Psychologische Ratgeber für die Familie: Du bist nicht allein
,,It's so funny, Weltfremdheit läßt sich der modernen Wissenschaft nicht zum Vorwurf machen – ebenso wenig, daß sie sich scheute, in die Niederungen des Alltagslebens hinabzusteigen. Allen voran, pionierhaft die Amis, gefolgt von bundesrepublikanischen Sachverständigen, hat sich die Psychologenzunft der Mühsal des Ehelebens angenommen. Nach ihrem übereinstimmenden Urteil ist es ein Bewährungsfeld, auf dem ebenso wie in allen anderen Lebensbereichen nur mit harter Arbeit an sich selbst, unablässiger Kalkulation und gezieltem Einsatz der eigenen Person, also nur nach genauester Befolgung ihrer Richtlinien der Erfolg sich einstellt. Dabei berufen sie sich selbstgewiß auf die große Anzahl „gescheiterter Ehen“, „unbefriedigter Ehepartner“ und „chronischer Ehekrisen“ und lassen sich nicht im geringsten von der noch mit ihrem euphemistischen Befund konstatierten Tatsache irritieren, daß die Normalität der Ehe offensichtlich darin besteht, daß nichts geht und die Beteiligten unzufrieden sind. Sie stellen die Sache einfach auf den Kopf und erklären die allseits empfundene Ungemütlichkeit des Ehestands zur einmaligen Chance für ihre Sanierungsprogramme. Das alles müßte gar nicht sein (Gunnar Möller ein bedauerlicher Fall von Unaufgeklärtheit über die Strategien erfolgreicher Eheführung), verschaffte sich die verheiratete Menschheit nur den nötigen Sachverstand und die entsprechenden Tips. Dazu muß ja niemand mehr dreimal pro Woche auf die blaue Couch, jede Buchhandlung, auch der katholische Herder bietet heute Regale voll mit bunten Broschüren und gewichtigen Econ-Bänden, die – mit Illustrationen und Prüfungsaufgaben ausgestattet – wirklich keine Frage offen, keinen Problembereich des Privatlebens von ihren Anweisungen unverschont lassen.
Anlässe objektiver Natur für den ehelichen Unfrieden sind selbstverständlich indiskutabel, denn 1. liefern die Ehen, in denen unabweisbar Geldmangel und körperlicher Verschleiß bewältigt sein wollen, nicht gerade die Kundschaft für Psychologen, und im übrigen ist dort die Not das sicherste Mittel, die Ehe zusammenzuhalten, bis daß der Tod sie scheidet. Und wenn 2. auch beim gehobeneren Publikum die Auswirkungen des Berufslebens auf Laune, Seelen-, Charakter- und Gesundheitszustand des lieben Partners, nicht unmaßgeblich sind, so empfehlen die Berater konsequent, sich von derlei Äußerlichkeiten nicht ablenken zu lassen: das Miteinander ist schließlich Thema. Und der Wille zum Miteinander – psychologisch bearbeitet – ist die Waffe, mit der der eheliche Kleinkrieg in geordnete Bahnen gelenkt werden soll. Deshalb sind die anthropo-, soziologischen Einleitungen, wo Neandertaler, Südseeinsulaner und höhere Affenrassen beweisen müssen, wie sehr der Mensch zur Ehe geschaffen ist, eigentlich auch ziemlich überflüssige theoretische Höhenflüge, wohingegen die Anweisungen, erst einmal mit verschiedenen Fragen und Vorhaltungen in sich zu gehen, schon mehr zum Kern der Sache kommen. Da soll sich der mit dem jeweiligen Stand des Eheglücks Unzufriedene die tiefsinnige Frage vorlegen, ob er nicht einfach zuviel oder auch Falsches verlangt, und ob er nicht etwa ,,unrealistische Erwartungen, unvernünftige Ideale“, wie das Streben nach ,,Glück, Behaglichkeit, Sicherheit“ abzulegen habe. Statt unverschämterweise die Ehe am Maßstab der eigenen Zufriedenheit zu messen, haben die Eheleute gefälligst ihr Wohlbefinden aus dem Bestand ihrer Ehe zu entnehmen. Zur Selbstversicherung, daß Glück immer das ist, was man hat, wird die altbewährte Vergleichstechnik wärmstens empfohlen: im Grunde ist doch der andere immer noch der, in den man