden, sondern sie im persönlichen Bereich vorausschauend aktiv zu bewältigen“ (Vorwort)

Wenn der Staat den Arbeitern zu verstehen gibt, daß er zur Mobilität gemäß den Erfordernissen der Konkurrenz gezwungen ist, geht er andererseits in seinem Bemühen um die Nutzbarmachung und Erschließung von Arbeitskräften soweit, auch Leute für die Arbeit verfügbar zu machen, „deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist“: Behinderte, Frauen, „ältere und andere Erwerbstätige“ (§ 2). Die „besondere Aufmerksamkeit“ (Vorwort), die der Staat ihnen schenkt, um ihre ,,Erwerbstätigkeit“ herzustellen oder zu erhalten, erkennt an, daß sie in der „Arbeitswelt“ besonders gefährdet sind, möchte sie aber zugleich dazu bewegen, sich auf Grundlage dieser Benachteiligung nützlich zu machen. Damit entlastet und bereichert der Staat seine Kasse und bietet den Kapitalisten Arbeitskräfte an, die wegen ihrer mangelhaften Konkurrenzfähigkeit gerade Vorteile bieten: sie sind willig und billig und nicht selten mit einem staatlichen Zuschuß versehen.


... sichert nicht die Arbeitsplätze

Mit dem AFG schöpft der Staat alle Möglichkeiten aus, den Interessen des Kapitals gemäß Arbeitskräfte bereitzustellen, was nicht bedeutet, daß mit der Befriedigung dieses Interesses Vollbeschäftigung garantiert wäre.

Zwar versucht der Staat die Illusion zu nähren, mit der Bereitstellung und -machung von Arbeitskräften für die Arbeitgeber sei auch den Arbeitern geholfen, doch gibt er sich selbst der Illusion, durch solche Maßnahmen Arbeitslosigkeit zu verhindern, nicht hin. Im Gegenteil: Er kalkuliert Unterstützung für Arbeitslose als lästige aber notwendige Ergänzung der volkswirtschaftlich nützlichen „Förderungsmaßnahmen“ mit ein.

„Die Vermittlung in berufliche Ausbildungsstellen oder Arbeit sowie die Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung gehen Leistungen nach dem Dritten und Vierten Abschnitt (Leistungen der Arbeitslosenversicherung) vor“ (§ 5).

Weil er aber daran interessiert ist, daß ihm die Leute nicht auf der Tasche liegen, verbindet er das Eingeständnis, daß die Orientierung an den „Erfordernissen des Arbeitsmarktes“ die Existenzunsicherheit der Arbeiter bedeutet, mit dem Zwang, sich für diese Erfordernisse bereitzumachen und bereit zu halten.

Da die Förderung der Arbeit die Förderung eines Wirtschaftsprozesses beabsichtigt, der immer wieder – rücksichtslos gegen deren Existenzbedingungen  – Arbeiter überflüssig macht, beschränkt sich der Staat im Bereich der Arbeitslosenvorsorge auf die Kompensation der schlimmsten Auswirkungen. Daß Kompensationen dem Verhältnis dienen und es erhalten wollen, das sie notwendig macht, belegt der Staat zunächst durch die gesetzlich garantierten Zuschüsse, mit denen er zur „Erhaltung der Arbeitsplätze“ die Profiterwartungen der Unternehmer befördert und von der lästigen Rücksichtnahme auf ihre Auswirkungen auf die Arbeiter befreit („Kurzarbeitsgeld“, Zuschüsse für die Bauwirtschaft, Zuschüsse für Unternehmen, „wenn zu erwarten ist, daß die Förderung den Arbeitsmarkt in wirtschafts- oder sozialpolitisch erwünschter Weise belebt“ (§ 92), „Zuschüsse für die zusätzliche Einstellung älterer Arbeitnehmer (§197). Entsprechend solchen Regelungen hat die SPD bei ihren Krisenbewältigungsversuchen der letzten Monate nicht vergessen, daß Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen immer noch das Geschäft der Kapitalisten ist, das ihnen schmackhaft gemacht werden muß, und anschauliche Beispiele geliefert, wie der Staat sich um die Gesundung der Volkswirtschaft bemüht. Einem mit 600 Millionen DM ausgestatteten Hilfsprogramm vom Frühjahr 1975, das durch die Rückerstattung von 60 Prozent der Lohnkosten die Unternehmer zur Einstellung von Arbeitslosen zu bewegen suchte, erging es freilich, wie es höflichen Angeboten gehen kann: es wurde ausgeschlagen. Da solch wohlmeinende Bemühungen, den Kapitalisten Lohnkosten zu ersparen, auf wenig Gegenliebe stießen, hat die SPD-Regierung das Problem zweigeteilt: Die „Sicherung der Arbeitsplätze“ nahm sie durch günstigere Offerten an die Unternehmer in Angriff. Investitionsbeihilfen und vielleicht doch einige Steuererleichterungen überlassen es den Unternehmern, ob sie durch die Einstellung neuer Arbeitskräfte oder durch Modernisierung der Produktion, (Einsparung von Arbeitsplätzen und Intensivierung), den Aufschwung bewerkstelligen wollen; denen aber, die durch das segensvolle Wirken des Kapitals ihren Arbeitsplatz verloren haben oder verlieren, widmet sie sich entsprechend den Regelungen des AFG, das für solche Fälle vorgesorgt hat, wo sich die im engeren Sinne für das Wohlergehen der Nation Verantwortlichen trotz aller Anreize nicht zur Beschäftigung von Arbeitern bewegen lassen. Daß dabei die Arbeiter nicht gerade bevorzugt behandelt werden, liegt auf der Hand, sind sie es doch, die den sozialen Frieden stören.