vor 10 Jahren so schön verknallt war, und was für schöne Zeiten hat man doch gemeinsam erlebt! Und auch heute gibt es noch viel Positives zu vermelden, daß er nicht fremdgeht oder säuft wie der von nebenan, und überhaupt, ohne ihn stünde man auch ziemlich blöd da. Erster und entscheidender Schritt zur vertiefenden Behandlung des so gestärkten Ehewillens ist das Bekenntnis zum Versagen, das Akzeptieren der „Schuldfrage“ – „sobald ich sehe, daß einer der Partner seine Schuld sieht, atme ich auf“ –, die selbstverständlich nicht auf die Aufklärung der Ursachen der häuslichen Ungemütlichkeiten abzielt. Mit der Übernahme der „Schuld“, der ebenso grundsätzlichen wie inhaltsleeren Selbstanklage, tut sich vielmehr die Bereitschaft kund, alle Unverträglichkeiten des Zweierdaseins weiterhin auszuhalten. Diese ehepsychologisch wertvolle Einstellung, die sich die Masse der verheirateten Menschheit ohnedies praktisch zulegt – wenn die Ehe nicht richtig geht, ohne daß man es sich leisten könnte und wollte, sie aufzugeben, hat man sich eben daran zu gewöhnen, daß sie s o geht und sein Teil dazu beizutragen –, bringt den Sachverstand der Berater allerdings erst richtig zum Rotieren: Übers bloße Zurechtkommen hinaus müßte sich doch mehr draus machen lassen und das psychologische Wunschdenken wird produktiv in der Entwicklung von allerlei Verfahrensweisen, die mit der gleichen Erfolgsgarantie wie die lebenslänglich schneidfähigen Küchenmesser das Eheglück sichern, wenn die lieben Partner sich nur so verhaltenswissenschaftlich korrekt verhalten wie die Ratten beim Betätigen der Futterklingel.
Was den Ehen fehlt, sind die Techniken des „Mit“, lat. Kommunikation, was als erstes verlangt, nicht das zu tun, was man will, stattdessen „Einfühlung“ an den Tag zu legen: „Eine Frau muß herausfinden, ob ihr Mann es haben kann, daß sie abends noch ein paar Socken stopft oder an einem Pullover strickt. Wenn er es nicht mag, soll sie es lassen. Viel wichtiger ist, daß sie sich dafür interessiert, wie es im Betrieb war, ob die Baustelle immer noch nicht fertig und die Straße an der Umleitung immer noch verstopft ist ...“ , scheißegal, wie uninteressant derlei Auskünfte sind und wie oft die angeödete Ehefrau sie schon hat anhören müssen. „Verstehen“ ist gefragt und d.h. die Demonstration der Bereitschaft, immer und überall für den anderen da zu sein. Ganz entgegen der Tatsache, daß sich die beiden schon „viel zu gut kennen“ und deshalb keine Lust auf ständige Verkehrsgespräche mehr haben, empfiehlt der Berater folgende Übung, als ob der Ehemief das Ergebnis von Schwerhörigkeit oder mangelnder Sprachkenntnisse wäre. So wird den Partnern eine kleine Heimwerkerdoppelanalyse ans Herz gelegt: „Setzen Sie sich einander gegenüber. Der eine Partner stellt einfach fest, was er eben jetzt fühlt und erlebt. Der andere hört genau zu und faßt nach einigen Sätzen immer wieder zusammen, was verbal und nichtverbal mitgeteilt wurde ... und achten Sie darauf, wie genau ihr Verstehen ist.“ Bei solcher Anleitung zur organisierten Heuchelei darf die Gerechtigkeit nicht fehlen: „In einer Ehe soll es sich mit der sprachlichen Kommunikation ähnlich verhalten wie mit kommunizierenden Röhren: Beide haben einen ausgeglichenen Wasserspiegel ... Das wird im Gespräch geübt, wiederum mit Tonband, und Schritt für Schritt gelingt es, beide zu einer ausgeglicheneren Kommunikation zu führen.“ Wenn nur zwecks Kommunikation miteinander geredet werden soll, dann läßt sich der Ausgleich auch handfest erledigen: „Paare, die gute Kommunikationsmöglichkeiten haben, können sich gegenseitig Mitteilungen durch ein System von Berührungen (Tätscheln, Klaps, Puff) signalisieren“, zumal der „ständige Zwang zum Entschlüsseln“ dann wieder Spannung ins Eheleben bringt. Wo aber nicht viel zu entschlüsseln ist, weil entweder die altbekannten Beschwerden über den Chef oder die Meckereien an der Haushaltsführung kommuniziert werden, – abschalten! „Wenn er schreit, so nimm es hin, wie du das Geschrei einer begeisterten Menge bei einem Fußballmatch hinnehmen würdest. Wenn er klagt, so mag es für dich wie ein Hahn sein, der rinnt, der einen ärgert, aber weiter keinen Schaden zufügt ... Suche Gesellschaft bei deinen eigenen Gedanken, erlaube ihnen aber nie, in die Richtung »er liebt mich nicht mehr« abzuschweifen!“ Aber Achtung: der Eindruck, daß man zuhört und mitfühlt – siehe Übung Nr. 2 – darf nicht verlorengehen. Und sich dazu hinreißen zu lassen, seine Meinung zu sagen, wäre grundfalsch. Verständnis ist gefragt! Und zur Unterstützung offerieren die diensteifrigen Psychologen ganze Bücher voll mit „Basisübungen für partnerschaftliche Kommunikation“, mit denen man sich abendelang im Ankreuzen und Austausch von Wunschlisten, Zuhören, Repetieren und Memorieren von Ich-Botschaften und Du-Signalen Verständnis antrainieren soll.
Wenn aufgrund des Bestrebens, mit den Sorgen des anderen, die man sich hat oft genug anhören müssen, in Ruhe gelassen zu werden, die Kommunikation nicht munter fließen mag, so ist das – psychologisch gesehen – ein Mangel an Gesprächsthemen. „Aber man kann ja nicht unentwegt miteinander turteln und schlafen, und was geschieht in der übrigen Zeit? Hier ist es wichtig, Gesprächsthemen zu haben …“ Und wenn man sie nicht hat, eben welche fabrizieren: „Gibt es ein Vitamin gegen die Langeweile in einem Fall wie diesem? Das Wichtigste war, den abgerissenen Gesprächsfaden neu zu knüpfen. Thilo begeisterte sich für Schach. Marion sollte versuchen, dieses Hobby mit ihm zu teilen. Dann wäre eine Gemeinsamkeit geschaffen.“ Das gibt Freude und Begeisterung, wenn Marion zum Zwecke der Gemeinsamkeit die Spielregeln vergewaltigt, und – „außerdem sollte es Marion nicht schwerfallen, sich erneut für Thilos Berufsprobleme zu interessieren“ – unterwegs auch noch Berufsprobleme erörtert, sich z.B. ein paar interessierte Fragen nach diesen neuen Mikro ... , wie heißen sie doch gleich, ausdenkt. Da ist es doch besser, einfach neue, gemeinsame Interessen zu organisieren: „So diskutieren die beiden über andere Möglichkeiten: Regelmäßiges Treffen mit Freundinnen, einmal in der Woche Kartenspiel bei Freunden. Doch mehr noch ist Angelika an jenem Spanisch-Kurs interessiert oder eben an einer Wiederaufnahme ihres Berufs. Doch als sie Volkers Abneigung merkt, einigen sie sich auf einen Fremdsprachenkurs und außerdem auf ein Theaterabonnement.“ Ist ja auch wirklich egal, ob Skat, Spanisch oder Maria Stuart – auf die Ehe kommt es an! Und wenn Volker im Theater schnarcht und die Peinlichkeit den Genuß von Angelika mindert, immerhin hat er guten Willen bewiesen, so daß sich die beiden derlei Vergnügungen auch wieder sparen können. Letztlich sind sich die Ehepsychologen ja auch völlig sicher, daß die gekonnte Demonstration von Zuneigung und gutem Willen die Nichtbefriedigung von Bedürfnissen im Befriedigungsquotienten leicht kompensiert: „Wenn die Partner emotional darben, sich etwa ungeliebt oder nicht-angenommen fühlen, ist es fast unmöglich, widersprüchliche Bedürfnisse aufzulösen. Was auf diesem Gebiet nicht geändert werden kann, wird in der Ehe leichter ertragen, wenn der Befriedigungsquotient (Emotion: Partnerschaft – Bedürfnis) schon im Steigen begriffen ist.“