Arbeitslosenunterstützung als Zwang zur Arbeit

Dem Staat stellt sich die hohe Arbeitslosigkeit als ein Problem dar, das es ohne große Belastung von Staatskasse und öffentlicher Ordnung zum Wohle der Wirtschaft zu bewältigen gilt. Einen Teil der Vorsorge für diese Zeiten, in denen die Arbeiter nicht gebraucht werden, hat der Staat der Arbeiterklasse durch die Zwangsbeiträge zur Arbeitslosenversicherung selbst aufgebürdet. Während für den Unternehmer durch den Versicherungsbeitrag nur die Produktionskosten steigen, bedeutet er für den Arbeiter einen Abzug von seinem lebensnotwendigen Verdienst. Ob ihm dieser Verzicht freilich etwas nutzt, hängt von der Erfüllung der gesetzlichen Auflagen ab, die den Anspruch auf Unterstützung begründen.

„Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftzeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat“ (§ 100).

Den Staat interessiert nicht, was ein Arbeitsloser braucht und wie lange Unterstützung notwendig ist, sondern ob er sich schon gesellschaftlich nützlich gemacht hat.

„Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld richtet sich nach der Dauer der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung …“ (§ 106).
„Das Arbeitslosengeld beträgt 68 vom Hundert des … Arbeitsentgeltes“ (§ 111).

Die Bemessung nach der Leistung des Arbeiters oder wir nach seinen Lebensbedürfnissen ist also keineswegs das Prinzip solcher Hilfe. Die Verknüpfung von Dauer und Höhe der Unterstützung mit der Beschäftigungszeit und der Höhe des bisherigen Verdienstes ist nur die Art und Weise, wie der Staat die prinzipielle Beschränkung, der von ihm gewährten Unterstützung regelt. Allemal geht die Rücksichtslosigkeit des Kapitals gegenüber den Arbeitern zu ihren Lasten: weil der Staat unproduktive Kosten möglichst gering halten will, auferlegt er den Arbeitern, mit einem Teil dessen zurechtzukommen, was ihnen vorher zur Verfügung stand, und treibt dadurch die Arbeitslosen wieder zur Arbeit.

Und daß weder die Notwendigkeiten eines halbwegs gesicherten Lebens noch die bisher erbrachte Arbeitsleistung zählen, daß Nicht-Ausgebeutetwerden eine Strafe ist, erfahren die Arbeiter noch brutaler, wenn sie spätestens nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld mehr erhalten.

Ob sie dann durch Arbeitslosenhilfe unterstützt werden, d. h. mit weniger als der Hälfte ihres Lohnes zurechtkommen müssen, macht der Staat davon abhängig, ob sie in ihrem Eigentum auf nichts als ihre Arbeitskraft reduziert sind.

Mit der Festlegung, daß der Arbeitslose nur Arbeitslosenhilfe erhält, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie „nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann“ (§ 137), wird der Familie die Sorge aufgebürdet. Solange diese den Arbeitslosen durchfüttern kann, weigert sich der Staat, ihn als hilfsbedürftig anzuerkennen. Sowohl das „in Arbeitnehmerhand“ gebildete „Vermögen“ als auch das Einkommen der Familienangehörigen behandelt er als günstige Quellen der Selbsthilfe und greift erst ein, wenn sie erschöpft sind. Und wo die Arbeitslosigkeit beide Ehepartner trifft, erinnert sich der Staat daran, daß er ihnen mit der Institutionalisierung ihres Gefühlsverhältnisses die Vorsorge für die Existenz des anderen ans Herz gelegt hat:

„Erfüllen Ehegatten, die im gemeinsamen Haushalt leben, zugleich die Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe, so wird Arbeitslosenhilfe nur dem Ehegatten gewährt, der von beiden Ehegatten als anspruchsberechtigt bestimmt worden ist“ (§ 139).

Angesichts der bitteren Erfahrung, wofür Ersparnisse und Familie nützlich sind, angesichts des Zwangs, die bescheidenen „Sicherheiten“ für die Zukunft aufzubrauchen, erscheint es dem Arbeiter noch als Segen, arbeiten zu dürfen. Das „Leistungsrecht“ der Arbeitslosenversicherung (Vorwort) bringt ihn dazu, sich über die Wiederaufnahme der Arbeit in einer Lage zu freuen, wo er bemerkt, daß Arbeit in dieser Gesellschaft alles andere als eine sorgenfreie Lebensgarantie ist.

(So ist auch klar, daß die „unparteiische Haltung“, die der Staat bei Arbeitskämpfen einnimmt

– „Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in Arbeitskämpfe eingegriffen werden.“ (§116) – ,

ein Mittel darstellt, materiellen Druck auf die Arbeiter auszuüben, die Verfolgung ihrer Interessen einzustellen.)