„Beide müssen die Lösung wünschen, dann werden sie leicht zu einer beiden gerecht werdenden Lösung kommen können. Vorschläge wären: Dreimal in der Woche getrennt schlafen, die restlichen Tage gemeinsam; oder man geht zunächst gemeinsam ins Bett und trennt sich nach einer Weile zärtlicher Gemeinsamkeit wieder; oder man vereinbart überhaupt getrennte Schlafzimmer oder ...“ Wenn sich über den Turnus Unstimmigkeiten ergeben sollten, ist die Konsultation eines Unparteiischen oder das Führen von Strichlisten zu empfehlen! Der psychologische Vorschlag zur Befriedung der Ehe durch die Abhaltung von zahlreichen Konferenzen, Mitbestimmungsübungen und Abschluß von Verträgen (sehr empfohlen wird auch immer deren schriftliche Niederlegung, die kann man bei Zuwiderhandlung dem anderen immerhin um die Ohren schlagen) ist allerdings nicht ganz praktikabel. Die Verrücktheit, sich die Ehe als selbstausgetüftelten Zwangszusammenhang einzurichten, wird wohl auch der willigste Klient kaum in die Tat umsetzen – irgendwo auf der Welt will sich der Mensch schließlich gehen lassen können und sei es in ungehindertem Nörgeln an allem, was ihm nicht paßt. Ohne sich davon beirren zu lassen, daß sie damit ihre ganzen Modelle zur Einigung durch Befriedigungsquotienten und Vertragsabschlüsse zu Ausgeburten ihrer ehemoralischen Zwangsvorstellungen erklären, entwickeln die Berater daneben mit gleichem Eifer Prinzipien des effektiven Streitens. Die Wahrnehmung der Tatsache, daß der Streit eine Hauptbeschäftigung des Ehestands ausmacht, beweist ihnen selbstverständlich wieder nur das eine: daß der alltägliche Zank und die wechselseitigen Quälereien geradezu danach schreien, daraus Methoden zur Sicherung der Ehe zu basteln.
„Streiten lernen!“ fordern die zahlreichen Bücher, was selbstverständlich nicht bedeutet, streiten zu lernen, das können die Eheleute offensichtlich ja schon, sondern sich verschiedene Auflagen zu eigen zu machen, durch die der Streit sich dann zu einer befriedigenden und der Ehe förderlichen Einrichtung wandeln soll. „Wenn man sich abgewöhnen kann, den Partner zu kritisieren und anzugreifen, stellt man sehr rasch fest, daß es viel seltener zu Konfliktsituationen kommt.“ Durch den Verzicht auf böse Worte ist der Konflikt auch schon fast so gut wie weg: Im Fall des Ehemannes, der Müll sammelt, empfiehlt der Berater mit der gleichen Waffe zurückzuschlagen: „»Sammeln Sie mit!« Der Berater ermuntert Frau F., von nun an ebenfalls auf die Suche nach einigermaßen brauchbaren Abfällen zu gehen und sie in dem Rest der Wohnung zu häufen.“ „Wo Worte aggressiv wirken, können nonverbale nichtsprachliche Signale helfen!“ Ein Psychologe, der seine Klienten zu allerlei äffischen Verhaltensweisen wie gestischem und mimischem Nachahmen, BRRR-Lauten und Tätscheln veranlassen will, ist sich absolut sicher, daß die Gründe des Streits ignoriert werden müssen, weil er einzig zur Rettung der Ehe zu führen ist: „So nageln sich diese Leute auf der Inhaltsebene, auf bloßem Diskutieren fest und erzeugen ein unbehagliches Klima, statt Spannungen abzubauen.“ Furchtbar behaglich hingegen ist die Einführung von ,,Scheinstreits“, wo – weil es auf Gründe eh nicht ankommt, – fröhlich über Trivialitäten streiten geübt werden soll: „Der Scheinstreit hat eine vernünftige Funktion. Er kann zur Vervollkommnung der Streittechnik beitragen und die natürlichen aggressiven Neigungen können abgebaut werden.“ Also fünfmal am Tag einen Streit anzetteln über Sachen, die einem gleichgültig sind, dann ist die Aggression, die am Abend vonnöten wäre, um den Krach über die Kindererziehung zu bestreiten, schon aufgebraucht! Überhaupt sind sich die erfahrenen Berater völlig sicher, daß ihre Adressaten mit einem Seelensack voll verschiedener Gefühlsquanta herumlaufen, die mit Gründen und Anlässen nichts zu schaffen haben, deren Verausgabung daher möglichst zweckmäßig und ehehygienisch geplant zu werden hat. Daher gilt es die räumliche und zeitliche Organisation des Streits genauestens zu kalkulieren: 1. nicht dann streiten, wenn es Grund dazu gibt, sondern „feste Termine vereinbaren“: „In unserer Familie machen wir das am Donnerstag, so daß wir ein entspanntes Wochenende vor uns haben.“ Sonntags ist Nörgeln verboten, dann sind wir entspannt und gebrüllt wird 2. nur im Keller, ,,streiten sollte man nur fern von Tisch und Bett.“ Da feststeht, daß der Ärger nur als wüster Aggressionsklumpen im Innenleben des Partners sich herumtreibt, ist 3. die Umlenkung auf leblose Objekte auch eine sehr günstige Methode: „Mit den Fäusten oder einem Tennisschläger aufs Kopfkissen oder aufs Bett“ losgehen oder – es läßt sich doch nicht ganz leugnen, daß jemand bestimmtes gemeint ist –: „Bevor nun solche Gelüste zu einer Tat führen – Morde unter Eheleuten sind gar nicht so selten – ist es schon besser, sie toben sich aus. Psychologen in den USA haben übrigens eine ausgezeichnete Lösung gefunden: Sie schicken einen sicheren potentiellen Mörder mit Revolver und Messer in einen Keller, in dem eine mit alten Kleidern des Partners ausgestattete Puppe steht – die darf er dann nach Herzenslust umbringen.“ (Was den von gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen wahrgenommenen rasanten Verschleiß von Rosalynns Garderobe erklären dürfte.) Hat man aber 4. den leibhaftigen Partner in der Mangel, heißt es, den Entspannungszweck im Auge behalten: „Streitbeendigung. Körperliche Scheingefechte werden dieser Situation gerecht. Man kann noch ein wenig Spannung loswerden, demonstriert aber gleichzeitig dem Partner, »ich will dir nicht weh tun« ...“ Zur Sicherheit wird aber auch hier zuweilen angeraten, vor Beginn des Rangelns den rechten Arm des Ehemanns mit der Wäscheleine festzubinden. Derlei Utensilien sind auch bei der nächsten Art von Vorschlägen sehr gefragt.
Wo zuguterletzt das Liebesleben der Ehepartner unter den alltäglichen Ärgernissen abhanden gekommen ist und bewährte Hausregeln „ein Gläschen Wein“ oder die katholische Aufmunterung, „Wenn die Eheleute trotz erkalteter Gefühlsliebe die Vereinigung vollziehen, dann können sie das ehrlich tun, sofern sie sich ihrer unauflöslichen Gemeinschaft bewußt sind. Dann ist es jedesmal wie eine Bekräftigung: wir gehören dennoch zusammen!“ (Das macht Spaß!), nicht verfangen, da diagnostiziert der ehepsychologische Sachverstand ohne große Mühe mangelnden Einfallsreichtum: „Ein Umdenken hilft dann, wenn man aneinander gewöhnt (?) ist und spürt, daß die Oberfläche frisch poliert werden sollte.“ Daß die „Gewöhnung“ darin besteht, daß Ehemann/-frau Frau/Mann nicht mehr gefällt und das Vergnügen im Bett mangels Zuneigung ausbleibt, läßt sich ganz einfach beheben, zumindest in der Phantasie! Sei es mit Cassolette, Croupade, Cuissade oder einer einfachen Dusche: „Der richtige Schauplatz für ein Sexabenteuer – wascht euch gemeinsam, liebt euch; der einzig passende Ort in den meisten Wohnungen und Hotelzimmern, um die Hände eines Partners über dem Kopf zu befestigen. Reißen Sie aber die Armatur nicht aus der Wand – sie ist für die Belastung nicht gebaut.