Zu all dem werden den Arbeitslosen noch „die Risiken verdeutlicht, mit denen bei einem Andauern der schlechten Wirtschaftslage zu rechnen ist“ (SZ v. 30. 10. 75). Die hohe Zahl der Arbeitslosen macht sich als zunehmende Inanspruchnahme des Staatshaushaltes bemerkbar, dem andererseits der Abbau übertariflicher Löhne in der Krise zugute kommt, verringert sich doch damit die Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes. Um die ersonnene Abhilfe, die Erhöhung der Arbeitslosenbeiträge, durchzusetzen, entwirft die Regierung düstere Prognosen – die Beiträge werden nicht ausreichen, um die Arbeitslosenleistungen zu erbringen, so daß die Rentenversicherung angezapft werden müßte –, die den Arbeitnehmern nahelegen, daß es vorteilhafter ist, statt der Risiken einer schlechten Altersversorgung eine Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung hinzunehmen. Die „gesicherten Zukunftsaussichten“ – für die sie heute auf einen Teil ihres Einkommens verzichten müssen – sollen ihnen als Ausgleich für noch drastischere Einbußen erscheinen und die ihnen aufgezwungene Kompensation, der durch das Kapitalinteresse verursachten Notlage, rechtfertigen. In dem Appell an die „Solidarität aller Werktätigen“ erklärt eine Regierung, die sich bei passenden Gelegenheiten immer wieder als Dienstleistungsbetrieb für Arbeitnehmer andienert, daß. das „System der sozialen Sicherheit“ zu Lasten der Arbeiter geht, was diese nicht hindert, vom Staat ihren Nutzen zu erwarten und sich mit besagten Sauereien abzufinden.


Reorganisation des Arbeitskräfteangebots

Selbst wenn der Staat über eine Erhöhung der Beitragszahlungen zur Arbeitslosenversicherung einen Teil seines Problems aus der Welt schafft, bleibt der andere: die unproduktive Verwendung dieser Gelder zum Unterhalt eines nicht-arbeitenden und damit nutzlosen Teils der Bevölkerung, der zudem aufgrund seiner besonderen Lage erfahrungsgemäß zu politisch gefährlichen Reaktionen tendiert. Um aus ihnen normale Mitbürger zu machen, sie wieder ins Arbeitsleben einzugliedern und die Staatskasse von dieser Last zu befreien, sind also andere Anstrengungen erforderlich. Zunächst einmal wird den Betroffenen nur dann ein Anspruch auf Unterstützung zugebilligt. wenn sie bereit sind, sich der „Arbeitsvermittlung zur Verfügung“ zu stellen (§ 100). Und daß dabei ihre Bereitschaft, sich zu irgendeiner Arbeit vermitteln zu lassen, und nicht die zur Wiederausübung ihres Berufes (in dem sie ja offensichtlich nicht mehr gebraucht werden) gefordert ist, hält das Gesetz ausdrücklich fest:

„Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann“ (§ 103).

Die „Freiheit und Würde der Person“ kann sich also weiterhin in der Wahl ihres Berufs betätigen, nur die Alternativen sind eingeschränkt: entweder man läßt sich etwas zumuten oder man verliert die finanzielle Unterstützung. Wird eine als zumutbar angesehene Stelle ausgeschlagen, so wird das Arbeitslosengeld zunächst für einen Monat gesperrt, und bei Wiederholung erlischt der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der materielle Zwang, den Beruf zu wechseln, zeigt, was die Arbeiter fürs Kapital sind – bloße Arbeitskraft, und straft die Illusion Lügen, die Freiheit der Berufswahl sei die Garantie, eine berufliche Tätigkeit nach eigenen Neigungen und Wünschen ausüben zu dürfen. Daß die Betroffenen sich der Einsicht in das, was mit ihnen geschieht, verweigern und sich die Flausen leisten, daß auf sie – ihrer besonderen Lage entsprechend – Rücksicht genommen wird, verdankt sich der Tatsache, daß mit dem Begriff der Zumutbarkeit dem sozialen Abstieg gewisse Grenzen gezogen sind. Allerdings nicht, um die Lage der Betroffenen zu erleichtern – volkswirtschaftliche Gesichtspunkte verlangen, mit vorhandenen Qualifikationen nicht allzu verschwenderisch umzugehen, denn schließlich hat man ja in die Ausbildung einiges investiert, was sich auch unter schlechteren Bedingungen noch auszahlen soll. Die Zumutbarkeit bemißt sich daher jeweils am vorher ausgeübten Beruf und verteilt somit die sozialen Lasten nach der hierzulande geltenden Gerechtigkeit, daß soziale Privilegien – soweit nützlich – auch noch in ihrem Abbau zu achten sind. Wer von vorneherein im Konkurrenzkampf schlecht abgeschnitten hat, dem kann auch mehr zugemutet werden als demjenigen, der sich mit seiner Stellung bestimmte Vorrechte erkämpft. hat. Mit der Drohung, das Arbeitslosengeld zu entziehen, wird also dafür gesorgt, daß die, deren Arbeit das Kapital für überflüssig erklärt hat, sich ihm an anderen, ungünstigeren und schlechter bezahlten Arbeitsplätzen wieder zur Verfügung stellen. (Das Zusammenspiel von Staat und Unternehmen in dieser Hinsicht klappt vorzüglich: viele Betriebe nutzen die Gelegenheit zu Entlassungen, um die freigewordenen Arbeitsplätze zum gleichen Lohn mit besser Qualifizierten zu besetzen, die sich dies zumuten lassen müssen.)