“ Dank der betont vorurteilslos-sachlichen Darstellungsweise und der hilfreichen Illustration kommen diese Art Eheratgeber per Beate-Uhse-Vertrieb auch in den Genuß einer breiteren Leserschaft und der intellektuellen Verurteilung, hier würde Gefühl auf Technik reduziert und Unmoral gepredigt. Den Vorwurf brauchen sie allerdings nicht auf sich sitzen zu lassen: Führen sie doch gerade mit ihren Ratschlägen die Moral der Ehe, daß sie zu halten hat, konsequent durch, indem sie noch den letzten Winkel ehelicher Aktivitäten durchstöbern und zur Quelle vielfältiger und abenteuerlicher Genüsse erklären, mit deren Hilfe sich der ganze unfriedliche Rest besser verdauen läßt. Über ihre durch und durch moralischen Absichten lassen sie auch keine Zweifel. Zum einen wird der nach ihren Anregungen zu erwerbende joy of sex als todsicheres Mittel verkauft, die in langjähriger Ehe erworbenen Abneigungen grundlos zu machen und zum anderen ist es nach ihrer Auffassung sowieso egal, mit wem man es probiert, weshalb man eben beim ersten bleiben sollte. „Der amerikanische Ausweg besteht darin, daß man die Beziehung wechselt und mit jemand anderem einen ebenso unvernünftigen Versuch unternimmt, auf die entfernte Möglichkeit hin, vielleicht einen besseren Partner zu bekommen. Das ist eine Gefühlsvergeudung (wo man bekanntlich wie bei der Aggression nur über eine bestimmte haushälterisch zu handhabende Quantität verfügt) und gewöhnlich macht man wieder die gleichen Fehler.“
Wenn das Zusammenbleiben auf jeden Fall geboten ist, läßt sich aus der bewährten Praktik, sich zumindest zeitweise aus dem Weg zu gehen, gleich eine neue Ehephilosophie drechseln: die ,,offene Ehe. Der neue Typus der Monogamie“. „Fremdgehen“ ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, weil auch eine Form von ,,Kommunikationstraining“': „Der wichtigste Vorteil der Einbeziehung von Außenkontakten in die offene Ehe ist selbstverständlich der, daß sie die individuelle Entwicklung der Partner fördert. Am besten jeder läßt den anderen zufrieden und geht seiner Wege – „machen Sie getrennte Ferien! Entwickeln Sie unabhängige Interessen!“ –, dann flutscht die Ehe und das getrennte Eheleben gibt wahnsinnig viel Stoff für anregende Unterhaltungen!
Das Prinzip der ehepsychologischen Lebenshilfe ist also recht einfach: man nehme alles, was in der Ehe vorfällt und woran sich die Ungemütlichkeit dieser Institution manifestiert, einfach als das Gegenteil, als Ansatzpunkt für die methodische Sicherung der Ehe. Langeweile, Überdruß, Abneigungen, Quälereien, Streit und Ausweichversuche werden zur Bewährungsaufgabe für die Ehepartner erklärt. Der Wille zum Weitermachen und die Weisen des notgedrungenen Miteinanderzurechtkommens werden in ein Programm umgestaltet, das den Beteiligten die Handhabung ihrer Gefühlswelt und Umgangsweisen als Handwerkszeug zur Konsolidierung der Ehe aufschwätzen will, die Leute auffordert, sich freiwillig ganz zum Mittel der Institution Ehe zuzurichten. Ein echter Dienst an der Volksgesundheit! Die Befolgung dieser Anweisungen, die Umwandlung der Ehe in eine Erziehungsanstalt zur Eheführung, ist allerdings weniger einfach, man stelle sich nur das enorme Tagesprogramm einer trainierten Ehe vor, das die Urheber dieser brutalen Nützlichkeitsphantasien zur Strafe selbst einmal durchexerzieren sollten: Morgens Aufstehen mit Verständnis oder entspanntem Geschlechtsverkehr auf französisch (im Bett oder auf dem Teppich). Anschließend Frühstück mit Scheinstreit, aber ausgeglichener Kommunikation. Stoppuhr und Tonband bereitstellen. Tagsüber Vorbereitung der Abendgestaltung. Abends entweder Basisübung zur partnerschaftlichen Kommunikation Nr. 37 oder Volkshochschule Spanisch-Kurs (Volker evtl. Guitarre?) oder Aggressionsabbau im Keller oder Absolvierung eines gemeinsamen Interesses, dann getrenntes Vergnügen zwecks nachträglichem Erlebnis- und Gedankenaustausch oder nonverbale Kritik mit Rangeln oder Konferenz über die Zu-Bett-Geh-Frage oder ... oder war heute nicht der Tag für den großen Wochenendentspannungsstreit?
aus: MSZ 31 – Oktober 1979 |