Dieser Art Vermittlungstätigkeit, die den „Freigesetzten“ den sozialen Abstieg ebnet, ist allerdings das Vorhandensein offener Stellen vorausgesetzt, so daß im Interesse einer Lösung des Arbeitslosenproblems in die verschärfte Konkurrenz um minderwertige Arbeitsplätze eingegriffen werden muß. Unter denjenigen, die aufgrund ihrer besonderen Voraussetzungen bisher nur die freigebliebenen untersten Ränge der beruflichen Hierarchie auffüllen durften, zeichnen sich zwei Gruppen durch einen besonderen Vorzug aus: wenn sie ihre Stellung verlieren, muß der Staat nicht für ihren Unterhalt aufkommen.

In vorbildlicher Weise um die Sanierung der Staatsfinanzen bemüht, übt man auf Frauen und Gastarbeiter besonderen Druck aus, das Arbeitsleben bzw. die BRD zu verlassen. Aufgeschreckt durch den Kassandra-Ruf eines SPDlers – „in dieser Lage leisten wir uns in der Bundesrepublik noch mehr als 2 Mio. Gastarbeiter!“ (Spiegel 132, Lohmar) – macht man die ausländischen Förderer des Wirtschaftswunders darauf aufmerksam. daß sie ihren Kollegen im Wege stehen, sicher nicht ohne die freudige Zustimmung der deutschen Kollegen. und kompensiert ihre Arbeitslosigkeit auf recht originelle Weise: man fördert sie aktiv. Die Anwerbung in den Heimatländern ist schon seit einem Jahr gestoppt; die Arbeitsämter dringen darauf, daß die Unternehmen erst dann Ausländer einstellen, wenn nachweislich kein deutscher Arbeiter gefunden werden kann; Gastarbeiter müssen jede Stellung annehmen, die Arbeitserlaubnis wird in vielen Fällen nicht verlängert und auf Arbeitslosenunterstützung besteht kein Rechtsanspruch. Mit der endgültigen Abschiebung der Gastarbeiter in ihre Heimatländer ist zumindest ein Problem beseitigt, überschüssige Arbeitskräfte werden aus dem Weg geräumt und die Sorge für deren Existenz wird dem jeweiligen Nationalstaat aufgebürdet, sofern dieser sich solche Sorgen macht.

Auch die Entlassung der Frauen aus der Männerwelt gestaltet sich relativ einfach. Sie unterliegen in der verschärften Konkurrenz, wenn neben ihnen Männer als Bewerber auftreten. Mit Festlegungen „üblicher Arbeitszeiten“ durch die Arbeitsämter (die der Arbeitslose akzeptieren muß, um seine Bereitwilligkeit zu beweisen) verunmöglicht der Staat den Frauen eine Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit, die aufgrund ihrer Funktion in der Familie auf Teilzeitarbeit angewiesen sind. Die Forderung, den Nachweis zu erbringen, daß Kinder während der Arbeitszeit der Mutter versorgt sind, worum er sich in normalen Zeiten einen Dreck kümmert (bisher berufstätige Frauen müssen jetzt den Nachweis erbringen!), tut ein übriges:

„Der Arbeitnehmer ist jedoch nicht arbeitslos, wenn er eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger ausübt“ (§101).

Behinderte und Alte befreit man auf ihre Kosten von der Last der Arbeit, indem man sie an den Leistungen einer normalen Arbeitskraft mißt, demonstriert ihnen damit, daß wer sich fürs Kapital nützlich machen läßt, noch lange nicht als nützlich gilt, wenn der Staat ihn unterstützen muß, und bürdet die Sorge für sie – soweit möglich – ihren Angehörigen auf:

„Wer nur mit Einschränkungen hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit imstande ist, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben, hat. keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe“ (§ 134).


Zwei Gesichter zeitgemäßer Arbeitsmarktpolitik

So trägt der Staat ungerührt die Lasten der Krise verstärkt auf dem Rücken derjenigen aus, die er ansonsten mit allen möglichen Anstrengungen dazu bewegen will, sich als billige und für niedere Arbeiten geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.

Er entfernt sie aus dem Arbeitsleben, macht dadurch Arbeitsplätze frei und füllt die industrielle Reservearmee mit solchen Mitgliedern auf, die aufgrund ihrer Benachteiligung bereit sind, sich auch noch zu den schlechtesten Bedingungen zu verkaufen, und setzt dadurch die Arbeitslosen, die ohnehin arbeitswillig sind, einer verschärften Konkurrenz aus. So erreicht er durch die mit der Gewährung von Arbeitslosenunterstützung verknüpften Bedingungen, daß die von Arbeit und Einkommen Ledigen ihr berufliches Können zu einem geringeren Preis zur Verfügung stellen bzw. sich auf minderwertige Arbeitsplätze vermitteln lassen, so daß im Ergebnis denjenigen, die die Arbeitskräfte gewinnbringend einsetzen, zu gesenkten Kosten gleich oder besser Qualifizierte zur Disposition stehen.

Die Anstrengungen, die der Staat in früheren Zeiten unternommen hat, am Arbeitswillige für die erforderten Arbeiten zu qualifizieren, und zusätzliche Arbeitskräfte herbeizuschaffen, erweisen sich nun als Hindernis für die zeitgemäße Funktionalisierung der Arbeitenden und werden folglich zurückgenommen.

Wurde in den 60er Jahren die Umschulungs- und Weiterbildungstätigkeit durch eine Bildungspropaganda unterstützt, die den nahenden Untergang unserer Volkswirtschaft aufgrund mangelnder Qualifikationen prophezeite, so geht es jetzt darum, durch eine verschärfte Fassung des Begriffs der „Zumutbarkeit“ (bei solch dehnbaren Begriffen bestätigt der Staat regelmäßig, daß staatliches Definieren ein gewalttätiges Geschäft ist) die Mobilität nach unten zu beschleunigen und die Umschulungsmaßnahmen auf das einzuschränken, was der Arbeitsmarkt jetzt verlangt. Die ausgedehnte Werbung für den Eintritt ins Arbeitsleben kehrt sich also um, und diejenigen, die zusätzlich für die Segnungen der Arbeitswelt gewonnen wurden, werden hinausexpediert weitgehend ohne Anspruch auf Sicherung. Und den Jugendlichen, die auf den Eintritt ins Berufsleben warten, offeriert man zusätzliche Bildungsveranstaltungen (wofür Bildung alles gut ist!), damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen.

Werden in guten Zeiten von seiten des Staates besondere Leistungen erbracht, die den Arbeitern die Illusion geben, der Staat würde ihren Interessen entgegenkommen und ihnen durch Bildung oder andere Maßnahmen eine dauerhafte „einträgliche“ Stellung verschaffen so daß die Initiatoren das „Soziale“ ihres Staates beklatschen, so unternimmt derselbe Staat also in schlechten Zeiten die entgegengesetzten Anstrengungen, was wiederum fälschlicherweise als Versagen des Sozialstaates bejammert wird. In beiden Fällen läuft die Arbeitsförderung auf dasselbe hinaus: die Individuen, die sich von ihrer Arbeit ernähren müssen, verfügbar zu machen für ihre nutzbringende Anwendung durchs Kapital.

Der Unterschied besteht nur darin, daß sich in der Krise die Sorge des Staates um die gesicherte Reproduktion seiner Bürger durch Förderung der Volkswirtschaft unmittelbar als einseitiges Geschäft auf Kosten der Arbeiter offenbart. Wenn die „Ecken des magischen Vierecks“ mal wieder völlig auseinanderklaffen, besteht die wenig magische Tätigkeit des Staates darin, die Existenzgefährdung der Arbeiter so zu kompensieren, daß er sie durch Einschränkungen zwingt, sich als willige Arbeitskräfte ausbeutungsfähig zu erhalten und sich die Bedingungen der Arbeit vom Kapital diktieren zu lassen. Die staatliche Sorge um die Arbeitslosen belegt also auf brutale Weise die Marxsche Feststellung über die Natur des Arbeiterdaseins im Kapitalismus:

„In dem Begriff des freien Arbeiters liegt schon, daß er Pauper ist: virtueller Pauper. Er ist seinen ökonomischen Bedingungen nach bloßes lebendiges Arbeitsvermögen, also auch mit den Bedürfnissen des Lebens ausgestattet. Kann der Kapitalist seine Surplusarbeit nicht gebrauchen, so kann er seine notwendige nicht verrichten; seine Lebensmittel nicht produzieren. Als Arbeiter kann er nur leben soweit er sein Arbeitsvermögen gegen den Teil des Kapitals austauscht, der den Arbeitsfonds bildet. Dieser Austausch selbst ist an für ihn zufällige, gegen sein organisches Sein gleichgültige Bedingungen geknüpft.“ (Grundrisse 497).


Unterwerfungsstrategien der Opfer

Die freien Arbeiter erfahren zwar, daß das Kapital und der Staat nicht gewillt sind, auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, doch hindert sie nicht einmal der an ihnen selbst vorgeführte Beweis, daß ihnen Arbeit keine Sicherheit gegen Not verschafft, daran, sich dem Zwang des Lohnarbeiterdaseins willig zu unterwerfen, indem sie sich mit hilflosen Versuchen bescheiden, sich mit ihrem Los, wo es sie als Arbeitslosigkeit trifft, zurechtzukommen.

Sie empfinden die Arbeitslosigkeit als persönliche Schande (die sie nicht selten sogar der Familie verschweigen). sehnen sich nach der gesellschaftlichen Anerkennung des Beschäftigtseins und sind unzufrieden damit, sich nicht ausbeuten lassen zu dürfen. Sie verlangen vom Staat die Verwirklichung ihres „Rechts auf Arbeit“ mit dem illusionären Hinweis, daß ihre lebenslange Schufterei sie zu dieser Forderung berechtige.

Dabei erhalten sie tatkräftige Unterstützung von Fortschrittsmenschen in der SPD und links von ihr, die als Mittel zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit die Verankerung des „Rechts auf Arbeit“ im GG fordern, unbekümmert darüber, daß der Staat es längst praktiziert. Solche Kritik am Staat verlangt also die verfassungsrechtliche Garantie des Lohnarbeiterdaseins von einem Staat, der die Existenzunsicherheit und Unterstützungsbedürftigkeit der Lohnarbeiter dazu benutzt, ihnen praktisch klarzumachen, daß ihr Anspruch auf Hilfe die Bereitschaft voraussetzt, sich als willige Opfer der Kapitalverwertung zu verhalten und sich den Verhältnissen auszuliefern. die sie in den Zustand der Hilfsbedürftigkeit versetzt haben und es immer wieder tun. Leuten, die nichts als ihre Arbeitsfähigkeit und -willigkeit zu bieten haben, soll also versprochen werden, dies weiterhin tun zu dürfen, obwohl man das gegensätzliche Recht der anderen Seite, in Bezug auf die Verschwendung von Arbeitskräften wählerisch zu sein und ihre Macht, als Eigentümer von Kapital wegen ihrer materiellen Voraussetzungen ihrem Recht im Unterschied zum Arbeiter Geltung verleihen zu können, anerkennt. Das Versprechen, durch staatliche Arbeitsgarantien hieran etwas ändern zu wollen, ist also nur die Äußerung der Unzufriedenheit über die lästigen Folgen der Arbeitslosigkeit für den Staat und die illusionäre Aufforderung an den Staat, negative Auswirkungen des Ausbeutungsverhältnisses für ihn nach Möglichkeit zu vermeiden.

Realisten, die wissen, daß Arbeitslosigkeit kein Rechtsproblem ist, die auch wissen, daß zu einer gesunden kapitalistischen Wirtschaft Arbeitslose gehören. und die darauf verweisen können, daß bis 1980 und länger mit gleichbleibenden oder steigenden Arbeitslosenzahlen zu rechnen sei, haben für solche Vorschläge wenig übrig. Sie führen die Ohnmacht des Staates ins Feld – „Das Recht auf Arbeit schafft noch keine Arbeitsplätze“ – und beschwören sogar die Freiheit der Staatsbürger – „Aus dem Recht auf Arbeit könne sich eine Pflicht entwickeln. die auch von den Antragstellern nicht beabsichtigt ist“ –, um mit solchen Enthüllungen über den Zusammenhang von Recht, Gewalt und Ökonomie die freiwillige Unterwerfung unter die Kapitalerfordernisse – und das schließt eben Arbeitslosigkeit ein – für das Opportunste zu erklären.

Da auch die Arbeiter erfahren, daß ihr ohnmächtiges Pochen auf das Recht zur Arbeit ihnen nichts nützt, versuchen sie praktisch aus ihrer miesen Situation das beste herauszuschlagen. Sie versuchen nicht nur, das Arbeitslosengeld durch Schwarzarbeit aufzubessern und dadurch einigermaßen über die Runden zu kommen, oder der erzwungenen Untätigkeit die besten Seiten abzugewinnen „endlich mal Zeit für die Tochter, das Haus und den Garten“, SZ 23. 7. 75), sondern entscheiden sich u. U. sogar freiwillig für eine Verzögerung der Arbeitsaufnahme, selbst wenn das ein zeitweiliges Zurechtkommen ohne Arbeitslosengeld bedeutet, um nicht schlechtere Jobs annehmen und damit ihren Lebensstandard dauerhaft verringern zu müssen. Solch hilflose Versuche, sich in der Hoffnung auf eine „baldige Erholung der Konjunktur“ durch die Inkaufnahme zeitweiliger empfindlicher Einschränkungen dem dauerhaften sozialen Abstieg zu widersetzen, können sich freilich nur die wenigsten leisten. Und auch ihnen wird durch die verschärfte Handhabung der Zumutbarkeit und spätestens durch den Druck der Arbeitslosenhilfe der soziale Abstieg, d. h. die Unterwerfung unter die Kapitalerfordernisse aufgeherrscht.

Die gezwungenermaßen beschäftigungslosen Frauen finden sich mehr oder weniger damit ab, den „Rückzug in die Küche“ antreten zu müssen um den Preis eines geringeren Familieneinkommens. In der Not entdecken sie wieder hausfrauliche Tugenden und liebevolle Sorge für Mann und Kinder, die ihnen während ihrer Berufstätigkeit als notwendiges und nebenbei schlecht und recht zu erledigendes Beiwerk abverlangt wurde, als ihren eigentlichen Beruf und beweisen durch die positive Haltung ihres Verzichts, wie nützlich gerade in der Krise die Frauen sein können.

Die Jugendlichen dagegen, die in ihren Hoffnungen auf eine gutbezahlte und gesicherte Zukunft. enttäuscht werden, noch ehe sie sie beginnen, und die, je geringer ihre Qualifikationen, umso schwerer eine Anstellung gewinnen (der größte Teil der unbeschäftigten Jugendlichen sind Schüler mit schlechten Abschlüssen oder Sonderschüler), reagieren mit Desinteresse auf die staatlichen Weiterbildungsprogramme, die für sie nur eine Last ohne Garantie auf Erfolg und Nutzen sind, und liegen ihren Familien auf der Tasche, soweit sie können. Sie können es sich noch leisten. nicht einzusehen, warum sie sich für Arbeitszwänge bereitmachen sollen, obwohl sie nicht gebraucht werden, verzichten damit freilich auf die Chancen des „Vorwärtskommens“ und werden mit ihrer sozialen Notlage fertig, indem sie unzufrieden herumlungern ohne sich um die Gründe ihrer beschissenen Lage zu kümmern, sind sie doch nur daran interessiert, sich gegenwärtig möglichst einfach durchzuschlagen. Die verschiedenen Weisen, mit der Arbeitslosigkeit gemäß eigenem Nutzen umzugehen, führen also stets dazu, daß die Arbeitslosen den staatlichen Zwang an sich selbst durchsetzen müssen, auch wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Freilich macht ihre Unzufriedenheit dem Staat zu schaffen. Er bemüht sich daher nach Kräften, durch Krisenagitation den Arbeitern ihre Situation als natürlich aufzuschwätzen. denn ihre Unzufriedenheit mit dem Staat ist das Problem, gegen das er vorzugehen gewillt ist.


Disziplinierungshilfen

Konflikte dieses Ausmaßes lassen die professionellen Betrachter der Weltlage nicht ruhen, bis sie nicht ihren Beitrag zur Bewältigung der Lage geleistet haben. Ob dies in Gestalt von Lob oder Beschimpfung der Arbeitslosen geschieht, als phantasievoller Vorschlag zur Minderung der Lasten durch Aufteilung der vorhandenen Arbeitszeit oder als brutale Aufforderung, sich abzufinden, es läuft alles auf dasselbe hinaus. Durch die Besprechung ihrer Leiden wird den Arbeitslosen klargemacht, daß Unzufriedenheit und Aufsässigkeit nichts nützen und nur dann Aussicht auf Besserung der Lage besteht, wenn sie ihre Persönlichkeit auf eine Charaktereigenschaft zusammenschrumpfen lassen: auf die bloße Bereitwilligkeit zur Arbeit und sonst nichts.

„Verelendungsgefahren“ und die „drastische Beschneidung des Lebensstandards“, die „einen echten sozialen Abstieg zur Folge hat“ (Handelsblatt 11. 8.), werden in Forderungen an den Staat umgemünzt, Arbeitsbeschaffung und Leistungen für Arbeitslose zu verbessern. Kritische Worte über frühere Versäumnisse einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik halten sich an den Staat als Verantwortlichen, wobei er zugleich wieder entlastet wird. Die verwickelten gesamtwirtschaftlichen Beziehungen und vielfältige – nicht vorhersehbare – Einflüsse haben sein an sich richtiges Handeln durchkreuzt. Nach dieser Demonstration, daß es keine Schuldigen gibt, unterstreicht man das Mitgefühl für die Betroffenen. Zur Bekräftigung ihres Anspruchs auf staatliche Hilfeleistung wird ihre prinzipielle Bereitschaft zur Arbeit hervorgehoben und damit zugleich der eigentliche Anlaß für das Mitgefühl demonstriert: Ein ungenutztes Potential williger Arbeitskräfte ist ein mißlicher Umstand, der nicht nur nichts zur Vermehrung des Bruttosozialprodukts beiträgt. sondern auch noch Kosten verursacht. Eine Überlegung, die sich leicht in eine anschauliche Berechnung umsetzen läßt: „Bruttoinlandsprodukt multipliziert mit der Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter, … ergibt eine Lücke von ca. 60 bis 70 Mrd. = Verluste der Krise für die (!) Gesellschaft .“ (Berechnet nach Altvater, „links“ Oktober 75). Weniger kritische Geister wenden sich jedoch wieder den Betroffenen zu, bestätigen ihnen zynisch ihre bereitwillige Unterwerfung („… daß es für die meisten ein echtes Bedürfnis ist, zu arbeiten …“), und legen ihnen auf diese Weise nahe, sich vertrauensvoll in die Verhältnisse zu schicken. (Gleichzeitige Veröffentlichungen über „Armut in der BRD“ beweisen, daß es immer noch Leute gibt, denen es schlechter geht, so daß man selbst keinen Grund zum Klagen hat.)

Die Kehrseite des übertriebenen Lobes der Arbeitswilligkeit als besonderer Charakterstärke ist die Beschimpfung der Drückeberger. Die fürs bürgerliche Bewußtsein (sonst) selbstverständlichste Veranstaltung von der Welt, das Abwägen der Vor- und Nachteile einer Sache wird zum Skandal erklärt: ob sie Arbeitslosengeld beziehen oder eine Stelle annehmen, „für viele ist es einfach (!) ein Rechenexempel“ (Spiegel 41). Daß die „vielen“ unter den Arbeitslosen sich solche Erwägungen gar nicht mehr leisten können, wird übersehen, denn mit der Entrüstung über die „Drückebergerei“ ergibt sich ein sehr fruchtbarer Verdacht: daß nämlich die Arbeitslosen an ihrer Lage nicht unschuldig sind: „Wer zum Tarif abschließen soll, der ist charakterlich (!) gefordert“ (Spiegel 41). Und wenn es schon um den Charakter geht, bleibt die moralische Schelte nicht aus. „Unechte Arbeitslosigkeit“ (Lohmar) wird gebrandmarkt als eine Folge unverschämter Ansprüche der Arbeitslosen, die sich für niedrige Arbeit zu schade sind. „Ein schlechtes Gewissen bedrückt sie nicht“ (SZ 23. 7.). Die vorurteilslos geführte Diskussion um Mängel der jetzigen Unterstützungsregelung – geführt von Leuten die sich ihre Vorurteilslosigkeit aufgrund einer relativ sicheren Stellung leisten können, weil sie sich für diesen hervorstechenden Charakterzug bezahlen lassen – bekennt sich zum Prinzip dieser Moral, die die Arbeitslosen für ihre eigene Lage verantwortlich erklärt, um ihnen dann ihre Unbescheidenheit vorzurechnen:

„Aber liegt es wirklich im Interesse der Mehrheit der Arbeitnehmer oder gar einer solidarischen Gesamthaftung unserer Gesellschaft, zugunsten der tatsächlich Benachteiligten, hier alles beim Alten lassen zu wollen?“ (Lohmar)

Nein, lautet die Antwort, ehe die (?) Gesellschaft haften muß, lieber doch die, die schon benachteiligt sind. Der Bund der Steuerzahler, den schon sein Name zur Offenheit verpflichtet, geht direkter auf sein Ziel los und greift die Berechnung des Arbeitslosengeldes am Effektivlohn als „Ungerechtigkeit“ an, die durch die gerechtere (sparsamere) Orientierung am Tariflohn ersetzt werden soll. Wenn die Arbeitslosen schon der Gemeinschaft auf der von ihnen selbst gefüllten Tasche liegen, sollen sie sich wenigstens mit weniger zufrieden geben.

Die Arbeitslosigkeit ist also ein Problem der Arbeitslosen, mit dem sie die Gesellschaft nicht unnötig belästigen sollen, am besten sie helfen sich selbst. Da das aber kaum möglich ist, erinnert der Hamburger Bürgermeister Klose daran, daß es ja noch besetzte Arbeitsplätze gibt. Nach der Feststellung, daß „wir ohnehin auf dein Weg zur Freizeitgesellschaft sind“, nur daß leider die Freizeitler sie mangels Einkommen nicht recht genießen können, entdeckt er die eigentlich Schuldigen in den „100 Leuten“, die „150 Prozent. der Arbeit machen, während 50 Leute dafür (!) auf der Straße stehen.“ (Spiegel 31) Er gelangt so zu einer interessanten Uminterpretation gewerkschaftlicher Solidarität, vermittels derer auch die SPD-Bundestagsfraktion ein „neues Selbstverständnis der Arbeitsmarktpolitik“ entwickelte:

„Bei den Arbeitnehmern und ihren Interessenvertretungen muß das Bewußtsein der Solidargemeinschaft über die Zahlung von Beiträgen hinaus tendenziell auf eine solidarische Umverteilung der verfügbaren produktiven Arbeitszeit ausgeweitet werden“ (SZ 12. 11.)

Daß das Problem der Arbeitslosen darin besteht, daß sie gerade zuviel Zeit zur Verfügung haben und gar nicht darauf angewiesen sind, Zeit geschenkt zu bekommen, daß also das Mittel, das die Zeit produktiv werden läßt, nicht in den Händen der Arbeitnehmer liegt, sondern gerade gegen sie verwandt wird – solche Überlegungen sind diesen Volksvertretern nicht geläufig, wollen sie doch den Arbeitern die Wirkungen des Kapitals ganz aufbürden und den Staat von lästigen Pflichten befreien.

Der schöne Entwurf der proletarischen Solidargemeinschaft, die im gemeinschaftlichen Verzicht das Opfer der Arbeitslosigkeit auf ihre Schultern nimmt – wer sowieso schon zu den Opfern gehört, kann ruhig noch eins mehr bringen muß sich jedoch von realistischeren Kennern der Verhältnisse vorwerfen lassen, daß er in seinem guten Willen den Egoismus der menschlichen Natur übersieht:

„Es wird keine Rezepte geben. diese Spannungen aufzulösen“ (Schließlich weiß man ja auch, daß die Konjunkturprognosen eine länger andauernde Arbeitslosigkeit voraussagen, und ein klares Wort zur rechten Zeit ist oft wirkungsvoller als Lösungsvorschläge, die unerfüllbare Hoffnungen erwecken:) „Aber es muß Abschied genommen werden von den vertrauten Vorstellungen, daß alles „immer besser“ weitergeht … Die einfallslose (!) Forderung, die Arbeitsplätze seien zu sichern, kann dann gemeingefährlich werden, bedrohlich für das Gemeinwohl, wenn sie die notwendige Beweglichkeit der Menschen. Betriebe und Verwaltungen nicht fördert, sondern im Gegenteil zu weiteren Verkrustungen führt.“ (Heigert SZ 31. 7.)

„Beweglichkeit der Menschen“ = Verzicht auf Einkommen und eine gesicherte Existenz muß sein zur Sicherung des „Gemeinwohls“ und wer seinen Teil vom „Gemeinwohl“ einfordert, ist „gemeingefährliche“ das ist die Quintessenz der Bemühungen, die staatlichen Zwangsmaßnahmen auf Kosten der Arbeiterinteressen zu legitimieren.

aus: MSZ 9 – Januar 1976

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